The Project Gutenberg EBook of Wahn und Ueberzeugung, by Friedrich Höhne This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org/license Title: Wahn und Ueberzeugung Reise des Kupferschmiede-Meisters Friedrich Höhne in Weimar über Bremen nach Nordamerika und Texas in den Jahren 1839, 1840 und 1841. Author: Friedrich Höhne Release Date: March 13, 2016 [EBook #51430] Language: German Character set encoding: UTF-8 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK WAHN UND UEBERZEUGUNG *** Produced by The Online Distributed Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)
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Reise
des
Kupferschmiede-Meisters
Friedrich Höhne in Weimar
über
Bremen nach Nordamerika und Texas
in den Jahren
1839, 1840 und 1841.
Wahrhafte und ergreifende Schilderungen
der
Bremer Seelen-Transportirungen, der Schicksale deutscher
Auswanderer, vor, bei und nach der Ueberfahrt; Reisescenen zu
Wasser und zu Lande und ausführliche Rathschläge für Ansiedler
im Bezug auf den Charakter, die Sitten und konstitutionellen
Verhältnisse der Amerikaner, ihren Handel und Gewerbe.
Zum Nutz und Frommen
deutscher Auswanderer von ihm selbst gesammelt und
zusammengestellt. Nebst seiner Rückreise über England und
Frankreich.
Mit 7 Tafeln Abbildungen.
Weimar 1844
bei Wilhelm Hoffmann.
Dem
treuesten Freunde in der Noth
meinem braven Landsmanne
Karl Aake
welcher in Amerika
die
deutsche Rechtlichkeit und Treue
nicht abgelegt
widmet dieses Werkchen
als Beweis seiner Achtung und Liebe
der Verfasser.
Inhalt.
Lange nahm ich Anstand, bevor ich mich entschließen konnte, die gesammelten Erfahrungen während meines Aufenthalts in Amerika und das mannichfaltig Erlebte auf der Land- und Seereise zu veröffentlichen, da es mir theils wegen anderer Geschäfte an der nöthigen Zeit fehlte, und ich auch unverhohlen gestehen muß, daß es mir, der ich nicht in literarischen Arbeiten geübt, eine zu schwierige Aufgabe war, um Etwas zu liefern, welches mit den schon vorhandenen Werken über jenes Thema in die Schranken treten könne.
Nur den Aufforderungen von mehreren Seiten und der Bemerkung gab ich nach, daß es zwar Abhandlungen über Amerika genugsam gäbe, diese meistens aber von Leuten herkämen, welche als Gelehrte sich darüber[S. ii] ausgesprochen, oder von solchen, deren finanzielle Verhältnisse es möglich machten, sowohl der Seereise, als dem Aufenthalte in Amerika selbst, die beste Seite abzugewinnen und somit Stoff zu den interessantesten, mitunter höchst verführerischen Beschreibungen geben, von welchen Herrlichkeiten aber den ärmern auswandernden Professionisten oder Bauern nichts zu Gute kömmt, und es deshalb hauptsächlich an einer zusammenhängenden, von aller Gelehrsamkeit befreiten, sich aber bis in die niedrigsten Nüançen des menschlichen Lebens erstreckenden Erzählung fehle.
Dieses bestimmte mich, nun Hand an’s Werk zu legen, und man erwarte daher keine gelehrte Abhandlung, sondern schlichte, der Wahrheit treu ohne Ausschmückung gemachte Darstellungen, welche nicht für das fein gebildete Publikum, sondern mehr für die niedern Stände geschrieben worden, von denen die meisten Leute diese Reise mit wenig Mitteln unternehmen, und deswegen Beschwernissen und Gefahren ausgesetzt sind, wovon begüterte Reisende, welche mit vollen Taschen ein Sibirien zu einem Paradiese umschaffen könnten, nichts erfahren, leider aber, gewöhnlich Erstere, durch ihre süßen Darstellungen zur Auswanderung auffordern und ermuntern.
Noch größeres Unheil, als solche überzuckerte Reisebeschreibungen, verursachen aber auch nicht selten die brieflichen Nachrichten, welche über’s Meer Freunden und Verwandten zugeschickt werden, und wo Alles in vergrößertem Maaßstabe angegeben ist, das aus amerikanischen Zeitungen Gelesene und Gehörte, als wahr und ausgemacht, nacherzählt wird, wo man Dollars verdient wie bei uns die Groschen, keine Steuern und Abgaben zu entrichten hat, wo Freiheit und Gleichheit vorherrschend sind, und wo mit einem Worte der Himmel schon auf Erden angetroffen wird.
Solche Briefe gehen gewöhnlich von Haus zu Haus, und wahr ist Alles was darinnen steht, wenn sich auch die Sätze nicht zusammenräumen lassen. — Denn der Vetter hat ja bei seinem Abgange versprochen, Alles genau zu schreiben, und wie sollte es auch im Lande der Wunder anders seyn?
Hört man aber auch mitunter von Einem, dem es nicht so recht glücken will, der um Geld oder sonstige Unterstützung schreibt, und das Elend, in welchem er und tausend Andere schmachten, schildert, und die verwünscht, welche durch lügenhafte Berichte ihn vermocht, sein theures Vaterland zu verlassen und in’s Unglück gestürzt haben, der wird statt bedauert, aus[S. iv]gelacht und ihm wenigstens theilweis die Schuld für das Mißlingen seiner gemachten Pläne beigemessen, wenn man ihn nicht gar unter die zählt, welche durch ein ungeregeltes, lüderliches Leben nur sich selbst alles zu erleidende Ungemach zuzuschreiben haben.
Dieses ist die Ursache, warum so Viele gar nicht schreiben, da sie nicht lügen wollen, die Wahrheit aber aus falscher Schaam und um nicht mißverstanden zu werden, zu verheimlichen suchen und ihr Loos im Stillen tragen. Demnach werden noch Viele ihr Vaterland verlassen, und zu spät einsehen lernen, was sie bei dem Tausche gewonnen oder verloren haben.
Es wird daher nicht ganz ohne Interesse und Nutzen seyn, die meiner Familie geschriebenen Briefe dem Drucke zu übergeben, woraus man sehen wird, wie mannichfaltig das Geschick in der neuen Welt mit dem Menschen spielt, was der unbemittelte Reisende auf einer solchen Tour mehr oder weniger abzuhalten hat, und was des armen Deutschen Loos gewöhnlich in seinem adoptirten Vaterlande ist.
Schließlich erlaube ich mir noch die Bemerkung: daß von Allem, was ich über Amerika gelesen, die Gall’schen Notizen am Uebereinstimmendsten mit mei[S. v]nen selbst gemachten Erfahrungen sind, und es ist demnach Jedem, welcher nicht lockende Berichte über Amerika, wie es die von Duden sind, lesen will, die Gall’sche Reisebeschreibung zu empfehlen.
Ich lebe nun in der Hoffnung und dem Vertrauen, daß dem Niedergeschriebenen eine gerechte und billige Beurtheilung nicht fehlen werde, da solches die Arbeit eines Laien und mithin aus einer nicht zum Druck geeigneten Feder fließt, wie auch, daß die gute Absicht nicht zu verkennen sey, welche mich zur Herausgabe dieses Werkchens bewog, nämlich mit dazu beizutragen, daß man immer richtiger und unbefangener einsehen lerne, was der wenig bemittelte und der Landessprache unkundige Auswanderer in Amerika zu suchen und zu finden hat.
Der Verfasser.
Ohne dem Eigenthümlichen und Einfachen der Schreibart des Herrn Verfassers zu nahe zu treten, habe ich mir, bei der Durchsicht des Manuskripts nur hie und da Aenderungen erlaubt, der Rechtschreibung der Namen von Personen, Städten, Ländern, Flüssen etc. nachgeholfen und selbst mehrere deutsche, wahrscheinlich von Deutschen in Amerika gebildete Provinzialismen stehen lassen und so mag denn dieses Büchlein in seiner schmucklosen Sprache in die Welt gehen und den Nutzen stiften, welchen sein Verfasser mit Recht erwarten kann.
Taf. I. der Abbildungen, von welcher pag. 29 die Rede ist, fällt weg, weil man vorzog, anstatt der Abbildung eines Schiffes, besser die Ansicht von New-York beizugeben.
Weimar den 12. Juli 1843.
Wilh. Hoffmann.
Bremen im Juni 1839.
Landreise von Weimar nach Bremen.
Gott zum Gruß an Euch alle meine Lieben!
Das Ziel der Landreise ist glücklich erreicht und unsere Karavane nach manchen überstandenem Ungemach am 12. d. M. früh 9 Uhr hier angekommen.
War schon die Erinnerung an den Abschied von Allem was uns lieb und theuer ist, nicht geeignet, den Anfang einer solchen Reise angenehm zu machen, um so mehr mußte die ungünstige Witterung der ersten Tage dazu beitragen, das Gemüth niederzudrücken und den Muth der Reisegesellschaft herabzustimmen.
Auf Wittigs Höhe[1], dem Sammlungsort der Reiselustigen, wohin mir einige Freunde das Geleite gaben, wurde von den jungen Leuten zum Abschied so lange gezecht, gesungen und gesprungen, bis die mit dem Gepäck, Weibern und Kindern beladenen Wagen ankamen und zum Aufbruch mahnten.
Obgleich mir das Herz durch den Abschied von Weib und Kindern zerspringen wollte, war ich doch bis hierher Herr meiner Gefühle, dem Vorsatz treu geblieben, als[S. 2] Mann standhaft das unternommene Werk zu beginnen und mit Gottes Schutz und Beistand auszuführen. Als aber beim Scheiden das Lied: „Nun leb’ denn wohl, du stilles Haus!“ angestimmt wurde, und Viele sich zum letzten Male die Hände drückten und für dieses Leben auf immer Abschied nahmen, da vermochte auch ich die Thränen nicht länger zu unterdrücken, welche dem beengten Herzen Luft zu machen suchten, empfahl nochmals den zurückkehrenden Freunden Frau und Kinder und eilte dem Wagen voraus, der mich, erst langsam nachfolgend, in Linderbach[2] einholte, wo ich, an Leib und Seele ermattet, weilte.
Was ich auf diesem Wege gedacht und empfunden, vermag ich nicht zu beschreiben. Wie ein gehabter Traum nach dem Erwachen nur noch dunkel dem Gedächtniß erinnerlich ist, so stand mein Lebenslauf vor meiner Seele, und jetzt noch frage ich mich oft: wachst du, oder ist Alles nur ein Traum, was du wachend erlebt zu haben glaubst?
Die Sitze auf dem Wagen waren schlecht arrangirt, so daß unmöglich neben dem Gepäck das ganze Personal Platz haben, und daher nur abwechselnd gefahren werden konnte. Ein Familienvater stieg ab und überließ mir seinen Raum mit der Bitte, das schlafende kleine Kind im Schooß zu beherbergen. Bald war ich selbst entschlummert und der Gott des Schlafs suchte die matten Glieder von Neuem zu stärken, als, o Vorgeschmack der Reise! ein übler Geruch mich aus dem süßen Traume weckte und ich nun mit Schrecken bemerkte, daß mein Schützling mich mit einer Gabe beschenkt, welche mich mit einer Schnelligkeit vom Wagen trieb, die ich mir bei meinen zusammengerüttelten Gliedern nicht zugetraut hätte.
Die Zeit des Anhaltens in Erfurt benutzte ich dazu, um noch einige Geschäftsangelegenheiten abzumachen, wurde[S. 3] aber dabei wider Erwarten aufgehalten, so daß ich vermuthen mußte, die Karavane habe bereits schon die Stadt verlassen. Ich schlug daher den kürzesten Weg zum Thore ein, ohne vorher im Gasthofe nachzusehen, ob die Wagen abgegangen oder nicht; die gefragte Schildwacht bestätigte das Erstere, und im Sturmschritt wurde der Berg erstiegen. Da aber auf der Höhe nichts von den Wagen zu bemerken war, entgegenkommenden Fuhrleuten auch keine Auswanderer begegnet seyn wollten, so war guter Rath theuer, da entweder der Soldat oder die Letztern mich zum Besten gehabt. Sollte ich weilen oder meine Schritte verdoppeln. Unschlüssig, was zu thun oder zu lassen sey, nöthigten mich Regentropfen im Gasthof zu Schmiera[3] Obdach zu suchen.
Ein schweres Gewitter hatte sich zusammengezogen und der nahe Donner kündigte dessen Entladung über unsern Häuptern an. Der Sturm wühlte den Chausseestaub dermaßen auf, daß kein Baum mehr zu erkennen war, bis der herabströmende Regen wieder freie Aussicht verschaffte. Mitten unter diesen Naturereignissen kam in vollem Lauf der Pferde eine Chaise an, und vom Hintertheil derselben sprang einer meiner Reisegefährten, welcher, um der Nässe zu entgehen, diese Fahrgelegenheit benutzt hatte, und gab Kunde, daß die Wagen noch zurück, das männliche Personal aber denselben vorausgeeilt und bis aufs Hemde durchnäßt, bald nachkommen würde. So bedauerlich auch ihr Anblick war, so konnte ich mich doch des Lachens nicht enthalten, dankte aber Gott im Stillen, daß er mich durch die falsche Angabe des Soldaten zur Eile angetrieben und dadurch vor Durchnässung so wie vor leicht möglicher Erkältung beschützt hatte.
Ganz verstimmt langten wir Abends spät in Siebele[S. 4]ben[4] an, wo das erste Nachtquartier gehalten wurde. Des Streueschlafens längst entwöhnt und durch das Kindergeschrei beunruhigt, welche durch die Reise aus aller Ordnung gebracht, die ganze Nacht kein Auge schlossen, verließ ich früh das Lager müder, als ich solches am Abend eingenommen[5]. Meine erste Sorge war jetzt, das Gepäck so zu plaçiren, daß bei gutem Wege das ganze Personal aufsitzen und fahren konnte. Ein vom Wirth requirirtes Bret wurde hinten querüber auf einen der Wagen gelegt und diente mir, der im Voraus auf jedes fernere Kindergeschenk Verzicht leistete, so wie noch drei Andern als Platz.
Obgleich schon beim Antritt der Reise von mir in allen Stücken die größte Vorsicht anempfohlen worden war, damit nicht durch etwaiges Unglück eines Einzelnen, durch Aufenthalt das Ganze darunter leiden müsse, so hätte dennoch vor Gotha ein Kind leicht tod gefahren werden können, da es während des Absteigens vom Vor[S. 5]derwagen fiel und die Räder dicht an dessen Kopf vorbeigingen.
In Gotha wurde nicht angehalten und nur während der Durchreise das Nöthige eingekauft. Erst zwei Stunden später, wo gefrühstückt werden sollte, kam die sich daselbst zerstreute Gesellschaft wieder zusammen, nur der Großvater einer Schuhmacherfamilie blieb aus. Länger zu verweilen hielt der Fuhrmann für unräthlich, versprach aber langsam zu fahren, damit der Alte, der übrigens kein schlechter Fußgänger war, uns bis Mittag einholen könne. Doch auch diese Zeit verstrich und es mußte von Neuem angespannt werden, und schon hatten wir Ammern, wo das zweite Nachtquartier gehalten werden sollte, erreicht, ohne daß der alte Mann wieder zu uns gekommen war. Die Angst des Sohnes, so wie auch dessen Frau und Kinder, läßt sich denken, denn jetzt war es ausgemacht, daß er entweder krank liegen geblieben sey, oder von Gotha aus einen falschen Weg verfolgt haben mußte. Ohne Reisepaß und Geld, da beides der Sohn in Verwahrung hatte, hoch an Jahren, wie sollte der Arme, wenn er nicht noch diese Nacht ankam, uns einholen? Alles nahm den größten Antheil an der beängstigten Familie. Kein Auge wurde die Nacht über zugethan, da man bei jedem Geräusch die Ankunft des Verirrten vermuthete. Der Morgen brach an, die Fuhrleute mahnten zum Aufbruch, und noch war der Ersehnte nicht da. Der Sohn, außer sich, wollte zurückkehren, um den Vater zu suchen; doch welchen Weg sollte er einschlagen, wo ihn finden? Mußten wir nicht befürchten, bei etwaiger Ankunft des Gesuchten, den Sohn zurückzulassen? Hier aber noch länger zu verweilen, stimmte nicht mit den Ansichten der Fuhrleute überein, welche vermutheten, daß der Fehlgegangene seinen Weg über Eisenach und Kassel fortgesetzt habe und erst in Hannover zu uns stoßen werde. Diese[S. 6] Ansicht theilten mehre von der Gesellschaft, und so sehr auch ich und die beängstigte Familie um längern Verzug baten, so wurden wir doch überstimmt und demnach unverzüglich aufgebrochen.
Bremen im Juni 1839.
Fortsetzung.
Die Witterung am dritten Tage unserer Reise war ebenfalls äußerst ungünstig, da es fortwährend näßte und Staupen gab, so daß, als wir das Eisfeld passirten, welches schon dem Namen nach keine warme Gegend verspricht, wir uns mitten in den Winter versetzt glaubten. Das gestrige Gewitter hatte in dieser Gegend großen Schaden verursacht; die Felder verschlämmt, die Straßen zerrissen und in mehren Ställen das Vieh ersäuft. Das größte Unglück hatte aber eine Auswanderer-Familie aus Baiern betroffen, welche bei herannahendem Gewitter den Wagen verlassen, um nicht vereint den Blitz an sich zu ziehen. Nur zwei kleine Kinder, in wollene Decken gewickelt und mit Betten zugedeckt, um sie vor der Nässe zu wahren, wurden auf dem Wagen zurückgelassen. Wer vermag aber den Schrecken der Mutter zu beschreiben, als sie nachsieht und eins derselben erstickt findet.
In Duderstadt, dem Grenzorte vor Hannover, wurde heute etwas früher als gewöhnlich das Nachtquartier bezogen, da hier die Pässe visirt, das nöthige Reisegeld vorgezeigt und auf das Gepäck Durchgangszoll entrichtet werden mußte.
Die Schuhmacherfamilie, durch die Abwesenheit des Großvaters, nach welchem die Kinder beständig fragten,[S. 7] voller Unruhe und äußerst betrübt, hielt den Muth der übrigen Gesellschaft fortwährend niedergedrückt, und ich hatte meine ganze Beredsamkeit aufzubieten, um den Armen Trost zuzusprechen. Eben saßen wir insgesammt am Tisch, um das Nachtmahl einzunehmen, als der Sohn des Zurückgebliebenen, welcher vor dem Hause auf und abgehend, der Ankunft des Vaters ängstlich geharrt, mit dem Freudenrufe hereinstürzte: „Ach Gott, mein armer Vater kömmt!“ Er war es, doch in welchem Zustande? Ganz erschöpft sank er zu den Füßen seiner Kinder nieder.
Der arme alte Mann war in Gotha beim Einkauf von Schnupftaback von seinem Begleiter getrennt worden und ohne weiter zu fragen, auf dem geraden Wege, welcher nach Eisenach führt, fortmarschirt. In dem Wahne, die Wagen seyen noch zurück, hat er bereits einige Stunden Weges zurückgelegt, bis ihn die Müdigkeit zum Einkehren zwingt, wo er den Irrthum erst gewahrt, und da kein näherer Weg ihn auf den richtigen Pfad leitet, sieht er sich genöthiget, nach Gotha zurück zu wandern. Das Gehen entwöhnt, zum Fahren ohne Geld, muß er mit Angst und Noth, da ihm ein wunder Fuß nur langsam zu gehen erlaubt, den Seinen nachzukommen suchen. So wankt er, nur wenige Stunden der Ruhe gönnend, Tag und Nacht seinem Ziele zu. Nur noch zwei Stunden vom Grenzort entfernt, schwinden ihm die Kräfte ganz; er kann nicht weiter und sucht schon Nachtquartier. Da kommt ein Reisender (sein guter Geist) und zeigt ihm die Möglichkeit, uns heute noch einzuholen, da wir in Duderstadt verweilen müßten, was morgen weniger möglich sey, wenn ihm durch Ruhe die ausgespannten Sennen erschlaffend, den Dienst zur Weiterreise versagen würden. Diese Aufmunterung wirkt, er sucht von Neuem sich fortzuschleppen und kömmt gleich dem Galeerensclaven, den man im Schauspiel sieht, bei seinen Kindern an.
Aufs Neue bat ich jetzt, daß Niemand mehr den Zug verlassen sollte und ahnete nicht, daß ich selbst schon in den nächsten Tagen gleich jenem mich verirren würde.
Die Witterung schien sich am 7. Juni günstiger zu gestalten. Die Sonne brach die trüben Wolken und mit ihren warmen Strahlen drang neues Leben in uns ein. Alle hatten die Wagen verlassen und nur der Irrgänger blieb wie zerschmettert auf demselben liegen.
In Einbeck trafen wir mit einer Gesellschaft Baiern zusammen, die ebenfalls ihr Heil in Amerika suchen wollten und logirten mit ihnen im Gasthofe zur Stadt London. Doch bald sollten wir erfahren, daß wir wirklich in London waren, weil alles sehr theuer war. Hatte es daher schon am Abend beim Zahlen der Zeche Verdrießlichkeiten gegeben, so wurde der Unmuth und die Zänkerei um so lauter, als man das zur Streue dienende Stroh nur spärlich herbeischaffte und der Wirth sich beleidigender Ausdrücke bediente, weil nur wenige von uns Betten verlangten. Mir selbst blieben in der überfüllten Stube, dicht an der Thür nur einige Halmen zur Unterlage übrig, weshalb ich mehr und mehr links zur Nachbarin rückte, die freundlich Platz zu machen schien, als ein Marqueur über meine Beine stolperte und meinen Nachbar rechts mit dem gefüllten Waschbecken begoß. Dieser, welcher diese Taufe für beabsichtigten Schabernack hielt und ohnedies auf Jenen, der sich unberufen in Liebeshändel eingemischt, aufgebracht war, faßt schnell des Marqueurs Beine und kühlt seinen Muth an diesem Armen. Der Wirth, gelockt vom Lärm, eilt mit den Seinen herbei, doch eben so schnell verlassen wir das Lager, und da aus Zufall oder List die Lichter schnell verlöschen, erhält mancher in der Dunkelheit einen Schlag, welcher ihm nicht zugedacht war. Ich selbst, der nächste an der Thür, verzichtete auf Ruhm und Ehre, ergreife schnell die Flucht und suche Schutz auf einem un[S. 9]serer Wagen, wo mein Bruderssohn sich schon hinredirirt hatte. — Neuem Zank am Morgen zu entgehen, wurde der Wagen früh von uns verlassen, in der Absicht, im nächsten Dorfe die Reisegefährten zu erwarten.
Die majestätisch aufgehende Sonne versprach heute einen der schönsten Tage unserer Reise, und froh und vergnügt, da uns manche Scene vom gestrigen Abend zum Lachen zwang, waren wir im Gespräch bis zu der Stelle gekommen, wo der Angabe nach ein über den Berg führender Feldweg das Ziel der Reise um eine Stunde abkürzen werde, und uns später wieder auf die Straße leiten sollte. Obgleich mit rüstigen Füßen die ermüdende Straße zum Bergdorf bald zurückgelegt war, so sanken wir doch erschöpft auf das zum Ruhen einladende junge Gras und die reizende Gegend in das weit sich ausbreitende Thal ließ bald die gehabten Beschwernisse vergessen. Im Dorfe selbst war so früh des Tages noch Niemand zu erspähen, wo man die nöthige Erkundigung in Betreff der Richtigkeit des Weges hätte einziehen können. Es wurde daher von uns der hinter demselben angetroffene gebahnte Weg muthig betreten, welcher aber bald rechts bald links in mehre Arme sich ausbreitete, schwer noch die richtige Straße erkennen ließ. Nach einem mehrstündigen Wege war endlich in weiter Ferne die sich um einen Berg windende Chaussee dem Auge sichtbar, welche nach der Gegend führte, wohin unser Fußweg durch Getraidefelder sich schlängelte. Schnell eilten wir vorwärts, um noch vor Ankunft der Wagen unsere leeren Magen zu füllen und auszuruhen.
Eben hatte ich mich, auf den bestellten Kaffee wartend, auf der Schenkbank ausgestreckt, als der Wirth neugierig nach dem Ziel unserer Reise fragte, und als er Willwingen als den Ort unserer heutigen Etappe vernommen, die Schreckenskunde gab, daß dieses nicht der Weg nach jener[S. 10] Stadt sey, indem diese Straße ins Münsterland und nicht nach Hannover führe. Zu früh, setzte er hinzu, hätten wir am Morgen die Chaussee verlassen, da solche in zwei Arme getheilt, der eine links zu ihm, der rechts aber für uns der richtige gewesen sey. Sollte ich fluchen oder beten? Ich, der erst anbefohlen, daß Keiner die Wagen mehr verlassen sollte, mußte selbst Fersengeld entrichten und hatte dabei für Spott der Reisegesellschaft nicht zu sorgen. Um nicht die gekommene Straße zurück machen zu müssen, führte uns ein angenommener Bote einen Holzweg über die steilen Berge, und so erreichten wir nach vierstündigem sauern Marsch die richtige Chaussee.
Zu unserm Glück hatten die Fuhrleute am Morgen etwas später als gewöhnlich eingespannt, und da sie uns vermißten, langsam gefahren, weshalb wir im nächsten Gasthofe noch einige Zeit auf die Gesellschaft warten mußten. Von jetzt an verließ Keiner mehr die Wagen.
Bremen im Juni 1839.
Fortsetzung.
Im Dorfe Limmer bei Alsfeld, woselbst Mittag gemacht wurde, trafen wir Auswanderer, welche von Bremen zurückkehrend, die Kunde brachten, daß bei dem jetzt überhäuften Andrang von Reiselustigen und bei dem Mangel an Transportschiffen, die Kaufleute das Fahrgeld erhöht und ohne Unterschied des Alters 44–45 thlr. in Gold pro Kopf bezahlt werden müsse, wodurch sie, die außer Stande so viel geben zu können, gezwungen wären, in ihre Heimath zurückzukehren. Man denke sich bei dieser Nachricht den Schreck der Familien unserer Karavane,[S. 11] welche viel Kinder bei sich und für solche nur auf wenig Fahrgeld gerechnet hatten. Sollten sie ebenfalls umkehren, oder durch den Verkauf ihrer Habseligkeiten, die Seereise dennoch zu ermöglichen suchen, und dann von Allem entblöst, als Bettler den amerikanischen Boden betreten? Noch unschlüssig, was zu thun oder zu lassen sey, stimmte ich dafür, wenigstens bis Bremen das einmal Unternommene auszuführen, um sich an Ort und Stelle von der Richtigkeit der Angabe selbst zu überzeugen, da leicht Mißverständnisse obwalten könnten.
Während ich langsam vorausging, um das so eben Erfahrene im Tagebuche zu notiren, hatten die jungen Leute meine Abwesenheit benutzt und das von mir verbotene Necken erneuert, wobei ein Steinwurf den Einen, welcher mit hinten auf dem aufgelegten Wagenbret saß, am Kopfe verletzt. Dieser nun, um sich zu rächen, springt ab, ohne jedoch seinem Nebenmann etwas zu sagen, wodurch das Bret das Gleichgewicht verliert und der Andere stürtzt und sich die Hand ausfällt. Der Springer aber ließ einen Theil seiner Beinkleider am Wagen hängen, wodurch er bei einer kurzen Jacke, das Gelächter der ganzen Gesellschaft erregte.
Den 8. Juni trafen wir im Nachtquartier zu Willwingen einen tauben Wirth, der auf alle an ihn gerichteten Fragen mit dem Kopfe schüttelte und zur Geduld verwieß, bis seine Frau zu unserer Bedienung vom Felde kommen werde. Hungrig wie die Wölfe, wurde sogleich selbst Hand angelegt und das letzte Fleisch im Orte zum Abendbrod vorgerichtet, doch bei mangelnder Aufsicht hatten die Haushunde noch vor dem Kochen, solches in Sicherheit gebracht und wir mußten den hungrigen Magen mit saurer Milch und Sallat füllen, dem Einzigen, was wieder aufzutreiben war, wodurch sich Mancher wegen Magenerkältung gezwungen sah, die ganze Nacht über auf den Bei[S. 12]nen zuzubringen. War aber auch das Essen schlecht, so erhielten wir eine um so bessere Streue, und der gute Kaffee am Morgen ließ alles Uebrige leicht vergessen.
Da heute Hannover passirt werden sollte, so zeigte Freund M., daß er der Sohn eines Schneiders sey und nähte das halbe Hintertheil der auf dem Wagen hängen gebliebenen Hose so geschickt zusammen, daß der arme Gefallene nur drei Zoll weite Schritte machen konnte und das eine Hosenbein um ein Viertheil kürzer als das andere war. Auch der Glaser R. ließ heute sein Talent als Friseur glänzen und schor dem Zimmermann S. die Haare so glatt wie einem Hammel, wofür des letztern Frau ihm zum Danke die gröbsten Reden anzuhören gab.
Hannover, wo wir Mittag ankamen, schien der Sammelplatz deutscher Auswanderer zu seyn, in allen Straßen waren deren anzutreffen, vorzüglich aber auf dem Paradeplatze, wo die schönste Musik gemacht wurde, weil es Sonntag war. Auch wir vergrößerten die Zahl der Neugierigen und ich hatte bald Gelegenheit, mit einigen Bürgern eine Unterhaltung anzuknüpfen, während welcher ich die Bemerkung machen mußte, daß solche ihre Landesangelegenheiten weniger kannten, als wir Ausländer. Außer der gepuderten Hofdienerschaft, welche gleich Marionetten vor den Wohnungen der Herrschaften aufgestellt sind, kam uns von den höchsten Herrschaften selbst nichts zu Gesicht. Eben so wenig konnte wegen Kürze der Zeit irgend eine Merkwürdigkeit der Stadt in Augenschein genommen werden.
Zu Neustadt, am Rübenberg, wo am Abend ausgespannt wurde, erfuhr ich vom Wirth, daß heute sechs Wagen mit Auswanderern den Ort passirt hätten, und daß nach der Zahl derselben zu schließen, welche in letzter Zeit hier durchgereist wären, Bremen ziemlich angefüllt seyn müßte, so daß schwerlich bei dem täglichen Zudrang von Menschen, die nöthigen Transportschiffe vorhanden seyn könnten.
Jetzt vermuthete ich selbst, daß die uns begegneten Auswanderer, welche wieder der Heimath zugeeilt waren, nicht ganz Unrecht haben dürften, und brachte daher bei meiner Reisegesellschaft in Vorschlag, daß ich diese Nacht mit der durchfahrenden Post auf gemeinschaftliche Kosten nach Bremen vorausfahren, um vielleicht noch mit den am 15. dieses Monats absegelnden Schiffen akkordiren zu können. Der Vorschlag wurde angenommen und um Mitternacht bestieg ich den nur mit einem Passagier besetzten Postwagen, welcher schlaftrunken mich in dem blauen Ueberhemde für einen schlichten Bauersmann halten mochte und so brummend in der Wagenecke liegen blieb. Der Gott des Schlafes schloß auch meine Augen bald, und schon blickte die Morgensonne zum Wagenfenster freundlich herein, als mich der Hunger weckte, da ich Abends vorher nichts genossen hatte. Eben im Begriff, aus der Jagdtasche etwas heraus zu langen, hielt der Wagen an der neuen Station an, wo beim Oeffnen des Schlages auch mein Begleiter erwachte und von dem Marqueur dienstfertig aus dem Wagen gehoben wurde, welche Ehre mir aber, in dem man keinen respektablen Gast vermuthete, nicht zu Theil wurde. Beim Kaffeetrinken wünschte der Fremde meine Bekanntschaft zu machen und fragte daher: „Wie weit die Reise, Landsmann!“ Nach Amerika! gab ich kurz zur Antwort. „Auf der Post, erwiederte er spottend?“ Ja, wenn es seyn könnte, entgegnete ich; nur müßte ich dabei wünschen, die Reise nicht in Ihrer Gesellschaft machen zu müssen. „Und warum?“ fragte er, über meine Antwort verwundert; da ich auf der Reise gerne spreche, gern etwas erzählen höre und vor Allem das Schnarchen nicht vertragen kann. „Ich habe Sie, wie es scheint, verkannt!“ sprach er forschend, „und hoffentlich werden wir jetzt die Reise um so angenehmer fortsetzen.“ Er ging hinaus und bald ward von dem Marqueur eine Flasche Wein vor mich[S. 14] auf den Tisch gesetzt. Sie sind im Irrthum Freund! bedeutete ich Letztern, ich habe keinen Wein bestellt. Das glaube ich wohl, versetzte er lächelnd, doch in dem Augenblicke, ehe er weiter sprechen konnte, trat der Fremde ein, schenkte die Gläser voll und sagte: wir wollen ein Glas Wein zusammen trinken, damit der Schlaf verscheucht werde. Geschwind! denn der Wagen ist schon angespannt und der Schwager wird sogleich zum Abgang blasen. Eben wollte ich meine Bemerkung machen, daß ich ein schlechter Trinker sey und vor Allem für Spirituosen mich hüten müsse und dergl., als das Horn erschallt und uns kaum Zeit blieb, auf eine glückliche Reise die Gläser zu leeren, worauf in den Wagen gestiegen wurde.
Mein Reisegefährte war Hannöverscher Staatsdiener und Sohn eines Kaufmannes; hatte die Feldzüge vom Jahr 1813 mitgemacht, wußte viel und gut zu erzählen, und war mit einem Worte ein höchst interessanter Gesellschafter. Auch ich ermangelte nicht, aus meinem Jugendleben so manches aufzutischen, was ihm gefiel, und so im Gespräch vertieft, wurden weniger die Wagenstöße verspürt, welche die gepflasterte Chaussee verursachte. Bald verrieth die mehr und mehr zunehmende Menge der nach der Stadt fahrenden Bauersleute, daß Bremen nicht mehr fern seyn könnte, und von meinem Begleiter aufmerksam gemacht, sah ich die vom Sonnenstrahl vergoldeten Thurmspitzen Bremens, aber wie lange dauerte jedoch noch der Weg, bevor die Stadt selbst erreicht wurde. Endlich am 9. d. M. Mittags 11 Uhr hielt der Wagen vor dem Posthause zu Bremen.
Bremen im Juni 1839.
Aufenthalt in Bremen und Bremerhaven.
Wohl eine Stunde irrte ich durch die mit Menschen und Wagen gefüllten Straßen, um den Gasthof aufzusuchen, wo unsere Fuhrleute ausspannen wollten, damit ich mit dem Wirth über das Unterkommen der ganzen Gesellschaft akkordiren könnte. Niemand wollte das betreffende Gasthaus in der Altstadt kennen, bis endlich ein Helfershelfer der Herren Wirthe sich erbot, mir den Weg zu zeigen[6]. Derselbe brachte mich in ein Haus, welches zwar das rechte Schild, der Wirth aber einen anderen, als den von unsern Fuhrleuten angegebenen Namen führte. Letzterer erbot sich sogleich, uns sämmtlich gegen ein Billiges aufzunehmen[7], weil, wie er versicherte, sein Hôtel nur für Auswanderer eingerichtet sey, und obschon einige Vierzig bereits bei ihm logirten, so würden wir doch noch Alle Platz finden. Dabei ermangelte er nicht, weidlich auf seine Herren Kollegen loszuziehen und solche als Preller darzustellen, denen es nur darum zu thun sey, die mit den Verhältnissen der Stadt nicht vertrauten Auswanderer möglichst zu bevortheilen. Während des Gesprächs wurde[S. 16] mir fleißig zugetrunken, dabei der äußerst billige Wein gerühmt, und als Probe der hier gebräuchlichen guten Kost eine Mahlzeit vorgesetzt, ohne dafür Zahlung anzunehmen. Alles nur, um zu zeigen, wie gut ein Jeder in dieser Herberge aufgehoben sey. Auf mein Bemerken, daß ich wenigstens da, wo die Fuhrleute ausspannen würden, hinterlassen müsse, in welchem Gasthofe man mich auffinden könne, erbot sich der gefällige Wirth, mich in eigener Person zu geleiten, da ich es ablehnte, seinen Hausknecht mit meinem Auftrage dahin abzuschicken, und stellte unterwegs noch billigere Bedingungen, als wie sie schon vorher gemacht worden waren.
Der rechte Wirth in der Neustadt beherbergte gewöhnlich nur Fuhrleute, durch mich aber, der mit dem Eilwagen vorausgekommen, vermuthlich auf die Idee gebracht, daß ich für lauter wohlhabende Auswanderer Quartier bestellen solle, von welchem sich Etwas verdienen lasse, war ebenfalls sogleich erbötig, uns sämmtlich aufzunehmen. Mein Führer, ärgerlich darüber, uns zu verlieren, gab mir verstohlen ein Zeichen zum Weggehen und erzählte mir nun im Vertrauen, daß ein Jeder, welcher Auswanderer zu einem Schiffsmakler bringe, Einen Gulden Douçeur pro Kopf erhalte, welches Geld ich ohne Beihilfe eines Andern selbst verdienen könne. Dagegen mußte ich die Versicherung geben, möglichst dahin zu wirken, daß die ganze Gesellschaft nicht hier, sondern bei ihm logire. Jetzt wurde mir erst die Ursache von diesem Verrath klar; da der Schurke das Kopfgeld nicht selbst verdienen konnte, so entzog er es auch seinem Kollegen, dem er es nicht gönnte.
Da ich sogleich im Bremerhaven, welcher 10 Stunden von Bremen entfernt ist, die nöthigen Erkundigungen wegen der vorhandenen Schiffe und deren Abgang einziehen[S. 17] wollte, so benutzte ich das eben dahin abfahrende Dampfschiff, wo ich nach einer Fahrt von fünf Stunden im Hafen ankam.
Hier erblickte ich ein Bild, welches ich zu sehen nicht erwartet hatte. Ueber 2000 Auswanderer lagen im Hafen zusammengedrängt, theils auf drei großen Schiffen, theils in Privat- und Gasthäusern auf Kosten der Schiffsmakler. Von einem Landsmann wurde ich auf eines dieser Schiffe eingeführt, wo ich sogleich einen Vorgeschmack der Seereise bekam. Schaudererregend war der Anblick der hier in dem engen Raume zusammengedrängten Menschenmenge, wo durch einander Männer und Weiber, Jung und Alt, ohne Rücksichtnahme auf gebildete Personen, die größten Zoten zum Besten gegeben, wo manch altes Bauernweib die letzten Fetzen der Hemden ihrer Familie zusammensuchte, um sie zu gebrauchen, da diese dann bei der Ankunft, nebst dem eingewohnten Ungeziefer ersäuft werden. Hier sitzt eine besorgte Mutter und reinigt den Kopf des Kleinen, dort hat ein Kind sein Lager besudelt und dicht daneben schmeckt Anderen der erhaltene Thee nebst Schiffszwieback ganz vortrefflich; während dessen wird auf dem Oberdeck getanzt und gesungen, und oft wie ich so eben Gelegenheit hatte mit anzuhören, das Ganze von zwei bösen Sybillen, die sich veruneinigt hatten, überschrieen. Jetzt wurde mir einleuchtend, weshalb manche gebildete Familie, vorzüglich wenn sie erwachsene Töchter hat, noch beim Einsteigen ins Zwischendeck die Reise aufgiebt, wenn die Mittel, in der Kajüte zu fahren, nicht ausreichend sind.
Ein anderes dieser Schiffe, das ich bestieg, hatte im Zwischendeck nur eine Höhe von fünf Fuß, so daß man nicht anders als gebückt darin stehen konnte. Die Passagiere, auf diesen Uebelstand von mir aufmerksam gemacht, verlangten, daß durch Niederlegung des Fußbodens das Zwi[S. 18]schendeck erhöht werden solle, zu welcher Veränderung sich erst nach langen Debatten der Schiffsmakler verstand.
Im Nachtquartier traf ich mit Auswanderern aus aller Herren Länder zusammen, von welchen einige schon über vier Wochen auf Kosten der Makler hier logirten und auf abgehende Schiffe warteten. Von ihnen wurde ich darauf aufmerksam gemacht, wie man nicht genug Vorsicht gebrauchen könne, um nicht beim Kontrahiren zur Reise bevortheilt zu werden, und so allen Versprechungen entgegen, aus eigenem Beutel bis zum Abgang des Schiffes zehren müsse, wie es leider jetzt Manchem gehe.
Schon am frühen Morgen des folgenden Tages bekam ich durch den Landsmann S.[8], welcher mich gestern auf dem segelfertigen Schiffe eingeführt hatte, die Einladung, auf diesem die Reise mitzumachen, da diese Nacht auf solchem ein Passagier erkrankt, deshalb die Fahrt aufgegeben und dessen Platz einzunehmen sey, welchen er bei dem Kapitän für mich erbeten habe. So gern ich auch von dieser schnellen Fahrgelegenheit Gebrauch gemacht, so erlaubten es doch die gegen meine Reisegefährten übernommenen Verpflichtungen keineswegs. Ich dankte diesem Braven herzlich, für den guten Willen mir zu dienen und mit dem Wunsche eines glücklichen Wiedersehens in einer andern Welt, schieden wir gerührt von einander.
Da in Bezug auf die Seereise im Hafen selbst nicht zu akkordiren war[9], so durfte auch keine Zeit verloren[S. 19] gehen, um das Nöthige in Bremen selbst zu ordnen, und so fuhr ich mit dem Dampfschiff, welches einige von Amerika kommende Reisende am Bord hatte, unverzüglich zurück. Letztere schienen in den überseeischen Ländern ihre Rechnung auch nicht gefunden zu haben, da ein Paar Eheleute äußerten: lieber in ihrem Vaterlande zu betteln, als in dem freien Lande hungrig sterben. Ein Zweiter klagte über die Schurkerei der Amerikaner, die ihn um seinen sauer verdienten Lohn betrogen hätten. Ein Dritter wollte durch einen Bankbruch um das Seinige gekommen seyn. Jeder hatte seine eigenen Bemerkungen zu machen, welche am Ende alle dahinaus gingen, im Lande zu bleiben und sich redlich zu nähren. Schöne Aussichten für uns! Nur einer schien mit seinem Loos zufrieden, da er, seiner Erzählung nach, amerikanischer Landmann sey, ein hübsches Eigenthum besitze und jetzt eine Reise zu seinen Verwandten mache. Freundlich wurde ich von demselben eingeladen, auch ihn, der bald zurückkehren werde, in Amerika zu besuchen, da er selbst Brennereibesitzer sey und ich ihn vielleicht auch mit meinem projektirten Unternehmen dienen könne.
In Bremen angekommen, verfügte ich mich sogleich auf das Komptoir des Herrn W.[10], wo ich zu meinem Befremden erfuhr, daß von den Agenten der Schiffsrheder weit mehr Auswanderer hergeschickt würden, als die vorhandenen Schiffe zu fassen vermöchten, weshalb man sich genöthigt sähe, die Frachtpreise zu erhöhen und daß auch jetzt für Kinder jeglichen Alters, selbst bis auf den Säugling herab, dieselbe Summe wie für Erwachsene bezahlt werden müsse, da bei dem gegenwärtigen außerordentlich großen Andrange von Auswanderern die nöthigen Schiffe fehlten, und bis zu deren Ankunft die von den Agenten[S. 20] zugeschickten Personen als Entschädigung für Kost und Logis pro Kopf 10 Groten[11] auf den Tag erhielten und solches eine nicht unbedeutende Ausgabe verursache.
Was sollte ich unter solchen Umständen thun? Für die ganze Gesellschaft konnte ich nicht zur nächsten Fahrgelegenheit abschließen, da ich wußte, daß einigen meiner Reisegefährten, die nicht auf die gegenwärtig bedeutend erhöhten Fahrpreise gerechnet, das nöthige Fahrgeld fehle. Um aber nicht für uns Alle die Gelegenheit zu verabsäumen, mit dem am 15. d. M. expedirten Schiff in See gehen zu können, so schloß ich wenigstens für sechs Mann fest ab, mit der Bedingung, daß für die andern Personen die Plätze bis Morgen Mittag offen bleiben sollten, wo die bis dahin Ankommenden das Weitere selbst beschließen könnten.
Bremen im Juni 1839.
Fortsetzung.
Die Reisegesellschaft war bei ihrer Ankunft nicht wenig bestürzt, als ich ihr die bereits gemachten Erfahrungen mittheilte, und schon sahen sich einige im Geist wieder in die Heimath versetzt. Noch unschlüssig über das, was zu thun oder zu lassen sey, wurde in banger Erwartung der Mittagsstunde entgegen gesehen, wo den Armen durch den Makler selbst ihr Schicksal verkündigt werden sollte. Der schlaue Wirth, meine Abwesenheit benutzend, da ich eben mit einigen Gefährten die Verhältnisse in Erwägung zog, sucht bei den Uebrigen seine Person geltend zu machen und verspricht, wenn sie sich ihm anvertrauen würden, bei[S. 21] dem Makler, welcher sein Freund sey, dahin zu wirken, daß er Etwas von der Forderung ablasse.
Die Leichtgläubigen ließen sich bethören und gingen, ohne meine Ankunft und die bestimmte Zeit abzuwarten, mit Letzterm auf das Komptoir des Herrn W.[12], doch, wie vorauszusehen, galt der Wirth hier wie jeder andere, und seine Absicht ging blos dahin, das Kopfgeld[13] zu verdienen. Aber noch zur rechten Zeit kam ich selbst mit den Uebrigen an, um ihm, wie er uns, den Verdienst zu entziehen.
Alles bot ich auf, des Maklers Mitleid zu erregen, durch Schilderung der Lage derjenigen Armen, welche sich gezwungen sähen, in die Heimath zurückzukehren. Doch nur zu oft kommen solche Scenen vor, um Eindruck auf ein Herz zu machen, welches nur am Golde hängt. Es blieb daher bei der Bestimmung, daß die Erwachsenen 44 thlr., Kinder 40 thlr., die Säuglinge aber 35 thlr. in Golde zahlen sollten. Die Abfahrt nach New-York mit dem Schiff St. Lawrence, wurde zwischen dem 20. und 23. d. festgestellt, und von dieser Zeit an uns die Beköstigung vom Schiffe aus zugesagt. Im Fall aber widrige Winde oder sonstige Umstände den Abgang verzögern würden, sollte die gewöhnliche Vergütung von 10 Groten pro Kopf für jeden Tag eintreten.
Auf dem einer jeden Familie unserer Reisegesellschaft ausgestellten Schiffskontrakt war nur die richtig geleistete[S. 22] Zahlung bescheinigt und die Zeit der Abfahrt bestimmt, ohne daß auf demselben etwas über die uns mündlich zugesagte Beköstigung oder Geldentschädigung erwähnt worden wäre. Auf meine Bitte, dieses nachzuholen, gab man den kurzen Bescheid, solches sey nicht gebräuchlich und auch nicht nöthig, da schon das gegebene Wort genüge[14].
Alle, die wir von Weimar aus die Reise unternommen hatten, waren dennoch im Stande das zur Ueberfahrt nöthige Geld aufzubringen. Nur der Zimmermanns-Familie S. fehlte es wegen dem erhöhten Fahrgeld an Mitteln, da solche für drei Kinder auf weniger, den Säugling aber frei gerechnet hatten. Außerdem war der Vater krank und von einer Ehehälfte geplagt, welche ohne Gefühl und Mitleid den Armen noch mit Vorwürfen quälte, da sie mehr gezwungen, als freiwillig zur Auswanderung sich entschlossen hatte. Sollten sie die Sachen verkaufen und so von Allem entblößt, die Seefahrt zu ermöglichen suchen, oder zurück in die Heimath kehren, wo Haus und Hof veräußert war? Das Erstere verbot die Klugheit und von Letzterem hielt sie falsche Schaam zurück. Auf mich hatten sie daher ihre letzte Hoffnung gesetzt und bestürmten meine Person mit Bitten und Flehen um den nöthigen Vorschuß, welcher mit dem größten Danke dem Retter aus der Noth, in Amerika wieder zurückgezahlt werden sollte[15]. Da der[S. 23] Mann selbst mir als rechtlich bekannt war, so bedurfte es nichts mehr, um sein Flehen zu erhören, und durch eine Unterstützung so die Möglichkeit an die Hand zu geben, mit uns vereint die Reise fortzusetzen.
Den militärpflichtigen Mitgliedern unserer Reisegesellschaft, welche ohne Erlaubniß die Auswanderung beschlossen, wurde bei Ausstellung des Schiffskontrakts, auf deren Anfrage, wegen ihrem sonstigen Verhalten, von Herrn W.[16] der Bescheid, das Wanderbuch, ohne weiter etwas zu bemerken, auf der Polizei nach dem hannöverschen Grenzort visiren zu lassen. Der Weg dahin führe über Bremerhaven; daselbst angelangt, frage dann Niemand mehr, ob die Seereise mit oder ohne Erlaubniß unternommen sei, da man das Wasser nicht gern von der Mühle weise.[17]
Gleich beim Weggang vom Komptoir wurde beschlossen, das Gasthaus zu verlassen und eine Privatwohnung zu beziehen, wo dann Jedem die Gelegenheit werde, möglichst billig leben zu können, und im Hause des Schneidermeisters Achelpohl fanden wir dazu die schönste Gelegenheit. Jetzt hieß es, bei karger Kost und dünnem Kaffee sich in Geduld zu üben, und wir suchten uns, in Erwar[S. 24]tung besserer Tage, gegenseitig das Leben so angenehm als möglich zu machen.
Das Drängen und Treiben der Bremer, das Ein- und Ausladen der Schiffe, die schönen Anlagen um die Stadt, die reizenden Parthien in derselben, das im Vorgefühl der schönen Hoffnungen fröhliche, mitunter aber auch traurige Aussehen der Auswanderer, welche zu Hunderten durch den Reiz der Neuheit getrieben, da viele von ihnen noch nie eine so große Stadt wie Bremen gesehen hatten, gaffend in den Straßen standen, oder mit dem Einkauf der zur Seereise nöthigen Gegenstände und Lebensbedürfnisse beschäftigt waren.[18] Der Lärm in Wein-, Schnaps- und Bierhäusern, wo Mancher noch vergeudete, was bei erhöhtem Fahrgeld übrig geblieben war, so wie durch das mitunter herzergreifende Ansehen der Familien, welche durch Krankheit, oder aus Mangel des nöthigen Geldes, die Reise getrennt unternehmen müssen, Alles dieses gab vollauf Stoff, die Zeit zu tödten und Betrachtungen über das menschliche Leben anzustellen, von denen man Folianten füllen könnte.
Unter solcher Zerstreuung war der 16. d. herangekommen, wo das schöne feierliche Glockengeläute am Sonntag[S. 25] zum Besuch der heiligen Stätte mahnte. Auch ich wünschte vor Antritt der großen Reise mich nochmals dem zu empfehlen, welcher das Schicksal der Menschen lenkt. Deshalb besuchte ich, feierlich gestimmt, in Begleitung des Sohnes meines Bruders und dem Glaser R. die St. Pauluskirche. Nach dem Gottesdienste war Kommunion und obgleich nicht festlich gekleidet, waren wir doch willkommene Gäste des Herrn. Nach beendigtem Abendmahl wartete am Ausgang der Kirche der würdige Pastor Hemstängel auf uns, und sprach: „Wir haben uns am Tisch des Herrn gesehen und da ich in Ihnen Auswanderer vermuthete, so wünschte ich nun auch in meiner Wohnung Ihre nähere Bekanntschaft zu machen. Ich bitte Sie, mich dahin zu begleiten.“ Wie eine Stimme von oben, klang uns diese Einladung und mit beklommenen Herzen folgten wir derselben. Nachdem Sr. Ehrwürden die uns zur Reise veranlaßten Gründe erfahren hatte, hielt dieser brave Geistliche eine so herzergreifende Rede, daß jedes seiner Worte tief ins Innere drang, da er alle die Gefahren so treffend berührte, aber auch den Lohn zu schildern wußte, welcher den Menschen erwartet, welcher mit Ausdauer und seinem Gott ergeben, sein Werk mit Muth und Standhaftigkeit zu Ende führe. Daraus gab er uns für die andern Familien Gebetbücher mit den Worten: „sagen Sie solchen in meinem Namen, daß der Herr überall mit Jedem sei, welcher ein gottgefälliges Leben führe; er wandle hier oder in jenem Welttheil, wohin wir zu reisen gedachten. Nur nicht überall gäbe es für die Kinder den nöthigen religiösen Unterricht, damit der Mensch in jeder Lage des Lebens sich seines Gottes und dessen unerschöpflicher Güte vollkommen erfreuen könne. Er fühle sich daher veranlaßt, die Erwachsenen darauf aufmerksam zu machen, daß sie mit Beihilfe der mir übergebenen Bücher für das Seelenheil ihrer Kinder nach Kräften sorgen möchten und nicht das[S. 26]selbe über Mühe und Arbeit, Verdienst und etwaigen Reichthum vernachlässigten. Denn was ist alles Irdische! fuhr er fort, wenn dabei der Himmel verschlossen bleibt und die Seeligkeit für den Menschen verloren geht, die nur durch richtige Begriffe von Gott und Jesum zu erlangen ist. Um wie viel glücklicher sind Sie, sprach er zu mir, da Sie ihre Familie in einem Lande zurücklassen, wo wahre Aufklärung herrscht. Leiden Sie auch durch die Trennungsschmerzen mehr als die Familienväter, welche die ihrigen um sich haben, ist auch der Gedanke an die zurückgebliebenen Frau und Kinder herzergreifend, so muß Ihnen dagegen zur Beruhigung dienen, daß dieselben wohl versorgt sind und nicht die Beschwernisse einer solchen Reise zu ertragen haben, sondern im sichern Hafen abwarten können, was der Herr unser Gott über sie beschlossen hat. Empfangen Sie hiermit nochmals durch mich den Seegen des Herrn, welcher im Geist mit übertragen wird auf die zurückgelassenen Ihrigen. Was auch Ihr Schicksal sei, Gott wird Sie geleiten auf allen Ihren Wegen und deshalb vertrauen Sie auf den, der Alles zum Besten führt.“ Tief gerührt verließen wir das Haus. Denn noch nie hatte die Rede eines Geistlichen solchen Eindruck auf unserer Aller Herzen gemacht. Möchten doch Viele sich berufen fühlen, den Reisenden in ähnlichem Sinne Muth und Trost zuzusprechen.
Bremerhaven im Juni 1839.
Fortsetzung.
Ein Tag verstrich wie der andere. Die leer gewordenen Logis wurden sofort mit Neuangekommenen besetzt, wobei nicht selten die Sachen verwechselt oder vorsätzlich entwen[S. 27]det wurden, wie solches dem Konditor T. aus V. widerfuhr. Uhren- und Gelddiebstähle sind häufig, und es ist daher auf Pretiosen die größte Vorsicht zu verwenden. Eben so wenig sollten die Kisten ohne Aufsicht gelassen werden.
Mein gewöhnlicher Spatziergang fing bald an mich zu langweilen, und die prächtigen Karossen, sowie die durcheinander wogenden Fußgänger hatten keinen Reiz mehr für mich, da die mannichfaltigen Erinnerungen an die zurückgebliebene Familie und ein banges Sehnen nach der dunkeln Zukunft, das Warten um so peinlicher machte.
Endlich brachte der 21. d. eine Unterbrechung in das alltägliche Leben, da an demselben Tage die über die Weser führende Nothbrücke dem Publikum geöffnet wurde, welche die Kommunikation der Neustadt mit der Altstadt so lange unterhalten sollte, bis die alte baufällige Brücke abgerissen und an deren Stelle eine neue, von Steinen, aufgeführt worden sein werde. Jeder wollte die Nothbrücke zuerst passiren, und es drängten sich daher von beiden Seiten so viele Menschen auf derselben zusammen, daß Mann an Mann wie eingemauert standen. Von den Ufern aus sahen Tausende der Mannschaft zu, welche an der Brücke gearbeitet hatten und jetzt auf zwei nebeneinander stehenden Schiffen bei Musik und Tanz das erhaltene Freibier verzehrten. Zum Schluß war Feuerwerk verkündet, weshalb eine Masse Kähne auf stiller Fluth die größern Bote umschwärmten und das schaulustige Publikum bis spät Abends auf den Beinen hielt. Doch mehr Witz als Wahrheit war das Feuerwerk, da nur einige Raketen zerplatzten.
Schon war der 22. verstrichen und noch keine Anstalt zu unserm Transport nach dem Hafen gemacht, wir erhielten aber auf dem Komptoir des Herrn W.[19] die Versicherung,[S. 28] daß morgen drei Weserschiffe uns dahin bringen würden. Jedoch auch der 23. und 24. gingen ohne Erfüllung der gemachten Zusage vorüber, und eben so wenig erhielten wir auf diese Tage für Kost eine Entschädigung, sondern wurden damit bis zur Ankunft auf dem Seeschiffe vertröstet. Was sollten aber bis dahin meine armen Reisegefährten anfangen, von denen einige ganz von Baarschaft entblößt und der hungrige Magen sich nicht wie der Geist mit den lockenden Aussichten in dem gelobten Amerika begnügen wollte.
Endlich am 25. waren die Transportschiffe bereit, uns nebst Effekten aufzunehmen, und auf dem, welches ich bestieg, war bis Mittag alles so geordnet, daß Jeder noch nothdürftig ein Plätzchen zum Liegen hatte. Als aber am Nachmittag noch einige Funfzig Juden mit ihren sämmtlichen Sachen ebenfalls in dem schon sehr beengten Raum untergebracht werden sollten, so wurde von Neuem alles drüber und drunter geworfen, um nur so weit Platz zu bekommen, daß sämmtliche Passagiere, wenn auch wie Häringe zusammengeschichtet, im Zwischendeck dem Hafen zugeschickt werden konnten.
Die anderthalben Tag und eine Nacht lange Fahrt war eine der beschwerlichsten, die ich gemacht habe, da ein anhaltend starker Wind das Schiff beständig in schaukelnde Bewegung versetzte, wodurch die Seekrankheit sich sofort einstellte und ein Erbrechen erfolgte, welches um so beschwerlicher war, da bei dem engen Zusammenliegen ein gegenseitiges Beschmutzen nicht vermieden werden konnte. Da die meisten Passagiere nicht darauf vorbereitet waren, bekamen wir jetzt schon den Vorgeschmack der Seereise, und Mancher hätte gern auf das gepriesene Amerika verzichtet, wenn ihm das bezahlte Fahrgeld restituirt worden wäre.
Das große dreimastige amerikanische Schiff St. Lawrence, welches uns im Hafen aufnahm, war mit einem 7 Fuß[S. 29] hohen Zwischendeck versehen und versprach deshalb vor allen andern jetzt hier liegenden Schiffen eine möglichst gesunde Fahrt; auch war vorauszusehen, daß bei der Größe desselben die Bewegungen weniger fühlbar sein würden, als dieses bei dem Weserschiff der Fall war, da bei letzterem die Bewegungen kürzer und deshalb um so empfindlicher sind. Damit aber die Vorstellung von dem Gebäude selbst, welches uns über den Ocean bringen sollte, um so deutlicher wird, will ich das in Taf. I. abgebildete Schiff etwas näher beschreiben.
Dieses kolossale Gebäude ist aus nicht sehr großen aber gut zusammengearbeiteten Holzstücken gefertigt, welche mittelst hölzerner und eiserner Schraubenbolzen an das innere Holzgerippe befestigt werden. Die Fugen sind mit Pech und Werg so dicht verstopft, daß kein Wasser eindringen kann. Um dieses schwimmende Gebäude schnell fortzubewegen, sind drei hohe Masten darauf angebracht, wovon jeder derselben wieder aus drei Theilen besteht, an welche mittelst der Segelstangen und dem nöthigen Tauwerk die Segeltücher zum Auffangen des Windes befestigt sind. Um aber diesen Segeln nach jedem Erfordernisse des Windes eine andere Richtung zu geben, sind viele Leinen und Taue angebracht, deren Jedes seinen eigenen Namen hat, und welches die Matrosen selbst in der dunkelsten Nacht mit der größten Schnelligkeit zu finden wissen. Ferner ist, um den Lauf des Schiffes zu bestimmen und solches demnach zu regieren, am hintern Theile desselben ein im Verhältniß des ganzen Gebäudes kleines Steuerruder befestigt, dessen geringste Bewegung nach der einen oder andern Seite dem Schiffe eine andere Richtung giebt.
Taf. II. ist die Ansicht vom obern Verdeck. Bei a. ist das Steuerrad, mit welchem das Steuerruder regiert wird, und in dessen Nähe im Nachthause steht der Kompaß. Vor Letzterm ist das Schiff mit einem Ueberbau[S. 30] versehen, unter welchem bei nasser Witterung der Kapitän und die Kajüten-Passagiere sich Motion zu machen suchen. An beiden Seiten sind Vorrathskammern angebracht, auch befindet sich der Abtritt für die Ersteren daselbst. b. ist die Stelle des Fockmastes, c. des Mittelmastes, d. des Besanmastes, e. zeigt das Bugspritt, welches über das Vordertheil des Schiffes hinausreicht, f. ist der bedeckte Eingang zur Kajüte des Kapitäns, g. h. und i. sind Oeffnungen von 6 Fuß ins Gevierte, welche dazu dienen, die Ladung ins Innere des Schiffes hinabzulassen. Durch diese Luken steigen auch mittelst der angelehnten Treppenleiter die Deck-Passagiere aus und ein. k. ist der Ort der zwei Schiffspumpen, womit alle Morgen das eingedrungene Wasser wieder ausgepumpt wird. l. ist die Kapitäns- und Kajüten-Passagier-Küche. m. sind die beiden eingemauerten Kessel, mit viereckiger Breterbekleidung umgeben, in welchen für die Deck-Passagiere gekocht wird. Zwischen der Kapitäns-Küche und dem Mittelmast ist das große Boot, in welchem die nicht gebrauchten Segel und Taue liegen und deshalb mit einem Nothdache überbaut ist. Das kleine Boot n. wird außerhalb des Schiffes am hintern Theil desselben aufgehangen. o. sind die Abtritte für die Deck-Passagiere. Durch die Oeffnung p. steigen die Matrosen in ihre Kajüte hinab. Bei q. ist die Schiffswinde, womit die Anker in die Höhe gezogen werden. r. sind in die Bohlen eingesetzte geschliffene Gläser von 7 Zoll Länge und 4 Zoll Breite. Solche sind in der Mitte stärker als an den Seiten, wodurch dieselben, vermöge der Konzentrirung der Lichtstrahlen, viel mehr Helligkeit verbreiten als dieses der Fall bei gewöhnlichem Scheibenglas ist.
Taf. III., stellt den innern Raum des Schiffes in horizontaler Lage vor. In diesem Raume befindet sich bei A. die Kajüte mit einem in der Mitte befindlichen großen Zimmer, zum Aufenthaltsort der Kajüten-Passagiere. Auf[S. 31] beiden Seiten befinden sich die Schlafstellen, (Cojen genannt.) An dem Fockmast steht die Treppe und hinter derselben ist die Wohnstube des Kapitäns, neben welcher sich verschiedene Kammern befinden. Auf der andern Seite sind die Räume für den Ober- und Unter-Steuermann, dem Steeward (Kammerdiener) und Koch. B. Ist die Vorkajüte, wo auf unserm Schiff die Vorräthe von Lebensmitteln aufbewahrt wurden, welche nicht in den untern Raum des Schiffes gebracht waren. Hier hatte außerdem der Kapitän noch seine Getränke, so wie das Tisch- und Küchengeräthe aufgehoben. In dem großen Mittelraum C. befinden sich auf beiden Seiten gleichlaufend mit den Schiffswänden zwei Reihen Schlafstellen über einander, deren Jede 6 Fuß im Quadrat hält, und aus Stollen und Bretern so zusammengenagelt sind, daß der Boden derselben 12 Zoll von dem Fußboden absteht, damit bei offenen Luken die mitunter einschlagenden Wellen, nicht die Strohsäcke oder Betten durch das darunter laufende Wasser befeuchten. Drei Fuß höher ist der zweite oder Mittelboden angebracht, welcher, da das Zwischendeck 7 Fuß hoch ist, eben so weit vom obern Deck absteht. Durch diese Vertheilung der Böden erhält jede Schlafstelle 3 Fuß Höhe, wie dieses auf Taf. IV. ersichtlich ist.
An der Vorderseite der Schlafstellen ist ein Bret angenagelt, damit bei Sturm die Strohsäcke mit den darauf Liegenden nicht herausgeworfen werden. Eben nicht höher sind auch die Schiedbleichen, wodurch dem Auge die freie Durchsicht offen steht[20]. Jede Coje nimmt 8 Mann auf,[S. 32] wovon 4 unten und 4 oben liegen, und so in den 26 kleinen Räumen 208 Menschen untergebracht sind. Das Lager der Passagiere beim Schlafen ist verschieden, wie solches auf der Zeichnung zu sehen ist und richtet sich nach dem Stande des Schiffes, damit immer der Kopf hoch ist, auch nicht bei schräger Lage des Fahrzeuges ein Passagier auf den andern fällt. In der Mitte stehen die Kisten der Reisenden, wo solche die Extraprovisionen oder die Bedürfnisse mancherlei Art, welche auf einer Seereise nöthig sind, aufbewahren. Diese Sachen werden mit Stricken und Tauen aneinander befestigt, um sie beim Sturm vor Umwerfen und Zerschlagen zu schützen. D. ist die Matrosen-Kajüte.
Taf. IV. ist ein Durchschnitt des Schiffes, wo man ebenfalls die Passagiere in ihren Cojen liegen sieht. E. ist der Raum, worin der Balast, die Proviant-, Fleisch- und Wasserfässer, das Gepäck der Passagiere sowie die Kaufmannsgüter untergebracht werden. Dieser Theil des Schiffes beträgt die Hälfte seiner Höhe, und ist, so tief es unter Wasser geht, mit Kupfer beschlagen.
Bremerhaven im Juni 1839.
Fortsetzung.
Da bei unserer am 26. d. Mittags erfolgten Ankunft im Hafen sich weder der Steuermann, noch der Kapitän sehen ließen, mußte heute ebenfalls auf die Beköstigung verzichtet werden, was bei sämmtlichen Passagieren die größte Unzufriedenheit erregte und zu lauten Klagen Veranlassung gab.
Die Schlafstellen im Zwischendeck waren numerirt, und die zunächst am Mittelmast gelegene, wo die Bewegung[S. 33] des Schiffes am wenigsten fühlbar ist, hatten schon einige Judenfamilien in Beschlag genommen, mußten jedoch ihre Effekten wieder wegräumen, da bestimmt war, daß das Loos entscheiden solle. Mir, dem Sohne meines Bruders, dem Glaser R. und dem Metzger R. fiel der untere Platz No. 18 zu, welcher ziemlich in der Mitte des Schiffes sich befand. Ueber uns logierten drei Bauern nebst einem Frauenzimmer, welche des Einen Braut sein sollte.
Um einen richtigen Begriff vom Schiffsleben zu erhalten, braucht man nur eine Nacht in dem Zwischendeck, wo 208 Menschen schlafen, zuzubringen, wo ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters, säugende Kinder, Greise und hochschwangere Frauen unter einander liegen. Das Heulen der Kleinen, das Nachspotten unverständiger Laffen, das Schimpfen und Zanken roher Bauern, das Lachen und Schreien Solcher, die Nichts auf der Welt zu verlieren haben und einer schönen Zukunft entgegen zu gehen glauben, das nachgeahmte Heulen der Katzen und Bellen der Hunde; alles Dieses unterbricht die Ruhe der Nacht, und früh am Morgen trieb mich ein Knoblauchgeruch und die mephitischen Ausdünstungen, welche das faule Wasser im Kiel des Schiffs verbreitet, vom Lager.
In der Restauration, während des Frühstücks, erhielt ich die Kunde, daß auf dem Schiffe die größte Aufregung herrscht, da der Obersteuermann während der Abwesenheit des Kapitäns, der in Bremen war, keine Provision vom Schiffe aus verabreichen wollte, welches mehre Passagiere beunruhigen mußte, da solche keine Lebensmittel mehr besaßen, aber auch kein Geld zu deren Anschaffung hatten. Die Erbitterung wurde um so größer, als der später ankommende Kapitän erklärte, daß der für die Reise bestimmte Proviant, solange das Schiff noch nicht in See gegangen, nicht angegriffen werden dürfe, sondern der Mundbedarf von dem dazu beauftragten Agenten Herrn U.[S. 34] hier abgegeben werden müsse und wir uns lediglich an diesen zu halten hätten.
Dazu aufgefordert, und um Unordnung zu verhüten, stellte ich mich an die Spitze der Unzufriedenen und begab mich mit noch sechs Andern auf das Komptoir des Agenten, wo wir leider vernehmen mußten, daß wir nicht die Ersten seien, welche dergleichen Beschwerde führten und von den Schiffsmäklern in Bremen um mehre Tage Beköstigung geprellt würden, indem von Jenem kein Befehl an ihn zur Abgabe von Lebensmitteln an uns ergangen sey.
Auf meine Drohung, dieses widerrechtliche Verfahren zur Warnung Anderer öffentlich bekannt zu machen, erwiderte Herr U.[21] frech genug, daß uns dieses freistände und daß wir ja auch bei der Behörde in Bremen gegen Herrn W. auftreten könnten; wohl wissend, daß bei dem segelfertigen Schiff, welches stündlich zum Abgang bereit[S. 35] war, keiner von uns von diesem Vorschlag Gebrauch machen könne.
Meine Begleiter, welche ihren Unmuth über dieses sonderbare Benehmen des Herrn Ulrich nicht langer verbergen konnten, überhäuften ihn mit den gemeinsten Reden, die der saubere Herr gelassen einsteckte, da er vermuthlich an dergleichen Auftritte schon gewöhnt war. Es blieb uns jetzt nichts weiter übrig, als bei der Polizei-Behörde in Bremerhaven Schutz zu suchen, welche auch sofort durch einen Gensdarmen den Befehl absandte, daß die Agentur unverzüglich die nöthigen Lebensmittel auf das Schiff liefern solle, um sich nicht bei wiederholter Klage strengen Ahndungen auszusetzen. Geschah nun auch das Erstere, so erfolgte doch keine Entschädigung wegen der rückständigen Lieferungen und das Kostgeld vom 20. bis 28. Juni kam dem saubern Herrn zu Gute.
Eine neue Verlegenheit trat für uns ein, als der Schiffskoch, ein Neger, für die Deck-Passagiere nicht kochen wollte und vorgab, nur für die Kajüte und Matrosen engagirt zu seyn. Es wurde deshalb von uns die Einrichtung getroffen, daß das Geschäft des Kochens der Reihe nach, immer von acht Personen, besorgt werden sollte, welches aber das Unangenehme für sich hatte, daß bei stürmischer Witterung Niemand auf das schaukelnde Schiff sich getraute, wodurch mancher Fasttag entstand.
Die Zeit, welche der Auswanderer in Bremerhaven zubringen muß, langweilt sehr, da das ewige Einerlei durch Nichts unterbrochen wird, zumal wenn man die Gasthäuser meidet, wo öfters die Matrosen mit Erstern karambuliren; ich hielt mich daher gewöhnlich in einem Schiffswerft auf, wo mir durch Zuneigung der Arbeiter Gelegenheit ward, Manches, was Bezug auf Schiffsbau und Seereise hatte, kennen zu lernen. Um so öfterer wurde aber die Nachtruhe gestört, wie ich solches schon erwähnt und folgender purlesker Auftritt bezeugen wird: Durch Beihilfe des Unter[S. 37]steuermanns hatten sich zwei Juden als blinde Passagiere mit auf das Schiff begeben, ohne daß dieses irgend einem der übrigen Reisenden aufgefallen war. Da dieselben sich aber unpolitisch genug des Nachts zu weiblichen Personen gesellten, so wurde die Eifersucht rege, die Liebhaber der Schönen wurden erwischt und aus dem Versteck geworfen.
Durch den Lärm wurden Alle wach und da es Mehre schon längst auf die Israeliten abgesehen hatten, so wurde sofort bei dunkler Nacht ein förmliches Treibjagen nach den geängstigten Juden gehalten. Gleich gehetzten Rehen, von den Hunden verfolgt, deren Gebell treu nachgeahmt wurde, suchten die Armen Schutz in den Schlafstellen ihrer Genossen, da das Entrinnen unmöglich und der Ausgang besetzt war. Die Jäger, immer auf den Fersen und die Lust, sich unerkannt das Müthchen zu kühlen, spendeten der Jagdhiebe viele, und Mancher erhielt so, was man ihm längst zugedacht hatte. Zum Glück brachte der Obersteuermann Licht und hinter Fässern wurden die Gesuchten entdeckt, ergriffen und noch diese Nacht dem Gericht überliefert.
Die bis zum 4. Juli konträr wehende Luft hatte sich mehr zu unsern Gunsten gewandt, welches den Kapitän bestimmte, das Schiff am 5. durch den Lootsen aus dem Hafen bringen zu lassen, um solches neben drei andern, ebenfalls zur Abfahrt bereit liegenden Schiffen vor Anker zu legen, bis der Wind vollends sich gedreht und so die Fahrt schnell und sicher zwischen England und Frankreich durchgehen könne, da Seitenwind leicht nach dem nahen felsigen Ufer treibt, wo schon manches Fahrzeug auf Untiefen gestrandet ist.
Der heutige Tag wurde von den Amerikanern festlich gefeiert, die Flaggen aufgezogen und herrlich gelebt, da der 4. Juli, weil an solchen 1776 die Unabhängigkeit von englischer Herrschaft verkündet war, hoch in Ehren steht. Auch[S. 38] unsere Matrosen trugen das Ihrige bei und kamen erst spät am Abend benebelt auf dem Schiffe an, wo sie das vom Ufer nach dem Fahrzeug gelegte Bret auf allen Vieren passirt hatten.
Am 5. d. beim Grauen des Morgens mahnte schon des Obersteuermanns Stimme zum Aufbruch und bald rufte der Gesang der Matrosen beim Ordnen des Tauwerks die Passagiere auf das Verdeck, um noch einmal das nahe Ufer zu sehen; die aufgehende Sonne spiegelte sich in mancher Thräne, welche bei der Trennung vom Vaterland den Zurückgebliebenen geweint wurde. Ein dumpfes Lebewohl schallte in die Lüfte, aber die Geliebten, welchen es galt, vernahmen es nicht.
Unwiderstehlich zog es mich nochmals auf die Erdscholle, welche mein Vaterland mit einschließt, um am Ufer unbelauscht den mannigfachen Gefühlen, welche in dieser Scheidestunde meine Brust beengten, durch Thränen Luft zu machen. War es Ahndung einer beschwerlichen Seereise, oder wie soll ich das Grauen nennen, welches sich meiner bemeisterte, als ich das Schiff von Neuem besteigen wollte. Furcht vor Gefahren war es nicht, denn diese kannte ich nicht, da eine innere Stimme mir zurief: Du siehst die Deinen wieder! und doch hing zentnerschwer der Boden unter meinen Füßen, als wolle er mich zurückhalten auf Deutschlands Erde. Nur eines Gedankens war ich mächtig, an Weib und Kinder, und ihr Bild stand vor meinem Herzen. Heilige Vorsätze glühten in meiner Seele und meine Lippen stammelten Segen für die Zurückgebliebenen. Unaufhaltsam flossen die Thränen, da der Schmerz mich übermannte. Fieberkrank nahm ich das Schiffslager ein, um es sobald nicht wieder zu verlassen.
Ich selbst durfte von dem gesalzenen Fleisch nur wenig essen, noch weniger von dem Wasser trinken, welches zur[S. 39] Seereise bestimmt war, da dieses bei mir Erbrechen verursachte. Der Kaffee mußte daher das Beste thun.
So sind denn dieses die letzten Zeilen, welche ich an Euch, meine Lieben, von hieraus schreibe, und auf Gott vertrauend, treten wir die große Seereise an. So lebt denn Alle wohl! und bin ich auch fern, so ist doch mein Geist stets um und neben Euch.
New-York im August 1839.
Die Seereise.
Wie könnte ich wohl meinen Bericht aus weiter Ferne besser beginnen, als zuerst dem zu danken, der mich gnädig vom nahen Tode errettete und, gleichsam neu geboren, in eine andere Welt versetzt hat. Was muß der Mensch nicht erdulden, was kann er nicht abhalten, wenn er mit gutem Gewissen auf seinen Berufswegen wandelt und seinem Gott vertraut. Vieles habe ich auf diesem Wege erfahren müssen, denn das Schiffsleben ist ein ganz anderes, als das auf dem Lande. Man muß sich hier an so Manches gewöhnen und so Vieles entbehren, was man in seinem häuslichen Geschäftsleben für unmöglich halten würde. Um wie viel beschwerlicher ist aber eine solche Seereise für Eltern, die beängstigt um die Ihrigen, auf[S. 40] sich selbst weniger Rücksicht nehmen können, und so Tag und Nacht der Ruhe entbehren; möchte daher jede auswanderungslustige Familie, welche diese Briefe liest, den Inhalt beachten und entweder ihr Vorhaben ganz aufgeben, oder solches doch möglichst erträglich zu machen suchen, da Viele erst auf dem Schiffe, und zwar zu spät für diese Reise, erfahren, was dazu zweckdienlich gewesen wäre[22].
Bei unserer Abfahrt wurde von dem Allen nichts beachtet, was, wie man mir sagte, auf andern Schiffen gebräuchlich seyn soll. Keine Behörde revidirte das Schiff, ob es auch mit den hinreichenden Lebensmitteln versehen sey, und in welchem Zustande sich dieselben befänden; ob die zur Aufbewahrung des Trinkwassers bestimmten Fässer gehörig gereinigt und in wie weit man der Verpflichtung hinsichtlich versprochener Arznei und sonstigen Leckereien, als: Wein, Rosinen, Pflaumen etc. nachgekommen sey[23]. Den 6. Juli blies der Wind ganz zu unsern[S. 41] Gunsten, und die vor dem Hafen liegenden Schiffe boten ein herrliches, von uns noch nie gesehenes Schauspiel dar. Die Anker wurden unter dem Gesang der Matrosen gelichtet und auf das Kommandowort des Kapitäns entfalteten sich eben so schnell die Segel, welche durch einen frischen Südostwind geschwellt, das Fahrzeug majestätisch auf dem Wasserspiegel forttrieben.
Ohngefähr sechs Stunden lang durchschnitt das Schiff die Wellen, ohne daß auch nur die mindeste Bewegung fühlbar war, und die Passagiere, erfreut über den günstigen Anfang der Reise, hielten sich meist auf dem Verdeck auf, doch mehr und mehr drehte sich der Wind, unruhiger bewegte sich das Schiff, und eine über das Verdeck schlagende Welle nöthigte zum Rückzug ins Zwischendeck. Bald stellten sich nun auch die Vorboten der Seekrankheit ein, Schwindel und Uebelkeit nahmen zu und nur Wenige blieben vom Erbrechen verschont.
Nichts geht über die Leiden, die mit dieser schauderhaften Ekel erregenden Krankheit verbunden sind, wovon der Mensch befallen wird. Das stärkste Vomitiv greift nicht so an, als die Seekrankheit, da sie anhaltend den ganzen Körper erschüttert und den Kopf zu zersprengen droht. Ausgestreckt auf dem Lager lag ich krank darnieder, jeder Versuch, mich sitzend zu erhalten und so den Kopf aus seiner horizontalen Lage mit dem Körper zu erheben, wurde mit dem heftigsten Erbrechen gebüßt. Ist schon diese Plage auf kurze Zeit höchst peinlich, um wie viel mehr mußte ich leiden, da das Erbrechen vier Wochen mehr oder weniger anhielt und nichts dem Uebel zu steuern vermochte. Kopfweh zum Rasendwerden, und die heftig[S. 42]sten krampfhaften Magenschmerzen lassen Einen nie zur Ruhe kommen, da der Schlaf den ermatteten Körper flieht und Füße und Unterleib abzusterben scheinen; dabei der Kopf heiße Thränen schwitzt, während man den schmerzlichsten Anstrengungen zu unterliegen glaubt[24].
In einer solchen Lebensperiode lernt der Mensch erst einsehen und fühlen, was es heißt, getrennt von den Seinigen, ohne Wartung und Pflege, die Leiden des Körpers geduldig ertragen zu müssen. Mehr als Muth und Charakterstärke gehört dazu, um, an Leib und Seele erschlafft, bei dem Kampf der Elemente im Glauben nicht zu wanken. Festes Vertrauen muß man auf Den haben, der die Schicksale der Menschen lenkt. Hier habe ich das Sprichwort bewährt gefunden, daß der, welcher beten lernen will, nur zur See gehen muß.
Während der ersten vier Wochen konnte von der Schiffskost nichts von mir genossen werden, da der Magen sich an die schaukelnde Bewegung nicht gewöhnen wollte, wie solches bei den meisten Passagieren schon in den ersten Tagen der Fall war. Die bitter aufsteigende Galle verscheuchte allen Appetit, und nur mit Noth behielt der Magen bei ruhiger See einige Löffel Suppe. Unter solchen Umständen schwanden meine Kräfte zusehends, und[S. 43] Mancher sah in mir, bis zum Skelett abgezehrt, schon die Leiche. Doch das Maas der Leiden war noch nicht voll; selbst das Wenige, was der Magen in sich behielt, verstopfte sich beim Mangel an Motion, und erst nach achtzehntägiger Qual ersetzte der Steuermann den fehlenden Arzt, doch galt bei ihm das alte Sprichwort: „Friß Vogel oder stirb!“ und half er auch von einem Leid, so wurden neue Schmerzen bei mir wieder hervorgebracht.
Das Lager selbst, beim Mangel weicher Betten, treibt die Gesunden auf, nur mich hielt es zurück und machte die Nächte zu Ewigkeiten, so daß die Fahrt mir doppelt lang wurde und der aufgelegene Körper die Schmerzen mehrte. — Ein Glück, daß während der See-Reise das Schiff an keiner Insel hielt, da sonst Mancher, in dem Glauben, die Plage sey nicht mehr zu ertragen, verlangen würde, hier ausgesetzt zu werden; so aber wider Willen mit fortgerissen wird. Was hätte ich selbst für einen Tag Ruhe auf festem Boden gegeben und um einen Trunk frisches Wasser, die Lippen zu netzen? So aber blieben wir auf Thee und Kaffee, gekocht in stinkendem Wasser, ohne Milch, Zucker und Rum, verwiesen. Auch nicht für Geld und gute Worte erhielt ich und eine kranke Frau vom Tisch des Kapitäns ein Paar Flaschen Wein[25]. Doch hier wo’s Noth that und des Seemanns Herz nicht zu erweichen war, half ein Bauersmann und theilte den Labetrank, der für seine Kinder bestimmt war, mit uns.
Die Unmöglichkeit, das Lager zu verlassen, zwang mich, auf solches fest gebannt, liegend im Tagebuche zu notiren, was im innern Raume des Schiffs vorging und von dem was außerhalb geschah, erhielt ich durch meinen Neffen[S. 44] Rapport. Zum Trost für mich wurde Letzterer nur von einem Schwindel befallen, ohne vom Erbrechen selbst nur das Geringste zu verspüren, und konnte demnach zu meiner Wartung und Pflege viel beitragen.
New-York im August 1839.
Fortsetzung.
Kaum hatte der Lootse das Schiff verlassen, als sich der Wind von Neuem drehte, so, daß der Kapitän sich gezwungen sah, die Fahrt durch den Kanal aufzugeben, und, um den Seitenwind mehr benutzen zu können, um England herum zu segeln beschloß, bei welcher Gelegenheit die Passagiere die Küsten Schottlands gleich Nebelstreifen vor sich ausgebreitet sahen.
Am 10. steuerte ein aus Amerika kommendes Schiff auf uns zu. Sogleich wurden die Flaggen gehißt und einige Segel beigelegt, wodurch die Schiffe, im Lauf gehemmt, sich einander nähern und die Kapitäns, vermöge der Sprachröhre, über Lage und Breite, unter welchen man sich befindet, von wannen und wohin man kommt und fährt u. s. w., die gewünschte Auskunft ertheilen.
Den 12. wurden wir aufgefordert, die im Zwischendeck aufbewahrten und in Fäulniß gerathenen Kartoffeln über Bord zu werfen, da solche des faulen Geruches halber der Gesundheit schädlich zu werden droheten. Zu diesem Geschäft fühlten sich aber Viele nicht verpflichtet, da sie ihrer Meinung nach bei stattgefundenen erhöhten Fahrpreisen um so weniger zu Arbeiten gezwungen werden könnten. Die Vorstellungen der Vernünftigen halfen nichts, keine Hand wurde gerührt, und schon streckte der pestilenzialisehe Ge[S. 45]ruch Mehre aufs Krankenlager, da befahl der Kapitän das Kochen so lange einzustellen, bis geschehen sey, was Vernunft und Gesundheit unumgänglich nöthig machten; welches Zwangsmittel so probat war, daß es jedes Mal in Anwendung gebracht wurde, wenn widerspenstige, die Ordnung nicht liebende Passagiere die Plätze vor den Schlafstellen nicht reinigen wollten. Die über Bord geworfenen Kartoffeln wurden sogleich von Fischen, welche in Menge das Schiff verfolgten, verschlungen.
Den 15. brachte ein begangener Diebstahl mehre Passagiere in Streit, welcher bald in blutige Händel überging, und bei welchem sich herausstellte, was für saubere Subjekte mit am Bord waren, da durch gegenseitige Beschuldigungen die Diebe bemerkt wurden, welche ungestraft glücklich der Justiz entwischt oder von ihren Gemeinden auf Kosten der Letztern nach Amerika befördert wurden. Auch an Freudenmädchen fehlte es nicht, welche nur zum Schein die Spröden spielten, gegen die Huldigungen der Matrosen aber nicht unempfindlich waren und deshalb von denselben in Schutz genommen wurden.
Kaum hatte sich der Lärm gelegt, als von Neuem Blut vergossen wurde. Der Zimmermann S. erhielt das seiner Frau im Schaffen gereichte Mehl mit dem Bemerken durch die Oeffnung im Deck zurück, es sey solches zu viel; das nun auf die Hälfte reduzirte Quantum ward ebenfalls mit der Weisung wieder herabgereicht, jetzt sey es zu wenig, worauf der Mann voll Zorn den Schaffen durch die Oeffnung warf. Das Geschirr fehlte die Frau, sprang aber am Tauwerk ab und verwundete einen Baier am Kopfe so tief, daß er umsank. Seine Landsleute sprangen zu, und Rache war die Loosung. Schon drangen sie in’s Deck, um den Thäter zu ergreifen, doch dieser flehte weinend um Erbarmen, schützte Zufall und seine ihn ärgerlich gestimmte[S. 46] Krankheit vor, und erhält so, vereint mit den Bitten seiner Kinder, die erbetene Gnade.
Der 16. war ein rauher nebeliger Tag und der Steuermann kündigte auf die Nacht Sturmwind an; da wir aber schon während der Fahrt einige starke Winde erlebt hatten, so legte sich Alles ohne Sorge zur Ruhe, nicht ahnend, was da kommen sollte. Es mochte wohl Nachts gegen 11 Uhr seyn, als der Wind heftig zu toben anfing und die Wellen, sich an dem Fahrzeug brechend, den hohlen Bau zu zertrümmern drohten und ihn ganz auf die Seite legten. Das Geschrei der Matrosen während des Einziehens der Segel und das Alles übertönende Kommandowort des Kapitäns ließ die Erfüllung der Voraussage auf Sturm vermuthen. Eben beschäftigt, mit meines Neffen Hülfe das Lager nach der hängenden Seite des Schiffs zu ändern, als sich solches zurückbiegt, in dem Augenblicke aber mit einer solchen Schnelligkeit umprallte, daß wir aus den Cojen geworfen wurden. Das Lager wieder zu erreichen, war bei der Dunkelheit im Zwischendeck, da alle Luken fest verschlossen und kein Stern eindringen konnte, nicht möglich. Auf allen Vieren kriechend, mühte ich mich vergebens ab, und aus der Richtung gebracht, wurde ich immer mehr von der Schlafstelle entfernt. Ganz betäubt, da sich das Erbrechen sofort einstellte, und unvermögend, an den beweglichen Kisten mich festzuklammern, wurde ich so auf dem Fußboden hin und her geschleudert, bis mir endlich nach vielen erhaltenen Stößen ein festgenageltes Bret einen Ruhepunkt zu gewähren schien; doch beim zweiten Griff, um mich im sichern Raum aufzuschwingen, erwischte die Hand einen weichen Fuß, der dem Schreie nach, welchen die Schöne ausstieß, einer Unschuld angehören mußte, worauf die Schläge einer Männerfaust am Weitergreifen mich verhinderten und ich so von Neuem gleich den übrigen Effekten herumgeworfen wurde, bis der Jammerton meinen[S. 47] Neffen herbeiführte und wir vereint, auf allen Vieren kriechend, (da Aufrechtgehen unmöglich war) mit vieler Mühe die Lagerstätte erreichten. Immer heftiger ward der Sturm, wodurch Kisten und Laden durch das Zerreiben der Stricke sich lösten und, gegen einander geworfen, den Inhalt leerten, und somit Eß-, Trink- und Nachtgeschirr durch einander flogen. Schlag auf Schlag stürzten die tobenden Wellen über das Verdeck und drohten solches zu durchbrechen, und Mancher glaubte schon, sein Grab in den Meereswellen zu finden. Doch ärger und ängstlicher, als Sturm und Wellenschlag, erfüllte das Angstgeschrei der Kinder und Weiber die dunkeln Räume, wobei die Letztern den Männern gewöhnlich alle Schuld des zu ertragenden Unglücks zuzuschreiben Ursache zu haben vermeinten.
Bei alle dem Unglück und auszustehender Angst, wo die Mehrsten beteten, Kinder weinten, schrieen Andere wieder vor Lachen auf, wenn ein geängstigter Jude bei jedem Wellenschlag mit einem Auwei-Ruf in Abrahams Schoos zu wandern glaubte, und das Wasser, welches seiner Meinung nach zur Rettung keine Balken habe, verwünschte.
Hat schon das Uebereinanderbetten manches Unangenehme im Gefolge, um wie viel mehr wird solches aber bei Sturmeszeit verspürt, wo die obern Seekranken die unter ihnen Liegenden reichlich beschmutzen, wie ich jetzt zu erfahren volle Gelegenheit hatte, da ein Baier mir ein reichliches Maas der genossenen Erbsen über meinem Haupte entlud.
Der täglich für die Passagiere bestimmte Branntwein wurde nicht alle Morgen, wie es Vorsicht und Gesundheit erforderten, ausgegeben, sondern aus Bequemlichkeit des Proviantmeisters sogleich auf acht Tage gefaßt. Da solcher aber seiner schlechten Qualität halber nicht von jedem Passagiere genommen wurde, so benutzten dieses die Säufer und faßten die für Jene bestimmten Portionen auf deren Namen mit. Doch an Mäßigkeit nicht gewöhnt, war die[S. 48] unausbleibliche Folge, daß im Rausch Mancher vergaß, Mensch zu seyn und seinem Nächsten lästig wurde. Doch von üblern Folgen hätte der 18. d. uns werden können, wenn der angehende Sturm sich nicht bald wieder gelegt, da an diesem Tage der gereichte äußerst schlechte Branntwein sofort an die Matrosen verschenkt oder gegen Waizen-Schiffs-Zwieback[26] vertauscht worden war. Berauscht durch übermäßigen Genuß, lagen dieselben im tiefen Schlafe, als am Abend der sich erhebende Wind das Einziehen der Segel nöthig machte; Alle aber waren unvermögend, sich weder aufrecht zu erhalten oder in den Segeln zu arbeiten, noch das Kommando des Kapitäns zu vernehmen. Jetzt half der Steuermann nach und trieb dieselben mit einem Schiffstau, mit welchem er die Armen unbarmherzig über Kopf und Hände schlug, aus ihrem Rausch. Von dieser Zeit an wurde an jedem Morgen der Branntwein in einzelnen Portionen vertheilt und mußte auf der Stelle getrunken werden. Keinem war es gestattet, denselben im Glas, um ihn, wie es eigentlich der Zweck war, nach dem Genuß fetter Speisen zu trinken, mitzunehmen.
Bei dem Kochen des Kaffees, der für alle Passagiere im großen Kessel gebraut wurde, trat sehr oft der Fall ein, daß entweder zu viel oder zu wenig von diesem Labetranke bereitet worden war, indem die dazu beauftragten Personen nach ihrer eigenen Willkühr die Quantität Wasser dazu bestimmten; als aber noch durch den immer mehr und mehr abnehmenden Kaffeegeschmack die Erfahrung gemacht wurde,[S. 49] daß die sich mit dem Mahlen der Kaffeebohnen beschäftigten Personen das Metzen nicht vergaßen, so wurde fortan der gebrannte Kaffee in gleichen Portionen an jede Schlafstelle vertheilt, und Jedem selbst überlassen, wie viel er von dem kochenden Wasser verwenden wolle. Mit dem Thee verblieb es jedoch beim Alten, da derselbe reichlicher gespendet und von den Passagieren weniger begehrt wurde, weil derselbe bei mangelndem Zucker, Milch und Rum, in fauligem Wasser gekocht, bald Jedem widerstand.
Am Abend des 21. starb ein 19jähriges Frauenzimmer, welches schon kränklich das Schiff in Bremerhaven bestiegen und vom letzten Sturme vollends erschöpft und aller Hülfe entbehrend den Beschwernissen der Reise unterliegen mußte. Das Begräbniß erfolgte sogleich am folgenden Morgen, nachdem die Leiche in den Strohsack eingenäht worden, um die Schlafstelle, wo noch drei andere Passagiere mit placirt waren, zu reinigen. Kein Drängen der Reisenden zum Begräbniß, wie ich vermuthet hatte, fand statt, obgleich ein solcher Fall während der Fahrt noch nicht vorgekommen war. Alles scheute den Tod und blieb zurück. Nur der Bräutigam der Seeligen half den Matrosen beim Transport der Leiche aus dem Zwischendeck.
Da ich selbst nicht vermögend war das Lager zu verlassen, bat ich meinen Neffen, der Armen die letzte Ehre zu erzeigen und mir die dabei üblichen Formen und Gebräuche zu berichten, indem ich mir das Zeremoniel beim Einsenken in die See noch rührender als auf dem Lande dachte. Doch weder Steuermann noch sonst ein Anderer vertrat die Stelle des Geistlichen, kein Kapitän ließ sich sehen, alles blieb ruhig und so wurde die Leiche auf ein Bret gebunden, mit zwei Kugeln beschwert und ohne Sang und Klang in das Wasser hinabgelassen, wo sie alsbald ein Raub der Fische ward, welche, die Leiche witternd, das Schiff in Unzahl umschwärmten.
Am 25. wurden drei Schiffe bemerkt, welche gleich unserm Fahrzeug die Richtung nach Amerika nahmen, sich aber ziemlich entfernt hielten und, bald sichtbar bald nicht, den Passagieren einige Tage die Zeit verkürzten.
Als am 27. von einer Elsasser Familie das im Holzkübel gefaßte Mittagsbrot auf der neben der Treppenleiter stehenden Kiste verzehrt werden sollte, sah sich der besorgte Vater einer Judenfamilie genöthigt, das Schiff von einem mephitischen Geruche zu befreien, ward aber noch auf der Treppe von einer überschlagenden Welle getauft, wodurch er das Gleichgewicht verlor und mit seinem Nachtgeschirr zwischen die Elsasser fiel. Voller Wuth stürzten die Letztern den vollen Kübel mit den so verdorbenen Erbsen über den Kopf des vor Schreck halbtodten Juden, welchen auf seinen Hülferuf die Glaubensgenossen wieder zu befreien suchten; aber der schlüpfrige Boden, verbunden mit dem Schaukeln des Schiffes, machten das Feststehen unmöglich, und so fiel Einer über den Andern, welches sattsamen Stoff zum Lachen gab.
Am 31. verfolgten zwei junge Wallfische das Schiff, welche durch das fontänenartige Aussprudeln des Wassers den Passagieren zur Belustigung dienten. Besonders aber bringen bei warmer Witterung und ruhiger See die Meerschweine (Delphine) eine Abwechselung in das alltägliche Leben, da solche oft in stundenlangen Linien, einer hinter dem andern, zwei bis drei Schuhe hohe Sprünge über die Wasserfläche machen.
Ich selbst, der bis jetzt das Lager noch nicht verlassen, heute mich aber besonders wohl fühlte, wünschte dieses Schauspiel zu sehen und das Entzücken zu genießen, welches der Anblick des unendlichen Meeres zum ersten Mal auf den Menschen ausübt. Ich suchte daher mit Hülfe meines Neffen, da ich nicht vermögend war allein zu gehen, das Verdeck zu ersteigen und, am Mittelmast gelehnt,[S. 51] genoß ich in vollen Zügen die reine heitere Luft. Doch ein Blick auf das Meer ließ mir solches erscheinen, als wenn es tief in den Abgrund versinke und eben so schnell wieder zu den Wolken sich erhebe. Schwindel ergriff mich, Alles drehte sich mit mir im Kreise, es stellte sich das Erbrechen ein und zwar mit einer solchen Heftigkeit, daß ich mehr todt als lebendig zurück in das Verdeck getragen werden mußte.
Vier Wochen war ich also auf dem großen Weltmeere herumgeschwommen, ohne von der unermeßlichen Wassermasse, die uns umgab, Etwas gesehen zu haben, und würde vergessen haben, wo ich mich befand, wenn das geräuschvolle Anschlagen der Wellen nicht daran erinnert hätte.
New-York im August 1839.
Fortsetzung.
Bis Anfang August war die Fahrt bei allen ausgestandenen Gefahren und Beschwerden immer noch für die gesunden Passagiere erträglich gewesen, da bei den Meisten der in Vorsorge mitgenommene Extra-Proviant oder sonstige Leckereien ausgeholfen hatten. Dieses war aber jetzt verzehrt und nur auf die Schiffskost und das nicht mehr zu genießende stinkende Wasser blieb man beschränkt, welches Letztere ohne Zusatz von Essig nicht mehr getrunken werden konnte, wenn man auch während des Einfüllens die Nase verstopfte. Der Kaffee und Thee, in diesem Wasser gekocht und beim Mangel von Zucker, Rum und Milch, waren mehr als Brechmittel wie Labsal zu betrachten, und halfen nur als Uebergüsse den ans Roggenkleie steinhart gebackenen Schiffszwieback zu erweichen und so genießbar[S. 52] zu machen. Besser bekam und füllte die mehr und mehr ausgehungerten Magen früh und Abends der vorher eingeweichte, stark mit Pfeffer und Salz bestreute Zwieback, welcher, mit kochendem Wasser überbrüht, eine an Geschmack, doch mehr dem Aussehen nach, Wurstsuppen ähnliche Speise lieferte, welche in der Dunkelheit genossen, trefflich schmeckte, da hier weniger zu unterscheiden ist, was für Extra-Zusätze sich in der Speise befinden, welche zuweilen die Hals-Passage zu verstopfen drohen.[27] Fast aber mehr als alles Dieses machte das Ungeziefer den Passagieren das Ende der Reise wünschenswerth; da außer Wanzen, Flöhen, Ameisen, großen und kleinen Schwaben[28], die Läuse auf eine so furchtbare Art überhand nahmen, daß Männer und Frauen halb nackend sich möglichst zu reinigen suchten. Das Alles gab vorzüglich des Nachts Veranlassung zu lauten Klagen, und manche Frau verwünschte den Mann, der sie und die Familie durch süße Schilderungen der schönen Reise und lockender Zukunft zur Auswanderung vermocht. Doch jetzt war es zu spät; nur Geduld allein macht den reuigen Schritt weniger fühlbar.
Nicht zu beschreiben ist, wie lange Einem unter solchen Umständen die Tage und mehr noch die schlaflosen Nächte werden, überhaupt wenn man nicht vermögend ist, eine Viertelstunde lang lesen oder schreiben zu können, um sich mit Lektüre die Zeit zu verkürzen.
Der Glaser R. war eben so stark, wie ich, von der Seekrankheit heimgesucht, und mußte während der Dauer[S. 53] der Reise das Lager hüten. Jede heftige Bewegung des Schiffs erneuerte das Brechen bei ihm und erst auf dem festen Lande erhielt derselbe die geschwundenen Kräfte wieder.
Der Zimmermann S. glich mehr einem Skelett, als einem lebenden Menschen, da ihm Blutstürze verboten, von der gelieferten gesalznen Schiffskost Etwas zu genießen und er nur das Leben mit wenig Suppe fristete, die ihm der Schiffskoch aus Erbarmen reichte. Frau und Kinder hatten unter solchen Umständen viel zu ertragen, da Ersterer selbst der Abwartung bedurfte und nichts zur Bequemlichkeit der Familie beitragen konnte. Manches harte Wort mußte der Kranke von der Frau vernehmen, welche mehr gezwungen, als freiwillig die Heimath verlassen hatte.
Die Schuhmacherfamilie F. war abwechselnd gesund und krank, nur der alte Großvater hielt sich tapfer, wurde wenig seekrank, hatte immer Appetit und diente so Jedem zum Muster.
Der Seiler S. war ebenfalls mit seiner Frau gezwungen, die Hälfte der Reise das Lager zu hüten; später befanden sie sich aber wohl.
Der Metzger R., Anfangs gesund, war aber unmäßig im Essen und Trinken und mußte deshalb als gerechte Strafe die letzte Zeit hart dafür büßen; er konnte vierzehn Tage lang Nichts genießen und betrat äußerst schwach den amerikanischen Boden. Mein Neffe war der Einzige, welcher nie erkrankte, immer auf den Beinen und mit einem Appetit begabt war, daß ihn jede Speise labte.
Die Windstille am 3. August machte abermals den Wunsch in mir rege, ein auf uns zusegelndes Schiff ankommen zu sehen, um das Gespräch der Kapitäns zu belauschen. Ich ließ mich, da ich allein noch nicht gehen konnte, wieder auf das Verdeck tragen und am Mittelmast absetzen, wo ich hauptsächlich vermied, den Blick auf das Wasser zu richten, um nicht neuen Schwindel zu erwecken.[S. 54] Wohlthätig wirkte die reine belebende Luft, welche ich so lange entbehrt, auf mich ein und die Ruhe, deren wir bei der Windstille auf dem festgebannt scheinenden Schiff genossen, trug dazu bei, Kopfweh, Taumel und Uebelkeit zu verscheuchen, und schon glaubte mein immer reger Geist, daß die Füße den magern Körper zu ertragen vermöchten. Jetzt war das Schiff nahe, doch war mein Neffe, mich zu unterstützen nicht da, weshalb ich allein die Blanke zu erreichen suchte. Aber in dem Moment ward das Schiff, um es dem Andern zu nähern, am Steuer gedreht, wodurch dasselbe hinüber und herüber schwankte, ich zum Fallen kam und gleich einer Tonne dem Schiff entlang rollte. Alles wollte vor Lachen bersten, über den Alten, wie man mich zu nennen pflegte, der gleich einem Betrunkenen nicht stehen konnte.
Das Schiff kam von Petersburg, hatte Korn geladen und segelte nach Boston.
Mattigkeit abgerechnet, war ich während der ganzen Reise nie so wohl gewesen, deshalb beschloß ich, vom Verdeck aus die Sonne untergehen zu sehen. Welch ein herrlicher Anblick! Wie ein Feuermeer lagen die Wolken rings um uns und versilberten den Wasserspiegel, aus welchem unzählige große und kleine Fische auftauchten. Von einem solchen Standpunkte aus fühlt man sich erst recht gedrungen, Gottes Allmacht zu bewundern. Auf dem Meere erst, wo der Mensch nicht, wie häufig auf dem Lande, vor Gefahr sich sicher glaubt, und im Selbstvertrauen sich dort mehr als hier von seinem Schöpfer unabhängig wähnt, fühlt man so recht seine Ohnmacht. Wo die Sonne gleichsam als Auge Gottes tief in das Innere des Menschen einzudringen sucht, da lernt man erst recht einsehen und begreifen, was der Mensch und dessen Bestimmung ist und daß man überall abhängig von dem ist, welcher Alles regiert und einst Rechenschaft fordert von unserm Thun[S. 55] und Lassen. Um wie glücklicher und beruhigter ist man auf dem großen Ozean, wenn man mit gutem Gewissen sagen kann: „Herr dein Wille geschehe! Mein Ende sey nahe oder fern!“ Wie ganz anders muß dem Bösewicht zu Muthe seyn, welcher in jedem Ungemach die gerechte Strafe zu erkennen glaubt.
Der milde Abend hielt mich noch immer auf dem Verdeck zurück, als die Nacht ihre dunkeln Fittige schon über das Meer ausgebreitet und von Millionen der glänzendsten Sterne am gewölbten Himmel erleuchtet wurde. Alles tummelte sich nach den Tönen einer Harmonika auf dem Verdeck, bis der Steuermann, des Lärmens müde, Feierabend gebot.
Fest schlief ich die Nacht, da die nicht gewohnte Seeluft ermüdet, und im Traume sah ich mich schon von Neuem auf dem Verdeck lustwandeln, als mein Neffe zur Empfangnahme des Kaffees weckte und dabei die Kunde gab, daß schwarze, sich zusammenziehende Gewitterwolken, sowie der dumpfe Donner das Herannahen eines Gewitters verkündeten.
Der Kapitän, vorsichtig wie immer, ließ die Segel einziehen; doch war die Mannschaft damit noch beschäftigt, als sich das Unwetter schneller als man vermuthete, nahete und der Wind das Schiff nach allen Richtungen peitschte. Die Luken wurden sogleich verschlossen und, in nächtliches Dunkel versetzt, suchte Jeder sich an seinem Lager festzuklammern.
Nichts ist schrecklicher zur See, als ein schweres Gewitter, indem man bei herannahendem Sturm sofort am hellen Tage durch Verschließung aller Schiffsluken in dichte Finsterniß versetzt wird, und das Rollen des Donners, sowie das Anschlagen der ungestümen Meereswellen daran erinnert, wie nahe man dem Feuer- und Wassertode ist. Das Schiff wurde im Wirbel herumgetrieben, bald hoch[S. 56] in die Luft, bald tief in den Abgrund geschleudert. Alle Effekten im Zwischendeck wurden losgerissen und herumgeschleudert; selbst die Passagiere hatten große Mühe sich fest zu halten. Bei Vielen stellte sich die Schiffskrankheit sogleich wieder ein, und abermals mußten wir das Unangenehme, in den untern Schlafstellen zu liegen, schrecklich empfinden, da wir, wie unter einer Dachtraufe liegend, von oben her tüchtig begabt wurden. Mich selbst brachte das Erbrechen wieder so von Kräften, daß ich fest glaubte, das Ende meines Lebens sey nahe, da ich keiner Besinnung mehr mächtig, nicht wußte, was um und neben mir vorging. Erst als die Schiffsluken wieder geöffnet und frische Luft eindringen konnte, erholte ich mich nach und nach wieder. Mein Neffe, besorgt, mich auf dieser Wasserreise noch zu verlieren, wollte vom Schiffskoch etwas Suppe für mich erbitten, hatte aber, gleich jenem Juden, das Unglück, durch eine überschlagende Welle von der Treppenleiter gespült zu werden und sich beim Herabstürzen den Kopf zu beschädigen.
Durch diesen Vorfall ängstlich geworden, getraute sich keiner der Passagiere, an welchen heute das Kochgeschäft war, auf das schaukelnde Verdeck, weshalb solches unterblieb und die hungrigen Magen auf den folgenden Tag verwiesen wurden.
Hatte ich mehrmals schon während der Reise bereut, dieselbe nicht als Kajütenpassagier unternommen zu haben, so war es besonders der heutige Tag, an dem ich alles Unangenehme, welchem ein Zwischendeck-Reisender ausgesetzt ist, doppelt zu fühlen glaubte, da hier jeder Genuß, jede Stärkung des Kranken fehlt, und den erschlafften Magen statt mit Brühe von frischgeschlachtetem Federvieh zu stärken, solchem nur gesalzenes Fleisch und stinkendes Wasser zugeführt werden kann.
New-York im August 1839.
Fortsetzung.
Bis den 18. August ging die Reise ziemlich gut und nichts Bemerkenswerthes kam vor, außer daß am letztgenannten Tage der Wind das Schiff in eine unordentliche, für uns äußerst widerwärtige Bewegung versetzte, indem es sich nicht regelmäßig nach vorn und hinten hob und senkte, sondern mit dem Hintertheile tiefer als mit der Spitze einsank und doppelt so viel Zeit brauchte, um sich wieder zu erheben. Hatte es sich endlich ins Gleichgewicht empor gearbeitet, so neigte es sich am Vordertheil um einige Fuß und fiel dann wieder zurück, welche anhaltende Bewegung gleich Sturm zum Erbrechen reizte und viele Passagiere seekrank machte.
Obschon das Tabacksrauchen aus verschlossenen Pfeifen im Zwischendeck vielen Passagieren unangenehm war, um wie vielmehr hätte aber, Feuersgefahr halber, das Cigarrenrauchen im Innern des Schiffes verboten seyn sollen? Dieses war aber bei uns nicht der Fall, da sowohl am Tage wie auch des Nachts Cigarren in den Schlafstellen geraucht wurden. Alle Vorstellungen, daß beim vorhandenen Pulver leicht mögliche Gefahr zu befürchten sey, halfen Nichts; man berief sich auf Ober- und Untersteuermann, welche ebenfalls mit brennender Cigarre, zu Verabreichung der Lebensmittel in den untern Schiffsraum stiegen, und so riskirte man lieber das Leben, als einer Leidenschaft zu entsagen.
Am 9. August war es aber leicht möglich, daß wir für diesen Leichtsinn bestraft werden sollten. Ein Passagier legte auf dem Wege zum Appartement die brennende Cigarre auf die Kajüten-Küche neben ein Segeltuch und[S. 58] vergaß solche wieder an sich zu nehmen. Vom Wind angefacht, fing Letzteres Feuer, und schon schlug die Flamme nach den ausgespannten Segeln, als ein entschlossener Matrose den Feuerklumpen ergriff und über Bord warf. Von jetzt an wurde erst alles Rauchen im Zwischendeck streng untersagt, welches bis hieher zwar nicht erlaubt, dennoch aber auch nicht verboten war.
Am 10. erhielten wir die ersten Vorboten des nicht mehr fern seyenden Landes, indem uns ein gelblich grünes Meergewächs entgegen schwamm, welches unsern Wachholderstauden ähnlich und mit kleinen grünen Beeren besetzt war, und zum Aufenthalt einer Masse kleiner Thierchen diente, welche im Dunkeln gleich hellen Funken leuchteten.
Gleich wie das Schiff während der Reise immer mit Möven und andern Seevögeln umgeben war, welche ab und zuflogen, eben so stellten sich auch am 12. die ersten Schwalben ein, welche uns gleichsam zu bewillkommnen schienen, das Schiff umschwirrten und sich traulich auf Taue und Masten niederließen.
Der Kapitän aber suchte fortwährend die Nähe des Landes zu verheimlichen, um uns entweder damit zu überraschen, oder die Möglichkeit erwägend, daß wir zwar nahe am Ziel, dennoch von Neuem verschlagen werden könnten, und hielt so, die Entfernung immer noch auf mehre Tage angebend, die Erwartung gespannt.
Das uns gereichte Trinkwasser war nicht mehr zu genießen, und da am 11. das Mittagsbrod ebenfalls dem Schweinefutter glich, indem die Mehlgraupen vom stinkenden Wasser blau und gleich Leinweberschlichte nicht munden wollten, so war der Unwille allgemein; die Holzkübel mit dem Essen wurden aufs Verdeck getragen und der Kapitän gefragt: „ob das die versprochene genießbare Beköstigung sey?“ Auch wurde jetzt ernstlicher besseres Trinkwasser verlangt, gleich dem, welches die Matrosen und[S. 59] Kajüten-Passagiere erhielten, da durch heimliches Hinabsteigen in den untern Schiffsraum einige Passagiere in Erfahrung gebracht, daß von solchem noch mehre Fässer vorhanden waren. Das Letztere wurde gewährt, nachdem sich der Kapitän selbst von der Ungenießbarkeit des faulen Wassers überzeugt hatte, und Alle fielen mit solcher Begierde über das Wasser (welches immer schon sechs Wochen alt war) her, als wenn es das beste Lagerbier gewesen wäre.
Bei Austheilung des bessern Wassers fand die größte Ungleichheit statt, so daß sich die Zudringlichsten doppelte Rationen zu verschaffen wußten; andere hingegen, welche Krankheit ans Lager fesselte, um so weniger erhielten. Es erging daher von mehren Seiten an mich, der das Laufen so ziemlich wieder gelernt hatte, die Bitte, mich der Sache anzunehmen und mehr Ordnung und Gleichmäßigkeit herzustellen. Von dieser Zeit an wurde von mir jeder Schlafstelle das ihr gehörige Quantum Wasser richtig zugemessen.
Den 15. früh, beim kaum dämmernden Morgen, erscholl der längst ersehnte Ruf: „Land! Land!“ mit welchem einige Passagiere, die diese milde Nacht auf dem Verdeck zugebracht, Alles in Allarm brachten. Jeder verließ schnell das Lager, um das Ziel seiner Wünsche zu sehen.
Auch auf mich wirkte dieser Ruf mit Zauberkraft, so daß ich mit Leichtigkeit aufsprang und zum ersten Mal ohne fremde Hülfe auf das Verdeck eilte. Doch Land war zur Zeit nirgends noch zu sehen; nur das Wegreisen der Abtritte und die Sage der mit dieser Arbeit beschäftigten Matrosen gab Veranlassung zu diesem Scherz. Doch das Erstere ließ vermuthen, daß wenigstens der Kapitän des nahen Landes gewiß seyn mußte, wodurch Viele getäuscht, in jeder dunkeln Wolkenmasse den neuen Welttheil zu erblicken wähnten.
Mir selbst bleibt jener Morgen unvergeßlich. Ich bin nicht vermögend, die seeligen Gefühle zu beschreiben, welche theils[S. 60] die Gewißheit baldiger Befreiung aus dem Kerker, in dem ich fünf Wochen krank auf dem Strohsack liegend, zugebracht, hervorruften, theils aber auch den Glauben, das Ende aller Leiden vielleicht heute noch auf amerikanischem Boden zu erreichen, bekräftigten.
Die stille großwogende See lag wie ein Spiegel vor uns ausgebreitet, über uns wölbte sich der heitere Himmel und schien am äußern Horizont auf den Meereswellen zu ruhen. Nichts vermochte die Sehnsucht nach dem neuen Vaterlande zu stillen, keiner wich einen Augenblick vom Verdeck, Essen und Trinken ward vergessen, bald da, bald dort das Land entdeckt, doch immer war es nur ein Trugbild der Phantasie. Nur mit Mühe konnte ich in der vom Steuermann angegebenen Richtung mittelst des Fernrohres am Rand des Horizontes etwas unterscheiden, welches die Küste seyn sollte, die sich, je nachdem das Schiff sich hob oder sank, bald höher über dem Wasserspiegel zeigte, bald wieder ganz dem Blick entschwand. Andere Passagiere sahen wegen der schaukelnden Bewegung gar nichts durch das Fernrohr, wieder andere behaupteten, nur eine Wolke zu erblicken, und somit wurde Neugierde und Sehnsucht fort und fort gesteigert und Einer hielt den Andern nur zum Besten. Erst gegen 8 Uhr konnte man jenen Punkt, welcher der neue Welttheil seyn sollte, als feststehend in der beweglichen Wellenmasse mit bloßen Augen erkennen, welcher sich, je näher wir kamen, immer weiter ausbreitete und höher emporstieg. „Land! Land!“ war der einzige Ruf, den man von jetzt an hörte. Väter hoben die Kinder in die Höhe und zeigten solchen das neue Vaterland, von welchem sie ihnen schon so vieles Unglaubliche erzählt und die Neugierde gereizt hatten. Alte Mütterchen weinten, da sie beim Anblick bergiger Höhen an die verlassene Heimath erinnert wurden, wo sie die Jugendzeit verlebt und noch manches theure Familienglied zurückgelassen.
Immer deutlicher wurden die grünen Ufer mit ihren waldbedeckten Bergen, woraus da und dort wie ein Lichtpunkt ein weiß angestrichenes Haus hervorragte, und mit jedem Augenblick mehrten sich die neuen Gegenstände, welche die Aufmerksamkeit fesselten.
Von allen meinen Gedanken und Empfindungen in diesem Augenblicke Rechenschaft zu geben, ist unmöglich. Der große Kolumbus stand vor meiner Phantasie, und ich empfand deutlich, was er empfunden haben mochte, als ihn nach vielen Gefahren der Freudenruf: „Land! Land!“ überraschte. Also auch du sollst die Erde sehen und den Boden betreten, welchen der große Ozean von deinem Vaterlande trennt, und der in der frühen Jugend schon deine Aufmerksamkeit gefesselt? Wer hätte das gedacht, mir solches voraussagen können! Der Mensch ist also ein Spielball des Geschickes.
Der Kapitän hatte kaum eine blaue Flagge als Zeichen, daß sich noch kein Pilot auf dem Schiffe befinde, aufgezogen, als aus verschiedenen Richtungen kleine Fahrzeuge auf uns zusteuerten, welche sich den Rang streitig zu machen suchten. Jede Welle schien das gebrechliche flache Boot verschlingen zu wollen, und je näher sie kamen, desto ängstlicher ward uns zu Muthe, da man jeden Augenblick glaubte, sie hätten ihr Grab in der Tiefe gefunden; doch eben so schnell kamen sie wieder zum Vorschein, um von Neuem zu verschwinden.
Nachdem eins der Boote sich uns genähert, wurde ihm ein Seil zugeworfen, an welchem einer der sechs Männer, die es barg, das Schiff zu erklettern suchte. Alles drängte sich neugierig zu, um den ersten unerschrockenen Menschen der neuen Welt zu sehen, welcher sich nicht scheute, auf einem Fahrzeuge gleich einer Nußschale bei Sturm und Gewitter den Meereswellen zu trotzen, den Reisenden weit in die See entgegen zu schwimmen, um das Schiff, da[S. 62] er vertraut mit Untiefen und Klippen ist, in sichern Hafen zu geleiten.
Der Lootse übernahm nun die Leitung des Schiffs und den Befehl über die Matrosen, sprach wenig mit dem sich zurückziehenden Kapitän, placirte sich nicht weit vom Steuer auf die Blanke des Schiffs und warf von Zeit zu Zeit das Senkblei aus. Bei schwachem Wind fuhren wir nur langsam in die Bai von New-York zwischen long Island und staten Island ein, und warfen vor der Quarantaine-Anstalt Anker.[29]
New-York im August 1839.
Ausschiffung.
Wie bei Entlassung eines Inhaftirten das Geräusch der ihm abnehmenden Ketten, demselben ein noch nie vernommener Wohlklang ist und sich noch im Kerker frei und glücklich fühlt, eben so hocherfreut waren Alle, als die schweren Ketten die Anker rasselnd in den Meeresgrund hinabließen, und wir uns, geborgen vor Sturm und Wellen, dem nahen Ufer gegenüber befanden. Brennend vor Verlangen, die feste Erde wieder zu betreten und an frischem Brod und Wasser uns zu laben, wünschten wir nach Abgang des Kapitäns selbst ans Ufer zu fahren, wovon wir aber mit dem Bescheid zurückgehalten wurden, daß Niemand das Schiff verlassen dürfe, bevor der Quarantaine-Arzt den Gesundheitszustand der Passagiere untersucht und durch Nachzählen der Personen ermittelt sei, ob die An[S. 63]zahl derselben mit der Größe des Schiffes nach der Tonnenzahl[30] im Einklang stände.
Bald darauf kamen in einer mit der großen amerikanischen Flagge geschmückten Gondel zwei Herren an, wovon der Eine sich als Arzt, der Andere als Gerichtsperson ausgab. Die Sache selbst aber, warum sie erschienen, war von ihnen nur oberflächlich behandelt. Die sich ins Zwischendeck zurückgezogenen Passagiere wurden während des Hinaufsteigens gezählt und nach der Kajüten-Seite zu verwiesen, weshalb sich leicht und unbemerkt aus dem Zwischendeck durch die Vorkajüte und beim Ersteigen der Kajüten-Treppe überzählige Personen, wenn sich solche am Bord befanden, wieder mit den gezählten vermischen konnten. Eben so schnell wurden die Schlafstellen selbst untersucht, und das Nichtauffinden Versteckter außer Zweifel gestellt.
Keiner wollte ins Spital wandern und Krankheits halber zurückbleiben. Alles hatte die Lager geräumt und den Ausschlag möglichst zu verbergen gesucht. Mit klopfenden Herzen harrten solche unreine Passagiere des Weitern, als der Befehl erging, uns en fronte aufzustellen. „Rechts um, Marsch!“ wurde kommandirt und im Gänseschritt mußten wir vor dem Arzt vorbeidefiliren, wobei Jeder die Zunge möglichst lang hervorstrecken mußte, um den darauf sitzenden Krankheitsstoff erkennen zu können. Demnach waren binnen fünf Minuten 208 Passagiere als gesund erkannt und als tüchtig zum Eintritt in die vereinigten Staaten befunden worden.
Um uns lagen Schiffe von verschiedenen Nationen vor Anker, unter welchen man an der aufgehängten Wäsche auf den Segelleinen die erkannte, welche mit Auswanderern befrachtet waren.
Auch wir erhielten jetzt Befehl, die Wäsche zu wechseln, sowie alle schmutzigen Sachen möglichst zu reinigen, damit morgen, dem Abgange nach New-York, nichts im Wege stehe. Alles kam jetzt in Allarm. Die Holzkübel, woraus es Manchem so trefflich geschmeckt, wurden in Waschgefäße verwandelt und darinnen das Ungeziefer in Unzahl ersäuft. Das Bild eines aufbrechenden Lagers stellte sich dar; hier wurde ein- dort ausgepackt, die Strohsäcke ins Wasser geworfen und diesen manches Hemde, ja ganze Anzüge nachgeschickt. Theils durch Scherz oder aus Muthwille wurden unbrauchbar gewordene Koch- und Nachtgeschirre und leere Bouteillen ins Meer geschleudert, wodurch es an Zank und Streit nicht fehlen konnte, und wobei ein Bubenstreich leicht noch zur Balgerei Veranlassung gab, da man böswillig eine der Leinen zerschnitten, auf welcher mehre gewaschene Hemden gehangen, welche nun der Wind ins Wasser trieb.
Ich und mein Neffe verfehlten ebenfalls nicht uns umzuziehen, und die noch wenig Werth habenden Kleider mit allen Bewohnern wurden in die Fluthen des Meeres befördert. Auch den Leib suchte man möglichst zu reinigen, was freilich nur unvollkommen geschehen konnte, weil dazu der Ort mangelte, an dem es der Anstand erlaubt hätte, solches ungenirt thun zu können; doch hinderte dieses Viele nicht. Frei, den halben Leib entblößt, standen sie da, und boten so, nicht achtend der Eltern Bitten, die erwachsenen Kinder zu berücksichtigen, der Unschuld Hohn. „Nichts mehr von Befehlen, Freiheit ist das Loosungswort, morgen wird das Land betreten, wo Einer wie der Andere gilt!“ Dieß war die Antwort der Frechen.
Bei solchen Gesinnungen war es am räthlichsten, sich stillschweigend von Individuen zu sondern, welche zum Abschaum der Menschheit gehörten und den innern Schiffsraum zu meiden, der heute mehr als gewöhnlich durch Scheuern vor den Schlafstellen gereinigt wurde, und wo[S. 65] man sich um so bänglicher fühlte, seitdem man dem Lande so nahe war, wo der Blick mit sehnlichem Verlangen auf dem Gestade verweilte.
Herrlich und groß ist der Eindruck, welchen die paradiesische Landschaft gewahrt, und übersteigt alle Erwartung. Das Quarantäne-Gebäude am Fuße von staten-Island, welches mit drei Reihen jonischer Säulen geziert, wie ein fürstlicher Pallast emporsteigt, fällt am ersten ins Auge. Weiter hinauf erblickt man freistehend oder zwischen Bäumen die verschiedenartigsten Breterhäuser aufgebaut, welche alle einen Anstrich von weißer Oelfarbe haben und äußerst nett aussehen. In sanften Anhöhen erhebt sich staten-Island mit allen Reizen der Natur. Die Bäume prangten noch mit dem üppigsten Grün, nur die Wiesen fingen an gelb zu werden; sie dienen zum Aufenthalt zahlreicher Heerden von Hornvieh und Pferden, deren Glockengetön uns melodisch ansang. Die meisten Felder waren ebenfalls schon bis auf den in Haufen stehenden Hafer geräumt; nur der Mais stand noch im vollen Grün, und verherrlichte die Landschaft mit seinen rothen Büscheln.
Rechts ist long-Island, deren rauhe mit Wald bewachsenen Bergwände an die Urwälder erinnern; doch auch auf dieser Seite sind weiter hinab, hinter Bäumen versteckt, einzeln stehende weiße Häuser sichtbar.
Die Einfahrt zwischen long-Island und staten-Island erweitert sich nach New-York hin immer mehr zu einem See, und unvergleichlich ist auch hier das Panorama, welches sich dem Auge darstellt. Viele Schiffe lagen theils vor Anker, oder fuhren mit geschwellten Segeln hin und her; eben so erkannte man an den dicken Rauchsäulen die Dampfschiffe, welche zum Transport nach andern amerikanischen Staaten, oder zur Kommunikation von New-York und den Eilanden dienen. Kleine Boote umschwärmten in Unzahl die Gestade und ließen schon hier das innere[S. 66] Leben erkennen. Am äußersten Ende liegt New-York, eine der größten Handelsstädte der Welt, umgeben von Schiffen aller Nationen, deren Masten dem Auge selbst den Anblick der Stadt entziehen, und nur die zahlreichen Thürme und großen Feueressen der Fabrikgebäude ragen über die Erstern hervor. Durch kleine befestigte Inseln und eine auf der hervortretenden Landspitze von long Island erbaute zirkelrunde Batterie, welche mit einem Fort auf einer gerade gegenüber liegenden Insel korrespondirt, wird die Stadt vor feindlichen Angriffen geschützt. Verschiedene andere Werke vertheidigen die Einfahrt in die Bai.
Unter solchen Ansichten und Betrachtungen war der Abend herbeigekommen, das Gewühl auf dem Schiffe legte sich, und jeder von uns suchte ein Ruheplätzchen, welches aber diese letzte Nacht auf dem Fahrzeug um so härter und unbequemer war, da die meisten Strohsäcke über Bord geworfen waren, und man befürchten mußte, von Neuem Ungeziefer zu bekommen. Die rege Phantasie hielt mich lange auf dem Verdeck wach, bis auch mir der Gott des Schlafes die Augen schloß, und süße Traumbilder eilten nach dem Land der Hoffnung voraus. Doch bald wurden wir von Neuem durch das Anschlagen der Wellen und das Brausen des Windes geweckt, welcher das Schiff vom Anker zu reißen drohte. Ein fürchterlicher Orkan hatte sich erhoben, welcher das Fahrzeug, gehalten von zwei großen Ankern, dennoch eine Strecke zurückschob. Alle Ursache hatten wir, Gott zu danken, daß wir nicht um einen Tag später hier an sicherer Stätte ankamen; denn wer vermag zu sagen, was vielleicht auch aus uns so nahe am Ziele geworden wäre, da manches Schiff in dieser furchtbaren Nacht gestrandet und ein Opfer der Sturmeswuth geworden ist. Als aber am Morgen der wüthende Orkan eben so schnell sich gelegt, als er entstanden, und die Alles belebende Sonne freundlich auf uns hernieder[S. 67]blickte, da entquollen manchem Auge Thränen des Dankes, und tief gerührt versank ich in Anbetung der Allmacht.
Am 17. August gegen Mittag legten sich zwei Transportschiffe an unser Fahrzeug an, worauf außer den Passagieren auch sämmtliche Kisten geladen wurden, die nicht im untern Raume des Schiffs verpackt, sondern neben den Schlafstellen gestanden hatten, und brachten uns nach der einige hundert Schritte vom Ufer entfernten, auf im Wasser eingerammelten Pfählen erbauten Barriere, wo wir von Neuem ausgesetzt und die Sachen einer Revision unterworfen wurden, damit nichts Steuerbares unverzollt eingebracht werden konnte. Doch die geöffneten Kisten wurden nur oberflächlich untersucht, so daß man sich damit begnügte, nur die obern Schichten abzunehmen, ja selbst bei mehren Koffern nicht einmal Hand anzulegen für nöthig hielt, und sofort mit Kreide das Zeichen geschehener Revision signirte. Nur meinem Landsmann, dem Zimmermann S., welcher eine Kiste mit altem Werkzeug fest vernagelt und nicht vorher geöffnet hatte, wurde solche mit Gewalt aufgeschlagen und bis auf den Boden entleert.
Während obiger Prozedur erkundigte sich ein gewisser Herr Rückardt, Agent der deutschen Gesellschaft in New-York, nach unserm Stand und Gewerbe, und gab den Ort seiner Wohnung an, wo wir, wenn es nöthig seyn sollte, uns Rath holen könnten, ohne jedoch irgend einem der 208 Deck-Passagiere sofort ein Unterkommen zuzusagen; auch stellte er Mehren die Aussicht auf ein solches nicht als erfreulich vor, welches den Muth Vieler nicht wenig niederschlug, da sie, von aller Baarschaft entblößt, auf sofortiges Unterkommen und Verdienst gerechnet hatten. Doch, „nur den Muth nicht verloren!“ (rief Einer dem Andern zu), „noch sind wir nicht am Ziele; erst in der Stadt angekommen, werden wir im Lande der Freiheit schon das Nöthige finden!“
Schnell wurde Alles wieder auf die Schiffe gebracht, um neu Ankommenden Platz zu machen. Ein schneidender Wind schwellte die Segel, und Nachmittags 4 Uhr nach einer sechs Wochen langen Seereise erreichten wir glücklich die mit Menschen angefüllten Ufer von New-York.
New-York im September 1839.
Erster Aufenthalt in New-York.
Anstatt daß man sonst den Ankömmlingen sogar ins Meer entgegenfuhr, um Arbeiter auszusuchen, fand sich jetzt als Gegensatz nicht Einer am Ufer ein, der Nachfrage hielt. Zwei Frauenzimmer waren die Einzigen, welche sofort offene Stellen erhielten.[31] Nur eine Art Seelenverkäufer deutscher Abkunft schienen höchst erfreut, den neu Ankommenden ihre Dienste anbieten zu können, und rekommandirten uns sogleich Kosthäuser, in welchen wir sehr gut und enorm billig logiren könnten; auch bei dem fernern Unterkommen versprachen solche mitzuwirken, da sie überall bekannt wären und Jedem Rath zu geben wüßten.
Wir sämmtlichen Sachsen und Thüringer bezogen das deutsche Haus, wo wir aber bald die Erfahrung machen mußten, geprellt zu werden; auch die vermeinten Freunde[S. 69] erkannten wir jetzt als im Solde des Wirths stehende Bursche, welche nur dazu dienten, seine Wirthschaft zu empfehlen, ihm in häuslichen Verrichtungen an die Hand zu gehen, und bei jeder Gelegenheit den mit allen Verhältnissen noch unbekannten Einwanderer um das Seinige zu bringen und durch Versprechung aller Art zum längern Verweilen hier zu bewegen.
Den ersten Genuß, welchen ich mir nach so langer Entbehrung zu verschaffen suchte, war eine Bouteille Bier; ich gab dafür in Ermangelung kleinen Geldes einen ganzen Dollar[32], worauf ich von einem der vorbenannten Bursche während des Gedränges von allen Seiten, in mir noch unbekannten Geldsorten, das Zuviel zurück erhielt, woran aber nicht weniger als ein halber Dollar fehlte, wie mir ein des Geldes Kundiger bemerkte, dem ich solches zeigte. Der Herr Marqueur selbst war aber sogleich verschwunden, und der Wirth hielt sich nicht verpflichtet für seine Leute einzustehen.
Ich war also der Erste, welcher auf amerikanischem Boden Lehrgeld bezahlte und darüber mehr, als über den Verlust selbst, erzürnt, schwur ich Vergeltung, und suchte meine Gefährten dahin zu bestimmen, daß solche erklärten, das Quartier sogleich zu verlassen, wenn mir das noch fehlende Geld nicht augenblicklich restituirt würde. Diese Drohung half und die Möglichkeit des Irrthums vorschützend, bat der Wirth jetzt um Verzeihung und gab, was sein Helfershelfer genommen, mir nothgedrungen zurück.
Die Abendmahlzeit mundete den Ausgehungerten trefflich, und man war nicht wenig erstaunt über die reichbe[S. 70]setzte Tafel, auf der auch die Suppe, welche sonst in Amerika nicht gebräuchlich ist, nicht fehlte. Der dabei gereichte Thee mit üblichem Gebäck ließ vollends den an frugale Kost gewöhnten Deutschen nichts zu wünschen übrig, und alles Andere vergessend, suchten wir heute frühzeitig das Lager, um nach langen Strapazen auf festem Boden uns von Neuem zu erholen.
Auch das Frühstück war uns neu; zu dem Kaffee gab es, gleich wie am Abend, gebratene Fische und Fleisch, Eier, Backwerk, süß und sauer Eingemachtes; auch Butter und Käse fehlte nicht.
Nach dem Mittagsmahl, welches zugleich als Probe diente, ward festgestellt, was die Person täglich zahlen solle; dies betrug für Kost und Logis fünf Schilling, welche Summe zahlreichen Familien auf die Länge der Zeit zu geben nicht möglich war. Es aßen daher, um das Mittagessen zu ersparen, die ersten Tage Viele nur Morgens und Abends, doch half das Hungern nichts, denn das Versäumte mußte mit bezahlt werden, da für Alle gedeckt und es ihre eigene Schuld war, gefastet zu haben. Alles Sträuben half nichts, denn der Wirth war im Besitz ihrer Effekten und ließ solche nur nach berichtigter Zahlung erst verabfolgen.
Bald zerstreute sich Alles, Arbeit suchend, in die Stadt, welche Erstere aber nirgends zu finden war, da vor Allem die englische Sprache mangelte. Selbst die Unterhändler, woran es nicht fehlt, sich aber den Dienst theuer bezahlen lassen, bringen nur selten Einen unter, und ist letzteres der Fall, dann gewiß an einem Orte, wo kein Eingeborner arbeiten will, oder das Geschäft selbst nur von kurzer Dauer ist.
Auch unser Landsmann, der Schuhmacher F. mit Empfehlungsschreiben versehen, sah sich schrecklich betrogen, da der vermeinte Fabrikherr, an welchen er vom Hause[S. 71] aus empfohlen, nichts weiter als ein Kommissionär[33] war, welcher gegen Zahlung den Namen des Suchenden notirte und die Weisung ertheilte, später wieder nachzufragen. Was sollte er nun anfangen? Womit sich und Familie ernähren? Da er auch nicht sofort auf sein Geschäft Arbeit erhielt[34], so blieb ihm und seinem alten Vater nichts weiter übrig, als beim Ein- und Auspacken der Schiffe Arbeit zu suchen, bis sich sein Loos vielleicht in der Folge besser gestalte.
Gleiches Schicksal traf einen Kajüten-Passagier unseres Schiffes, welcher als Architekt ebenfalls an obigen Herrn adressirt war. Schon auf der Seereise, wo bei Gefahren die Herzen sich nähern und öffnen, erfuhr Mstr. F., daß eine Bestimmung sie in New-York näher zusammenführe, und schon sahen sie im Geiste das weitverzweigte Geschäft, welches Schuhmacher und Architekten zu beschäftigen vermöge. Vereint gingen sie ihrem Ziele zu, doch Letzterer erfuhr nun auch, was Ersterem schon begegnet war. Auch er[S. 72] sah sich in seinen Plänen betrogen und wußte verzweiflungsvoll nicht, was er von Neuem wählen sollte. Der schweren Arbeit ungewohnt, blieb ihm dennoch nichts übrig, als Hacke und Schaufel zu ergreifen[35].
Am dritten Tage unseres Hierseins kam endlich das so lange in der Quarantaine gelegene Seeschiff, welches unsere übrigen Sachen enthielt, im Hafen an, wo ebenfalls jede Kiste von den Zolloffizianten untersucht ward, und man strenger als in der Quarantaine-Anstalt damit verfuhr.
Nun im Besitz unserer Effekten, verließen mehre Familien sogleich das Kosthaus, in der Absicht, entweder die Reise weiter fortzusetzen oder Privatwohnungen zu beziehen.
Beim Bezahlen der Zeche gab ein Baier Gold, und erhielt das Zuviel in Papiergeld zurück, welches aber bei der Wiederausgabe als falsch erkannt und nicht angenommen wurde. Der Wirth, von welchem er solches erhalten, leugnete dieses, und verlangte den Beweis darüber, welchen der Betrogene nicht geben konnte, da beim Wechseln außer seinen zwei jüngsten Kindern Niemand zugegen gewesen war. Der Arme fluchte, tobte und verwünschte das Land, wo die Schurkerei zu Hause sey. Doch Alles half nichts. Der Wirth blieb bei seiner Aussage und war frech genug, Ersteren mit dem Haushinauswerfen zu drohen, wenn er nicht bald ruhig sey. Diesen Streit hörte einer der vermeinten Freunde, welche uns bei der Ankunft am Ufer so herzlich empfingen, ruhig mit an, und schlug sich jetzt ins Mittel, indem er die falschen Noten für einen Dritttheil ihres aufgemerkten Werthes ankaufte; doch nicht um solche zu vernichten und so für die Folge unschädlich zu machen? Nein! Sicher wurden sie im Taschenbuch verwahrt, um einen neu[S. 73] ankommenden Landsmann damit zu beglücken. „O, die Schurken!“
Doch auch die Wirthe werden mitunter betrogen, da Viele bei der Ankunft nichts Baares mehr haben, und außer dem, was sie am Leibe tragen, keine Garderobe weiter besitzen. Doch schlau genug wissen sie solches zu verbergen, so daß der Wirth glauben muß, ein Theil der Effekten, welche sie für Andere vom Schiff mit ins Kosthaus tragen, sey ihr Eigenthum, und als Unterpfand gewiß; doch bevor noch der rechte Eigenthümer sich zu erkennen giebt, sind die Erstern verschwunden.
Auch ich muß gestehen, daß ich, für den an mir beabsichtigten Betrug, mich dadurch revanchirt habe, daß ich auf ähnliche Art Zweien durchhalf. In dem Keller, wo sich meine Sachen in Verwahrung befanden, waren nebst mehren andern auch die untergebracht, welche Zweien meiner Landsleute gehörten, die, von aller Baarschaft entblößt, von ihren Kleidungsstücken hätten verkaufen müssen, wenn sie die Zeche bezahlen sollten.
So eben hatten wir erst mit ansehen müssen, wie der Wirth solche Effekten für einen Spottpreis in Anrechnung brachte, weshalb ich den Vorschlag that, ihre Koffer, als mir zugehörig, vom Hausknecht zu verlangen, wenn ich abgerechnet, und der Wagen zum Transport der Sachen ins neue Quartier da sey. Sie selbst sollten nach dem Essen wie gewöhnlich um nach Arbeit auszugehen, diesem Hause den Rücken wenden und niemals wiederkehren.
Alles ging nach Wunsch und Willen. Den Beiden waren ihre Sachen erhalten und ich gerächt[36].
Das neue Quartier in Pitt-Street war bezogen, und für eine kleine Stube und Kammer, sonst nichts, 4½ Dollar monatlich vorausbezahlt, da die Hauswirthe des häufigen Betrugs halber nicht mehr kreditiren. Die Stube, von den Vorgängern schlecht gehalten, wurde von meinem Neffen gesäubert, währenddem vom Glaser R. Kartoffeln zum Abendbrod besorgt wurden, und ich selbst schaffte vom nahen Bauhofe das nöthige Brennholz herbei. Demnach war die neue Wirthschaft schnell etablirt, wobei uns das zur Seereise angeschaffte Küchengeschirr trefflich zu statten kam, und dem Hausrath nur ein Wassereimer und Besen zugesellt zu werden brauchte, da Kisten und Koffer, Tisch und Stühle ersetzten. Nur das weiche Lager fehlte noch; doch auch dies hatte sein Gutes, und gewöhnte an spätere Strapazen.
Die Familie S. bezog neben uns ebenfalls eine kleine Wohnung im Souterrain, nachdem solche schon im Kosthause das Gewehr versilbert hatte. Von Kummer und Sorge entstellt, hing der Familienvater nur noch in Haut und Knochen, und die Kinder mußten ihr Heil bei guten Menschen suchen.
Um mich selbst zu orientiren, wie und auf was für Art man hier, Alles was Bezug auf Brennerei hat, in den Werkstellen anfertige, sah ich bei Kollegen nach, ob sie Arbeit zu vergeben; doch umsonst waren alle meine Bemühungen, denn nirgends fand ich ein Unterkommen. Man schützte da, wo ich verstanden wurde, schlechte Zeiten vor, und wo man mich nicht verstehen wollte, blieb man die Antwort schuldig, und der Gehilfen Gruß war „God damn (Gott verdamme mich) schon wieder deutsche Bettler!“
Ein Tag verging so wie der andere, und wahrlich viel Geduld gehörte dazu, auf die Länge solch ein Faulenzerleben zu ertragen; nur das Mannichfaltige in dem be[S. 75]wegten Leben und Wirken der New-Yorker läßt Einem weniger empfinden, daß man ohne Beschäftigung ist, wenn nicht die schmelzende Kasse täglich mehr daran erinnerte. Ich selbst suchte mir, an das Quartier gebannt, die Zeit damit auszufüllen, daß ich täglich Alles was ich gehört und gesehen auf das Papier zu bringen mich bemühte, um es nächstens an Euch zu berichten. Doch nicht als treues Bild mag es gelten, dazu gehört mehr Zeit und Gelegenheit, sondern nur als Skizze sey es zu betrachten.
New-York im September 1839.
Fortsetzung.
New-York, nach London wohl die erste Handelsstadt der Welt mit 300,000 Einwohnern, unter welchen sich gegen 40,000 Deutsche befinden, ist auf eine Insel gleichen Namens gebaut, welche 4 Stunden lang und ½ Stunde breit seyn soll. Am südlichen Ende derselben steht die Stadt, welche sich von einem Fluß zu dem andern erstreckt. Der Nordfluß, Hudson genannt, ist beinahe eine Stunde breit, der Ostfluß etwas schmäler.
Das Wasser ist für die größten Schiffe bis dicht an die Stadt tief genug, und erleichtert so den großartigen Verkehr, welcher sich vorzüglich am Ostflusse befindet. Auch sind, um der Mehrzahl von Schiffen die Möglichkeit zu verschaffen, auf einmal bequem aus- und einladen zu können, von funfzig zu funfzig Schritten auseinander, in das Wasser hineingeführte, etwa dreißig Fuß breite und hun[S. 76]dert Fuß lange Barrieren erbaut, welche auf langen eingerammten Pfählen ihren Stützpunkt haben, und an welchen vorn und auf beiden Seiten die Schiffe liegen.
Nicht zu beschreiben ist das Gewühl der beschäftigten Menge, welche hier in reger Thätigkeit sich befindet, um Waaren herbei, oder fort zu schaffen. Unzähliges Fuhrwerk, meistens zweirädrige Karren, drohen jeden Augenblick, den Fußgänger umzufahren, wenn er verabsäumt, immer vor- und rückwärts zu schauen. Das Schreien und Fluchen der Fuhrleute und Markthelfer wird noch von dem verworrenen Gesang der Matrosen übertönt, welches bei ihnen die Geschwindigkeit bestimmt, wornach ein Waarenballen gehoben oder gesenkt werden soll und so lange anhält, bis Letzterer den Boden erreicht hat. Bei jeder neuen Last stimmt der Vorsänger von Neuem an, und diese Art zu arbeiten ist bei den Matrosen allgemein im Gebrauch, da sie glauben, daß dieses die Arbeit erleichtere.
An dieser Seite der Stadt stehen meist Waarenhäuser dicht neben einander, die nur dann und wann von einer Tabagie unterbrochen werden. Die Magazine sind alle meist hoch, die Straßen eng und unbequem, und wegen des vielen Verkehrs fast immer mit Schmuz bedeckt.
Die Straßen des Nordflusses sind dagegen weit luftiger und bequemer, aber der angenehmste Theil der Stadt ist unstreitig die Gegend der Batterie an der südlichen Spitze der Insel, beim Zusammenfluß des Hudson und Ostflusses. Es ist dieses ein öffentlicher mit Rasen belegter und von Sandwegen durchschnittener Lustplatz von Linden und Pappeln beschattet, und dient bei günstiger Witterung als Aufenthaltsort der schönen Welt. Man genießt hier die schönste Aussicht auf die Bai und die diese umgebenden Inseln, und alle Schiffe, welche stündlich in den Hudson segeln oder aus diesem kommen, bringen eine ewige Be[S. 77]wegung in die Scene. Besonders aber sind es die Dampfschiffe, die theils nach Philadelphia fahren, oder die Kommunikation mit den Inseln unterhalten, und vor der Batterie vorbei müssen, welche das Bild verschönern.
Die schönste Straße ist der Broad-Way, 70 Fuß breit, und 1½ Stunde lang, welche sich von der Batterie aus, nach Norden durch die Stadt ausdehnt, und von vielen Querstraßen durchschnitten wird. Ihre Trottoirs sind an beiden Seiten mit Pappeln eingefaßt, die schönsten Gebäude sind rechts und links aufgeführt. Prachtvolle und reiche Kaufmannsgewölbe wetteifern bei Ausstellung ihrer Waaren. In der Mitte des Broad-Way steht das aus weißem Marmor erbaute Rathhaus, vor dem ein mit hohen eisernen Geländern umgebener Park sich befindet, welcher aber für Jedermann offen ist. Gleich dem Broad-Way sind die Beaverstreet, die Wallstreet und Broadstreet herrliche Straßen, die sämmtlich mit Kaufmannsgewölben besetzt sind, welche alle des Nachts, gleich den Straßen selbst, durch Gas erleuchtet werden. Die unzähligen Lichtflammen, welche besonders am Sonnabend bis tief in die Nacht hinein, die Läden und die im Freien aufgestellten Waaren beleuchten, stellen im Großen das Bild eines Weihnachtsabends dar, wo die in mannichfaltigen Gruppen zur Schau aufgestellten Waaren, malerisch beleuchtet, das Auge entzücken.
Im schönsten Schmuck glänzen fast alle öffentliche Gebäude, von Marmor-Quadern aufgeführt und meist mit Säulen verziert, wie überhaupt kein Geld gespart wird, derartigen Gebäuden ein antikes Ansehen zu geben.
Längs der Ufer, Straßen und Plätze stehen Reihen eleganter Equipagen, welche die Bestimmung haben, schnell und bequem den Fußgänger nach jeden beliebigem Orte der Stadt zu fahren. Außer diesen gehen ohne Unterbrechung große vierspännige Personen-Wagen durch die Hauptstra[S. 78]ßen, in denen man für einen Schilling von einem Ende der Stadt bis zum andern gelangen kann. Zu gleichem Zweck sind in einigen Straßen Eisenbahnen errichtet, auf welchen Pferde die Dampfkraft ersetzen. Wegen des ewigen ununterbrochenen Fahrens und Reitens, ist für Fußgänger das Gehen im Fahrweg gefährlich, und Jedermann, ob leer oder bepackt, hält sich auf den Trottoirs auf, weshalb auch hier die Augen bald rechts, bald links herumschwärmen müssen, um mit keinem Packträger in unangenehme Berührung zu kommen.
In jedem Stadtviertel sind schöne, geräumige, überbaute Markthallen angelegt, wo täglich feil gehalten wird, und wo man alle Arten von Fleisch, Geflügel und Fischen bekommen kann, ferner Gemüse aller Art, und besonders sind es die Kartoffeln, welche hier eine Hauptrolle spielen, da solche der Amerikaner täglich drei Mal genießt, und sie früh zum Kaffee, wie Abends beim Thee, gleich dem Gebackenen, nicht fehlen dürfen. Von Obst sind es besonders die Aepfel, welche den Markt füllen, und von Kokosnüssen und Wassermelonen sind ganze Haufen aufgethürmt; eben so bringt man große Quantitäten von Aprikosen, frischen Apfelsinen, Pomeranzen und Zitronen auf den Markt. Butter, Käse und Geräuchertes wird im Kleinen wie im Großen verkauft, wie überhaupt eine ungeheure Quantität Schweinefleisch, Speckseiten, Butter, Schmalz und sonstige Artikel vorhanden sind. Rundum sind die Märkte mit Bauernwagen umgeben, welche ihre Waaren theils ans Publikum, theils an die Händler abzusetzen suchen.
Kirchen giebt es viele und schöne, mehr noch aber Bethäuser, welche alle zum Heitzen eingerichtet sind. Den Sonntag hält der Amerikaner dem Anscheine nach heilig, besucht früh, Nachmittags und Abends die zur Andacht bestimmten Häuser, und verehrt auf mannichfache Weise[S. 79] die Gottheit. Ich selbst versäume nie, den Gottesdienst der ersten deutschen rationalistischen Gemeinde, wie sie sich nennt, zu besuchen, und was ich da von einem gewissen Försch, Prediger daselbst, welcher sich und seinen Anhang zu Vernunftgläubigen gestempelt hat, mit anzuhören Gelegenheit habe, grenzt an das Unglaubliche. In spätern Briefen werde ich darauf zurückkommen.
Das Bedürfniß der Volksschulen hat man hier ebenfalls erkannt, und es hat demnach jede Gemeinde, theils im Erdgeschoß der Kirche selbst, oder in besondern Gebäuden Schulen errichtet, in welchen die Kinder nicht allein freien Unterricht, sondern auch noch die nöthigen Schulbücher erhalten. Leider wird aber nicht immer der beabsichtigte Zweck erreicht, da nur Wenige Gebrauch davon machen, denn die schulfähigen Kinder durch das Gesetz zum Besuche der Schule anzuhalten, hieße zu weit in die Privatrechte der Menschen eingreifen; als einen unerträglichen Zwang, als eine Beschränkung der individuellen Freiheit würde man es ansehen, wollte man dem Vater die Kinder aus dem Kreise seiner Familie entziehen, und wider seinen Willen zum Schulgehen zwingen. Da nun aber die Kinder hier schon frühzeitig zum Miterwerb und Verdienst, dem Centralpunkt, um welchen sich alles dreht und wendet, angehalten und benutzt werden, so bleibt das Schulwesen in den Hintergrund verdrängt, und daher geht die geistige Ausbildung nur langsam vorwärts.
Das Läuten der Glocken hat nichts melodisches im Gefolge, da auf den Thürmen immer nur eine sich befindet, an welche in kurzen Zwischenräumen angeschlagen wird.
Die größte Reinlichkeit herrscht in den Gebäuden, in welchen die Fußböden und Treppen meist mit Teppichen belegt sind. Eben so sauber sucht man die Trottoirs vor den Häusern zu erhalten.
Da entweder die Höfe in den Gebäuden fehlen, oder ein passender Ort zur Aufbewahrung des Kehrigs nicht da ist, und es auch einmal die Sitte verlangt, so wird aller Unrath auf die Fahrstraße geworfen, wo ihn eine Masse hungriger Schweine durchwühlt, welche das ganze Jahr hindurch frei in den Straßen herumlaufen. Dieselben sind auch mitunter dreist genug, den vor den Storen mit Viktualien, besonders mit Aepfeln angefüllten Fässern zuzusprechen und deren Inhalt entweder zu entleeren, oder diesen wenigstens in Schmutz zu werfen. Auf desfallsige stattgefundene Beschwerde ist daher das Herumlaufen der Schweine bei 5 Dollars Strafe verboten worden. Da man aber hier, wie es scheint, die gepriesene Freiheit bis auf das liebe Vieh auszudehnen scheint, so zeigt Niemand die gegen das Gesetz Handelnden an und die Behörden fühlen sich nicht veranlaßt, weiter einzuschreiten, und demnach bleibt es beim Alten. Was soll man aber von einem Gesetz, von einer Behörde sagen, welche Ersteres giebt, aber dabei einschläft und nicht auf die Aufrechthaltung desselben Sorge trägt?
Feuerunglück ist an der Tagesordnung und Feuergefahr jagt Niemandem mehr Schrecken ein. Vergeht aber wider Erwarten ein Tag, ohne daß es brennt, so sieht sich die Spritzenmannschaft mitunter veranlaßt mit ihrer Kunst und dem Ruf: „Feuer! Feuer!“, welches Geschrei durch hundert Knabenstimmen wiederholt wird, lärmend durch die Straßen zu ziehen und andere Spritzen-Kompagnieen zu einem gleichen Manöver zu bestimmen bis am Ende unter fröhlichem Gelächter, sich das Ganze nur als Scherz herausstellt, worauf dann Alles langsam nach Hause geht. Ist es wirklich Feuer, so zeigt die Hauptlärmglocke auf der City-Hall durch Schläge an, in welchem Distrikte das Feuer ist. Giebt sie nur einen Schlag mit einer Unterbrechung, so ist es im ersten, giebt sie zwei Schläge, im[S. 81] zweiten und so fort; ist das Feuer aber im fünften Distrikt, so wird fortwährend geläutet.
Nebenstehender Abriß der Stadt New-York zeigt die verschiedenen Feuer-Distrikte derselben an. — Zum ersten Distrikt gehört Alles, was vom Fuß der Murray-Street an bis zur City-Hall und von der Mitte derselben in gleicher Linie mit dem Nordflusse bis zur 2ten Straße liegt. Der zweite Distrikt wird durch die letztere Linie begrenzt und einer geraden Linie von der City-Hall aus bis zur dritten Avenue an der 21. Straße. Der dritte Distrikt wird wiederum durch die letztgenannte Linie begrenzt und einer andern Linie, welche von der City-Hall bis zum Ostflusse oberhalb der drei Docks gezogen ist. Der vierte Distrikt wird wiederum durch die letztgenannte Linie begrenzt und nimmt den ganzen Raum zwischen dieser und dem Ostflusse ein bis zur Frankfort-Street hinunter. Der fünfte Distrikt faßt den ganzen Theil der Stadt in sich, der unterhalb der Frankfort- und Murray-Street liegt.
Advokaten, Doktoren und Apotheken giebt es hier in Menge, da Jedermann die Erlaubniß hat, wie in jeder andern, so auch in diesen Branchen, sein Heil zu versuchen. Auch an Zeitungsschreibern fehlt es nicht, sie wachsen wie die Pilse, tauchen auf, und verschwinden eben so schnell wieder. Gegenwärtig sollen nach Zeitungsberichten, 1555 Zeitungen in den vereinigten Staaten vorhanden seyn, wovon 274 auf New-York kommen.
Um sich nun bei dieser großen Anzahl vorhandener Blätter dennoch ein möglichst zahlreiches Lesepublikum zu verschaffen, so wird nichts versäumt, was die Neugierde der Menschen rege machen kann. Immer größeres Format[37] wird gewählt und bei vollkommener Preßfreiheit versucht jedes Blatt leidenschaftlich die Interessen der Parthei, an welche sich dasselbe verkauft hat und der es blindlings huldigt, zu vertheidigen. An Stoff zu den gröbsten Beschuldigungen fehlt es nie, da Whigs und Demokraten, feindselig gegenüber, Alles aufbieten, um einander zu schaden und den kleinsten Anschein eines Vergehens tausendfach vergrößernd an das Licht zu bringen suchen. Als Beleg von der Sprache, wie solche in amerikanischen Zeitungen geführt wird, habe ich folgenden Artikel abgeschrieben: „Herr Marris, Recendor der Stadt New-York, ist vom Gouverneur Seward seines Amtes entsetzt worden. Seine Absetzung ist durch keine Anklage gegen ihn entschuldigt oder gerechtfertigt; sie ist eine von Oben kommende, beispiellose, unerhörte Verfolgung, weil Herr Marris den moralischen Muth hatte, die Augen der Bürger New-Yorks auf entsetzliche Meineidigkeit und Wahlbetrügerei zu lenken, die von einer politischen Parthei an ihnen verübt worden war und weil irgend einem ergebenen Partheiwerk[S. 83]zeuge nach seinem Amte gelüstete. — Wo wird diese Ruchlosigkeit aufhören? Welche Bürgschaft ist dem freien Bürger dieser Republik gelassen, wenn jeder ihrer treuen Diener von der Willkühr eines hochgestellten Subjekts abhängt, das für nichts Sinn hat, als seine eigene und seiner Parthei Amtsbeförderung? Muß nicht jeder Richter im Staate New-York vor dem Despoten Seward zittern, oder sich zum Opfer machen, wenn er es wagt, die Pflichten seines Amtes rücksichtlos zu erfüllen? Ist Gouverneur Seward das höchste Gesetz des Landes, oder das Statutenbuch? u. s. w.“ —
Wie werden nun solche Beschuldigungen widerlegt und bestraft, werdet ihr fragen? Nicht anders, als durch ähnliche Ausfälle und Beleidigungen in den Zeitschriften, wodurch die Reibung unterhalten, die Spalten der Blätter sich füllen und Alles beim Alten bleibt. Dadurch wird Einem bald die Ueberzeugung, daß Preßfreiheit ohne Grenzbestimmung nicht heilbringend für die Menschen seyn kann.
Das Gerichtsverfahren ist öffentlich und wird mehr oder weniger von Neugierigen besucht, je nachdem die gepflogenen Verhandlungen Interesse für sie haben.
Ich selbst habe in Begleitung des Herrn Bindernagel die Gefängnisse besucht und einigen Sitzungen der Geschworenen beigewohnt. Mancher wurde frei gesprochen, Andere dagegen zu harter Strafe verurtheilt, auch ein Individuum zu vier Monaten Gefängniß verwiesen, welches nichts mehr als ein Paar Schuhe gestohlen hatte. Verwundert über solche Strenge, mußte ich vernehmen, daß dergleichen Diebstähle hart geahndet würden, um dadurch vor größern Verbrechen abzuschrecken. Man sagte mir zugleich, daß es auch selten vorkomme, daß der eingeborene Amerikaner sich mit derartigen Kleinigkeiten zu bereichern suche und solches mehr unter seiner Würde halte; könne er aber durch List und Betrug im Handel und Wandel seinen Nächsten um[S. 84] etwas Erhebliches bringen, so finde er solches ganz in der Ordnung und denke dabei: „Esel paß’ auf!“ Dagegen suche sich der Betrogene damit zu trösten, daß er um so viel gescheuter worden sei und jetzt darauf denken müsse, möglichst bald mit gleicher Münze zu bezahlen und so das Verlorene wieder zu gewinnen.
Einige Männer wurden den darum bittenden Weibern wieder frei gegeben, welche wegen Trunkenheit und auf besonderes Verlangen der Letzteren mit Arrest gebüßt hatten. Ueberhaupt ist den Weibern hier großes Recht über die Männer eingeräumt und es dürfen die Letztern nicht mucksen, wenn solches die Erstern nicht haben wollen. Vergißt sich ein Mann und kommt selig nach Haus, so steht der Frau das Recht zu, ihn ohne Weiteres einstecken zu lassen. — Eine Ohrfeige, oder sonstiger Schlag mit der Hand, berechtigt die Frau zu bestimmen, wie lange die liebe Ehehälfte im Loche brummen soll. Das Weib blutig schlagen, zieht harte Gefängnißstrafe nach sich und einen geleisteten Weibereid sollen gar nur zwölf Männer-Zeugen entkräftigen können. — Manche Frau wird sich demnach mit ihrem störrigen Ehegemahl hierher versetzt wünschen und mir es Dank wissen, auf das amerikanische Weiberrecht aufmerksam gemacht zu haben. Aber auch die Männer haben hier ihre eigenen Köpfe und lassen mitunter ihrer süßen Bürde despotisch fühlen, daß der Mann des Weibes Haupt ist.
Zum Schluß will ich Euch in Thalias Tempel einführen, dessen jedesmalige Vorstellung auf 6 Fuß langen Zetteln mit möglichst auffallender Schrift angekündigt wird. — Täglich werden in mehrern Schauspielhäusern, von denen aber das Bowery-Theater das größte ist, Vorstellungen gegeben. Das eherne Pferd zog auch mich an und da die Gallerieen schon gefüllt waren, so suchte ich im Parterre ein Unterkommen. Der Amerikaner macht es sich auch hier wie überall bequem, zeigt sein weißes feines Hemd[S. 85] und streckt die Füße so lange auf die vor ihm stehenden Bänke aus bis mehr und mehr die Plätze sich füllen und er gezwungen wird, sich zu geniren. Mit der Zeit geizend, harrt er ungeduldig des Signals zum Anfang des Stücks und sucht diesen durch Trommeln und Pfeifen zu beschleunigen. Wer möchte aber auch hier Theatersänger seyn, da das Da capo-Rufen kein Ende nimmt und so manche Arie 3–4 Mal wiederholt werden muß. Zum Beifallklatschen schont man die nur zum Verdienst schaffenden Hände und die Füße verrichten durch Stampfen den Applaus. — Dekorationen sind gut, die Maschinerie nicht übel, leider aber fehlt dem Spiele die Kunst und das Ganze verliert durch das ewige Wiederholen der Scenen.
New-York im September 1839.
Fortsetzung.
Bereits sind 14 Tage verflossen, ohne daß ich oder einer meiner Gefährten so glücklich gewesen wäre, ein Unterkommen zu finden. Alle meine Bemühungen, in einer der großartigen Brennereien eine Beschäftigung zu erhalten, waren vergebens, da diese Stellen meist mit Eurischen (Irländern) besetzt sind, welche fest zusammenhalten und keinen Deutschen unter sich dulden.
Die Baarschaft meiner Stubengenossen war gänzlich verausgabt und auch mein Geld ging ziemlich zu Ende, da der Zimmermann S. die ihm in Bremen zur Reise vorgestreckte Summe, weil er selbst noch ohne Verdienst war, nicht zurückzahlen konnte. Das Geld aber anzugreifen, welches für besondere Unglücksfälle, so wie auch zur Reise in das Innere der Staaten bestimmt war, hielt ich nicht[S. 86] für räthlich, so lange noch gesunde Gliedmaßen das Arbeiten möglich machten. Es wurde daher beschlossen, das Letztere zu ergreifen, bei dem Agenten der deutschen Gesellschaft die nöthigen Schritte zu thun und da zu ermitteln, ob nicht auf irgend eine Art Geld zu verdienen sei.
Schon hatte ich mehrmals zur bestimmten Zeit, wo das Komptoir geöffnet seyn sollte, nebst mehren andern stundenlang gewartet, doch Herr Rückardt erschien nicht. Ich sah mich daher veranlaßt, bei unserm Landsmann, Herrn Bindernagel, Bäcker und Mehlhändler auch derzeitiger Präsident der deutschen Gesellschaft, anzufragen, ob das im Interesse der armen Deutschen gehandelt sey, wenn sie Tagelang vergeblich auf die Oeffnung des Komptoirs warten müßten und so von Nothwendigkeit getrieben, schurkischen Mäklern in die Hände fielen.
Herr Bindernagel nahm mich sehr zuvorkommend auf, und war sogleich erbötig, die nöthigen Schritte zu thun, um sich selbst zu überzeugen, ob meine Angabe gegründet sey, und nöthigenfalls das Weitere zu verfügen. — Im Laufe der Unterhaltung kam die Gemahlin des Ersteren auf dessen Zimmer, und fragte an, was solcher heute Mittag zu essen wünsche, ob Schweins-, Hammel- oder Kalbs-Keule? Ich fand dieses im schönsten häuslichen Einklang und war sehr erstaunt über die Aufmerksamkeit der Frau, welche sich zuvor nach dem Appetit des Mannes erkundigte. Nachdem bestimmt worden, was anzuschaffen sey, empfahl mich Herr Bindernagel seiner Frau Gemahlin mit dem Bemerken: mir bis zu seiner Zurückkunft Gesellschaft zu leisten, welches solche äußerst angenehm erfüllte, und dabei mit Wein und Kuchen bewirthete. — Bald kam der Mann, ein halber Millionär, zurück, am Arm den Handkorb mit dem gewünschten Fleisch, welches solcher, nach hiesigem Männergebrauche, der lieben Frau vom Markt geholt. — Ueberhaupt ist es Sitte, daß die Männer bei[S. 87] häuslichen Verrichtungen den Frauen an die Hand zu gehen pflegen, und den nöthigen Bedarf in die Küche aus den Stores (Kaufmannsläden) oder den Markthallen herbeischaffen.
Am nächsten Tage war zur bestimmten Zeit das Komptoir der deutschen Gesellschaft geöffnet, und Herr Rückardt suchte seine Abwesenheit an den vorigen Tagen damit zu entschuldigen, daß er immer erst spät von der Quarantäne-Anstalt zurückgekehrt sey, wo er die neu Ankommenden eben so wie es bei uns der Fall gewesen war, mit Rathschlägen unterstützt hätte.
Auf dieses Komptoir muß man kommen, um ein richtiges Bild zu erhalten, von der armseligen Lage so vieler Einwanderer in jetziger Zeit, wo Mancher genöthigt ist, Arbeit zu suchen, die sich selten weiter, als auf Eisenbahn- und Kanalbau erstreckt, und Viele in der Heimath keine Ahndung hatten, hier mit Hacke und Schaufel ihre Existenz zu sichern und das armselige Leben zu erhalten. Viele Hunderte suchen hier auf dem Komptoir, was selten Einer erhält, Beschäftigung; und ist solches wirklich der Fall, wie sehr verschieden von ihrem ursprünglichen Beruf. Bierbrauer gingen mit als Knechte auf das Land. Maler in Matches- (Zündhölzer) Fabriken, Apotheker in Restaurationen zum Rupfen des Federviehes, Schlosser zum Steineschneiden, Fleischer in Steinkohlen-Niederlagen, Drechsler auf den Fischfang u. s. w. Doch am schlimmsten trifft das Loos die nicht an schwere Arbeit gewöhnten Doktoren, Advokaten, Theologen, Kaufleute und Militärpersonen höhern Ranges, welche selten sogleich in ihrer Branche unterkommen, und häufig in Paradeschritt hinter der Schubkarre her marschiren müssen.
Uns selbst war die Losung, 10 englische Meilen von hier als Handlanger oder Erdarbeiter mit an dem Kanal zu schaffen, welcher New-York mit trinkbarem Wasser ver[S. 88]sehen soll, und erhielten demgemäß eine Anweisung zur 18. Sektion, wohin zu gelangen man das Dampfschiff besteigen mußte. Am andern Morgen segelten wir der neuen Bestimmung zu, wo ich mich selbst, um einen höhern Lohn zu erzielen, für einen Maurer ausgab, welches in Amerika um so leichter geht, da man nach keinem Lehrbrief, Kundschaft oder Wanderbuch fragt, sondern sich einzig und allein auf die Geschicklichkeit verläßt, mit welcher man den Geschäften vorstehen kann.
Meine Gefährden überschlugen schon auf dem Wege hierher die Zeit, wo bei möglichster Sparsamkeit so viel erübrigt werden könne, um die Rückreise in ihre Heimath wieder antreten zu können, denn Allen war der Muth gefallen, und übersatt hatten sie das liebe Amerika, ohne noch recht das eigentliche Drängen und Treiben hier kennen gelernt zu haben.
Alles umsonst, auch hier war keine Arbeit mehr zu erhalten, da der Zudrang zu groß und das nöthige Arbeitsgeräthe fehlte. Mißmuthig bestiegen wir am Abend zur Rückreise das Schiff mit dem Beschlusse, wenigstens das Fahrgeld vom Agenten restituiren zu lassen, da es unverzeihlich war, uns hierher zu schicken, wo kein Unterkommen mehr zu finden war.
Eher noch, als zur bestimmten Zeit, trat ich den Weg zum Agenten an, um Einer mit von den Ersten zu seyn, die Einlaß fänden. Auf der Treppe ruhend, notirte ich soeben ins Tagebuch, was mir Merkwürdiges begegnet war, als ein Geräusch mich störte, und welch’ unverhoffte Erscheinung stellte sich mir dar? Der Landsmann St. stand vor mir. Er gab an, auf einer Reise zu seinem Onkel nach Ostindien begriffen, sey er um einen Tag zu spät in Hamburg eingetroffen, wo das bestimmte Schiff schon fort gewesen sey. Doch einmal hier, und den Dienst aufgegeben, habe er eine sich darbietende Gelegenheit be[S. 89]nutzt, und die Reise nach Amerika mit unternommen. Umsonst war auch sein Bemühen, auf die Feder ein Unterkommen zu finden und er suchte jetzt hier, gleich mir, nach dem, was sich bieten würde.
Auch ihm ward der Bescheid, da wo wir gestern waren, mit Hand ans Werk zu legen, und eben im Begriffe die Reise anzutreten, erfuhr er von mir, was uns dort begegnete. Was kann es weiter helfen, dachte er bei sich selbst, als ihm von Neuem angetragen ward, ein Schiff mit auszuladen, ist auch das Seil am Krahne weit härter als die Feder, so bleibt doch keine Wahl. Was wurde aber mir, auf Bitten und Begehren, für ausgelegtes Geld und unverrichtete Sache? Nichts weiter als Entschuldigungen aller Art, Ermahnung zur Geduld, und wegen leerer Kasse eine Bibel, die mir als Geschenk zugestellt wurde. — In dieselbe habe ich die Zeit, den Ort und die Ursache dieser Gabe aufgemerkt, und bin ich längst nicht mehr, so mag sie bis in die spätesten Zeiten die goldnen Worte auf meine Nachkommen übertragen: „Bleibet im Lande und nähret Euch redlich!“
Der Glaser R. fand jetzt durch Vermittelung eines Mäklers bei einem Schreiner ein Unterkommen, da dessen Geschäft hier nicht als selbstständig besteht, und die Glaserarbeiten von den Erstern mit gefertigt werden. Doch das Glück war von kurzer Dauer, da nach Verlauf der ersten 14 Tage schon, wo der schlaue Amerikaner sich von der Geschicklichkeit seines Gehülfen überzeugt hatte, jener diesen zu bestimmen suchte, für einen billigen Lohn auf längere Zeit sich zu verpflichten; da dieser aber in einen solchen Antrag nicht eingehen konnte, weil dabei mehr zu verlieren als zu gewinnen war, so erhielt er auch für die gefertigten Arbeiten nichts, indem der Meister vorgab, daß Letzterer selbst den Kontrakt gebrochen, indem er vor Ablauf des Vierteljahres die Werkstelle verlassen wolle. Was sollte der Sprach[S. 90]unkundige machen, wie beweisen, daß von einem Vierteljahr-Verband keine Rede gewesen sey? Geduldig mußte er sich das Prello gefallen lassen, und mit langer Nase abziehen. —
Endlich leuchtete uns ein günstiges Gestirn. Unser braver Landsmann, Louis Hallbauer, brachte meinen Neffen mit zu seinem Meister, dessen Geschäft als Bäcker sich vergrößert hatte. Mir selbst wurde durch dessen Vermittelung in der Kupferfabrik des John Benson auf der Insel Brooklyn eine Stelle, und etwas später wurde der arme geprellte Glaser unter die Casserol-Bursche eines französischen Kochs aufgenommen und in dessen unterirdische Küche verbannt.
Eine neue Lehrzeit begann; denn war ich in der alten Heimath selbst Meister in meinem Geschäfte, so mußte doch hier Vieles anders behandelt werden, als bei uns, verschiedene Handgriffe fanden Statt, und besonders erlaubten die mannigfaltigen Maschinen, welche in Anwendung kommen, und das gute Kupfer selbst die verschiedenartigsten Manipulationen des Letztern. Einigen Vierzig Arbeitern wurde es möglich, bei zweckmäßiger Einrichtung des Lokals und allem möglichen Werkzeug, in acht Tagen mehr zu fertigen, als solches hundert Mann in gleicher Zeit bei uns im Stande seyn würden. —
Bis unters Dach der Fabrikgebäude hoben zweckmäßige Maschinen die schweren Kupfertheile, oder ließen die noch schwerern zusammengesetzten fertigen Stücke auf die unten angefahrenen Wagen hinab. Arbeiten, welche man bei uns, der Erschütterung halber, nicht gern über einem Kellergewölbe fertigen würde, werden hier ohne Bedenken im dritten Stock auf den Balkenlagern gemacht. Eben so sind in jeder Etage Blasebälge mit den nöthigen Feuerheerden auf den Dielen erbaut, ohne daß es Jemandem einfallen würde, dieses feuergefährlich zu finden. Man[S. 91] läßt hierin Jeden nach seiner eigenen Ansicht und Willen handeln, wenn solches auch gefahrdrohend für das Ganze seyn sollte, und stellt dergleichen Fälle mit unter die Kategorie der gepriesenen Freiheit. —
Vorzüglich sind es große Utensilien in die Zuckersiedereien der südlichen Staaten, welche gefertigt werden, desgleichen Dampfkessel, Branntweinblasen, Schlangenröhre, wie überhaupt Alles, was man mit dem Namen: große Arbeit belegt. Das kleine kupferne Hausgeräthe verfertigen in Amerika die Klempner, welche außer Messing, Weißblech, Schwarzblech und Zink, auch Kupfer verarbeiten. Ueberhaupt ist das Geschäft der Klempner eines der besten in Amerika, das überall betrieben wird.
Bei Anfertigung der Brennerei-Geräthschaften fand ich nichts, was wesentlich von unseren alten Brennerei-Geräthschaften abgewichen wäre. Blase, Helm und Kühlschlange, sind die einfachen Stücke, woraus solche bestehen. Die mehr zusammengesetzten großen Dampfapparate liefern zwar unmittelbar aus der Maische ein starkes Produkt, solches ist aber nicht rein von Geschmack, indem die Konstruktion so ist, daß sie keine Reinigung der einzelnen Theile zuläßt. Der Branntwein wird daher meistens von Destilateuren nochmals abgezogen und kommt so erst in den Handel. Demnach glaubte ich, mit Einführung Schwarzischer Brenn-Apparate Geschäfte machen zu können, wenn ich erst mehr und mehr der Sprache mächtig und mich mit den wesentlichsten Einrichtungen der amerikanischen Brennereien bekannt gemacht haben würde.
Die Landessprache ist hier durchaus die Seele aller Unternehmungen, und so lange man deren nicht mächtig, und gleichsam den Deutschen, welchen man in keiner Art etwas zutraut, verleugnen kann, so finden alle besseren Angaben kein Gehör, wie ich leider! mehrmals zu erfahren Gelegenheit hatte, und zwar bei Anempfehlung einzelner Theile[S. 92] Schwarzischer Apparate. Demgemäß verhielt ich mich jetzt ganz ruhig, und ging mit meinem Projekte noch nicht hervor, merkte auf Alles was hier gefertigt wird, zeichnete zum einstigen Selbstgebrauch die zweckmäßigsten Maschinen ab, und ersparte mir, durch Selbstbeherrschung und wenigen Bedarf, hübsches Geld.
Einen Unterschied der Stände findet man in der Werkstätte nicht, gleich dem Herrn, sind alle Arbeiter gut gekleidet. Eine leinene Ueberhose mit Latz schützt während der Arbeit vor dem Beschmutzen der Beinkleider und Weste, und vertritt, wie auch bei den Maurern, das Schurzfell, welches hier nicht gebräuchlich ist. Ein weißes oder rothes Hemd, welches immer rein ist, da solches der Amerikaner nach Bedürfniß, wöchentlich mehrmals wechselt, unterscheidet sogleich den Eingebornen von dem Fremdling. Die gewöhnliche Kopfbedeckung, der Hut, wird nie beim Kommen oder Gehen vor dem Herrn gezogen, sondern sitzt des Tages über immer fest auf dem Haupte, gleich in der Werkstätte, wie im Zimmer des Herrn, oder einer Tabagie. Nur mit dem Nicken des Kopfes bezeugt man seine Ehrerbietung. Kein Gehülfe zeigt an, wenn er die nächsten Tage nicht auf Arbeit kommen will; dagegen besuchen die feirigen Arbeiter die Werkstätten häufig, um nachzusehen, ob es bald wieder von Neuem Beschäftigung für sie giebt. Sie sind von dem Vorurtheil frei, daß dieses unschicklich sey.
Gleichwie der Geselle dem Herrn und Meister nicht nachzustehen glaubt, so ist solches der Fall mit dem Lehrlinge und Ersterem. Wehe dem Gesellen, der es wagen würde, einem Jungen zu Leibe gehen zu wollen, gemeinschaftlich würden die Buben über ihn herfallen und jämmerlich zurichten, wie ich selbst mit anzusehen Gelegenheit hatte.
Die Lehrzeit bestimmen die Altersjahre, gewöhnlich zwanzig, da die meisten Amerikaner erst mit dem 16. bis[S. 93] 17. Jahre die Lehre antreten, weil bis dahin die Kinder abhängig von ihren Eltern, Letztern beim Erwerb mit beistehen müssen. Haben sie aber dieses Alter erreicht, so spricht sie das Gesetz frei, als selbstständig stehen sie da, und entlaufen so gern des Vaters Zucht.
Während der Lehrzeit erhalten solche außer Kost und weißer Wäsche, die nöthigen Kleidungsstücke; auch an Taschengeld fehlt es nicht, und so stehen sie, in freien Stunden, die brennende Cigarre im Munde, im dicksten Haufen derer, welche, wenn auch nicht dazu berufen, über das Wohl des Landes berathen, und fallen mehr oder weniger mit über eine blosgestellte Staatsperson her, je nachdem die Zeitungsblätter solcher schon zugesetzt oder Stoff zum Wortkampf gegeben haben.
New-York im Oktober 1839.
Fortsetzung.
Bis zum 12. Oktober ging Alles gut, und von meinem Verdienste, 1½ Dollar täglich, wurde nicht viel verausgabt, da ich mich bei meinem Schuldner, dem Zimmermann S. auf gemeinschaftliche Kosten mit einlogirt hatte, ihn so unter Aufsicht behielt, und dieses mir Gelegenheit darbot, durch Anrechnen der Hälfte Hausmiethe (2 Dollars monatlich), ohne daß es ihm drückend wurde, nach und nach zu meinem Guthaben zu gelangen.
Am 12. Abends, von schwerer Arbeit ermüdet und erhitzt, ging ich nach dem River (Fluß) um mit dem Dampfboote nach New-York, wo ich wohnte, überzufahren, kam aber zu spät, und da dasselbe schon abgegangen war, sah ich mich genöthigt, in kalter Abendluft des Bootes Rück[S. 94]kehr zu erwarten. Ein kalter Schauer überfiel mich, und bevor ich noch das Quartier erreicht, bekam ich die fürchterlichste Kolik. Branntwein ist hier die gewöhnliche Medizin, welche bei derartigen Anfällen in Anwendung gebracht wird, und auch ich suchte durch Anrathen in einem Trinkstore mir durch mäßigen Genuß Linderung zu verschaffen. Des Getränkes nicht gewöhnt, nöthigten die erschlafften Glieder bald, die Augen zu schließen, bis mich noch heftigere Schmerzen weckten, weil bei abgelegter Bandage der Leibesschaden hervorgetreten war, und die krampfhafte Verschließung der Oeffnung, den Rücktritt unmöglich machte. Nur wer an gleichem Uebel gelitten, vermag zu empfinden, was ich in dieser Lage habe abhalten müssen. Nichts war vermögend den Schmerz zu stillen, und mit sehnlichem Verlangen erwartete ich am Morgen die Ankunft des deutschen Arztes, von welchem ich Hülfe hoffte. Erst Nachmittags 3 Uhr erschien dieser und um meine Verzweiflung auf das Aeußerste zu treiben, erklärte er: daß mein Quartier einen nicht schicklichen Ort abgebe, um einen derartigen Schaden zu operiren, er wolle aber dahin wirken, daß ich sofort in dem Spital aufgenommen werde. — Doch leider berichtete erst der Magistrat, von welchem der weitere Befehl zur Aufnahme ausging, an den Eigenthümer des Schiffes, welches uns nach Amerika übergeführt, weil aus dessen Kosten meine Verpflegung Statt finden sollte, da wir noch nicht über ein Jahr im Lande seyen, in welcher Zeit derartige Verpflegungen dem Schiffseigner zur Last fallen, wenn der Kranke selbst kein Vermögen besitzt[38].
Dieser, um Gewißheit zu erhalten, ob ich einer der Passagiere sey, welcher sein Schiff mit befrachtet habe, schickte den Kapitän an mich ab, der nun in Begleitung eines Viertelsmeisters Nachricht über meine Lage und sonstigen Vermögensverhältnisse auszukundschaften suchte. Nach gewonnener Ueberzeugung, daß ich unter die Kategorie der Unbemittelten zu rechnen sey, machte derselbe noch einen Versuch durch Anbieten einiger Dollars, mich von meinem Verlangen, im Hospital aufgenommen zu werden, abzubringen, obgleich er sah, daß durch Verzögerung der nöthigen Hülfe mein Leben auf dem Spiele stand.
Während dieser Weitläuftigkeiten waren schon zwei Tage verflossen, und die entzündeten Theile verursachten durch anhaltendes Reiben und Drücken, die heftigsten Schmerzen, und mehrten die Gefahr, so daß mich die Angst vom Lager auf- und zurücktrieb, und mein Wimmern weit gehört wurde. Meiner Sinne nicht mehr mächtig, wünschte ich selbst mein Ende herbei, und murrte gegen den, welcher der beste Helfer in der Noth ist. Erst gegen Morgen nach der dritten Nacht verlangte der Schlaf seinen nöthigen Tribut, und schon stand die Sonne hoch, als man mich mit der Nachricht weckte, daß der Krankenwagen vor dem Hause halte.
Was ich von diesem Spital gehört, ließ mir solches als offenes Grab erscheinen und war schon die Aversion vor solchem hinreichend, von der nähern Bekanntschaft abzuschrecken, um so mehr fühlte ich Veranlassung gegen die Fuhre mich zu sträuben, da sich meine Natur, auf dem höchsten Gipfel der Gefahr, während des Schlummers selbst[S. 96] geholfen hatte und Gottes Güte mich noch länger den Meinen zu erhalten schien. Doch hier half kein Sträuben; der Befehl zum Abholen war gegeben und ich mochte wollen oder nicht, wurde ich doch in einen verschließbaren Breterkasten geschoben, welcher sogleich wieder verschlossen ward, damit den Inwohnern die Möglichkeit benommen werde, zu entschlüpfen.
Nicht allein war ich in diesem Behälter, schöne Gesellschaft saß noch neben mir. Eine Negerin mit verbundenem Kopfe hatte sich in die Ecke gekauert und ein Kreole, welcher durch Wetzen und Reiben zu erkennen gab, was ihm fehle, (oder besser, zu viel an sich hatte) saß mir gegenüber. Ein graußiger Anblick! schon spürte ich selbst ein Fressen, suchte mich möglichst entfernt zu halten, und sah daher mit bangem Sehnen der Oeffnung des Schlages entgegen.
Bald rechts, bald links, fuhr der Wagen durch lange Straßen eines Stadtviertels, welches ich noch nicht betreten und große unbebaute Räume enthielt, von welchem wir nur durch die hohen kleinen Löcher, wodurch das Licht spärlich in den Wagen fiel, die Spitzen der Bäume, oder das Dachgesims der Häuser erkennen konnten. Das Thor vom Vorhof unserer Bestimmung wurde nach erfolgtem Einlaß sogleich wieder geschlossen, damit keiner der hier Lebenden ohne besondere Erlaubniß sich entfernen könne.
Um sämmtliche, eine Stunde von der Stadt, am Wasser und auf Sandhügeln ausgeführten Gebäude dieser großen Armen- und Kranken-Anstalt geht eine Mauer und gleicht so beim Anblick einer kleinen Festung, welche alles Nöthige in sich faßt, um, abgeschnitten von der Stadt, auf längere Zeit mehre Tausende ihrer Bewohner erhalten zu können. Außer den nöthigen Apotheken findet man hier alle Professionisten in Thätigkeit, wie Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Tischler, Wagner, Schmiede, Schlosser etc., welche ihrer Armuth wegen vom Magistrat erhalten, doch selbst[S. 97] nach Kräften die schaffenden Hände rühren müssen um zu ihrer Verpflegung möglichst mit beizutragen. —
Vor dem Administrations-Gebäude hielt der Wagen. Einige Aerzte, worunter ein Deutscher, erkundigten sich nach meinem Befinden und bestimmten nach genommener Rücksprache unter sich den Krankensaal, welcher mich aufnehmen sollte. Meine Reisegesellschaft wurde ebenfalls untersucht und anderswo untergebracht.
Zum dritten Stock eines langen Gebäudes führte die an der äußern Giebelseite angebrachte Treppe, welche zugleich mit einem Altan versehen war, worauf man bei heiterem Himmel frische Luft schöpfen konnte. Ringsum im Gemach standen die Schlafstellen und über jeder hing an der Wand ein Täfelchen, worauf der Name des Bedauernswerthen geschrieben war, welcher hier lag. Alles war besetzt, doch wie immer Einer dem Andern Platz macht in diesem Leben, hatte auch hier Freund Hain für mich gesorgt. Dicht an der Thür war Einer selig entschlafen und an dessen Stelle nahm ich die mit weißem Betttuch und frischen wollenen Decken versehene Lagerstätte ein. Zum Liegen verdammt, wurde mir das Aufstehen streng untersagt, ich erhielt Salbe und Spiritus zum Einreiben der entzündeten Stelle und der Magen, obgleich immer bei gutem Appetit, wurde mit Homöopathie kurirt. Thee und trockenes Brod des Morgens und Abends; mit Reis, Graupen oder Hirsen ohne Fleisch, wechselte man das Mittagsbrod.
Der Arzt, welchem die Kranken in diesem Saal anvertraut, verstand kein deutsch, und das Einzige, was solcher zu mir sprach, erstreckte sich nur auf das Wort: „Schmerzen?“ welches von mir, je nach Umständen mit: Yes oder No (Ja oder Nein) beantwortet wurde, das Uebrige mußte die Pantomime ersetzen. Zu allen diesen Unannehmlichkeiten gesellte sich bald die Langeweile, da ich des[S. 98] Englischen, welches hier nur gesprochen, nicht vollkommen mächtig war und die Klagetöne der Kranken, welche das Zimmer erfüllten, nicht zur Aufmunterung beitragen konnten. Doch auch hier ward geholfen, da ein Lehrer der deutschen und französischen Sprache, welcher seiner Angabe nach früher Professor in der Schweiz gewesen seyn wollte, nicht weit von mir ein Plätzchen fand und so zu meiner Unterhaltung beitrug. Der Arme litt an Steinschmerzen und mußte sich schmerzhaften Operationen unterwerfen. Neben ihm lag ein Schwindsüchtiger, dessen Lebenslicht nur langsam zu verlöschen schien. Dieser erhielt zur Stärkung ausnahmsweise bessere Speise, doch der Wärter, bedacht, daß der Kranke den Magen nicht überladen sollte, theilte jedesmal brüderlich die Portion und aß solche, unverschämt genug, sogleich vor Aller Augen.
Am achten Tage meines Hierseyns wurde ich mit einer neuen Leib-Bandage versehen und schon glaubte ich meine Entlassung nahe, als eine neue Plage mir beschieden, indem ein böses Friesel zum Vorschein kam und mich unwillkührlich an meinen Reisegefährten, den Kreolen, erinnerte; vermuthlich aber war es Ansteckung von meinem Vorgänger, dessen Lager ich eingenommen hatte.
Mehr und mehr schrumpfte bei aller Entbehrung der hungrige Magen und schon war die Bandage bis zum letzten Loch geschnallt. Was mir aber am meisten die Erlösung wünschenswerth machte, war der unerträgliche Luftzug beim Oeffnen der Thür während der Reinigung des Zimmers und bei dem fortwährenden Gehen der weniger kranken Patienten auf dem Altan, da eine so nöthige Doppelthür hier fehlte.
Am letzten Tage meiner Entlassung, den 30. Oktober, karambolirte ich noch mit dem Krankenwärter, der, ein Freund der Kunst, zugleich die Kommodität damit zu verbinden verstand, da er die vor jedem Bette befindlichen[S. 99] Spucknäpfe mit in den Sand gezeichneten Figuren verziert und wegen Nichtbeschädigung dieser Narrensposse daneben zu spucken anempfahl, welchem nachzukommen ich unterlassen hatte und dafür das beliebte Schimpfwort der Amerikaner, „Niks komm heraus!“ welches sie sich gegen die Deutschen bedienen, mehrmals mit anhören mußte[39].
Auf das ärztliche Zeugniß, daß ich einer weitern Behandlung nicht mehr bedürfe, bekam ich auf dem Bureau eine Karte, gegen die, beim Pförtner abgegeben, mir das Thor geöffnet wurde, und hungrig wie ein Wolf, eilte ich der alten Wohnung zu, um durch Speise und Trank die erschlafften Glieder aufs Neue zur Arbeit zu stärken.
Doch hier hatte sich während meiner Abwesenheit die Lage des Zimmermanns S. nicht gebessert, da er nur theilweis Beschäftigung gefunden und, um seine Familie zu ernähren, immer noch Sachen veräußern mußte. Auch an meine bei ihm in der Stube zurückgelassene Uhr war die Reihe gekommen und als Ersatz für dieselbe erhielt ich die trotzigen Worte: „daß ich ihm die Uhr nicht in Verwahrung gegeben und er deshalb auch nicht dafür verantwortlich zu seyn brauche.“ Doch noch schmerzlicher als dieser Verlust traf mich der von S. gemachte Vorwurf, daß ich durch die in Bremen ihm vorgestreckten Gelder der Urheber seines und seiner Familie Unglück sey, weil ihm nur dadurch die Möglichkeit gegeben worden, die Reise von da aus nach Amerika fortzusetzen. Dieses war mehr als Undank, und es blieb mir nichts, als diese bedauernswürdige Familie zu verabscheuen. Um der Ruhe willen und da ich auch unter solchen Verhältnissen für meine übrigen Sachen be[S. 100]sorgt war, räumte ich sofort das Quartier, quittirte meine Forderung und fand bei dem Bäckermeister, wo mein Neffe und Freund Hallbauer in Arbeit waren, eine sichere und gastfreundliche Aufnahme.
Während meines Aufenthalts im Spital hatte sich Vieles im Geschäftsleben der New-Yorker verändert, indem am 5. und 6. November ein neuer Gouverneur gewählt werden sollte, bei welcher Wahl Whigs und Demokraten kein Mittel unversucht ließen, um die möglichst große Anzahl Stimmen für die Kandidaten ihrer Parthei zu erhalten und einem von diesen den gewöhnlich auf drei Jahre einzunehmenden Posten zu verschaffen. — Haben schon lange vorher die Zeitschriften sich abgemüht, alle wahren und erdichteten Fehler der am Ruder stehenden Personen zu beleuchten, so wird um die Zeit der Wahl das Gefecht desto hitziger und die ernsthafte Sache selbst, durch die verschiedenartigsten Karrikaturen ins Lächerliche gezogen. Unter freiem Himmel, so wie in passenden Lokalen, werden großartige Versammlungen besucht, wo die feurigsten Redner ihrem Gegner kein gutes Haar auf dem Haupte lassen. Treffende Witze und sonstige beißende Bemerkungen werden in Menge gespendet und der Applaus verräth die Anerkennung, welche die Versammlung dem Sprecher zollt. Besäße einer der Kandidaten nur die Hälfte der Fehler, welche man zu rügen keinen Anstand nimmt, wie traurig sähe es um das so gepriesene Amerika aus, welches dann so arm an rechtschaffenen Leuten seyn müsse. Doch nicht mit Rede und Schrift allein sucht man zu siegen, Bestechungen aller Art sind im Gefolge und viele Tausende werden geopfert. Auch die Noth der Zügel für die Armen in diesem freien Lande kömmt hier den Reichen trefflich mit zu Statten, da diese schlau genug zur Zeit der Wahl die Mehrzahl ihrer Leute entlassen. — Wer würde wohl nun anders denken, anders wählen als der Brodherr selbst? und um solchen zu gefallen und sich ge[S. 101]neigter zu machen, unterlassen auch die Arbeiter nicht, möglichst viel Stimmen für ihre Parthei zu gewinnen. So kann es nicht anders kommen, da die Kandidaten selbst nichts unterlassen sich den Sieg zu verschaffen, daß nicht immer der Würdigste im Volke die Gouverneur-Stelle erhält, sondern eher ein solcher, der der gewandteste Intriguant ist.
Auch in der Fabrik des John Benson, wo ich vor der Krankheit in Arbeit gestanden, waren die meisten Gehülfen entlassen, und mir selbst das Wiederanfangen vor der Wahl, nicht erlaubt. Doch, um solches eher zu erzielen, trat ich jetzt mit meinem Plane hervor. Ich übergab Zeichnungen der neuesten, in Deutschland in Anwendung gekommenen Schwarzischen Brenn-Apparate, und stellte die Bedingungen, unter welchen ich mich zur Ausführung dieser Arbeiten verpflichtete. Die Sache selbst fand Anerkennung; leider konnte ich aber die gestellten Fragen wegen Welschkorn-Brennen nicht beantworten, da bei uns diese Fruchtart nicht gebräuchlich ist; ich sah mich deshalb veranlaßt, erst in den westlichen Staaten die nöthigen Kenntnisse zu sammeln und dann hierher zurückzukehren.
Reise nach Utica im November 1839.
So gern ich auch den Wahl-Akt in New-York abgewartet hätte, um mit anzusehen, wie man sich dabei die Köpfe blutig schlägt, so säumte ich mit dem Antritte meiner Reise doch nicht, da bei vorgerückter Jahreszeit die Kanäle leicht zufrieren und die Benutzung derselben für mich verloren gehen würde.
Eins der größten Dampfschiffe, das die Fahrt nach Albany machte, nahm mich, am 3. dieses Monats mit auf, welcher schwimmende Pallast in allen Theilen großartig ausgeführt, Einen schnell und bequem von hinnen trägt. Erstaunt und voll Bewunderung steht man da bei Beschauung der merkwürdigsten und nützlichsten Erfindung neuerer Zeit. Theils die großartige Maschinerie, welche dieses kasernenähnliche Gebäude ohne Segel stromaufwärts die Fluthen durchschneiden läßt, theils die prachtvolle Einrichtung dieses schwimmenden Hôtels selbst, welches alle Bequemlichkeiten des Menschen in sich trägt, nehmen die ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Auf dem Verdeck, welches mit einer Gallerie umgeben ist, tragen gefällige Säulen ein Dach, um vor den Sonnenstrahlen und Regen geschützt, im Freien verweilen zu können; wem es hingegen beliebt, unbeschirmt, ganz im Freien zu lustwandeln, findet dazu einen Raum auf dem Dache selbst.
Zwei schöne, mit geschmackvoll gearbeitetem Geländer versehene Treppen führen in die untern Räume, wo alle Möbeln, Thüren und Tafelwerk der Wände von polirtem Mahagoniholz gefertigt sind. Die Fußböden und Treppen sind mit den schönsten Teppichen belegt. Am brillantesten aber sind die Kajüten für die Damen dekorirt, wo das holde Angesicht der Schönen tausendfach widerstrahlt, da alle Räume zwischen den Fenstern mit Spiegelglas ausgelegt sind. Rothseidene Gardinen wallen vor den Glasthüren und hemmen den Blick in dieses Zaubergemach, wo hinein kein Mann Zutritt findet. Nicht weniger schön ist ein zweites Zimmer, wo die Herren dem schönen Geschlechte ihre Aufwartung machen dürfen.
Längs der Wände befinden sich die Schlafstellen mit vortrefflichen Betten und allen erdenklichen Bequemlichkeiten, desgleichen die Ankleidestübchen, worinnen alle Erfordernisse der Toilette sich befinden.
Zwischen den Damen-Kajüten und der Dampfmaschine befindet sich der große Speisesaal, geräumig genug, um 200 Personen aufzunehmen, der durch das einfallende Licht der Fenster vollkommen erhellt wird. An den Wänden hängen, symmetrisch geordnet, die verschiedenartigsten Adressen von dem handeltreibenden und produzirenden Publikum, worunter Empfehlungen der auf das Beste eingerichteten Gasthäuser nicht fehlen. Doch um solche Anzeigen auffallender zu machen und die Aufmerksamkeit möglichst zu erregen, sind sie in der Regel mit goldenen Rahmen eingefaßt, auch mitunter auf Seide, andere wieder mit bunter Schrift gedruckt. — An Lesezimmern, wie auch an Badestübchen fehlt es nicht. — Die Küche, die Gemächer der Schiffsmannschaft, der Mechaniker, Matrosen, Köche, Mägde und Bedienten, sind mehr abseits angebracht.
Ueber 200 Reisende waren am Bord, alle nobel gekleidet und ein Ton vorherrschend, daß man glauben sollte, hier mehr unter einer geladenen Gesellschaft sich zu befinden, als unter vom Zufall zusammengeführten Reisenden.
Das unangenehme Schaukeln des Segelschiffes ist hier auf dem Dampfboote weniger fühlbar, da solches von Ufern begrenzt, weniger mit Wind und Wellen zu kämpfen hat, und würde man nicht durch das Geräusch der Dampfmaschine, so wie durch das Plätschern der großen Wasserräder an beiden Seiten des Schiffes erinnert, daß man auf dem Wasser sey, so würde man leicht vergessen, wo man sich befände.
Die schönste Witterung begünstigte die Fahrt, und mit wahrem Vergnügen drang ich in das Innere des Landes ein. In verschiedenen Gruppen placirten sich viele Passagiere auf das Verdeck, um bei heiterer Luft die Reize der Natur zu genießen. — Die weißgrauen Kalkfelsen-Ufer sind meist schroff und mit Tannen und Eichen bewachsen, und gewähren so mit ihren dunkeln Schluchten ein grau[S. 104]siges Ansehen. Dagegen erblickt man auch von Zeit zu Zeit artige Landhäuser, Bauernhöfe und kleine Orte auf fruchtbarem Gefilde.
Fortwährend begegneten uns Schloops und andere Fahrzeuge, welche theils mit Viktualien oder Holz beladen, auf dem Hudson nach New-York fuhren. Dieserhalb verbreiteten des Nachts große Laternen die möglichste Helligkeit um das Dampfschiff, und warnen dadurch entgegenkommende Fahrzeuge vor der Gefahr, umgefahren zu werden, weshalb solche zeitig genug auszuweichen suchen. —
Am Städtchen Orange-Tova und bei West-Point wurden Reisende ausgesetzt und eingenommen, welches mit der größten Schnelligkeit ausgeführt ward, um die Fahrt nicht zu verzögern. Die Schiffsglocke verkündete schon in der Ferne die Ankunft des Bootes. Ein am Außenbord hängender Nachen wurde schnell ins Wasser gelassen, in welchem die Reisenden ohne Gefahr auf einer eisernen Geländerstiege bequem vom Schiffe einstiegen. Zwei Ruderer bringen das kleine Fahrzeug schnell ans Ufer, während der Steuermann ein Seil nachläßt, welches an Ersterem befestigt, mit solchen gezogen wird. Das Aus- und Einladen am Ufer dauert wenig Minuten, worauf durch ein gegebenes Zeichen die Dampfmaschine einen Cylinder in Bewegung setzt, um welchen sich das an dem Nachen befestigte Seil wieder aufrollt und Letztern nach sich zieht.
Ein gleiches Anhalten, Ausschiffen und Einnehmen von Passagieren und Effekten fand bei der Stadt Hudson Statt, und nach einer Fahrt von 26 Stunden waren 160 englische Meilen[40] bis Albany zurückgelegt, wo wir den 4. dieses Monats, Vormittags 11 Uhr eintrafen.
Dieser wohlhabende Ort mit 25,000 Einwohnern ist der Sitz des Gouverniums, und der Hauptort des Staates New-York; er hat bedeutenden Handelsverkehr, weil sich hier der Stapelplatz aller Erzeugnisse vom Norden des New-Yorker Staates bis Canada befindet, was besonders seit dem Bau des großen Kanals, welcher vom Hudson bei Albany bis zum Erie-See läuft und eine Länge von 362 Meilen einnimmt, der Fall ist.
Abends 5 Uhr ging ich auf der Eisenbahn nach dem 16 Meilen entfernt gelegenen Schenectady ab, und bestieg daselbst sogleich das Kanal-Boot, die Jacht, da solches diese Nacht noch die Fahrt nach Buffalo antreten sollte.
Beim Schlafenlegen, wo ich gewöhnlich meine Sachen ganz in die Nähe brachte, vermißte ich das Hutfutteral, in welchem die Brieftafel mit etwas Papiergeld nebst meinem Tagebuche sich befanden. Ersteres war in dem Eisenbahnwagen zurückgeblieben, und wegen dessen Wiedererlangung keine Zeit zu verlieren. Doch wie sollte ich bei dunkler Nacht und ohne alle Kenntniß des Weges, den eine halbe Stunde von hier entfernt liegenden Bahnhof auffinden? Mein Verlangen, einen Matrosen gegen Vergütung als Begleiter zu erhalten, wurde nicht erhört; ebenso meine Bitte, die Fahrt noch um eine Stunde zu verschieben, abgeschlagen, dagegen aber versprochen, die Pferde nur langsam antreiben zu lassen, welche soeben an das Bootstau gespannt wurden, um mittels diesem das Fahrzeug auf dem ruhig stehenden Wasserspiegel fortzuziehen.
Glücklich hatte ich die Sachen gefunden und ohne weitern Unfall die Stelle wieder erreicht, wo ich das Boot verlassen. Eine Viertelstunde weiter mündet aber dieser Seitenarm in den Hauptkanal ein, und ob ich nun links oder rechts dessen Lauf verfolgen mußte, war ich ungewiß, da bei der Dunkelheit der Nacht, und der Gegend unkundig,[S. 106] leicht eine falsche Richtung einzuschlagen war. — Alles war ruhig, keine menschliche Stimme verrieth dessen Nähe, um die nöthige Erkundigung einziehen zu können, und demnach betrat ich auf gut Glück den ungebahnten Weg längs des Ufers.
Voller Angst über die Möglichkeit, mich auf falschem Wege mehr und mehr von meinem Fahrzeuge zu entfernen, lauschte ich bei jedem Geräusch, da ich hier in der Dunkelheit um mein Leben besorgt, und auf dem forteilenden Boote möglicherweise um meine Effekten kommen konnte. So gern ich auch die Schritte beflügelt hätte, so hing doch der Boden centnerschwer unter meinen Füßen, auch machten einzelne im Wege liegende Steine diesen bei der Nähe des Wassers höchst gefährlich, da der Damm hoch und neben der Wasserstraße eine zweite Schlucht sich längs des Dammes hinzog.
Mehr und mehr umwölkte sich der Himmel, so daß nur dann und wann ein Stern hervortrat um den unwegsamen Pfad zu beleuchten, worauf das Vorwärtsschreiten bald unmöglich wurde, da große Steinmassen den Weg versperrten, welche vermuthlich zur Ausbesserung des Dammes angehäuft oder Ueberbleibsel früherer Bauten waren.
Obgleich die Nacht empfindlich kalt, so rannte doch der heiße Schweiß mir von der Stirne, wobei die Glieder zitternd wankten und mir den Dienst zum Weitergehen versagten. Nach kurzer Ruhe wollte ich mich mehr links vom Wasser entfernen, als das Gestein mich zum Fallen brachte, und bis an den Abhang stolpernd, verlor der Körper das Gleichgewicht so daß ich hinab in die spitzigen Steine fiel. Blutend lag ich lange, ohne daß ich durch den Schreck Etwas von Schmerzen empfunden hätte, bis mich die Angst von Neuem zum Aufbruche mahnte. Doch jetzt wurde ich erst gewahr, daß mir beim Fall das Hutfutteral entkommen war. Solches wieder zu erlangen hielt weniger schwer, als die daraus entschlüpfte Brieftasche nebst Tagebuch zu fin[S. 107]den, und lange suchte ich in dunkler Nacht vergebens; ich hätte das Erstere gern entbehrt, wenn ich nur zu dem Wiederbesitze des Letztern gelangt wäre.
Mein Geschick verwünschend und unzufrieden mit mir selbst, wollte ich ohne die verlorenen Sachen von Neuem den Wanderstab ergreifen, als die Töne eines Hornes die Nähe von Kanalbooten verkündete, deren Schein der Leuchten, wegen des zwischen mir und der Wasserstraße liegenden Dammes, nicht wahrgenommen werden konnte. Zu meinem Glück waren Passagiere auf dem Fahrzeuge, welche deutsch verstanden, und der Kapitän, durch diese von dem mich betroffenen Mißgeschick unterrichtet, ließ nicht allein sein Boot anhalten, sondern verband auch mit eigener Hand die Wunden am Kopfe und versah mich mit einer Handlaterne, durch welche es möglich gemacht wurde, die verlornen Sachen wieder aufzufinden.
Solch Handeln eines so braven Mannes verdient der Vergessenheit entrissen zu werden, da in Amerika wohl nicht ein Dutzend solcher anzutreffen ist, welche einem Verunglückten Beistand leisten. Auch ein besserer Pfad wurde mir gezeigt, dicht am Wasser hin, geebnet für den Gang der Pferde, auf welchem es möglich war, nach scharf fortgesetztem Marsche und dem vorkommenden Aufenthalte der Boote, beim Passiren der Schleusen, am Morgen mein Fahrzeug noch zu erreichen, wo ich ganz erschöpft aufs Lager sank. Doch auch hier war mir wenig Ruhe vergönnt, da sich eine böse Sybille mit auf dem Schiffe befand, welche dem lieben Mann, der sie wider Willen, wie Viele seines Gleichen, zur Auswanderung verleitet, die bittersten Vorwürfe machte, Mörder ihrer Kinder nannte, indem zwei derselben während der Seereise gestorben und ein drittes noch jetzt krank darnieder läge. Leider! verstand der Mann selbst nicht zu schweigen, und gereizt, sich so weit vergaß, Hand an das gebrechliche Weib zu legen, und diese nun durch die Stimme ersetzte,[S. 108] was ihr an Kraft zur Gegenwehr mangelte. Tiefen Eindruck machte der Vorfall auf Alle, und ich fühlte mich um so glücklicher, da ich die Meinen im sichern Hafen wußte, und nur allein dem Wechsel des Geschicks auf dieser beschwerlichen Reise unterworfen war.
Der Ton eines Hornes, wie ich schon in voriger Nacht vernommen, erweckte die Neugierde, und so verließ ich von Neuem das Lager, um zu sehen, was solcher bedeute. Es war das Zeichen, welches den Schleusenwächtern die Ankunft des Schiffes verkündete, und das Verlangen nach frischen Pferden zu erkennen gab, da man solche alle 2–3 Stunden wechselt.
Gewöhnlich sind zwei hintereinander gespannt, bei Paquetbooten aber, da solche meist im Trabe gezogen werden, verwendet man 3–4 Pferde, welche auf den längs des Kanals laufenden schmalem Wege gehen, der auch unter den vielen über den Kanal geschlagenen Brücken hinwegläuft. — Die Führer der Rosse, welche auf dem hintersten Pferde reiten, verstehen durch das Anhalten der Thiere zur rechten Zeit das Tau ihres Bootes im Wasser zu versenken, wodurch das entgegenkommende Fahrzeug, ohne sich in die Leinen des andern zu verwirren, über solche hinwegfährt und beide sich so geschickt auszuweichen verstehen.
Der Durchgang von einer Schleuse in die andere, wird in einigen Minuten bewerkstelligt, und hält demnach die Fahrt im Ganzen nicht sehr auf.
Der Kanal längs des Mohawk-Flusses führt in gerader Richtung durch unermeßliche Waldungen und gut angebaute Thäler, wo man die Orte Thowaship, Amsterdam und Rotterdam erblickt, doch nur in Duodez-Ausgaben, da erst einigen Häusern diese Namen beigelegt worden sind. — Ueber einige Bäche und Flüsse wird der Kanal in Bohlen-Einfassung, welche auf Pfeilern ruhen, geleitet, welche für die Pferde mit Trottoirs versehen[S. 109] sind, oder durch das seichte Flußwasser selbst gehen. Da wo der Kanal die beiden Flüsse durchkreuzt, woraus solcher meist sein Wasser erhält, werden die Pferde, der Tiefe halber, mittelst einer Fähre übergesetzt.
Mit Anbruch der zweiten Nacht passirten wir ein enges, doch fruchtbares Thal, welches von wohlhabenden Farmern, wie solches die netten Häuser verriethen, bewohnt ward. Auch mehrere Sägemühlen befinden sich in dieser Gegend.
Am Morgen des 7. unternahm ich bei herrlicher Witterung mit drei Amerikanern längs des Kanals einen Streifzug, welcher sich aber leider nur auf Eichhörnchen erstreckte, da das Geflügel, fortwährend von Reisenden verscheucht, sich mehr in das Innere der Wälder zurückzieht. — Mit Erstaunen bemerkte ich, daß die Amerikaner sehr gute Schützen sind, da solche mit ihren langen Röhren, woraus sie Hirschposten schießen, jedesmal den Kopf des Eichhörnchens vom Rumpfe holten. — Meine Gefährden, darüber ärgerlich, daß es nichts zu schießen gab, was einen guten Braten versprach, wurden jetzt eine Heerde zahmer Gänse gewahr, welche auf dem Flusse an der Seite des Kanals schwammen, und ohne sich lange zu besinnen, legten sie an und, als es knallte, sanken dreien die Köpfe. Eine wurde vom Wasser mitgenommen, die andern beiden aber schwammen noch bis zur Insel, auf welche die Nichtgetroffenen sich retirirten, blieben aber entkräftet am Ufer liegen. — Lange sannen die Schützen, was zu thun sey, da das Wasser nicht tief und es die Braten zu holen erlaubte, doch Keiner wagte sich in die Fluthen und ließen, vorwärtsschreitend, den Raub im Stiche.
Nicht sowohl wegen der Beute selbst, als vielmehr um den Schützen zu zeigen, daß sie wohl verstanden eine Gans zu schießen, aber nicht die Courage hätten, das Erlegte zu holen, entschloß ich mich rasch, und schritt entkleidet der Insel zu. Gespannt standen jetzt die Erstern von fern, und lauschten[S. 110] des Ausganges, ohne mich vor der Gefahr zu warnen, welche mir drohete, die, wie sie später selbst erwähnten, ihnen nicht unbekannt gewesen, da sie die Bauern am jenseitigen Ufer hinter Gebüschen versteckt gesehen hätten. — Schon hatte ich die eine Gans gefaßt und noch drei Schritte vorwärts bis zur andern, als rasch hinter einander zwei Kugeln vom jenseitigen Ufer abgeschosen vor mir niederschlugen, mich aber, zum Glück noch außer Schußweite, nicht verletzten. Wie ein Donnerwetter machte ich Kehrt, um einer zweiten Ladung zu entgehen, und erreichte glücklich, mit einer Gans, das Gestade. Jauchzend wurde ich empfangen, und der Braten im Triumph dem Koche übergeben. Mir selbst aber verging aller Appetit, denn wie leicht wäre nicht mein Vorwitz hart bestraft worden.
Die Gegend ist auch hier gut angebaut, und mit Farmer-Wohnungen reichlich versehen; auch wird von den Bewohnern viel deutsch gesprochen.
Vor Utica ward, um den Zoll darnach bestimmen zu können, das Boot gewogen, welche Einrichtung Aehnlichkeit mit unsern Brückenwaagen hat. Ist das Erstere auf die Waage gefahren, so wird das Wasser durch Oeffnen der einen Schleuse abgelassen, wodurch solches trocken auf die Waage zu stehen kömmt. Nach genommener Ueberzeugung der Schwere der Ladung wird das Thor wieder geschlossen und durch Oeffnen des andern der Zutritt Wassers von Neuem gestattet, wodurch das Fahrzeug wieder gehoben und flott gemacht wird.
Den 7. Mittags fuhren wir auf dem Kanal, welcher durch Utica führt, in dieser Stadt ein und hatten auf dieser Wasserstraße, welche von Schenectady bis hierher 80 Meilen lang ist, 26 Schleusen passirt und waren unter 300 Brücken weggefahren.
Die Stadt Utica nimmt an Größe zusehends zu und besonders sind es Deutsche, welche sich hier niederlassen,[S. 111] unter denen ich auch einige Erfurter traf. — Anno 1794, wurde erzählt, habe an diesem Ort ein einziges Wirthshaus gestanden und jetzt zähle die Stadt schon über 6000 Einwohner, wodurch sie als eine der blühendsten Städte des Staates New-York anzusehen ist.
Fahrt zum Niagara.
Im November 1839.
Meinem Reiseplan zufolge, wollte ich bis Buffalo die Fahrt auf dem Kanal machen und von da aus mit dem Dampfschiff nach dem Niagara-Fall abgehen um dort eine der größten Naturerscheinungen mit anzusehen. Da aber das Boot, mit welchem ich gekommen, hier einige Tage verweilte und ich nicht gern Zeit verlieren wollte, so ging ich in den Vorschlag zweier Rheinländer ein und bestieg mit diesen und fünf Amerikanern die Postkutsche, wodurch uns mehr Gelegenheit ward, das Land besser kennen zu lernen, da wir hier nicht, wie es auf dem Boote der Fall ist, Tag und Nacht die Gegend durchreisten, sondern nur die Tageszeit dazu benutzt wurde.
Noch war der Morgen des 8. Dezember nicht angebrochen, als ich und meine Reisegefährden die Kutsche bestiegen. Dieselbe ging in der ersten Zeit nur langsam vorwärts, da die Wege in Folge des Regens schlecht und das bergige Terrain auch das Schnellfahren verhinderte. Die Gegend selbst ist ziemlich wild und die Urwälder noch wenig gelichtet.
Bei Oneida führte der Weg durch die Niederlassung eines Indianerstammes, welches Volk, von den Nachbarn[S. 112] verachtet, äußerst ärmlich sich von der Jagd und einigem wenigen Ackerbau zu nähren sucht. Das Dorf der Wilden selbst besteht aus den erbärmlichsten Hütten, welche aus übereinandergelegten Baumstämmen hie und da im Walde errichtet sind. Auf einer Anhöhe erblickt man eine kleine ebenfalls von Holz aufgeführte Kirche, für den Gottesdienst der Indianer bestimmt, welche Missionäre zum Christenthume bekehrt haben. Links vom Wege ist ein freier Platz, von alten Bäumen beschattet, wo die Häupter des Stammes sich zu versammeln pflegen, wenn sie über ihre Angelegenheiten berathen wollen. Ihre braungelbe Farbe, runden Gesichter, lang geschlitzten Augen, dicken Nasen und langen bis auf die Schultern hängenden Haare, haben, wenn man solche Gestalten noch nicht gesehen, etwas Imposantes. Viele sind nur in elende Lumpen gewickelt, Andere dagegen tragen blaue Hosen, über welche sie Hemden ziehen und diese sind wieder mit Röcken von Tuch bedeckt. Die Weiber hüllen sich in weiße oder blaue wollene Decken ein. Ihre Kinder, meist nackend, benutzen den Durchzug der Reisenden und verfolgen bettelnd die Wagen, welche Erscheinung dem Europäer um so auffallender ist, da das Betteln in Amerika nicht Sitte und man nirgends von Wegelagerern um eine Gabe angegangen wird.
Hinter dem Dorfe, wo der Weg nach einer beträchtlichen Höhe führt, genießt man eine schöne Aussicht auf den Oneida-See. Die Landschaft selbst wird jedoch, je weiter man kömmt, wilder, und mit Ausnahme einzelner Ortschaften ist solche wenig bevölkert. Selten sieht man Häuser von Backsteinen, sondern nur von leichtbehauenen Baumstämmen, sogenannte Blockhäuser, welche Erbauung schnell von Statten geht und gewöhnlich das erste Asyl der Ansiedler ist. Sind die Baumstämme gefällt und entastet, so werden ihre beiden Enden mit Einschnitten versehen und so zusammen gekämmt, über einander gelegt. Vorkom[S. 113]mende Lücken zwischen den Balken füllt man mit Steinen, Moos und Erde aus.
Die mitunter vorkommenden fernen Aussichten sind äußerst einförmig und unromantisch, da sie mit nichts als einzeln stehenden Häusern ausgeschmückt sind; um so überraschender ist daher ein kleiner See mitten im Walde, an dessen Ufer zwei kleine Städtchen sehr malerisch liegen.
Im Ort Chittenango zerbrach die Deichsel des Wagens, wodurch ein kleiner Aufenthalt verursacht wurde. Der Ort selbst hat mehre Mühlen und Fabriken, weshalb, um den Verkehr zu erleichtern, ein Kanal mit kleinem Hafen angelegt worden ist, welcher aus dem großen Erie-Kanal ausläuft.
In Onendezes sind ebenfalls Fabriken, auch hat dieser Ort, wie Marcellus, zwei Kirchen, welches gewöhnlich in jedem Ort von einiger Bedeutung der Fall ist, daß sie eine Anglikanische und Presbyderianische Kirche besitzen. Jenseits Marcellus liegt am Scomatelass-See das Städtchen gleiches Namens, welches wegen eingetretener Nacht nicht mehr gesehen werden konnte. Erst spät trafen wir in der Stadt Auburn ein, wo übernachtet wurde.
Am Morgen des folgenden Tages passirte der Wagen eine lange Brücke, welche über den an dieser Stelle nur eine englische Meile breiten Cayuga-See erbaut ist, welches stehende Wasser zwanzig Meilen lang sein soll. Die Gegend gestaltet sich immer einsamer und wilder, da zwischen den 6–8 Stunden auseinander liegenden Städten ewiger Wald angetroffen wird, in welchem nur dann und wann ein Blockhaus zwischen verdorrten Bäumen zum Vorschein kommt. Die Pflanzer, der Arbeiten zu viel habend, fällen die Bäume nicht, sondern machen 1 Fuß von der Erde, rund um 1 Zoll breit Rinde und Splind bis aufs Holz ab, wodurch der Stamm abstirbt, damit, wenn er faul von Regen und Wind umgeworfen, er sich so leichter beseiti[S. 114]gen läßt. Doch währenddem benutzt man das Land schon, rottet unter den dürren Aesten, die nicht mehr beschatten, das Gesträuch aus, und bestellt hierauf den Boden. Doch will man noch schneller das Holz beseitigen, so wird Feuer an die Bäume gelegt, weshalb man oft ganze Striche brennender Wälder antrifft.
Bis Waterloo, einer wohlhabenden Stadt, war der Boden fest, doch darüber hinaus wurde er morastig, weshalb der Weg mit Baumstämmen belegt war, welche Knüppeldämme die Fahrt äußerst beschwerlich machen und mich an die gepflasterte Chaussée zwischen Hannover und Bremen erinnerte.
Genovo, an der Spitze des Seneca-Sees, hat ein Kollegium mit einigen hundert Studenten, ansehnliche Gebäude, schöne Landhäuser und Gärten.
Canandaigua, an der Spitze des Sees gleichen Namens, wo Mittag gemacht wurde, ist ebenfalls eine wohlhabende handeltreibende Stadt mit einer Bank und einem Gerichtshof. Am Nachmittag wurden die Orte Victor, Mendon und Pittsfort passirt, wo wir unterwegs nur theilweise Ansiedler in Blockhäusern antrafen, Abends 8 Uhr erreichten wir Rochester und machten daselbst Halt.
Vor dem Jahr 1812 war hier noch Alles Wald, wo man den Acker für 1¼ Dollar kaufte und jetzt ist dieser Ort eine der blühendsten Städte, hat sechs Kirchen, eine Bank, Tribunalgebäude, mehre Mühlen und Fabriken, und zählt 6000 Einwohner.
Der große Erie-Kanal geht hier mittels einer steinernen Brücke von 780 Fuß Länge über den Genesse-Fluß; letztere hat 11 breite Bogen von 40–50 Fuß Weite und ist mit einem eisernen Geländer versehen. Ein Trottoir für die Pferde geht längs der einen Seite. Dieses großartige Werk führt eine durch Kunst und ungeheuren Geldaufwand geschaffene Wasserstraße über einen breiten natürlichen Fluß.
Am folgenden Morgen fühlte ich mich äußerst unwohl, da ein Wechselfieber mich heftig schüttelte, wie solches meinen beiden deutschen Reisegefährden, dem Einen mehr, dem Andern weniger, ebenfalls begegnete, indem wir uns gestern bei der ungünstigen naßkalten Witterung eine Erkältung zugezogen hatten. Es wurde daher beschlossen, hier zu bleiben, uns gut abzuwarten und erst morgen die Reise fortzusetzen. Die zweite Nacht fühlte ich mich noch kränker und so gern ich auch hier länger verweilt hätte, so trieb doch die späte Jahreszeit, welche kein Säumen erlaubte, wie mein unruhiger Geist selbst, von Neuem in den Wagen. Fest in die Mantel gehüllt und in die Wagenecken zurückgelehnt, wurde wenig von der Gegend, welche wir passieren, gesehen und die ewigen Schauer, welche die Zähne unwillkührlich zusammenschlugen, verbitterten den Vorgeschmack des großen Naturereignisses, worauf ich mich so lange gefreut und wir schon, obgleich noch vier Stunden weit vom Wasserfall entfernt, sein Brausen vernehmen konnten. — Mit einbrechender Nacht hielt der Wagen in dem am Ufer des Niagara-Flusses gelegenen Louristoba an, wo ich mich sogleich bis über die Ohren ins Bett begrub und zu schwitzen versuchte, ohne etwas Speise und Trank zu mir zu nehmen.
Umsonst war mein Bemühen den erquickenden Schlaf herbeizulocken. Die aufgeregte Phantasie hielt mich wach und meiner selbst nicht recht bewußt, schwebte der Geist im Fiebertraum aus der Vergangenheit in die Zukunft über. — Also hier, so weit von den Meinen entfernt, in den unermeßlichen Wäldern Amerikas, hier also, so nahe am Ziele des lang gehegten Wunsches, den größten der Wasserfälle mit eigenen Augen zu sehen, sollte ich vielleicht das Daseyn enden? — Und von bösen Träumen erwacht, richtete ich mich hastig auf und fühlte mich noch stark genug, selbst mit den Wilden zu kämpfen; dann hörte ich,[S. 116] wieder entschlummert, die lieben Kinder nach dem Vater fragen, welchen sie schon so lange vermißt und sehnlich seiner Rückkunft harrten. Immer nur vorwärts trieb’s mich, um dann um so schneller in die Heimath zurückzukehren, da nur der Körper schwach war, dieser aber nicht den regen Geist zu zügeln vermochte. So mag’s denn kommen wie es will! Fort und immer weiter führt es dem Ziele zu!
Noch war es Nacht und ein sanfter Schlummer suchte die matten Glieder von Neuem zu stärken, da der Geist sich abgetobt, denselben die Ruhe gönnte, als man uns weckte, weil nach dem Wunsche der übrigen Reisenden, bald aufzubrechen, der Wagen dazu bereit sey. So ungern ich auch das Lager verließ und meine Freunde mir riethen, länger zu verweilen, so raffte ich doch alle Kräfte zusammen, da die Füße noch nicht den Dienst versagten und bestieg, fieberkrank, den Wagen.
In kurzer Zeit war der Fuß eines Hügels erreicht und auf der Höhe angelangt, entfaltete sich dem Auge ein herrliches Gemälde, welches Alle hoch entzückte. Nur für mich verlor es viel von seinem Reiz, da das trübe Auge nicht vermögend war, das verstimmte Gemüth von Neuem zu begeistern.
Noch umhüllte ein blauer Nebelschleier den Gesichtskreis und mit bangem Sehnen sah Alles der aufgehenden Sonne entgegen, da man einen unfreundlichen Tag befürchtete, gleich denen der letztvergangenen Zeit. Doch bald fing im Osten der Himmel an, sich allmählich zu röthen und die Sonne lüftete den Schleier. Fantastisch gestaltete Wolkengebirge wetteiferten an Schönheit mit der romantischen Gegend und zogen den trunkenen Blick von der Erde zum Himmel. — Zu unsern Füßen breitete sich der Ontario-See aus, in dessen Spiegel sich die Strahlen der aufgehenden Sonne brachen. Nordwärts begrenzte den See der breite dunkle Raum von Canada’s unübersehbaren Wäl[S. 117]dern, westwärts ein langer blauer Streifen von Gebirgen. An der Ausmündung des Niagara-Stromes stehen zwei Festen, am Canadischen Ufer die St. Georg-, auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten die Niagara-Feste. Aus dem Hintergrunde schimmerten am jenseitigen Ufer des Ontario-Gestades, Kirchthürme und Gebäude aus der Ferne hervor, welche dem Städtchen York angehörten, das acht Stunden von uns entfernt lag. Nach der Mittagsseite zu sieht man in der Ferne eine mächtige Dampfsäule aus dem Schooß der Erde in die Lüfte wirbeln, welche der Fall des Niagara verursacht.
Nachdem wir uns Alle an diesem imposanten Anblicke hinlänglich geweidet, wurde der Pfad zu Fuß weiter verfolgt, da von hier aus der Wagen zurückging. Das dumpfe Getöse vernahm man bei jedem Schritt deutlicher und zwischen Bäumen kamen mitunter Wassermassen zum Vorschein, welche dem Niagara-Fall angehörten. Gegen 10 Uhr langten wir endlich bei einem Gasthause an, wo gefrühstückt und dann in Begleitung von Führern dem Falle selbst zugeeilt wurde.
Um zur Insel Goad-Island zu gelangen, welche den Stromfall in zwei ungleiche Theile trennt, von wo aus der Wasserfall und seine Pracht am schönsten ins Auge fällt, muß man eine Brücke passiren, welche über einem Arm des Flusses errichtet ist.
Ein Zweig des Allaghanig-Gebirges, welches den Niagara-Fluß in der Quere durchschneidet, verursacht den ungeheueren Sturz dieses Gewässers, welches der Abfluß der großen Seen und des Erie-Sees ist, und bis zu seiner Mündung in das weite Becken des Ontario einen mächtigen Strom von 1000–1200 Schuh Breite und großer Tiefe bildet.
Bis zum Chippeway-Strome, der zwischen dem Erie- und Ontario-See in ihn hineinstürzt, fließt er langsam[S. 118] und still, dort aber, enger zwischen Felsen geklemmt und von dem Wasser des Chippeway verstärkt, wird er unruhig, und sein Fall reißender. Stürmend kämpfen seine Wellen gegen Klippen und Felsen an, die ihm den Weg versperren wollen. Zwei Inseln spalten den Fluß in drei Theile, welche sich aber stürmisch wieder vereinigen, und dann mit mächtigem Ungestüm in den über 150 Fuß tiefen Abgrund hinunter stürzen. Die Breite des Flußbettes beträgt vor dem Sturze gegen 4000 Fuß, in welchen die wildkämpfenden Wogen durcheinander wüthen, bis sie am Fuße des Falles sich wieder vereinigen und ihren Lauf friedlich fortsetzen.
Die Masse der niederstürzenden Fluthen, von unten herauf gesehen, scheint aus dem Himmel herabzufallen, um sich in einen bodenlosen Abgrund begraben zu wollen. Die Felsenlager, welche unterhalb einige Absätze bilden, drohen unter dem Gewicht der zermalmenden Wassersäulen zu zersplittern und zu zerstäuben. Man steht inmitten eines ewigen betäubenden Donners, während rings umher die ganze Natur, wie von Entsetzen erstarrt, schweigt. Aus der Tiefe, wo alles kocht und gährt, steigen silbergraue Staubwolken und Wassersäulen hastig empor, um von Nachkommenden wieder ereilt und zerstört zu werden. Sie heulen in allerlei Tönen zwischen den Klippen die gräßlichsten Stimmen, bis sie im Abgrunde durch das einförmige Brausen übertönt werden.
Die Felsen von beiden Seiten gehen schroff hinab, es ist aber eine hölzerne Treppe angebracht, auf welcher man bis zur tiefsten Stelle des Flusses steigen kann. Ein Führer geleitete uns hinab, allein man wird in seinen Erwartungen betrogen, da alles in Schaum und Dampf eingehüllt, keinen imposanten Anblick gewährt, und der feine Regen, vom Wasserstaub verursacht, bald zum Rückwege nöthigt.
Um an das gegenseitige Ufer zu gelangen, wo man, wie unser Führer versicherte, vom Table-Rock (Tafelfelsen) aus, die schönste Aussicht nach dem ganzen Falle genießen soll, bestiegen wir einen kleinen Nachen, welcher uns in einer halben Stunde mitten durch die wüthenden Wellen nach dem kanadischen Ufer brachte. Während der Ueberfahrt hat man nochmals die schönste Gelegenheit das Bild obiger Verwandlung zu übersehen. Das kanadische Ufer ist ebenfalls wie das jenseitige, der schroffen Felsen halber, mühsam zu ersteigen; doch bald bietet sich Gelegenheit, in einem nahen Gasthause sich zu erholen.
Obgleich es Herbst war, trafen wir hier doch viele Reisende, welche die großartige Naturerscheinung herbeigelockt, und da so eben eine Parthie zu dem Table-Rock abging, so schlossen wir uns an. — Auf diesem sich weit ins Wasser hervorstreckenden Felsen, welchen dieses Element ganz unterwaschen hat, genießt man in der That mit einem Blick das Ungeheuere des großen Schauspiels.
Fortwährende Fieberschauer nöthigten mich, bis zum Abgange des Dampfbootes, auf welchem wir die Reise nach dem 6 Stunden entfernt liegenden Buffalo machten, die Nähe des Feuers zu suchen, und wohlthuender und erquickender wirkte dieses Element auf mich ein, als es die großen Wassermassen gethan hatten.
Reise nach Cincinnati.
Im November 1839.
Buffalo, jetzt eine Stadt mit 20,000 Einwohnern, wurde im Jahre 1814 von den Engländern zerstört, und dieser Ort, zu jener Zeit noch ein Dorf, bis auf ein einziges[S. 120] Haus niedergebrannt. Wie ein Phönix hat es sich aus seiner Asche erhoben, und in diesem kurzen Zeitraume seine Größe erhalten, welche im fortwährenden Zunehmen ist. Die Stadt ist gut gebaut, und alle Häuser, in den Hauptstraßen mit schönen Gewölben verziert, sind aus Ziegelsteinen oder Granit aufgeführt. Sie besitzt sechs Kirchen und mehrere Bethäuser, ein Theater, Rathhaus, Markthallen und große Hôtels. Dazu kommt noch ein Leuchtthurm und ein vortrefflicher steinerner Hafendamm, welcher immer voller Schiffe und prächtiger Dampfboote ist. „Man erstaunt“, sagt Kapitän Marryat in seinem Tagebuche über Amerika, „wenn man bedenkt, daß Alles, was Bezug auf Buffalo hat, seit 1814 entstanden ist; doch findet man in Amerika überall ähnliche Wunder der menschlichen Betriebsamkeit. — „Ueber Hals und Kopf!“ ist das wahre Motto dieses Landes. Jedermann eilt, seinem Nachbar zuvorzukommen. Der Amerikaner lebt zweimal so lange als andere Menschen, da er zweimal so viel vollbringt als Andere. Er beginnt sein Leben schon früher; mit 15 Jahren gilt er für einen Mann, stürzt sich in den Strom der Unternehmungen und schwimmt und kämpft mit seines Gleichen. In jeder Kleinigkeit zeigt der Amerikaner, wie kostbar ihm die Zeit ist. Er steht früh auf, verschlingt sein Essen mit der Hast eines Wolfes und ist den ganzen Tag über hinter seinen Geschäften. Ist er Kaufmann, so hat er selten einen Heller von seinem Gelde in Papieren oder liegenden Gründen stecken, es läuft vielmehr immerfort umher, sein Reichthum ist und bleibt stets produktiv, und wenn er stirbt, muß sein Vermögen aus allen vier Weltgegenden zusammengetrieben werden.“
Meine deutschen Begleiter zum Niagara setzten von hier aus ihre Reise nach Pittsburg fort, ich hingegen beabsichtigte mit dem Dampfschiffe auf dem Erie-See nach Cleveland abzugehen.
Von der Fußparthie am Wasserfalle sehr erschöpft, hielt ich für räthlich, abermals einige Tage hier zu verweilen, um die Gesundheit zu befestigen, der Gebrauch von Tropfen, auf Zucker genommen, welche mir von einem in unserer Herberge einkehrenden Indianer gereicht wurden, und was, wie ich später erfuhr, weißes Terpentin gewesen seyn soll, befreiten mich vom kalten Fieber.
Diese mit den Bewohnern Buffalo’s in friedlichem Verkehr lebenden Indianer vom Seneca-Stamme, haben ihre Niederlassung drei Meilen von hier gewählt, nachdem ihre wilden Väter aus dem Geburtslande vertrieben worden waren.
Schon war das Dampfschiff Erie am 14. November zur Abfahrt bereit, als es ein stark wehender konträrer Wind am Auslaufen hinderte, da die vielen Klippen im Erie-See diese Fahrt äußerst gefährlich machen und jährlich mehre Schiffe als Opfer dort fallen sollen.
Am 15. wurde die Reise bei Windstille angetreten. Das Fahrzeug war außer verschiedenen Waaren, dem Gepäck der Reisenden, auch noch mit über 200 Passagieren befrachtet, woraus man schließen kann, wie viel in Amerika gereist wird, da gewöhnlich ein solches Fahrzeug täglich diese Tour unternimmt.
Bei der Stadt Tonkrik sollten Waaren und Passagiere ausgesetzt werden, weshalb der Steuermann, mehr nach dem Ufer zu, dem Schiffe die Richtung gab, dabei aber die richtige Passage verfehlte, so daß das Schiff auf eine Sandbank fest zu sitzen kam. — Unter verschiedenen Manövern, das Fahrzeug wieder flott zu machen, nahm der Kapitän auch die Hülfe der Passagiere in Anspruch, indem sich die sämmtliche Mannschaft auf der einen Seite des Verdecks versammelte, während die Dampfmaschine mit voller Gewalt in Thätigkeit war. — Auf das Kommando des Steuermannes mußten Alle im Trabe nach der entgegenge[S. 122]setzten Seitenblanke springen und eben so schnell zurückkehren, wodurch das Boot schaukelnd, sich leichter ablösen sollte. Lange blieb auch dieser Versuch ohne Wirkung, bis endlich der sandige Boden nachgab und wir retour von Neuem das Fahrwasser erreichten.
Am Abend wurde zum zweiten Male bei dem Orte Erie Halt gemacht, und frisches Holz zur Heitzung der Dampfmaschine eingenommen. — Nach Mitternacht ging der sich erhebende Wind in Sturm über, wodurch die Fahrt bei der Nähe felsiger Ufer äußerst gefährlich wurde, und sich bei mir durch das Schaukeln des Schiffes die Seekrankheit von Neuem einstellte. Zum Glück legte sich am Morgen der Orkan eben so schnell wie er entstanden, wodurch wir ohne weitern Unfall am 16. dieses Mittags in Cleveland ankamen.
Diese Stadt, von dem Flusse in zwei Theile getheilt, ist noch wenig von Bedeutung, und wird von dicht daranstoßenden Bergen begrenzt.
Ist auch hier, wie überall in Amerika, die englische Sprache vorherrschend, so wird dennoch von den Landsleuten die Muttersprache beibehalten.
Zum Glück kam ich hier zur rechten Zeit noch an, da morgen den 17. November das letzte Kanalboot in diesem Jahre nach Portsmouth, wo der große Erie-Kanal in den Ohio-Fluß einmündet, abgehen sollte.
Der Kapitän (wie sich auch die Führer von Kanalbooten nennen, obgleich jeder Laie einen solchen Posten bekleiden kann), war das richtige Konterfei eines Räuberhauptmanns, und seine Physiognomie flößte mir eine solche Aversion, oder war es Ahndung meines bösen Geschicks auf dieser Reise, ein, daß ich nur mit Widerwillen dieses Fahrzeug bestieg, weil keine andere Gelegenheit sich darbot, da bei vorgerückter Jahreszeit zu befürchten stand, daß man[S. 123] noch vor beendigter Reise unterwegs einfrieren könne, welches letztere uns auch leider widerfuhr.
Die ungünstige Witterung der ersten Tage erlaubte den Aufenthalt auf dem Verdeck nicht, und machte die Fahrt äußerst lästig, zumal da mehre Familien mit kränklichen und ungezogenen Kindern in dem engen Raume sich befanden, welche meine Geduld auf eine harte Probe stellten, da ich vor Allem ein Feind des Kindergeschreies bin. —
Am 19. erreichten wir die Stadt Medina, welche, wie so viele Städte in Amerika, äußerst unbedeutend ist, da ein Wirthshaus, ein Kaufladen mit Spezereien, Tüchern und gebrannten Wassern und noch ein halbes Dutzend Häuser, von Schuhmachern, Schneidern, Schmieden und Wagnern bewohnt, sich den Namen einer Stadt beizulegen pflegen. — Dörfer, wie bei uns, giebt es gar nicht, da jeder Farmer seinen Grundbesitz um die Wohnung herum hat, und die mitunter nicht unbedeutenden Holzflächen die Nachbarhäuser weit entfernen. Aller gesellschaftliche Verkehr hört dadurch auf und jede Familie bleibt nur auf sich selbst beschränkt. Ihr Reichthum ist der Wald, ihre Nachbarn sind die Bäume, das Schulhaus, ihr eigenes Gebäude. Die Kirche ist groß, sie steht frei da und ladet täglich zum Gebet ein. Doch nicht ein Jeder findet darin, was zu des Menschen Heil genüget, drum sucht er oft in weiter Ferne ein gottgeweihtes Haus. In der Mitte des dichtesten Gehölzes steht solches da, und dieses ist der Ort, wo man des Sonntags sich begrüßt, nicht aber wie bei uns durch Tanz und freudige Gelage. Nicht Sturm und Wetter werden gescheut, und ringsum Meilenweit kömmt Jung und Alt, des Predigers Worte zu hören.
Von der Gegend war an diesem Tage nicht viel zu sehen, da der Kanal zwischen holzbewachsenen Bergen durchführt, wo nur dann und wann ein Blockhaus zum[S. 124] Vorschein kommt, welches dem Aeußern nach, nur ärmlichen Bewohnern zum Aufenthalte dient.
Am 20. kamen wir bei der Bergstadt Acrem an, wo sämmtliche Passagiere das Boot verließen, um theils im Orte die nöthigen Einkäufe zu besorgen, theils den Schleusenbau besser zu besehen, durch welchen die Boote mittels 17maliger Steigung 160–170 Fuß hoch auf den Berg gehoben und jenseits nach und nach bis zur frühern Tiefe hinabgelassen werden.
Meine Aufmerksamkeit nahm besonders das in der Nähe befindliche Eisenstein-Bergwerk, mit Anwendung von Dampfmaschinen, in Anspruch.
Eine englische, vornehmthuende Familie von unserm Boote, welche in der Kajüte sich plaçirt hatte, war mir gefolgt, und in dem Wahne, eine des Weges kundige Person in mir zu sehen, da ich nicht zurückging nach dem Stege, auf welchem wir das Wasser passirt waren, sondern in gerader Richtung vorwärts dem Boote nachzukommen suchte, verfolgte sie auch hier meine Fersen. Der Bach gestattete an einer seichten Stelle das Durchwaden, so daß nur die Stiefeln etwas naß wurden.
Der Graf, und selbst sein kleiner Sohn entschlossen sich, gleich mir, das Wasser zu durchgehen, doch die arme Lady blieb zurück, da nach dem Stege, worüber wir gekommen, zurückzugehen, der Weg zu weit war, um zeitig noch das Fahrzeug zu erreichen. Da der Mann zu schwach war, um selbst das Lastthier abzugeben, die liebe Frau hindurchzutragen, so entschloß ich mich, theils aus Mitleid, theils um zu zeigen, daß der Deutsche, wenn er will, auch galant seyn kann, den Träger einer angenehmen Last hier zu machen. Schon war ich glücklich durch den Bach, und nur der Erdwall noch zu ersteigen, um auf festem Boden erst der Last mich zu entledigen, und muthig hatte ich schon die Hälfte des Weges erstiegen, als, o höllisches Geschick! die Füße[S. 125] mir auf dem nassen Boden entglitten und, wer kann vor Unglück! da lag unter mir die stolze Britin im Moraste. Der lose Mann, gleich Vielen seines Gleichen, freute sich des Unfalls seiner Frau, und gab durch Händeklatschen seinen Beifall zu erkennen. Das Söhnchen weinte und die beschmutzte Frau suchte möglichst ihren Unmuth zu verbergen. Als aber beim Aufstehen die Schuhe den ferneren Dienst versagten und in Schmuz zurückbleiben wollten, da konnte sich die Weibernatur nicht länger verleugnen und, Gott sey’s gedankt! in englischer Sprache nur, da sie kein deutsch verstand, erhielt ich meinen Lohn, obgleich nicht ich, sondern der nasse Boden nur die Schuld alles Unglücks trug.
In der Nacht auf den 21. passieren wir die Stadt Massilon, und desselben Tages den kleinen Ort Bethlehem, welcher, der Angabe nach, das beste Trinkwasser haben soll.
Die schöne Witterung an diesem Tage veranlaßte uns, das Boot zu verlassen, welches im letzten Orte auf die nöthigen Zugpferde warten mußte, und wir verfolgten den Pfad, welcher fort und fort durch Felsenschluchten in verschiedenen Krümmungen sich windet. Die Berge, mit Tannen bewachsen, waren nur wenig gelichtet, eben so verriethen nur wenig angebaute Stellen die Nähe von Menschen.
Gegen Abend, bei dem Orte Bolivar, wurde mir eine besondere Freude zu Theil, da uns ein Reisender begegnete, welcher, bei Nennung meines Namens, mir freudig die Hand drückte und die Zeit ins Gedächtniß rief, in der er in Weimar bei mir als Kupferschmidt gearbeitet, und dort glückliche Tage verlebt habe. Auch er, vom Schwindel der Auswanderung ergriffen, unternahm die Reise, landete in New-Orleans, erhielt aber, aus Mangel der Sprachkenntnisse in seinem Geschäfte keine Arbeit und suchte deshalb mit Holzfällen sich so viel zu verdienen, um nach den nördlichen Staaten reisen zu können, wobei er vorzüglich auf die Gast[S. 126]freundschaft der Farmer rechnete. Das Glück begünstigte sein Unternehmen, da er auf einem Dampfboote, welches den Missisippi und Ohio befährt, eine Stelle als Feuermann erhielt und so nach Cincinnati gelangte, von wo aus er die Weiterreise zu Fuß unternahm.
Die Nacht zum 22. wurde abermals, wegen Mangel an Pferden, gehalten. Den 22. war es empfindlich kalt. Die Gegend war bergig und mit vielem Holz bestanden, welches theilweise umgehauen, zum Faulen die Erde bedeckte, oder niedergebrannt war, weshalb die Gegend nahe am Kanal noch wenig urbar und eben so wenig von Menschen bewohnt ist. — Mittags erreichten wir Newankom-Stadt, wo sich ein mir ewig denkwürdig bleibender höchst trauriger Fall ereignete. Das Boot fuhr unter einer Brücke durch, als ein junger hoffnungsvoller Mensch, auf einem Stuhle auf dem Verdeck sitzend, den späten Ruf des Steuermanns nicht beachtete, welcher durch das Wort: „Bridge!“ (Brücke) den Durchgang unter derselben anzeigte. Ersterer, mit dem Rücken der Brücke zugekehrt, bemerkte die Annäherung derselben und die Gefahr nicht. Der Raum des Durchgangs war nur gering und man konnte nur mit dem Körper flach auf dem Verdeck des Bootes liegend, unter einer solchen gewöhnlichen Brücke wegfahren, ohne sich zu beschädigen. Während des Falles vom Stuhl kam der Kopf des Unglücklichen mit dem Stuhle in Berührung, und in demselben Augenblicke war der Beklagenswerthe eine Leiche, da ihm Kopf und Brust zerquetscht waren.
In der Nacht vom 23/24. gab es viel Schnee, welcher aber bis Mittag des 24. von den warmen Sonnenstrahlen eines der schönsten Herbsttage wieder geschmolzen wurde. Der Kanal führte am 23. ebenfalls durch die mit Mühe und großem Geldaufwand gesprengten Felsenklüfte, welche mit Eichen und Tannen bewachsen sind. Hier in dieser Gegend traf ich eine höchst romantisch ge[S. 127]legene Farmer-Wohnung, von welcher die stattlichen Gebäude den begüterten Besitzer verriethen, und es war das erste Mal auf dieser Reise, daß ich einen solchen um sein Loos beneidete.
Nachmittag wurde bei der Stadt Newark Halt gemacht, wo die Passagiere sich mit dem Nöthigsten versahen, und ich in gleicher Absicht das Boot verließ, um Brod einzukaufen, wobei ich mir eine leichte Erkältung zuzog, welche mich später nöthigte, das Fahrzeug zu verlassen, um ein Bedürfniß zu verrichten. Eben im Begriff vom Boot ans Land zu springen, stieß der Schurke von Steuermann, mein Vorhaben bemerkend, das Boot vom Lande ab, wodurch die Kluft des Wassers sich erweiterte, und ich bei zu kurzem Sprung bis an den Unterleib in dasselbe fiel. Alle Personen auf dem Verdeck brachen in ein Gelächter aus, nicht ahnend, welche traurige Folgen dieser Vorfall für mich haben sollte, da die nassen Kleider nicht sofort mit trockenen vertauscht werden konnten, und eine passende Stelle das Fahrzeug wieder zu besteigen, erst nach Verlauf einer halben Stunde sich darbot. Mein altes Uebel stellte sich ein, und die Schmerzen der Kolik wurden, um größeres Unglück zu vermeiden, durch das möglichste Zusammenschnallen der Leib-Bandage noch vermehrt. Ohne Hülfe, nichts was mir Linderung gewährte, lag ich besinnungslos oder raste wie unsinnig, mich selbst nicht mehr kennend. Erst spät am Abend erreichten wir Schelekatie, wo ein herbeigerufener Arzt Magenpflaster und Fußumschläge verordnete, auch zum innerlichen Gebrauche mir Quecksilber eingab. Was übrigens Alles diese Nacht mit mir vorgenommen wurde, wußte ich nicht, da meine Lebensgeister zu sehr abgespannt waren. Erst am Morgen, als das Magenpflaster erneuert werden sollte, wurde ich gewahr, daß man mir die, der Sicherheit wegen um den Leib getragene Baarschaft entwendet hatte, und solche, aller[S. 128] Nachforschung ohngeachtet, nicht wieder erlangt werden konnte, schon deshalb nicht, weil der Kapitän, welcher mich entkleidet hatte, den Diebstahl selbst vollbracht haben mußte. — Was nun anfangen, da mir nur zwei Dollars in Papier, welche in der Brieftafel und in der Seitentasche des Rockes, schlecht verwahrt, geblieben waren? — Das Ziel der Reise war nicht mehr fern, und ließen auch die großen Schmerzen mich wenig an die Zukunft denken, so glaubte mein stets reger Geist doch wieder Mittel zum Erwerb auffinden zu können.
In der Nacht zum 26. hatte es stark gefroren, so daß es nur vier Pferden möglich wurde, das Boot durch das mit einer Eisdecke belegte Wasser fortzuziehen; bei zunehmender Kälte in der folgenden Nacht fror das Fahrzeug förmlich ein und wir saßen, noch 14 Meilen von Portsmouth entfernt, förmlich fest.
Die Passagiere sahen sich am Morgen des 27. genöthigt, auf Bauernwagen oder per pedes diesen Ort zu erreichen; ich selbst war durch den an mir verübten Raub gezwungen, mich der Zahl der Fußgänger anzuschließen, nachdem ich wegen Mangel des Fahrgeldes, mein gutes Gewehr dem Schurken von Kapitän überlassen mußte. —
Portsmouth, die vornehmste Stadt des Scioto-Landes, am Ohio-Ufer, besitzt eine Bank, einen Gerichtshof und die gewöhnliche Zahl öffentlicher Gebäude mit ungefähr 1000 Einwohnern. —
Am 28. Mittags ging auf dem Ohio-River (Fluß) ein Dampfschiff nach dem 114 Meilen entfernt gelegenen Cincinnati ab, und meine Kasse reichte eben noch zu, das Fahrgeld dahin zu bestreiten, da der Platz im Deck nur einen Dollar betrug. — Die Passagiere im Zwischendeck bildeten auch hier wie auf den Seeschiffen ein Gegenstück zu den Kajüten-Passagieren. Nirgends Ordnung, Jeder[S. 129] treibt nach Wohlgefallen, wie es ihm gutdünkt, und nur den Frauenzimmern wird der Vorrang gelassen. Die Bequemlichkeiten, welche den Kajüten-Passagieren zu Gute kommen, fehlten hier ganz, selbst die vorhandenen Schlafstellen reichten nicht aus für die vielen Reisenden, und deshalb lag Mann an Mann auf dem Fußboden rings um den rothglühenden Ofen, welcher in der Mitte des Raumes angebracht, seine Wärme, da die Nacht sehr kalt war, wohlthuend mittheilte. Mir selbst kam jedoch dieser Genuß nicht lange zu Gute, da ich nur auf einen Augenblick mein Lager verlassen, es von einem Anderen sogleich eingenommen sah und mir daher nichts übrig blieb, als im Mantel gehüllt, entfernt vom Feuer, die Nacht auf einem Baumwollen-Ballen zuzubringen. Das kalte Fieber stellte sich wieder ein, und von Allem entblößt, ging die dunkle Zukunft in traurigen Bildern an mir vorüber.
Nachdem das Dampfboot an mehren kleinen Ortschaften vorbeigefahren, hielt es bei Maysville am Kentucky-Ufer an, wo Passagiere und Waaren ausgesetzt, und andere eingenommen wurden. Diese Stadt auf einem engen Grund und Boden in der Mitte grauer Hügel, welche sich gerade hinter ihr und dem Ohio erheben, erbaut, hat drei Straßen, welche parallel mit dem Flusse laufen und von vier andern im rechten Winkel durchschnitten werden; sie zählt über 2000 Einwohner und ist das Magazin der Güter und Waaren, welche bestimmt sind, den östlichen Theil des Kentucky-Staates zu versehen.
Bis Cincinnati wurde von hieraus die Fahrt ununterbrochen fortgesetzt, wo wir an manchem aber unbedeutenden Orte vorbeifuhren, und den 28. Mittags erstere Stadt erreichten.
Aufenthalt in Cincinnati.
Im Dezember 1839.
Ans Land gestiegen, folgte ich mechanisch mit meinen wenigen Habseligkeiten (da die übrigen Sachen in New-York zurückgeblieben), einem unserer Landsleute, dessen Bekanntschaft ich auf dem Dampfschiffe gemacht hatte, nach einem deutschen Kosthause, dessen Besitzer als äußerst human geschildert wurde.
Das Mittagessen war eben aufgetragen und nicht wissend, von was ich solches bezahlen sollte, nöthigten mich doch Appetit und Hunger, daran Theil zu nehmen. Das Tischgespräch an der reichlich mit Gästen besetzten Tafel bestand in Klagen über schlechte Zeiten, da Viele hier eine bessere Existenz zu finden gehofft, aber getäuscht, sich und Andere durch übermäßigen Andrang der Arbeitsuchenden, ins Elend stürzten. Mir erstarb bei dieser Kunde der Bissen im Munde, und als ich selbst bei meiner Wanderung durch die Straßen überall nur arbeitslose Menschen stehen sah und von Letztern die Bestätigung erhielt, daß Tausende in Noth und Elend einer ungewiß bessern Zukunft entgegen sähen, da bangte mir selbst vor meiner eigenen Existenz und ermattet, körperlich und geistig, suchte ich am Abend bald die mir nöthige Ruhe.
Doch so sehr auch der geschwächte Körper des Schlafes bedurfte, so war dennoch der Geist zu sehr aufgeregt, als daß ich dazu hätte gelangen können. Mein ganzer Lebenslauf ging an meiner Seele vorüber, nie war ich so arm, nie fühlte ich mich so verlassen als jetzt. Ohne Familie, ohne Freunde und Bekannte unter einer lieblosen Nation, deren Wahlspruch ist: „Hilf Dir selbst!“ welche den Deutschen mit der größten Verachtung behandelt, was hatte ich da, vom Geld entblößt, von der Zukunft zu er[S. 131]warten? Ein Trost nur blieb mir übrig, die Zuflucht zu Dem zu nehmen, welcher Mittel und Wege kennt, wenn des Menschen eigene Macht nicht mehr ausreichend ist, und zu keiner andern Zeit habe ich die Gottheit inbrünstiger um Beistand angerufen als in dieser, bis ich unter Thränen und dem Gebet des schönen Verses: „Befiehl du Deine Wege, und was Dein Herze kränkt“ u. s. w., entschlummerte.
Am Morgen entdeckte ich dem Wirth die wahren Verhältnisse meiner Lage und bat ihn um Rath was zu thun oder zu lassen sey. Dieser sah mir wohl an, daß ich zu schwerer Arbeit noch zu sehr entkräftet, was ich mir selbst nicht zugestehen wollte und empfahl mich daher, bei Mangel an leichter Arbeit, der deutschen Gesellschaft mit der Bitte, Etwas für mich zu thun.
Herr Schweizerhoff, Präsident der Gesellschaft, ersah aus meinen ihm vorgelegten Attesten, daß er nicht einen gewöhnlichen Bettler vor sich habe, und bedauerte sehr, daß er nicht mit Vollmacht versehen sey, mir aus der Gesellschaftskasse Etwas verabreichen zu können, da den Statuten gemäß nur die Mitglieder der Gesellschaft sich gegenseitige Unterstützung zugesagt hätten; mit mir aber eine Ausnahme zu machen, würde leicht Veranlassung zu anderweiten Anforderungen geben. „Doch“ fuhr er fort, „giebt es hier Viele reiche und dabei brave Männer, von denen Sie gewiß Keiner ohne Gabe entlassen wird und deshalb werde ich Ihnen einige Namen derselben aufschreiben“, worauf er selbst Etwas in ein Papier wickelte und mich in Gnaden entließ.
Also bis zum Bettler herabgesunken! „O Philosophie, verlaß mich nicht und erhalte mir den Verstand!“ war mein erster Gedanke, als ich den Bettelbrief entfaltete, welcher ½ Dollar enthielt. — Apotheker Refuß war der erste Name auf der Liste. Was sollte ich thun? Doch, wie der zu Ertrinkende im Wahne, sich zu retten, nach einem Strohhalm greift, eben so blieb mir keine Wahl und langsam ging ich der Apotheke zu.
„Der Herr ist nicht zu Haus“, versetzte auf deutsch der Provisor, als ich nach dem Prinzipal frug, „doch kann ich vielleicht selbst Ihnen die gewünschte Auskunft ertheilen!“
„„Ist auch dieses nicht der Fall, so trägt schon Ihre Theilnahme an meinem Geschick zu dessen Linderung bei. Doch, als Beweis, wen Sie vor sich haben, lesen Sie zuvor das Attest meiner Behörde.““
„Aus Weimar sind Sie?“
„„Ja!““ entgegnete ich.
„So haben Sie hier einen Landsmann, den Apotheker Aacke!“
„„Sie irren, Freund! denn dieser ist in Cleveland, etablirt, wohin ich vom Vater Briefe mit über See gebracht.““
„Er war es!“ fuhr Jener fort, „doch sein Kompagnon hat das Farmer-Leben vorgezogen, wozu ihn dessen Frau bestimmte, und Acke, selbst nicht vermögend das Geschäft auf eigene Rechnung fortzusetzen, hat sein Etablissement wieder aufgeben müssen und konditionirt jetzt in der Apotheke bei Colb.“
Freudige Nachricht! Vorbote einer noch größern. Unverzüglich wurde jetzt Freund Acke aufgesucht; doch er erkannte mich nicht, so hatten Gram, Sorgen und Krankheit der letztern Tage mich entstellt.
Nach herzlicher Begrüßung, worauf dieser Brave meine Verhältnisse erfuhr, bat er mich vor Allem, Niemandem mehr meine Lage zu vertrauen, indem er für alle Bedürfnisse sorgen würde.
„Waren Sie schon bei Tanneberg’s?“[41] frug er im Laufe des weitern Gesprächs.
„„Tanneberg hier, so weit im Lande, den ich nirgends anders als in Baltimore geglaubt?““
„Ja! und wie es scheint, zu Ihrer Pflege vorausgeschickt.“
Jetzt erst erkannte ich Gottes weise Fügung. So und nicht anders mußte Alles kommen, um mich prüfend zu erniedrigen, und mir dadurch Aacken und Tanneberg’s zuzuführen, die ich vielleicht auf anderm Wege nicht getroffen, wenn ich nicht, wegen Mangel an Geld, zu dem Mitgetheilten die Zuflucht hätte nehmen müssen.
Freudiges Wiedersehen! Zu keiner passendern Zeit hätte ich wohl Tanneberg’s in Amerika auffinden können, als hier in Cincinnati. Die brave Frau suchte durch Wartung und Pflege, da ich sogleich ihre Wohnung beziehen mußte, meinen Zustand möglichst zu erleichtern und versetzte mich durch Speise und Trank in die geliebte Heimath, wodurch sich leichter vergessen ließ, so weit von den Meinen entfernt zu seyn, deren geliebtes Andenken bei in Schranken gehaltenem Geist, dem Herzen um so schmerzlicher wurde.
Auch dieser Familie hatte in Amerika das Glück nicht gelächelt, von welchem sie in der alten Heimath geträumt. — In Baltimore gelandet, fand der Mann bei einem reichen Tischler und Möbelhändler als Lackirer einen solchen Verdienst, der zwar bei angestrengter Arbeit den Lebensunterhalt sicherte, nicht aber die Möglichkeit gab, die Reisekosten wieder zu erübrigen. Letzteres bestimmte ihn, dieses Geschäft wieder aufzugeben, um mit einem Zimmermaler ein Kompagniegeschäft zu arrangiren, welches besser rentiren sollte. Doch das Letztere war nicht der Fall und da Ersterer einen Ruf nach Cincinnati, um daselbst eine Kirche zu malen, ausschlug, so nahm Tanneberg für ihn den Auftrag an und machte mit Frau und Kind die weite Landreise, in dem Glauben, selbstständig das bis hieher Zugesetzte bald wieder verdienen zu können.
Die angefertigten Skizzen und Zeichnungen über Styl und Ausführung der Kirchen-Malerei wurden von dem Gemeinde-Vorstand anerkannt, ebenso die verlangte Summe für Ausführung der Arbeit genehmigt, als aber die Kirche noch für das nöthige Gerüste zum Malen stehen sollte, zerschlug sich der Handel, die Arbeit unterblieb und der betrogene Maler wurde wieder in die kritische Lage versetzt.
An einem fremden Ort, ohne alle Bekanntschaft und Fürsprache, mußte er allein, da die Frau selbst immer kränklich war, sich und seine Familie drei Monate lang durch allerhand saure Arbeiten durchzuhelfen suchen, wobei die letzten mit über See gebrachten Louisd’or’s noch vollends zugesetzt wurden. Doch in diesem Lande gilt als erste Regel: nur nicht den Muth verloren! Denn auch sein Geschick sollte sich von Neuem wenden.
Ein reicher Kleiderhändler, das Mode-Journal der Stadt, welcher sich zur Aufgabe gemacht, Alles in Cincinnati noch nicht Vorhandene zuerst zu besitzen, hörte von dem Zimmermaler und übertrug ihm die Arbeit in seinem Laden auszuführen. Eben noch damit beschäftigt, kam ich zu ihm und mit wahrer Freude hörte ich oft, wenn er die Kunde mit nach Hause brachte, daß seine Leistungen Anklang fänden und er deshalb einer bessern Zukunft entgegen sehen könne[42].
Der gehabte Verlust machte meinen Plan, als Volontär auf einer der größern Farmen hiesiger Gegend die[S. 135] Welschkorn-Brennerei zu erlernen, unmöglich und die zerrüttete Gesundheit, welche sich nicht wieder regeln wollte, um Lohn zu dienen, zur Zeit unausführbar. Ich nahm daher den Vorschlag meines Freundes Aacke mit Freuden an, um mit ihm, auf vorgestreckte Kosten, die westlicher gelegenen Staaten zu bereisen und bis New-Orleans, wohin er berufen, die Reise fortzusetzen, welche nach Verlauf von 14 Tagen anzutreten sey, bis wohin sein Nachfolger eingetroffen seyn werde.
Schon in meinem frühern Plane lag das Projekt, diese Tour zu machen und da vorzüglich die Jahreszeit die Ausführung begünstigte, ich mich auch bis zur Ankunft in dem von hier noch 540 Stunden entfernt liegenden New-Orleans wohler zu befinden glaubte, um dort, wo alle Arbeit doppelt bezahlt werden sollte, mir den Bedarf zur Rückreise zu verdienen, so sagte ich zu und füllte die noch bis zum Abgang übrige Zeit mit Sehen, Hören und Aufnotiren alles mir Merkwürdigen dieser Stadt aus.
Im Dezember 1839.
Fortsetzung.
Cincinnati, nach Orleans die größte Stadt des Westens, wurde im Jahre 1790 gegründet und zählt jetzt schon über 37,000 Einwohner. Sie liegt auf dem rechten Ufer des Ohio, der Mündung des Licking-Flußes gegenüber, auf einer weiten Ebene, welche von Wald bedeckten Hügeln umgeben ist. Von der Höhe dieser Hügel aus kann man die Stadt mit allen ihren Straßen, Gärten, Gebäuden, so wie den mit Dampfbooten bedeckten Ohio, die Städte Newport und Cavington auf dem Kentucky-Ufer und das Leben und Treiben der geschäftigen Menge deutlich übersehen. Das Auge nimmt das große Amphitheater auf[S. 136] einmal ein und nirgends wird man wohl eine schönere Aussicht, einem Panorama gleich, aufzufinden Gelegenheit haben.
Die Stadt selbst liegt 70 Fuß höher als der Fluß und ist so vor dem Strom geschützt, der oft durch Regenwasser und schmelzenden Schnee bis zu einer beträchtlichen Höhe anschwillt. Das ziemlich steile Ufer, an welchem die Dampfboote anliegen, ist mit vielem Aufwande in einer der schönsten Landungsplätze umgeschaffen worden, indem derselbe vom Wasser an bis zu seiner Höhe in einer Länge von mehr als 1000 Fuß, ganz mit Steinen gepflastert und an verschiedenen Stellen mit eisernen Ringen versehen ist, an welche die Dampfschiffe befestigt werden können.
Die mit dem Ohio parallel laufenden Straßen, wie alle anderen, welche jene in rechten Winkeln durchschneiden, sind fast alle breit, gerade, gut gepflastert und mit Trottoirs versehen; sie führen theils besondere Namen, oder sind nach der Zahl der Nummer benannt. In allen Straßen herrscht die größte Reinlichkeit, da sie in Folge ihrer sanften Steigung vom Regenwasser abgespült werden. — Quellwasser fehlt, dagegen wird die Stadt reichlich mit Wasser aus dem Ohio versorgt, welches durch Dampfkraft in alle Straßen und viele Gebäude geleitet wird, und wofür die Einwohner jährlich eine Abgabe zu entrichten haben.
Unglaublich schnell blüht Cincinnati auf und Bevölkerung, Wohlstand und Verbesserungen aller Art nehmen täglich zu. Ihr Handelsgeist zeigt große Thätigkeit, Unternehmung und Spekulation. Dampfboote kommen und gehen täglich mehre ab und der Miami-Kanal, welcher von Norden her in die Stadt tritt, unterhält einen ausgedehnten Handel in das Innere. Täglich ist Markt und es scheint die Meinung aller Fremden zu seyn, daß hinsichtlich des Ueberflusses, der Billigkeit und Vortrefflichkeit der verschiedenen vorhandenen Gegenstände kein Markt der andern Staaten mit dem von Cincinnati zu vergleichen sey.[S. 137] Die Menge der Stores (Kaufläden) und ihre Vorräthe, wie der Betrag verwendeter Kapitalien, vermehrt sich immer mehr und eine der größten Niederlagen der westlichen Staaten scheint sich hier zu gründen. Nächstdem geben die vielen Manufakturen der Stadt ihren Reichthum, wie überhaupt alle Handwerke ausgedehnt und großartig betrieben werden.
Unter einigen vierzig Fabriken, wo fast bei Jeder Dampfkraft verwendet wird, fiel mir besonders eine Nagelschmiede-Manufaktur auf, wo in einer Hitze ein 5–6 Zoll in Quadrat starkes und 1 Fuß langes Stück Eisen mittelst Walzwerk zum schwächsten Bandeisen ausgestreckt und dieses dann sogleich wieder kalt auf Nagelmaschinen in der Geschwindigkeit des Pulsschlages in vollkommene Nägel verwandelt wird. — Eine Dampf-Säge-Mühle, deren vier Sägen, jede 80 Schnitte in der Minute machen und 800 Fuß Bret in einer Stunde liefern. — Dampf-Mahl-Mühlen, deren 4 Paar Steine wöchentlich 200,000 bis 250,000 Pfund Frucht in das feinste Mehl verwandeln. Eine Schuhleisten-Maschine, durch deren Hülfe die Leisten aus grob zugehauenen Stücken Holz nach beliebiger Façon und in der größten Schnelligkeit angefertigt werden.
An Banken fehlt es hier wie in allen großen amerikanischen Städten nicht, da es ohne solche schlecht aussehen würde, weil der Geschäftsgang weit größer ist, als daß die dazu im Umlaufe befindlichen baaren Geldsummen ausreichen könnten. Das Papiergeld ist demnach zum Betriebe und Aufblühen des Handels nöthig und befördert auf diese Weise den allgemeinen Wohlstand. Zu bedauern ist es aber, daß dergleichen Anstalten zu wenig Garantie bieten und durch oft vorkommende Bankbrüche Tausende um das Ihrige betrogen werden.
Mit den süßesten Vorspiegelungen wird der fleißige und sparsame Arbeiter veranlaßt, sein sauer erworbenes Gut[S. 138] hier niederzulegen und Viele lassen sich von Prospekten, wie nachstehend einer folgt, hintergehen und betrügen.
Cincinnati’s Wechsel- und Sparbank.
Die Unternehmer dieser Anstalt erachten es für nothwendig, dem Publikum folgende Punkte zur Erwägung und Uebersicht vorzulegen:
1) Die Banknoten einer jeden zahlungsfähigen Bank in den Vereinigten Staaten werden für vollgiltig angenommen, im Falle dieselben der Wechsel- und Sparbank zur Aufbewahrung übergeben worden; zu der durch gegenseitige Uebereinkunft festgesetzten Zeit wird die hinterlegte Summe in Gold, Silber oder gangbaren Noten zurückerstattet.
2) Jede Summe Geldes, welche man in der genannten Wechsel- und Sparbank hinterlegt, wird auf Verlangen, nebst fünf Prozent Interessen zu jeder beliebigen Zeit zurückbezahlt.
3) Arbeitsame Handwerker, so wie jeder andere Arbeiter, welche ihr Vermögen oder einen Theil desselben der Wechsel- und Sparbank anvertrauen wollen, sind dadurch versichert, daß ihnen genannte Wechsel- und Sparbank in jedem Unternehmen unterstützen wird, wenn sie solches ohne eigene Gefahr und Schaden thun kann.
4) Einwanderer, welche von Deutschland oder jeder andern Gegend Europa’s Geld zu beziehen oder dahin zu versenden haben, können ein solches Geschäft mit vollkommener Zuversicht der Wechsel- und Sparbank anvertrauen, indem dieselbe stets bereit und im Stande ist, dasselbe mit größter Sicherheit und Rechtlichkeit gegen möglichst billige Vergütung zu besorgen.
5) Für eine Summe Geldes, welche auf bestimmte Zeit in der Wechsel- und Sparbank hinterlegt wird, werden höhere Zinsen bezahlt.
6) Für ausländische Geldsorten ohne Unterschied wird der höchst mögliche Werth bezahlt. Wechsel- oder Schuldscheine, welche in den östlichen Seestädten oder in Europa zahlbar sind, werden unter billigen Bedingungen eingelöst.
NB. Das Publikum wird aus vorstehenden Artikeln zur Genüge ersehen, daß es die hauptsächlichste Absicht der Wechsel- und Sparbank ist, fleißigen und ordentlichen Handwerkern und Geschäftsleuten, deren Mittel nicht hinreichend sind mit den andern Banken Cincinnatis in Geschäfts-Verbindung zu treten, die möglichste Erleichterung zu verschaffen etc.
Wer möchte wohl unter solchen Versprechungen nicht eine Gelegenheit benutzen, um das Erworbene, im Glauben am sichersten niederzulegen und dabei noch den Vortheil der Vermehrung des Kapitals durch sich selbst, in Aussicht zu haben, das Seinige anvertrauen wollen? Und dennoch ist dieses gerade der Weg, auf welchem Leuten Vertrauen geschenkt wird, die sich kein Gewissen daraus machen, ihren heiligen Versicherungen entgegen, anvertraute Gelder zu unterschlagen, wie solches häufig in Amerika vorkömmt, und deshalb erst kürzlich in Cincinnati vom betrogenen Volke drei Banken erstürmt und demolirt worden sind.
Auch hier wetteifern alle christlichen Kirchenpartheien in gottesdienstlicher Frömmigkeit, und die Bethäuser sind des Sonntags drei Mal überfüllt. — Ich selbst fühlte mich, seit ich amerikanischen Boden betreten, theils durch glücklich überstandene Gefahren zur Dankbarkeit verpflichtet, als auch durch allgemeine Frömmigkeit bestimmt, mehr[S. 140] nach Gottgeweihter Stätte gezogen, als es sonst der Fall war. Da mich aber nicht sowohl der Vortrag des Predigers selbst, welcher nicht immer mit meinen religiösen Ueberzeugungen übereinstimmend ist, zum Kirchengehen bestimmt, sondern mehr, um im stillen Gebet und erhabenen Lobgesang in der dazu eingerichteten Stätte die Herzensempfindungen dem Höchsten vorzutragen, so ist mir jede Konfession gleich und ihr Tempel, als auch für mich geheiligt, anzusehen. Demnach habe ich schon mehre Religionssekten in ihren kirchlichen Gebräuchen zu beobachten Gelegenheit gehabt und solche mehr oder weniger vernünftig gefunden. Hier in dem Methodisten-Tempel aber geht mir wirklich der Glaube an vernünftige Menschheit ab. — Unsinn über Unsinn! Fände man sich nicht angezogen, der Sache die lächerliche Seite abzugewinnen, so könnte man sich versucht fühlen, diese Armen, Verirrten, selbst in’s Gebet zu nehmen.
Der Kanzel zur Rechten sitzt der männliche, zur Linken der weibliche Theil der Gemeinde. Die Emporkirchen sind mehr mit Neugierigen als andächtig Gestimmten besetzt. Die Melodien der Lieder sind über einen Leisten komponirt, und gleichen dem Handwerksburschenliede: „Prinz Eugen, du edler Ritter“ etc., wie ein Ei dem andern. Während also die christliche Gemeinde das Kirchenlied sang, fielen meine Nachbarn, deutsche Handwerker mit: Prinz Eugen du edler Ritter etc. ein, was vollkommen übereinstimmte. Nach dem verlesenen Psalmen tritt derjenige der Gläubigen, welcher sich vom Geiste dazu inspirirt fühlt, in seinem Sitz in die Höhe, oder legt sich vor die Bank knieend mit dem Kopfe auf Erstere, und spricht aus dem Stegreif Anfangs leise, dann immer stärker, bis er ganz aus dem Athem kömmt, und besinnungslos im besten Fluß der Rede stecken bleibt, und ein Anderer die ihm vom Geiste eingegebenen Gedanken auf ähnliche Weise vorträgt.[S. 141] — Ihr Hauptprediger war zu der Zeit krank, wie die für ihn gehaltenen Gebete kund gaben, und ein herumreisender Pensylvanier hatte am heutigen Sonntage den Kanzelvortrag übernommen, wovon ich den Anfang aufnotirt, und als Probe des Unsinnes hier mittheile.
„Lieben Freunde und Brüder! Die Zeit der Besserung ist da, denn Gott, des langen Wartens überdrüßig, schlägt nun mit dem Donnerkeil drein, wenn Ihr nicht umkehrt aus dem Luderleben. Ich sage es Euch nochmals, bessert Euch, da es noch Zeit ist. Der Herr Jesus Christ hat es mir selbst gesagt, weil ich bei ihm war, daß er Euch verirrte Schafe aufnehmen wolle, welche sogleich umkehren, da es noch Zeit ist. Schwestern und Brüder zu bekehren, bin ich weit und breit herumgereist, ja zehn Meilen in der Runde!“ Hier fiel eine Stimme von der Emporkirche ein: „Das ist was Rechts!“ worauf der Prediger fortfuhr: „Wer Du auch seyst! Du bist ein Flegel! ein ......“ hier fehlten vermuthlich die deutschen Worte, und dann wurde in englischer Sprache, welche er geläufiger redete, dem unberufenen Sprecher gehörig der Text gelesen. Mich selbst langweilte die ganze Geschichte, deshalb verließ ich noch vor geendigtem Gottesdienste das entweihete Haus.
Am nächsten Sonntage wurde ich veranlaßt, eine Kirche zu besuchen, wo ebenfalls kein Theolog als Kanzelredner auftrat, sondern diesen Posten ein gelernter Schlosser bekleidete, welcher unter dem Namen: „der Schlosser-Prediger“ den Deutschen hier bekannt ist. Dieser, im Besitz einer Rednergabe, und dabei von der Ansicht beseelt, daß es jedem Menschen Pflicht sey, zum Seelenheil Anderer beizutragen, fühlte sich ebenfalls berufen, Hammer und Ambos mit der Kanzel zu vertauschen, so wie Trauung, Tauf- und Leichenreden zu halten, je nachdem es die um ihn gebildete Gemeinde wünschte.
Bei stattfindender Religionsfreiheit hat Niemand gegen solche Handlungsweise Etwas einzuwenden. Die Gesetzgebung läßt hierin freien Spielraum, da sie sich für inkompetent hält, in religiösen Ueberzeugungen über das innere Verhältniß des Menschen zur Gottheit zu entscheiden. Sie gestattet vielmehr hierin jede Form in gemeinschaftlicher Gottesverehrung, wie verschieden und mannigfaltig solche auch immer seyn mag, und hält sich nur verpflichtet, ihre Wahl zu schützen.
Die Kirche war ebenfalls überfüllt, die ganze Zeremonie geregelt, und der Kanzelvortrag so gut, als er sich nur immer von einem unstudirten Professionisten erwarten ließ. —
Am 10. Dezember mußte ich von Neuem Tannebergs verlassen, da das Dampfschiff (Amazone, Kapitän Lauterbach) mit welchem mein Freund Aacke akkordirt, abgehen sollte. Schwer war der Abschied, da er für das Leben war. Viele Grüße befahl die kleine Auguste (ein Kind von 4½ Jahren) an die Großmutter und ihre alten Gespielen, meine Kinder, ebenso Tanneberg, an Alle, die sich Seiner in der geliebten Heimath noch erinnerten und fügte den Wunsch bei, daß Keiner seiner Bekannten dem Urtheil eines Windbeutels Glauben schenken möchte, welcher Amerika als das Land, in welchem Milch und Honig fließe, anpreißt. Er selbst habe deshalb noch nicht geschrieben, um nicht Anlaß zu einem Vorhaben zu geben, welches nur Wenigen Glück, Vielen aber Noth und Elend bereite. —
Reise nach New-Orleans.
Im Dezember 1839.
In der ersten Kajüte zu reisen, erlaubten unsere finanziellen Umstände nicht, und es wurde demnach in der zweiten, welche geräumig und hinlänglich mit Schlafstellen versehen war, Posto gefaßt, wofür die Person bis Orleans, ohne Beköstigung, 8 Dollar zahlte. Fünf Dollar sind nur zu entrichten von denjenigen, die sich verpflichten, das nöthige Brennholz von den oft sehr steilen Uferplätzen nach dem Dampfboote mit zu tragen, welches aber nicht anzuempfehlen ist, wie sich solches im Laufe meiner Erzählung ergeben wird.
Bis zur Einmündung des großen Miami-Flusses in den Ohio-River welcher an dieser Stelle die Gränze zwischen den Staaten Indiana und Ohio bildet, hielt ich mich fortwährend im Freien auf, um nichts von der Gegend zu verlieren, durch welche das Dampfboot längs der mit Wald bedeckten Ufer schnell dahin flog und wo von Zeit zu Zeit hübsche Landhäuser auf beschatteten Höhen dem Auge sichtbar wurden. Die Abendkühle nöthigte mich aber bald zum Rückzuge, und um so bedauerlicher war es, daß die Nacht schon eingebrochen, als wir bei Vevay ankamen, wo der nöthige Holzbedarf gefaßt wurde, leider aber von der Stadt nur wenig gesehen werden konnte.
Der Boden, wo dieser Ort auf dem Indiana-Ufer im Jahre 1804 gegründet worden, ist sehr fruchtbar und soll sich vorzüglich zum Weinbau eignen, weshalb mehre Schweizer-Familien, welche sich hier angesiedelt, vom Kongreß begünstigt, besonders diesen Zweig der Landwirthschaft zu kultiviren sich angelegen seyn lassen.
Während der Nacht passirten wir die Einmündung des Kentucky-River und das auf einer Anhöhe gelegene Städtchen Madison.
Gegen Mittag des 11. langten wir bei Louisville an, welche Stadt 131 Meilen von Cincinnati entfernt, unter der Mündung des Beergrass-Flusses liegt. Es ist die wichtigste Stadt vom Staate Kentucky, und der Sitz der Justiz für Jefferson. Die Hauptstraßen, welche mit Trottoirs versehen und gut gepflastert sind, laufen mit dem Ohio parallel und werden von mehren Querstraßen in rechten Winkeln durchschnitten; die Stadt zählt über 14,000 Einwohner.
Der Ort selbst war früher wegen der in der Umgegend befindlichen Sümpfe und des stinkenden Wassers äußerst ungesund. In neuerer Zeit hat man aber diesem Uebel durch angelegte Kanäle und Graben abgeholfen.
Die vielen Sandbänke, welche sich in dem eine Meile breiten Fluß vor Louisville befinden, machten bei niederem Wasserstand die Passage äußerst gefährlich, weshalb mit ungeheurer Mühe und einem Aufwand von 400,000 Dollars bis Schippingport ein Kanal gebaut worden ist, welcher 2 Meilen lang, 40 Fuß tief und breit genug ist, um von Dampfbooten passirt werden zu können. Der Kanal fängt unterhalb Louisville in einer kleinen Bucht am Ufer an, geht hinter Schippingport hinweg und vereinigt sich wieder mit dem Ohio zwischen Schippingport und Portland, wo sich das Flußbett wieder verengt. Drei unweit der Ausmündung angebrachte Schleusen stellen bei einem Fall von 24 Fuß das Wasser-Niveau her. Der Wasserstand war zur Zeit unserer Durchfahrt äußerst niedrig, (5½ Fuß) so daß das Boot nur mit der größten Mühe und zu seinem Nachtheil, da es beständig auf dem felsigen Grunde wegging, vorwärts gebracht werden konnte und wegen einbre[S. 145]chender Nacht bis zum nächsten Morgen im Kanal verweilen mußte.
Ich und Freund Aacke hatten das Boot verlassen, um von einem erhöhten Standpunkte aus, bei einem großen Magazin, die herrlichste Aussicht zu genießen. Vor uns war der Fluß mit seinen vielen Klippen und Sandbänken und einer mit Wald bewachsenen Insel, rechts die Wasserfälle im Fluß und im Hintergrunde die Stadt Louisville. Links auf dem andern Ufer erblickte das Auge die Städtchen New-Albany und Clarksburg und etwas mehr zurück den Wald, welcher leider jetzt die Bäume blattlos zeigte. Es stehen wohl an keinem andern Orte der Vereinigten Staaten die blühenden Städte so nahe zusammen, als hier an beiden Ohio-Ufern. Jeffersonville, Clarksburg und New-Albany im Indiana-, Louisville, Schippingport und Portland im Kentucky-Staate.
Um die Lage und Namen der Städte auf dieser Wasserreise genau kennen zu lernen, hatten wir uns den Western-Pilot by Sam. Cummings angeschafft; ein Werk, welches Freund Aacke in Cincinnati gekauft hatte, und das uns mit seinen Abbildungen des Ohio- und des Mississippi-Laufes[43] jetzt als Wegweiser herrlich zu Statten kam, da wir schon im Voraus auf alles Sehenswerthe aufmerksam gemacht wurden.
Am Morgen des 12. Dezember nahm auch Freund Aacke beim Flottmachen des Bootes den thätigsten Antheil und wich erst dann von seinem eingenommenen Platz, als ich ihn auf die Gefahr aufmerksam machte, die seiner dort drohte. Denn kaum hatte ein Matrose den eben verlassenen Posten besetzt, als solchen der Druckbaum mit Gewalt niederwarf, den Arm quetschte und die ganze Seite stark beschädigte.
Mein geretteter Freund stand jetzt dem Verunglückten bei, versah die Stelle des Chirurgen, und schiente und verband die beschädigten Theile mit solcher Gewandtheit, daß man darüber vergaß, daß er nur ein gelernter Apotheker sey. In Amerika aber gilt die Geschicklichkeit, Niemand fragt „was hast Du gelernt?“
Die Reisegesellschaft hatte sich in Louisville um 2 Personen vermehrt, welche, nach dem Aeußern zu urtheilen, nicht unter die Zahl der vom Glück Begünstigten gehörten. Dabei wurden alle Gegenstände genau von ihren Augen gemustert, auch waren sie immer auf den Beinen und pflegten wenig der Ruhe, welches Benehmen mir um so auffallender war, da sie sich nicht zum Holztragen verstanden, um durch Uebernahme dieser Arbeit ein billigeres Fahrgeld zu erzielen.
Die Witterung war am Tage ausnehmend schön, so daß wir fast die ganze Zeit über auf dem Verdeck zubrachten und uns sonneten.
Von der Mündung des Salt-River an, schlängelte sich der Fluß in großen Windungen durch die meist hohen Felsenufer, auf welchen nur dann und wann ein Haus zum Vorschein kam. Mittags erreichten wir das Städtchen Leawenworth und die Sonne neigte sich schon zum Untergang, als man bei den auf beiden Ufern des Ohio-Flusses erbauten Orten Rome und Stevensport ankamen, welche mittelst einer hölzernen Brücke verbunden sind.
Schon war es Nacht, als der Kapitän anlegen ließ, um den nöthigen Holzbedarf vom Ufer einzunehmen. Die Witterung war äußerst ungünstig, der Regen ergoß sich in Strömen, weshalb die Passagiere, welche zum Holztragen engagirt waren, lange zögerten, ehe sie dem Kommandowort des Steuermanns Folge leisteten. Durchnäßt und über und über beschmuzt, suchten die Geplagten am Ofen sich zu trocknen, wobei mancher seine Reue zu erkennen[S. 147] gab, daß er sich zu diesem Geschäft verstanden. Mir selbst war dabei um so wohler, da ich alle Ursache hatte, mich zu freuen, daß Freund Aacke mich abgehalten, solche Verpflichtung zu übernehmen, wozu ich mich aus Oekonomie zuerst entschlossen hatte.
Während der Nacht vom 12. zum 13. fuhr das Boot an den Orten Hawsville, Troy, Rockport, Owensborough und Evansville vorbei. Bei letzterer Stadt wurde eine deutsche Schneiderfamilie ans Land gesetzt, welche hier bei Verwandten in einer fruchtbaren Gegend sich von Neuem anzusiedeln beschlossen hatte, nachdem sie schon 11 Jahr am Erie-See gewirthschaftet und sich dabei ein hübsches Vermögen erworben hatte, um das sie jedoch zum größten Theil durch einen Bankbruch und durch Ankauf von Lotten, (Bauplätzen) welche später bedeutend im Preis gefallen wären, gekommen seyn sollte. Der Mann war mehr über sein Schicksal gefaßt, doch die Frau weinte Tag und Nacht. Von Allen aber dauerten mich die jüngsten Kinder, welche in aller Unschuld die Mutter zu trösten suchten, diese aber die Liebkosungen der Kleinen mit Härte abwies, da sie sich nicht über ihren Schmerz erheben konnte. Beim Zusammenpacken der Effekten dieser Familie, vermißten sie ein Paar neue Stiefeln und ein Tuch, welche Sachen trotz aller Nachfrage, nicht wieder herbeigeschafft werden konnten.
Früh am Morgen des 13. Dezember sah man auf dem hohen Kentucky-Ufer das Städtchen Hendersonville und bei der Insel Diamond, welche 4 Meilen lang und über eine Meile breit sein soll, ragte ein gesunkenes Dampfboot noch theilweise aus dem Wasser.
Das Städtchen Mont-Vernon auf hohem Ufer, ward ebenfalls bemerkt und bei der Mündung des Wabash-Flusses, wurde an einem uns begegnenden Dampfboot so nahe vorbeigefahren, daß auch keine Hand breit Spiel[S. 148]raum zwischen beiden Fahrzeugen blieb und leicht eine Carambolage hätte Statt finden können.
Gegen Mittag erreichten wir am linken Ufer im Staate Illinois den ansehnlichen Handelsplatz Shawnee-Town. Etwas später wurde uns eine große Höhle gezeigt, welche über 150 Fuß in den Uferfelsen eingehen soll und früher einer Räuberhorde zum Aufenthalt diente, welche die vorbeipassirten Fahrzeuge beraubten.
Während der Nacht vom 13. bis 14. wurde an dem Städtchen Golconda, der Ausmündung des Cumberland-Flusses und den Orten Wilkinsonsville und Amerika, vorbeigefahren.
Am 14. mit Anbruch des Tages kamen wir bei dem Orte Trinity an, welche Gegend äußerst gefährlich für die Schifffahrt seyn soll, wie solches auch zwei verunglückte, noch aus dem Wasser hervorragende Boote bekundeten; einige Zeit darauf wurde Mouth-Ohio erreicht, wo der Ohio sich mit dem Mississippi-Fluß vereinigt, in welchen Letztern sich schon 20 Meilen oberhalb St. Louis der Missouri ergossen hat. Diese drei Flüsse vereinigt, bilden einen der größten Ströme der Welt, welcher wegen seiner lehmigen Sandufer ein äußerst schmutziges Wasser hat, was um so auffallender bei dem Zusammenfluß des reinen hellen Ohio mit dem Mississippi ist und den Reisenden nun um so lästiger wird, da man gezwungen ist, solches Lehmwasser zu trinken und zum Kochen zu verwenden.
Mittags sah man am jenseitigen Ufer wiederum ein erst kürzlich gestrandetes Dampfschiff, von welchem die Uferbewohner die Ladung noch möglichst zu retten suchten.
Die vielen Unglücksfälle wurden besonders dem niedern Wasserstande zugeschrieben und die auf dem Mississippi fahrenden Dampfboote scherzweise mit schwimmenden Särgen verglichen, weshalb uns bei dem Gedanken, schon mit einem Fuß im Grabe zu stehen, nicht wohl zu Muthe ward.
Der Kapitän, selbst für sein Schiff besorgt, stellte die Fahrt des Nachts ein und benutzte nur die Tageszeit, um mit möglichster Vorsicht die Reise fortzusetzen. Wurde auch dadurch die Fahrt verlängert, so gewährte sie doch den Genuß, daß nichts von der Gegend, welche wir passirten, für das Auge verloren ging.
Am Nachmittag fuhren wir gleichzeitig mit einem andern Dampfboot auf einer Sandbank fest, welche sich vermuthlich erst gebildet und noch nicht auf der Flußkarte angegeben war. Alle Versuche, wieder flott zu werden, schlugen fehl, welches zuletzt unsern Kapitän bestimmte, das Schiff zu erleichtern, weshalb gegen 400 Faß Mehl mittelst Kähnen ans Ufer geschafft wurden.
Auf diesen Aufenthalt nicht vorbereitet, reichte unser vorräthiges Proviant nicht aus und wir sahen uns genöthigt, bei einem Farmer, wenn ein solcher nicht allzuweit vom Ufer entfernt wohnte, das Nöthige zu kaufen, oder einen Braten zu schießen. Nirgends war beim Eindringen in das mit Wald bedeckte Ufer eine Spur von Ansiedlern zu sehen und schon suchten wir, mit zwei Wasserhühnern beladen, um bei einbrechender Nacht nicht die Spur zu verlieren, den Weg zurück, als die Schmerzenstöne einer Stimme die Nähe von Menschen verriethen; diesem Schall folgend, erblickten wir, wie ein Unmensch einen seiner schwarzen Sklaven an einen Baum gebunden mit einer Peitsche schlug, da solcher, wie uns der Wütherich selbst erzählte, die Milch verschüttet habe.
Mit den erhaltenen Kartoffeln und etwas Brod eilten wir nach dem Boot zurück, wo während unserer Abwesenheit Aackes Koffer erbrochen und außer Zucker und Kaffee dessen Rasirzeug nebst einiger Leibwäsche entwendet worden war. Von jetzt an verließen wir niemals beide zu gleicher Zeit das Boot und hatten besonders ein scharfes Auge[S. 150] auf die beiden schon erwähnten Individuen, da solche uns des Diebstahls verdächtig vorkamen.
Das andere Dampfboot, welches mit dem unsrigen zugleich auf der Sandbank fest gefahren, konnte trotz aller Versuche nicht flott gemacht werden, da es der Kapitän nicht erleichtert hatte und es saß noch fest auf, als wir am 15. Morgens die Reise fortsetzten.
Im Dezember 1839.
Fortsetzung.
Vom Zusammenflusse des Ohio und Mississippi an, macht der letztere Strom ebenfalls bedeutende Windungen, und den ersten Ort, welchen man wieder antrifft, ist New-Madrid, wo noch Spuren von dem im Jahr 1811 und 1812 gewütheten Erdbeben vorhanden seyn sollen. Später hielten wir bei Point-plaisant an, um Reisende auszusetzen, welche die in der Nähe befindlichen Handelsniederlagen besuchten, wo, wie erzählt wurde, die Indianer Niederlagen von Hirsch-, Reh-, Otter- u. a. Häuten haben, und solche gegen Schießbedarf und Kleidung umzutauschen suchen. Hier hört auf dem rechten Ufer der Missouri-Staat auf, und der von Arkansas beginnt. Linker Hand vom Mississippi hört der Kentucky-Staat auf und es beginnt der Staat Tennessee.
Während der Fahrt am 16. wurde keine Stadt oder ein sonst merkwürdiger Ort angetroffen, auch passirte nichts, was des Aufnotirens werth war.
Am 17. Mittags holte uns das auf der Sandbank zurückgelassene Dampfboot wieder ein, und der Kapitän[S. 151] desselben suchte sogar unserm Boote den Vorsprung abzugewinnen, was jedenfalls in der Absicht geschah, zuerst Memphis zu erreichen, um dort unserm Kapitän die Reiselustigen wegzufischen.
In Amerika macht es sich jeder Kapitän zur Ehrensache, bei einem solchen Wettlauf den Vorrang zu erhalten, und oft wird dadurch das Leben vieler Passagiere aufs Spiel gesetzt, da häufig in diesen Fällen der Dampfkessel springt, weil zur schnellern Betreibung der Maschinen eine zu große Menge Dampf entwickelt wird, und die Seitenwände des Kessels solchen zu widerstehen nicht vermögen. Was nur immer unter die Dampfkessel von Holz gehen will, wird eingefeuert, und bei erschwerten Ventilen fliegt das Boot wie ein Vogel in die Luft. Wie den Passagieren dabei zu Muthe war, läßt sich denken, da die traurige Katastrophe von Cincinnati noch zu neu war, wo durch Sprengung eines Dampfkessels das Schiff zertrümmert und die Gebeine der Verunglückten bis in die Straßen der Stadt und auf die Häuser geschleudert wurden, und Keiner der Passagiere mit dem Leben davon gekommen war.
Zu unserm Glück drohten im Strome liegende Bäume den Schiffen doppelte Gefahr, und war es dieses oder was sonst, schnell ließen sie im Wettlaufe nach, und verfolgten ruhig die Straße.
An der Mündung des Wolf-Flusses liegt Memphis, ein noch wenig bedeutender Ort, welcher die Gränze bildet zwischen dem Staat Tennessee und dem Staate Mississippi. Sechszehn Meilen weiter wurde wieder bei Presidents-Island angehalten und Holz eingenommen.
In Folge der ungünstigen Witterung des gestrigen Tages hatte ich mir eine Erkältung und eine schlaflose Nacht zugezogen, weshalb ich heute das Lager nicht verlassen konnte. Freund Aacke übernahm daher, damit keine Lücke[S. 152] im Tagebuche entstünde, am 18. die Führung desselben, und fuhr fort.
Die Ufer sind niedrig, und nur wenige Höhen wurden wahrgenommen. Das viele Holz und die mitunter vorkommenden schlechten Wohnungen ließen vermuthen, daß diese Landstriche längs der Ufer noch wenig angebaut seyen, weil solche den Ueberschwemmungen ausgesetzt sind. Die Fahrt ist höchst unsicher, da wir mitten durch Treibholz schifften, und von den Baumstämmen, welche das Wasser von den Lehm-Sandufern abgespült, mehre Stöße erhielten.
Bewohner von Helena grüßten freundlich, und, nach dem Aeußern ihrer Wohnungen zu schließen, geht es ihnen gut.
Mittags wurde die Ausmündung des Arkansas erreicht, wo sich ein Waarenhaus zur Unterbringung der Sachen befindet, welche aus dem Innern des Landes kommen und zur Weiterverschiffung bestimmt sind. Dieser Fluß ist nächst dem Missouri und Ohio der größte, welcher sich in den Mississippi ergießt und bei seiner Ausmündung 360 Yards breit ist; er entspringt in den mexikanischen Gebirgen und soll eine Länge von 1500 Meilen besitzen. Die ausgedehnte Gegend, durch welche er fließt, enthält abwechselnd Berge, zahlreiche Anhöhen und fruchtbare Thäler, wo unzählige Heerden verschiedenartiger wilder Thiere zu weiden pflegen.
Längs der Wasserstraße geht die Gegend einförmig fort; die hohen Bäume auf waldigen Ufern und auf den Inseln beschränken die Aussicht und nur die Erscheinung von Alligatoren, Schlangen und Adlern, welche Letzteren zur Vertilgung der Schlangen viel beitragen sollen, gewähren dem Reisenden etwas Neues. Auch Bären, doch mehr zahm als wild, sollen in dieser Gegend hausen.
Gegen Abend fuhren wir an einem Fahrzeug vorbei, dessen Ladung aus mehr denn 100 Ochsen bestand, welche alle so placirt waren, daß sie mit den Köpfen ins Wasser schauten, und so ohne Zuthun der Führer ihren Durst nach Belieben zu stillen vermochten. Das Boot selbst war leck, und die armen Thiere standen hoch im Wasser, welches die Mannschaft zur Thätigkeit zwang, um solches nicht vor seiner Bestimmung nach New-Orleans sinken zu lassen.
Diese Art Fahrzeug, Flachboots genannt, sind gewöhnlich alle in der Bauart überein, 80 Fuß lang, 16 Fuß breit und mit zwei Verdecken versehen, 3½ Schuh tief gehen sie beladen im Wasser und ragen eben so weit heraus. Ein Mann hinten am Steuer, und ein anderer mit dem Ruder am Vordertheile, lenken das Schiff beständig in die Mitte der Flußströmung, und je nachdem diese nun stärker oder schwächer ist, bestimmt sie die Schnelligkeit der Fahrt. Während der Nachtzeit wird dieselbe unterbrochen und das Flachboot an irgend einem Baumstamme festgebunden. Stromaufwärts wird ein solches Boot niemals gefahren, sondern an seiner Bestimmung angelangt, und nachdem die Fracht verkauft ist, um jeden Preis losgeschlagen und gewöhnlich als Brennholz verkauft.
Am 19. Morgens entspann sich zwischen zwei sich veruneinigten Passagieren ein Faustkampf, welcher mit dem Ausdrucke: „Boxen“ belegt war, doch schon beim ersten Gange stürzte Einer der Kämpfenden und fiel den Arm aus. Freund Aacke, auch hier wie immer behülflich, suchte solchen wieder einzurichten, was aber leider! da der Patient nicht stille hielt, nicht gelang. Später aber, als der Verunglückte, von Schmerz gepeinigt, sich der Operation unterwerfen wollte, war es zu spät, da es die Geschwulst unmöglich machte.
Auch heute lieferte die passirte Gegend nichts Neues. Die waldigen Ufer werden nur mit unbedeutenden Baum[S. 154]wollen- und Maispflanzungen unterbrochen. Dagegen wurde die Fahrt äußerst gefährlich, da die vorhandene Flußcharte nicht mehr ausreichte, um sich genau über die Lage der verschiedenen im Flusse vorkommenden Sandbänke mit Sicherheit orientiren zu können. Viele von den im Mississippi befindlichen Inseln, Sandbänken und das Strombett selbst, verändern häufig die Gestalt und werden oft ganz von dem reißenden Wasser weggespült, und nur stark hervorragende Baumstämme verrathen die Stelle, wo das Strombett oder die Inseln früher gewesen sind. Neue Sandbänke setzen sich an, welche mitunter zu bedeutenden großen Inseln erwachsen. Entwurzelte, riesenartige Bäume lagern sich quer über das Fahrwasser, und solche bei niederem Wasserstande nicht zu berühren, ist fast unmöglich. Eben so sind selbst bei größerer Fluth die mitten im Wasser noch fest gewurzelten Bäume den Booten äußerst gefährlich, da die Wipfel derselben häufig das darauf stehende Fahrzeug durchbohren, und das eindringende Wasser solches schnell zum Sinken bringt[44]. Alle diese Gefahren halten doch Niemanden vom Reisen auf dem Mississippi ab, und wie wenig sich der Amerikaner durch Unglücksfälle abschrecken läßt, mag folgender Vorfall beweisen:
Beim Zerspringen des Kessels wurden die Passagiere eines Dampfbootes mit den Trümmern desselben hoch in die Luft geschleudert und verloren das Leben. Nur Einer hatte das Glück, bei dieser Katastrophe mit dem Schreck davon zu kommen, und unbeschädigt aus dem Wasser gezogen zu werden. Der Gerettete that jetzt nichts Eiligeres als nach dem Taschenbuche zu greifen, wo er die Banknoten verwahrt und als er solche geborgen fand, so bestieg er, hoch darüber erfreut, ein anderes, eben abgehendes Dampfboot, wo er die naßgewordenen Banknoten am Ofen trocknete, ohne sich weiter um das Geschehene zu bekümmern.
Nicht weit von der Mündung des Yazoo-Flusses wurde heute etwas später als gewöhnlich Halt gemacht, und da während des Holzeinnehmens, wo die meisten Passagiere die Kajüte verließen, sich einer der Verdächtigen ängstlich in mehren Schlafstellen umsah, so erweckte dieses bei mir Verdacht und ehe Freund Aacke wieder eintrat, sah ich beim Scheine der Lampe, wie er mit einer Reisetasche die Kajüte verließ, gleich aber zurückkehrte und ein Gewehr nachholte, welches, wie ich bestimmt wußte, nicht sein eigen war. Neugierig, wohin er die Sachen trage, wollte ich folgen, doch die naßkalte Abendluft und mein kranker Zustand selbst, nöthigten mich zum Rückzuge. Aacke, welcher jetzt kam, verfolgte statt meiner den Gauner, doch ohne ihn zu finden, und die zurückkehrenden lärmenden Holzträger ließen bald das Vorgefallene vergessen.
Sehr verschieden von einer Seereise war diese Dampfschifffahrt. Die mannichfaltigen heitern Gemüthslagen unserer Reisegesellschaft gaben interessante und angenehme Unterhaltung. Der Amerikaner, und wenn er auch zur niedrigsten Volksklasse gehört, verräth immer einen Anstand und dem Deutschen gegenüber, einen gewissen Stolz, und so lange man dieser Nation nicht zu imponiren versteht, bleibt man die Zielscheibe ihres Witzes.
Ich selbst hielt mich daher abseits und machte den stillen Beobachter, auch Freund Aacke kam nur dann mit ihnen in Berührung, wenn sie dessen Hülfe bedurften, und so lebten wir in Frieden und Freundschaft mit Allen.
Durch Krankheit aufs Lager gebannt, fehlte es selbst da an Unterhaltung nicht, weil die verschiedenartigsten Scenen Stoff zum Zeitvertreib gaben. Ein Kerl lachte über Alles den ganzen Tag, und ärgerte mich so, ohne daß ich selbst nicht recht wußte, warum. „God damn“ war der Abendsegen, und mit einem „Gott verdamme mich!“ wurde der Morgen begrüßt, von einem Subjekte, welches nicht un[S. 156]ter die Zahl der Temprinsmänner[45] gehörte, leider aber den deutschen Namen schändete. Jemehr dieser fluchte, um so ärger lachte der Erstere, und zu diesem Quodlibet spielte ein Dritter von früh bis zur Nacht auf drei Saiten einer Geige das einzige Stückchen, was er konnte, den Gänsetutel; welcher Nationaltanz unwillkührlich die Beine zweier sich gegenüberstehender junger Bursche zum Springen hob, bis solche erschöpft, wiederum Andern Platz machten, welche mit grotesken Sprüngen jene auszustechen suchten. Verstummten die Saitentöne, so erschallten die Lieder aus einer deutschen Fleischerkehle, welche im Jodeln Etwas zu leisten glaubte. Währenddem hütete eine alte Matrone mit Argusaugen ihre beiden liebenswürdigen Töchter, welche verschämt, doch gezwungen, die Erzählung eines Liberalen mit anhören mußten, worin solcher die glücklichen Stunden zu schildern suchte, die er in vergangener Nacht in den Armen eines Freudenmädchens vollbracht, welche Person in einem kleinen Kämmerlein, dicht neben meinem Lager logirte, und zum Dienst für die erste Kajüte engagirt war. Hier wurde geschnupft und gebremt[46], dort geraucht, welchen Qualm überlaufendes Fett auf dem Ofen noch vermehrte, worauf Alles dem herbeieilenden schönen Kinde, welches das Abendbrod am Feuer für die Ihrigen besorgte, Platz zu machen suchte; denn auch hier findet, wie überall in Amerika, die schöne Sitte Statt, daß dem schönen Geschlechte der Vorrang gebührt und ohne Bedenken weicht Jeder vom Platze, welchen er seines Gleichen streitig zu machen suchte. Weder der Ruf leidet, noch kömmt die Ehre in Gefahr, wenn eine Dame ohne Begleitung in Gesellschaft von Männern eine Reise unternimmt. „Achtung den Schönen!“ ist das Loosungswort des Amerikaners, und bietet solche die Reize nicht frei[S. 157]willig, so wird sie beschützt von Jedem, der ihr nahe steht. —
Am Morgen des 20. wurde bei Viksburgh, einem noch unansehnlichen Orte, der unter einer Reihe von Hügeln, und theilweise auf selbigen erbaut ist, angehalten und Passagiere und Waaren ausgesetzt. Auch unsere Gesellschaft verminderte sich um einige Köpfe, welche erst jetzt gewahr wurden, daß ihnen Sachen fehlten, mit welchen ich am vergangenen Abend während des Holztragens, den Dieb hatte entweichen sehen. Vor Allem war es der Verlust des Gewehrs, welchen sie beklagten.
Ist auch der Landungsplatz hier nicht der beste, da solcher schräg, nicht gepflastert, und der lehmige Sandboden vom Regenwasser zerrissen, den Transport der Waaren äußerst erschwert, so ist doch der Verkehr nicht unbedeutend und besonders viel Baumwolle wird von hier aus nach Orleans geschickt, wohin Dampfboote die Kommunikation beständig unterhalten.
Zehn Meilen weiter passirten wir an dem Städtchen Warrenton vorbei. Die Ufer dieser Gegend sind, ebenfalls niedrig, Ueberschwemmungen ausgesetzt und deshalb noch wenig bebaut. Nur kleine Plantagen, und ärmliche schlechte Blockhäuser kommen mitunter zum Vorschein.
Während des Anlegens am Abend hatte sich beim Holzfassen ein von einer Plantage entsprungener Negersklave auf das Boot geflüchtet und sich daselbst zu verstecken gesucht, ward aber am Morgen des 28. entdeckt, an Händen und Füßen gebunden und in dieser erbärmlichen Lage mit nach Orleans genommen. Während der Reise diente der Arme der Schiffsmannschaft zur Zielscheibe ihrer Witze und der Unterhaltung; er war aber klug genug, keine ihrer Fragen zu beantworten, sondern in der Ecke sich ruhig zu verhalten.
Am Mittag war Natchez erreicht und daselbst angehalten, und auch hier wurden Passagiere ausgesetzt und andere mitgenommen. Dieser Ort mit 4000 Einwohnern ist romantisch auf einem hohen Ufer erbaut und eine der größten Städte des Mississippi-Staates, wo sich viele wohlhabende Pflanzer aufhalten, welche von hier aus die Baumwollenversendung stark betreiben. Die Stadt ist romantisch, vom Sandufer etwas entfernt, auf einer Anhöhe erbaut, und auf Letzterem bilden nur Breterhäuser eine Straße, wo meistens Stores errichtet sind, in welchen der Reisende sich mit Allem versehen kann.
Nachdem das Fort Adams, welches auf hohem felsigen Gestade erbaut ist, so wie die Ausmündung des breiten Red-Flusses passirt war, wurde Halt gemacht.
Die am 22. durchschiffte Gegend hat ebenfalls niedrige, mit Wald besetzte Ufer, wo der wilde Wein sich bis in die Wipfel der höchsten Bäume in die Höhe rankt. Der Lauf des Flusses machte jetzt viele und große Windungen, wo auf den Ufern ansehnliche große Plantagen sichtbar sind.
Die Baumwollenfelder hören in dieser Gegend auf und die Zucker-Plantagen machen den Anfang.
Je näher man Orleans kömmt, um so lebhafter wird die Wasserstraße; mehre Dampfboote begegneten uns heute in kurzen Zwischenräumen, so wie auch viele Flachboote. Diese Fahrzeuge, welche schon erwähnt worden, führen meistens die Landesprodukte an Getraide, Mehl, Branntwein, Kartoffeln, Schweinefleisch etc. aus den Staaten Ohio, Indiana, Illinois, Virginien und Kentucky nach Orleans, um daselbst verbraucht oder weiter verschifft zu werden. Der Tennessee- und Alabama-Staat, liefern Baumwolle, der Missouri- und Mississippi-Staat Ahorn und Rohr-Zucker.
Einen Begriff von der Menge zugeführter Viktualien erhält man durch die Zahl der Fahrzeuge, welche während[S. 159] der Wintermonate (in der heißen Jahreszeit stockt aller Verkehr) in Orleans eintreffen, und zwischen 13–14,000 betragen sollen.
Gegen Mittag wurden die felsigen Ufer steiler, und bald kamen wir bei dem Städtchen Baton-Rouge vorbei, welches auf demselben erbaut ist. — Das Laubholz wird hier seltener und Cypressen so wie Akazien treten an dessen Stelle.
Nachdem wir Donaldsonville, die letzte Stadt auf dieser Tour, 80 Meilen von Orleans entfernt, im Rücken hatten, wurde beigelegt. Die waldigen Ufer verschwanden, und die Zucker-Plantagen breiteten sich bis dicht an das Flußbett aus; mehr entfernt von Letztern sind erst Cypressen-Wälder sichtbar.
Gegen Mittag des 23. näherten wir uns dem Ziele der Reise. Einzeln stehende Häuser, noch zwei Stunden von solchem entfernt, verriethen den Anfang der Stadt Orleans. Obgleich mein Gesundheitszustand während der letzten Zeit sich mehr verschlimmert hatte, gab ich doch den Bitten Freund Aackes nach, verließ das Lager, bestieg mit ihm das Verdeck und sah so von hier aus das sich immer mehr entfaltende Gemälde.
Die Häuser der Vorstadt St. Marie rücken mehr zusammen und aus den dazwischen liegenden Gärten schauten freundlich die grünen Zweige der Bäume hervor, von denen manche in voller Blüthe standen, welches bei jetziger Jahreszeit dem Auge um so gefälliger war.
Je näher wir kamen, desto malerischer wurde der Anblick, bis hinter einem Walde von Schiffsmasten dieses Bild so lange verschwand, bis wir an solchem vorbei, die Station der Dampfboote erreicht hatten. — Noch war das Fahrzeug nicht befestigt, als vom Ufer viele dienstanbietende Kreaturen auf solches zusprangen und die Räume füllten.
Während Aacke mit einem Fuhrmann wegen des Transportes unserer Effekten akkordirte, wurden die benachbarten Schlafstellen ausgeräumt, wobei die zweite uns verdächtige Person, welche die Fahrt bis hieher mitgemacht, behülflich war. Noch waren wir am Bord, als einer der Passagiere zurückkam und ein Kistchen suchte, was ihm fehle, doch dieses war vergebliche Mühe; vermuthlich war dasselbe während des Transportes vom Boot nach dem Karren von dem gefälligen Mithelfer entwendet worden.
Ueberall, vorzüglich aber in Amerika ist es den Reisenden anzuempfehlen, seinem bei sich führenden Gepäck die größte Aufmerksamkeit zu schenken und kommen auch Anfälle von Wegelagerern hier wenig vor, so ist doch die Gefahr oft näher, als man glaubt. Der fortwährende Ab- und Zugang von Reisenden auf Kanal- und Dampfbooten und das oft vorkommende Landen während der Nacht in einsamen Gegenden, wegen Einnahme von Holz, giebt Gelegenheit zum Diebstahl und wird häufig von Schurken benutzt. Oft werden auf solchen Booten die abscheulichsten Verbrechen gar nicht entdeckt, oder lange zuvor verübt, ehe man des Thäters habhaft wird. Zum Beleg der Wahrheit meiner Aussage und zur Beachtung für Reisende, die sich, vielleicht durch falsche Berichte eingeschläfert, einer zu großen Sorglosigkeit während der Reise überlassen möchten, lasse ich hier die Selbst-Biographie eines Bösewichts folgen, welche ich mir aus einer amerikanischen Zeitschrift notirt habe.
Bekenntniß
von S. Walker und B. Dix seines Genossen, welcher Herrn Barker in der Mechanics-Savings-Bank zu Louisville Ky ermordete.
Mein Name ist Samuel Walker, ich wurde im Jahr 1812 zu New-York geboren. Meine Eltern waren reich und angesehen. Man erzog mich für das Advokatenamt,[S. 161] aber ich lief 1824 davon, ohne meine Studien vollendet zu haben, und ging nach dem Westen, welcher der Hauptschauplatz meines Lebens wurde. Es trug sich mit mir nichts Erhebliches zu, bis ich Cincinnati erreichte, wo ich mit sehr vielen, auf dem Flusse sich herumtreibenden leichtsinnigen Jungen wie ich Bekanntschaft machte, die mich überredeten, mit ihnen gemeinschaftlich auf dem Fluß zu agiren. Ich that es, und ließ mich auf dem alten Dampfschiffe Caledonia, geführt von John Russel, als Kajütenjunge anwerben; auf diese Art, obschon nicht gerade die angesehenste, fristete ich mein Leben 6 oder 8 Monate und erhielt monatlich 6, 7 oder 8 Dollars. Da ich das war, was man einen flinken Jungen zu nennen pflegt, so dachte ich, daß mein Lohn zu niedrig stehe und kam daher zu dem Entschlusse, mir aus den Taschen der Passagiere, wenn sie schliefen, zu einer bessern Bezahlung zu verhelfen. Die erste That dieser Art, welche ich ausführte, war, daß ich einem Herrn am Bord der alten Feliciana ein Taschenbuch stahl, als dies Dampfschiff am New-Orleans-Wharf lag und worauf ich zu jener Zeit angestellt war. Dies ist, wie ich glaube, nie unter dem Publikum bekannt geworden.
Das Nächste, wobei ich thätig auftrat, war die Beraubung eines Flachbootführers um ungefähr 7–800 Dollars und einer Menge von Juwelenwaaren. Dies geschah an der Levon in New-Orleans, bald nachher, als ich die Feliciana verlassen hatte. Kurz darauf ging ich nach Natchez, wo ich mehre Personen beraubte. Von hier verfügte ich mich nach Memphis, wo ich einen Reisenden auf dem alten Onkel-Sam bestahl. Hierauf kam ich nach Louisville, wo ich so ziemlich drei Jahre lebte, ohne irgend etwas anderes zu thun, als kleinen Kindern das Geld zu rauben, wenn man sie nach Etwas geschickt hatte.
Während meines Aufenthalts an diesem Orte wurde ich[S. 162] mit Gro, Lovette, Jones, Hooves und Thomson bekannt, die seitdem Alle schon gehangen worden sind, und beging mit ihnen zu verschiedenen Zeiten folgende Gewaltthaten: Zuerst schifften wir uns Alle auf einem Flachboote ein, das nach New-Orleans bestimmt war, wo wir Jeder 25 Dollars Lohn erhalten sollten. Alles ging ziemlich gut am Bord, bis wir zwischen Padukah und der Ohio-Mündung anlangten. In dieser Gegend ermordeten wir den Besitzer des Bootes nebst seinem Bruder. Beide wurden von uns über Bord geworfen. Wir ließen das Boot in Memphis anlegen und verkauften Boot und Ladung für 4374 Dollars, welche Summe wir unter uns theilten, so daß Lovette, Jones, Thomson und ich, Jeder 1093 Doll. 50 Cents erhielten. Wir beschlossen nach New-Orleans zu gehen, was wir auch im alten Dampfschiffe Cincinnatienne thaten. In New-Orleans hielten wir uns beinahe den ganzen Winter auf, und Alles, was von uns verübt wurde, war die Ermordung eines Mannes hinter Müller Gordan’s großem Hause in der Girard-Street, wo wir ihn auch verscharrten. Dies war im Jahre 1830. Da ich damals erst 18 Jahre alt war, und schon so viele Schandthaten verübt hatte, erfreute ich mich im achtbaren Rathe der Schufte, Räuber und Mörder eines hohen Ansehens. Sie Alle sagten, daß ich ein fähiger Junge, ein großer Mann sey, und daß, wenn ich jemals gehangen werden sollte, ihr Gewerbe an mir viel Ehre einlegen werde. Angespornt durch Dieses, betrieb ich das Gewerbe weiter.
Zuerst ermordete ich einen Mann jenseits des Stromes, New-Orleans gegenüber, und raubte ihm 14,000 Dollars in Louisiana- und New-York-Noten. Dies geschah im Monat März 1831. Hierauf ging ich an Bord des alten Dampfschiffes Farmer, verfügte mich nach Louisville und von da nach Wheeling in Virginien wo ich einem Manne sein Pferd und 500 Dollars stahl,[S. 163] nach Mariette zurückritt, und das Pferd für 75 Dollars verkaufte. Dann kam ich auf das Dampfschiff Natesman, Kapitän Forsyth, wo ich die Kasse des Clerc um 300 Doll., eines Herrn Taschenbuch um 120 Dollars und einem Andern Koffer und Pistolen raubte, womit ich in Galliopolis ans Land stieg. Dort stahl ich wieder ein Pferd von einem Herrn Hereford und ging nach Portsmouth, wo ich die Kasse des Exchange-Hôtels um 73 Dollars bestahl, bestieg mein Pferd und gelangte nach Maysville, woselbst ich das Pferd um 62 Dollars verkaufte. Ich schiffte mich am Bord des Little-Spy ein und ging nach Cincinnati. Dies war im Herbst 1831, dann kam ich an Bord des Michygan, Kapitän Sewan und Kapitän Rott, wo ich als Kajütenjunge, zweiter und erster Aufwärter beinahe zwei Jahre blieb, ohne irgend eine Gewaltthat zu verüben. Endlich fiel mir ein, daß ich schon zu lange auf ehrliche Weise gelebt hätte, und ging im Jahre 1833 auf dem Dampfschiffe Helen Mar, Kapitän Juller, nach Louisville, auf welcher Fahrt ich mehre Deck-Passagiere und einen Kajüten- Passagier zusammen um 523 Dollars bestahl.
Bis im Sommer 1834 blieb ich nun in Louisville und ging dann an Bord des Dampfschiffes Galenian, Kapitän Clarenten-Dix als Aufwärter. Hier will ich meinem Bericht beifügen, wie wir zusammen agieren, der hoffentlich allen Dampfschiffleuten, vom Kapitän bis zum niedrigsten Arbeiter herab, lehren wird, alle bösen Kniffe zu meiden; auch hoffe ich, daß dadurch Schiffsbesitzer gewarnt werden mögen, den Charakter jedes Befehlshabers eines Dampfschiffes auf das Sorgfältigste zu untersuchen, und zu den Kapitäns möchte ich sagen: „Seyd vorsichtig in der Anstellung von Leuten, selbst wenn es nur zum Feuerunterhalten wäre“; denn wenn ich Namen nennen wollte, so dürften Männer, die jetzt von Allen, die sie kennen, sehr angesehen und geehrt sind, aus den Verhältnissen, in denen[S. 164] sie jetzt stehen, gerissen werden und für immer der Schande verfallen. Aber dies ist nichts, was mich betrifft, denn ich weiß, daß meine Lebenszeit auf Erden nur noch kurz ist, und darum fahre ich fort: Sobald der Galenian von Louisville abging, beobachtete ich alle Passagiere scharf, um zu sehen, wer von ihnen Geld habe oder nicht. Unter den Uebrigen bemerkte ich einen ältlichen Herrn, der gegen 6000 Silber-Dollars in seinem Koffer hatte. Er kam zu mir, und sagte: „Wärter! wenn Sie diesen Koffer in mein Zimmer bringen wollen, gebe ich Ihnen einen Dollar.“ „Sicherlich,“ antwortete ich, und that es sogleich. Als wir von den übrigen Reisenden hinweg in das Zimmer kamen, erkundigte ich mich, wo er an das Land zu steigen beabsichtige. Er sagte mir, daß er bei Smythland abgehe; und ich war entschlossen, daß er seinen Koffer oder irgend etwas von dessen Inhalte nicht mit sich nehmen sollte. Da ich jedoch wußte, daß wir Smythland mit Anbruch des nächsten Morgens erreichen würden, so beabsichtigte ich, ihm den Koffer, sobald er eingeschlafen sey, zu stehlen. Gegen 12 Uhr öffnete ich seine Thür und fand Kapitän Dix beschäftigt, den Koffer auszuräumen. „Halt Kapitän!“ sagte ich, „das ist meine Sache, ich sehe, Sie haben es auch zur Ihrigen gemacht, drum halb Part!“ In diesem Augenblicke sah ich nach dem Bette, wo der alte Mann lag, und fand, daß das Blut aus seinem Herzen emporschoß, auch einen Degen an seiner Seite liegen. Dix sagte nun zu mir: „Wenn Du mein Freund bist, und so Etwas Deine Sache ist, so halte Dich nur an mich, und ich will Dein Glück machen; komm also, und laß uns dieses alte.... in den Fluß werfen.“ Wir öffneten das Fenster, ich stellte mich an die Außenseite desselben, und Kapitän Dix reichte mir den Kopf des Ermordeten. Ich umfaßte Kopf und Körper mit meinen Armen und gab ihm einen Stoß in den Fluß, wobei ich nicht vergaß, ihm das Bett[S. 165]zeug nachzuwerfen. Nach dieser That sagte mir Dix, daß ich nicht mehr Aufwärter seyn solle, daß er aber in Louisville neue Deckmannschaft annehmen werde und ich als Passagier bei ihm bleiben müsse. Als wir Louisville erreichten, zahlte er die Leute aus, und nahm andere an. Ich ging mehrmals als Passagier den Fluß mit ihm auf und nieder; ich galt als reisender Jäger und beraubte gemeinschaftlich mit Kapitän Dix jedes Mal einen Passagier nach dem andern, bis wir das Boot verließen. Er ging sodann irgend wohin den Fluß hinauf, und heirathete, wie ich glaube, eine junge Dame, die ihm ein Kind gebar. Etwa vor drei Jahren kam er wieder nach Louisville herunter und wohnte bei einer Dame, Namens Caroll, und ging, so viel ich weiß, seitdem nie wieder auf den Fluß; auch seine Frau sah ich nur dann, als sie ihr drei Wochen altes Kind hatte. Ich denke, er ging nach Maysville um sie zu besuchen, und blieb dort.
Kurz darauf kam er nach Louisville zurück und ist, wie ich glaube, seitdem dort geblieben. Er wohnte noch immer bei Mad. Caroll, bis er letzten Sommer unter einem falschen Namen, den ich nicht nennen werde, weil ich in meiner Brust dafür Gründe hege, die eine junge Dame in Louisville-Hôtel betreffen, im Gasthause bordete[47] und ein ähnliches Leben führte. Vorigen Herbst aber, als Dix eines Tages zu mir kam und mir erzählte, daß er kein Geld mehr habe, in tiefen Schulden sitze, seit den letzten 10 Tagen drei Briefe von seiner Frau erhalten und daß er sie zu besuchen wünsche, war seine Ehrlichkeit zu Ende. Er sagte: „ich will mein Gehirn zum Teufel schicken, wenn ich ohne vieles Geld gehe; ich habe mir einen Plan entworfen, um genug zu erhalten, wenn du mir helfen willst.“ „Gewiß will ich“, sagte ich und folgender Plan wurde entworfen:[S. 166] Er sagte mir, daß ich um 12 Uhr nach dem Gasthaus an dem Tage, an welchem er Herren Barker ermorden wolle, kommen sollte. Ich ging zu ihm. „Sieh“, sagte er: „ich bin mit Barker, dem Clarc des Mechanics-Savings-Instituts bekannt und weitläufig verwandt und kann zu jeder Zeit Eintritt erlangen. Gieb mir deinen Dolch.“ Ich antwortete, daß ich keine Waffen bei mir hätte und nie dergleichen trüge. Hierauf bemerkte er, daß er ein Pistol habe, welches ihm die Sache vollbringen werde; er ging, um es zu holen. Als er zurückkam, kam ein junger Mann, den er Julius, oder Julian nannte, aus der Bank heraus. Er und ich standen beisammen an der Lampenpfoste vor Lynchs Garten. Er ging auf das Bankfenster zu und Julian fragte ihn, ob er nicht zum Mittagessen gehe? „Nein“! erwiderte er, „ich habe keine Lust zu essen“. Julian ging und er näherte sich mir wieder und sagte, daß ich warten müsse, bis Julian zurückkomme, dann solle ich an die Thüre treten und Panken-Dudle pfeifen. Er ging in die Thüre der Bank und ich über die Straße hinüber an die Ecke der Pear-Straße bis hinunter nach Marwells Buchladen.
Da ich Julian zurückkommen und schnell gehen sah, suchte ich ihm den Vorsprung abzugewinnen, ging an der Thür vorüber, pfiff verabredetermaßen und setzte meinen Weg bis zur nächsten Ecke fort. Ich hielt mich so lange hier herum auf, bis Julian den Alarm gab, worauf ich unverzüglich den Platz verließ und nach dem Flusse ging. — Dort blieb ich, bis ich hörte, Dix habe sich selbst ermordet.
Nun eilte ich nach Hause, wechselte meine Kleider, legte einen falschen Bart an und ging in die Bank. Im dortigen Getümmel stahl ich einem Mann ein Schnupftuch und ein Taschenbuch, das 1500 Dollars in Kentucky-Noten enthielt. Es war ein junger Mann, mit einem alten beschmutzten, weißen Hute, breiter Krämpe, Kenkudy, Jeansrock, gestreiften[S. 167] Kasinethosen und Kragenhemd. Das Taschenbuch war aufgetrennt und trug die Buchstaben G. E. H. aus New-York eingeschrieben. Warum ich ihn so genau beschreibe, geschieht deshalb, weil sein Geld nahe bei der Millwerk-Brücke unter einer kleinen Hauszelle vergraben ist. — Erste und letzte Zuflucht in Cincinnati. — Mein Leben geht nun zu Ende und ich habe nur noch wenige Augenblicke zu leben. Ich möchte Euch, meine jungen Gefährden, die ihr auf dem Bette und nicht vor einem irdischen Tribunale als verurtheilte Verbrecher sterbt, ermahnen, führt ein rechtschaffenes Leben! Lebt wohl.
S. Walker,
(Er starb unter furchtbaren Gewissensbissen).
Aufenthalt in New-Orleans.
Im Januar 1840.
Unvergeßlich wird mir das im Jahr 1839 erlebte Weihnachtsfest bleiben und stets werde ich beim Wiederkehr des schönsten aller Feste, wo Jung und Alt sich freut, der damals erlebten trüben Tage mit Wehmuth mich erinnern.
Am Tage vor dem heiligen Weihnachtsabend war es, wo ich am Körper schwach und am Geiste abgespannt in New-Orleans ankam und wo wir gegen Bezahlung von vier Dollars à Person die Woche, bei einem gewissen Prak, Wirth eines deutschen Kosthauses, ein Unterkommen und Beköstigung fanden. — Langsam ging ich am Abend durch einige Straßen, um durch Anschauen ausgestellter Waaren mich mehr zu zerstreuen, doch alles umsonst; nur eines Gedankens war ich mächtig, an Weib und Kinder, welche bei jedem Freudenruf über schöne Geschenke aus lieben Händen[S. 168] sich des Vaters erinnerten, der jetzt traurig und verlassen in weiter Ferne weilte. Bei mangelndem Appetit erstarb der Bissen mir im Munde und kränker war ich, als ich es mir selbst gestehen wollte. Aber ein Retter und Helfer in der Noth stand tröstend mir zur Seite, mein braver Freund, mein treuer Aacke war es. Doch auch diesem lächelte nicht sogleich das Glück. Die ihm versprochene Stelle war wegen längeren Außenbleibens, als die festgesetzte Zeit bestimmte, an einen Andern schon vergeben und er wurde auf die Zeit vertröstet, wo die Krankheitsfälle sich mehren würden und die Provisoren Beschäftigung erhielten.
Auf diesen Fall nicht vorbereitet, waren die Mittel nicht ausreichend, uns Beide auf längere Zeit zu erhalten, und Aacke zu brav, um seine wohlthuende Hand von mir Kranken abzuziehen. Lange wurde jetzt überlegt, was in so kritischer Lage zu thun sey, bis Freund Aacke auf den Einfall kam, Matches (Zündhölzchen) anzufertigen, welche in einzelnen Paqueten verkauft, einen guten Lohn versprachen und solches eine leichte Arbeit war, die ich mit verrichten konnte. Schnell ging es ans Geschäft, das nöthige Werkzeug, Säge und Schnitzer wurden gekauft, und vom nächsten Bauplatz Abfallholz herbeigeschafft. Schon war ein Quantum fertig und zum Hausiren für mich der nöthige Korb bereit, als das verwendete nasse Holz die Zündkraft hemmte, und die Hölzer erst mehr getrocknet werden mußten.
Meine seit dem unglücklichen Wassersprung und dem Genuß von Quecksilber zerrüttete Gesundheit wollte sich nicht wieder regeln und die Kräfte nahmen zusehends ab. Bis zum Neujahrstag wurde es täglich schlimmer, da keine Medizin anschlagen wollte und schon glaubten Alle, welche mich sahen, daß meine letzte Stunde nicht mehr fern sey. Mein guter Aacke, mein treuester Freund in der Noth, stand tröstend, immer fragend, wie es gehe und was ich wünsche, mir zur Seite. Das letzte, warum ich[S. 169] ihn bat, da ich sah, daß sich meine Gesundheit nicht günstiger gestalten wollte, war der Wunsch, mich ins Hospital bringen zu lassen, um ihm so wegen der Zukunft weniger Sorge zu verursachen.
„Um nichts in der Welt gebe ich das zu“ versetzte der Brave. „Sie ins offene Grab zu legen, ehe verkaufe ich alle meine Sachen, wenn das Geld nicht ausreichen sollte.“ Der Genuß einiger Löffel Suppe, welche die theilnehmende Wirthin auf meinen Wunsch bereitete und der, wenn auch nur wenige Schlaf in der Nacht vom 1. zum 2. Januar, halfen den Lebensgeistern von Neuem auf und als Freund Aacke am Mittag mit der erfreulichen Nachricht an mein Lager trat, daß das Glück ihn begünstigt und er eine gute Stelle in einer Apotheke erhalten und so der Zukunft ohne Bangen entgegengesehen werden könne, so fühlte ich mich schon im Glauben um Vieles besser.
Das Ordnen der zum Verkauf fertigen Zündhölzer konnte durch Aacken nicht mehr geschehen, da er sofort sein Engagement antreten mußte, weshalb mir der Auftrag wurde, die Hölzer in angeschafften Blechkasten aufzubewahren, wenn die Mittagssonne nicht mehr auf die am Fenster des dritten Stockes auf einer Tafel aufgestellten Hölzer einwirken könne.
Ein deutscher Sattlergeselle, welcher ebenfalls auf Arbeit wartend, mit uns zusammen in einem Hause wohnte, suchte sich theils in meiner Gesellschaft, oder durch Schlafen die Zeit zu kürzen, und legte sich, da er mich schlummernd fand, mit einer brennenden Cigarre auf das neben den Schwefelhölzern stehende Lager. Halb im Schlafe, legte er Erstere auf den Tisch, und in dem Augenblick standen über 60 Dutzend Paquete Zündholzer in Flammen.
Der Unvorsichtige, durch den Vorfall, aller Geistesgegenwart beraubt, suchte eben das Zimmer zu verlassen, als der Schwefeldampf mich weckte. Meine Bitte, vereint mit[S. 170] mir möglichst schnell zu retten, befolgte er nicht, sondern floh zur Thür hinaus und machte im Hause Lärm.
Ich suchte durch Umstürzen der Paquete die Flamme zu ersticken, was aber nur theilweise gelang. Der Qualm nahm dabei schrecklich überhand und nur durch Oeffnen des Fensters konnte ich mich vor dem Ersticken schützen. Doch der Zutritt der Luft trieb die Flamme nach den Betten und jetzt blieb mir weiter nichts übrig, wollte ich nicht verbrennen, als auf allen Vieren den Rückzug anzutreten. Außerhalb des Zimmers unterlag ich einem solchen Erbrechen, wie ich es während der Seereise nicht gehabt. Von jetzt an, wo der Magen gereinigt, stellte sich der Appetit wieder ein, so daß sich mein Zustand zusehends besserte und zur Kur, wozu der Arzt mich zu schwach hielt, gab der Zufall, oder wie man es nennen will, Veranlassung.
Das Feuer wurde durch schnelle Hülfe in so weit getilgt, daß es nur die Betten und das Innere des Zimmers zerstörte, das Haus selbst aber blieb gerettet.
Die schönen warmen Tage bei jetziger Jahreszeit, gleich unsern Sommermonaten, wirkten wohlthätig auf mich und ich suchte mich täglich im Gewühl der geschäftigen Menge, den Hafen entlang spazieren gehend, zu sonnen. — Keine Stadt der Welt mag wohl eine größere Verschiedenheit der sich im geschäftigen Gewühl durch einander drängenden Bevölkerung darbieten, wie Orleans. Schwarze und weiße Einwohner aus allen Vereinigten Staaten, welche der im Winterhalbjahr hier gezahlte hohe Lohn herbeizieht (2–3 Dollars täglich), Eingewanderte aus allen Theilen Europa’s, vermischt mit Creolen und allen Abstufungen der farbigen Bevölkerung, bilden einen erstaunlichen und interessanten Kontrast von Sitten, Gebräuchen, Sprachen und Gesichtsfarben. Der Handel dieser Stadt von 50–60,000 Einwohnern ist bedeutend groß und ausgedehnt. Bisweilen sollen außer den Dampfbooten und Segelschiffen, 1000–1500[S. 171] Flachboots auf den Werften liegen. Dampfboote kommen und gehen jede Stunde, wie sich überhaupt außer den schwülen Monaten ein Wald von Schiffsmasten im Hafen befindet. Besonders bieten die Monate Januar, Februar, März und April ein großes Bild von Geschäfts- und Handelsthätigkeit. Die Produkte aller Zonen finden hier ihren Markt, und was Früchte und Vegetabilien betrifft, so wird wohl schwerlich ein anderer Ort mehr und Vortrefflicheres aufweisen können.
Selbst die Sonntags-Feier bringt keine Unterbrechung in die Geschäftswelt; der Sonntag wird hier nicht, wie in den nördlichen Staaten, heilig gehalten. Alle Läden bleiben offen, und Nichts unterbricht den Geschäftsgang. Das Fahren, Reiten und Treiben der Menge bleibt sich wie an Wochentagen gleich; die Märkte bieten sogar an Sonntagen einen noch stärkern Verkehr, weil den Sklaven die Erlaubniß zusteht, an diesem Tage Alles, was sie verkaufen wollen, öffentlich feil zu bieten. Nur dann und wann sieht man einen andächtig Gestimmten dem Gotteshause zu pilgern, wo die leeren Räume hinlänglich Platz bieten, und der Lärm vor der Kirche durch betrunkenes Gesindel, wie der Gesang herumziehender Drehorgelspieler, zum Aergerniß Anlaß giebt.
Die ungesunde Jahreszeit, welche gewöhnlich mit dem Monat Juni anfängt, bringt Stockung in das bewegte Leben und erschlafft die Geschäftswelt, da der größte Theil der merkantilischen Bevölkerung die Stadt verläßt, und sich mehr nach den nördlich gelegenen Staaten zurückzieht. Die wenigen Zurückbleibenden werden dagegen in ihren Waarengewölben vom Müssiggang und Langweile aufgerieben, wenn sie auch das Glück haben sollten, dem tödtlichen Einfluß des Klima zu entgehen, und dem gelben Fieber nicht zu unterliegen, welches hier den Sommer über heimisch ist.
Dieses Bild der geschäftigen Massen wird jetzt aber durch die Geld-Krisis gestört, welche den Handel lähmt und Stockung in alle Geschäfte bringt. Tausende stehen ohne Beschäftigung am Strande, oder verbringen die Zeit in Branntweinhäusern, wovon wohl keine Stadt mehr dergleichen aufzuweisen hat, als Orleans. Branntwein ist das Universalmittel der Amerikaner. Branntwein muß Appetit schaffen und die Verdauung befördern, muß beruhigen und ermuntern, und ohngeachtet aller Mäßigkeitsvereine wird wohl nirgends mehr von diesem Gift genossen als in den Vereinigten Staaten von Amerika. Besonders ist es aber Orleans, wo von diesem Göttertrank der größte Gebrauch gemacht wird, da man das schlechte Wasser als Entschuldigungsgrund anführt. Laufende Brunnen sind nirgends hier zu finden, und der sumpfige, morastige Boden liefert schon bei 2–3 Fuß Tiefe das nicht zu genießende faulige Pumpwasser; man bleibt daher auf Regen- oder das lehmig-schmuzige Flußwasser des Mississippi beschränkt, welches zum Verkauf in der Stadt herumgefahren wird.
Alles klagt jetzt über schlechte Zeiten, und vor Allem empfinden dieses die zur See hier ankommenden deutschen Auswanderer. Ohne Beschäftigung und Verdienst, lernen sie hier, wo alles doppelt theuer ist, oft in der größten Verzweiflung Noth und Sorgen kennen, von denen Viele früher nichts gewußt und um so weniger hier kennen zu lernen glaubten, wo ihnen die erhitzte Einbildungskraft nur goldene Berge verheißt. Bei alle dem sind sie gezwungen, länger hier zu weilen, da der Winter in den nördlichen Staaten die Flußschifffahrt beschränkt, und die Reise dahin erschwert, weshalb sich mancher genöthigt sieht, zu ergreifen, was der Augenblick bietet, wenn die Mittel für die Dauer nicht ausreichend seyn sollten.
Vor Allem ist es am schwierigsten ein Unterkommen auf das gelernte Geschäft zu finden, da der größte Theil[S. 173] der Waaren als Handelsartikel aus den nördlichen Staaten und Europa zugeschafft wird, weshalb man hier nur wenig Neues fertigt. Gröbere Arbeiten, wie Brennholz zu spalten und das Ausladen von Bau- und Pflastersteinen, welche letztere mehre Meilen weit um Orleans nicht gefunden werden und deshalb die Schiffer als Ballast mit hieher führen, werden meistens von Schwarzen ausgeführt, welche die Hälfte der Bevölkerung ausmachen und deren Zahl die Höhe von 25–30,000 erreichen soll. Ebenso verrichtet diese Klasse Menschen alle Arbeiten in den Tabacks-Magazinen und den ungeheuren Baumwollen-Niederlagen, und wo Weiße mit beschäftigt sind, da giebt der Amerikaner lieber seinen geprüften Arbeitern höhern Lohn, als daß er einen erst ankommenden Deutschen, welcher der Sprache unkundig, für geringere Vergütung anstellen sollte.
Nichts bleibt demnach übrig, um sich und den Seinigen das Nöthige zu verdienen, als das Ein- und Aus-Laden der Dampfschiffe und Flachboote. Diese Arbeiten werden von Kapitäns Entrepreneurs übergeben, und von diesen die nöthige Mannschaft angenommen. Doch auch hierzu haben sich wiederum besondere Gesellschaften gebildet, welche selten außer ihren Kameraden einen Andern mit Hand anlegen lassen, wenn nicht vermehrte Arbeit und Mangel an Leuten dieses nöthig macht. In solchem Falle nur kömmt der arme Deutsche erst an, welcher mit den Pfiffen und Ränken des Amerikaner noch nicht vertraut ist und sich gern mit jedem Lohn, den man ihm bietet, begnügt. Nach vollendeter mehrtägiger Arbeit wartet er bescheiden des Rufes zur Empfangnahme der Zahlung und glaubt, wenn dieser nicht erfolgt, seine Person in Erinnerung bringen zu müssen, doch mit Schrecken wird er jetzt gewahr, daß der, welcher zu zahlen verpflichtet, nicht mehr vorhanden ist. Der Rekurs an den Kapitän bleibt ohne Er[S. 174]folg, da ihm das Geschäft nichts mehr angeht, indem die akkordirte Summe schon gezahlt worden ist. Kommt nun Tages darauf der entwichene Schurke wieder zum Vorschein, so hilft alles Zuredestellen nichts. Ja, ich war Zeuge, wie man einen betrogenen Elsasser, welcher bescheiden den andern Tag nach dem sauer verdienten Lohne fragte, gleich Einem behandelte, welcher doppelte Löhnung verlangte, und mit Faustschlägen abwies.
Solche Betrügereien sind mir mehre bekannt worden, von denen ich eine noch anführen will: Drei jetzt mit bei uns wohnende Professionisten hatten, weil sie auf ihr erlerntes Geschäft kein Unterkommen finden konnten, vier Monate ihr Leben damit gefristet, daß sie bei einem Farmer Holz gefällt, und solches jetzt zum Verkauf nach Orleans gebracht hatten. Das Flachboot nebst Ladung war als Unterpfand des rückständigen Lohnes an die Betheiligten verpfändet, weshalb auch immer Einer von den Dreien auf dem Boote zur Aufsicht zurückblieb. Doch der Eigenthümer verkaufte ohne Vorwissen der Betheiligten das Holz und suchte eben mit der empfangenen Summe zu entweichen, als durch einen Zufall der Handel verrathen wurde, und dieser Schurke noch arretirt werden konnte. Vor Gericht gestellt, erklärte er Letzteres für inkompetent, da er zu einem andern County (Gerichts-Kreis) gehöre, und gab frech genug dabei zu verstehen, daß selbst dort, wo er her sey, seine Gläubiger wenig gewinnen würden, da sie außer Kost schon etwas Geld erhalten, und mehr zu geben er sich nicht verpflichtet fühle, indem bei dem abgeschlossenen Vertrage ein höherer Lohn nicht bedungen, und das Gegentheil zu beweisen, ihnen die Zeugen fehlten. Frei und triumphirend zog er von dannen, und die Geprellten wußten nicht, von was sie den Wirth bezahlen sollten; sie sahen einer traurigen Zukunft entgegen, da ihre Sachen versetzt, und die Mittel sie wieder einzulösen fehlten.
In der Gegend von Orleans ist das Holzfällen nicht allein beschwerlich, sondern auch äußerst ungesund, da auf den sumpfigen Stellen die Arbeiter oft im Wasser waden müssen und dabei noch froh sind, wenn sie ihren Lohn richtig empfangen, welches, da man immer Reste zurückhält, welche beim Abgange der Holzmacher in der Regel kassirt werden, selten der Fall ist. Ich rathe daher den Auswanderern, nicht New-Orleans zum Landungsplatze zu wählen, sondern jeden mehr nördlich gelegenen Hafen vorzuziehen, wo man immer Gelegenheit findet, in die westlichen Staaten, wenn man dahin sein Ziel gesetzt hat, reisen zu können.
Bis zur völligen Genesung, wo mir in einer Eisen-Manufaktur Arbeit zugesagt worden war, hier ohne Zweck zu verweilen, ließ der Geist mir nicht die Ruhe, und da der Hauswirth die Anfertigung von Zündhölzern nicht wieder erlaubte, so war ich Willens, mit einem Franzosen, welcher gut englisch und deutsch sprach, die nächsten Zuckerplantagen zu besuchen, um mich daselbst mit den gebrauchten Utensilien bekannt zu machen, und auf Gastfreundschaft gestützt, billiger als es hier möglich, die Zeit bis zu meiner völligen Genesung zu verleben.
Bis Monat März gedachte ich überhaupt nur in Orleans zu verweilen und dann zur See nach Richmond zu fahren, von wo aus die Reise über Washington und Baltimore, durch Pennsylvanien nach Philadelphia und New-York zurückgemacht werden sollte, wenn dieses ein höheres Wesen nicht anders bestimmte. — Ueber die Zeit meines dortigen Eintreffens, wie über alles Andere, läßt sich hier nichts mit Gewißheit voraus bestimmen, da man dem Zufall und den Launen des Schicksals fortwährend unterworfen bleibt; ist man aber gesund, so läßt sich als einzelne Person bei Selbstbeherrschung und Mäßigkeit das leicht wieder erwerben, was schlechte Menschen und Krank[S. 176]heit entrissen haben. Nur für Trennungsschmerzen giebt’s keine Linderung, und offen will ich gestehen, daß ich nicht geglaubt, daß der Gedanke an die Seinen in einsamen schweren Stunden, den Menschen so ganz niederschlagen und muthlos machen könnte; nur die Hoffnung des Wiedersehens, die höchste irdische Freude für mich, ist vermögend den Schmerz zu mildern und Balsam in das wunde Herz zu gießen. — Um Nichts in der Welt gebe ich die Stunde, in welcher ich Euch wieder in die Arme zu schließen hoffe, und dann soll nur der Tod mich von meiner Familie wieder trennen.
Wanderung nach Texas.
Im Januar 1840.
Die eingetretene nasse Witterung hielt uns von dem Ausfluge ab, und so kam es, daß wir am 8. Januar noch in Orleans verweilten, an welchem Tage vor 25 Jahren die Engländer den Versuch wagten, diese Stadt zu erobern, vom General Jackson aber geschlagen und zum Rückzuge gezwungen wurden. Am Tage des Festes, welches der alte General persönlich zu verherrlichen beschlossen hatte, sollte auch auf dem Schlachtfelde der Grundstein zu einem Denkmale gelegt werden, wie es die Zeitblätter bekannt machten, und die Eigenthümer von Dampfbooten ihre Fahrzeuge zur Reise dahin empfahlen. Selbst die Eisenbahngesellschaft machte bekannt, daß die Wagen um 11 Uhr für das Militär bestellt seyen; wenn sich Privatpersonen derselben bedienen wollten, so müsse dieses früher oder später geschehen.
Wer würde demnach wohl daran zweifeln, daß nicht Alles in Wahrheit beruhe, und so ließen sich Viele verleiten auf dem Schlachtfelde der Dinge zu harren, die da kommen sollten. Doch Alles war nur ein Scherz, mehr auf die Geldbeutel der Leichtgläubigen abgesehen[48], weil ohne diesen Kunstgriff während der Festlichkeiten in der Stadt, weder Eisenbahn noch Dampfboote gebraucht worden wären. Während Viele nun vergeblich auf dem Schlachtfelde harrten, kam General Jackson auf einem Dampfboote in Orleans an, und wurde im Triumph in einem vierspännigen Wagen auf dem Platz vor der Kathedrale abgeholt, wo die Nationalgarden in Parade aufgestellt, ihn mit Salven aus dem groben Geschütz begrüßten. Nach beendigten Honneurs wohnte man dem dazu veranstalteten Gottesdienste bei, worauf die Truppen vor dem General vorbei defilirten, und durch einige Straßen nach einem andern Platze marschirten, wo sich Alles in Wohlgefallen auflöste, und das Fest als beendigt anzusehen war.
Dem ganzen Ceremoniel fehlte vor Allem militärische Haltung und durch die verschiedene Equipirung der Truppen glaubte man mehr einen Maskenaufzug zu sehen. — Dem Gesetze nach haben 20 Mann, welche zusammentreten, das Recht, sich einen Führer zu wählen, und sich nach eigener Wahl zu uniformiren. Demnach wird beim Ausrücken der uniformirten Nationalgarden die Gelegenheit geboten, eine lebende Mustercharte von allem Militär in natura zu sehen, denn einem Trupp Engländern folgten Franzosen, Preußen, Russen, Schotten u. s. w. Das Musikchor von 20–30 Mann, welches jede Kompagnie vor sich her marschiren läßt, ist oft stärker als das ganze Bataillon[S. 178] selbst, und wenn auch mitunter die Musik gut ist, verstehen die Tambours ihre Kunst um desto schlechter, deren Trommeltöne, in Begleitung einer Querpfeife, unwillkührlich an den Bärentanz erinnern. — Vor Allem nimmt sich die Kavallerie possirlich zu Pferde aus, da, wie bekannt, der Amerikaner ein schlechter Reiter ist.
Nicht militärische Kenntniß bestimmt den einzunehmenden Grad einer Charge, sondern mehr die Bereitwilligkeit, zu welcher sich der Gewählte zur Mehrausgabe der mitunter höchst brillanten Auszeichnung der Offiziere versteht, und die Gelder nicht schont, welche ein so Glücklicher bei verschiedenen Gelegenheiten seinen Kameraden opfern muß. Wie es bei alle dem um die Disciplin steht, läßt sich denken. Jeder sieht den Beruf zum Militär als Nebensache an, weshalb es oft der Fall ist, daß beim Ausrücken Nachzügler vorkommen. Ein Gleiches war es mit dem Fahnenträger des 20 Mann starken Grenadier-Bataillons, welcher sich noch im nächsten Stoor fest machte, als seine Kameraden bereits abmarschirt waren und er nun, anstatt in der Mitte der Kompagnie zu marschiren, derselben mit der Fahne im Trabe nachzukommen suchte.
Früh am Morgen des 9. Januar wurde endlich die Wanderung angetreten. Jeder von uns war nur mit Wechsel von Leibwäsche versehen, da die Tour nur auf kurze Zeit berechnet, und auch schon beim Mangel der Kräfte der mitgenommene Zucker, Thee und Kaffee, wie das nöthige Kochgeschirr, im Fall uns keine gastfreundliche Aufnahme werden sollte, das Gehen erschwerte. Mein Begleiter dagegen, war hinlänglich mit Pulver und Blei, sowie mit den beiden Gewehren versehen.
Des Gehens entwöhnt, sehnte ich mich schon nach wenig zurückgelegten Meilen nach Ruhe, und es war beschlossen, auf nächster Plantage einzusprechen. Der Herr sey, wie versichert wurde, in Orleans, und der Aufseher der[S. 179] Sklaven war hartherzig genug, uns die Herberge zu versagen, und verwischte so das schöne Bild gerühmter Gastfreundschaft der Amerikaner. Die nächste Plantage sey nicht weit, ward uns zur Antwort, und heute noch zu erreichen, worauf ein Neger Befehl erhielt, uns bis zur Grenze zu geleiten, und dann den richtigen Holzweg zu zeigen. — Von diesem armen Schwarzen erfuhren wir nun, wie sie von den Launen des Gebieters die härtesten Mißhandlungen zu erdulden, und wie überhaupt eine grausame Disciplin gehandhabt werde. Zur Zeit der Aerndte gönne man ihnen wenig Ruhe, und von früh bis spät Abends der Sonnengluth ausgesetzt, unterliegen mehrere den Strapazen. Beim Abschiede reichten wir ihm ein Glas Rum, was er begierig verschluckte und dankbar dafür uns die Hände drückte, wobei er der Thränen sich nicht enthalten konnte und mich selbst zur Wehmuth stimmte. — Schon in Orleans, wo man das ganze Jahr hindurch dieser Menschenklasse nur die halbe Sonntagsruhe gönnt, ging ihr Loos mir sehr nahe, und mit wahrhaft schmerzlichen Gefühlen sah ich die armen Schwarzen mit entblößtem Haupte und niedergeschlagenem Blicke, oft nur mit einigen Lumpen bedeckt, zum Verkauf ausgestellt, oder auktionsmäßig aus einer Hand in die andere gehen, wobei man sie gleich dem Vieh betastete, um sich von dem mehr oder weniger muskulösen Körperbau zu überzeugen. Ist es nicht eine Schande für ein Volk, das Freiheit und Gleichheit immer im Munde führt, und dabei die heiligsten Menschenrechte mit Füßen tritt? Sind die Schwarzen denn nicht auch Menschen? Mit welchem Rechte unterdrückt man die geistigen Kräfte dieser Armen (Keiner darf lesen noch schreiben lernen), statt sie allseitig auszubilden, und diesem Menschengeschlecht dadurch die erhabene Stellung, zu der es, vermöge seiner geistigen Anlagen gleich dem Weißen berufen ist, zu sichern? Es ist mir versichert worden, daß[S. 180] es in Orleans mehrere Neger geben soll, die nur durch Gehör die englische, französische, spanische und deutsche Sprache erlernt hätten.
Gleich hinter dem Gehölz sollte, wie der jetzt zurückkehrende Neger versicherte, die nächste Plantage den Anfang nehmen, wohin zu gelangen wir nicht säumen durften, da das Dickicht der Bäume den Weg verfinsterte und zu befürchten stand, uns noch zu verirren. Bald rechts, bald links schlängelte sich der Fußpfad, welcher zuletzt nicht genau mehr zu erkennen, da er nur wenig betreten war, und wir auf das Ungewisse dem Zufalle folgen mußten. Schon befürchtete ich, wir wären irre gegangen, als Menschenstimmen sich hören ließen und der Schein eines Lichtes zu uns drang; in dieser Richtung fortgehend, führte der Weg zu einer Reihe kleiner Hütten, welche als Aufenthalt der Neger dienten. Sehr gern hätten uns die Bewohner der ersten Hütte aufgenommen, wenn es der Raum gestattet hätte, da hier aber schon zwei Familien sehr beengt untergebracht waren, welche auf ihrem Mooslager der Ruhe pflegten, so wurden wir in eine andere der Hütten, welche nur zwei Männer in sich faßte, gebracht, an deren Seite wir, von Müdigkeit erschlafft, bald dem Schlafe verfielen.
Noch pflegten wir der Ruhe, als am Morgen der Aufseher der Schwarzen, vermuthlich durch die Schlafgesellen von unserm nächtlichen Besuche unterrichtet, vor dem Lager stand, und mit barscher Stimme nach unserm Begehr fragte. Meinen Wunsch, die Utensilien und die Einrichtung der Zuckersiederei besehen zu dürfen, schlug er aus dem Grunde ab, daß an diesen jetzt außer Gebrauch gesetzten Geräthschaften nicht viel zu sehen sey, er aber auch keine Zeit und Lust habe, die verschiedenen Räume zu öffnen, und wir deshalb immerhin ungesäumt den Weg fortsetzen könnten, wo wir mehre Plantagen antreffen würden.
Dieser unvermuthete zweimalige Empfang hatte das Feuer der Reiselust merklich gedämpft und mich zum Umkehren bestimmt, wenn es mein Reisegefährde, der leidenschaftlicher Jäger war, zugegeben hätte; vielmehr suchte mich derselbe zu überzeugen, daß im Innern des Staates Louisiana, wohin die Reiselustigen aus Orleans weniger wanderten, uns freundlichere Aufnahme werden würde, und der erste Tag keinen Maßstab der gemachten Erfahrungen abgeben könne. Diesem konnte ich Nichts entgegensetzen und da die schöne Witterung das Unternehmen zu begünstigen schien, so wurde von Neuem der Wanderstab ergriffen und die Schritte vorwärts gerichtet. Die, wie es schien, fruchtbarsten und mitunter schönen Landstriche, welche jedoch der Ueberschwemmung ausgesetzt sind, wie dieses an den Gesträuchen zu sehen war, wurden durchwandert, im Gehölz das noch nicht verscheuchte Wild erlegt und bei Plantagenbesitzern, welche uns gastfreundlicher aufnahmen, eingesprochen, die uns Alles zeigten und die gewünschte Auskunft ertheilten. Auch der üble Eindruck wurde gemildert, welchen oft Hunderte von Sklaven, die mit Umhacken der Erde auf den Zuckerfeldern beschäftigt waren, auf uns machte, und die erbärmlichsten Lebensverhältnisse, in welchen dieselben sich zu befinden schienen, wurden weniger von den daran Gewöhnten und nichts Besseres Kennenden, gefühlt, wie dieses auch das mitunter fröhliche und gute Aussehen dieser Menschenklasse bestätigte.
Nachdem in Opelousas der Schießbedarf ergänzt worden war, wurde der Marsch nach Alexandria fortgesetzt. Am letztern Orte bestimmte uns die nasse Witterung, das Fußreisen auszusetzen, und um mehr Ruhe zu genießen, wurde beschlossen, auf dem Red-Flusse bis nach Natchitoches zu fahren, von wo aus der Retourweg durch eine andere Gegend angetreten werden sollte. Doch wie so Manches in der Welt eine andere Richtung erhält, als man sich vor[S. 182]gestellt hat, eben so sollte es jetzt unserm Ausfluge ergehen.
Zwei Reisende, ein Schweizer und ein verbannter Pole, von St. Louis kommend und auf dem Wege nach Texas begriffen, gesellten sich in Natchitoches zu uns, und wußten Texas so zu rühmen, daß es nichts zu wünschen übrig lasse, und bei mangelnden Arbeiten könne sich jeder guten Verdienst dort versprechen; deshalb willigten wir ein, bis dahin unsern projektirten Ausflug zu verlängern, und auf gemeinschaftliche Kosten, da, wie es schien, einer so wenig wie der andere hatte, die Fußreise fortzusetzen.
Wurde auch durch oft zu übersteigende waldige Höhen, welche menschliche Kultur noch nicht gelichtet, und zum Aufenthalte wilder Thiere dienten, wie das Reisen bei starken Regengüssen auf unwegsamen Pfaden und das Durchwaden entgegentretender Gewässer lebensgefährlich, so fühlten wir dieses doch weniger, als das Nachtquartier unter freiem Himmel bei empfindlicher Kälte auf die Tageshitze, welches in dem weniger angebauten Texas, oder wegen unfreundlicher Kolonisten mitunter vorkam, und man den empfindlichen Stich der Insekten (Muskitos) blosgestellt wurde. Doch alle diese Strapazen, die eine derartige Reise immer im Gefolge hat, wurden durch mannichfaltige Begebenheiten und Abenteuer reichlich vergütet, welche die Harmonie vier gleichgestimmter Seelen noch erhöheten, und von keinem Unfall oder Krankheit unterbrochen wurden. — Vor Allem verkürzte der Pole, beim Lagern an dem Feuer, die Zeit durch Erzählung seines Antheils am Revolutionskriege, seiner Verbannung und Schicksale in Amerika, und fehlte auch zum Mahle das Brod, so war solches immer vom Fleische der Bewohner des Waldes reichlich ersetzt.
Bis zum Sabine-Flusse empfand ich außer Müdigkeit weiter keine Beschwerde, leider hatte aber während der[S. 183] letzten Zeit die Leib-Bandage einige schadhafte Stellen bekommen, wodurch das Gehen täglich immer schmerzhafter wurde.
Meine Klage brachte den Polen auf den glücklichen Einfall, uns beritten zu machen, welches bei den hier weidenden Pferden und Maulthieren leicht ausführbar schien. Schon am dritten Tage wurden, wie im Kriege, wo immer Gewalt vor Recht ergeht, vier Stück acquirirt, welches, auf militärisch, recht lieblich klingt, im Civil aber, gleich dem Stehlen, ein und dasselbe ist, und hier bei Todesstrafe verboten war, da es vermuthlich häufig vorkommen mochte. — Wegen der nöthigen Zäume half schon den Tag vorher der Seiler aus, dessen Arbeiten hier mehr zum Geschirr verwendet werden, als die des Riemers. Die Reit- und Fahr-Utensilien des Farmer gleichen den polnischen auf ein Haar, weshalb sich unser Pole in dieser Hinsicht immer in sein Vaterland versetzt glaubte.
Von jetzt an sahen wir stolz wie Gentlemen von unsern Lastthieren herab, durchstreiften bequem nach allen Richtungen das Land, da überall die grüne Weide Futter und der Wald mit seinen Bewohnern aushalf, auch mitunter ein gastlicher Farmer uns beherbergte und sättigte, bei welcher Gelegenheit wir uns für neue Ansiedler ausgaben und so über Alles Erkundigung einziehen konnten, deren Resultate ich im nächsten Briefe zu schildern versuchen werde.
Texas.
Im Januar 1840.
Die sich im Jahre 1836 von Mexiko losgerissene Provinz Texas, welche aber von diesem Reiche noch nicht als unabhängiger Staat anerkannt worden ist, faßt 4–500,000 engl. Q. Meilen in sich, welche erst jetzt von 15,000 Seelen bewohnt seyn sollen, so daß auf 4–5 englische Q. Meilen 1½ Person kommt, und daher noch Millionen Einwanderern Gelegenheit zum Aufenthalte bietet, ehe die Bevölkerung Deutschlands hier erreicht wird.
Das Verhältniß des weiblichen Geschlechts zum männlichen ist sehr gering, weshalb für Frauenzimmer sich immer Gelegenheit zum Heirathen darbietet, und man hier weniger als bei uns auf Schönheit und Reichthum sieht. Nicht selten fällt es vor, daß Mädchen schon im 13. Jahre in den heiligen Ehestand treten.
Das Klima, welches im Sommer heiß ist, steigt oft über 90 (Fahrenheit), wird aber fast täglich von Süd- oder West-Winden gemildert. Die Nächte dagegen sind empfindlich kalt und setzen im Winter Thau ab; obgleich zu dieser Zeit die Flüsse nie mit Eis bedeckt werden und in den Monaten Dezember, Januar und Februar Regengüsse die Stelle des Schnees vertreten.
Längs des Golfes von Mexiko ist das Land flach und ohne alle Felsen, erhebt sich aber nach und nach bis es seine Hochebenen erreicht hat. Das fruchtbarste Erdreich enthält das angeschwemmte Küstenland, welches sich vorzüglich zum Anbau des Zuckers und der Baumwolle eignen soll. An diese beinahe endlosen Ebenen schließt sich ein wellenförmiges Land an, welches immerwährend eine Abwechselung von Hügeln, Thälern, Wiesen und Wäldern[S. 185] bietet, und das hohe Gras, wie der wilde Roggen ebenfalls die Fruchtbarkeit des Bodens bekunden, auf dem die oft mehre Meilen entfernt voneinander gelegenen Wohnungen den Mangel menschlicher Bevölkerung anzeigen.
Die von Indianern bewohnten Hochebenen, bis wohin solche zurückgedrängt worden sind, sollen ebenfalls an Fruchtbarkeit nichts zu wünschen übrig lassen, und unerschöpfliche mineralische Schätze enthalten. Gold, Silber, Kupfer, Blei, so wie Eisenerze liegen in geringer Tiefe, und nur die tiefe Stufe der Kultur, auf welcher die Bewohner noch stehen, so wie Mangel an Fonds und nöthigen Arbeitern, verhindern den Bergbau. Wilde Pferde, Esel, Büffelochsen, Bären, Leoparden, Panther, Wölfe, wilde Schweine, Ziegen und Schaafe werden von den Indianern gejagt, und diese Thiere verbreiten sich selbst bis zur Mittel-Region herab, wo der Jäger außerdem noch Rothwild, wilde Katzen und Eichhörner in Menge antrifft. Viele bei uns noch unbekannte Wasservögel beleben die wasserreichen Gegenden, und wilde Gänse, Enten, Schwäne, Kraniche und Pelikane, durchstreifen die Gegend in großen Zügen. Geflügel aller Art belebt die Wälder und Wiesen. Rebhühner, Fasanen, Schnepfen, Paradiesvögel, Papageien, Wachteln, Tauben und wilde Truthühner wurden von uns in Menge geschossen und würzten das frugale Mahl.
Zahlreiche Flüsse, welche das Land in allen Richtungen durchschneiden, erleichtern den Verkehr und versorgen die Bewohner des Landes mit Fischen aller Art.
Die mannichfaltigsten Holzarten sind in den Wäldern anzutreffen als: Eichen, Fichten, Eschen, Buchen, Ahorn, Cypressen und Akazien stehen durch einander. Cedernholz wird in Menge angetroffen, das wie der Osage-Orangen-Baum ein äußerst festes Holz liefert, welches die Indianer zu ihren Pfeilen und Bögen verwenden. Die vielen Sorten wilder Apfelbaum, Nußbäume, Kirsch-, Pfirsich- und[S. 186] Maulbeerbäume, beweisen, daß alle Produkte des Gartenbaues in diesem Lande gedeihen würden, obgleich bis jetzt nur wenig in diesem Zweige der Kultur gethan worden ist. Der wilde Wein rankt sich auch hier an den stärksten Stämmen bis in die Wipfel der Bäume, oder läuft ohne Stützpunkt auf der Erde umher.
Außer Zucker und Baumwolle wird gewöhnlich nur noch Mais und die süße amerikanische Kartoffel gebaut, doch ist auch der Anfang mit Taback gemacht worden und eben so mit Waizen. Die Verbreitung dieser Fruchtart wird aber erst von den nöthigen Mühlen abhängen, welche jetzt noch fehlen, da nur Handschrotmühlen aushelfen und das benöthigte Mehl aus den Vereinigten Staaten herbeigeschafft wird.
Die Viehzucht ist erst im Entstehen und nur wenig Kolonisten befleißigen sich damit im Großen, wozu die fetten Wiesen und fruchtreichen Wälder die beste Gelegenheit bieten. Das Fleisch ist übrigens nicht vom besten Geschmack und wildert sehr; Schweinefleisch dagegen ist gut und dieses Thier ist eines der ersten, welches sich der Ansiedler zu verschaffen sucht, da die Vermehrung derselben wenig, oder auch gar nichts kostet, weil dieses Thier seine Nahrung überall in den waldigen Gegenden findet.
Um die Bevölkerung möglichst schnell zu vermehren, gewährte die Regierung allen Einwanderern gegen das Versprechen, wenigstens drei Jahre im Lande zu bleiben und alle Bürgerpflichten zu erfüllen, vom 1. März 1836 an bis letzten Dezember 1838 das Recht des Anspruchs auf:
1200 | Acres | den | Verheiratheten, |
650 | – | – | Ledigen, |
320 | – | – | Kindern über 14 Jahre. |
Vom 1. Januar 1839 bis 1. Januar 1840.
640 | Acres | den | Verheiratheten und |
320 | – | – | Ledigen, |
wobei das Recht verknüpft war, selbst zu bestimmen, wo ein Jeder angewiesen und ausgemessen haben wollte, dafür aber die desfallsigen Bemühungskosten zu bezahlen hatte. Mit dem Jahre 1840 hörten alle Schenkungen auf und nur Militärdienste werden noch mit Abgabe von Ländereien belohnt, deren Zahl die Länge der Dienstzeit bestimmt.
Wer würde wohl nach solcher Schilderung des Landes nicht Lust bekommen, hier seinen Wohnsitz aufzuschlagen, wo noch besonders die angeführten Schenkungen von Grund und Boden zum Ansiedeln reizen mußten? Doch Manches spricht dagegen. Wie viele hier eingewanderte Nordamerikaner, die eben so schnell diesen Staat wieder verlassen, beweisen, wie Tausende meiner Landsleute Amerika verlassen würden, wenn ihnen die Mittel dazu nicht fehlten.
Die Zahl der neu eingewanderten Bevölkerung besteht in der Mehrheit immer nur aus Nordamerikanern aller Staaten, da die Beimischung europäischer Völker, worunter immer die Deutschen noch die Mehresten sind, nur gering ist. — Vor Allem liefern Louisiana, Mississippi und Alabama eine Menge Individuen, welche wegen unbezahlter Schulden oder sonstiger Streiche, der Justiz glücklich entwischt, hier eine Freistätte suchen. — Dann glauben auch viele Amerikaner, hier ohne Arbeit und Beschäftigung die goldnen Berge zu finden, welche der Deutsche vergeblich in Amerika sucht; sie fallen durch getäuschte Erwartung und Faulheit der übrigen Bevölkerung zur Last und verderben die Sitten. Unruhige Geister, gelehrt sich dünkend, Doktoren, Advokaten und Theologen kommen in der Meinung, durch ihren Kopf allein reich zu werden, wozu die junge Republik am wenigsten Gelegenheit bietet, gerathen oft nothgedrungen auf Abwege und fallen Abenteurern, Spielern und Trunkenbolden in die Hände, wodurch, da Alles erst im Entstehen ist, bei mangelnder energischer Gerechtigkeitspflege, Betrug, Duelle und Meuchelmord un[S. 188]vermeidlich sind, daß dabei die Grenze zwischen Mein und Dein nicht immer gesichert ist, läßt sich denken.
Der moralische Zustand dieser vermischten Volksmasse steht hier noch tiefer als in den Vereinigten Staaten selbst; da alle Volksbildung fehlt, keine Schulen und Religionsanstalten vorhanden und nur Missionäre in religiöser Beziehung das Ihrige zum Seelenheil der Menschen beitragen. Sucht man auch in neuerer Zeit diesem Uebel durch Erbauung von Kirchen und Schulen abzuhelfen, so haßt doch der Amerikaner vor Allem den Zwang und lebt lieber im natürlichen Zustande fort.
Geldmachen ist auch hier der Punkt, um den sich Alles dreht und wendet und Nichts wird gescheut, diesen Zweck zu erreichen. Dabei hat das Laster der Trunksucht die höchste Stufe erreicht und die Zahl der mit geistigen Getränken Handeltreibenden, übersteigt alle Erwartung, da dieser Handel die schönste Gelegenheit bietet, auf dem kürzesten Wege reich zu werden, wozu mitunter ein fein angelegter und gescheidt ausgeführter Bankerott das Beste beiträgt. In keinem Lande werden wohl im Verhältniß der Bewohnerzahl mehr geistige Getränke konsumirt, als hier. Die Hauptursache mag wohl auch in dem schlechten Trinkwasser und in den schnell wechselnden klimatischen Witterungseinflüssen zu suchen seyn, weshalb man Branntwein als Arznei und Schutzmittel für die Gesundheit des Menschen hält. Auch lebt der größte Theil der Bevölkerung außer ehelichen Verhältnissen und ist wegen Wohnung und Kost auf die Speisehäuser verwiesen und dadurch in die Nähe geistiger Getränke versetzt, deren Reiz zu mächtig ist, wobei der Genuß durch Gewohnheit leicht zum Bedürfniß wird. Im ehelichen Verhältnisse, wo Mann und Frau beim Genuß geistiger Getränke nur zu oft aus den Schranken der Mäßigkeit treten, sucht man auch die Kinder schon frühzeitig daran zu gewöhnen, um, wie der[S. 189] Wahnglaube des Volkes ist, den Körper mehr gegen die Witterungsseinflüsse abzuhärten. Kein Geschäft, kein Versöhnungsakt wird abgeschlossen, ohne durch Leeren der Gläser. Mit solchen in der Hand, wird jeder empfangen, der ein Lokal betritt, wo geistige Getränke verkauft werden und gegen Anstand und Sitte würde man stoßen, wollte man keinen Bescheid thun. Da sich aber mitunter der Bekannten zu viel einstellen, so ist es häufig der Fall, daß der Mensch aufhört, Mensch zu seyn und im Zustand der Trunkenheit unter das Vieh herabsinkt. Untergräbt schon der unmäßige Genuß geistiger Getränke die Gesundheit, so muß dies in Amerika noch mehr der Fall seyn, da man sich hier nicht scheut, durch alle künstliche Mittel Wein, Bier und Branntwein stärker und berauschender zu machen, und gewissenlos werden spanischer Pfeffer, Kokoskörner, Tabacksblätter, Paradieskörner, Krähenaugen, Stechäpfel, Bilsenkraut, Opium, Belladonna und dergleichen Ingredienzien in Anwendung gebracht. So lange dieses nicht unterbleibt, kann die Gesundheit des Menschen nicht gewahrt werden und der Tod wird fort und fort seine Opfer fordern und dem gelben Fieber leichtern Eingang verschaffen, welches in den meisten Städten von Texas den Menschen in den letzten Jahren so gefährlich worden ist.
Die Witterungseinflüsse auf die Menschen, besonders der Neuankommenden, halten die Gesundheit derselben beständig im Schach und sind auch die Fieber nicht immer tödtlich, so untergraben sie doch die Gesundheit und schwächen den Körper, so daß der Mensch schnell altert und im vierzigsten Jahre mit einem Sechziger verglichen werden kann. Nur wer daselbst geboren und gleichsam schon im Mutterleibe an das Klima gewöhnt worden ist, hat von alle dem weniger zu befürchten. Schon aus dem Angeführten sollten fleißige und industriöse Einwanderer diese südlichen Länder meiden und sich nicht der Hoffnung hin[S. 190]geben, daß sie im Innern des Landes weniger von diesem Uebeln zu befürchten hätten. Ist dieses nun auch der Fall, so sind sie doch mehr den Ueberfällen der Indianer bloß gestellt, wie uns Familienglieder solcher Ueberfallener, welche das Skalpirmesser nicht erreicht hatte, erzählt haben. Unvermuthet stellt sich diese Mordbrennerschaar ein, überfallen die wehrlosen Kolonisten, ermorden, was ihnen in die Hände fällt und ein Schutthaufen bezeichnet den Abwesenden den Ort ihrer friedlichen Hütten. Wird auch von der Regierung Alles gethan, diese unberufenen Gäste abzuhalten, so ist doch die zu Gebote stehende Macht bei den ausgebreiteten Distrikten weit auseinander liegender Städte und einzelner Wohnungen nicht immer hinreichend.
Man hat daher im Juli 1839 den Sitz der Regierung von Hauston weg und mehr in das Innere des Landes zurückgelegt und an dem Colorado-Fluß, 170 Meilen von ersterer Stadt entfernt, die Stadt Austin gegründet, welche Gegend außer Fruchtbarkeit, ein gesundes Klima enthält. Es wird demnach die konzentrirte Macht mehr in die Mitte des Staates verlegt, um die Kräfte nach allen Seiten verwenden zu können. So lange übrigens dieser junge Staat noch nicht unter die Zahl der vereinigten nordamerikanischen Staaten aufgenommen worden ist, worüber die gepflogenen Verhandlungen bis jetzt kein günstiges Resultat geliefert haben, wird immer zu befürchten stehen, daß Mexico seine Ansprüche an diese abgefallene Provinz von Neuem geltend machen, das Land mit Krieg überziehen wird und so die Bewohner den Drangsalen einer solchen Periode ausgesetzt sind.
Im Februar 1840.
Fortsetzung.
Die von uns besuchten Städte, wie überhaupt alle vorhandenen in Texas, sind noch im Entstehen und enthalten Nichts der Anmerkung werth. Steinerne Häuser findet man nirgends, da aus Mangel an Ziegelöfen das dazu nöthige Material aus den Vereinigten Staaten bezogen werden muß und wegen des hohen Preises, den es durch den Transport erhält, nur wenig in Anwendung kommen kann und man deshalb sich mit Holzhäusern begnügt.
Ziegelbrenner, die dieses lesen, werden nun glauben, hier guten Verdienst zu finden und dennoch kann ich versichern, daß ein solcher mit mir nach Orleans zurückkehrte, um sich von da nach den nördlichen Staaten zu wenden, da er in Texas auf sein Metier kein Unterkommen finden konnte und kein eigenes Vermögen besaß, um sich Grundbesitz zu kaufen. Unternehmer großartiger Geschäfte, wie Branntweinbrennereien, Mühlen, Gerbereien, Kalk- und Ziegelbrennereien, müssen unbedingt ein dem Geschäft angemessenes Kapital besitzen, um die Anlagen davon bestreiten zu können, welche jedoch hier bedeutend höher als bei uns zu stehen kommen. Einer, der kein Geld hat, wird hier immer eine untergeordnete Rolle spielen müssen und im Besitz von Vermögen lebt es sich wie bekannt, bei uns recht gemüthlich. Besonders ist jedem Handwerker anzurathen, darauf Rücksicht zu nehmen, ob sein Gewerbe zu den ersten Bedürfnissen erforderlich ist, ob sein Fabrikat mehr in das Fach der Luxus-Artikel einschlägt, oder seine Produkte Handelsartikel sind. Zimmerleute, Wagner und Grobschmiede werden leichter ein Unterkommen und Verdienst finden, wie Goldschmidte, Juweliere und Instrumen[S. 192]tenmacher, welche bei aller Geschicklichkeit in die größte Noth gerathen, und um das Leben zu erhalten, eine andere Beschäftigung ergreifen müssen; Schuhmacher, Schneider und Hutmacher werden sich mehr mit Repariren abzugeben haben, weil ihre Waaren als Handelsartikel aus den Vereinigten Staaten zugeschafft werden und sie nicht mit den großartigen Fabriken daselbst konkurriren können, da ihre Materialien hier äußerst theuer und selbst nicht immer zu bekommen sind. Zinngießer, Glaser, Drechsler und Buchbinder habe ich nirgends getroffen. Bäcker, obgleich dieses Handwerk meistens durch Schwarze verrichtet wird, sind immer noch besser daran als Müller, da Mühlen fehlen und das Mehl als Handelsartikel zugeschafft wird. Posamentirer, Krepinmacher und Strumpfwirker kennt man den Namen nach nicht. Nur Handwerker, deren Gewerbe auch bei uns in kleinern Landstädten gefordert wird, kann man auch als hier fortkommend annehmen.
Der Verdienst ist dem Anschein nach hier noch viel größer als in Orleans und erreicht nicht selten die Höhe von 6–8 Dollars täglich. Wäre nun Silbergeld gebräuchlich, so ließe sich wohl bei Sparsamkeit und Fleiß leicht ein Kapital erübrigen, so aber ist nur Papiergeld im Verkehr, und der Werth Texanischer Noten ist zur Zeit in den Vereinigten Staaten so tief gesunken, daß bei unserer Zurückkunft in Orleans am 5. März, der Dollar von 100 Cents Werth verausgabt, nur für 16–18 Cents angenommen wurde. Ein mit erspartem Verdienst zurückkehrender Arbeiter, sah sich dadurch schrecklich enttäuscht, als auf diese Weise sein sauer erworbenes Gut bis auf Nichts herabsank. — Nur dann erst, wenn ein Handwerker mit Familie es ermöglichen kann, sich in der Nähe seines Wohnortes einen kleinen Grundbesitz zu verschaffen, worauf er außer Wohnung noch das Nöthige zum Lebensbedarf er[S. 193]bauen kann und eine Kuh, Hühner und Schweine das Weitere ersetzen, welches ihm nicht viel zu erhalten kostet, wird es möglich seyn, von dem Gewerbeverdienst zurückzulegen, welches weniger möglich ist, wenn er außer theurer Wohnung auch noch alle Lebensbedürfnisse kaufen muß, die mitunter hoch im Preise stehen, wie es mit dem Mehl der Fall ist, wovon ein Faß von 196 Pfund 25–26 Dollars kostet, das in den Vereinigten Staaten mit 5–6 Dollars bezahlt wird.
Die Bequemlichkeiten höherer Stände lassen bei allem Aufwand noch Vieles zu wünschen übrig, weil Dienstboten schwer zu erhalten sind, und weiße Individuen es für eine Schande halten, in solchem Verhältniß zu leben, daher nur Sklaven die dienende Klasse ersetzen, welchen die Kenntnisse häuslicher Verrichtungen abgehen, da sie mehr zur Feldwirthschaft erzogen sind. Genüsse eines civilisirten Lebens, wie sie Deutsche kennen, fehlen hier ganz, da man Alles vermißt, was das Leben verschönern und veredeln kann; das leitende Prinzip des Amerikaners ist nur grober Materialismus.
Bei weniger Ansprüchen an geistige Genüsse und Entsagung menschlicher Gesellschaft, befindet sich der Ansiedler auf dem Lande noch am besten. Jagd und Fischerei sind frei, und Wild, so wie Geflügel immer vorhanden, wobei wilde Bienen mit Honig versehen, und der wilde Traubensaft das Getränke liefern. Der Boden, bei fast immerwährendem Sommer, bringt ohne viele Bearbeitung die Saaten zur Reife, und den Erndtesegen schmälern nicht Steuern und Zinsen. Dabei bleibt freilich der Mann nur auf seine und der Familie Kräfte beschränkt, wenn ihm die Mittel zum Sklavenkauf fehlen, da freie Arbeiter schwer zu erhalten und ihr Lohn nicht im Verhältniß zum Verdienste steht. —
Das häusliche Verhältniß und schlechte Lebensweise der niedern Volksklasse in Städten ist dem wenig begüterten Ankömmling, welcher unter derselben leben muß, nichts weniger als angenehm, da das herrschende Laster der Trunksucht alle andern im Gefolge hat, und man so oft unverschuldet in Händel verwickelt wird, die nicht immer den besten Ausgang nehmen, wie überhaupt auch schlechter Umgang die besten Sitten verdirbt.
Von allen in Texas lebenden Indianer-Stämmen, die in vielen Resten aufgeriebener Horten aus den Verein. Staaten bestehen sollen, zeichnen sich besonders die Camanches durch große Wildheit und Treulosigkeit aus, die ihren Ursprung von einem der vornehmsten Stämme herschreiben, welche bei der Eroberung Mexiko’s durch die Spanier ihren Aufenthalt in der Gegend von Mentezumes gehabt, statt aber sich zu unterwerfen, die Auswanderung vorgezogen und hier in den Hochgebirgen von Texas sich niedergelassen haben. Ihr Oberhaupt soll, wie die Sage angiebt, beim Erblicken ihres jetzigen Aufenthaltes, ausgerufen haben: Texas! (welches in ihrer Sprache: „Paradies“ heißt), und dieser Name ist für diesen Theil Mexiko’s bis jetzt beibehalten worden.
Geschlossene Verträge werden selten von den Camanches-Indianern gehalten, da neben der Jagd, Raub und Mord ihre Lieblingsbeschäftigungen sind, und nur durch die Gewalt der Waffen sind solche in ihren Grenzen zu halten.
Von den friedlicher lebenden Indianer-Stämmen ist weniger zu fürchten und mehre von ihnen leben sogar mit den Texanern im Handelsverkehr, und werden von diesen zum Auskundschaften der Feinde gebraucht.
Mehr oder weniger suchen die Indianer ihr Aeußeres zu entstellen und schon in Orleans nahmen Chaktaw-Indianer, welche mit geflochtenen Körben aus Palmenzweigen dorthin Handel treiben, meine Aufmerksamkeit in An[S. 195]spruch. Die kupferfarbige Haut wird auf der Brust, den Armen und im Gesicht theils gemalt oder tatowirt, und die großen Ringe in Nase und Ohren geben dem Ganzen ein frappantes Ansehen. Bunte Glasperlenschnüre mit einem Muschelschloß zieren den Hals, eben so blanke, kupferne Ringe die Handgelenke. Um die Beine sind Schellen und Klingeln gebunden und in den langen Haaren ein Federbusch befestigt. Eine wollene Decke bedeckt die Blöße, Kinder aber gehen ganz nackend.
Während der fünf Wochen, welche wir bereits in Texas umher irrten, ward Keinem von uns Gelegenheit, ein gutes Unterkommen in einem der größern Orte zu finden. Mein Metier als Kupferschmidt hatte hier noch nicht gewurzelt, eben so wenig war in einer Brennerei Beschäftigung zu finden, da Branntwein größtentheils aus den Vereinigten Staaten zugeschafft wird.
Der Pole als Kürschner, so wie der Schweizer als Müller, fanden ebenfalls keine Stellen, auch der französische Kaufmann suchte vergebens als Marqueur ein Unterkommen. Als Domestiquen sich zu vermiethen, fühlte Keiner den Beruf, und des längern Reisens ohne Zweck müde, gaben die beiden Ersteren den lockenden Werberworten Gehör und nahmen in Hauston unter Texanischem Militär Dienste. Wer weiß, zu was auch ich mich entschlossen hätte, wenn ich nicht Familienvater und meiner Pflichten als solcher weniger eingedenk gewesen wäre.
Die beiden kleinen Pferde, welche Raçe in Texas einheimisch ist, wurden verkauft, der Erlös brüderlich getheilt, und dieser war ausreichend, um mich und den Franzosen nebst den beiden besser konstituirten Maulthieren auf einem Dampfboote nach der Hafenstadt Galveston zu spediren, wo wir am 20. Februar mit dem Kapitän des Segeldampfschiffes Neptun die Reise nach Orleans zurück akkordirten, in Ermangelung des nöthigen Reisegeldes die[S. 196] Maulthiere einsetzten, und nach einer sechswöchentlichen Abwesenheit, am 23. Februar wieder in letzter Stadt ankamen.
Freund Aacke zahlte das bedungene Fahrgeld aus, darauf wurden die beiden Maulthiere verkauft, die Schulden bezahlt, und von Neuem nach Arbeit umgesehen. — Nur einmal auf der ganzen Tour hatte ich einen Anfall vom Fieber, und kehrte gesünder nach Orleans zurück, als ich es verlassen hatte.
Von alle den mannigfaltigen Begebenheiten dieser Reise, will ich am Schlusse dieses Briefes nur eines Vorfalls erwähnen, welchen mir jedes Gewitter in Erinnerung bringen wird. — Eines Tages hatten wir den gebahnten Weg, welcher im Thale die Anhöhen umgehend, sich hinzog, verlassen, und in Folge der Angabe eines Indianers einen Holzweg betreten, welcher über das waldige Gebirge näher und schattiger nach der nächsten Plantage führen sollte. Die hintereinander gebundenen Zaumthiere wurden durch mich geleitet, während dem die Reisegefährden die Jagd verfolgten, die sich hier in mannigfaltiger Auswahl darbot.
Immer weiter in das Dickicht der Bäume wurden die Jäger verleitet, und nur der Knall ihrer Büchsen schallte noch zu mir, als der sich theilende Weg mich unschlüssig machte, welcher von beiden zu betreten sey. In der Hoffnung, daß einer der Schützen sich zeigen werde, hielt ich schon längere Zeit, während dem die Thiere weideten, bis herabfallende Regentropfen und der dumpfe Donner ein herannahendes Gewitter verkündeten. Noch hatte ich den Muth nicht verloren und suchte, etwas entfernt von den Thieren, Schutz unter den Zweigen der Bäume; doch als der Donner immer vernehmlicher ward, und dicke schwarze Wolken am Horizonte die Sonne verfinsterten, so daß aus Tag Nacht ward, wurde mir bänglich, als aber der Sturm die Bäume zu entwurzeln drohte, was nur der[S. 197] dichte Wald verhinderte, und der Blitz nicht fern von mir in den Zweigen herabfuhr, und den Stamm spaltete, da wurde ich selbst für mein Leben besorgt, ließ Pferde und Esel im Stich, und ging langsam im Regen bis zu dem Vorsprung eines Felsens.
Gleich als ob es abgesehen wäre, mir die Ohnmacht des Menschen zu zeigen, sey man auf der See oder dem Lande, so wurde das Wetter stündlich abscheulicher, und ein Fieberfrost schüttelte meine Glieder.
Schützte auch die Grotte vor Nässe, so fehlte doch die wohlthuende Wärme, und nur die Hoffnung, das Wetter werde bald vorübergehen, belebte meinen Muth. — Doch es wurde Abend, und war auch der Donner verhallt, so sauste noch schrecklich der Wind durch die Bäume und schüttelte das Wasser in Strömen von den Aesten. Jetzt blieb nichts übrig, als die Nacht hier zu verweilen, und ein Feuer anzuschüren um mich zu erwärmen und den Reisegefährden den Ort zu bezeichnen, wo sie mich finden würden. Nur mit Mühe gelang es Feuer anzumachen, da der feuchte Boden und das nasse Holz die helle Flamme immer wieder zu ersticken drohete. Doch Ausdauer überwindet Alles. Zu meiner Freude und Trost schlug die Flamme auf, und verbreitete Wärme und Licht um sich her. Knurrte auch der Magen, so mußte er sich doch in Geduld fügen, da nichts zu kochen vorhanden und das Herbeischaffen von Holz die Zeit in Anspruch nahm. —
Glücklich drang der Schein des Feuers bis zum Versteck der Jäger, welche gleich mir der Regen genöthigt, in einem Felsenrisse Schutz zu suchen, wo sie, verabredetermaßen, das Feuermahl zu erspähen suchten, und jetzt beladen mit Wildpret und der Haut einer großen Schlange, bei deren Abziehen sie das Wetter erwischt hatte, bei mir ankamen.
Vor Allem wurden die zurückgelassenen Pferde und Esel wieder herbeigeschafft, das Nöthige zum Kochen war bald geschehen, und so der Hunger gestillt.
Schon früh am Morgen, wozu das harte Lager Veranlassung gab, folgten wir der Richtung, von woher die Jäger am vergangenen Abend den Schein eines Lichtes wahrgenommen hatten, und Hunde-Gebell verrieth bald darauf die Nähe einer menschlichen Wohnung. — Der Herr der letztern, von der Stimme des Hundes geweckt, trat vor die Hütte, um zu sehen, was so früh die Ruhe störe; doch als er uns gewahr wurde, ging er von Neuem ins Haus, und kam sogleich bewaffnet zurück. Mit der barschen Frage, was wir wollten, und uns zu bewillkommnen bereit, hielt er das Gewehr entgegen. Nachdem er jedoch vernommen, was unser Geschick sey, meine Begleiter unbewaffnet näher traten und die alte Geschichte von deutschen Emigranten, die in Texas sich anzusiedeln beschlossen, erzählten, öffnete er freundlich die Wohnung und stellte uns der Familie vor, welche während des Wortwechsels das Lager verlassen und sich nun anschickte, das Frühstück zu bereiten.
Leider sprach der Spanier wenig französisch, englisch und deutsch gar nicht; doch gaben Geberden, wie der kredenzte Branntwein, Maisbrod und Schweinefleisch zu erkennen, daß wir ihm herzlich willkommen waren. Nach genossenem Frühstück brachte uns einer seiner Söhne auf die richtige Spur zur nächsten Plantage, und die Gastfreundschaft dieser braven Leute in einsamer Wildniß war aufrichtiger und herzlicher, als ich sie irgendwo gefunden habe.
Zweiter Aufenthalt in New-Orleans.
Im März 1840.
Die Anzahl Arbeit Suchender hatte sich in Orleans während unserer Abwesenheit eher vermehrt als gemindert, da neue Zufuhr aus Europa angekommen, und die schlechten Zeiten in den nördlichen Staaten von Amerika dieses Jahr die dasigen Bewohner weit mehr als sonst gewöhnlich, veranlaßt hatten, den Winter über hier im Süden zu arbeiten, und eine Summe zu verdienen, groß genug, um die kostspieligen Reisekosten davon zu bestreiten, und, wie es früher der Fall war, einen nicht unbedeutenden Ueberschuß mit nach Hause zu bringen. Doch dieses war jetzt anders. Alle Kosthäuser waren mit Individuen angefüllt, welche um jeden Lohn ihre Dienste anboten; selbst bei unserm alten Wirthe, Herrn Brack, hatte die Zahl der Gäste sich vermehrt, worunter zwei Deutsche waren, die in Boston wohnhaft, jetzt hier als Schuhmacher und Tischler Beschäftigung suchten, und, obgleich im Besitz der Sprache, doch kein Unterkommen finden konnten.
Bei mangelnder Kasse wußte der Erstere schlau genug, den sonst vorsichtigen Wirth zu kirren, der ihn ohne irgend ein Unterpfand, als das gegebene Wort, schon drei Wochen lang ernährt hatte, bis der leere Platz am Tische zu erkennen gab, daß der Vogel den Käfig verlassen. Einige Tage darauf traf Freund Aacke ihn in einer Barbierstube, wo er versteckt bei seinem Landsmann, die erste Gelegenheit erwartete, um zur See wieder zurück zu fahren. Daß Aacke ihn nicht verrieth, war zu erwarten.
Die mir versprochene Stelle war ebenfalls, während des längern Weilens in Texas, besetzt, bis durch Fürsprache[S. 200] Aackens und dessen Empfehlung ein Allerwelts-Vormund mir die Aussicht stellte, im deutschen Theater-Magazine, nahe der Délord-Straße, wo ein gewisser Herr Stawinsky Thalien’s Tempel errichtet hatte, den Posten als Hell- und Dunkelmacher zu übernehmen, welcher bis jetzt von einem, dem Trunke ergebenen Subjekte versehen worden war. Schon des Originellen wegen sagte ich zu, und wurde beim Leeren einiger Flaschen Wein zum Generaldirektor der wenigen Lichter, welche während der Vorstellungen brannten, ernannt.
Doch auch dieses Glück war nur kurz; denn schon im Laufe der ersten Woche ging der Direktor durch, ohne die Rente für die Scheune und die rückständige Gage dem Personale gezahlt zu haben. Es erfolgte daher von diesem in der deutschen Zeitung eine Desertions-Anzeige, mit der Bitte, da fortgespielt werden solle, um zahlreichen Besuch der Vorstellungen, um den Verlust, vorzüglich den Aktricen, weniger fühlbar zu machen. Doch die Theilnahme blieb aus, und die Bühne wurde geschlossen.
Abermals ohne Verdienst, wünschte ich Orleans möglichst schnell zu verlassen, da bei der Theuerung hier die Kasse schmolz, wie Schnee an der Sonne. Es wollte sich aber durchaus keine Gelegenheit bieten, da alle nach den nördlichen Staaten abgehenden Schiffe mit Waaren voll beladen, keinen Raum für die Deckpassagiere hatten, und in der Kajüte zu reisen, die Mittel nicht ausreichen wollten.
Voll Unmuth und Verdruß, geplagt von Langweile, gab ich endlich den Vorstellungen des Sohnes eines Advokaten aus H. Gehör, und verstand mich, gleich ihm, zu einer Beschäftigung, welche man bei uns aus dummen Vorurtheil als entehrend ansieht, worüber man aber in Amerika, wo nur Faulheit schändet, anders denkt. — Versehen mit zwei Bürsten, Messer, einer kleinen Bank und Wichse, postirte ich mich nicht weit von meinem Rathgeber an einen der gangbarsten Plätze, um Fußbekleidung,[S. 201] die hier ungewichst angezogen wird, zu reinigen. Die gewöhnlich nur bis Mittag dauernde Arbeit brachte 1–1½ Dollar ein; und war die Arbeitsjacke mit dem Rock vertauscht, so konnten wir den Nachmittag an Orten zubringen, wo Kaufleute und Plantagenbesitzer verkehrten, ohne daß es Jemandem auffallen würde, den Stiefelputzer neben einem Gentleman zu erblicken, da in Amerika nur der Mensch gilt und nicht der Posten, den er bekleidet, oder das Geschäft was er treibt, wenn nur Geld damit zu verdienen ist.
Ein gelernter Kaufmann aus M., welcher auf sein Geschäft kein Unterkommen in Baltimore gefunden, setzte die Reise nach Cincinnati fort, und bei gleichem Schicksal in dieser Stadt, sah sich derselbe genöthigt, in der Apotheke, wo Aacke konditionirte, die vakante Stelle als Stößer anzunehmen. Doch der Wunsch, sich zu verbessern, und die gefaßten fixen Ideen zu realisiren, folgte er unserer Bahn, und kam in New-Orleans aus dem Regen in die Traufe. Mehr aus Desperation, als aus Leidenschaft, da er auf keine Weise Beschäftigung und Verdienst finden konnte, ergab er sich dem Trunke, und nachdem von seinen Sachen ein Stück nach dem andern verkauft worden war, ergriff er das Letzte dieser Unglücklichen und wurde Soldat.
Dieser zum Nichtsthun gezwungene Stand wird von dem immer rührigen Amerikaner verachtet, und selten giebt sich ein solcher dazu her, die durch den Tod und den Indianerkrieg in Florida gelichteten Reihen wieder auszufüllen; nur neue Einwanderer aus allen Ständen, welche nothgedrungen diese Branche ergreifen müssen, ergänzen das Militär.
Dem Anschein nach ist die Löhnung des amerikanischen Soldaten eine der besten; doch ist auch hierin die Sache so gestellt, daß der Staat Nichts dabei verliert, und der Unwissende um so leichter den lockenden Aussichten sich hin[S. 202]giebt, und den Worten der Werber glaubt, die sich in allen bedeutenden Orten befinden, und deren Aufenthalt die ausgesteckte Fahne angiebt. — Außer Kost, welche auch nicht die beste seyn soll, und Montirung, werden monatlich noch 7 Dollars zugesichert, wovon jedoch nur ein Dollar baar ausgezahlt wird, um davon das nöthige Putzzeug und sonstige militärische Ausgaben zu bestreiten. Die übrigen sechs Dollars hebt die Kriegskasse bis nach abgelaufener Dienstzeit, welche fünf Jahre dauert, auf, in welcher Zeit jedoch der Krieger einige Mal gegen die Indianer verwendet wird, wo Pfeile, Klima, Strapazen und Reue dafür sorgen, daß nur Wenige das fünfte Jahr erleben, und die Sparkasse dann als Erbe eintritt.
Die bewaffnete Landmacht ist in den 27 Vereinigten Staaten nur gering, und soll nicht über 9000 Mann stark seyn. — Das Ehrgefühl wird bei dem gemeinen Soldaten nicht gehoben, da gezeigte Bravour nicht durch Ordensverleihung belohnt wird, auch findet kein Avancement Statt, weil die Offizierstellen nur von Kadetten besetzt werden, welche die nöthige Vorbildung erhalten haben. — Dagegen ist die gesammte Miliz, wozu jeder amerikanische Bürger gezählt wird, um so stärker, und soll 1,150,000 Mann betragen, welche sich theils freiwillig uniformiren, wie ich schon erwähnt, oder gleich unserm Landsturm, nur mit Seitengewehr und Flinte bewaffnet, sich zu den alljährigen Uebungen stellen müssen. — Hier ist nun den Amerikanern ein größeres Feld gelassen, um sich den Besitz einer militärischen Charge zu verschaffen, wo es nicht auf Kriegskenntnisse abgesehen ist.
Besteht nun auch hier die grelle Scheidewand der Stände weniger wie bei uns, so hört es doch der Amerikaner gern, wenn man ihm im allgemeinen Verkehr den militärischen Ehrentitel beilegt, und z. B. einen Schuhmacher mit: „Herr Major“ einen Schneider mit: „Herr Obrist“ anredet.
Das gestörte Aeußere eines mir als höchst solid bekannten jungen Mannes, der mit bei uns wohnte, fiel mir eines Tages auf, und der Seelenkampf malte sich auf allen seinen Zügen so deutlich, daß ein geheimes Vorhaben nicht zu verkennen war. Mitleid bestimmte mich, ihn nach der Ursache seines Kummers zu fragen, und ihm meine Kräfte, so weit sie ausreichend waren, anzubieten. — Er sey, vertraute er mir jetzt, der zweite Sohn eines nicht unbemittelten Müllers, und habe mit seinem Bruder das Geschäft des Vaters erlernt. Doch mit Ersterem einst im Zwist, und dem Briefe eines Schulfreundes mit lockenden Nachrichten aus Amerika vertrauend, habe er gegen den Willen seiner Eltern das Vaterland verlassen, und sey in Baltimore gelandet. Hier habe er leider Alles anders gefunden, als man im Briefe geschrieben, und wegen Unkenntniß der Sprache habe sich keine Gelegenheit dargeboten, als Müller anzukommen, weshalb er das Anerbieten eines Bäckers benutzt, und dessen Metier bei ihm erlernt habe. — Im dritten Jahre seines Hierseyns sey ihm die Kunde geworden, daß die Mutter, deren Liebling er gewesen, wegen seines, aus falscher Schaam beobachteten Schweigens, da er noch nicht geschrieben habe, in Schwermuth verfallen sey, welches ihn so beunruhige, daß er abermals, um seine Lage zu verbessern, und dann Bericht von sich zu geben, den Nachrichten aus Texas gefolgt, und dorthin ausgewandert wäre. Zum zweiten Male betrogen, habe er dort das gehoffte Glück nicht gefunden. Sein Kamerad, welcher mit ihm, und er hauptsächlich auf dessen Vorspiegelung, die Reise von Baltimore aus unternommen, sey in Texas in Kriegsdienste gegangen, er aber, da die Mittel noch hinreichend, hierher nach New-Orleans gereist. Seit drei Wochen warte er jetzt auf Arbeit, doch vergebens, die Kasse sey bis auf Nichts geschmolzen und um das Maas des Unglücks voll zu machen,[S. 204] habe heute der Wirth die Wohnung gekündigt, und an die Bezahlung des Kostgeldes für die letzte Woche gemahnt. Dieses nun möglich zu machen, bleibe ihm nichts übrig, als die Sachen zu verkaufen und Militärdienste zu nehmen, welches Letztere der Vater schon beim Abschied prophezeiht habe; um nun dieses nicht zu verwirklichen, wolle er lieber ins Wasser gehen, um sich so mit einem Male seiner Qual zu entledigen.
Mit baarem Gelde konnte ich nicht helfen, doch den Armen aus der Gewalt des Wirths und aus der Stadt zu bringen, bot ich die Hand. Seine Sachen wurden, mit dem Vorgeben, daß es schmutzige Wäsche von mir sey, aus dem Hause gebracht, und ein Dampfschiff bestimmt, ihn mit nach Pensacola zu nehmen, wohin es eben abgehen wolle, wie die ausgehängte Tafel anzeigte. — Beim Mangel des Fahrgeldes, welches immer erst auf der Reise abverlangt wird, stand freilich eine tüchtige Tracht Schläge zu befürchten, doch hier half kein Besinnen! Fort mußte er, und über Nacht ändert sich oftmals Vieles. — Leider kam ich mit dem zweiten Transport Sachen etwas zu spät, so daß das Fahrzeug schon vom Lande abgestoßen und nicht mehr zu besteigen war. Während dem wir beriethen, was nun zu thun sey, um nicht dem überall herum spionirenden Wirthe in die Hände zu fallen, verkündete der Schall einer Glocke den Abgang eines zweiten Dampfschiffes, wohin, war nicht mehr zu sehen, da die Tafel, woran es bemerkt, schon eingezogen war; doch hier blieb, da der Flüchtling nicht zurück durfte, keine Wahl, und so sprang er von einem nebenstehenden Fahrzeuge auf das Boot, und ihm die Sachen nachwerfend, wünschte ich eine glückliche Reise. — Neugierde plagte mich jetzt, zu erfahren wohin des Armen Bestimmung sey, und, o Schicksal! Texas war das Ziel der Reise. — Was mag der Unglückliche bei Nennung dieses Namens empfunden[S. 205] haben, und welche Zukunft ward ihm aufgespart? Gewiß geht die Prophezeihung des Vaters in Erfüllung, und er wird Soldat.
Unser Wirth im Wilhelm Tell, Herr Brack, den das Reichwerden, wie so vielen Andern auf geradem Wege auch nicht schnell genug gehen mochte, schaffte nach und nach die mehresten Sachen aus dem Hause und verschwand dann nebst seiner Ehehälfte. — Seine Entfernung wurde so geheim als möglich gehalten und auf dessen Kredit nach wie vor täglich Fleisch, Brod, Bier und was sonst in der Küche nöthig war, aufgebracht. — Der Keller war noch gut besetzt und einige zwanzig Kostgänger lebten jetzt herrlich und in Freuden auf Allerwelts-Rechnung noch sechs Tage, wobei man nicht vergaß, unsern Wohlthäter bei jeder Bouteille, welche geleert wurde, leben zu lassen.
In dieser Periode lernte ich den frühern Studiosus D. kennen, der von einem Hausirhandel mit Stiefeln lebte und in unserm Store einen auf die Lippen zu nehmen beabsichtigte. Diesen als meinen Landsmann den Tischgästen vorstellend, wurde er unter die Freigäste aufgenommen, stellte den Handkorb bei Seite, und that sich mit gütlich.
Jeder der hier wohnenden Gäste sah sich während der Freudenzeit nach einem andern Quartier um, und brachte die Sachen in Sicherheit, wobei manches, jetzt den Kreditoren gehörige Stück, mit eingepackt wurde.
Ich für meine Person hatte mit der Köchin und deren Mann Moitié gemacht, ein kleines Quartier in der Vorstadt gemiethet und daselbst, auf die Zukunft bedacht, von den auf Brod- und Fleischbuch gefaßten Rationen für Brack’s Küche, manche Wurst und Stück Speck in Sicherheit gebracht.
Der sich steigernde Tumult, das auf die Straße Werfen leerer Bouteillen und der nicht mehr zum Vorschein kommende Wirth, machte die Nachbarschaft aufmerksam[S. 206] und durch Letztere wurde der weit entfernt wohnende Hauseigenthümer von des Miethsmannes Verschwinden in Kenntniß gesetzt. Gegen Abend (es war der 6. Tag dieses Wonnelebens) erschien Ersterer, und verlangte die sofortige Entfernung der Gäste und Schließung des Ladens, wurde aber, statt ihm Folge zu leisten, aus seinem Eigenthum ohne alle Umstände hinausgeworfen und zwar mit dem Bemerken: „daß Jeder kommen und sich Eigenthumsrechte anmaßen könne.“ — Daß der Gemißhandelte am andern Morgen mit den nöthigen Konstablern wieder erscheinen würde, war gewiß, weshalb am selbigen Abend die Küche ausgeräumt und in der letzten Freinacht noch mancher Bouteille der Hals gebrochen wurde. Beim Frühstück war das Kränzchen aufgehoben, das Haus geschlossen, und Jeder von uns bezog seine neue Wohnung, ohne daß einer der Gäste zur Verantwortung gezogen worden wäre. — Herrliche Freiheit!
Immer noch keine Reisegelegenheit für mich, obgleich täglich alle darauf Bezug habenden Anzeigen von mir gelesen wurden. — Die Zeit langweilte bei Meidung aller Spiele sehr, und um so mehr, da kostspielige Vergnügungen, wie Theater, Bälle und Redouten nicht besucht werden konnten und Leuten unsers Standes vornehme Einladungen abgehen. Nur Balgereien zwischen Matrosen und Arbeitern, wie sie häufig vorkommen, unterbrachen den Verkehr. Nicht selten enden solche Kämpfe erst mit dem Tod des Einen, da die Matrosen immer ihre Messer bei der Hand haben und das Aeußerste wagen. —
Ein ähnlicher Fall fand dieser Tage zwischen zwei Fuhrleuten statt, wo keiner dem andern sattsam ausweichen wollte, so, daß die Wagenachsen zusammenrannten. Ein Peitschenschlag gab die Ausforderung zum Faustkampf (Boxen), Jacke und Weste wurden abgelegt, das Hemd unterm Oberleib zusammengebunden und so entblößt, be[S. 207]gann der Angriff. Eine Menge Neugieriger bildeten sofort einen Kreis, sich an diesem blutigen Schauspiel ergötzend, und wehe dem Zuschauer, welcher die Kämpfenden trennen wollte, gemeinschaftlich würden sie über ihn herfallen. — Nach einigen Gängen lag Einer der Raufbolde blutig zu Boden. Doch nicht zufrieden, sprang er auf, und griff von Neuem den Gegner an. Lange schlugen sie sich jetzt mit geballten Fäusten die Gesichtstheile entzwei und blutend, bis der Erste durch einen Tritt vor den Unterleib zum zweitenmal zusammen sank. — Schrecklich hatten sie sich zugedeckt, doch als an der nächsten Pfütze die blutenden Theile möglichst gereinigt, der Kopf verbunden und die Kleider wieder angelegt waren, wurde im Eck-Store die Versöhnung durch einige Gläser Branntwein bekräftigt und die alte Freundschaft war wieder hergestellt.
Auf den Wunsch meines Freundes Aacke, ihm seinen zweiten Koffer, welchen ich beim Räumen des Gasthauses an mich genommen, zu überschicken, wollte ich das Fuhrlohn ersparen, und trug denselben am Abend mit einem von der Arbeit zurückgekehrten Stubengenossen nach der weit abgelegenen Apotheke; doch der kothige schlechte Weg auf ungepflasterten Stellen und die nasse Witterung verlängerten die Strecke, und kaum hatten wir dieselbe erst halb passirt, als der Signalschuß fiel[49]. Jetzt, um mehr den Watchmen (Nachtwächtern) aus dem Wege zu gehen, schlugen wir die Richtung[S. 208] nach der Flußseite ein. — Zu unserm Unglück kamen uns aber hier betrunkene Matrosen und Gesellen der untern Volksklasse entgegen, und wohl möglich, daß sie selbst nicht auf dem besten Wege waren, vermutheten sie in uns Diebe zu erblicken und machten Miene, den Koffer gewaltsam wegzunehmen. Auf unsere Wehr wurde der Spectakel ärger, und ehe noch die nächste Wache kam, war mein Begleiter mit einem Messer verwundet, als er einen der Matrosen zu Boden geworfen hatte. Noch Schlimmeres befürchtend, suchte er jetzt die Flucht, und ließ mich unter der Rotte allein zurück. Ihren Faustschlägen vermochte ich nicht länger zu widerstehen und lag auf dem schmutzigen Boden, als die Wache kam, uns sämmtlich arretirte, und in Verwahrung brachte. Erst am andern Tage, als der Eigenthümer des Koffers die Wahrheit meiner Aussage bestätigte, erhielten wir sämmtlich die Freiheit wieder.
Seereise nach Baltimore.
Im März 1840.
Endlich sollte ich erlöst werden. Freund Aacke hatte den Kapitän vom dreimastigen Schiff Ferray, welches Fracht nach Baltimore geladen hatte, bestimmt, mich gegen Bezahlung von 20 Dollars[50] als Deck-Passagier mit aufzunehmen, obgleich auch auf seinem Fahrzeug nur Kajüten-Reisende zulässig waren.
Auf erhaltene Nachricht wurde das Schiff im Hafen aufgesucht, wo mir bei der Abwesenheit des Kapitäns durch den Steuermann die Schreckenskunde ward, daß außer der Kajüte auch für keine Maus mehr ein Plätzchen auf dem Schiff zu finden sey, von dessen Wahrheit ich mich selbst überzeugte, denn das Verdeck bis über die Brustwehr fand ich mit Fässern und Baumwollen-Ballen belegt. Die Matrosen-Kajüte war das Einzige, worauf ich mich stützte, doch auch hier fand ich keinen Raum, da ein Kajüten-Passagier eine in Orleans gekaufte Negersklaven-Familie daselbst untergebracht hatte. Voll banger Erwartung lauerte ich auf den Kapitän, in der schmeichelnden Hoffnung, daß mir vielleicht ein Plätzchen in der Kajüte selbst zugetheilt würde. — Eitle Hoffnung! Nach Rückkunft des Kapitäns, durch den Steuermann dazu bestimmt, sah ich mich auch von diesem von Neuem abgewiesen, und hatte schon den Abmarsch genommen, als ich wieder zurückgerufen, den Antrag empfing, in dem in der Mitte des Schiffes aufgestellten Boote mein Lager aufzuschlagen.
Dieses Boot, nur bei drohender Gefahr von der Mannschaft zur Rettung benutzt, wurde außerdem als Rumpelkammer vom Koch und Zimmermann gebraucht, und diente auch zugleich mit als Aufbewahrungsort der außer Gebrauch gekommenen Segel und Taue, womit es vollgestopft war. Nur zum Liegen war noch Raum darin, und versprach demnach für den Bewohner nicht die beste Existenz. — Doch hier galt kein Besinnen, Orleans zu verlassen, war mein einziger Wunsch, und der Diogenes-Behälter wurde bezogen. Das zur Seereise Nöthige ward auf das Allernothwendigste beschränkt, um nicht die von Freund Aacke vorgeschossenen Gelder zu schwächen. Außer Brod und Käse nur noch Kaffee und Zucker eingekauft und zwar auf drei Wochen berechnet, welche Zeit die Fahrt ohngefähr dauern konnte.
Der 15. März war der traurige Tag, welcher mich von einem der besten Menschen, meinem so theuren Freund Aacke trennen sollte, und nur die Hoffnung, daß das Geschick uns doch noch ein Mal in diesem Leben zusammenführen könnte, machte die Scheidestunde weniger schmerzhaft. Beim Abschied mußte ich ihm noch das Versprechen geben, im Falle der Noth mich seiner Adresse zu bedienen, da er, wenn es irgend in seiner Macht stehe, immer bereit sey, mir zu helfen. Edler Mensch, solch Handeln verdient der Vergessenheit entrissen zu werden!
Den 16. März nahm unser Fahrzeug ein Dampfschiff am Schlepptau, und brachte es dem Mississippi hinab, welcher Fluß bis in die offene See ganz mit Treibholz bedeckt war. Kaum hatte der Lootse uns verlassen, als sich ein so dicker Nebel auf die Wasserfläche legte, daß man nicht Schiffslänge vor sich sehen konnte. — Die Segel wurden eingezogen und das Schiff sich selbst überlassen. Erst am dritten Tage wurde es wieder heiter und um einen günstigen Wind zu benutzen, alle Segel aufgespannt. — Der Wärme nach zu urtheilen, mußten wir weit südlich fahren, und nur mit dem Hemde bedeckt, befand ich mich in meinem Käfig am wohlsten. Von einem Eingang in Letztern war freilich keine Rede, denn nur auf allen Vieren kriechend, wurde es möglich, ein- und aus- zu gelangen, da die vorliegenden Baumwollen-Ballen mit der Luke, welche die Thür bildete, gleiche Höhe hatten. — Um so frischer und gesünder war aber die mich umgebende Luft, da diese von keinen mephitischen Ausdünstungen faulig gewordenen Wassers verpestet wurde, wie es bei der Ueberfahrt der Fall war. — Außer leichtem Schwindel spürte ich nichts von Seekrankheit und, bei gesundem Appetit fehlte nur die gute Kost, da Brod, Käse und Wasser das Einzige waren, was mich nährte. — Zum Glück hatte ich mir beim Auszug in Orleans einige vom durchgegan[S. 211]genen Wirth zurückgelassenen Bücher zu Nutze gemacht, die ich zum Zeitvertreib studirte, um, bei aller Entbehrung menschlicher Gesellschaft, die schreckliche Langweile zu vertreiben. Der große Eindruck, welchen Gottes herrliche Schöpfung auf den Seefahrer das erste Mal macht, verliert sich merklich, wenn der Reiz der Neuheit durch wiederholtes Anschauen geschwächt worden ist. Auch die glücklichste Seereise bei voller Gesundheit hat bei weitem nicht das Angenehme, was eine Landreise bietet. Die ungeheure Wassermasse, welche durch Nichts unterbrochen wird und der Umstand, daß die in kurzer Entfernung dem Anschein nach aufliegenden Wolken die Aussicht beschränken, macht die Sache einförmig und todt, und die peinlichste Langweile würde bei Windstille Einem umbringen, wenn sie nicht mitunter von zum Vorschein kommenden fliegenden Fischen, Seeblasen, Boniten, Doraden und Delphinen unterbrochen würde. Mit dem Fangen der Letztern, durch Auswerfung von Harpunen, vergnügten sich die Matrosen, doch nur einmal glückte es, einen zu fangen, da sie sich gewöhnlich wieder losreißen.
Bis zum 21. bot die Fahrt in dem Meerbusen von Mexiko nichts besonderes Merkwürdiges dar. Tags darauf überzogen schwarze Gewitterwolken den ganzen Himmel und von allen Seiten durchkreuzten Blitze das Firmament, doch nur schwach vernahm man noch den Donner, was vermuthen ließ, daß das Gewitter ohne Entladung an uns vorüberziehe, weshalb Niemand froher war als ich, da das in Texas erlebte Naturereigniß einen solchen Eindruck bei mir hinterlassen hatte, daß jeder Blitz eine Erschütterung des Körpers verursachte. Die Läden vor meinem Behälter suchte ich zu schließen, um den Schein vom Blitze weniger zu empfinden und war auch dafür geholfen, so drang doch immer stärker der herabfallende Regen durch die Fugen des zusammengetrockneten Daches auf mich ein, und war eine[S. 212] Ritze mit Baumwolle verstopft, so schüttete die nächste das Wasser um so reichlicher über mich aus, weswegen ich die Arbeit einstellte und mich geduldig dem Tuschbade unterwarf und nur das Brod vor Nässe zu bewahren suchte. — Bis jetzt waren die schlagenden Wellen noch wenig fühlbar, und das Schiff ging ruhig seinen Lauf, schnell drehte sich aber die Luft, und in dem Augenblicke stellte sich der Sturm ein, der immer stärker und stärker das Fahrzeug auf den schäumenden Wogen herumwarf und der Abgrund des Meeres es zu verschlingen drohete. Fürchterlich krachte das Schiff in allen seinen Fugen und als selbst mein Käfig zu wanken anfing, war mir nicht wohl zu Muthe, da die über ihn sich brechenden, herstürzenden Wellen die Decke zertrümmern zu wollen schienen. Die See ging Berge hoch, und Blitz auf Blitz setzte den Himmel in Flammen, Wind und Regen warfen das Schiff auf und nieder, und in dieser fürchterlichen Periode feuerte das Kommandowort des Kapitäns die Matrosen an, die lose gewordenen Ballen und Fässer, welche vom Verdeck jeden Augenblick in die See geschleudert zu werden in Gefahr waren, von Neuem zu befestigen. — Der Sturm hatte die Bande eines meiner Vorsätzläden ebenfalls gelöst und mit angestrengter Kraft suchte ich denselben zu erhalten bis die sich einstellende Seekrankheit es mir unmöglich machte, und solcher über Bord ins Wasser flog. So wurde mir wider Willen die Aussicht auf das Meer eröffnet und den nun einschlagenden Wellen Platz gemacht, welche das Schiff über und über mit Wasser bedeckten und die Möglichkeit boten, mich in meinem Behälter ersaufen zu lassen. Durch und durch naß, drückte ich mich aus einer Ecke in die andere und war bei dieser großen Gefahr keines andern Gedankens mächtig, als an Frau und Kinder, die mich verlieren konnten, ohne je zu erfahren, wo ich hingekommen sey. — Noch waren die Matrosen mit den Segeln[S. 213] beschäftigt, die der Sturm abzureißen drohte, welche Arbeit bei dem unsichern hohen Stand auf nassen Fässern und Ballen äußerst gefährlich war, als der Wirbelwind den obersten Aufsatz des Mittelmastes herabriß und mit solcher Gewalt auf die Decke meines Kahnes schleuderte, daß ich nichts anders vermuthete, als der Blitz habe eingeschlagen, und mit klopfendem Herzen jeden Augenblick den Ruf „Feuer!“ zu vernehmen glaubte. — War auch Ersteres nicht geschehen, so hatte ein anderes Unglück sich ereignet, denn der herabfallende Balken schleuderte einen jungen Matrosen, der zum ersten Mal zur See war, von seinem unsichern Stande in die tobende See. Der Anblick war herzergreifend, wie der junge Mensch aus Liebe zum Leben mit den Wellen kämpfte, bis er zwischen den schäumenden Wassermassen verschwand. — Erst gegen Abend legte sich der Sturm, doch der Himmel blieb fortwährend umwölkt, und machte die Nacht so stockfinster, daß die Fahrt bei der Dunkelheit und der Nähe der Insel Cuba, nur langsam fortgesetzt wurde, um dem leicht möglichen Stranden zu entgehen, was häufig bei den Bahama-Inseln vorkommen soll.
Ganz entkräftet durch das fürchterliche Erbrechen und der ausgestandenen Angst, durchnäßt bis auf den Leib, und in ein Seebad gebettet, da die verquollenen Fugen des Bootes die eingeschlagenen Wassermassen nicht wieder durchließen, machte die Nacht zur Ewigkeit, da an Schlaf nicht zu denken war, und nur meiner guten Natur verdanke ich, daß ich diese fürchterliche Katastrophe überlebt habe. Zum Glück verscheuchte die Morgensonne alle Nebel und ihre warmen Strahlen trockneten die ausgespannten Kleider. Das Boot wurde von Sachen geleert, das Wasser ausgeschöpft, und hatte auch der Inhalt meines gut verwahrten Koffers wenig gelitten, so war doch der im Hutfutteral aufbewahrte Zucker zerweicht, der Kaffee verschüttet und[S. 214] das Brod vom Seewasser durchdrungen, daher es zu schimmeln anfing, und bald darauf nicht mehr zu genießen war. Der wenige Käse war das Einzige, was mir zur Nahrung übrig blieb.
Der Kapitän, von meiner Lage unterrichtet, wünschte mich für die Arbeit des verloren gegangenen Matrosen zu gewinnen, und versprach Kost gleich den Andern, wenn ich mich deren Geschäften mit unterziehen wolle. Dieses war jedoch nicht möglich, denn wie konnte ich, der auf dem Schiffe nicht fest hinter sicherer Brustwehr stehen konnte, das verrichten, was ein Matrose in der Nacht und bei Sturmeszeit zu vollbringen verpflichtet ist. — Um mich geneigter zu machen, die vakante Stelle anzunehmen, wurde mir nichts von Nahrung gereicht. Doch mein Schutzgeist verließ mich nicht, auf anderm Wege wurde geholfen. — Eines der Kinder der Neger-Familie, welche mit auf unserm Schiffe war, hatte ich mir durch die Gabe kleiner Zuckerdüten geneigt gemacht und so lange der im Koffer aufbewahrte Farinzucker auslangte, steckte mir verstohlen das zehnjährige Mädchen von der ihrer Familie gereichten Kost manches Stückchen Fleisch zu, welches zu verzehren, freilich nur der Hunger möglich machte, da die schwarzen Händchen, welche das Pökelfleisch zu verbergen suchten, nicht die appetitlichsten waren, und die Art zu geben, der Fütterung eines Hundes glich, dem man in seinen Behälter ein Stückchen Fleisch zuwirft. — Das von der Mutter bestrafte Kind, welches bei der Entwendung erwischt worden, zog seine wohlthuende Hand zurück, und die immer spärlichere Spendung des auf die Neige gehenden Zuckers war nicht geeignet, die Gunst des Mädchens zurückzubringen.
Der letzte Käse war verzehrt, und vom verschimmelten Brod nichts mehr genießbar, daher ich nothgedrungen, so viel ich es im Stande war, den Matrosen zu helfen suchte.[S. 215] — Mit Begierde ward die erste mir gereichte Reissuppe verschlungen, welche den zusammengeschrumpften Magen erwärmte, und die Kartoffeln mit einem Appetite verzehrt, als wären es die besten Leckerbissen. Zum Glück für mich hatte der Ertrunkene, ein Bötticher, aus leeren Fleischfässern sechs Stück Wassereimer bis auf’s Binden angefertigt, und diese Arbeit auszuführen, war jetzt bei ruhiger See meine Arbeit. — Die Zuneigung der Matrosen erwarb ich mir bald, der Koch wurde durch Schenkung eines Rasirmessers gewonnen, und dieser jetzt weniger wegen meiner Person vom Steuermann, einem äußerst barschen Menschen, beaufsichtigt. So wurde mir an Speisen mehr zugesteckt, als ich bedurfte und um vor möglichem Unfall mich zu wahren, trug ich von diesen ein, wie ein Hamster und verbarg Schiffszwieback und Pökelfleisch im Koffer. — Doch diese Vorsicht war nicht nöthig, denn da die Eimer fertig, die eisernen Reife schwarz, und das Holz mit grüner Farbe angestrichen waren, erlaubte der Kapitän, mich gleich den Matrosen mit Schiffskost zu versehen, da er meinen guten Willen zur Arbeit nicht verkannte, wenn nicht die gewaltsamen Bewegungen des Schiffes gewesen wären, die jedesmal die Seekrankheit bei mir hervorriefen, und das Arbeiten unmöglich machten. —
Nichts besonderes Merkwürdiges kam während der weitern Reise vor, da alle Begebenheiten mit Donner, Blitz, Wind und Wetter durchflochten, nur das schon Erlebte und Erzählte wiederholen. — Das Auffallendste dieser Tour bleibt die Golf-Strömung, welche die Fahrt aus dem mexikanischen Meerbusen bis zur Höhe von Baltimore sehr begünstigt, und den Lauf des Schiffes auch ohne Wind immer in einer gewissen Geschwindigkeit erhält.
Sonntag, am 12. April wurde nach einer dreiwöchentlichen Seefahrt am Marine-Arsenale bei Norfolk beigelegt, um den größten Theil der Schiffsladung, die in ein[S. 216]gesalzenem Schweinefleische bestand, auszuladen, welche viertägige anhaltende Arbeit mir äußerst sauer ankam, weil durch das Ziehen am Seile des Krahnes meine Hände voller Blasen wurden. So gern ich auch das Innere der Arbeitsgebäude dieser Anstalt besichtigt hätte, so erlaubte dieses doch die mir am Tage zu Gebote stehende Zeit nicht.
Am Morgen des 17. wurde die Fahrt von Neuem fortgesetzt, und in der Chesapeak-Bai, der Stadt Baltimore zugesegelt. — Das malerische dieser Landenge bietet bei weitem nicht den Reiz, welchen die Einfahrt zwischen Staaten-Island und Long-Island bei New-York dem Reisenden gewährt, ein Panorama, das die erhitzte Einbildungskraft derer zum Paradies erhebt, die zum ersten Male die Seereise machen und durch langentbehrte Ansicht bergiger, mit Wald besetzter Höhen und grüner Thäler entzückt werden; wenigstens mir kam es so vor. Mit ganz andern Gefühlen und Ideen, gemäßigt durch Erfahrung und gewonnene Ueberzeugung im Lande der Freiheit selbst, betrat ich den Boden vom Staate Maryland, als es das erste Mal der Fall war, wo ich bei New-York an’s Land stieg.
Baltimore.
Im April 1840.
Am 18. April Vormittags befanden wir uns ganz in der Nähe der Stadt. Die Fahrt ging bei wenig ausgespannten Segeln nur langsam vorwärts, während dem der Lootse mit dem Senkblei in der Hand, die Tiefe des Wassers zu erforschen suchte. — Ohne weitere Quaran[S. 217]taine halten zu müssen, da der Kapitän mit den Kajüten-Passagieren schon von Norfolk aus, mit dem Dampfboote nach Baltimore vorausgegangen war und vermuthlich über Alles schon rapportirt hatte, fuhren wir bis in die Mitte der Stadt an die Magazine an, wo die noch auf dem Fahrzeuge befindlichen Waaren niedergelegt wurden.
Mit der Adresse meines Landsmanns Gottfried Lieber in der Hand, wünschte ich vor Allem dessen Wohnung aufzufinden, wurde aber aus einem Stadttheile in den andern verwiesen, da der Name des Gäßchens, wo er wohnen sollte, undeutlich geschrieben war. Ermüdet suchte ich im nächsten Speisehause Stärkung, wo ich so glücklich war, einen Bekannten von ihm zu finden, welcher nach dem Mahle so gefällig war, mich bis in die Nähe der gesuchten Wohnung zu bringen. — Mit offenen Armen wurde ich von Lieber empfangen und seiner Familie als alter Schulfreund vorgestellt. — Ein zweiter Landsmann, Papst, welcher bei Ersterem in boarding war (in Wohnung und Kost seyn), bot gleichsam zum Willkommen die Hand, und von Beiden dazu bestimmt, schlug ich in ihrer Mitte die Wohnung auf.
Mehrere sich hier niedergelassene Landsleute, welche während meines Aufenthalts besucht wurden, versprachen Alle, für eine Stelle für mich zu sorgen, welche aufzufinden um so weniger schwer halten würde, da ich auf eine besondere Branche nicht eigensinnig bestand, sondern in verschiedenen Fächern zu arbeiten mich erbot.
Am zweiten Tage meiner Ankunft waren wegen der Feier des Sonntags die Straßen wie ausgestorben und das Leben der geschäftigen Menge bot das Gegenstück von New-Orleans, denn nur Kirchengänger fand man in den Straßen. Der Tag wurde zu Hause im geselligen Kreise zugebracht, und von der alten Heimath erzählt, in welcher mancher jetzt in Amerika lebende Landsmann so viele glück[S. 218]liche Tage verlebt. Es wurden Geschichten Amerikas eingewebt, die sich während der Anwesenheit meiner Freunde zugetragen oder mir auf der Reise selbst begegnet waren.
Den hierauf folgenden Montag machten Lieber, Papst und Schenk blau und begleiteten mich nach dem zwei Stunden von Baltimore entfernt gelegenen Franklinwork, wo auf einer Kasimir-Faktorei Freund Thalemann beschäftigt war[51]. Freudiges Wiedersehen! Herzliches Willkommen in der neuen Welt, worüber in der alten so viel gekannegießert worden war, und nun hinter den Luftschlössern nichts als Entbehrungen aller Art, ohne Beschäftigung, bei welcher sich aber immer Interesse, Bevortheilung und Betrug im Gefolge befinden. Thalemann wünschte auf einige Zeit meine Gegenwart, und ich konnte hier ungenirt im Kreise wahrer Freunde von der Reise ausruhen, da Baltimore nahe war.
Auch Thalemanns Bemühung, bei seiner Ankunft in Amerika, als Bierbrauer, Branntweinbrenner oder Destillateur anzukommen, war vergebens, weshalb er seine Zuflucht zu des Vaters Geschäft als Tuchmacher nahm und sich in mehren Carpet- (Teppich) Fabriken nach Arbeit umsah; doch Alles umsonst. Schon war die letzte Baarschaft verausgabt, und eine trübe Zukunft verbitterte noch mehr die beengte Gegenwart, als der Besuch zweier Schiffsreisegefährden, Weber und Maler, ihn bestimmten, die vakante Stelle in einer Steinkohlen-Niederlage anzunehmen, wo sie arbeiteten, da kein anderes Unterkommen sich gefunden hatte. Es galt hier kein Besinnen, die weichen Hände unternahmen die harte Arbeit. Leider waren aber am zweiten Tage diese schon voller Blasen und aufgesprungen,[S. 219] und nur, um den Lohn der ersten Tage nicht zu verlieren, wurde unter Schmerzen die Woche ausgehalten. Die erhaltenen sechs Dollars langten eben aus, um die laufenden Ausgaben der nächsten Woche zu bestreiten, und auf gut Glück wurde im Lande umgeschaut, bis ihn sein guter Engel nach Franklinwork, seinem jetzigen Aufenthaltsorte, geleitete, wo er als Woll-Sortirer beschäftigt war. — Bei wenigen Bedürfnissen und ökonomischer Haushaltung seiner lieben Frau ist es ihm möglich, Etwas zu erübrigen, wenn er bei anhaltender Arbeit gesund bleibt, und den aufgesparten Lohn kein betrügerischer Bankerot zu Nichte macht.
Baltimore, mit 100,000 Einwohnern, worunter der zehnte Theil Deutsche seyn sollen, bietet im kleinern Maßstabe das Großartige im Geschäftsleben, was den ankommenden Einwanderer in New-York mit Erstaunen überrascht, und wer jenes Drängen und Treiben nicht gesehen hat, glaubt schon hier das Non plus ultra zu erblicken, wo jährlich über 2000 Schiffe ankommen sollen.
Aus dem eigentlichen Hafen, das Becken genannt, sind Kanäle in die am Wasser liegenden Straßen geführt, wodurch den Schiffen die Gelegenheit wird, in der Nähe der Vorrathshäuser und großen Speicher der Kaufleute landen zu können, und ihre flatternden Wimpel, an hervorragenden Masten der Schiffe in der Mitte der Häuser, imponiren den kolossalen Schornsteinen gegenüber sehr. — Wird man auch unter der Menge der arbeitenden Klasse weniger Neger und Mulatten gewahr, als in New-Orleans, so ist ihre Zahl doch größer, als in New-York, und bekundet, daß Maryland, worauf Baltimore erbaut ist, zu den Sklavenstaaten gehört. — Die Straßen der Stadt sind meist breit, gepflastert, mit Trottoirs versehen und Bäumen besetzt. Die schönste, eine halbe Stunde lange Straße (Baltimore-Street genannt) zieren Kaufmannsgewölbe und[S. 220] Läden aller Art, und dient zur Promenade der schönen Welt, welche hier sieht, und gesehen zu werden, zu kaufen oder nur durch mehrmaliges Anschauen der Waaren, dem Verkäufer das Leben sauer zu machen sucht.
Sind auch die Dämme zwischen den Häuserreihen und den Kanalufern breit genug, um den zweiräderigen Lastkarren das Ausweichen zu gestatten, so muß doch der Fußgänger sehr Acht haben, um nicht zwischen zwei Feuer zu gerathen, und sich glücklich preisen, wenn er nur mit einem Seitenstoß sich durch die regsame Menschenmenge durchgearbeitet hat. Deshalb bedient sich der Geschäftsmann immer, um schnell und sicher zum Ziele zu gelangen, der Fiaker, Wagen, welche auch hier gleich New-York und Orleans in den Straßen der Stadt, am Ufer und allen Plätzen dem Winke der Gentlemen harren, die sich ihrer bedienen wollen. — Die Häuser, von Backsteinen erbaut, verdrängen immer mehr die noch wenigen Holzwohnungen, und von allen Gebäuden tritt besonders schön die Douane, von weißem Marmor aufgeführt, hervor. Zwölf kolossale Säulen tragen einen Theil vom Innern des Gebäudes, welches hier von oben herab durch eine hohe Kuppel erleuchtet wird. An beiden Seiten sind die Amts- und Geschäftszimmer, so wie die Wohnungen der Angestellten. Die katholische St. Paulus-Kirche, ebenfalls mit einer Kuppel versehen, ist die zweite Zierde der Stadt und ihr innerer Ausbau, reich und geschmackvoll ausgestattet, sie war die schönste, welche ich bis jetzt unter allen Kirchen Amerikas gesehen hatte; dann treten noch von allen den vielen Bethäusern, der Tempel der Unitarier und die Episkopal-Kirche hervor.
Das auf einer Anhöhe stehende Monument Washingtons ist aus weißem Marmor in Form einer Säule bis zu einer Höhe von 160 Fuß aufgeführt, und auf der Kuppel der Säule steht die kolossale Statue des großen Man[S. 221]nes selbst. Eine Wendeltreppe im Innern der Säule führt zum schönsten Standpunkte, von wo aus Baltimore mit einem Blicke übersehen werden kann. — Ein zweites Denkmal, zu Ehren der Bürger errichtet, welche 1814 bei der Vertheidigung von Baltimore gefallen sind, besteht ebenfalls aus einer auf einem Piedestal errichteten Säule, auf welcher die Statue einer Victorie steht und die Namen der gefallenen Bürger auf den die Säule umgebenden Bändern eingegraben sind.
Die hiesigen Theater und das vorhandene Museum wurden von mir nicht besucht, um die Kasse möglichst zu schonen, so lange Verdienst solche nicht wieder zu füllen versprach. Leider hatte sich aber bei der Menge arbeitsloser Menschen während meines vierzehntägigen Aufenthaltes noch keine Stelle gefunden, obgleich sich Freund Schenk und Senftleben alle Mühe gegeben hatten. Viele Fabrikherren hatten den größten Theil ihrer Arbeiter entlassen, und wehe thut Einem der Anblick leerer Gebäude und unbenutzter Maschinen. — Ein ähnliches war der Fall mit der großen Eisen-Manufaktur, wo Dampfboote gebaut, und Senftleben gewöhnlich als Zimmermann beschäftigt wurde, welche zur Zeit über 200 Arbeiter entlassen hatte, worunter der Letztere mit inbegriffen war. Die Herren dieser Fabrik waren äußerst zuvorkommend und artig, als beim Vorstellen meiner Person um die Erlaubniß gebeten wurde, mich in der Fabrik umsehen zu dürfen, und bedauerten, wegen Drange der Umstände, von meinem Anerbieten, unter die Zahl der Kupferarbeiter aufgenommen zu werden, keinen Gebrauch machen zu können. — Ueberhaupt ist in Amerika der Einlaß in Fabriken weniger schwer zu erlangen, als es in England der Fall ist; obgleich auch hier am Eingange gewöhnlich die Worte: „No admittance“ andeuten, daß der Zutritt von Neugierigen nicht erlaubt ist, so reicht doch immer die gestellte[S. 222] Bitte an den Fabrikherrn selbst, oder in dessen Abwesenheit, an den Vormann der Anstalt hin, Einem die Thüre zu öffnen, und nur ein Mal bin ich, bei den vielen Besuchen von Fabriken, ungehört abgewiesen worden. Dabei herrscht die gute Sitte, daß nicht wie bei uns, Leute mit offenen Händen den Ausgang versperren, da der Amerikaner sich in solchen Fällen schon mit dem Danke begnügt.
Der 4. Mai brachte eine Unterbrechung in das alltägliche Leben der Bevölkerung von Baltimore, da auf diesen Tag eine große Whig-Konvention ausgeschrieben war, wozu von der betreffenden Parthei, selbst aus den entferntesten Staaten, um das Fest zu verherrlichen, Deputationen hierher geschickt waren, welche sich zu mehren Tausenden zum festlichen Zuge, mit Fahnen und verschiedenen andern Insignien geschmückt, in der West-Baltimore-Straße aufstellten und mit klingendem Spiele vor jeder Abtheilung und den Hauptrednern an der Spitze, in Prozession nach einem freien Platz vor der Stadt zogen. Längs der Straßen, durch welche der Zug, den Whig-Blätter auf 10,000 Mann angaben, passiren mußte, hatten auf beiden Seiten die politischen Gegner (Demokraten) in Unzahl sich aufgestellt, da diese meist den niedern Ständen angehören, und suchten auf mancherlei Art die Whigs zu höhnen. Lange blieb es beim gegenseitigen Beschimpfen ohne weitere Störung herbeizuführen, als sich aber einige 40–50 junge Leute von der demokratischen Parthei, zum Schimpfe der Gegner mit einem ausgestopften Mann, den Whig-Kandidaten zur Präsidenten-Stelle, General Harrison vorstellend, dem Zuge anschließen wollten, fühlten sich mehrere Whigs veranlaßt, dieses zu vereiteln, wodurch eine förmliche Prügelei entstand, wobei einem Kämpfenden ein solcher Schlag auf den Kopf versetzt wurde, daß er sogleich entseelt zu Boden sank, und leblos hinweggetragen wurde.[S. 223] Solche Vorfälle sind nicht neu, und machen daher kein Aufsehen mehr, denn während das Gefecht vorfiel, setzte der übrige Zug, als sey nichts geschehen, seine Bewegung fort. Keine Behörde fühlte sich veranlaßt einzuschreiten oder eine Kriminaluntersuchung einzuleiten, um des Thäters habhaft zu werden, das hieße zu weit in die so gepriesene Freiheit eingreifen, da ja Keiner zum Mitziehen, oder zum Maulaufsperren gezwungen werde, sich also selbst zuzuschreiben habe, was ihm bei einem solchen Falle begegne. Schöne Grundsätze! Für die Wittwe mit sechs Kindern wurde eine Kollekte eingesammelt, und dieselbe damit ein für alle Mal abgespeist. —
Die Lage aller von mir getroffenen Landsleute hier, ist nicht von der Art, daß sie um das Glück, was sie in Amerika getroffen, zu beneiden wären. In der Nähe besehen, nimmt sich Vieles anders aus, als man durch briefliche Schilderungen glauben zu machen sucht. Ohne mich weiter auf gewünschte Auskunft einzulassen, bemerke ich nur noch, das nicht alles Gold ist, was glänzt. — Was die zweite Anfrage anlangt, wegen der hierher importirten Verbrecher[52], erlaube ich mir die Bemerkung, daß ich nur Einen davon, und wie es schien, gebessert, in Baltimore getroffen, aber dieser Zusendung halber, mitunter viel Vorwürfe habe hören müssen. Wie man darüber hier urtheilt, mag folgender Zeitungs-Auszug bekunden: „Daß deutsche Verbrecher, und zwar auf Befehl deutscher Regierungen nach den Vereinigten Staaten importirt worden sind, scheint keinem Zweifel zu unterliegen und wird uns von den glaubwürdigsten Männern versichert, nur scheinen darüber keine schriftlichen Dokumente vorhanden zu seyn. — Daß es schließlich in einer Seestadt, wie Baltimore,[S. 224] überhaupt an Gesindel und charakterlosen Geschöpfen jeder Art, so auch an deutschem Gesindel nicht fehlen wird, und an verworfenen Menschen, welche Hang zum Müßiggang und Hoffnung auf Gewinn aus unserm Vaterlande hierher gelockt, und die hier wie dort eine Last und Schmach der Gesellschaft sind, versteht sich leider von selbst, und die schamlosen Betteleien mit Trug, List und Undank gepaart, die von deutschen Einwanderern handwerksmäßig getrieben werden, und wofür wir selbst zahlreiche Beweise liefern können, sind allerdings der biedern, betriebsamen und allgemein geachteten deutschen Bevölkerung unserer Stadt längst ein Greuel, und je mehr dieses in den Augen der Amerikaner auffallen, Widerwillen und öffentlichen Tadel hervorbringen muß, desto mehr ist es die Pflicht aller Bessergesinnten unter unsern deutschen Mitbürgern, mit vereinten Kräften dahin zu wirken, daß zur Ehrenrettung des deutschen Namens, diesem Unwesen gesteuert werde etc.“
Was muß sich nun der eingeborne Amerikaner nach diesem Geständnisse der Deutschen selbst für einen Begriff von der Kenntniß deutscher Regierungen über den moralischen und sittlichen Zustand Amerika’s machen? Da man sich nicht scheut, ihnen den Abschaum menschlicher Gesellschaft zu überschicken, wird dadurch nicht geradezu einer freundlichen, humanen Aufnahme von Seiten der Amerikaner entgegengearbeitet, und geht nicht Achtung für denjenigen, welcher geehrt und geliebt in der Heimath, nur aus überspannten Ideen, oder sonstigen Maximen sein Vaterland verläßt, hier verloren? Muß dadurch nicht der Gerechte mit dem Ungerechten leiden?
Um die falschen Ansichten der Eingebornen über unser Vaterland und dessen Verfassung noch zu mehren, tragen besonders solche Emigranten bei, welche sich als verfolgte Demagogen ausgeben, die für das Beste der deutschen[S. 225] Freiheit, mit Mund und Feder gestritten haben wollen, und von ihrer Regierung verfolgt, nur im freien Amerika sichere Zuflucht gefunden hätten, obgleich sich Niemand in der lieben Heimath um solch ein Subjekt bekümmert hat, welches vielleicht schlechter, unpolitischer Streiche halber relegirt oder im Examen durchgefallen ist und sich hier nun durch Erzählung solcher Mährchen, Theilnahme und Unterstützung zu verschaffen sucht. Daß das von solchen Menschen geschaffene Bild über deutsche Verfassung den deutschen Emigranten nur zum Nachtheil gereichen muß, ist natürlich, da der sich allein frei dünkende Amerikaner darin nur despotische Regenten und sklavische Bettler zu erblicken glaubt.
Gewöhnlich gesteht sich auch der mit dem getroffenen Loos unzufriedene Deutsche hier nicht ein, daß nur er allein und außer ihm Niemand weiter die Schuld trägt, warum er nach Amerika versetzt worden ist, und sucht immer die Regierungsform vorzuschützen, welche zu diesem Vorhaben die Ursache gewesen wäre, obgleich diese zu beurtheilen, ihm selten die Kenntniß zusteht, wie die Widersprüche seiner Angaben hinlänglich bekunden. Als Beispiel mag die Bemerkung gelten, wie einer meiner Landsleute, (Schuhmacher) bis im dritten Himmel entzückt, sich über amerikanische Freiheit ausließ, wo jeder treiben dürfe, was er wolle. Auf die von mir gestellte Frage, welches die ihm zum Auswandern bestimmte Ursache sey, da ich doch wisse, daß er in seiner Vaterstadt recht gute Tage verlebt habe, gab er zur Antwort: wie höchst ungerecht es von der Behörde sey, jeden zum Meister sich Anmeldenden aufzunehmen, wodurch der Verdienst der alten Meister geschmälert und deshalb dieselben einer trüben Zukunft entgegen sehen müßten, aus welcher Ursache er den Wanderstab ergriffen und in das schöne freie Amerika gereist sey!
Reise nach Washington.
Im Juni 1840.
Die Arbeit im Gärtchen vor Thalemanns Wohnung in Franklinwork, welches in Stand zu setzen, mich beschäftigte, wenn ich nicht in Baltimore war, wurde beendigt, und da man in der Stadt nur solche Arbeit fand, welche die sich damit Beschäftigenden im Laufe der ersten Woche gewöhnlich wieder verlassen, so fühlte ich keinen Beruf und Lust, in Steinkohlen-Niederlagen oder Backstein-Fabriken meine Zeit zu verlassen, oder als Feuermann bei dem Dampfkessel einer Fabrik einzutreten, und es wurde beschlossen, Baltimore unverzüglich zu verlassen, da auch die letzte Aussicht, bei einem Destillateur ein Unterkommen zu finden, sich nicht realisirte, indem der Herr mich für zu gescheidt hielt, und sich nicht, wie er vorgab, der Gefahr aussetzen wolle, durch mich seine Geheimnisse weiter verbreitet zu sehen. Dabei gab er mir den Rath, mit meinen Kenntnissen nicht eher als im Laufe der Arbeit hervorzutreten, da der Amerikaner nicht gern gescheidtere Leute anstelle, als er selbst sich dünke; noch weniger aber von Deutschen Lehren annehmen würde.
Am 6. Mai brachte mich Freund Thalemann auf die Chaussee, welche von Baltimore nach York führt, in welcher Stadt hauptsächlich viele kleinere landwirthschaftliche Brennereien angefertigt werden sollten, und wo ich in meinem Fach Beschäftigung zu erhalten hoffte.
Der Bau der Kunststraßen, Turnpikeroad genannt, wird ebenso wie Eisenbahnen und Kanäle, von Spekulanten ausgeführt; Chausseen sind gewöhnlich 25 Schuh breit und mit Meilensteinen versehen. — Daß bei Ausführung solcher Kunststraßen, wie Eisenbahnen, nicht immer auf einen so[S. 227]liden Unterbau gesehen wird, um möglichst wenig Anlagekapital zu verwenden, mag die Ursache seyn, daß solche bei mangelhafter Beaufsichtigung, sich nicht immer in einem soliden Zustande befinden, wenigstens ließ die von mir heute passirte Strecke Vieles zu wünschen übrig. — Bei eingezogener Erkundigung, ob die Landstraßen auf Staatskosten erbaut und erhalten würden, wurde mir gesagt, daß dieses nur mit wenigen der Fall sey; großartige Unternehmungen, wie Kanal-, Brücken-, Eisenbahn- und Straßen-Bauten würden in der Regel von einer zusammengetretenen Gesellschaft Aktionäre unternommen, und vorzüglich von denen unterstützt, welche der zu errichtenden Straße am nächsten wohnen, weil durch Erleichterung des Waarenverkehrs ihre Erzeugnisse leichter Absatz fänden, und dadurch der Werth ihrer Grundstücke sich steigere. — Nach vollendeter Arbeit wird von den Aktionären ein Wegegeld erhoben, doch nicht auf die ganze Länge der Straße in gleichen Ansätzen für die Meile, sondern jenachdem das Terrain zwischen den 1½ bis 2 Stunden auseinander gelegenen Einnahmestellen mehr oder weniger Anlage-Kapital erfordert hat, wodurch der Reisende genöthigt ist, die auf Verlangen vorgezeigten Tariftabellen zu studiren, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen will, daß ihm zu viel abgenommen werde. — Dann soll es aber auch vorkommen, daß zusammengetretene, großartige Spekulanten den Plan zu einer Eisenbahn der Regierung vorlegen, mit dem Bemerken, daß man im Besitz eines großen Vermögens sey, dasselbe aber in Cirkulation merkantilischer Geschäfte sich befände und Hemmung in ihre Geschäftsthätigkeit bringen würde, wenn man es einziehen wolle. Man stellt daher das Gesuch, für so und so viele Millionen Papiergeld machen zu dürfen, welches nach Verlauf einer bestimmten Zeit wieder eingezogen werden solle. Die Erlaubniß erfolgt, ohne daß jedoch der Staat eine Garantie[S. 228] übernimmt, und nichts geht schneller, als das Papiergeldmachen. Die Bahn, in verschiedene Sektionen getheilt, wird zu gleicher Zeit an allen Orten angegriffen, da das Geld vollauf vorhanden ist und langt die veranschlagte Summe nicht aus, so giebt es Papier ohne Ende, und schnell ist der Schaden geheilt. Je nachdem nun den Unternehmern Vertrauen geschenkt wird, richten die Lieferanten ihre Kontrakte darnach ein, und die Entreprenneurs von Erdarbeiten lassen sich darnach zahlen, welche wiederum ihre Arbeiter annehmen und verlohnen; so kommen nun solche Eisenbahn-Noten in die Hände der ärmern Klasse, wo sie den Werth des Silbers als Papiergeld verlieren und immer nur einen momentanen Werth besitzen; denn sobald eine Bank die Annahme solcher Noten verweigert, wozu sie Niemand zwingen kann, so ist es um ihren Kredit geschehen und von Tag zu Tage sinken sie im Werthe, je mehr man sich bemüht, sie los zu werden, bis sie ganz außer Kurs sind und der Sparer wieder von vorn anfangen muß. Was hat nun die Eisenbahn gekostet? Nichts weiter, als einige Ries Papier und Druckerlohn der Noten. — Die Regierung mischt sich in solch einen Handel nicht, da nach dem Gesetz Niemand zur Annahme von Papiergeld gezwungen werden kann, und wer solches gethan, sich allein die Schuld beizumessen hat.
Im Städtchen Manchester, welches von mir berührt wurde, traf ich den Kupferarbeiter Albrecht aus Sangerhausen, und bei ihm einen seiner Söhne, der in Weimar bei mir in Arbeit gestanden. Bis zum 13. Juni blieb ich in ihrer Mitte, um solche im Bau der neuesten Brenngeräthe zu unterrichten. — Diese brave Familie hat auch in Amerika nicht das Glück gefunden, welches ihnen zu wünschen ist. Bei starker Familie, Vater von 10 Kindern, hat er mit manchen Widerwärtigkeiten kämpfen müssen, bis ihm das Plätzchen wurde, wo er jetzt mit seiner Familie lebt und[S. 229] von seiner lieben Frau treulich unterstützt wird. Der älteste Sohn hat der Fahne geschworen, und ist Soldat, der zweite hilft treulich dem Vater im Geschäfte, der dritte lernt als Papiermüller, der vierte als Schmidt, die älteste Tochter ist verheirathet, die übrigen jüngern Geschwister sind noch im Hause der Eltern und suchen treulich, jedes nach Kräften, mit zu erwerben.
Während meines Aufenthaltes hier, fand ich in dem Schwiegersohn des Albrecht, den Schneider Eck, einen fleißigen, braven und geselligen Menschen, in dessen Nähe ich gewöhnlich meine Freistunden verlebte. — Einst saßen wir nach beigewohntem Nachmittags-Gottesdienst, da das Kirchengehen hier zur sonntäglichen Erholung gerechnet wird, in der Stube, und vertrieben uns bei unfreundlicher Witterung die Zeit mit Kartenspielen um Marken, als ein Kunde von Eck eintrat, nach seinen neu angefertigten Sachen frug und uns Kartenspielen sah. Bald darauf kam der Esquire (Richter), um uns, die den Sonntag entheiligt hätten, in Strafe zu nehmen; zum Glück war das Spiel geendet und wir kamen mit der Drohung davon. Eben so wurde ich einen andern Sonntag zur Verantwortung gezogen, weil von mir zwischen der Vor- und Nachmittags-Kirche Zwecken in Stiefeln geschlagen worden waren.
Bei aller Gewissensfreiheit darf dennoch am Sonntag weder gearbeitet, oder gespielt, noch gejagt, am wenigsten aber getanzt werden, da solches unter die Todsünden gerechnet wird. Mit was soll nun der Mensch hier, bei welchem aller Sinn für das Höhere verloren geht, wo der Geist bei dem Streben nach leiblicher Wohlfahrt gänzlich unterliegt, die Zeit zwischen und nach den Kirchen an Sonn- und Ruhetagen ausfüllen? Die Hausfrau und Mutter bleibt im Kreise ihrer Familie zu Haus eingesteckt, der Mann aber sucht sich in einem Trink-Store die Zeit zu kür[S. 230]zen; doch ist es hier nicht ein nahrhaftes Bier, was zum Getränke dient, nein, Branntwein ist es, der, um ihn dem Gaume wohlschmeckender, dem Magen aber verderblicher zu machen, noch mit Zucker, Citronensäure und verschiedenen andern Essenzen vermischt wird. — Stoff zur Unterhaltung geben nur politische Gegenstände und die Zeitblätter sorgen immer dafür, daß es an dieser oder jener Maßregel etwas zu tadeln giebt, worüber, ohne allgemeine Kenntniß von der Sache selbst zu besitzen, ja wovon oft nicht ein Wort wahr ist, ein Urtheil gefällt wird. Partheigeist veranlaßt ewige Streitigkeiten und immer versucht Einer seinen politischen Glauben einem Andern aufzudringen, wobei oft die erhitzten Gemüther thätlich an einander gerathen, wenn des Guten zu viel genossen worden und man für die Sache eingenommen ist.
Sobald der Amerikaner ausgefunden hat, wozu wenig Scharfblick gehört, daß ein Europäer in seiner Nähe ist, so schaut er mit stolzem Haupte auf, prahlt mit seiner Konstitution und Freiheit, und preißt sich glücklich in einem Lande zu leben, wo ein Jeder ungestraft denken, reden und schreiben kann, was er will, wo wir dagegen Sklaven, die man leider Unterthanen nenne, durch Zensur und Preßzwang am geistigen Aufschwung zurückgehalten, wo nicht gar unterdrückt würden. — Doch nur zu bald wird man die Schattenseite dieses Wahnglaubens gewahr und man fühlt sich in der Nähe solcher Menschen nicht heimisch, und wer nicht aufgelegt ist, solche Debatten zu bestehen, sieht sich genöthigt, in seiner Behausung zu bleiben oder in Gottes freier Natur seinen Gedanken Audienz zu geben.
Um vor meiner Abreise nach Washington die von Orleans nach Baltimore mitgebrachten Sachen zum Transport nach New-York zu packen und von den Freunden Abschied zu nehmen, kehrte ich am 10. Juni zu Fuß nach[S. 231] Baltimore zurück und den ersten Tag schon vom Stiefel gerieben, suchte ich solches zu verbessern, als ein Reiter mit zwei Pferden daher trabte und mir zurief, ob ich nicht mit reiten wolle. Hatte auch das Handpferd keinen Sattel, so glaubte ich doch: schlecht geritten sey besser, als gut gegangen und willigte ein. Doch bald wurde ich gewahr, daß der Gaul blind war, über jeden Stein stolperte und mich der Gefahr des Halsbrechens aussetzte und nur weil der schelmische Amerikaner das Aas, welches mich trug, nicht gut fortbringen konnte, offerirte er es mir zum Reiten. Nur bis zum nächsten Gasthof noch, vermeinte ich das Thier zu gebrauchen, aber kaum gedacht, stürzte der Gaul und spedirte mich gleich einem geprellten Frosch in den Chausseegraben. Nicht vermögend aufzusteigen, und noch weniger im Stande zu gehen, da der Knüppeldamm, worauf ich gefallen war, die Seite verletzt hatte, nahmen mich auf mein Bitten daherkommende Frachtfuhrleute auf und der gereichte Branntwein mußte die Stelle des Spiritus ersetzen. Der Verführer zum Reiten hatte gleich nach dem Unfall, welcher mich betroffen, sich mit den Pferden auf und davon gemacht und durch die Flucht sich meinem Unmuth entzogen.
Der Pennsylvanische Fuhrmann, dessen Wagen mich aufgenommen, und welche nie anders, als vom Sattel fahren, setzte sich traulich zu mir, um von dem Lande, aus dem sein Großvater abstammen sollte, Etwas zu hören, und was, wie ich vermuthen mußte, Hessen-Kassel gewesen war. Dunkel erinnerte sich selbiger noch, wie ihm als Kind der Eltern Vater von einem großen Manne erzählt habe, welcher Christoph geheißen, und zu welchem viele Leute gereist seyen, doch warum, wisse er nicht mehr. Um so angenehmer war es mir, daß ich dem Amerikaner die Geschichte vom großen Christoffel, und alle den Wasserkünsten in seiner Umgebung erzählen konnte, worüber der Mann sich kindlich[S. 232] freute und seine Kameraden herbeirief, um solchen in englischer Sprache das Vernommene sogleich wieder mitzutheilen, weil man in Amerika von derartigen Wasserkünsten nichts kennt und sich nur auf das nöthige Röhrwasser beschränkt.
Die deutsche Sprache dieser Pennsylvanier-Deutschen war unrein, platt und kaum zu verstehen, und dabei versicherte man mich, daß die englische Sprache die deutsche immer mehr verdränge, und man ohne die erstere in Pennsylvanien wohl fortkommen, aber keine Handelsgeschäfte machen könne. —
Die grün oder blau angestrichenen Fuhrmannswagen sind gleich den unsrigen mit Leinwand überzogen und mit vier, fünf oder sechs Pferden bespannt, wobei immer nur so viel Fracht aufgeladen wird, als die Kräfte der Thiere gestatten, um die Last über steile Höhen zu ziehen, da Vorspannepferde hier nicht in Anwendung kommen.
Die vielen Gasthäuser und Herbergen längs der Straße benutzt der Fuhrmann nur, um seine Person mit Speise und Trank zu versehen. Die vorhandenen Ställe oder Schoppen werden von ihm für sein Vieh nicht benutzt. Sowohl Mittags als Abends beim Ausspannen, bindet man die Pferde, auch wenn sie noch so warm sind, an die Deichsel fest, ohne die erhitzten Thiere mit einer Decke zu belegen, die mitführende Krippe an solche, und das Futter, welches auch auf dem Wagen vorräthig ist, wird sogleich gegeben. Auch selbst in den Städten, wo die Fuhrleute oft wochenlang auf die Ergänzung ihrer vollen Fracht warten müssen, kommen die Pferde während dieser Zeit nie unter Obdach, da der Fuhrmann die Ausgabe für Stallgeld scheut. Streue für das Vieh wie für den Mann ist ebenfalls nicht Mode, da die Erstern im Freien mit Gottes Erde sich begnügen müssen, und der Fuhrmann seine ausgestopfte Matraze nebst wollenen Decken immer mit sich[S. 233] führt. Daß durch diese schlechte Abwartung die Pferde bald steif und unbrauchbar gemacht werden, läßt sich denken.
Nicht immer nimmt sich der Amerikaner des Verunglückten an, wie es der menschenfreundliche Fuhrmann an mir gethan hatte. Mitleid ist keine der Tugenden, welche den Amerikaner ziert, und nur zu oft reicht man erst die rettende Hand, wenn es zu spät ist, wie dieses folgende traurige Begebenheit bezeichnet, welche die Pittsburger Zeitung bekannt machte. „Ein junger Mensch, dessen Namen man nicht genau ermitteln konnte, Heinrich Fricken, oder Ficken, acht Stunden von Bremen zu Haus, aus dem Hannöverschen, fand am letzten Sonntage unter folgenden traurigen Umständen ein frühes Grab. Der Unglückliche war erst ohngefähr 9 Monate in Amerika, hatte sich eine Zeitlang von Baltimore aus hier aufgehalten und wahrscheinlich auf seine Profession (als Schneider oder dergl.) gearbeitet. Auf seiner Reise, dem Kanale entlang, wurde er von der Ruhr befallen, allein entblöst von allem Gelde, nahm sich Niemand des armen Tropfes an. Er schleppte sich mühsam eine kleine Strecke weit bis oberhalb Alleghanytown, wo er vor Erschöpfung und gänzlicher Ermattung liegen blieb. Böse Buben, in der Meinung er sey ein Trunkenbold, warfen ihn mit Koth und Steinen. Am Freitag Morgen schleppte er sich bis in ein Wirthshaus am Alleghany-Markt und bat den Wirth, ihm bei einem Friedensrichter eine Armenbescheinigung auszuwirken. Doch der angegangene Friedensrichter verweigerte diese Bescheinigung, unter dem Vorgehen, man könne nicht jeden hergelaufenen und betrunkenen Kerl ins Armenhaus bringen, worauf ihn auch der Wirth gehen ließ. — Wiederum schleppte sich der zum Tod Kranke bis nach dem untern Theile von Alleghanytown, wo er an der Kirchenfense (Zaun) der deutschen Kirche liegen blieb. Des Abends sahen ihn die Kinder der deutschen Schule, und erzählten: daß ein[S. 234] betrunkener Mann an der Fense liege, doch Niemand bekümmerte sich darum. Gegen Abend durchnäßte ein furchtbarer Platzregen den Elenden, der dann in der Nässe und Kälte die Nacht im Freien zubringen mußte. Des Morgens kam ein Söhnlein des Herrn Lehmann dahier an der Fense vorüber, und betrachtete den Daliegenden. Der Kranke sprang plötzlich auf und fiel dem Knaben um den Hals. Dieser führte ihn in seiner Eltern Haus, wo man den Erstarrten und Kranken mit warmen Getränken labte und dann für seine weitere Verpflegung die nöthige Sorge traf. Aber die Leiden hatten des Unglücklichen Lebenskräfte in dem Maaße gebrochen, daß alle Pflege und ärztliche Hülfe fruchtlos war. Er starb am Sonntag Abend und wurde am Montag auf dem hiesigen Kirchhofe beerdigt. Wäre von Seiten des obenerwähnten englischen Friedensrichters die ihm obliegende Pflicht erfüllt worden und hätte dieser den Kranken untersuchen lassen, ehe er ihm die Bescheinigung verweigerte, so hätte vielleicht derselbe gerettet werden können.“ —
Um noch vor dem Auseinandergehen der Kongreß-Mitglieder, welches den 21. Juni Statt finden sollte, in Washington einzutreffen, da ich den öffentlichen Verhandlungen gern beizuwohnen wünschte, so entschloß ich mich, und da durch den Sturz vom Pferde das Fußreisen mir noch Schmerzen verursachte, diese 40 Meilen lange Strecke von Baltimore bis dahin, auf der Eisenbahn zurückzulegen.
Bei der Schnelligkeit der Fahrt ließ sich von der Gegend nur so viel erkennen, daß solche nicht sonderlich fruchtbar zu seyn schien, wie auch die ärmlichen Wohnungen bekundeten, welche zum Aufenthalte von Negerfamilien dienten, deren Kinder nackend vor den Hütten sich herumtummelten. —
Die nach einem großartigen Plane angelegte Stadt Washington, im Staate Columbia, mit 20,000 Einwohnern,[S. 235] ist seit 1800 der Sitz der Regierung von den 27 Vereinigten Staaten, und wird, nach dem vorhandenen Plane ausgeführt, dereinst die schönste Stadt der Erde darstellen, jetzt aber bieten die zerstreut liegenden Häuser noch nichts Ganzes. — Das Kapitol, worinnen die Repräsentanten der Staaten ihre Zusammenkünfte halten, ist an einem Abhange, von weißem Marmor erbaut. Die Vorderseite ziert ein Portal von korinthischen Säulen, und an der hintern Seite ist ein großer, ebenfalls mit Säulen gezierter Balkon, von welchem man die schönste Aussicht nach der Seite der Stadt genießt, wo jetzt die mehrsten Häuser neben einander aufgebaut sind, und förmliche Straßen bilden. Das Dach bildet drei Kuppeln, von deren mittelster von oben das Licht in die darunter befindliche große Halle eindringt, wo in der Mitte die Statue Washingtons aufgestellt ist und die Wände Oelgemälde zieren. Unter dieser Halle befindet sich eine zweite von drei Reihen Säulen getragen, welche zum Durchgange dient. Hinter der obern Halle ist der große Bibliotheksaal. Im rechten Flügel des Gebäudes ist der Versammlungssaal des Senats, das Bureau des Präsidenten und der Versammlungssaal des höchsten Gerichtshofes der Vereinigten Staaten. Dieser und der Senats-Saal sind halb zirkelförmig gebaut, im Mittelpunkte befindet sich der Sitz des Vorsitzenden, vor welchem amphitheatralisch die Mitglieder des Senats, Jedes hinter einem Bureau, placirt sind. Im andern Flügel des Gebäudes befindet sich der Versammlungssaal der Repräsentanten, ebenfalls so geordnet, wie der Senats-Saal. Die Gallerien dieser Säle werden von jonischen Säulen getragen und dienen zum Aufenthalte der Zuhörer bei Versammlungen. Die Gallerie über der großen Kuppel soll eine sehr weite Aussicht gewähren. In allen Räumen herrscht Pracht mit Würde und republikanischer Einfachheit vereinigt.
Die Wohnung des Präsidenten ist ebenfalls aus Marmor-Quatern erbaut, und steht in der Mitte der vier Bureaux der Staatsverwaltung, nicht weit vom Potomac-Flusse, in einem Garten. — Alle auf Staatskosten errichteten Gebäude werden von weißem Marmor aufgeführt und meist geschmackvoll mit Säulen verziert. An mehren Bauten wurde thätig gearbeitet was den Gewerken gut lohnen soll, denn der Verdienst ist ein sicherer, da in Washington nur in Silbergeld gezahlt wird, ja selbst im Verkehr die Annahme von Papiergeld bei Strafe verboten ist. In dieser Hinsicht ist Washington der einzige Ort in den Vereinigten Staaten und verdient bald Nachahmung zu finden.
Die aus Backsteinen aufgeführten einfachen Privathäuser wechseln mit Holzwohnungen ab. Letztere sollen jedoch nach Verlauf einer bestimmten Zeit verschwinden. — Mehre hundert Acker Landes in der Nähe des Präsidenten-Hauses hat man in Gärten verwandelt. Ein großer Park, südlich von diesem, läuft in östlicher Richtung von dem Flusse nach dem Kapitol. Auf andern Plätzen sind die Kirchen, Theater und Kollegien erbaut. Zwischen dem Kapitol und dem Präsidentenhause, auf einer kleinen Anhöhe, steht die Statue des Generals Washington zu Pferde.
Nach dem Plane der Stadt beträgt ihr Umfang sechs Stunden, und die Straßen derselben, nach allen Himmelsgegenden zu laufend, durchschneiden sich im rechten Winkel, und sind 90–100 Fuß breit. Doch um die Einförmigkeit zu vermeiden, hat man in verschiedenen Stadttheilen 160 Fuß breite Avenüen angelegt, welche in die Schräge laufen, und wo sie sich durchschneiden, von gerundeten Plätzen unterbrochen werden, die zur Aufnahme von Statuen bestimmt sind. —
In dem großen neuen Postgebäude, wo man eben mit dem Ausbaue der Parterre-Pieçen beschäftigt war, befindet[S. 237] sich im ersten Stocke die Patent-Office, und in einem großen Saale sind alle die Modelle aufgestellt, welche wegen Einholung eines Patents auf gemachte neue Erfindungen, oder Verbesserung schon vorhandener Sachen, eingeschickt worden sind, da jedem Gesuche ein solches, oder die genaue Zeichnung der Erfindung beigefügt werden muß. Der tägliche freie Zutritt für Jedermann bietet hier Tausende von Modellen über alle nur denkbare Gegenstände dem Auge dar, und Jeder findet gewiß für sein Geschäft etwas Sehenswerthes. Dabei ist auffallend, wie schnell alle neue Erfindungen nachgemacht und mitunter wesentlich verbessert worden sind. Leider aber ist oft nicht abzumerken, wo bei der nachgemachten Erfindung die Verbesserung stecken soll. Eine wenig abweichende Stellung, ein anderer Bug eines Theils des Ganzen, einige Nägel oder Schrauben mehr oder weniger, reichen hin, um für das gezahlte Honorar die Erlaubniß zu erhalten, die schon vorhandene und einem Andern garantirte Arbeit nachmachen zu dürfen. Am Auffallendsten kam mir solches bei den Pflugschaaren und andern landwirthschaftlichen Geräthen vor, wovon eine große Menge solcher Modelle vorhanden sind. — Große, zwanzig Fuß lange, fünf Fuß breite Glasbehälter, jeder mit drei Realen versehen, schützten die Sachen vor dem Staube und dem Antasten frevelnder Beschauer, doch werden auf den Wunsch die Thüren geöffnet, und die Modelle selbst dürfen unter Aufsicht herausgenommen und genau besichtigt werden, wobei jedoch eine Zeichnung abzunehmen, nicht erlaubt ist.
Für mich hatte von Allem, was ich bis jetzt in Amerika gesehen, diese Modell-Sammlung und öffentliche Ausstellung das größte Interesse und nahm mehre Tage meine Zeit in Anspruch. —
Die letzten zwei Sitzungen der Kongreß-Mitglieder im Kapitol, welchen beizuwohnen ich nicht versäumte, gaben[S. 238] das Bild ächt republikanischer Freiheit, und bedauern mußte ich sehr, nicht so viele Kenntnisse in der englischen Sprache zu besitzen, um während des Debattirens den Wortkampf genau verstehen zu können. Die erhitzten Gemüther der sich schroff gegenüberstehenden Partheien, Whigs und Demokraten, mußte fortwährend der Vorsitzende durch den Schlag des Hammers zur Ordnung und Ruhe verweisen, da selten ein begonnener Vortrag bis zu Ende durchgeführt wurde, ohne von den Gegnern unterbrochen zu werden, welches wiederum Andere bestimmte, solche Bemerkungen zu widerlegen, wodurch man sich in eine Judenschule versetzt glaubte. Dabei bleibt man nicht ruhig hinter seinem Bureau sitzen, sondern ändert nach Belieben den Ort und sucht durch mündliche Demonstrationen Andere für seine Ansicht zu gewinnen; auch tragen die vorhandenen Buffets das Ihrige bei, die Lebensgeister zu erhitzen, und da oft die Sitzungen bis gegen Morgen anhalten, so kann es nicht anders kommen, daß man, des Guten zu viel genossen, sich oft zu Handlungen hingerissen fühlt, welche am wenigsten an einem Orte vorkommen sollten, wo die auf höchste Bildung Anspruch machenden Männer über des Volkes Wohl berathschlagen, und derartige Auftritte dem Kongresse Schande und Verachtung zuziehen müssen.
Reise über Frederik-Town nach den Farmen meines Landsmannes Rehling bei Straßburg.
Da die Seitenschmerzen nachgelassen und sie das Fußreisen nicht mehr hinderten, verließ ich, mit Pulver und Blei versehen, indem ich mir auf einer Auktion wieder zu einem[S. 239] Gewehre verholfen hatte, am 24. Juni Washington. — Nicht aus Jagdliebhaberei oder der Sicherheit willen trug ich von Neuem eine Waffe, sondern um dem Amerikaner für den Fußreisenden mehr als sonst gewöhnlich ist, Respekt einzuflößen, da er nicht begreift, wie man eine weitere Tour, ohne Jäger oder Bettler zu seyn, zu Fuße unternehmen kann, weil er sich selbst auf der kürzesten Strecke des Pferdes oder Wagens bedient.
Während der Reise über Georgetown, welchen Ort nur ein kleiner Fluß von dem Terrain Washingtons trennt, Simsonville, Montgomery, Seneca, Middlebrock, Clarkbury, Hyallstown nach Fredericstown, fiel nichts besonderes Merkwürdiges vor; mehr oder weniger fand ich eine gastfreundliche Aufnahme bei den Farmern.
Die Gegend ist hügelig, viel von Holz besetzt und nur theilweise angebaut. — Zur Feldwirthschaft (meist Tabacksbau), werden nur Negersklaven verwendet. —
Die Stadt Frédéric, wie sie von den Deutschen kurz genannt wird, ist eine der größten im Staate Maryland, mit 9000 Einwohnern, regelmäßig angelegt, hat breite Straßen, welche andere im rechten Winkel durchschneiden, und dient vielen Deutschen zum Aufenthalte. — Da aus der Umgegend die Produkte hierher kommen, um weiter nach Baltimore spedirt zu werden, so bieten solche einen bedeutenden Verkehr, welcher durch die Eisenbahn noch vermehrt worden ist, da letztere die Kommunikation mit ersterer Stadt erleichtert. —
Ein geriebener Fuß zwang mich abermals, hier zu weilen, wodurch der Zufall mir zwei Israeliten in die Hände führte, welche die Seereise von Bremen mit uns gemacht hatten. Ueber die Schnelligkeit, mit welcher sie die englische Sprache erlernt hatten, war ich erstaunt, und nur ihr Schachergeist, der sie immerwährend mit den Amerikanern[S. 240] in Verkehr bringt, da von den Deutschen nicht viel zu schmusen ist, ließ solches erklären.
Der Markttag füllte alle Hauptstraßen mit Wagen, und besonders nehmen sich neben dem weiblichen Geschlechte, welches ebenfalls reitet, wenn es nicht gefahren wird, die männlichen Ritter possirlich aus. Die Sättel sitzen gewöhnlich zu weit vorn, den Pferden auf dem Halse; dabei sind die Steigbügel lang, so daß die vorgestreckten Beine mit der Nase des Pferdes in Berührung kommen, wenn dasselbe den Kopf etwas dreht. Vom richtigen Gebrauche der Zügel ist den Amerikanern nichts bekannt, dabei fehlen die Sporen, und der Regenschirm, welcher sowohl gegen Nässe wie gegen Sonnenstich gebraucht wird, läßt keine Reitgerte zu. Im Schritte reiten zu wollen, geht ihnen zu langsam; der Trott ist ihnen verhaßt, da, wie sie meinen, derselbe die Glieder zusammenstaucht und unbequem ist, weshalb sie Wark vorziehen, wo das Pferd mit den Vorderbeinen galloppirt, und mit den hintern Füßen trottirt. Diese Art zu reiten hält man in Amerika für bequemer als den ordentlichen Gallopp, und ist überall Sitte. —
Zu meinem Glücke kehrte ein Plantagen-Besitzer aus der Gegend von Montgomery in dem Gasthause ein, wo ich logirte, machte meine Bekanntschaft, und da er selbst etwas deutsch verstand und neugierig von Natur zu seyn schien, trug er mir an, mit auf seinem Wagen Platz zu nehmen, da er eine Tagereise meines Weges fahre. Dieses kam mir ganz erwünscht, und unterm Austausche der Gedanken, in welchem die Pantomime eine Hauptrolle spielen mußte, wurden die Stöße weniger verspürt, die uns der Wagen auf dem schlechten, vom Regen gelösten Wege versetzte. — Aus seinen Mittheilungen konnte ich so viel entnehmen, daß er vorzüglich viel Taback baue, von welchem er Proben bei sich führte, und mir zum Versuchen reichte, über deren Werth ich mir aber kein Urtheil er[S. 241]laubte, da ich selbst kein Raucher bin. Auch er rauchte nicht, doch verriethen seine Mundwinkel, daß das Tabackkauen seine Lieblings-Passion sey, wobei er versicherte, daß keiner seiner Sklaven rauchen dürfe, auch keiner derselben Neigung dazu verspüre, da sie dem Bremen den Vorzug gäben.
Die Gewohnheit des Tabackkauens, besonders in den südlichen und westlichen Staaten, ist bis in die höhern Stände Mode geworden; denn selten spricht man mit einer Mannsperson, welche nicht den Mund voll Taback hat, und dieses Laster hat so tief Wurzel gefaßt, daß man ungenirt, ohne Rücksicht auf Damen zu nehmen, an jedem Orte fortwährend ausspuckt und den ausgekauten Taback mit neuem ersetzt. — Diese Sorte Kautaback wird eigens dazu gefertigt, ist schwarz von Farbe und fest in kleine Röllchen gepackt, von welchem nach Belieben, wie vom Johannisbrod, abgebissen wird. — Für den Anfänger in diesem Laster ist dieser Taback äußerst beißend, und das Kauen schwieriger, als das Rauchen zu erlernen.
Bei immer schlechterem Wege trug ich Bedenken für die Dauer des Wagens, da solcher äußerst zart im Holzwerk war, wie dieses bei allen, ausgenommen den Lastwagen, der Fall ist. Doch um mich vom Gegentheil zu überführen, und mich von der soliden Bauart der Wagen zu überzeugen, wurden die Pferde stärker angetrieben, so daß der Stuhlwagen mehr auf zwei, als auf vier Rädern zu laufen kam, und wir bei dem Hinüber- und Herüberschlagen der Gefahr ausgesetzt wurden, vom Wagen geschleudert zu werden, wobei ich die Geschicklichkeit bewundern mußte, mit welcher die Rosse regiert und zum Gehorsam gezwungen wurden. — Der Beweis von dem, was ich schon mehrmals zu erfahren Gelegenheit hatte, wurde mir auch hier gegeben, daß der Amerikaner ein um so besserer Fuhrmann ist, als ihm die Geschicklichkeit zum Reiten abgeht.
Nur das gute, zum Wagenbau verwendete Holz der weißen Eiche und das noch vorzüglichere, wegen seiner Zähheit so brauchbare Holz des Wallnußbaumes (Hickory) macht es möglich, daß man solche leichte, und dabei so dauerhafte Wagen hier anfertigen kann. Die Felgen der Räder wie die Speichen derselben erhalten nur die Stärke eines Daumens und werden leicht beschlagen, die Wagenachse erhält keine eiserne Schiene zur Verstärkung, sondern nur eine dünne, zwei Zoll breite Platte zur Erleichterung der Reibung. — Dabei will ich der Schnelligkeit erwähnen, mit welcher die Schmiedearbeiten hergestellt werden; denn das im Gebrauche habende Werkzeug gestattet, daß man hier mit allen vier Rädern zu beschlagen eher fertig ist, als dieses bei uns in Deutschland einem Meister in derselben Zeit mit einem Rade möglich seyn würde.
Der Reif kalt durch drei Walzen gezogen, richtet sich schnell in die Runde, und da er lang genug ist, weil nur gewalztes Eisen hier gebraucht wird, so macht dasselbe nur eine Schweißstelle nöthig, die bei gutem Eisen und Steinkohlen im Nu gefertigt ist. — Sind die Nägel- oder Schraubenlöcher durch Auflegen des genau runden Reifes auf die Felge auf diesen gezeichnet, so werden diese ebenfalls mittels eines Stempels kalt durchgepreßt und zwar bei einer Eisenstärke, welches auszuführen man für unmöglich hält, so lange man nicht selbst Augenzeuge der Arbeit gewesen ist. — Die am Holzfeuer erwärmten Reife scheinen, da Alles genau paßt, von selbst sich aufzuziehen.
Ebenso muß beim Beschlagen der Pferde der Schmidt diese Arbeit allein verrichten, indem er den Fuß des Pferdes zwischen seine Beine nimmt. Dabei besitzt er eine solche Gewandtheit, daß er mit dem schon von Natur ruhig geschaffenen Pferd eher fertig wird, als in Deutschland, wo eine zweite Person zum Aufheben des Fußes nöthig[S. 243] ist. Daß demnach ein deutscher Schmidt, gleich andern Gewerken, in Amerika von Neuem lernen muß, habe ich nicht allein selbst erfahren, sondern ist mir vielfach von Meistern, welche in der alten Heimath diese Stelle begleiteten, versichert worden. Wie überhaupt in Bezug auf Maschinenbau, Fabrikwesen und jeder gewerblichen Verrichtung, der Amerikaner uns weit voraus ist, drückt Gall in seinem Reisebericht mit folgenden Worten aus:
„Ja, von der Werkstätte des Dampfmaschinen-Fabrikanten bis zu jener des Zimmermanns herab, fühlt man sich versucht, auszurufen: Hat Euch der Himmel, um die Nationen der alten Welt zu beschämen, mit den Talenten geboren werden lassen, welche Jene achtzehnhundertjähriger Uebung und dem Nachdenken verdanken? Vervollkommnet sich, was Ihr nur berührt unter Euren Händen? — Vom Nagel, welchen eine Maschine hervorbringt, bis zu dem hunderträderigen Mechanismus einer Mühle, ist alles zweckmäßiger, als man es in Europa sieht. Der Nagel hat an seinen vier scharfen Ecken feine Widerhaken, vermöge deren er sich unausreißbar im Holze festklammert; die kunstreiche Mühle macht 11⁄12 der Arbeiter, welche die unsrigen erfordern, entbehrlich. Durch die von Han Eli Whitnay in Connecticut erfundene Säge-Maschine wird die Handarbeit gar in dem Verhältniß, wie 1000 zu 1 erspart. Das Zimmerwerk eines Hauses scheint vom Tischler gearbeitet; die Tischlerarbeiten werden von den Parisern nur durch gefälligere Formen übertroffen. Brüsseler Wagen machen den hiesigen den Rang nicht streitig; eine zweckmäßigere Verbindung der Backsteine und eine nettere Ausführung der Maurerarbeiten, als man hier allgemein findet, ist gar nicht denkbar. Selbst die einfachsten Werkzeuge, die Axt, der Spaten, der Bohrer, die Sägen, haben eine, in vielen Ländern Europas nicht geahnte Vollkommenheit.
Nicht weniger haben die Amerikaner im Gebiet der nützlichen Künste geleistet. — Die englische Regierung ließ im Jahr 1817 amerikanische Brückenbauer nach Irland kommen. — Die Londoner Bank hat die Gravirung der Platten zu ihren Banknoten drei amerikanischen Kupferstechern, Terkins, Troppan und Fairfax übertragen und für ihre Reise eine Entschädigung von 5000 Pfund Sterlingen, für ihre Arbeit aber im Fall des vollkommenen Gelingens, eine Belohnung von 100,000 Pfund Sterlinge zugesichert. — Die Herren Han Buck und Brewster, Besitzer einer Tuch-Manufaktur, haben es selbst den Engländern zuvorgethan, indem sie die Wolle vom Schaaf weg in neun Stunden funfzehn Minuten in einen Rock verwandelten, eine Aufgabe, die in England nur in dreizehn Stunden zwanzig Minuten gelöst wurde. Die amerikanischen Schiffe übertreffen alle anderen an äußerer Schönheit und Zweckmäßigkeit und in dem Patentamt zu Washington zeugen mehrere Tausende der Modelle vom amerikanischen Erfindungsgeiste. Rechnet man hierzu, was Alles im Bau der Dampfboote und Wasserleitungen gethan worden ist, so darf man wohl behaupten, daß die Amerikaner auch in Anwendung nützlicher Künste keiner Nation der alten Welt nachstehen.“
Bis Woodsborough kam mir die Fahrgelegenheit zu Gute; doch hier verließ der Fuhrmann meine Straße und von Neuem sah ich mich genöthigt, den Wanderstab zu ergreifen. Doch wer beschreibt meinen Aerger, als ich beim Absteigen vom Wagen jetzt erst gewahr wurde, daß bei dem unsinnigen Fahren das Gewehr aus dem Wagen gefallen war. Schon hatte ich eine Stunde Wegs retour gemacht, um vielleicht das Verlorene wieder zu finden, als zwei entgegenkommende Amerikaner versicherten, weder Etwas gefunden, noch gesehen zu haben. — Mit mir und meinem Geschick unzufrieden, allein und ohne alle Zerstreuung,[S. 245] wünschte ich bald die Gegend zu erreichen, wo mein Landsmann, Herr Rehling sich angekauft, und die deutsche Sprache wieder vorherrschend seyn soll. — Zu meiner Freude und Beruhigung erfuhr ich im Nachtquartier zu Taneytown von einem deutschen Schuhmacher, dessen Hülfe ich bedurfte, daß morgen schon in der Nähe von Petersburg mehr deutsch als englisch gesprochen werde.
Der Mann hatte Recht. Viele Deutsche waren im letzten Ort, mehr noch in Hannover, und in der Umgegend der Farmen meines Landsmannes bei Strassburg glaubte ich mich in die Heimath versetzt.
Aufenthalt bei dem Farmer Herrn Rehling.
Im Juli 1840.
Die freundliche Aufnahme des Herrn Rehling gab mir während der Anwesenheit bei ihm, wie auch die in der Umgegend gemachten Bekanntschaften anderer Farmer, Gelegenheit, Alles was Bezug auf amerikanische Branntweinbrennerei, Feldwirthschaft und Farmerleben hat, kennen zu lernen, und mit wahrer Wollust genoß ich hier den ländlichen Aufenthalt im Kreise einer lieben gastfreundlichen Familie, welche ein wahrhaft religiöses Leben führte. Mittags und Abends wurde vor dem Mahl vom Hausvater Gott ein kurzes Dankgebet gebracht und jeden Morgen mit Tages-Anbruch weckte mich ein Choralgesang, welche herrliche Melodieen von den zusammen akkordirenden Stimmen des Vaters, der Mutter und der vier Kinder unwillkürlich zur Andacht stimmten, da dieser vor dem Hause aufge[S. 246]führte Lobgesang die aufsteigende Sonne hervorzulocken schien. Möge Gott diesen frommen harmonischen Seelen lange noch ein frohes, glückliches Zusammenwirken vergönnen, und nicht durch Trennung der Glieder eine Unterbrechung in dieses freundliche Stillleben bringen.
Wie ganz anders muß dieser Mann in Amerika umgewandelt worden seyn? — Werden bei Lesung Dieses seine Bekannten fragen, welche Rehling in Deutschland nur als lebenslustigen Menschen kannten. — Auch mir war, bei Beobachtung meiner Landsleute, bei Vielen die Umwandlung ihrer religiösen Ansichten nicht erklärlich, bis ich mich selbst unwillkürlich mehr und mehr zum höchsten Wesen hingezogen fühlte, welches dem Menschen in Amerika viel näher als im Vaterlande zu seyn scheint, da hier die mannigfaltigen Lebensverhältnisse und Gefahren, in welchen sich der Mensch befindet, ihm immer seine Abhängigkeit von Gott vor Augen stellt. — Mehr noch fühlt sich aber der einsam, nur seiner Familie lebende Farmer von Gottes herrlicher Natur begeistert, und nicht von weltlichen Vergnügungen betäubt, zur Dankbarkeit verpflichtet. — Daß es leider auch hier an Freigeistern nicht fehlt, dazu tragen die verschiedenen Gottesverehrungen selbst, die hier vorkommen, bei, welche zu dem Wahnglauben führen, daß alle die irreligiösen Ansichten, welche die freie Schrift verbreitet, und von antichristlichen Kanzelrednern vertreten wird, wahr seyn müssen.
Ist auch die Gegend, wo die Familie Rehling sich niedergelassen, nicht unter die fruchtbarsten zu zählen, so gewährt sie doch den Vortheil, alle erbauten Produkte schnell und gut abzusetzen, da eine nach Baltimore führende Eisenbahn dessen Flur berührt. Dabei leben sie nicht in einer Wildniß von aller Welt verlassen, was dem gesellschaftlichen Deutschen die Trennung vom Vaterlande um so fühlbarer und schmerzlicher macht, sondern befinden sich inmit[S. 247]ten von Landwirthen, die alle deutsch verstehen und es gewöhnlich sprechen, was für den Einwanderer, der nicht englisch versteht, einen um so größern Werth haben muß. Was der natürlichen Fruchtbarkeit des Bodens abgeht, verstehen ökonomische Kenntnisse, Leibeskräfte der ganzen Familie und Arbeitslust, reichlich zu ersetzen, und der Erde mehr abzugewinnen, als es der Industrie des Vorgängers, von welchem Herr Rehling diesen Farmen gekauft hatte, möglich geworden war.
Dann ist es auch nicht immer die Unfruchtbarkeit des ausgesogenen Bodens, was den Amerikaner bestimmt, sein Eigenthum zu verlassen, sondern mehr die Habsucht des Gewinnstes, der beim Verkauf gemacht wird. — Nichts ist ihm heilig und theuer, sondern Alles verkäuflich. Das väterliche Erbe oder die Nähe der Blutsverwandten haben für ihn eben nicht mehr Werth, als ein erst kurze Zeit besessener Farmen unter fremden Nachbarn. Nicht an geselliges Leben gewöhnt, ist es ihm gleich, wo er sich von Neuem niederläßt, und er spielt die Rolle eines Robinson Crusoe, in wilder, noch nicht kultivirter Gegend so lange bis ein neuer Käufer ihn abermals bestimmt, mehre hundert Meilen weiter seinen Wohnsitz zu verlegen. Daher kommt es auch, daß die Bewohner der Vereinigten Staaten so zerstreut wohnen und mitunter in ungesunden Gegenden sich niederlassen, obgleich die gesundesten und kultivirtesten Theile der mittleren Staaten noch zwei Mal so viel Einwohner aufnehmen und ernähren könnten.
Das zweistöckige Wohnhaus des Herrn Rehling ist nur aus Holz, aber in allen seinen Theilen bequem und regelmäßig aufgeführt und geräumig genug, um zwei Familien beherbergen zu können. Die Scheune, hundert Schritte vom Wohnhause entfernt, dient zugleich mit zum Obdache für Pferde und Kühe. Der untere Raum solcher Speicher wird in Amerika immer zur Stallung verwendet, daher[S. 248] die Tenne sich im zweiten Stocke des Gebäudes, wenn man solches von vorn ansieht, befindet; zum Aufbau einer Scheune wählt man gern als die passendste Lage den Abhang eines Hügels, wodurch das Gebäude hinten um einen Stock niedriger als vorn wird, und so das nöthige Niveau zur Einfahrt herstellt. — Diese Bauart gewährt noch den Vortheil, daß bei dem Dreschen mit Maschinen das durch die Tennen-Luke zugeschleuderte Stroh vor die Scheune geworfen wird, wo man es erst nach dem Dreschen am Abend aufbindet.
Daß man bei Anlage der Gebäude eines Farmen besonders Rücksicht auf den Stand der Scheune nehmen muß, bedingt die Art und Weise, wie man hier die Scheunen aufzuführen pflegt, welches von dem Ansiedler nicht übersehen werden darf. — Im Fall sich aber in der Nähe des zum Wohngebäude ausersehenen Platzes kein natürlicher Hügel befinden sollte, so wird die nöthige Steigung zur Einfahrt auf die Tenne durch Kunst geschaffen.
Waren auch die Höhen noch reichlich mit Holz besetzt, so hatte doch Rehlings Vorgänger unbarmherzig alle Bäume rings um die Wohnung niedergehauen, wie es der gewöhnliche Gebrauch der Amerikaner ist, da sie eine unüberwindliche Abneigung gegen Bäume besitzen, und dieselben als der Kultur sich entgegenstemmende Uebel, die beseitigt werden müssen, betrachten, und daher ohne Gnade Alles auf die Seite schaffen, was sich von solchen in der Umgegend ihrer Wohnungen befindet.
Rehlings erste Sorge war daher, das Schöne mit dem Nützlichen wieder zu vereinen, und in verschiedenen Gruppirungen Obstbäume aller Arten anzupflanzen. Den Sitz vor dem Hause aber beschatteten Akazien, die der Wohnung eine angenehme Kühle gewährten.
Doch das Kultiviren und Verschönern beschränkte er nicht auf die nächste Umgebung seiner Wohnung, sondern[S. 249] so weit die Gränze seines Eigenthumes geht, sah man in mannichfaltiger Abwechselung die Hand der Verbesserung angelegt. Hier wurde ein Sumpf trocken gelegt, dort eine Wiese durch gezogene Gräben bewässert, auch weislich der Viehdünger, welchen das Regenwasser von abhängigen Wegen mitbringt, in Gruben aufgefangen; auf den Bergen wurde nach Bedarf das Holz gelichtet, und am Abhange wiederum ein neues, zum Feldbau geklärtes, (von Holz gereinigtes) Stück Land mit einer Fense (Zaun) umgeben.
Doch auch der Hausfrau thätige Hände gaben Zeugniß von dem, was solche außer dem Hause zu schaffen vermögen, da im Hausgarten, welcher zu ihrem Departement gehörte, nichts versäumt war, um die Küche mit Gemüse aller Art zu versorgen. Auch einige Blumen zeigten wenigstens, daß hier eines Deutschen Farmer-Wohnung ist, welcher Sinn hat für das Schöne, was man bei dem Amerikaner vergebens sucht.
Doch nicht immer ist hier zu gebrauchen und bei der Feldwirthschaft in Anwendung zu bringen, was man im deutschen Vaterlande für zweckmäßig fand. Klima, anderer Boden und sonstige Verhältnisse mahnen zur Vorsicht und machen Aufmerksamkeit nöthig, wie die Nachbarn ihre Saaten und welche Sorten sie zu bestellen pflegen. — Herrn Rehlings vermeintes Besserwissen brachte ihn im ersten Jahre um die Aerndte, wodurch er klüger geworden, sich später mehr nach Sitte und Gebrauch des Landes richtete, und bei Abweichungen immer nur erst kleine Versuche anstellte. Dabei lies’t er fleißig nach vollbrachtem Tagewerke solche Zeitschriften, welche sich mehr über Landwirthschaft als Politik aussprechen, und auf diesem Wege kann sich der Neuling über Alles das leicht belehren, was er zu wissen nöthig hat.
Ueber den Werth der Zeitungen als Beförderungsmittel der Volksbildung in Amerika, und warum ein amerikani[S. 250]scher Farmer, so und nicht anders sein Feld bewirthschafte, drückt sich Gall, wie mir aus dem Herzen gesprochen, in seinem Reiseberichte folgendermaßen aus:
„Je weniger ich dem politischen Theil der amerikanischen Zeitblätter meinen Beifall zollen kann, um so mehr haben sie mich in wissenschaftlicher Rücksicht befriedigt. Diese Aeußerung mag mit dem Urtheile anderer Reisenden im Widerspruche seyn, das thut aber nichts; dafür ist es auch der Ausspruch meiner eigenen Ueberzeugung. Ich habe darin zwar nie eine Untersuchung der wichtigen Frage gefunden: ob das erste Huhn vor oder nach dem ersten Ei gewesen, noch, wer der Mann im Monde sey? Solche Forschungen überlassen die Amerikaner bescheiden uns überlegenen Europäern. Aber ich habe auch nicht ein einziges Blatt in die Hände genommen, welches nicht irgend einen belehrenden Artikel über Gegenstände des nützlichen, praktischen Wissens enthalten hätte und zwar in einer für alle Leser verständlichen Sprache. Da ist kein Zweig der Landwirthschaft, kein Gewerbe, keine nützliche Kunst, auf deren Vervollkommnung nicht immer die Aufmerksamkeit Tausender gerichtet wäre. — Kein Tag vergeht, an welchem nicht aus allen Theilen der Union bewährte Erfahrungen, neue Entdeckungen und Verbesserungen ohne Rückhalt mitgetheilt, oder angestellte Versuche mit ihren Erfolgen bekannt gemacht werden, damit deren Anwendbarkeit auch in andern Gegenden versucht werden könne. Unterrichtende Aufsätze über Gewitter, brennende Dünste, Mehlthau, Selbstentzündungen, Komete, Meteore, farbige Regen etc. erklären diese und ähnliche außerordentliche Erscheinungen in der Natur und indem sie so der gefährlichsten Pest, dem Wunderglauben, eine unübersteigliche Schranke entgegenstellen, machen sie zugleich auf die bekannten oder möglichen, wohlthätigen[S. 251] oder nachtheiligen Einwirkungen solcher Erscheinungen auf Witterung, Vegetation etc. aufmerksam.“ —
„Ausführliche Beiträge, um verstanden zu werden, geschrieben über Gegenstände der Geographie und Naturgeschichte der Vereinigten Staaten, machen den Amerikaner mit seinem Vaterlande täglich genauer bekannt und lehren ihn täglich, in seinen Wäldern, Gebirgen, Flüssen und Seen neue Schätze aufsuchen. Kurz, in einem Blatte, welches jährlich nur fünf Dollars kostet, zwar nur ein Mal die Woche erscheint, aber jährlich in 52 Nummern eben so viel Gedrucktes enthält, als 500 Bogen eines der in Deutschland in gr. 8. erscheinenden Journale, findet der Amerikaner außer den ihm zum Bedürfniß gewordenen politischen Neckereien, einen nicht weniger reichen Schatz von belehrenden und nützlichen Nachrichten, als sechs oder acht europäische Journale für verschiedene Fächer des praktischen Wissens zusammengenommen darbieten; vergebens würde man das leugnen. Die Allgemeinheit einer Erstaunen erregenden Masse von nützlichen Kenntnissen, welche sich nicht wegraisonniren lassen, zeugt laut von dem Vorhandenseyn eines eben so allgemeinen, als zweckmäßigen Mittels des Unterrichts und der Mittheilung des individuellen Wissens durch die ganze Union.“
„Bei dem ersten Anblicke eines Ackers, in welchem noch Baumstumpfe und über 1½ Fuß hohe Stoppeln hervorragen, zuckt der dünkelvolle Europäer über den beschränkten Amerikaner die Achseln, da dieser seinen Boden und dessen Produkte nicht besser zu nutzen weiß. Er tritt näher, und sieht den Boden des Feldes gar von Aehren fast bedeckt; er schlägt die Hände über dem Kopfe zusammen über einen solchen Verschleuderer, und würde ihn, hätte er die Macht dazu, ohne Weiteres für einen Verschwender erklären und sein Gut nach den Regeln der Kunst, durch einen obrigkeitlich ernannten Verwalter bestellen las[S. 252]sen. Wir aber wollen erst den verständigen, Gewinn beflissenen amerikanischen Landwirth selbst hören. — Den höchst möglichen Ertrag mit den geringsten Kosten zu erringen, ist ihm Zweck der Landwirthschaft. Er läßt die Stöcke nicht ausrotten, weil dieses in dem Verhältnisse des Arbeitslohnes zum Preise der Produkte mehr gekostet haben würde, als der Boden, den die Stöcke einnehmen, in zehn Jahren tragen könnte; in fünf bis sechs Jahren sind sie faul, und weichen dann leichter. Uebrigens weiß er seine starke Pflugschaar, selbst durch einen Wald, mit einer solchen Gewandtheit zu führen, daß in der That nichts ungenützt bleibt, als gerade der Fleck, den der Baum einnimmt. Die Stoppeln stehen noch 1½ Fuß hoch auf dem Felde, indem er: 1) keinen Absatz für sein Stroh hat, 2) weil, damit die Frucht dicht am Boden abgeschnitten werden könne, das Feld durch Eggen und Walzen nach der Einsaat geebnet werden müßte, was aber mehr kosten würde, als es den Ertrag erhöhete, indem seine Schnitter viel weniger zu schneiden im Stande seyn würden, wenn die Frucht dicht am Boden abgeschnitten werden sollte, und 3) weil das Feld doch wieder mit Stroh gedüngt werden müßte. Ist nun gleich die verfaulte Stoppel dem Dünger aus den Ställen nicht gleich zu achten, so erspart er dagegen auch die Kosten, die Stoppeln heimzufahren, den Dünger aus den Ställen zu ziehen, zur Gährung aufzuschichten, auf Wagen zu laden, auf das Feld zu fahren und auszubreiten, welche Kosten der höhere Betrag ganz bestimmt nicht aufwiegen würde. Aus demselben Grunde bleiben auch die Aehren ungelesen, um so mehr, da er gerade durch diese anscheinende Vernachlässigung sich wieder die Arbeit erleichtert und also Kosten spart. Sobald die Frucht eingescheuert ist, läßt er sein Vieh auf dem umzäunten Acker, wo es reichliches Futter findet, und von welchem es, bis Schnee[S. 253] den Boden bedeckt, nicht wieder in den Stall kömmt, wobei es zugleich das Feld düngt. Zwei bis drei Hundert Stück Federvieh aller Art picken die einzelnen Körner auf, welche das Rindvieh nicht erreichen konnte.“
Ob und wie der Amerikaner die Vortheile zu benutzen versteht, welche die bloße geschickte Anwendung bekannter Erfahrungen gewährt, sieht man auch in allen seinen häuslichen Verrichtungen und Gall fährt hierüber fort: „Die Eier erhält er in Kalkmilch nöthigenfalls ein ganzes Jahr lang frisch; genau bekannt mit der Wirkungsart verschiedener Erhaltungsmittel des Fleisches, verdirbt er dasselbe weder durch zu viel noch zu wenig Salz. Seine Seife, so schön und gut als die des Seifensieders in der Stadt, ist sein eigenes Erzeugniß, aus einer Verbindung von Fett, Asche und Kalk, einer Pottasche, welche die beste in der Welt ist. Seinen Zucker, aus dem leicht gewonnenen Safte des Zucker-Ahorns, hat er selbst gesotten. Die Teppiche, welche den Boden seines ganzen Hauses bedecken und selbst bis in die Küche sich ausbreiten, sind das Produkt langer Winterabende. Seine Apfelpresse, seine Spinnräder, seine Flachsschwingen sind nach den neuesten Verbesserungen vervollkommnet.“
Aufenthalt in einer Branntweinbrennerei, Papierfabrik und Mahlmühle.
Im Juli 1840.
Rehling selbst besaß keine Branntweinbrennerei, da mehrere Brennerei-Besitzer aus der Umgegend ihn versichert hatten, daß dieser Erwerbszweig nicht mehr rentire, und ein solches Geschäft zu etabliren, um so weniger anzurathen[S. 254] sey, weil auf der Eisenbahn und den Kanälen der Branntwein aus den westlicher gelegenen Staaten so billig nach den Seehäfen geliefert würde, daß sie, um Preis zu halten, nicht mehr den Spülig als Viehfutter für reinen Gewinn ansehen könnten, weshalb auch schon mancher Farmer im Staate Maryland und Pennsylvanien die Brennerei-Utensilien unbenutzt stehen habe. — Hier wurde mir nun die Ueberzeugung, daß die hohe Steuer, welche bei uns auf den gewonnenen Branntwein der Produzent zu entrichten hat, demselben nicht schadet, da die Abgabe durchaus nicht den Verdienst vom Geschäfte schmälert, indem immer die Waare wegen der Steuer im Verhältniß wieder höher im Preise gehalten werden muß, was der Fall nicht seyn würde, wenn bei übergroßer Konkurrenz keine Abgabe statt fände. Die Fabrikanten würden dann, um möglichst großen Absatz zu haben, ihre Waare für einen Preis verschleudern, bei welchen eben nicht mehr Gewinn erzielt werden könnte, als es jetzt bei zu entrichtender Steuer der Fall ist.
Von einer Steuer, welche der Produzent von Branntwein zu entrichten habe, kennt man in Amerika zur Zeit noch nichts; sondern derjenige, welcher sich in Städten mit dem Wiederverkaufe von Branntwein beschäftigt, hat jährlich nach der Größe des Erwerbszweiges eine bestimmte Abgabe zu entrichten. Ohne alle Beaufsichtigung betreibt der Brenner sein Geschäft, und keine Zeit, kein Ort und auf welche Art es geschehen muß, ist vorgeschrieben. Jeder handelt nach eigener Willkür, und hängt nicht von den Launen hoher und niederer Steuer-Offizianten ab, welche oft im Diensteifer die Sache strenger nehmen, als es im Sinne des Gesetzgebers gelegen haben mag. Dabei geht freilich in Amerika die bei uns stattfindende Akkuratesse während des Betriebes verloren und Zeit, Holz und Licht werden nicht berücksichtigt.
Eben so wenig verwendet (mit wenig Ausnahme) der Brenner auf Verbesserung seiner Brenngeräthschaften Kapitale. Blase, Hut und Schlangenrohr sind die einfachen Bestandtheile seiner Brennerei, und es wird demnach, wie es früher bei uns der Fall war, Lutter, Halbwein und Sprit gewonnen, da der Branntwein nur zu hohen Graden in dem Handel angenommen wird. —
Zwei Stunden von Rehlings Niederlassung wurde mir auf einem großen Farmen Gelegenheit, die Welschkornbrennerei kennen zu lernen, wobei ich zugleich zu der Ueberzeugung gelangte, daß, wenn ein amerikanischer Brenner nicht beabsichtigt, das Geschäft ganz ins Große zu betreiben, wozu mehrere Gehülfen nöthig sind, er auch keinen Gebrauch von verbesserten Brenngeräthschaften machen kann, weil Letztere die Aufmerksamkeit mehr in Anspruch nehmen, als es bei der alten Manier zu brennen der Fall ist. Der Brennknecht muß hier nicht nur allein einmaischen, den Apparat besorgen, das nöthige Holz zerkleinern, die Schweine füttern, sondern auch alle noch beim Brennereibetriebe vorkommenden Arbeiten in eigener Person verrichten, ohne dazu einen Gehülfen zu erhalten. — Um die Ausführung dieser seiner Obliegenheiten nun möglich zu machen, maischt der Brennknecht das auf einen Tag bestimmte Quantum Schrot nicht mit einem Male ein, sondern die Gährtösen, in denen sogleich gemaischt wird, stehen mit der Größe der Blase im Verhältniß, so daß jede Blasenfüllung den Inhalt des Maischfasses aufnimmt, weshalb täglich so viel Fässer einzumaischen sind, als Blasenabtriebe gemacht werden sollen. Das nöthige kochende Wasser (da eingeteigt wird) gewinnt man auf einer zweiten Blase, welche man auch den vierten oder fünften Tag zum Gutbrennen benutzt. — Die Arbeit des Einmaischens ist demnach auf die ganze Tageszeit vertheilt, so daß während der Zeit, wo die Blasenfüllung abdestillirt, eins von den Tags vorher[S. 256] leer gewordenen Fässern frisch bemaischt wird. Das aufgefangene Quantum Lutter bestimmt die Zeit, wann die ausgekochte Maische abzulassen ist, welche nach den hinter dem Brennereigebäude stehenden Schweinebehältern fließt, und daselbst nach Belieben durch Rinnen in die verschiedenen Abtheilungen der Stände vertheilt wird. — Die nöthige Stellhefe versteht der Brenner sich aus Malz und Hopfen zu bereiten.
Gleichwie den in der Nähe von Seehäfen wohnenden Branntweinbrennern durch den erleichterten Verkehr der Verdienst geschmälert worden ist, eben so ist solches der Fall in Bezug auf alle anderen Erzeugnisse des Feldbaues. Den weiter entfernt wohnenden Kolonisten wird durch die zahlreichen Wasserstraßen und Eisenbahnen die Gelegenheit gegeben, ihre Erzeugnisse, auf wohlfeilem Grund und Boden erbaut, schnell und billig nach dem Orte zu schaffen, wo sie verbraucht werden. — Wie vermag nun der Farmer, welcher vor Erbauung der vielen Kommunikations-Wege, wegen der Nähe der Verbrauchsorte von seinem Grundbesitze, den Acker mit 50–100 Dollars bezahlte, mit seinen Konkurrenten Preis halten, welchen ein Grundstück von gleicher Größe und oft fruchtbarerem Boden nur 3–4 Dollars zu stehen kommt?
Nur wenn der Landwirth, welcher nahe genug an einer stark bevölkerten Stadt wohnt, sich auf Gemüsebau legt und die Milch dahin absetzen kann, steht er im Vortheil, weshalb diese auch, um möglichst großen Viehstand halten zu können, meistens nur Futterkräuter bauen.
Wie sich der Grundbesitz eines deutschen Farmer durch die fleißige Bewirthschaftung des Areals vor dem Farmen eines Amerikaners auszeichnet, ebenso steht der Deutsche dem Amerikaner nach in der Ordnung, Reinlichkeit und eleganten Einrichtung, welche dieser in seiner Wohnung beobachtet. Alle Pieçen des Hauses sind immer so anzutreffen,[S. 257] wie dieses höchstens bei uns in Deutschland zur Kirchweih-Zeit der Fall ist, wo der Landmann Gäste erwartet. Die Stuben und Treppen sind mit Teppichen belegt, die Hausflur blank und mit weißem Sand bestreut, das linnene Tischzeug täglich weiß, die nöthigen Schlafstellen zum Besuche immer bereit, und dabei drei Mal täglich eine gut besetzte Tafel, woran der geringste Arbeiter, gleich wie der Herr selbst Platz zu nehmen pflegen. Nur die Neger bleiben davon ausgeschlossen, und für diese werden die Speisen allein angerichtet. Neben dem Hausherrn bleiben immer zwei Gedecke leer für möglichen Besuch während der Mahlzeit, wo dann ein solcher ungenirt Platz zu nehmen pflegt und gleich den Uebrigen sich’s schmecken läßt; das viele Nöthigen, wegen Zulangen der Speisen, wie es bei uns Sitte ist, kennt der Amerikaner nicht. „Help your self“ (Bedienen Sie sich selbst), ist der einzige Zuspruch, welcher beim Platznehmen an die Gäste ergeht, und nun ist es gleich, ob Einer viel oder wenig Appetit mitbringt. — Alle Speisen, welche zum Mahle bestimmt sind, werden zusammen aufgesetzt, und in der Regel ist es Rindfleisch und Zugemüse, in Scheiben geschnittenes und im Schaffen gebratenes Schweinefleisch, gebratene Fische, mehre Sorten Eingemachtes, vorzüglich rothe Rüben, Butter, Käse, Schmalzkräpfel, oder Tellergroße Torten (Bay genannt) mit einer Fülle von Eingemachtem und Waizenbrod. Als Getränke wird Kaffee vorgesetzt und nur die umgelegte Obertasse giebt zu erkennen, daß man davon genug hat. — Beim Frühstück und Abendbrod bleibt sich Alles gleich, und nur das Rindfleisch und Gemüse fällt weg, dafür werden jedoch Eier aufgetragen, so wie die Kartoffeln bei keiner Mahlzeit fehlen. — Abends vertritt Thee die Stelle des Kaffees.
Besonders fiel es mir auf, daß man zum fetten Schweinefleische noch mit Butter bestrichenes Weißbrod zu essen[S. 258] pflegte, und ich konnte nicht umhin, mich über diese Verschwendung gegen den Brenner auszusprechen, worauf mir entgegnet wurde, daß ebenso mein genügsames Zulangen bemerkt worden sey, und man dieses einem dummen Schwaben zu Gute halte, welcher es nicht besser kenne.
Da Suppe bei den amerikanischen Farmern nicht gebräuchlich ist, so fehlen auch die Löffel, und man kömmt um so mehr bei vielen Gerichten in Verlegenheit, wie man solche zum Munde führen soll, da nur zweizinkige Gabeln vorhanden sind. Das ohne Spitze vorn runde, breite Messer wird daher nicht allein zum Zerkleinern gebraucht, sondern es muß auch die mehrzinkige Gabel und den Löffel ersetzen.
Die Hausfrau, Töchter nebst weiblichem Dienstpersonal nehmen erst nach Entfernung der Männer am Mahle Theil.
Leider waren, wenigstens für mich, die Speisen bei aller verschwendeten Zuthat nicht schmackhaft. — Das Fleisch kömmt halb gahr, noch blutend auf den Tisch, und das Beste, die Fleischbrühe, bleibt unbenutzt; nur das abgenommene Fett wird zum Seifekochen verwendet. Dabei verstehen die Amerikaner nicht, wie unsere deutschen Frauen, das Gemüse schmackhaft zu bereiten; es kommt trocken, meist tüchtig gepfeffert, auf den Tisch. — Als Beispiel will ich anführen, daß man einen Krautkopf, nicht wie es bei uns gebräuchlich, vor dem Kochen in mehrere Stücke zerlegt, sondern den Kopf ganz, nur ein wenig im Wasser aufkochen läßt, und ihn in diesem Zustande, ohne weiter zu schmelzen, servirt, wovon dann jeder Tischgast nach Belieben sich seine Portion losschneidet, und solche auf dem Teller, nach Appetit, süß oder sauer zubereitet.
Mit keinem Geschäfte wird der Amerikaner schneller fertig, als mit dem Essen. Tischgespräche sind ihm verhaßt, weil, wie er meint, solches die Gedanken von den wohlschmeckenden Gerichten abzieht und der Gaumen weni[S. 259]ger von dem bereiteten Genusse spüre; die Langeweile würde ihn umbringen, müßte er stundenlang an der Tafel verweilen. Ja, ehe wir Europäer die Serviette entfaltet und zurecht gelegt haben, hat der Amerikaner, welcher dieses Vortuch für überflüssig hält, schon die halbe Mahlzeit verschlungen und in zehn Minuten ist er mit Allem fertig. Nach genommenem Platze am Tische und der Ladung zum Angriffe der Speisen, holt sich Jeder nach Belieben von den aufgetragenen Gerichten, in der linken Hand die Gabel, in der rechten das Messer, und es kann das Gebiß nicht schnell genug verarbeiten und die enge Halspassage verschlucken, was die gewandten Hände dem Munde zuführen. Daher mag es auch kommen, daß die genossenen Speisen den Menschen so häufig aufsteigen, und der Amerikaner ungenirt, als müßte es so seyn, sich des Aufstoßens nicht enthält.
Während meiner Lehrzeit in der Brennerei machte ich die Bekanntschaft eines Papierfabrikanten und von diesem eingeladen, benutzte ich die Gastfreundschaft, um bei ihm wieder andere Maschinen, als mir hier schon gezeigt worden, im landwirthschaftlichen Gebrauche zu sehen. Dabei wurde mir die Gelegenheit, die Fabrikation von Papier ohne Ende kennen zu lernen.
Eine genaue Definition über die Einrichtung dieser Anstalt in diesem, meinen Reisebericht zu geben, liegt nicht in meinem Plane. Zu einer andern Zeit werde ich mehr darüber bekannt machen. Nur im Allgemeinen will ich jetzt den Geschäftsgang kurz berühren.
Die auf einer mit drei Schneidemessern versehenen Maschine zerkleinerten Lumpen, von verschiedenen Stoffen und Farben, wurden in einem Draht-Cylinder vom Staube gereinigt, hierauf in einem Kessel mit Kalkwasser gekocht und dann dem Holländer zugeführt. Eine halbe Stunde werden solche hier rein gewaschen, worauf man dem Was[S. 260]ser drei scharfe Spezies zusetzt, wodurch in Zeit einer Viertelstunde aller Farbestoff zerstört und eine blüthend weiße Masse sich zeigte. Diese breiige, mit Wasser verdünnte Substanz hängt sich in der Stärke eines Papierbogens in das feine Drahtgeflechte eines sich in der zufließenden Masse herumdrehenden Cylinders ein und wird auf einer Unterlage von zusammengenähten Wollentüchern, welche sich im Kreislaufe drehen, nach und zwischen eiserne Gußwalzen geleitet. Diese nun ausgepreßte, zu einem festen Körper wieder gestaltete, nur noch feuchte Masse geht von hieraus ohne Unterlage über fünf kupferne Cylinder, welche durch einströmende Dämpfe erhitzt, sofort das Papier trocknen, und sich nun so lange auf eine Weife aufwickelt, bis dem Draht-Cylinder kein Papierbrei mehr zugeführt wird. — Eine zweite Maschine, welche mit der Weife in Verbindung steht, schneidet das Papier nach dem gewünschten Format, worauf Letzteres nochmals gepreßt in den Handel kommt.
Nach dieser Behandlung wurden täglich auf zwei Holländern und der Dampf-Papier-Maschine unter Leitung zweier Menschen, dreizehn Centner Lumpen in zum Verkaufe fertiges Papier verwandelt.
Um während meines Aufenthaltes in Amerika auch möglichst viel von den Einrichtungen der Mahlmühlen kennen zu lernen, ging jetzt mein Bemühen dahin, in einer solchen Zutritt und Belehrung über die Konstruktion der einzelnen Theile des Mechanismus zu erhalten, und in der Person des Herrn Bekley fand ich einen äußerst humanen Lehrmeister. Die innere Mühleneinrichtung, wie das Gebäude selbst, war noch neu und das Geschäft erst seit einigen Jahren etablirt. Die zu Gebote stehende Wasserkraft war nur gering, und dennoch vermochten zwei Mahlgänge, deren vier vorhanden waren, in kurzem Zeitraum un[S. 261]glaublich viel vom weißesten und feinsten Waizenmehl zu liefern.
Die Frucht wurde nicht, wie in unsern Mühlen, von den Mühlburschen aufgeschüttet, sondern hier, aus einem im Erdgeschoß befindlichen Behälter durch Wasserkraft bis zum obersten Bodenraum gehoben, wo die Reinigungs-Maschine plaçirt war, und auf diese ohne menschliche Beihülfe gebracht. Das von allem Schmuz und den Schalen befreite Korn setzte von hier aus seinen Lauf nun als Graupe nach dem Mühlrumpfe fort, und langte, durch die Mühlsteine zermalmt, als feiner Mehlgries im Erdgeschoß wieder an. Hier wird das noch ungebeutelte Mehl in einem, unter allen vier Gängen fortlaufenden, sechzehn Zoll weiten Kanal, aufgefangen. In diesem Kanale dreht sich eine horizontal liegende Welle, welcher durch einen vier Zoll breiten, senkrecht aufgesetzten Streifen von starkem Sohlleder, die Gestalt einer Schraube ohne Ende ertheilt ist, durch deren Umdrehung das Mehl aus diesem Kanale heraus, und in ein halbkugelförmiges Becken geschoben wird. Hier wird der Gries, gleich wie das Korn, bis auf den Kühlboden gehoben, wo er sich durch eine eigene Vorrichtung, fortwährend umgerührt und gewendet, abkühlt, durch eine Oeffnung im Boden nach dem darunter sich befindenden Beutel geleitet wird, und daselbst das feinste Mehl absetzt. Von hieraus geht der Gries in einen zweiten Beutel, welcher wiederum um ein Stockwerk tiefer steht, und eine weniger feine Sorte Mehl liefert. Der noch vorhandene Gries wird den Tag über gesammelt, zum zweiten Male auf die Mühle gebracht, und, von Neuem mit dem andern Gries vermengt, gebeutelt. Das in Fässern, deren jedes, dem Gesetze nach, nicht schwerer als 18 Pfund seyn darf, gut zusammengestampfte Mehl, wovon das angefüllte Faß (Barrel) 196 Pfund enthält, kömmt so in den Handel.
Die Vorrichtung, mit welcher die Körner in die Reinigungsmaschine, und der Gries nach dem Kühlboden gehoben wird, ist ein lederner Riemen, dessen beide Enden mit einander verbunden, und an welchem von zehn zu zehn Zoll viereckige blecherne, oben offene Büchsen befestigt sind. Dieser Riemen wird durch zwei Walzen, deren eine sich unten in dem Schrot- oder Körner-Behälter, die andere aber auf dem Kühlboden oder über der Reinigungsmaschine befindet, immer in einer kreisförmigen Bewegung erhalten, so daß die sich unten füllenden, und durch einen aufrecht stehenden viereckigen hölzernen Kanal aufwärts steigenden Büchsen, oben angekommen, sich entleeren müssen. — Vor Allem zeichnen sich die amerikanischen Mühleinrichtungen dadurch aus, daß ohne Mehlverlust im ganzen Gebäude die größte Reinlichkeit vorherrschend ist. Bei Nachahmung dieser Einrichtungen von Seiten unserer deutschen Müller würde freilich der so vielen Gewinn bringende Staubboden, und dadurch der schönste Deckmantel aller andern Nebenverdienste verloren gehen! — Doch glaube man ja nicht, daß in Amerika alle Müller aus lauter Reellität zusammengesetzt sind, sondern auch in diesem Geschäft weiß man sich hier dadurch einen Vortheil zu verschaffen, daß die Fässer nicht immer 18, sondern mitunter etliche 30 Pfund schwer sind, wie man dergleichen in Cincinnati eingebracht, und konfiszirt hatte.
Hinsichtlich der Qualität des verpackten Mehles kann weniger Betrug vorkommen, da alle Mehlfässer, bevor sie in den Handel kommen dürfen, von verpflichteten Personen mittelst eines Schrauben-Löffelbohrs, welcher die Länge der Faßhöhe hat, durchbohrt werden, und nachdem das im Bohr sich eingehängte Mehl in der Hand durcheinander gemengt worden ist, wird die gefundene Qualität durch ein bestimmtes Zeichen nebst Revisions-Stempel auf dem Faßboden eingebrannt.
Reise nach Philadelphia.
Im August 1840.
Unser nächster Nachbar, welchen ich als Mahlgast in der Mühle kennen gelernt, führte ein sehr bigottes Leben, und gehörte zu den Albrechtsleuten, welchen Namen diese Sekte sich nach ihrem Gründer, einem gewissen Albrecht, beigelegt hatte. — Vor Allem glaubte dieser Fromme sich eine Stufe höher im Himmel zu erbauen, wenn er zur Vergrößerung der Gemeinde beitrage. — Er unterließ daher nicht, seine Versuche auch bei mir fortzusetzen, da ich dem Anscheine nach, um das Ganze ihres Glaubensbekenntnisses kennen zu lernen, in seine Lehre eingegangen war. Um mich nun ganz zu bekehren und meine Seele dem Himmel zu erhalten, mußte ich versprechen, der Kemt-Meeting, wie diese Sekten ihre Versammlungen im Freien benennen, beizuwohnen.
Meinen Apostel hielt die Krankheit seiner Ehehälfte ab, an dieser drei Wochen langen Büßübung Theil zu nehmen; mir selbst kam aber diese Gelegenheit eben recht, um auch von dieser Seite das amerikanische Treiben kennen zu lernen. Um so mehr fühlte ich mich veranlaßt, dieser Zusammenkunft, wo nur in deutscher Sprache verhandelt werden sollte, beizuwohnen, da der dazu ausersehene Platz nur eine halbe Stunde von der Straße, welche nach York führt, und welchen Ort ich auf der Reise nach Philadelphia passiren mußte, abgelegen war.
Den 2. August verriethen mir drei Meilen über Strassburg entgegenkommende, mit Menschen besetzte Wagen, welche links von der Straße ab in das Holz einbogen, daß der Pilgerort nicht mehr fern seyn konnte. Der Spur folgend, fand ich bald auf einem freien Platze in der Mitte[S. 264] des Waldes eine Menge Wagen, welche aneinander gereiht, ein förmliches Quarrée bildeten. Vor der Wagenburg waren die Zelte und aus Laubholz erbaute Hütten errichtet. In der Mitte der obern Seiten-Fronte stand die aus Baumästen und Bretern errichtete Tribüne, und vor derselben hatte man zum Sitzen die eingeschlagenen Pfähle mit Bretern belegt, welche durch einen Gang in zwei Abtheilungen geschieden, die Geschlechter trennte. Mit einbrechender Nacht wurden auf den an beiden Seiten der Bänkereihen eigens dazu errichteten sechs Stellagen Holzfeuer unterhalten, deren Knistern, sowie die zum Himmel aufsteigenden Rauchsäulen, der Schatten riesiger Bäume und die grotesken Gestalten, zu welchen durch den Schein des Feuers die Holz herbeischaffenden Männer gestempelt wurden, und das dumpfe Murmeln der Abendbetenden, alles zusammen etwas Schauerliches hatte, und den Gedanken erweckte, in der Mitte von Wilden zu seyn, um deren Ceremonieen beizuwohnen, wenn solche nach erfochtenem Siege am Feuer die Gefangenen zum Mahle bereiten.
Vergebens sah ich mich, da der Magen seine Rechte geltend zu machen suchte, nach einem Marketender-Zelte um, wurde aber belehrt, daß hier nur der Ort sei, um in frommer Andacht sich Gott wohlgefälliger zu machen und Keiner mit weltlichen Gerichten handeln dürfe. Jede Familie sey auf die Dauer der Bußübung hinlänglich mit Speise und Trank versehen und auch für Gäste sey gesorgt. — Dieses Letztere war mir der angenehmste Theil der Rede und im Zelt angelangt, wollte ich mich eben an den Gerichten erquicken, als der Schall der Glocke zur Versammlung rief. Nur in der Geschwindigkeit, da mein Wohlthäter zum Abmarsch bereit war, vermochte ich einige Bissen zu genießen. — Nach geendigtem Lied hielt Einer der fünf Prediger, welche sich auf der Tribüne placirt hatten, eine Rede, worinnen er den Gang der Ceremonieen[S. 265] und den Zweck ihres Beisammenseyns der Versammlung vortrug und besonders den verirrten Schafen an das Herz zu legen suchte, wie Jedes einzeln im stillen Gebet sich zu den allgemeinen Bußübungen vorbereiten solle. Zum Schluß wurde bemerkt, daß, wenn unter der Versammlung solche wären, die nicht den nöthigen Lebensunterhalt bei sich hätten und bei Verwandten keine Lagerstätte fänden, solche im Zelt der Prediger sich anmelden sollten. Ich war der Einzige, welcher dieser Ladung folgte, und von einem schon bejahrten Manne mit nach dessen Zelt genommen, wurde ich von ihm zwei alten Matronen, die das Abendbrod auftrugen, als Gast vorgestellt. Während des Mahles, welches meine Tischgenossen unter Gesprächen von Teufel, Hölle und Verdammniß, zu sich nahmen, darüber aber das eigentliche Essen vergaßen, schmeckte es mir um so besser, und von Ersterem beobachtet, mochte solches den Glauben erwecken, daß ich an Leib und Seele verwahrlost seyn müsse.
Das Lager war bald eingenommen, da in der Frühe des nächsten Tages der Gottesdienst beginnen sollte und an der Seite meiner gewesenen Schönen pflegte ich bald der Ruhe. Kaum graute der Morgen, als es im Lager lebendig wurde, da Jeder der Erste seyn wollte, Gott mit seinem Gebet zu überraschen und so gern ich noch auf dem Lager verweilt hätte, so gebot doch Anstand und Sitte mich den Gebräuchen zu unterwerfen; ich empfahl mich daher Gottes weiser Führung und machte im Uebrigen den stillen Beobachter.
Beim Frühstück stellte sich der Redner vom gestrigen Abend ein und nahm mich nach der Mahlzeit ins Gebet, ohne jedoch weiter zudringlich zu werden. Als sich aber bei dem Mittagsessen und Abendbrod die andern inspicirenden Prediger auch einstellten und vergebens sich abmüheten, mir den Staar zu stechen, so entsagte ich der schönen Gelegenheit auf anderer Leute Kosten ein frommes Freu[S. 266]denleben zu führen, gab den nächsten Morgen vor, die Leibwäsche zu wechseln, entfernte mich mit meinen Sachen ins Dickicht der Bäume und sagte den Frommen Valet. —
In York, wo ebenfalls der größte Theil der Bewohner aus Deutschen besteht, wurde nicht lange angehalten, da ich daselbst vernommen hatte, daß am 6. August in Lancaster, welcher Ort 20 Meilen von hier entfernt liegt, eine demokratische Staats-Konvention stattfinden sollte, welcher beizuwohnen ich nicht gern versäumen wollte.
Von Wrights-Ville, welches der große Susquehanna-River von Columbia trennt, ist von der Eisenbahn-Gesellschaft über diesen Fluß eine überbaute Brücke errichtet worden, welche wohl zu den größten der existirenden zu rechnen ist, da ihre Länge, nach meinen Schritten gemessen, 2400 beträgt. — In Columbia kam ich gerade noch zur rechten Zeit an, um mit dem Eisenbahnzug nach dem noch zwölf Meilen entfernten Lancaster abgehen zu können, da diese Fahrgelegenheit heute für alle Demokraten, welche an der Versammlung in letzter Stadt Theil nehmen wollten, frei war, und da die ankommenden Wagen schon überall mit Menschen besetzt waren, so wurden in Columbia alle vorhandenen Packwagen noch angehängt, worauf mehre Hundert Reiselustige sich möglichst gut zu plaçiren suchten; Breter wurden quer über gelegt und von den verwegenen Amerikanern bis vorn an die überhängenden Theile besetzt. Ja, man war tolldreist genug, in aufrechter Stellung auf diesen schaukelnden Unterlagen die Fahrt zu wagen und durch Recken, Stoßen und Schwenken der Fahnen, die Gefahr zu vergrößern. Ewig wird mir solch leichtsinniges Benehmen unvergeßlich bleiben.
Niemand fühlt sich veranlaßt und verpflichtet, für die Sicherheit der Reisenden eine Verantwortung zu übernehmen, weil die gepriesene Freiheit keine Grenzen zu stellen[S. 267] gestattet, und der Amerikaner Herr seines Lebens zu seyn glaubt, mit dem er machen könne, was er wolle.
In der kürzesten Zeit, da der Wagenzug pfeilschnell durch die Lüfte flog, erreichten wir und o, Wunder! ohne Unfall Lancaster, fuhren mit klingendem Spiel in die mit Menschen angefüllte Stadt und hatten Mühe, ein Unterkommen zu finden, da alle Häuser, bis zu den geringsten Kneipen herab, besetzt waren.
In der Regel giebt es, durch die erhitzten Gemüther veranlaßt, bei solchen Gelegenheiten Paukereien und ich war hier abermals Zeuge, wie sich ein Demokrat mit einem Whig im Faustkampf den Sieg zu verschaffen suchte; diesmal aber endete nicht nur derselbe mit blutenden Gesichtern, sondern die Unmenschen ließen nicht eher nach, bis dem Einen ein Auge ausgestoßen war.
Diese Manier, mit den Händen zu fechten, wo es die Kämpfer hauptsächlich auf die Augen abgesehen haben, wird Gouging genannt. Diese scheußliche Operation auszuüben, bemüht sich jeder der Kämpfer während des Gefechts die Seitenlocken von dem Haar seines Gegners zu erfassen, solche um seine Vorderfinger zu winden, den Daumen ins Auge hinein zu pressen und dasselbe aus der Höhlung herauszutreiben. War mir schon mancher Einäugige in Amerika begegnet, so hielt ich dieses mehr für Naturfehler; jetzt wurde ich aber eines Andern belehrt und erhielt dabei die Versicherung, daß besonders in den Staaten Georgien, Karolina und Virginien die Menschen sich zur Aufgabe gemacht hätten, sich so zu verstümmeln, daß immer der fünfte oder sechste Mann nur mit einem Auge erscheine. —
Verstimmt durch den unglücklichen Faustkampf, und um mich möglichst entfernt von solchen Raufbolden zu halten, deren es mehre in der Herberge gab, die mit Jedem, welcher nicht ihrer politischen Meinung war, Händel anzufangen[S. 268] suchten, übergab ich dem Wirth meine Sachen zur Aufbewahrung und suchte bis zur Zeit des Aufzuges, welchen mehre Tausend hier versammelter Demokraten beschlossen hatten, im Gewühl der auf den Straßen wogenden Menge, die Stadt zu besehen, welche nach Philadelphia die größte im Staate Pennsylvanien seyn soll.
Dieser Ort ist regelmäßig angelegt, besitzt gerade, breite Straßen, in welchen meist von Steinen aufgeführte Häuser sichtbar sind. Die Mehrzahl der Einwohner besteht aus Deutschen und deshalb ist auch diese Sprache hier die herrschende. Auf meiner Wanderung war ich so glücklich, zu einer Fabrikanstalt zu kommen, in welcher Maschinen zu landwirthschaftlichen Zwecken angefertigt wurden, wie ich dergleichen schon im Gebrauch gesehen und abgezeichnet hatte. Jetzt wurde von mir an keinen Aufzug mehr gedacht. Hier fand der Geist volle Beschäftigung und das Gesuch an den Werkführer reichte hin, mir den Eingang zu gestatten und, durch einige Geschenke an die Arbeiter vertheilt, wurde ich überall herumgeführt. Augenblicklich wurde Alles gemustert, die einzelnen Theile noch unzusammengesetzter Maschinen mit meinen Zeichnungen verglichen und nachgemessen, so wie auch manches Neue notirt, was ich mit Nutzen bei meiner Zurückkunft im Vaterlande anzuwenden gedachte.
Nach genossenem Mittagsmahl, bei welchem der Wirth näher mit mir bekannt wurde, ward mir von diesem die Möglichkeit gezeigt, daß ich auf der Eisenbahn die siebzig Meilen bis Philadelphia frei fahren könne, wenn ich kein dummer Teufel wäre. Da er nun nicht glaube, daß ich unter die Zahl der Genannten gehöre, so mache er mir den Vorschlag, heute Abend, beim Rückgang der Eisenbahnwagen nach Philadelphia, ganz dreist einen derselben mit zu besteigen, besonders da diese Fahrgelegenheit nicht nach der Anzahl von Personen, sondern ins Allgemeine von der[S. 269] Gesellschaft, welche vom erstern Orte aus, um den Aufzug hier zu verherrlichen, angekommen sey, bezahlt worden wäre; es könne also auch nicht darauf ankommen, ob eine oder zwei Personen mehr führen. Ohne Bedenken, setzte er hinzu, könne ich in den Vorschlag eingehen, da es Niemandem einfallen würde, einen gut demokratisch Gesinnten aus der Gesellschaft zu weisen. Alles käme daher nur darauf an, wie ich die Rolle ausführen würde. Die Sache schien mir nicht ganz ohne Grund zu seyn, und was war weiter dabei zu riskiren? Im schlimmsten Fall mit ein Paar Ohrfeigen aus dem Wagen spedirt zu werden. Von der andern Seite betrachtet, war aber die Fahrt nach Philadelphia nichts anders als eine Wiederholung der Fahrgelegenheit, welche mich heute Morgen erst von Columbia frei hieher gebracht hatte. Dieses Letztere bestimmte mich, in den Vorschlag einzugehen.
Der Nachmittag wurde wieder in der Fabrik zugebracht, und zur rechten Zeit bestieg ich kurz vor dem Abgang des Eisenbahnzuges, einen der schon ziemlich besetzten Wagen. Um mir alle Nachbarschaft möglichst entfernt zu halten und von den zudringlichen Fragen verschont zu bleiben, die ich schwerlich richtig beantwortet haben würde, spielte ich, wie der Wirth mir gerathen hatte, die Rolle eines Halbseeligen, und mischte, wie ein richtiger Amerikaner in meine unverständliche Rede, ein „Goddamn“ nach dem andern, ein, schimpfte über General Harrison, einen Mann, den ich nicht kannte, welcher aber der Gegner meiner Reisegefährden war und ließ Van Buren, den derzeitigen Regenten und Gönner der Demokraten, welchen ich aber nicht weiter zu kennen, die Ehre hatte, hoch leben! Tobte, um lästig zu werden, eine Weile fort, bis ich das Bild eines Schlafenden darzustellen suchte, welchen zu wecken Niemandem in den Sinn kam, um nicht von Neuem beunruhigt zu werden und so kam ich ohne Anstoß und wohlbehalten in[S. 270] Philadelphia an. Leider ging aber während der Nachtfahrt für mich die schöne Gegend von Lancaster bis hieher, wie solche mir dieselbe geschildert worden war, verloren.
Aufenthalt in Philadelphia.
Im August 1840.[53].
Hier, wo ich mich nicht lange aufzuhalten beabsichtigte, durfte keine Zeit verloren gehen, um alles Merkwürdige in dieser Stadt zu besehen. Es wurden daher von mir am ersten Vormittag schon alle Aufträge besorgt und unter andern die vermeinte reiche Tante aufgesucht, in welcher Person ich aber, nach ihrem eigenen Geständniß, eine mit ihren Verhältnissen zwar zufriedene aber nichts weniger als wohlhabende Frau zu finden, die Ehre hatte. Herr Sontag von Erfurt, welchen ich ebenfalls besuchte, war zur Zeit außer Kondition und beabsichtigte in den südlichen Staaten ein Engagement als Kunstgärtner zu suchen.
In einem mir als billig empfohlenen Hôtel, welchen Charakter sich dieses Kosthaus beigelegt hatte, traf ich mehre, erst seit Kurzem angekommene Landsleute, unter andern den Oekonomen S., welcher verstimmt über fehlgeschlagene Pläne, nutzlos hier die Zeit verlebte und sich den Transport der Sachen zu erleichtern suchte! Mit einem Kollegen aus Bornheim bei Frankfurt wurde gleich nach gehaltenem Mittagsmahl die Wanderung durch die Stadt angetreten und das Forschen während meines viertägigen Aufenthaltes fortgesetzt. Was ich nun hier gesehen und gehört, will ich in Nachfolgendem zu schildern suchen.
Philadelphia, mit 200,000 Einwohnern, worunter 30,000 Deutsche seyn sollen, ist die größte Stadt im Staate Pennsylvanien und nach New-York die größte in den Vereinigten Staaten. Sie liegt zwischen dem Delaware- und Schuylkill-Fluß, über welchen Letztern sie hinaus geht und durch zwei Brücken mit diesem Stadttheil verbunden wird. Ihr Seehandel ist im Verhältniß zu Baltimore und New-York wenig von Bedeutung, ebenso sind hier nur wenige Fabrikanstalten etablirt. Das Drängen und Treiben der schaffenden Menge, wie dieses den ankommenden Fremden in erstern Städten überrascht, fehlt hier ganz, und läßt sogleich vermuthen, daß Philadelphia der Wohnsitz reicher Kapitalisten seyn muß, welche ihre Gelder weniger im merkantilischen Geschäfte zu vergrößern suchen, sondern es mehr durch Bank-Spekulationen oder durch Ankauf und Verkauf von Ländereien zu vermehren trachten, welches Letztere in Amerika einen Handelsartikel ausmacht, für den sich Geld-Spekulanten am mehrsten interessiren.
Bei der großen Menschenmasse, welche hier, da die mehrsten Häuser keine Höfe haben, zusammengedrängt leben, ist es auffallend, welche Stille in den volkreichen Gassen überall herrscht, mit Ausnahme der Water-Street, die mit dem Delaware-Flusse gleichlaufend, das Bild eines lebhaften Verkehrs bietet, welches aber den zu Schiffe ankommenden Fremden um so mehr überrascht, da er sich in seinen Erwartungen betrogen glaubt, hier die wegen ihrer Reinlichkeit so gerühmte Musterstadt Philadelphia zu finden, und nun bei jedem Schritt, den er vorwärts thut, der Gefahr ausgesetzt ist, im Schmuze stecken zu bleiben. Doch um so mehr wird man überrascht, je weiter man in der 100 Fuß breiten Marktstraße hinaufgegangen ist, wo längs derselben in der Mitte sich die überbauten reinlichen Markthallen befinden, in denen die Verkäufer, gegen das Wetter geschützt, ihre Erzeugnisse ausgestellt haben, und man[S. 272] auf beiden Seiten der Häuserreihen nichts als Kaufmannsgewölbe und Laden neben einander sieht. Allenthalben begegnen dem Blick in den geraden, sämmtlich mit Trottoirs versehenen breiten Straßen, von Backsteinen aufgeführte Häuser. Die mit Steinplatten ausgelegten Fahrstraßen sind sämmtlich, mit Ausnahme der Wasserstraße, sauber und rein, da sie mit unterirdischen Kanälen versehen sind, in welche wöchentlich einige Mal aller Schmuz gespült wird, wozu die zahlreichen Brunnenröhren das Wasser liefern. Schon wie die Fahrwege hinsichtlich der Reinlichkeit befriedigen, um so mehr werden die längs der Häuser 10–12 Fuß breiten und etwas erhöhten, mit Backsteinen belegten Fußwege gesäubert und alles Stäuben durch Sprengen vermieden. —
Lassen schon die geraden, sich immer quer durchschneidenden Straßen, den Fremden das verlassene Quartier leicht und sicher wieder auffinden, so erleichtert dieses noch mehr, der in jedem Kosthause aufgehängte Plan von Philadelphia und nach einem solchen liefere ich die Beschreibung vom Terrain der Stadt. — Von Osten nach Westen sind zwischen dem Delaware- und Schuylkill-Fluß neun Straßen gezogen, welchen die Namen von Bäumen, wie sie erst auf diesem Platze gestanden, gegeben worden sind, sie heißen: Wein-, Sassafras-, Maulbeeren-, Kastanien-, Wallnuß-, Fichten-, Tannen- und Cedern-Straßen. Diese Straßen, sämmtlich eine Stunde lang, werden durch dreiundzwanzig von Norden nach Süden laufende Straßen im rechten Winkel durchschnitten, welche nach der Reihenfolge vom Delaware anfangend, erste (Frontstreet), zweite, dritte u. s. w. bis dreizehnte Straße, heißen. Mit der dreizehnten Straße hört die vom Delaware hergeleitete Reihenfolge auf, und eine andere beginnt am Schuylkill, welche jedoch nur acht Straßen in sich begreift, nämlich: erste (Frontstreet), zweite u. s. f. — Zwischen der achten[S. 273] Schuylkill- und der dreizehnten Delaware-Straße liegt die Broad-Street, welche das Terrain der Stadt in zwei ungleiche Hälften theilt. Die Broad-Street ist 113, die Market-Street 100, die Maulbeer-Straße 60, und jede andere genannte Straße 50 Fuß breit. Außer diesen nach dem ersten Plane, welchen Penn, der Gründer der Stadt selbst entworfen, weit von einander angelegten Straßen, sind der Bequemlichkeit halber in späterer Zeit viele Zwischenstraßen errichtet worden, eben so hat sich die Stadt nach beiden Seiten erweitert und viele neue Straßen sind entstanden, welche jedoch alle, mit Ausnahme von Dock-Street schnur gerade sind. — Die Haupt-Markthalle, die größte in der Welt, erstreckt sich, von dreihundert Pfeilern getragen, durch die Mitte von Front- bis Fourth-Street. Außer dieser giebt es zur Bequemlichkeit des Publikums noch ähnliche Hallen in verschiedenen Theilen der Stadt.
Vom Thurme des Rathhauses, wo hinauf 180 Stufen geleiten, und der in der Regel von allen in Philadelphia ankommenden Fremden bestiegen wird, von denen eine Menge Reisender ihre Namen auf Säulen und Pfosten neben und über der Glocke geschrieben und als Andenken zurückgelassen haben, übersieht man mit einem Blick die unten auf einer Ebene sich ausbreitende herrliche Stadt, welche ein Parallelogramm bildet, mit Straßen, in denen mehrere Häuser oft nur einen einzigen Pallast darzustellen scheinen und geometrisch geordnete, in gegenüberliegenden Stadtvierteln befindliche Plätze, welche die Stadt zieren; sie sind theils, wie die Straßen mit Bäumen besetzt, zur Erholung in Freistunden einladend, oder durch in der Mitte derselben stehende prächtige Gebäude geschmückt.
Von dieser Thurmaussicht, von der mich der Führer auf alle merkwürdige Gebäude und Anstalten aufmerksam gemacht hatte, begab ich mich sogleich am ersten Tage noch zu dem eine Stunde von der Stadt am Schuylkill-Strome[S. 274] erbauten Kunstwerk, durch welches in alle Straßen der Stadt, und selbst bis in die höchsten Stockwerke der Häuser das Wasser geleitet wird. — Durch Erbauung eines Wehres ist der nöthige Fall geschaffen worden, welcher zum Umtreiben von drei 16 Fuß im Durchmesser haltenden Wasserrädern nöthig ist, die jetzt die Stelle einer früher in Anwendung gebrachten Dampfmaschine vertreten. Diese Wasserkraft setzt drei horizontal liegende Pumpen in Bewegung, welche durch eiserne Röhren täglich 4 Millionen Gallons (der Gallon à 4 Maas Wasser) in ein auf einem Hügel erbautes Bassin heben, welches 96 Fuß über der Oberfläche des Flußwassers erbaut ist. Von hier aus wird nun in eisernen Röhrenfahrten das Wasser überall in der Stadt verbreitet, wo es hauptsächlich bei Feuersgefahr, da in allen Straßen in gewissen Distancen Brunnenstöcke stehen, die den Spritzen das Wasser im Ueberfluß liefern, von größtem Nutzen ist. Die Erbauung dieser Wasserleitung soll einen Aufwand von 432,500 Dollars verursacht haben, weshalb jeder Eigenthümer eines Hauses nach der Menge Wasser, welche er verbraucht, jährlich 5–20 Dollars zu zahlen hat.
In der Nähe dieses Wasserwerks befindet sich auch das neue Gefängniß, einzig in seiner Art, da in ihm die Einrichtung getroffen ist, daß alle Gefangenen, einzeln verwahrt, immer beaufsichtigt werden können, ohne daß der Wächter von denselben gesehen wird. Zu diesem Zwecke hat man im Quadrat einen großen Hof erbaut, dessen Seiten eine Länge von 650 Fuß haben. Das einzige Thor, welches als Eingang dient, ist äußerst fest und massiv erbaut, und bildet zugleich das Erdgeschoß vom Gebäude, wo sich die Beamten-Wohnungen befinden. — In der Mitte dieses Hofes steht ein runder Thurm zum Aufenthalte der Wächter, von welchem Mittelpunkte aus, wie Radien eines Kreises, sechs lange Flügel angebaut sind,[S. 275] und die Wächter so, von einem Punkte aus, in alle Strahlen-Gänge sehen können. Jeder dieser sechs Flügel besteht aus einem gewölbten Corridor, an welchem auf beiden Seiten die Zellen für die Gefangenen, jede von acht Fuß Länge und fünf Fuß Breite, angebaut sind. Das Licht erhalten solche durch ein in der gewölbten Decke eingesetztes kleines Patent-Glas. Zum Darreichen der Nahrung ist vom Corridor aus eine kleine Oeffnung angebracht, durch welche der Wächter auch den Bewohner dieses Käfigs beobachten kann. Vor jeder Zelle befindet sich ein 16 Fuß langer und 7 Fuß breiter Hofraum mit einer 20 Fuß hohen Mauer umgeben, aus welchem der Eingang in die Zelle geht und dazu dient, um den Gefangenen täglich eine bestimmte Zeit den Aufenthalt in freier Luft zu gestatten. Außerhalb dieser Mauern kömmt er während seiner Gefangenschaft nie, und erhält auch durchaus keine Arbeit; eben so wenig darf er mit sich selbst laut sprechen oder singen, wodurch dieser Unglückliche hier lebendig begraben ist. Die Zellen, wie das ganze Gebäude, werden durch erwärmte Luft geheizt und es befindet sich in einer solchen, außer der Schlafstelle, nur noch ein Wasser-Closet, welches mit einer Hauptröhre in Verbindung steht, die unter dem Corridore den Flügel der Länge nach durchläuft.
Durch dieses Gefängniß auf die Verbrechen der Menschen aufmerksam gemacht, besuchten wir den andern Tag das Countygoal (Gefängniß), wo die Gefangenen in Verwahrung waren, welche sich noch in Untersuchung befanden. — In dem vordern Hauptgebäude sind die Wohnungen der Beamten und der Wächter, so wie die Verhörzimmer. In den beiden Seitenflügeln, wo in der Mitte ein Corridor den Eingang in die auf beiden Seiten desselben befindlichen Stuben gestattet, waren die Verbrecher untergebracht. Der eine Flügel faßte das männliche, der andere das weibliche Personal, und in beiden fehlte es nicht an Gesell[S. 276]schaft, obgleich die gute Einrichtung Statt finden soll, daß nur selten ein Gefangener länger als einen Monat, ohne gerichtet zu werden, hier sitzen soll. An Langweile leiden die Inhaftirten hier nicht, da nur die Hauptverbrecher, welche schon ihr grobes Vergehen gerichtet hat, oder solche, welche bei überführter That dennoch nicht eingestehen wollen, so lange in enge, dunkele Zellen eingesperrt sind, bis sie gewilliger, der Wahrheit die Ehre gegeben haben. Die andern Gefangenen dagegen leben in Truppen von 8 bis 10 Mann in reinlichen Stuben, wo sie auch des Nachts auf dem Fußboden schlafen und nur wollene Decken zum Zudecken erhalten. — Am Ende jedes Flügels ist ein Hofraum, in welchem die Gefangenen am Tage herumgehen dürfen, oder sich mit Zupfen von Roßhaaren beschäftigen. Selbst als Verbrecher glaubt der Weiße noch über seinem schwarzen Nebenmenschen zu stehen und sondert sich in gemeinschaftlicher Verwahrung von Letzterem dadurch ab, daß es dem Schwarzen nicht erlaubt ist, auf der Bank, wo schon ein Weißer Platz genommen hat, sich niederzulassen.
Das große weltberühmte Hospital mit seinen gefälligen Formen, welches an 10,000 Kranke fassen soll, ist von freiwilligen Beiträgen der Quäker-Gemeinde in einem großen Garten errichtet worden, und wird auch von dieser administrirt. Vor dem Hauptgebäude steht die lebensgroße Bildsäule William Penn’s in Quäkertracht, dem Gründer der Stadt Philadelphia zu Ehren, nach welchem auch der Staat Pennsylvanien seinen Namen erhalten hat. Ueberall soll in den innern Räumen der Anstalt eine musterhafte Reinlichkeit herrschen und der Wartung und Pflege der Kranken alle Aufmerksamkeit gewidmet werden. Das Innere der Gebäude betrat ich nicht, da eine besondere Aversion mich vor allen Lazarethen abschreckt, und mein Aufenthalt in der Anstalt zu New-York mir noch zu neu vor[S. 277]schwebte, um Lust zu bekommen, hier das Elend der leidenden Menschheit von Neuem zu sehen.
Noch viele andere milde Stiftungen, wie Waisenhäuser, Schulen und dergl. sind von den Quäkern errichtet worden und werden auch von ihnen mit erhalten. Machte mich schon die einfache Tracht dieser Gemeinde, welche sie von den 22 in Philadelphia sich aufhaltenden Sekten auszeichnet, aufmerksam, um so mehr fühlte ich mich durch ihre Werke veranlaßt, über ihre religiösen Grundsätze, die zu solchem Handeln führten, Erkundigung einzuziehen. — Die Tempel der Quäker sind einfach und ohne alle Ausschmückung; in denselben fehlt jedoch die Kanzel, da sie keine besondern Prediger haben, welche von dieser herab das Wort Gottes verkündigen, sondern sie glauben, daß der, welcher den Geist Christi in seinem Herzen aufgenommen, dieser nun in Erscheinungen, Träumen und geheimen Erleuchtungen sich kund gebe, weshalb ein Jeder predigen kann, ohne deshalb durch Studiren darauf vorbereitet zu seyn. Gott, sagen sie, berufe nicht die Weisen dieser Welt in den Vornehmen und Mächtigen, sondern die Einfältigen habe er auserwählt, daß sie die Weisen zu Schanden machen. Daher verhält sich die ganze Kirchenversammlung ruhig und ein Jeder erwartet so im stillen Gebet bis der Geist Gottes über ihn kömmt, und ihm die Worte in den Mund legt, welche er der Versammlung verkünden soll. Glaubt sich nun eine Person inspirirt, ob Mann oder Weib, so richtet solche sich im Sitze auf und drückt in ruhigem, gelassenen Tone die Gedanken ihrer Seele aus. Sie schwören nie einen Eid, weil dieses den Namen Gottes entheiligen hieße, wenn man solchen zum Zeugen der Wahrheit menschlicher Worte anrufe. Keine religiöse Meinung wird von ihnen verfolgt. Das Gewissen eines Andern zwingen wollen, hieße gegen Gott handeln, da dieser nur allein es erleuchten könne. In dem Zeichen der Erniedrigung vor einem an[S. 278]dern Menschen, glauben sie eitlen Stolz zu nähren. Du! ist das Wort, mit welchem sie Jeden anreden. Der Christ soll sein Leiden geduldig ertragen, sich weder rächen noch Blut vergießen. Die Sittenlehre Christi allein soll den Menschen führen, deshalb setzen sie eine geistige Gottesverehrung an die Stelle äußerer Ceremonieen, Liturgieen und kirchlichen Pomp. Hierarchische Grade machen die Religion nicht aus, sondern Reinheit des Herzens und gute Werke sind die Hauptsache. — Gegen sich selbst sind sie äußerst streng, entsagen Allem, was das Herz und die Gedanken von Gott abziehen könne, und meiden daher Tanz, Musik, Jagd, Hazardspiele und Theater. Ihre Kleidertracht ist einfach, und entbehrt allen Schmuck, sowohl bei Männern als Weibern (was zumal bei den Letztern gewiß viel sagen will). Arm oder reich, — Keiner zeichnet sich vor dem Andern aus, und nur einem Stande scheinen sie alle anzugehören. In jeder männlichen Gestalt glaubt man einen Landgeistlichen zu erblicken, da sie auf die Treue im Halten ihres gegebenen Worts und ihrem Wohlthätigkeits-Sinn stolz einhergehen, und der altmodische Schnitt des Frackrocks mit einer Reihe Knöpfe und einem Stehkragen, nebst breitkrämpigem Hut und Stock, vervollständigen das Bild. Selbst bei Todesfällen ändern sie nichts an der gewöhnlichen Tracht, legen nie besondere Trauer an, oder geben durch einzelne Symbole den Trauerfall zu erkennen.
Fortsetzung.
Im August 1840.
Von meinem Kollegen aufmerksam gemacht, welcher früher schon den Navy-Yard (Schiffswerfte) besucht hatte, begab[S. 279] ich mich auch dahin, um das große, im Bau begriffene Dampfschiff zu sehen, welches für Rechnung des Kaisers von Rußland hier gefertigt wurde. — Dieses kolossale Schiff, das unter einem, zu solchen Schiffbauten errichteten großem Gebäude stand, war, auf dem Deck gemessen, 250 Fuß lang und 40 Fuß breit, erhielt eine Maschine von 600 Pferden Kraft, und soll für die Summe von 420,000 Dollars verakkordirt worden seyn.
Mit der Zusammensetzung einzelner Theile des zu diesem Bau bestimmten Dampfkessels war man noch nicht weit vorgeschritten, und es ließ sich daher über die Konstruktion, welche von der gewöhnlichen runden Boiler-Form abwich, noch nichts Bestimmtes sagen. Nur so viel konnte ich beurtheilen, daß der Kessel eine Façon erhielt, welche bei wenigstem Brenn-Material und in der kürzesten Zeit das möglichst größte Quantum Dampf zu erzeugen im Stande seyn werde, wie die vielen Verbindungsröhren zwischen dem Siedkasten, welche alle vom Feuer umspült werden, es möglich machten. Bei einer solchen Konstruktion kommt alles darauf an, daß bei Anfertigung die größte Solidität Statt findet, da die komplizirte Zusammensetzung keine Reparatur zuläßt und deshalb auch dergleichen Dampferzeuger nicht für das Allgemeine anzuempfehlen sind. Man hatte daher auch, um die möglichst lange Dauer zu erzielen, statt Eisenplatten, hier Kupfer verwendet, damit außer dem Gebrauche solches nicht vom Roste ergriffen werden könne. Ueber die Größe der Summe, welche dieser Dampfkessel allein bestimmt, war ich erstaunt; leider ist solches, da es nicht sogleich von mir aufnotirt wurde, meinem Gedächtnisse entschwunden. Nur so viel kann ich mich erinnern, daß ich dabei bemerkte: bei uns kostet das größte Haus nicht so viel.
Gleich Baltimore sind auch hier große Mahlmühlen vorhanden, deren Konstruktion, wenn sie nicht durch Dampf[S. 280] in Bewegung gesetzt werden, denjenigen gleich ist, die ich schon angegeben habe. Vorzüglich werden diese Etablissements bei Anwendung von Dampfkraft in dem größten Maaßstabe ausgeführt, wovon man sich erst einen Begriff machen kann, wenn man Dampfmaschinen von 80–100 Pferde Kraft acht Paar Steine in Bewegung setzen sieht, die täglich 50–60,000 Pfund des feinsten Mehls liefern. Der Mechanismus einer solchen Mühleneinrichtung, welcher sich im ganzen Gebäude verbreitet, verrichtet alle vorkommenden Arbeiten, ohne alles menschliche Zuthun. Nur zur nöthigen Beschickung der Dampfmaschine und Verpackung des Mehles sind ein Paar Arbeiter vorhanden.
Auf einer Schneidemühle, wie ich eine ähnliche zu sehen schon in New-Orleans Gelegenheit hatte, fand ich auch hier eine Maschine im Betrieb, welche die Breter zu gleicher Zeit hobelt, fugt, den Wasserspunt anzieht und alles mit einer Schnelligkeit, daß immer ein Arbeiter beschäftigt war, das fertig aus der Maschine kommende Stück wegzunehmen und ein zweiter Gehülfe ein neues Bret einlegen mußte. Der Unterschied bei diesen Maschinen bestand darin, daß die Eine den Spund anhobelte, die andere dagegen, mittelst kleiner Cirkelsägen, solchen anschnitt, welches Letztere mir räthlicher schien, da die abgeschnittenen Federn weniger Kommersch verursachten und leichter beseitigt werden konnten, als dieses bei den wie Spreu herumfliegenden kleinen Hobelspänen der Fall war.
Durch die in kleineren Steinhauer-Werkstätten sich mit Zerschneiden von Marmor- und Granit-Blöcken beschäftigenden Arbeiter wurde ich von Neuem an die von Dampfkraft in Bewegung gesetzten Sägemaschinen erinnert, wie ich dergleichen schon in New-York, Cincinnati und Baltimore gesehen hatte. — Eine dieser Anstalten, welche mit der Kraft von 12 Pferden arbeitete, setzte eine Gittersäge mit funfzehn Blättern in Bewegung, so daß mit einem Schnitt[S. 281] der aufgelegte Block, wenn er die dazu nöthige Breite hat, in sechszehn Platten getrennt wird. Auf die Länge der Steine kommt es nicht an, aber nur bis zu einer Breite von fünf Fuß können solche geschnitten werden, da dieses die Sägeblattlänge bestimmt. Möchten doch unsere Steinhauer, welche jetzt mit ihrem Pulversprengen und Abschällern der Steine so viele gute Werkstücken zu dem bestimmten Zweck unbrauchbar machen, sich dieser amerikanischen Methode bedienen, und, wenn sie auch nicht Dampfmaschinen in Anwendung bringen, wenigstens nur, wie hier auch tausendfältig geschieht, mit großen Handsägen arbeiten. Die Menge von Verbrauch solcher geschnittenen Steinplatten, und die Schnelligkeit, mit welcher solche Gittersägen arbeiten, mag daraus hervorgehen, daß zwanzig Menschen während ihrer ganzen Lebenszeit nicht so viel Schnitte zu thun vermögen, als in einem Jahr eine solche Maschine macht.
Auch die großen Porter-Brauereien, worauf mich schon in der Heimath Gall’s Reisebericht aufmerksam gemacht hatte, sind zu besehen und hauptsächlich Bierbrauern zu empfehlen. Wie sehr bleiben hinter diesen nicht unsere Anstalten zurück! Mehr noch, als in der großen Branntweinbrennerei zu New-York wird hier zu allen Arbeiten, welche in unsern Brauhäusern durch Menschenhände verrichtet werden, Dampfkraft verwendet. Die Früchte hebt die Maschine vom Wagen auf die obersten Böden des Brauhauses, von wo aus solche in die großen Quellbottiche laufen, und zu bestimmten Zeitabschnitten von der Maschine mit frischem Wasser übergossen werden. Ist die Frucht nach gehöriger Weiche auf die Malztenne hinabgelassen und durch die Maschine in die gehörigen Haufen gebracht worden, so sorgt solche ebenfalls durch kunstgerechtes Wenden, daß alle Körner den richtigen Wurzelkeim erhalten, worauf das gewachsene Malz ebenfalls durch Dampfkraft auf die Schwelgböden gehoben, ausgebreitet und gewendet wird.[S. 282] Von hier läuft es auf die Malzdarre, wo die Maschine ebenfalls das Umwenden besorgt. Auf die Speicher über der Mühle gehoben, wird es von solcher, welche gleich den andern Maschinen durch Dampf in Bewegung gesetzt wird, geschroten. Ferner bringt die Dampfmaschine das Schrot in drei ungeheuere Würzbottiche, rührt es darin um, pumpt das erforderliche Wasser und hebt die Würze in die Braukessel, von hier läuft solche auf Rinnen in die, Teichen ähnlichen, Kühlschiffe, wo sie ebenfalls durch mechanische Vorrichtung umgerührt und so, schnell abgekühlt, in den Keller fließt. Von hier aus wird das Bier ebenfalls durch Dampfkraft zum Verkauf aus den Lagerfässern in die im Hofraum liegenden Barrels (Fässer) aufgepumpt. Alle diese Verrichtungen setzt die Dampfmaschine mit ihren mechanischen Verbindungen Tag und Nacht fort und nur fünf oder sechs Menschen sind dabei nöthig.
So gern ich auch in die Kellerräume hinabgestiegen wäre, so geboten doch meine finanziellen Umstände die größte Sparsamkeit und da ohne Geschenk der in diesem Departement angestellte irische Arbeiter keine Lust bezeugte, mir dahin freien Eintritt zu gestatten, so mußte ich auf das, was Gall mit folgenden Worten beschreibt, mit eigenen Augen zu sehen, verzichten:
„Was mich bei dem Eintritt in den Keller ebenso in Erstaunen setzte, waren die ungeheuren Bierfässer, oder vielmehr Kufen, in welchen das Bier für die heißesten Sommerwochen, in welchen nicht gebraut werden kann, aufbewahrt wird. Eins dieser Riesenfässer enthielt 3000 Barrels oder, das Barrel zu fünf Dollars angeschlagen, für 15,000 Dollars oder 80,000 Franks Porter. Es maß 27 Fuß im Durchmesser und hatte dabei eine Höhe von 22 Fuß. Noch vierzehn andere, jüngere Riesen von 600 bis 1000 Barrels, wovon jedoch nur fünf gefüllt waren, standen in einem und demselben unermeßlichen Gewölbe. —[S. 283] Man läßt das Bier, damit es sich möglichst vollkommen reinige in kleinen Fässern von einem Barrel, gähren. Sechs hundert hierzu bestimmte Fässer liegen in zwölf langen Reihen auf eben so vielen, beinahe achtzig Fuß langen Rinnen, welche sich nach einem Ende um etwa acht Zoll neigen. Die Hefe aus allen diesen Rinnen, ergießt sich in ein großes gemauertes Becken, aus welchem sie in besondere Gefäße aufgepumpt wird. Nachdem es hierauf ausgespült worden, werden die Fässer auf den Rinnen umgedreht, das Bier strömt alsdann in dasselbe Becken zusammen und wird durch die Maschine in die erwähnten Aufbewahrungskufen gehoben.“
Dieses hier gebraute Getränke, welches in die meisten Staaten versendet wird, ist dem Deutschen in Amerika, unter den Namen: Porter, Englisch Ale oder Strong-Beer bekannt, und ist, wie dieses die Amerikaner lieben, äußerst stark, so daß ein Bierglas voll davon schon berauscht. Aus gewöhnlichem Bier, wie es bei uns gebraut wird, machen sich die Amerikaner nichts. Es haben daher schon mehrmals deutsche Bierbrauer mit verschiedenen Sorten von Bieren Versuche gemacht, aber ohne Glück. Ja, eine auf Baierische Manier eingerichtete großartige Bierbrauerei, welche des guten Wassers halber in Newark sich etablirt und Niederlagen in New-York errichtet hatte, mußte schon im ersten Jahre aus Mangel an Absatz den Betrieb wieder einstellen, obgleich ihr Produkt, wie mir versichert war, äußerst gut gewesen seyn soll. — Da nun die Porter-Biere zu theuer und stark sind, so wird für gewöhnlich außer Thee und Kaffee, selbst von den vornehmsten Familien, nur Wasser getrunken. Die ärmere Klasse, bei welcher das viele Wassertrinken häufig Bauchgrimmen verursacht, findet darin den schönsten Grund, einem Glas Wasser, ein Glas Whisky, (Branntwein aus türkischem Waizen, oder Welschkorn, in Amerika Mais genannt) nach[S. 284] zu schicken. Der ankommende Deutsche aus dem Bierlande vermißt daher nichts mehr, als sein gutes nahrhaftes Getränk und deshalb haben Spekulanten in allen größern Städten kleine Hausquetschen etablirt, wo Halb- oder Small-Bier fabrizirt wird. Dieses hat nun zu Errichtung deutscher Bierhäuser Anlaß gegeben, welchen Verkaufsgeschäftes sich die Frau befleißigt, während der Mann seiner Hände Arbeit nachgeht. Der Verkauf des Biers unterliegt noch keiner Abgabe, da diese kleinern Lokale nicht der Beachtung werth scheinen und größere Restaurationen schon hinlänglich auf spirituöse Getränke besteuert sind, worunter das Porter mit gerechnet wird.
Da ich schon in New-Orleans, Baltimore und Washington versäumt, die dasigen Museums zu besuchen und mir gleichsam diesen Genuß bis jetzt aufgespart hatte, so fand ich auch hier zusammen, was wahrscheinlich jene drei Museen nicht bieten können. Aller hier in Peals-Museum zu Philadelphia aufgestellten naturhistorischen Gegenstände zu erwähnen, noch gar zu beschreiben, fühle ich mich viel zu schwach. Es soll diese Bemerkung nur als Fingerzeig gelten, damit meine Landsleute, welche dieses lesen und hieher kommen sollten, nicht versäumen, eines der größten Museen der Welt zu sehen.
Das merkwürdigste Stück ist ein im Staate New-York in einem Sumpf aufgefundenes Mammuths-Skelett, dessen Höhe zwölf und seine Länge 18 Fuß beträgt. Die Vorderzähne fehlen, dagegen sind die beiden Fangzähne um so auffallender, da jeder über fünf Fuß lang und an der Wurzel zehn Zoll im Durchmesser stark ist. Die Backzähne haben, wie angegeben wird, 1½ Fuß im Umfang und sind vier Pfund schwer. — Die über 5000 Exemplare starke Vögelsammlung enthält Alles, vom Strauß bis zum kleinsten Kolibri herab, und unter den schön gefiederten Papageien, Paradiesvögeln &c. zeichnet sich vor Allem eine, in[S. 285] einem besondern Glaskasten stehende Mäunra aus. Von den vielen Schlangen, welche theils leben, sind die Klapperschlangen am Auffallendsten. Außer einer großen Menge vierfüßiger Thiere, Fische, Insekten, Raupen, Schmetterlinge, Conchilien und Mineralien, sieht man noch verschiedene thierische Mißgeburten, Menschen- und Thier-Schädel, wie ganze Gerippe. Eben so interessant sind die mannichfaltigen Waffen und Kostüme indianischer Stämme, so wie die Bildergallerie ausgezeichneter Staatsmänner und Gelehrter aus der alten und neuen Welt.
Ein heftiger Wortkampf, welcher am gestrigen Abende alle Anwesenden in unserer Wohnung in Allarm brachte, gab Anlaß, daß heute mehrere der Gäste an Ort und Stelle sich von der Ursache des Streites überzeugten, welchen ich mich anzuschließen nicht verfehlte. — Es sollten nämlich einige Tage vor meiner Ankunft in Philadelphia in einem Stadttheile, durch das Gesetz dazu berechtiget, von der Eisenbahn-Kompagnie die Schienen gelegt werden, da aber die daselbst Wohnenden sich in ihrem Marktgeschäft beeinträchtigt glaubten, so widersetzten sie sich der weitern Arbeit und demolirten einen Theil der schon fertigen Bahn. Auf desfalsiges Anrufen des Gesetzes, wodurch die Polizei einzuschreiten suchte, nahm die Erbitterung der Demolirenden zu, welches den Gerichtshof veranlaßte, die Miliz zu requiriren, um mit entschiedener Kraft einschreiten zu können. Leider kam aber Letztere den erhaltenen Befehlen nicht nach, wodurch die Insurgenten in ihrem Muthwillen noch mehr bestärkt wurden und sich erfrechten, die Eisenbahngebäude, nebst den Gasthof des Herrn Emory in Brand zu stecken, und die herbeieilenden Spritzen vom Löschen abzuhalten. Herr Emory hatte nämlich für einige zwanzig Polizei-Offizianten, welche zur Herstellung der Ordnung möglichst gewirkt hatten, eine Abendmahlzeit bereitet. — Hiernach kann man beurtheilen, wie schwach die Gesetzge[S. 286]bung bei Ausübung ihrer Rechte in diesem sich freidünkenden Lande ist, da sie nicht einmal vermag, das Eigenthum der Bürger und die erworbenen Rechte einer Gesellschaft vor der Willkühr roher Menschen zu schützen.
Am Morgen des vierten Tages meines Aufenthaltes waren Philadelphia’s Straßen wie ausgestorben, und keine Spur war vorhanden, daß hier 200,000 Menschen zusammen verkehren sollten. Die Feier des Sonntags hatte alle Geschäfte gelähmt, und selten verließ Jemand das Haus eher, als die Kirchenglocken zum Gebet in die Tempel riefen. Auch ich konnte diese Zeit nicht besser benutzen, als in frommer Andacht an Gottgeweihter Stätte mich der ferneren göttlichen Gnade zu empfehlen. In einem Tempel der Quäkergemeinde, welche Sekte mich durch ihre Handlungsweise für sich eingenommen hatte, ließ ich mich nieder. Die Räume waren mehr als überfüllt und eine tiefe Stille, welche nur durch neugierig Kommende und Gehende unterbrochen wurde, herrschte im Gebäude. Wohl eine Stunde harrte ich der Dinge, die da kommen sollten, doch vergebens. Keiner der Frommen glaubte sich vom Geiste inspirirt, um durch lautes Gebet den Andern seine Gedanken vorzutragen und Alle murmelten nur still vor sich hin. Dadurch ward ich zuletzt selbst gelangweilt und verließ den Ort, um eine andere von den 60 hier vorhandenen mitunter prachtvollen Kirchen zu besuchen.
Leider hatte ich durch Erkältung heute wieder viel von Kolik zu leiden und ich sah mich genöthigt, auf dem Wege zum Tempel in einer Apotheke einzusprechen, worauf ich, ins Quartier zurückgezogen, mir Linderung zu verschaffen suchte.
Die Theater hier zu besuchen, erlaubte der Stand meiner Kasse nicht, und nur auf die nöthigsten Ausgaben beschränkt, war es möglich; mit der Baarschaft New-York wieder zu erreichen, wohin ich mit dem Dampfschiffe am[S. 287] Morgen des 11. August abzugehen gedachte. Doch die Schmerzen nahmen am Abend zu, und der Leibesschaden machte die Hülfe eines Arztes nöthig, wodurch die zur Fuhre bestimmten letzten vier Dollars mit angegriffen wurden und ich so am nächsten Morgen zwar von Schmerzen befreit, doch sehr schwach, von Neuem den Wanderstab ergriff und zu Fuße langsam dem auf meiner Tour liegenden Newark zu pilgerte, wo ich in Freundes Armen wieder einen Tag der Ruhe genießen konnte.
Wanderung nach Newark.
Im August 1840.
Ohne Reisegefährten mußte ich Philadelphia verlassen, und der sieben Stunden lange Weg bis Bristol ward mir zur Ewigkeit, da kein gesellschaftliches Gespräch die Zeit kürzte und die matten Glieder oft der Ruhe bedurften. Dabei war der Gedanke, daß man in bessern Verhältnissen, als die meinen, diese Reise schnell und ohne alle Strapaze machen könne, nicht geeignet, meine trübe Stimmung zu erheitern. Erst spät kam ich am letztern Orte an, traf aber zum Glück eine mitleidige Seele, welche mich für wenige Zahlung gut aufnahm.
In Bristol werden die mit dem Dampfschiffe auf dem Delaware-Flusse nach New-York reisenden Passagiere ausgesetzt, und von da auf Wagen 40 Meilen zu Land bis Brunswick befördert, wo sie ein anderes Dampfschiff, welches Passagiere von New-York gebracht hat, als Retour-Fracht aufnimmt und auf dem Rariton-Flusse und Hudson nach letzterer Stadt bringt.
Bei stattfindendem starken Verkehr der beiden Hauptstädte Amerika’s, New-York und Philadelphia, rentirte diese Dampfschifffahrt sehr gut, welches andere Spekulanten auf die Idee brachte, zwischen beiden genannten Städten eine direkte Verbindung herzustellen, und über Newark eine Eisenbahn zu errichten. War auch das Terrain dem Unternehmen wenig günstig, so hielt man sich doch bei der Vorrede nicht lange auf. Die nachgesuchte Erlaubniß zum Bau wurde von der Regierung, um sich der Betheiligten Gunst zu erhalten, gegeben, und über das Aber (welches immer bei uns die größte Schwierigkeit bietet), wie die nöthigen Gelder herbeizuschaffen seyen, war man hier, wie immer, weniger besorgt. Die Presse kam in Thätigkeit, und in Kurzem lagen so und so viele Millionen Papiernoten zur Disposition bereit. Ein Berg wurde in successiver Steigung in krummer Linie befahren, stundenlange Schluchten durch Sprengen haushoher Felsenmassen gebildet, morastige Stellen durch Roste und Knüppeldämme zu festen Unterlagen geschaffen und große, herrliche Brücken geleiteten über die Flüsse.
Terrain-Schwierigkeiten kennt der Amerikaner nicht, denn ist einmal die Ausführung eines projektirten Unternehmens beschlossen, so werden alle Hindernisse beseitigt und ich hege den Glauben, legte sich unser Herr Gott selbst dazwischen, sie wären im Stande, ihn aus dem Wege zu schaffen.
Was zu befürchten stand, traf ein. Die Eisenbahn-Gelegenheit wurde mehr benutzt als die Dampfschiffe, und die Interessenten der Letztern setzten daher den Fahrpreis herab, um dadurch das Publikum wieder für sich zu gewinnen. Doch die Eisenbahn-Gesellschaft blieb nicht zurück und beförderte von dieser Zeit an die Reisenden noch billiger, worauf die Dampfschiff-Aktionäre zum Aeußersten schritten, und ihre Schiffe dem Publikum zur unentgeld[S. 289]lichen Benutzung offerirten. Tausende machten jetzt von dieser Gratis-Fahrgelegenheit Gebrauch, und die Herren Gastwirthe beider Städte befanden sich dabei am wohlsten. Doch nur zu bald sahen beide Gesellschaften ein, daß sie ihr unsinniges Handeln zu Grunde richten mußte, und trafen das Uebereinkommen, nur für einen bestimmten Preis (à Person 4 Dollars) die Passagiere zu befördern.
Die Dampfschifffahrt, welche bei weniger Schnelle dem Reisenden mehr Angenehmes bietet, als es auf der Eisenbahn der Fall ist, hat noch durch ihre Eisenbahn-Verbindung der Städte Bristol und Brunswick, wo früher nur Eilwagen hin und hergingen, sehr gewonnen.
Die schöne Witterung am 12. dieses und der Umstand, daß ich wieder von allem Leibesschmerz befreit war, machte das Fußreisen weniger lästig, und heitern Sinnes durchwandelte ich längs des Delaware die herrliche Gegend, in der immer reichlich angebaute Felder, hübsche Landhäuser und Bauernhöfe, mit Scheunen und Wirthschafts-Gebäuden umgeben, wechselten. Obstgärten, Hügel, Thäler und waldige Höhen boten sich dem Auge in mannichfaltigen Gestalten dar, und das Weiden zahlreicher Heerden auf fetten Wiesen und die geschäftige Thätigkeit der Landleute auf den Feldern brachte Leben in die Natur.
Hier ist es auch, wo am Ufer des Delaware auf einer Anhöhe, welche die herrlichste Aussicht gewährt, Joseph Buonaparte, der vormalige König von Spanien, seinen Landsitz aufgeschlagen hatte und unter dem Namen eines Grafen Survilliers den Amerikanern bekannt ist.
In Trenton, der Hauptstadt vom Staate New-Jersey, führte mir der Zufall einen Dresdner, von Profession ein Schneider, wieder zu, welcher in den Freudentagen zu New-Orleans, wo auf Regiments-Unkosten gelebt wurde, eine Hauptrolle spielte. Von diesem erfuhr ich, wie sich der Geschäfts-Zustand nach meiner Abreise zur See um[S. 290] nichts gebessert, täglich der Arbeit Suchenden mehrere geworden, und Vielen durch Veräußerung ihrer Sachen es erst möglich geworden sey, die Reise nach St. Louis zu machen, wo sie jedoch aus dem Regen in die Traufe gerathen seyen. Ihm selbst sey, im Besitz der englischen Sprache und einiger musikalischen Kenntnisse (die Guitarre führte er immer bei sich), das Weiterreisen nach den nördlicher gelegenen Staaten weniger schwer geworden und er wäre jetzt im Begriff, in Philadelphia sein Glück zu suchen, da er dasselbe in New-York ebenfalls nicht gefunden habe. — Dies passirte einem Schneider, sonst eines der besten Geschäfte in Amerika, welcher im Besitz der englischen Sprache, von angenehmem Aeußern, und dabei eine Kunstfertigkeit besaß, die nicht allen seinen Zunftgenossen eigen ist, wovon ich mich, während unseres Zusammenwohnens in Orleans, zu überzeugen Gelegenheit hatte.
In der Stadt Trenton, mit 3000 Einwohnern, ist außer dem Court-House nichts besonders Merkwürdiges zu sehen, was mir aufgefallen wäre; sie besitzt nur eine lange breite Hauptstraße mit wenig Querstraßen und unter den großen steinernen Häusern zeichnet sich besonders das State-House und das Bankgebäude aus. — Um so merkwürdiger ist aber die nach besonderer Konstruktion über den 1000 Fuß breiten Delaware-Fluß errichtete bedeckte Brücke. In acht großen, 36 Fuß breiten und 135 Fuß weiten Bogen, welche das Dach der Brücke tragen, hängt zugleich die Brücke selbst. Jene Bogen, aus fünf oder sechs übereinander gelegten, drei Zoll starken tannenen Bohlen gebildet, ruhen mit ihren Enden auf großen Pfeilern, welche sich über 40 Fuß hoch aus dem Flusse erheben. Die Brücke selbst liegt auf Querbalken, welche starke eiserne Stangen-Bolzen mit den hohen Bögen verbinden. Längs der Mitte theilt eine Scheidewand die Brücke in zwei Hälften, wodurch nicht allein zwei Fahrstraßen gebildet werden, von[S. 291] welchen der Fuhrmann die zur Rechten einschlagen muß, wie die Ueberschrift an beiden Einfahrten besagt, sondern sie trägt auch die unter ihr liegenden Balken mit, und giebt so dem Baue eine noch größere Festigkeit.
Beim Passiren der Brücke wurde mir eine nicht geringe Verlegenheit bereitet, als 10 Cent. Wegegeld verlangt wurden und meine ganze Baarschaft nur noch in einer Zwei-Dollar-Note bestand. Um mir diese Ausgabe zu ersparen und hier nicht wechseln zu müssen, schützte ich vor, nicht im Besitze irgend einer Geldsorte zu seyn, und bat deshalb um freien Durchlaß. Doch alle in deutscher und englischer Sprache gethanen Vorstellungen halfen nichts, keine Grimasse war im Stande die Herzen zu rühren, und so stand ich wohl eine halbe Stunde lang wie ein Narr, unschlüssig, was ich thun oder lassen sollte. Ich hätte die Kerls, welche den Weg verrammelten, umbringen können. Die Note, meinen letzten Reichthum, jetzt hervorzuholen, war um so weniger räthlich, weil ich dadurch zeigte, daß ich die Geldeinnehmer nur zum Besten gehabt, und dann gewiß ein Paar amerikanische Rippenstöße auf den Weg gratis erhalten haben würde; wer mag wissen, wie lange ich noch wie ein armer Sünder an diese Stelle gebannt gewesen wäre, wenn nicht ein in einem Cabriolet ankommender Gentleman meinen Zahlmeister gemacht hätte.
Die Gegend bis New-Brunswick ist hügelig und größtentheils waldig, doch längs der Straße gut angebaut, und überall wechseln große Meierhöfe mit kleinen Farmen ab.
In Princeton, einem noch wenig ansehnlichen Ort, welchen man auf der Tour nach ersterer Stadt passirt, befindet sich eine Hochschule, die für eine der vorzüglichsten in den Vereinigten Staaten gehalten wird und von mehr als 200 Studirenden besucht werden soll.
Kingston dehnt sich längs der Straße in einer doppelten Häuserreihe aus, und gewährt dem Reisenden eine freundliche Ansicht. — Am Ende des Ortes traf ich einen Quacksalber am Chausseegraben sitzend, beschäftigt, die in Unordnung gekommenen Pillen, Latwergen, Wundertropfen und sonstigen Universalmittel wieder zu ordnen, da sein Medizinkasten, welchen er gleich einer Drehorgel trug, eher vom Wagen, auf welchen ihn ein mitleidiger Farmer bis hieher mitgenommen, die Erde erreicht hatte, als er selbst. So bedauerlich auch dieser Vorfall war, so konnte ich mich doch des Lachens nicht enthalten, als ich ihm behende die übrigen Tropfen aus verschiedenen zerbrochenen Gläsern in unversehrt gebliebene leere Fläschchen durcheinanderfüllen sah, woraus ein Tränkchen bereitet wurde, welches gewiß mit einem Male von Zahnschmerz, Magendrücken und Podagra geholfen hat. Dieser Deutsch-Amerikaner verleugnete anfänglich sein Vaterland, wie es gewöhnlich die Deutschen, wenn sie der englischen Sprache erst kundig sind, an der Mode haben; da er aber in mir einen Weimaraner erkannte, und er aus Leipzig abzustammen vorgab, so öffneten sich die Herzen, und nachdem er einige meiner amerikanischen Affairen vernommen hatte, so theilte auch er mir mit, daß er eigentlich ein gelernter Haarkräusler sey, bei seiner Ankunft in New-York aber auf sein Geschäft kein Unterkommen gefunden, und daselbst die sich darbietende Gelegenheit benutzt, in einer Barbierstube die vakante Stelle eines Barbierbeflissenen einzunehmen, weshalb er Kamm und Scheere dem Rasirmesser untergeordnet habe. Während seiner Condition in Lancaster sey ihm beim Herausnehmen eines Zahnes, in dem Patienten die Bekanntschaft eines herumreisenden Wunder-Doktors geworden, und dieser habe ihn bestimmt, einen ähnlichen Erwerbszweig zu ergreifen, der mehr als Kamm, Scheere und Rasirmesser zu rentiren verspreche. In New-York[S. 293] habe er sich mit dem Nöthigen versehen und sey eben auf der Reise nach Pennsylvanien begriffen; leider gebe aber der heutige Unfall nicht die besten Aspecten für die Zukunft.
Hierbei erlaube ich mir eine interessante Bekanntmachung aus Gall’s Reisebericht anzuführen, woraus man sehen kann, wie ausgedehnt mancher Quacksalber hier sein Geschäft betreibt: „Herr T. W. Dyott, der bei seiner Ankunft in Philadelphia das bescheidene Gewerbe eines Schuhputzers trieb, dann Schuhwichse fabrizirte, versendet gegenwärtig täglich ganze Ladungen von Arzneien nach allen Richtungen ins Innere des Landes bis nach Pittsburg, von wo sie auf dem Ohio, dem Mississippi und Missouri zum Theil über 2000 Meilen weit verschifft werden. Dieser Wunderdoktor kündigt in der Union und in der United-States-Gazette, indem er sich einen grand-son of the celebrated Dr. Robertson (Enkel des berühmten Dr. Robertson) nennt, 147 verschiedene Salben, Pillen, Tränkchen, Pflaster, Tropfen, Oele, Tinkturen gegen alle wirklichen und noch möglichen Feinde der menschlichen Gesundheit an. Eine große Anzahl dieser Universalmittel gegen alle nur erdenklichen Zahn-, Ohren-, Augen-, Lungen-, Magen-, Nerven-, Gallen-, Leber-, Nieren- etc. Uebel, führen des Herrn Doktors eigenen Namen, z. B. Dr. Dyott’s infallible patent tooth-ache-drops. (Dr. Dyott’s unfehlbare Patent-Zahnschmerzen-Tropfen), welche er, als eine eigene Erfindung, vermöge eines Patents vierzehn Jahre lang allein fabriziren darf. Auch wer Schönheit und blühende Farbe bis ins späteste Alter erhalten will, wird in seinen Anzeigen das dazu Nöthige finden.“ Nach den blassen Leichengesichtern der Amerikaner aber zu urtheilen, scheinen diese Mittelchen bisher noch nicht die erwünschte Vollkommenheit erreicht zu haben.
New-Brunswick, am Rariton-Flusse, ist schon eine ansehnliche Stadt mit einer breiten Hauptstraße, welche von andern weniger breiten im rechten Winkel durchschnitten wird. Die Häuser sind meist von Stein aufgeführt, und geben durch ihre Größe dem Ganzen ein imposantes Ansehen. Die Umgebung des Orts ist äußerst reizend, gut angebaut und mit netten Landhäusern verziert. Ueber den Fluß führt eine hölzerne Brücke, welche gleich der bei Trenton für die Fuhrwerke in zwei abgesonderte Wege getheilt ist.
Der Stand meiner Kasse war ziemlich erschöpft und erlaubte nicht, ein Gasthaus in Brunswick zu beziehen; ich verließ daher gegen Abend noch die Stadt, um Nachtquartier bei einem gastfreundlichen Landmanne zu suchen. Doch Fortuna war mir nicht hold, Gott mochte wissen, mit was ich das Weib schon wieder einmal erzürnt hatte. Schon zweimal von Farmern abgewiesen, wurde beschlossen, da die Nacht eben nicht kalt war, unter freiem Himmel zu campiren und eine Hafermandel gleich einem Kanninchen zu beziehen.
Was ist doch der Mensch nicht für ein närrisches Geschöpf; entweder ist er bestimmt, die höchsten Stellen im Leben zu bekleiden und auf seidenen Matten zu ruhen, oder unbeachtet und vom Geschick bis zur Lagerstelle des Thieres auf dem Felde verwiesen.
Hatte ich auch Ruhe hier vor den Wanzen, dem häßlichen Ungeziefer, welches überall in den Vereinigten Staaten heimisch ist, so stachelten doch die Strohhalme um so empfindlicher an Kopf und Gesicht, da der Nachtthau nöthigte, mich tiefer zu verscharren und eine Decke zu bilden. An Schlaf war nicht zu denken; der rege Geist schweifte aus der Vergangenheit in die Zukunft über, und aus meiner Jugendzeit, die ich auf der Wanderschaft verlebt und auf derselben viele Nächte auf hartem und unbequemem Lager zugebracht,[S. 295] stellte sich manche Scene lebhaft dem Gedächtnisse vor. — Wer hätte mir vor 23 Jahren in der Hungerzeit 1817, wo ich als Bäckergeselle ohne Erlaubniß Rußlands Gränzen überschritt, und dafür mit meinen drei Reisegefährten, auf Stroh gebettet, mit dem Kantschu gestriegelt ward, oder, nachdem ich das Geschäft changirt, im Jahre 1822 als Kupferschmidt auf der Wanderschaft nach der Türkei begriffen, in Ungarn die Bekanntschaft der Wölfe machte, auch später staunend den Rheinfall bei Schaffhausen als etwas Großartiges bewunderte — wer hätte mir zu jener Zeit voraussagen können, daß ich in Amerika noch Manches sehen, noch Vieles erfahren würde, was meine frühern Lebensereignisse in den Hintergrund verdrängen könnte? Doch, je mannichfaltiger die Gegenwart sich um mich gestaltete, um so mehr wurde die Neugier auf die Zukunft gesteigert, und was mag wohl das Schicksal mir noch alles aufgespart haben, bevor die Pilgerschaft in dieser Welt vollbracht, und ich hingehe in das Reich, von wo aus den Hinterbliebenen keine Reiseberichte zugeschickt werden können.
Der freundliche Morgen schaute schon in meine Strohhöhle hinein, als ich, der erst spät entschlummert war, von dem Gerassel vorbeifahrender Wagen geweckt wurde. Schnell war die Toilette gemacht, das Reisegepäck geordnet und von dem Nachtquartier Abschied genommen, bei welchem kein gefälliger Wirth, von handausstreckenden Marqueuren umgeben, glückliche Reise und baldiges Wiederkommen wünschte. Was mögen wohl beim Auffinden des leeren Nestes die Amerikaner gedacht haben, da dergleichen Acquisitionen hier nicht, wie es häufig bei uns geschieht, vorkommen? —
Der hungerige Magen und der schlaffe Geldbeutel spornten zur Eile, da bis Newark nicht eingekehrt werden durfte, und jemehr man sich den Hafenstädten näherte, um so mehr pflegte die Freigiebigkeit der Menschen abzunehmen.
Aufenthalt in Newark.
Im August 1840.
Der Stiefsohn des Herrn Riemermeister Wimmer, Freund Köhler, welchen ich schon gleich nach meiner Ankunft in Amerika, zu Newark besucht und mit Briefen aus der alten Heimath erfreut hatte, nahm mich zum zweiten Male herzlich auf und war hoch erfreut, daß ich Wort gehalten und ihn nach vollbrachter Reise, wie ich versprochen, wieder aufgesucht habe und nun über Alles berichten konnte.
Dieser Landsmann war noch am Ausgange der Zeit, in welcher in Amerika leichter wie jetzt Geld verdient wurde, hier angekommen, und hatte sich nicht allein auf sein Riemergeschäft durch Fleiß und Sparsamkeit ein hübsches Sümmchen erworben, sondern auch durch seinen sittlichen Lebenswandel die Zuneigung und das Herz einer jungen, hübschen Wittwe zu erobern verstanden, durch welche er in den Besitz eines Hauses gelangte; doch auch ihn trafen des Schicksals Schläge, und das Eigenthum wurde durch die Flammen vernichtet, so daß nur die Baarschaft gerettet werden konnte.
Das Aufblühen der Fabrikstadt Newark, welches mehr und mehr Menschen von New-York dahinzog, bestimmte ihn, daselbst eine Wohnung zu renten (miethen) und ein Kosthaus zu etabliren, welches bald durch seine Bekanntschaft mit vielen Arbeitern, verbunden mit Reellität, eine nicht unbedeutende Anzahl Kostgänger erhielt. — Das Verdiente im Kasten aufzubewahren, hielt er nicht für räthlich, eben so wenig glaubte er solches auf einer Bank sicher untergebracht und folgte daher dem Beispiele vieler Anderer, indem er Lotten (Bauplätze) kaufte, welche zwar schon hoch im Preise standen, aber noch täglich an Werth zu[S. 297]nahmen. Doch schnell, wie ein Zauberschlag, wovon man sich bei uns keinen Begriff machen kann, trat ganz unerwartet eine Stockung im Geschäftsleben ein; mehre große Bankerotte folgten kurz auf einander, wodurch im Drange der Umstände viele Fabriken das Geschäft ganz einstellen oder bedeutend vermindern mußten, und so mit einem Male Tausende von Fabrikarbeitern, welche Zahl die verabschiedeten Arbeiter an Neubauten, wovon ganze Straßen in Newark im Angriffe waren, noch vermehrten, nun ohne Verdienst umherirrten, nicht wissend, von was sie leben sollten, da selten der Amerikaner aus der arbeitenden Klasse auf einen Nothpfennig bedacht ist, und eben so schnell wieder vergeudet und auf seine Kleidung verwendet (da in letzter Beziehung kein Stand dem andern nachstehen will), was er die Werktage über verdient hat. Die unausbleibliche Folge war, daß auch die Lotten täglich mehr im Werthe sanken, da Viele nothgedrungen, solche wieder veräußern mußten, selten einen Käufer fanden und mit 90 pCt. Verlust ihren vermeinten Reichthum in andere Hände übergehen sahen. Auch meinem Freund Köhler traf dieses Loos, da viele seiner Kostgänger, außer Stande zu zahlen, sich heimlich davon gemacht und nicht unbedeutende Schulden zurückgelassen hatten. So sah sich derselbe zum zweiten Male ohne Schuld vom Schicksale verfolgt und so um das Seine betrogen. Doch immer rührig und unverdrossen, und eine Frau zur Seite, die ihn treulich unterstützte, brachte er sich und seine Familie rechtlich durch und von Neuem wurde der Anfang gemacht, auch den Kindern Etwas zu erübrigen, da er durch Schaden klüger geworden, seinen Kostgängern nicht mehr kreditirte.
Newark ist sehr großartig angelegt, besitzt meist breite Straßen, worunter sich besonders die Marktstraße auszeichnet, auch eine Anzahl schöner Gebäude. Doch verriethen dem Fremden mehre Ruinen neuer im Aufbau gewesener[S. 298] Häuser, daß sich die Stadt nicht wieder erholt habe und ihre jetzige Geschäftsthätigkeit in keinem Verhältnisse zu der frühern Zeit stehe. Ueberall, wo man hinkam, hörte man über schlechte Zeiten und den zunehmenden Verfall der Fabriken klagen.
Durch Freund Köhler und dessen Bruder, welcher bei Ersterem mit boardet (in Kost war), bin ich in verschiedene Fabriken und Werkstellen eingeführt worden, von denen mich besonders eine patentirte Schneiderscheeren-Fabrik interessirte, da ich hier die nothwendigste Waffe dieser edlen Zunft in der größten Vollkommenheit zu sehen Gelegenheit hatte. Das gußeiserne Scheeren-Gestelle, welches genau nach Form und Lage der Hand abgepaßt war, beschwerte die Hand des Zuschneiders während des Gebrauches nicht im Geringsten, wie solches bei unsern gewöhnlichen Scheeren der entgegengesetzte Fall ist und deshalb der Handgriff mit Anschrode umwunden werden muß. Dabei besaß ein solches Instrument nach dem Zunftausdruck: eine solche Eleganz, daß man sich darin spiegeln könne, und eine Schneide, welche nichts zu wünschen übrig lasse.
Mancher Feuerarbeiter, der dieses liest, wird freilich staunen, wenn er von Gußgestelle und guter Schneide hört; doch dieses Räthsel wird dadurch gelöst, daß die hier arbeitenden Amerikaner verstehen, Gußeisen mit dem besten Stahl zu belegen und eine Schweißstelle zu verfertigen wissen, welche dem forschenden Auge nicht leicht sichtbar ist. Gern hätte ich eine Scheere angekauft und als Muster mit in die Heimath gebracht, da aber eine solche 6–8 Dollars kosten sollte, so hielten mich triftige Gründe davon ab.
Auch die Herren Fußbekleider finden hier die hohe Schule, da eine einzige Schuh-Manufaktur jährlich 60,000 Paar Schuhe verfertigt, doch diese nicht nach unserer Manier zusammennäht, sondern zusammennagelt. — „Ho, Ho![S. 299]“ werden unsere deutschen Meister ausrufen: „das muß eine schöne Arbeit seyn!“ und dennoch kann ich versichern, daß sowohl die Façon, wie die saubere Arbeit selbst, vollkommen befriedigt, und der Amerikaner, welcher vom Ausbessern und frischen Besohlen, nichts weis, sondern seine unbrauchbar gewordene Fußbekleidung sofort mit neuer wechselt, bevorzugt solches genagelte Schuhwerk dem anderen, da dieses an Haltbarkeit jenes weit übertreffen soll.
Die mittelst einer besondern Vorrichtung zugeschnittene Sohle erhält durch eine andere Maschine ringsum am Rande drei Reihen regelmäßig geordnete Löcher, in welche ein anderes Kunstwerk kleine Blechnietchen einsetzt. Ist das Oberleder durch Ueberziehen auf eiserne Formen in Façon gebracht und der Rand mit schmalen Lederstreifen belegt, so wird die Sohle aufgepaßt und das Ganze kömmt nun in einen besonderen Mechanismus, durch welchen, indem mehre ringsum befindliche Schraubestöcke zugleich das Oberleder und die Sohle fassen, bewirkt wird, daß sich die Blechnieten in den doppelten, einwärts gekehrten Rand des Oberleders drücken, und gleichzeitig die inwendig hervorragenden Seiten umgeben und vollkommen platt pressen. Zwölf bis sechszehn Menschen wird es durch diese Vorrichtungen möglich gemacht, täglich 200 Paar Schuhe bis zum Verkauf anzufertigen, welche im Handel mit 2½–3 Dollars bezahlt werden.
Wie nun in Amerika immer ein Geschäft dem andern in die Hände zu arbeiten pflegt und man Reellität nur dem Namen nach kennt, so sorgen auch in diesem Artikel die Herren Gerber dafür, daß eine an sich starke Sohle, welche nicht, wie dieses mitunter bei uns der Fall ist, mit Schuhspahn kunstgerecht gefüttert worden ist, dennoch bald den Weg alles Fleisches geht und der Nachfolgerin Platz zu machen sucht. — Das Garmachen der Häute wird hier, im wahren Sinne des Wortes, mit Dampf betrieben,[S. 300] da man die Häute nicht, wie bei uns, schichtweis aufeinander in die Gruben zur jahrelangen Aufbewahrung legt, wie es ein gut zubereitetes Leder verlangt, sondern solche auf Stangen in die Behälter hängt, und die Lauge, welche die Felle umgiebt, mit Dampf immer in den bestimmten Wärmegraden zu erhalten sucht, wodurch es möglich wird, daß eine so behandeln Kuh- oder Ochsenhaut nach 6–8 Wochen als fertiges Leder zum weitern Verbrauch in den Handel kommen kann. Wie es dabei mit der Güte der Waare aussieht, darüber werden wohl Sachkenner am besten urtheilen können. Doch darnach fragt der Amerikaner nicht, wenn nur das im Geschäft steckende Kapital schnell wieder umgesetzt wird.
Hier wurde mir auch eine Splitmaschine gezeigt, welche die Häute in 6–8 Theile spaltet, und solche unversehrt zum schwächsten Leder fertigt.
Besonders viel Fässer zur Aufbewahrung von Aepfelwein werden in Newark gemacht und weit versendet. In einer der größten Werkstätten sah ich mit Staunen, welche Fertigkeit die Arbeiter, welche nichts anderes, als solche Fässer machen, erlangt haben, und mit welchem Geschick der eiserne Hammer, der die Stelle der Klopfkeule und des Schnitzers ersetzt, geführt wird. Eine einfache Vorrichtung am Kamin, mit Anwendung einer Winde, bringt die an der einen Seite, mit einem 1 Zoll starken Bundreif zusammengehaltenen Faßdauben, nachdem solche erwärmt worden sind, in die Façon des Fasses, in welcher es der nun an der andern Seite übergelegte Bundreif erhält, wenn das zum Zusammenwinden gebrauchte Seil abgenommen wird. Das Einstreichen der Kimme (Gärgel), das Abrunden des Bodens, wie das Anlegen der Reife selbst, geht mit bewundernswürdiger Schnelle von Statten, und nur wenige Fässer wurden beim Probiren als leck befunden, und in diesem Fall mit eingelegtem Schilf ver[S. 301]wahrt. Mein Landsmann Köhler, welcher mich in diese Werkstätte geleitete, bestätigte die Angabe, daß ein Arbeiter täglich zwei Zwei-Eimer-Fässer nicht nur zusammensetze, sondern dazu auch noch die nöthigen Reife spalten und zurichten müsse. Er habe daher in Amerika erst das, was arbeiten heiße, kennen gelernt und in der ersten Zeit, da diese Faßarbeit nach dem Stück bezahlt wurde, nicht das Salz verdient.
In einer Wagen-Manufaktur, welche ein Patent auf die Anfertigung einspänniger zweiräderiger Stadtwagen erhalten hatte, bei denen nach einer besondern Konstruktion der zusammengesetzte Kasten auf den Federn steht und der Eingang an der hintern Wagenseite angebracht war, wurde besonders der aufgelegte Lack und die bunte Arabesken-Malerei bewundert. Der Amerikaner baust bei derartiger Malerei nur die Hauptpartieen auf und malt die Ausläufe aus freier Hand, da er hier eine zu genaue Symmetrie nicht liebt, sondern so viel mannichfaltige Veränderung anbringt, als möglich.
Besonders merkwürdig war mir in Newark noch die erbaute Eisenbahn, auf welcher Kanalboote vom Fluß-Wasser auf einen nicht unbedeutenden Berg gefahren, oder von der auf der Höhe angelegten Kunst-Wasser-Straße in den am Fuß des Berges weggehenden Fluß herabgelassen wurden. An einer starken eisernen Kette, welche in der Mitte der Eisenbahn liegt, befindet sich der beschwerte Wagen, damit er nicht vom Wasser von den Eisenbahn-Schienen, welche bis weit in jenes hinein angelegt sind, gehoben und das beladene Boot auf den Wagen gefahren werden kann. Eine auf dem Berg befindliche Maschine zieht die Kette mit dem Wagen an und bringt so das oft schwer beladene Wasserfahrzeug langsam auf trockenem Boden die steile Anhöhe hinauf und bis hinter die erste Schleuse. Da angelangt, werden die Thore ge[S. 302]schlossen und die hintere Schleuse, welche das Kanalwasser abgesperrt hat, geöffnet, wodurch das eindringende Wasser das Boot vom Wagen hebt, wo solches nun in dem Kanal seinen Lauf fortsetzen kann. — Soll ein Boot hinabgelassen werden und ist es bis auf den Wagen gefahren worden, so wird das Kanalwasser durch Schließung der hintern Thore abgesperrt, und das zwischen den beiden Schleusen befindliche Wasser durch eine Seitenöffnung abgelassen, wodurch der Wagen mit dem Boote trocken auf der Eisenbahn steht, und durch Oeffnen der vordern Schleusenthore nun langsam hinab gleitet, bis, im Flußwasser angelangt, die Fluth ebenfalls das Boot von dem Wagen hebt. Vom Führer aufmerksam gemacht, sah man aus den nachgemachten Gelenken der starken Kette, daß auch der Fall eintritt, daß während des Aufziehens die Kette reißt, wo dann mit Blitzesschnelle der Wagen in die Fluth hinabstürzt und das Boot dann weit auf der Wasserfläche hin gleitet.
Viele, doch weniger für mich interessante Fabrik-Anstalten gab es in Newark noch zu sehen, welche alle zu besuchen meine Zeit nicht erlaubte, da mir vorzüglich daran gelegen seyn mußte, möglichst bald wieder Beschäftigung und Verdienst zu erhalten.
Von Newark bis New-York bieten sich dem Reisenden zwei Fahrgelegenheiten dar, da man dahin mit dem Dampfschiff oder auf der Eisenbahn abgehen kann. Doch keines von Beiden wurde von mir benutzt, da die größte Oekonomie zu beobachten war, und die Fußwanderung längs der Eisenbahn sich auch besser dazu eignete, dieses Kunstwerk zu besehen.
Den 17. August traf ich wieder in New-York ein, wo vor Allem meines Bruders Sohn aufgesucht wurde, welcher aber mit seinem Meister verschwunden und nirgends aufzufinden war. Ein Gleiches war der Fall mit andern[S. 303] Bekannten, von welchen ich Erkundigungen einziehen wollte. Keiner war mehr in seinem alten Quartier oder bei seinem Brodherrn anzutreffen und so sah ich mich genöthigt, da ich kein Kosthaus beziehen konnte, auf gut Glück über den East-River zu fahren, um in Williamsburgh bei unserm Landsmann, dem Maurer Rademacher jun. aus Apolda, wieder einzusprechen, welchen ich bei meiner Ankunft in Amerika schon einmal besucht hatte. — Zum Glück wohnte derselbe noch in seinem alten Quartier und dessen liebe Frau nahm mich, im Namen des Mannes, welcher auf der Arbeit war, gastfreundlich auf. — Hier setzte ich nun nachfolgendes Schreiben, welches in’s Englische übersetzt wurde, auf, fertigte die nöthigen Zeichnungen dazu und übergab solches Mr. John Benson, mit welchem ich schon, wie sich die Leser erinnern werden, vor meiner Abreise in die südlichen Staaten in dieser Angelegenheit unterhandelt hatte. Das Schreiben lautete wörtlich also:
„Auf meiner Reise durch das Innere der Vereinigten Staaten habe ich mich überzeugt, daß die Farmer, welche das Branntweinbrennen nicht ganz großartig und zwar mit Anwendung eiserner kostspieliger Dampfkessel betreiben, nur gewöhnliche kupferne Blasen und Schlangenröhre zum Kühlen im Gebrauch haben und deshalb noch ein Mal so viel Zeit und zwei Mal so viel Holz verbrauchen, als solches der Fall ist, wenn ein Dampf-Brenn-Apparat nach beiliegenden Zeichnungen angewendet wird. Derselbe kann von allen Größen angefertigt werden, kömmt nicht viel höher zu stehen, als die gewöhnlich zum Branntwein-Brennen nöthigen Geräthschaften, liefert sogleich aus der Maische den stärksten Branntwein rein, wohlschmeckend und in möglichst größter Menge, kann in allen einzelnen Theilen gut gereinigt werden, ist leicht zu behandeln, im Gebrauch ganz gefahrlos und nimmt im Brennereilokal nur wenig Raum ein. — Ich bin erbötig Mr. John Benson einen[S. 304] solchen Apparat nach von ihm zu bestimmender Größe anzufertigen, in einer Brennerei aufzustellen, einzumauern und die Behandlung desselben zu zeigen und zwar gegen einen täglichen Lohn von sechszehn Schillingen (zwei Dollars). — Wünscht aber Mr. John Benson, nach genommener Ueberzeugung von der vorzüglichen Brauchbarkeit dieser Erfindung, ein Patent auf die alleinige Anfertigung solcher Dampf-Brenn-Apparate zu besitzen, so hat derselbe sich zuvor erst mit mir abzufinden und die Summe von 1000 Dollars zu zahlen.“
Der Antrag wurde angenommen und den 20. August trat ich wieder in der Kupfer-Fabrik des John Benson auf der Insel Brooklyn, ein.
Zweiter Aufenthalt in New-York.
(Unsicherheit des Lebens).
Im September 1840.
Alle Räume in der Werkstelle waren mit Arbeitern besetzt und die neuen Bestellungen mehrten sich täglich, weshalb ich selbst vorerst mit Hand an dergleichen bestellte Waaren legen mußte, welches mir gleich seyn konnte, da der ausbedungene Lohn von zwölf Dollars wöchentlich alle Sonnabende richtig ausgezahlt wurde. Bei einem unserer Landsleute, Namens Gerhardt, welcher in einer großen Eisen-Manufaktur beschäftigt war, und dessen Frau einen Schank besorgte, logirte ich mich ein, lebte äußerst sparsam, so daß es möglich wurde, alle Woche neun auch zehn Dollars zu erübrigen, welches Geld, da die Zahlung in Papiernoten erfolgte, ich dem Bäckermeister und Mehl[S. 305]händler Herrn Wallrabe aufzubewahren anvertraute, welcher dieses Papiergeld, damit nichts daran verloren ging, sofort in seinem Handelsgeschäft wieder mit verausgabte, worauf dieser brave Mann mir bei meiner Abreise die ganze zurückgelegte Summe, ohne die geringste Provision davon zu nehmen, in englischem und französischem Golde auszahlte.
In dieser Mehlhandlung fand ich auch den bei der Abreise in die westlichen Staaten zurückgelassenen und meinem Neffen zur Aufbewahrung übergebenen Koffer, nebst den übrigen Sachen wieder, wobei mir die Nachricht wurde, daß der Bäckermeister, bei dem meines Bruders Sohn in Arbeit gestanden, und welcher mich, aus dem Hospital kommend, so gastfreundlich aufgenommen hatte, jetzt selbst wieder als armer Bäckergeselle arbeite, und mein Neffe bei einem Amerikaner ein Unterkommen gefunden habe, wo ihm die Gelegenheit zu Gute komme, bald die englische Sprache zu erlernen.
Von New-Orleans aus wurde dem gegebenen Versprechen gemäß von mir über alle dortigen Verhältnisse meinen Bekannten in New-York treulich geschrieben und dabei gewarnt, ja nicht den lockenden Berichten zu folgen und hier den Himmel zu suchen, wo nur die Hölle zu finden sey. — Leider mußte ich aber aus einem Antwortschreiben, welches mir in Baltimore zuging, ersehen, daß man jener Nachricht, wie es gewöhnlich der Fall ist, wenn der Vogel nicht schön pfeift, keinen Glauben geschenkt, die Sache als übertrieben angesehen, ja sich sogar beleidigender Ausdrücke bedient hatte, weil ich im Widerspruch mit günstigern Berichten, Andere vom bessern Verdienst, als in New-York zu machen sey, abzuhalten suche, und der Meister, Louis Hallbauer und mein Neffe, welche Letztern noch bei Ersterm in Arbeit waren, mit dem nächsten Schiff die Seereise dahin zu unternehmen, entschlossen seyen. — Hier war keine Zeit zu verlieren und mit umgehender Post schrieb ich an Hallbauer, daß ich weit entfernt sey, Jemanden von[S. 306] seinem Glück abzuhalten, und mir Vormundschaft über Männer anmaßen zu wollen, welche die amerikanischen Verhältnisse, wenn sie sich darum bekümmert hätten, besser kennen sollten, als ich, der erst so kurze Zeit im Lande sey. Mein Bruder habe aber seinen Sohn nicht nach Amerika geschickt, daß dieser junge Mensch, mit Allem noch unbekannt, der Ueberredungskunst unterliege und auf solcher beschwerlichen Reise und ungesundem Klima Verdienst, Gesundheit und Leben aufs Spiel setze. Ich mache ihn (Hallbauer) daher verantwortlich über Alles, was sich bei diesem Unternehmen zutrage. Mein Neffe solle sich aber nicht wieder vor mir sehen lassen, wenn er der Warnung nicht Folge leiste und meine Ankunft in New-York abwarte.
Zum Glück kam der Brief noch zur rechten Zeit an, da das Schiff, auf günstigen Wind wartend, noch nicht abgegangen war und der Neffe, aus Furcht vor meinem Zorn, besann sich eines Bessern, schaffte den Koffer wieder vom Fahrzeug und blieb zurück. Die Andern aber segelten ihrem Unglück entgegen, fanden, wie zu erwarten war, in New-Orleans kein Unterkommen, unterlagen den klimatischen Verhältnissen, setzten während der Krankheit und des kurzen Aufenthaltes daselbst ihre Baarschaft zu und kamen, von Allem entblößt, nur mit gemachten traurigen Erfahrungen bereichert, nach New-York zurück, wo der frühere Meister, jetzt als Geselle, Frau und Kinder zu erhalten suchte, Freund Hallbauer mit Sparen von vorn anfangen mußte, und mein Neffe dem zu Folge alle Ursache hatte, mit seinem Geschick zufrieden zu seyn.
In meinem Geschäftsleben trat jetzt ein anderes Verhältniß ein; denn hatte ich im vorigen Jahre in der Kupfer-Fabrik den Lehrling gespielt, so wurden mir jetzt Gehülfen untergeordnet, welche mit an den nach meiner Angabe gefertigten Brennerei-Utensilien Hand anlegen mußten. Leider war die erste Zeit außer mir nur noch[S. 307] ein Deutscher mit in der Werkstelle, welcher in Frankenthal Meister, jetzt ebenfalls hier als Geselle mit seiner Hände Arbeit ein Weib und sechs Kinder zu ernähren hatte, wobei der tägliche Lohn von 1½ Dollar, da er ein sehr guter Arbeiter war, nur knapp zureichen wollte. Dieser brave Kollege, erst kurze Zeit im Lande, war ebenfalls der englischen Sprache noch nicht mächtig, und so war er wegen Austausch der Gedanken nur auf mich verwiesen, wodurch unsere gleichgestimmten Seelen sofort ein Freundschafts-Bündniß schlossen und wir uns inmitten der rohen, meist dem Trunk ergebenen Amerikaner, das Leben möglichst angenehm zu machen suchten.
Nach vollbrachtem Tagewerk fehlte es im Quartier ebenfalls an Unterhaltung nicht, nur mit dem Unterschied, daß sich hier keine reichen Gentlemen und spekulirende Kaufleute einfanden, sondern deutsche Arbeiter und Geschäftsmänner aus dem niedern und Mittelstande zusammen kamen, um nach deutscher Sitte, bei einem Glas Small-Bier sich der alten Heimath zu erinnern, oder über das amerikanische Drängen und Treiben zu sprechen, und so gesondert, weniger von heillosen Ruhestörern zu befürchten hatten. Als Beleg, wie mitunter hier alle Grenzen der Sittlichkeit und der Sicherheit des Lebens überschritten werden, habe ich folgenden Zeitungsbericht notirt:
„Raub, Mord, Aufruhr etc. — Noch nie ist wohl eine Stadt, die sich zu den aufgeklärten und civilisirten rechnet, der Tummelplatz solcher Schandthaten gewesen, wie in voriger Woche, am Schlusse des alten und Beginn des neuen Jahres, unser New-York. Mordthaten scheinen zur Tagesordnung werden zu wollen. Eine Bande von ohngefähr 50–60 verworfenen Schuften, der Auswurf großstädtischer Laster, die anerkannten Repräsentanten aller denkbaren Schlechtigkeiten, hat es durch ihre tollkühnen Streiche dahin gebracht, daß sich kein friedlicher und ruhe[S. 308]liebender Bürger weder auf der Straße, noch in seiner Wohnung mehr für sicher halten kann und darauf bedacht seyn muß, räuberische und mörderische Angriffe mit tödlichen Waffen zurückzuweisen. Jene Verworfenen, die in ihrem Uebermuthe kein anderes Gesetz kennen und achten, als ihren Willen, haben den Stadt- und Staats-Gefängnissen, selbst dem Galgen schon viele ihrer Zöglinge überliefert, ohne daß deren schreckbar warnendes Beispiel einen andern Eindruck auf sie machte, als ihre Wuth nur zu steigern. Sie haben gewisse Trinkhäuser, in denen sie sich fast stets aufhalten und von wo aus sie ihren Unfug regelmäßig treiben. Eine Nacht, wie die Neujahrsnacht, schien sie zu ganz besondern Lustbarkeiten zu berechtigen, die zufolge ihres Charakters und ihrer Sitten natürlich in nichts als in den abscheulichsten Brutalitäten bestehen. Anfänglich nur 20–30 Mann stark, traten sie gegen Abend ihren Kreuzzug durch die Stadt an. Zuerst drangen sie in ein deutsches Wirthshaus in der Pitt-Straße, zerschlugen Gläser und Möbeln, tranken reichlich, ohne zu bezahlen, verwüsteten die übrig bleibenden Getränke, banden der Wirthstochter die Kleidungsstücke über dem Kopfe zusammen etc. Angeführt von einem gewissen Armstrong, der sich durch seine Thaten vor Allen Verdienste auf seine Würde erworben, suchten sie mehrere andere Plätze heim und traten unter andern in das Porter-Haus des Herrn Kraft, an der Ecke der Grand- und Forsyth-Straße, zerbrachen auch hier Gläser und Geräthschaften, versuchten falsche Noten anzubringen, schleppten ein deutsches Dienstmädchen aus der Küche, zogen es nackend aus, und während es mehrere Andere festhielten, wollte Armstrong Nothzucht an ihr verüben, woran er nur durch ihr Mordgeschrei und das Herbeieilen von Leuten verhindert wurde. „Der Gang“ (wie sich diese Bande selbst nannte) verfügte sich nun nach einem Lieblingssammelplatze aller Feuerläufer, nahe Centre-Mar[S. 309]ket und stärkte dort seine Courage mit einigen Gläsern Branntwein. — Die Runde begann aufs Neue. Eines Landmanns Pferd wurde vom Zügel abgeschnitten und in vollem Gallopp die Bowery entlang fortgetrieben, wobei der Besitzer aus dem Wagen stürzte und sich gefährlich beschädigte; ein Kutscher wurde vom Bock gerissen und seine schüchtern gemachten Pferde die Chatham-St. hinabgetrieben; ein Frauenzimmer wurde in Ann-St. ergriffen, über die Straße geschleppt, fast ganz nackend entkleidet, geschlagen und mehr als viehisch gemißhandelt. In der Bayard-St. wurde einem Manne seine hochschwangere Frau vom Arme gerissen und er festgehalten, während Andere die Frau entkleideten und ihren nackten Leib peitschten. Unter ihrem jammervollen Geschrei wurde ein junger Mann, der zur Hülfe herbeieilte, augenblicklich niedergeschlagen, und der Polizeibeamte Tompkins, der ebenfalls einzuschreiten suchte, barbarisch gemißhandelt. In Church-St. suchte ein Theil der Bande ein Haus zu stürmen, wurde aber abgeschlagen und demolirte aus Rache die Thüre. Viele andere Personen, die zufällig den Schurken begegneten, wurden unbarmherzig durchgeprügelt und jedes Gesetz mit Füßen getreten. Endlich gegen halb 12 Uhr kam die Bande vor dem Hause des Herrn B. Mager, Elisabeth-St., 101, an, wo deutscher Ball gehalten wurde. Funfzig bis sechzig Mann stark, marschirten sie wie Soldaten durch die Thür und schlossen dieselbe augenblicklich hinter sich zu. Ohne ein Wort zu sagen, oder ohne die geringste Aufreizung, begann das Werk der Zerstörung und Verwüstung. Ehe der Lärm noch die Hausbewohner und Gäste aus dem obern Saale herbeizog, wurde das im Bar-Zimmer aufwartende Mädchen gemißhandelt, Tische, Stuhle, Gläser und Flaschen zerschmettert etc. Herr Mager, den das Geschrei nach Wache mit einigen Andern die Treppe hinabführte, befand sich in dem jetzt beginnenden allgemeinen Gefechte und Tumulte mehr[S. 310]mals in der drohendsten Lebensgefahr; man setzte ihm unter Andern eine Pistole auf die Brust, welche glücklicherweise versagte. Einige anwesende Deutsche bewaffneten sich, wie es schien, mit Säbeln und schlugen wacker auf die wüthenden Eindringlinge los; leider verlor Oberst Ming, jun., zwei Finger durch einen Säbelhieb, als er, in der löblichen Absicht, Ordnung zu stiften, zwischen die Fechtenden sprang. Nach vielen blutigen Wunden wurde die Bande endlich zur Thüre hinausgetrieben und begann nun auf der Straße, unter dem Geschrei: „Tod den Deutschen!“ mit Eisstücken und Steinen ein Bombardement des Hauses, während an den Thüren der furchtbare Tumult fortdauerte. Plötzlich fielen von den obern Fenstern des Hauses herab Flintenschüsse und von zwei Kugeln durchbohrt sank, mitten auf der Straße, der Rädelsführer des Haufens, jener erwähnte Armstrong, nieder und schwamm in seinem Blute. Als man ihn hinwegtrug, war er schon zur Leiche geworden und mitten in seinen Unthaten der Nemesis zum Opfer gefallen! Man hörte den Knall von etwa zwanzig Schüssen, wodurch drei oder vier Andere verwundet wurden; der Eine in den Arm, ein Anderer in die Hüfte. Stadt- und Polizei-Behörden eilten herbei, zerstreuten glücklich den sich sammelnden Pöbelhaufen und arretirten mehrere Personen, die sie in der Sache betheiligt hielten. — Von Seiten der Deutschen wurde Jedermann wieder auf freien Fuß gesetzt, da ihre That sowohl vor dem Gesetz, wie der öffentlichen Meinung vollkommen als Nothwehr gerechtfertigt erschien; ja die allgemeine Volksstimmung sprach sich laut dahin aus, daß dieser Widerstand der Deutschen gegen die Friedens- und Ruhestörer ein verdienstvolles Werk sey.[54]
Die Beerdigung John Armstrongs fand am vorigen Freitage Statt; seiner Leiche folgten gegen 700 Personen und viele Kutschen. Viele der Leidtragenden waren mit kleinen Aexten bewaffnet und schwuren laut, den Tod ihres Führers blutig rächen zu wollen. Anstatt durch das furchtbare Geschick Armstrongs gewarnt zu seyn, erhöhte sich nur ihre Erbitterung und da die Behörden erfuhren, daß man einen abermaligen Angriff auf das Haus des Herrn Mager beabsichtige, so wurden vom Mayor und dem Polizeirichter Bloodgood, die einige der folgenden Nächte sich persönlich in der Nähe aufhielten, alle möglichen Vorkehrungen getroffen, um einer Erneuerung dieser Blutscenen vorzubeugen. Ihren Bemühungen war dieß bisher gelungen; doch dürfte es zweckmäßig erscheinen, den hiesigen Deutschen möglichste Vorsicht anzurathen, da es bei dem Charakter jener Bande außer allem Zweifel liegt, daß sie der Gegenstand ihrer erbitterten Rachsucht sind. Da namentlich, wiewohl fälschlich, geglaubt wird, daß deutsche Miliz-Kompagnieen die Hand im Spiele hätten, was man aus einigen aufgegriffenen Gewehren zu folgern scheint, so würde es zweckmäßig seyn, wenn die Schützen-Kompagnie, welche wöchentlich zwei Mal in der Ludlow-St. exerzirt, ihre Gewehre geladen und die Hirschfänger bereit hielte, um beim Nachhausegehen, was wo möglich nicht vereinzelt geschehen sollte, auf mögliche Anfälle vorbereitet zu seyn.
Möchten unsere deutschen Landsleute, so lange als es ohne Lebensgefahr möglich ist, jeder beklagenswerthen Reibung auszuweichen suchen, und nie Anlaß zu andern Tumulten geben; möchten sie aber auch, wenn Raub, Mord, Plünderung und Schändung auf sie lauern, den Verhöhnern aller bürgerlichen und moralischen Gesetze muthig ent[S. 312]gegentreten und ihre Rechte nachdrücklich geltend machen. Die Schlechtigkeit wird durch Nachsicht und Nachgeben nur kühner und verwegener, und da, wo der Staat seinen Schutz nicht unmittelbar gewähren kann, beginnt das Recht der Selbsthülfe[55].
Der Mayor von New-York versprach für die Angabe eines Solchen, der an den Unruhen in der Neujahrsnacht Theil nahm, 50 Dollars Belohnung. — „Gut! Aber noch besser wäre es gewesen, wenn 500 Dollars versprochen worden wären.“ —“
Fortsetzung.
(Banken.)
Im November 1840.
Außer der bevorstehenden Präsidenten-Wahl waren es besonders die Bank-Angelegenheiten, welche den in meinem Quartier zusammenkommenden Deutschen Stoff zur Unterhaltung gaben und vor Allem wurde eine Flugschrift besprochen, welche die Deutsch-Amerikaner für das Bank-System zu gewinnen suchte, und so für die Sache einzunehmen verstand, daß Viele, welche nicht mit den Gegengründen und Unwesen der Banken vertraut waren, sich auf die Seite der Whigs, von welchem diese Flugschrift ausging, neigten, was oft Anlaß zu heftigem Wortkampfe gab, da die demokratisch Gesinnten nicht versäumten,[S. 313] beißende Gegenartikel anzuführen, von welchen ich auch ein Paar als Probe nach dem jetzt folgenden Auszug jener Flugschrift anhängen werde, um diese hier so verderblichen Institute zu beleuchten: „Die Zeiten sind schlecht! das ist allgemeine Klage, und leider ist es nicht zu leugnen; ja sie sind gegenwärtig schlechter, wie wir sie in den drangvollsten Perioden in Deutschland nur erlebt haben. Eine auffallende Erscheinung in einem so schönen, jungen und kraftvollen Lande, versehen mit so reichen Naturgaben, und so unendlich vielen Hülfsquellen, im tiefsten Frieden und unter dem augenscheinlichsten Segen der Gottheit! — Hat sich Manches im Laufe der Zeit verändert, so ist es Pflicht einer weisen Gesetzgebung, dem Geiste der Zeit zu folgen, und Veränderungen, Zusätze oder Weglassungen eintreten zu lassen, wie es die jedesmaligen Bedürfnisse erfordern. Werfen wir einen Blick auf die Vergangenheit, und sehen, wie es früher hier war. Unsere Stadt Baltimore, vor hundert Jahren kaum ein Fischerdorf zu nennen, ist jetzt in eine der blühendsten Städte des Landes verwandelt, sehen wir im ganzen Westen, welcher vor noch nicht einmal so langer Zeit noch eine rohe Wildniß war, wo kaum auf einer Quadratmeile im Durchschnitt gerechnet, ein einziger Indianer sich nothdürftig ernähren konnte, Tausende von Menschen, meist unsere lieben Landsleute, vergnügt, glücklich und wohlhabend neben einander wohnen, sehen wir blühende Städte, fruchtbare Farmen, fahrbare Landstraßen, schiffbare Flüsse und Kanäle, kurz sehen wir das Ganze gleich einem schönen Paradiesgarten prangen und das Alles in so kurzer Zeit entstanden, welches in früheren Zeiten bei Ansiedelungen von neuen Ländern wenigstens Jahrtausende Zeit nahm, so muß uns dieses nothwendig in Erstaunen und Bewunderung setzen, und es drängt sich uns von selbst die Frage auf: Wie war dieses möglich, was waren die Ursachen, welches waren die Mittel,[S. 314] die dieses Alles bewirkten? Und das gerade ist es, meine Freunde, was wir untersuchen und womit wir uns bekannt machen wollen. — Zuerst wollen wir die Fragen erläutern: 1) was ist Ackerbau? 2) was sind Fabriken und Gewerbe? 3) was ist Handel? 4) was ist Geld? und 5) was sind Banken?
„Ackerbau verbunden mit Viehzucht, Milcherei etc., ist der achtbarste Stand in der menschlichen Gesellschaft; durch seinen Fleiß erzieht er aus der mütterlichen Erde den Grundstoff unserer Existenz, unsere nothwendigsten Lebensmittel, und nebenbei noch so manches zur Bequemlichkeit und Annehmlichkeit unseres Lebens, und doch was wäre dieses Alles, wenn die Handlung nicht wäre? Der Landmann würde nicht mehr bebauen, als hinreichend wäre, sich und seine Familie nothdürftig mit Lebensmitteln zu versehen, dabei zerlumpt einhergehen und keinen andern Genuß haben, als den ihm seine Felder gewährten, und Neunzehntheile würden unbenutzt liegen.
„Der Fabrikant, Manufakturist und Handwerker, sind diejenigen nützlichen Glieder eines wohleingerichteten Staates, welche die Erzeugnisse des Landmannes veredeln, zubereiten und zugleich ihn mit nützlichen Geräthschaften versehen, um seine Arbeit zu erleichtern. Doch was wären auch diese, ohne den Handelsstand?
„Der Handelsstand nimmt daher wenigstens den dritten Rang im Staate ein; er verbindet alle Stände unter einander, führt den Ueberfluß der einen Gegend in die andere, wo Mangel daran ist. Er ist der Unterhändler und bewirkt, daß der Landmann seine überflüssigen Produkte, die er nicht selbst gebraucht, gegen andere nützliche Sachen vertauscht, ebenso die Arbeiten der gewerbtreibenden Klasse abnimmt, und sie wiederum mit Produkten und Sachen versieht, die sie nicht selbst zu erzeugen im Stande sind. Zu diesem Behufe erbaut er Schiffe[S. 315] und belebt die Gewässer, befördert Kanalbau und Anlegung von Landstraßen, befrachtet Wagen mit Gütern, setzt Millionen von Händen in Bewegung, und beschäftigt und ernährt sie. Ist dieser Stand nun verachtungswürdig? Hat man Ursache uns dagegen anzuhetzen, in unsern eigenen Eingeweiden zu wühlen und uns mit eigener Hand unsern Lebensfaden abzuschneiden? Oder ist es vielmehr Pflicht der Selbsterhaltung, Pflicht für unsere Kinder und Nachkommen, diesen so sehr wichtigen Zweig, der uns Leben und Nahrung giebt, nach Kräften zu unterstützen und zu befördern, wie es die ehrwürdigen Väter unserer Republik und deren würdige Nachfolger thaten? Und, fragen wir zum zweiten Male, sind die neuen Nachfolger, die wir als Führer unsers gemeinschaftlichen Wohls erwählt, den Fußtapfen ihrer Vorgänger gefolgt, oder sind sie abgewichen? Haben sie mehr ihr eigenes, als das Wohl des Landes besorgt, oder sind sie, statt befördernd, vielleicht gar zerstörend gegen die höchsten und heiligsten Interessen der Nation aufgetreten? — Ueberlassen wir dieses dem eigenen Nachdenken unserer geliebten Landsleute, und werden wir dieses späterhin genauer untersuchen, bevor wir uns darüber aussprechen.
„Handel und Wandel, sehen wir, ist daher ein unumgänglich nothwendiges Bedürfniß für die Menschheit, und ein Land, wie das unsrige, kann ohne einen ausgebreiteten Handel ganz und gar nicht bestehen, und wird dieser gestört, oder gar vernichtet, so werden wenigstens drei Viertheile der hiesigen Bevölkerung auswandern oder verhungern müssen; der Arbeitslohn wird zu Nichts herabsinken, und wenn das Faß Mehl auf Einen Dollar kommt, und wir wissen ihn nicht zu verdienen, dann kann es uns Allen nichts helfen. Wir sehen deutlich, wie weit es schon mit uns gekommen ist. Unsere Schiffe müßten im Hafen verfaulen, wenn sie nicht noch größ[S. 316]tentheils dazu gebraucht würden, unsere unglücklichen Landsleute herüber zu transportiren, die es uns aber schlechten Dank wissen werden, wenn sie erst einmal zur Erkenntniß kommen, die wir bereits haben sollten, und einsehen lernen, was Recht oder Unrecht war. Noch liegt es in unsern Händen, ob wir freie und unabhängige Menschen seyn und bleiben wollen, ob wir unser schönes Land wieder zu seinem vorigen Glanze erheben und uns durch Fleiß und Thätigkeit, Wohlstand und Vermögen für unsere alten Tage verschaffen wollen, wie Tausende unserer frühern Landsleute thaten, oder ob wir ferner uns noch von besoldeten Treibern, wie eine Heerde Schafe, welche gutmüthig einigen abgerichteten Lockhammeln in den Stall des Schlächters folgen, wo sie nach und nach ihren Tod finden, treiben lassen wollen.
„Handel und Gewerbe können nur gedeihen unter höchst möglicher Freiheit, und wer das eine antastet, versündigt sich an dem andern; er ist kein Freund des Vaterlandes und wüthet gegen sich selbst und gegen seine Nachkommen. Um nun aber diesen Handel zu beleben und aufzuhelfen, dazu gebraucht man Geld.
„Aber nicht bloß die aus Metall geprägten Münzen, sondern Alles, was einen angenommenen Werth hat, oder Alles, was sich auf einen wirklichen Werth begründet, und zur Ausgleichung im Handel und Geschäften, statt des rohen Tauschhandels, gebraucht wird, ist Geld. In den frühesten Zeiten, und wie es auch noch bei vielen rohen Völkern gebräuchlich ist, schätzte man so und so viel Schafe, Schweine etc. auf einen Ochsen, ein Pferd und mehrere dergleichen Sachen. Doch wie die Bevölkerung mehr und mehr zunahm, reichte dieses Auskunftsmittel nicht mehr hin; denn wer konnte so ein schwerfälliges Geld immer mit sich herumführen? Auch brauchte nicht immer ein Jeder gerade Schafe oder Schweine, der[S. 317] Ochsen zu verkaufen hatte und so umgekehrt, und man sann daher auf Mittel, Sachen aufzufinden, welche einem Jeden lieb und angenehm waren. Anfangs gebrauchte man schöne Steine, Perlen, Muscheln, Spezerien etc. hierzu. Zuletzt verfiel man auf die edlern Metalle, Gold und Silber, weil diese ihres schönen Glanzes und ihrer leichten Bearbeitung wegen allgemein beliebt waren, auch weil sie nicht sehr häufig in einem allgemeinen Werthe standen. Man zertheilte sie in Stücke jeder Form, nur von verschiedener Größe und Gewicht, gravirte oder prägte, gewiß Anfangs sehr roh, auf die größern das Bildniß von Ochsen, Pferden etc. auf die kleinern Schafe, Schweine und dergl. Dieses war die erste Entstehung unserer jetzigen Münzen. Diese Erfindung erleichterte den Austausch, Handel und Gewerbe allgemein, so daß die Herrscher damaliger Zeit, den Werth dieser Einrichtung erkennend, diese edeln Thiere bald von ihrem Platze verdrängten, den Münzen eine regelmäßige Form, meistens die runde, wie wir sie noch jetzt sehen, gaben, und ihr eigenes Bildniß darauf prägen ließen. Solche Münze nun war mehrere Jahrtausende hindurch dasjenige, was wir Geld nennen, und aller Handel und alle Geschäfte wurden hiermit betrieben. Doch war im Laufe der Zeit, wo sich so Manches verändert, da die Bevölkerung sich immer mehr und mehr ausdehnte, auch die Transportirung und Versendung dieses Geldes mit vielen Schwierigkeiten verknüpft. Plünderungen, Beraubungen, Verluste durch Schiffbruch und mehrere andere Hindernisse erschwerten den Verkehr ungemein, und man sann wiederum auf Mittel, auch diesem Uebelstande abzuhelfen. Da nun Mancher an einem Orte für erhaltene Waaren zu zahlen hatte, vielleicht Andere des nämlichen Orts, oder der Gegend, wiederum hier schuldeten, so glich man sich durch schriftliche Anweisungen aus, ohne daß ein Thaler dabei[S. 318] angerührt wurde, und hieraus entstanden die nachherigen Wechsel oder Wechselbriefe, die man bald so bequem fand, daß man sich fast allgemein im Verkehre dieser Art zu zahlen bediente. Zu noch größerer Bequemlichkeit fanden sich bald Leute, welche solche Wechselbriefe von Andern einkauften, sie vorräthig hielten, und man nach Belieben gegen eine geringe Provision sie stets auf die vorzüglichsten Handelsplätze haben konnte. Diese Leute nun nannte man Wechsler, oder auf französisch: Banquiers. So sehen wir nun, theure Landsleute, wie unser allgütiger Schöpfer Alles so weise geordnet hat, wie er dafür sorgt, daß, so wie seine Geschöpfe sich vermehren, sie selbst durch den Gebrauch ihrer, uns von ihm verliehenen Vernunft Mittel und Wege erdenken, die es möglich machen, daß so viele Menschen ernährt werden und ihr Auskommen finden. Und dieses sollten wir nicht dankbar erkennen und wider unsere Vernunft und Gewissen uns anhetzen lassen gegen die Beförderer des menschlichen Wohls? — Nimmermehr wird dieses ein braver deutscher Mann über sich vermögen, der in seinem Vaterlande eine gute Erziehung und guten Schulunterricht genossen hat, denn der Deutsche ist von jeher für bürgerliche Ordnung, Sittlichkeit und gesetzliche Freiheit gewesen.
„Um nun wieder auf den Gegenstand, das Geld, zurückzukommen, so muß dieses ebenfalls frei und unabhängig seyn und sich selbst reguliren. Keine gerechte und vernünftige Regierung darf sich, ohne das Wohl des Ganzen zu untergraben, einen Gewaltgriff hinein erlauben, als nur in so fern sie die polizeiliche Aufsicht darüber führt, daß keine Mißbräuche entstehen. Wo sie solche bemerkt, stelle sie diese ab, stürze aber nicht ein ganzes Gebäude, welches aufzurichten, Zeit und Mühe gekostet hat, weniger schadhafter Ziegeln oder Schindeln wegen, über den Haufen. Niederreißen ist immer leich[S. 319]ter, denn Aufbauen; man stelle das Dach her, und das Haus wird wohnbar seyn und bleiben, wie vorher. Geld ist in der Waagschale gegen Arbeitslohn und Mühe, oder menschlichen Fleiß, was die Gewichtstücke gegen Waare sind; beides muß sich gegen einander balanciren. Jetzt, liebe Freunde, kommen wir wiederum zu Einrichtungen und Anstalten, welche das Bedürfniß der Zeit ebenfalls herbeigerufen, und welche gewiß eben so wohlthätig und zweckmäßig zur Beförderung menschlicher Glückseligkeit mitwirken, als alle vorhergehenden, d. h. wenn sie ihrer Bestimmung entsprechen, nicht gemißbraucht, aber auch nicht ungerechter Weise angegriffen und verfolgt werden; diese sind die Banken!
„Sie sind verschiedener Art, als: Leihbanken, Wechselbanken, Sparbanken etc., und auch nicht in allen Ländern überein; doch machen wir uns hauptsächlich mit den Banken unseres Landes bekannt und lernen ihren Zweck kennen. Es sind Anstalten, wo mehrere Männer, welche Geld besitzen, es aber gerade nicht selbst zu eigenen Geschäften gebrauchen, demohngeachtet aber nicht unbenutzt liegen lassen und es dem allgemeinen Wohle entziehen wollen, und dieses zusammen legen. Der Zweck davon ist nun: dem Handelsstande, dem Gewerbtreibenden und Farmer in Fällen eintretender Verlegenheit zu unterstützen, und ihm zu seinem bessern Fortkommen behülflich zu seyn. Zum Beispiel: Ein Kaufmann sieht die Produkte seines Landes oder andere Erzeugnisse des Fleißes durch Ueberfluß derselben, oder Mangel an Absatz in sehr niedrigem Preise und weiß, wenn er diesen oder jenen Artikel, in dieser oder jener Gegend oder dem und dem Lande hätte, wo vielleicht Mangel und Nachfrage darnach ist, er einen guten Nutzen dabei haben würde, seine Kräfte aber reichen in dem Augenblicke nicht so weit, weil er seine Gelder ausstehen hat; nun geht er zu einer Bank, wo er[S. 320] als ein rechtschaffener und zahlungsfähiger Mann bekannt ist, bekommt gegen eine schriftliche Versicherung oder Note auf gewisse Zeit Gelder vorgestreckt, kann nun seinen Zweck erreichen, und zur abgelaufenen Zeit seine Note wieder einlösen, und, indem er selbst verdient, verschafft er seinen Nebenmenschen Absatz und versieht sie mit Geld, damit sie auf’s Neue weiter arbeiten können.
„Ebenso der Fabrikant und Handwerker, der sein Geschäft etwas in’s Große zu treiben und mehrere Menschen zu beschäftigen wünscht. Für den kommt wohl einmal eine Zeit, wo seine verfertigten Waaren nicht so raschen Abgang finden, jedoch ist er fest überzeugt, daß, nach Verlauf einiger Zeit, sie für sein Fach günstiger werde und er vielleicht mehr absetzen könne, als er vorräthig habe; er ist jedoch nicht im Stande, es durchzusetzen und muß mit blutendem Herzen seine Arbeiter und Gesellen gehen lassen, welche nun außer Stand gesetzt werden, sich selbst oder gar ihre Familien zu ernähren und oft zu den niedrigsten Arbeiten, die sie nicht gewohnt sind, greifen müssen, um nur ihr Leben zu fristen, oder gar Frau und Kinder verlassen und Vagabunden und Bettler werden. Ist das nicht schrecklich, und stehen wir nicht leider schon auf diesem Punkte? Wollen wir noch weiter gehen? — Ist nun aber ein solcher Handwerker oder Fabrikant in einer guten Bank bekannt, oder hat er einen guten Freund, der seine Rechtschaffenheit, seine Zahlungsfähigkeit kennt und seine Noten mit unterschreibt, so kann oder konnte er vielmehr einen Vorschuß erhalten, womit er seinen Arbeitern, wo nicht ganz, doch so viel bezahlen, wie die Nothdurft erforderte. Aenderten sich nun die Zeiten, konnte der Meister oder Fabrikherr seine Waaren verkaufen, so konnte er seinen Gehülfen den rückständigen Lohn auf einmal auszahlen, und Mancher bekam so viel, daß er für sich selbst aufsetzen und Leute halten[S. 321] konnte; so war es, aber so ist es nicht mehr. An uns liegt es aber, es wieder dahin zu bringen, wenn wir wollen, und Tausende von unsern Landsleuten sind auf diese Art zu Männern geworden; war das nicht gut?
„Wenn ein Farmer, ein Landmann, einer gesegneten Erndte entgegensieht, wenn ihm nichts fehlt, als Hände, sie hereinzuschaffen, diese Hände aber Geld haben, und leben wollen, sein Kapital aber zu Ende ist, und er die Gaben Gottes verfaulen sehen muß, wie muß ihn dieses betrüben und wie nachtheilig ist es für das Ganze. Kann er nun aber zu einer solchen Bank gehen, die ihn kennt, welche weiß, daß er zahlungsfähig ist, sobald er geerndtet und verkauft hat, und ihm etwas Geld vorschießt; ist das nicht lobenswerth? Auch wenn Einwanderer etwas Geld mitbrachten und wollten sich dafür ein Grundeigenthum kaufen, so konnten sie immer, wenn sonst der Platz gut, und der Verbesserung fähig war, zwei Drittheile darauf geliehen bekommen. Die Banken kündigten nicht leicht das Kapital auf, wenn sonst die Zinsen richtig bezahlt wurden, und konnten sie nach und nach davon abtragen, bis sie ihr Gut frei hatten, welches leider aber jetzt Alles gestört ist.
„Diese Banken nun sind durch alle Theile und Staaten unseres ausgedehnten Landes verbreitet und es sind deren besonders viele in neuerer Zeit durch den Umsturz der Hauptbank unseres Landes entstanden, vielleicht mehr, als das Bedürfniß erfordert; doch sie sind einmal da, gesetzlich durch unsere Regierungen erlaubt und von Bürgern gegründet, von Bürgern gleich uns, und ist es nun nicht himmelschreiend, wenn einzelne Menschen, ja leider Deutsche zum Theil selbst, ihre Landsleute mit Vorurtheilen, Verdrehungen, ja sogar den gröbsten Lügen gegen ihre Mitbürger erfüllen, und „Krieg gegen die Banken“! „Krieg gegen die Geld-Aristokraten“ — Etwas, was sie selbst nicht[S. 322] einmal verstehen — zu ihrem Feldgeschrei machen, und Bürger gegen Bürger aufhetzen? Können diese Vaterlandsfreunde, können diese gute Menschen seyn? — Kehren wir wieder zu den Banken zurück. Diese kleineren Banken sind geeignet, den Verkehr im Innern zu beleben, aber auf das Ausland können sie nicht wirken, da sie zu unbedeutend sind. Selbst in unserm eigenen Lande nimmt man die Noten oder Wechsel entfernter Banken, die man nicht kennt, welche aber vielleicht in ihrer Gegend recht gut und sicher seyn mögen, entweder gar nicht oder mit großem Verluste, und dieses ist das Uebel, woran wir jetzt leiden.“
„Die größern Städte dieses Landes, wie New-York, Philadelphia, Baltimore etc. sind gleichsam wie unsere Meßorte in Deutschland zu betrachten. Die Kaufleute des Innern pflegen alle Frühling und Herbst diese Orte zu besuchen, um ihren Bedarf an Fabrik- oder Manufaktur-Waaren für ein halbes oder ein ganzes Jahr hier einzukaufen, entweder gegen baar, oder gegen Kredit, und ihre zuvor gemachten Schulden zu bezahlen; hierzu sind sie aber jetzt außer Stand gesetzt. Gold und Silber ist nun einmal so viel nicht da, und kein Präsident und keine Regierung kann uns dieses verschaffen, wie wir gesehen haben; auch würde es den hundertsten Theil nicht ausreichen, den Handel und Verkehr im Großen zu beleben. Das Wenige, was da ist, hält das allgemeine Mißtrauen zurück, jedoch wird es alsobald wieder in Umlauf kommen, so wie das Vertrauen wieder hergestellt, und wir wieder eine, von der Regierung unabhängige Hauptbank haben, nämlich wie unsere vorige war; Verbesserungen, wie sie Zeit und Erfahrung an die Hand gegeben, mit zugerechnet, welche Kapital und Kredit genug besaß, um den Handel und Wandel im Großen zu unterstützen, deren Papiere nicht allein im ganzen Lande,[S. 323] sondern sogar im Auslande sehr gern genommen und überall so hoch und höher noch als Silber standen. Hatten nun die Kaufleute hier oder an andern Orten etwas zu zahlen, so konnten sie immer Noten dieser Bank gegen diejenigen ihrer Gegend einwechseln, und überall damit auskommen; jetzt aber ist ihnen der Weg versperrt, und sie kommen lieber gar nicht, ehe sie 25 pCt. und darüber an ihrem Gelde verlieren. Sie haben Mangel an Waaren, und ihr Geld liegt nutzlos und wir haben Ueberfluß an Waaren, und Mangel an Geld, und können uns doch einander nicht helfen. Ist dieses eine gute Zeit zu nennen? Wollen wir noch weiter hineinrennen, oder haben wir an der Probe genug?“
„Als wir mehrere Jahre hintereinander Mißwachs und Theuerung hatten, hätten wir verhungern müssen, wenn der Handelsstand uns nicht aus entfernten Ländern Früchte und Lebensmittel zugeführt hätte; diese müssen nun aber bezahlt werden, wenn man ehrlich bleiben will. Hätten wir nun unsere Hauptbank noch gehabt, so konnten wir dieses mit Wechseln bezahlen, bis wir Gelegenheit fanden, wiederum von unsern Produkten auszuführen und diese Wechsel damit einzulösen; jetzt aber muß dieses Alles in Gold und Silber geschehen, denn unsere kleinen Noten, denen wir selbst nicht trauen, werden sie im Auslande nicht nehmen. Und nun frage man noch, warum Gold und Silber rar wird? Es wird und muß noch rarer werden, je länger wir einer Parthei anhängen, die uns leider nur schon zu lange irre geleitet hat etc.“
Ich selbst muß gestehen, daß dieser Aufsatz, welchen ich um der Kürze willen nur zur Hälfte wiedergegeben, mich mit den Banken ausgesöhnt, und für eine allgemeine, von sämmtlichen Staaten garantirte Nationalbank umgestimmt hatte. — „Wo ist aber die Garantie?“ rufen die Gegner aus: „Was wollen die sämmtlich banke[S. 324]rottirten Staaten noch verpfänden?“ und, fahren sie fort: „daß eine Nationalbank, ebenso wie die jetzigen kleinen Banken, ihre sittenverderbende Macht zum Nachtheil des Volkes ausüben wird, und schon während ihres Bestehens ausgeübt hat, legt klar die Geschichte dieses Landes vor Augen und entdeckt ein Blick in den Gang und die Wirkungen des Banksystems. Aus unwiderlegbaren Thatsachen wissen wir, daß gerade der Handel der Verein. Staaten am schwankendsten gewesen ist, und die Zeiten am schlechtesten waren, als die Banken in voller Thätigkeit wirkten und mit Papier über Papier das Land überschwemmt wurde. Die Geschäfte gingen zwar, und Mancher verdiente viel. Aber was? Papier, und damit konnte er sich nur eine papierene Glückseligkeit verschaffen. Auf eine künstliche Höhe wurde Alles geschraubt, in unverhältnißmäßigen Preisen wurden alle Dinge verkauft, im Schwindel war die Sache begonnen, im Schwindel wurde sie fortgeführt und endlich bekam Alles den Schwindel und stürzte zusammen. Den Papiermühlen fehlte das Wasser und es war ihnen unmöglich, mehr Geld zu fabriziren; die Kaufleute hatten noch einige Lumpen in der Tasche und schauten mit sehnsuchtsvollen und schmachtenden Blicken nach Großbritannien, wo die Früchte ihrer Bemühungen und ihr Geld gefressen wurden; nur die Eingeweihten und Getauften der Bank blieben ruhig, schnitten zwar ein bitteres Gesicht mit, setzten aber im Stillen ihr Werk fort und dachten: wir angeln den großen Fisch als unsern Braten doch noch. So erging es schon oft unserm Lande und so wird es ihm noch oft ergehen, wenn das Bank- oder Kredit-System noch länger fortgelten sollte, bis endlich die Whigs ihre Absichten erreicht, die Oberhand gewonnen und die Masse des Volkes zu ihren Arbeitern und Knechten erniedrigt haben.“
„Die Whigs sagen uns zwar, ohne Banken könne dieses Land nicht bestehen, das Papiergeld sey zum Betreiben und Aufblühen des Handels nothwendig und befördere auf diese Art den allgemeinen Wohlstand; denn wenn Handel und Gewerbe im Aufblühen seyen, so verdiene auch der Handwerker und Arbeiter und könne sich desto leichter etwas erwerben und ein bequemes Leben verschaffen. Wenn man dieses so oberflächlich anhört, so glaubt man Anfangs, es verhalte sich allerdings so, und wird beinahe geneigt, den Banken zu huldigen. Spürt man aber dem Dinge weiter nach, so findet man, daß allerdings die Banken den großen Fabrikherren und großen Handelshäusern dienlich seyn können, daß aber auch bald die großen Fabrikherren die kleinen, die großen Handelshäuser die kleinen auffressen, und der Handwerker und Arbeiter nichts anders wird, als ein Sklave, eine bemitleidenswürdige, traurige Kreatur dieser harten Geld-Seelen, daß diese Geld-Aristokraten sie in ihren Klauen halten, und ihnen nur so viel geben, als sie bedürfen, um nicht zu verhungern etc.“
Eine andere Zeitschrift, welche diesen ernsthaften Gegenstand bespricht, zieht ihn ins Lächerliche, und bringt unter der Ueberschrift: „Schönheiten des Bankwesens“ Folgendes zur Kenntniß des Publikums:
„In der Stadt New-York hat sich unter dem allgemeinen Bankgesetze auch eine „City-Trust- und Banking-Company“ gebildet, die zufolge der bestehenden Bankschwindelei-Gesetze in zwölf Monaten zahlbare Postnoten ausgiebt und dieselben namentlich im Lande zahlreich auszubreiten sucht. Hinter den Worten „promise to pay“ steht mit ganz niedlichen, für bedachtlose Augen unsichtbaren Buchstaben: „12 months after date.“ Die Geschichte dieser Bank wird so erzählt: Die City-Trust- und Banking-Company deponirte anfänglich für 2000 Dollars Ar[S. 326]kansas State-Stocks und erhielt dafür vom Kontroleur 1200 Dollar-Noten. Jetzt ging das Bankgeschäft los. Zuerst wurde für 22 Dollars eine Kiste gekauft, wofür sie die 22 Dollars in Postnoten zahlte. Der Koffermacher wußte sich davon 20 Dollars vom Halse zu schaffen und verlangte für die übrigen zwei Dollars courantes Geld, was die Kompagnie verweigerte. Dann wurde ein ehrbarer Tischler angenommen, um das Bankzimmer einzurichten. Er that es, konnte aber seine Bezahlung nicht eher erhalten, als bis er die Kompagnie durchzuprügeln drohte. Jetzt fing man an Deposit-Certifikate auszugeben, die Herr Ackermann, ein Halbbruder des Kompagnie-Präsidenten Munson, fleißig unterzeichnete; und hie und da gingen nun die Postnoten ins Land, um Produkte damit einzukaufen. Dies erreicht, machte sich Präsident Munson rückenfrei, dankte ab und gründete ein anderes liebes Bank-Institut, die „North-Amerikan-Banking Co.“ — Diese neue Bank befindet sich eine Treppe hoch über der Trust-Co., doch wollte der Maler das ausgefertigte Schild nicht ausliefern, wenn er nicht vorher bezahlt werde. — Sail ho!“
Sylvester’s Reporter und Counterfeit Dotektor, machten eine Liste von 152 Banken bekannt, welche gebrochen waren. Der Betrag der zirkulirenden Noten dieser Banken betrug in der Durchschnittssumme für jede Bank 250,000 Dollars, zusammen also die ungeheure Summe von achtunddreißig Millionen Dollars, „welche sich nun nutzlos in den Händen des Volks befinden.“
Wiederum ein anderes Blatt bemerkt:
„Um betrügerisches Bankwesen zu hindern, hat die Gesetzgebung von Mississippi verordnet, daß alle diejenigen, welche von Banken borgten, dieselben mit ihren Noten abbezahlen können, gleichviel ob diese Noten noch einigen Werth haben oder nicht. Es ist dies ein sehr zweckmäßiger und durchgreifender Schritt, um die Pflanzer Mississippi’s[S. 327] aus den Händen der Bank-Spekulanten zu retten. Man gab so viele Noten aus, daß an Wiedereinlösung derselben nicht zu denken war. Kurz darauf brachen die meisten Banken, oder ihre Noten fielen mehr als die Hälfte im Preise; dennoch blieben die Zahlverbindlichkeiten der Schuldner an die Banken unvermindert, und es ist daher bloße Gerechtigkeit, daß diejenigen, welche eine betrügerische Masse Noten für voll ausgeben, dieselben für voll wieder zurücknehmen. Hier reduzirt sich also der ausposaunte Reichthum auf dem einfach natürlichen Wege zu seiner wahren Substanz. Wenn der verschuldete Pflanzer vor seinen Bankgläubiger tritt und ihm die schönen Bilderchen zurückgiebt, so kann er sagen: Du hast mir für 50,000 Dollars Nichts geborgt, hier hast du für 50,000 Dollars nichts wieder. Das Beste ist, alle diese Wische ins Feuer zu werfen.“
Doch damit nicht diesem Briefe ein Gleiches wiederfahre, da ich zu lange schon bei einem Gegenstande verweilte, welchen ich aber dem Auswanderungslustigen nicht vorenthalten durfte, damit solcher sehe, welche papierne Glückseligkeit seiner warte, so gehe ich zu meiner eigenen Angelegenheit im nächsten Schreiben über, und werde, wie es die Gelegenheit giebt, Landesverhältnisse einzuflechten suchen.
Fortsetzung.
(Hausbau.)
Im Dezember 1840.
Nachdem der Brennapparat bis auf die nöthigen Dampf- und Wasserleitungs-Röhren angefertigt war, wünschte ich zu[S. 328] erfahren, in welcher Brennerei er aufgestellt und erprobt werden solle, worauf mir die Kunde wurde, daß Mr. Benson im Blumthal (einer Vorstadt New-Yorks), ein Haus dazu gemiethet habe. Auf mein Bemerken, daß dieses nicht hinreichend sey und es rathsamer wäre, diese Probe in einer im Betriebe seyenden Branntweinbrennerei vorzunehmen, da dieses viel weniger Kosten verursache, indem das fertige Maischgut dazu benutzt werden könne, wurde mir erwidert, daß hier von Geldersparen keine Rede sey, und man nicht wünsche, daß außer den betheiligten Personen ein Anderer die Nase in das projektirte Unternehmen stecken solle. Ich möge daher nur Alles zum Brennerei-Betriebe Nöthige ordnen, das Gebäude dazu umschaffen, Fässer, Kübel und Bottiche ankaufen und jedes Mal am Ende der Woche in Rechnung bringen und das weiter nöthige Geld in Empfang nehmen.
Herr, Dein Wille geschehe! dachte ich. Jetzt war ich ganz in meiner Sphäre, und da keine Kosten gescheut wurden, so wurde Alles auf das Beste und Bequemste nach meiner Angabe eingerichtet. — Daß es hierbei nicht ganz ohne Aerger abgehen konnte, läßt sich denken. Da mir Alles allein übergeben war, so war meine Gegenwart überall nöthig und bei mangelnder Fertigkeit der Sprache konnte ich mich oft nur undeutlich expliziren, wurde daher mitunter falsch verstanden und mußte, wenn ich den Maurern am Abend ihre nichtsnutzige Arbeit wieder zusammengetreten, oft den andern Morgen selbst mit Hand an das Werk legen und ihnen so die Sache begreiflich zu machen suchen.
Hier wurde mir auch die Ueberzeugung, daß die Maurer in Amerika, wie bei uns, wenn Arbeiten nicht verakkordirt worden sind, sich dabei nicht übernehmen; und findet auch hier die Sitte nicht Statt, während der Arbeit zu rauchen, weshalb der nasse Schwamm überflüssig wird, so erfordert doch das Wechseln der Bremen und das Aus[S. 329]füttern der Backen mit Taback, seine gehörige Zeit, und es ist hier wie dort: Wurst wie Schale. —
Dagegen sieht man staunend, was der Mensch vermag, wenn er muß.
Zwei Häuser unter unserer Brennerei wurde ein nicht mehr zum Geschäft benutztes Zuckersiederei-Gebäude abgetragen, um auf dieser Stelle ein großes Wohnhaus aufzubauen. Schon die Art und Weise des Einreißens war mir neu. Nicht bedächtig, wie bei uns, wurden Sparren, Balken und Bleichen eingenommen und zum weitern Gebrauche einstweilen bei Seite gesetzt; sondern dieses große Gebäude wurde für vogelfrei erklärt, so daß mit einem Male eine Masse Menschen darüber herstürzten, und binnen kurzer Zeit nichts mehr vom Holzwerke zu sehen war. Mit wahrer Verwegenheit riskirte man dabei das Leben, denn während die Umfassungsbleichen herabgeworfen wurden, suchte unten Einer dem Andern die Stücke zu entreißen.
Auf meine geäußerte Verwunderung, daß man dieses Holz so Preis gebe, wurde mir gesagt, daß das Wegreißen und Wegschaffen des alten Bau-Materials durch bezahlte Leute mehr Arbeitslohn betragen würde, als die Sachen selbst werth seyen, daher man, um sich dieser Ausgabe zu entledigen, zwei Wege wähle, entweder man brenne so eine alte Holz-Baracke, welche einem steinernen Hause Platz machen solle, nieder, oder gebe, wie ich eben jetzt gesehen, das Gebäude zum allgemeinen Besten. Das Erstere gewähre noch den Vortheil, daß man aus der Brand-Assekuranz ein Sümmchen zu heben habe, und deshalb die täglichen Feuerunglücke, oder besser Glücksfälle, da die Sachen in verschiedenen Anstalten hoch genug versichert seyen, entständen. — Eine nachahmungswürdige Sache!
Die Gelegenheit, einen solchen Neubau ganz von vorn herein entstehen zu sehen, kam mir recht zu Passe, und jede[S. 330] Stunde, welche ich bei meinen Leuten abkommen konnte, ward benutzt, mich mit der amerikanischen Manier zum Bauen bekannt zu machen.
Wie das Niederreißen, ebenso waren die Erdarbeiten von den unsrigen verschieden. Keine Schuttkarre, durch Menschen gefahren, kömmt in Anwendung, um damit das Erdreich aus der Vertiefung auf einen Haufen zu fahren, und da fest getreten, solches von Neuem aufzuhacken und zum weitern Transport auf Wagen zu laden, welche, wie bei uns, mit 1½ Bret versehen, sich besser zu Stein- als zu Schutt-Fuhren eignen, sondern man bedient sich hierzu zweckmäßiger, einspänniger zweirädriger Karren, welche rund herum gut verwahrt, das bestimmte Quantum aufnehmen müssen und solches, ohne halb auf der Straße zu verlieren, sicher auf den bestimmten Platz befördern. Die Fuhrleute, welche selbst für die nöthigen Gehülfen zum Aufladen zu sorgen haben, fahren sogleich auf den zum Ausgraben bestimmten Platz, und suchen sich mit der zunehmenden Tiefe die schräge Ausfahrt so lange zu erhalten, bis die Nothwendigkeit eintritt, selbst diesen Weg in Angriff zu nehmen, und das unmittelbare Einladen in die Karren nicht mehr möglich ist, worauf man den letzten Rückstand mit der Schaufel einander zu- und auszuwerfen sucht. Diese Arbeit geht wie Alles, äußerst schnell, da eine gehörige Anzahl Fuhrwerke die zum Aufladen angenommenen Arbeiter immer beschäftigt und der Bau-Unternehmer dabei nichts weiter zu thun hat, als die Anzahl der gethanen Fuhren zu notiren.
Bruchsteine werden wenig zum Bau verwendet, da das Behauen dieses Materials zu theuer ist, und man daher den gebrannten Backsteinen den Vorzug giebt. Eben so wenig wird Lehm, Thon oder gar schwarze Erde, wie es mitunter bei uns geschieht, als Bindungsmittel benutzt, sondern Alles mit Sandkalk gemauert. Das Löschen in Gruben[S. 331] vor dem Verbrauche, wie es bei uns Sitte ist, in der Meinung, daß durch das Auf- und Ausquellen der Kalkmasse das Volumen und die Güte desselben zunehme, stimmt nicht mit der Ansicht des Amerikaners überein. — Ist ein Haufen Sand muldenförmig ausgebreitet, so kömmt der noch ungelöschte, und in Fässern verwahrt gewesene Kalk hinein, wird mit wenig Wasser benetzt, und sogleich, nach Art des Aeschermachens zum Seifenkochen, mit der übrigen Masse bedeckt. Hierdurch, während des Löschens von der Luft abgesperrt, und von einer unnöthigen Wassermasse befreit, glaubt man den Bindestoff der Kalkmasse zu erhöhen, und ist Letztere gut mit dem übrigen Sande vermischt, so hält sich diese bis zum Verbrauche fertige Substanz schmierig und gelind, wie die bei Neubauten vorräthig aufgethürmten Haufen bezeugen.
Das Trommeln auf den Gelten, um das Leerseyn derselben zu bekunden, in welcher Zeit des Füllens der Maurer in der Regel ruht, kennt man ebenfalls in Amerika nicht. Man geht hier von der Ansicht aus, daß die Handlanger nicht deshalb am Baue seyen, um die Arbeit der Maurer zu erleichtern, oder was noch schlimmer wäre, in ihrer Faulheit zu bestärken, sondern durch zweckmäßiges Eingreifen das Ganze zu fördern. Deshalb fallen auch hier die Krahne mit den Seilen zum Aufziehen der Steine und des Kalkes weg, weil schon das Abnehmen auf dem Gerüste die kostbare Zeit eines andern Arbeiter in Anspruch nehmen würde. Jeder, zum Herbeischaffen des nöthigen Materials beauftragte Gehülfe, ist daher mit einem Tragkasten versehen, welcher aus zwei 24 Zoll langen, im Spitzwinkel zusammengenagelten Bretern besteht, die an der Rückseite mit einem Boden und unter der vordern Oeffnung mit einem Stiel versehen sind. Zwanzig Backsteine füllen den Raum des Kastens und mit solchen auf der Achsel, steigt der damit Befrachtete auf der schwanken[S. 332]den Leiter bis in die obersten Stockwerke des Gerüstes, wo er seine Last zwischen die alle 8–10 Fuß von einander aufgestellten Sandkalk-Kasten niederlegt, oder die Letztern mit neuer Masse speist, da es den mit Mauern Beschäftigten nie an Material fehlen darf.
Nur solche Ziegelsteine, welche zum Belegen von Trottoirs gebraucht werden, haben die Größe, daß zwei genau so breit sind, wie einer lang ist. Mauer-Backsteine sind aber etwas schmäler, welches den Vortheil gewährt, daß man ein, sich dem festen Lager der Ziegel entgegenstemmendes Sandkorn in der Kalkmasse, nicht wie bei uns, mit den Fingern herauszugrübeln nöthig hat, sondern dasselbe mit dem Steine zwischen die Fuge schiebt, wo es ohne zu geniren, Platz findet.
Die Kelle, welche den Hammer mit ersetzt, ist während des Gebrauches wie in die Hand gewachsen, und der Arbeiter trägt mit derselben sogleich in der ganzen Länge der ihm angewiesenen Distanz den Sandkalk auf, legt mit der linken Hand den Ziegelstein ein, und während diese Hand wieder nach einem andern Steine greift, streicht die Kelle den an der äußern Seite vorgedrungenen Kalk ab und an die Steinseite an. Diese Manipulation geht so schnell, daß es Einem erklärlich wird, wenn man hört, daß bei solch einer Arbeit ein Mann täglich 3000 Ziegelsteine vermauern muß, um bei Akkord-Arbeit das gewöhnliche Tagelohn zu verdienen. Ja, es ist in New-York allgemein bekannt, daß bei einer Wette an der Wasserleitung ein Maurergeselle von 7–12 und von 1–6 Uhr, 4000 Ziegelsteine kunstgerecht verarbeitet haben soll. Die Entrepreneurs der Bauten stellen an beide Flügel der zu errichtenden Mauer solche Matadore an, welche genau das Loth im Auge behalten, und die längs der Front ausgespannte Schnur bei jeder Backstein-Schicht vorwärts stecken, wodurch die in der Mitte der Mauerfront angestellten Arbei[S. 333]ter immer genöthigt sind, gleichen Schritt zu halten; denn ein Mal zurückgeblieben, ist es keine Möglichkeit, wieder nachzukommen, und so bedingen eine Paar gute Vormänner die Geschwindigkeit, mit welcher die andern Gehülfen arbeiten müssen.
Wie leicht, und mit welcher Kühnheit, zwei und dreistockige Häuser aufgeführt werden, ist erstaunt. Nicht selten sind die Umfassungsmauern im Erdgeschoß zwei, im zweiten Stockwerk 1½ und höher hinauf gar nur einen Backstein stark, und dabei stehen die Mauern nach allen Seiten zu kerzengerade in die Höhe, welches erklären läßt, daß man ein solches Haus, welches zwischen zwei andern Gebäuden eingeklammert ist, ohne eines oder das andere Nebenhaus zu beschädigen, in die Höhe schrauben kann, wie ich weiter unten im Briefe berühren werde. — Gewölbte Keller kommen in der Regel nicht vor, und man begnügt sich, eine Balkenlage, gleich wie in den andern Stockwerken, zu legen; werden jene bei einem Neubau verlangt, so kommen sie vor das Gebäude unter das Pflaster der Straße. Lassen dieses aber Lokal-Verhältnisse, wie Kanäle etc. nicht zu, so bringt man dieselben im Gebäude unter dem Souterrain an, da solches gewöhnlich noch zu bewohnbaren Pieçen benutzt wird. Um das nöthige Licht zu erhalten, ist längs des Gebäudes vier Fuß breit bis zur Souterrain-Tiefe ausgegraben und vor der Grube der Trottoir mit schönen eisernen Spalieren eingefaßt, womit auch die äußern Treppen versehen und verziert sind, welchen Glanz die angebrachten messingenen blanken Knöpfe noch erhöhen. — Bei Gebäuden höherer Stände sind meist auch die Treppen, wie die Thürschwellen und Säulen, wenn nicht gar ein geschmackvoll mit Säulen verzierter Vorbau vorhanden ist, von weißem Marmor aufgeführt.
Von Anfertigung einer Zulage, wie solche bei einem deutschen Hausbau die Zimmerleute vornehmen, weiß der[S. 334] Amerikaner nichts; eben so wenig versteht solcher mit einem unbehauenen Baumstamm, welcher die Axt und das Breitbeil des deutschen Zimmermanns nöthig macht, umzugehen, da die Sägemühlen alle diese Mühen ersparen und besser als es bei uns durch Menschenhände geschieht, zum Hausbau vorarbeiten. Zu allen Häusern werden fertig geschnittene Balken und Säulen verwendet, und dieses Holz sogleich nach Bedarf auf die Baustelle geschafft. Die Balken sind in der Regel nur drei Zoll stark, aber 12–16 Zoll breit, und werden alle 18–20 Zoll auseinander auf die hohe Seite in das Mauerwerk eingelegt. Die Schiedbleichen im Innern des Hauses bestehen gewöhnlich nur aus drei, selten aus vier Zoll starken Säulen, welche drei Fuß auseinandergestellt, durch schräg eingenagelte Riegel mit einander verbunden werden, und so jeder Riegel ein Band bildet, welches das Gebäude vor dem Schieben schützt. Gelocht und gezapft wird nichts, sondern Alles gut mit eisernen Nägeln verwahrt. Die Schiedbleichen, wie die Balkenlagen bleiben hohl, da man Erstere nicht ausmauert und Letztere nicht schalt oder windet, wodurch wegen Beseitigung der Steinmassen zum Ausmauern der Bleichen, der Strohlehm-Verblendung und des Brechannen-Tünches, so wie der Schutte unter den Dielen, dem Gebäude eine bedeutende Last entzogen wird. — Die Fußböden werden mit starken, gespundeten Bretern gedielt, die Decken, wie die Bleichen mit dünnen ½ Zoll breiten Latten so benagelt, daß zwischen einer Jeden etwas Spatium bleibt, wohinein der aufgetragene Kalk sich theilweis drückt, und um so besser hält. Man geht bei diesem Verfahren, Alles hohl zu lassen, von der Ansicht aus, daß erstens der Bau bedeutend billiger komme, und dann auch, daß die im Innern des Hauses in Zwischenräumen abgesperrte Luft die Zimmer eben so warm halte, als es bei ausgemauertem schwachen Bleichwerk der Fall sey.
Gebrannte Dachziegeln kennt man nicht, da ein Ziegeldach schwerlich von den leichten Bauten getragen werden könnte und gewöhnlich waren es Schindeln und weniger schwacher Schiefer, welche früher zum Bedecken der Häuser verwendet wurden. Jetzt macht man die Dächer flach und belegt die Breter-Schalung mit Weißblech, weniger mit Zink. Eine Fallthür gestattet den Ausgang auf solches und die Bewohner des Hauses trocknen bei beschränktem Hofraum daselbst ihre Wäsche. Vorzüglich gut bewähren sich bei Feuerunglück diese flachen Dächer, da man von ihnen leicht in der Nachbarschaft von oben herab dieses verwüstende Element bekämpfen kann.
Die ganz aus Holz zusammengesetzten Häuser haben bei weniger Dauer dennoch ein äußerst gefälliges Ansehen. Wird nun schon nach Verlauf von 6–8 Wochen ein großes massives Haus bis zum Bewohnen fertig und gewöhnlich nach Verlauf dieser kurzen Zeit auch sogleich bezogen, so möchte man sagen: ein solches frame house entstehe über Nacht. — Die Umfassungswände, wie die Schiedbleichen werden ebenfalls nur aus 3–4 Zoll starken Stollen zusammengenagelt. Die Balken und innern Bleichen des Hauses bleiben hohl wie in Backstein-Gebäuden. Die äußern Wände aber sind mit 6–8 Zoll breiten tannenen, sauber abgehobelten und später mit Oelfarbe angestrichenen Bretern bekleidet, welche man von oben nach unten schuppenartig ½ Zoll übereinander legt. Von der innern Seite kommen die schwachen Lättchen zur Unterlage des Kalk-Ueberzugs und die Zwischenräume werden mit ausgelauchter Lohrinde oder Moos ausgestopft, wenn man es nicht der Billigkeit wegen vorzieht, auch diesen Raum hohl zu lassen, wo in letzterm Fall von Wärmehalten freilich keine Rede seyn kann. — In Zeit von vierzehn Tagen ist so ein Haus angefangen, vollendet und bezogen.
Soll ein Gebäude um ein Stock erhöht werden, so reißt man nicht, wie bei uns, das Dach ab, und setzt das neue Stockwerk darauf, sondern man unterfährt das Gebäude, schraubt solches in die Höhe, und bringt die neuen Pieçen im Erdgeschoß an. Eine solche Prozedur geht so sicher und gut, daß oft die Logis nicht völlig geräumt werden und bewohnt bleiben. Wollte man oben aufbauen, so ging das mit Weißblech zusammengelöthete Dach verloren und oft würde auch der Unterbau die neu aufgebürdete Last nicht tragen. — Ja, die Maschinerieen, um damit massive Häuser in die Höhe zu schrauben, sind so praktikabel, daß man ganze Straßen durch Retourschieben der Häuser erweitert hat, und während meines jetzigen Aufenthaltes in New-York sind wiederum Gebäude von ihrem alten Platz um mehrere Schritte verrückt worden, welches eine der interessantesten Erscheinungen für mich war. Mit Holzhäusern macht man gar keine Umstände, und transportirt solche nach Belieben weite Strecken.
Der Zimmermann in Amerika ist eine Vermischung von dem Handwerker dieser Benennung in Deutschland, und jenem Tischler, welchen man bei uns Bauschreiner zu nennen pflegt. — Alle bei einem Hausbau vorkommenden Holzarbeiten macht der amerikanische Bauzimmermann, welches Geschäft ganz verschieden von dem des Schiffszimmermanns ist.
Der Ausbau eines Hauses geht ebenfalls, wie es mit dem Mauerwerk der Fall ist, wie mit Dampf. Die Fußböden, Treppen, Thüren und Fenster entstehen nur so unter der Hand, da das zu verwendende Material schon durch Maschinerie vorgearbeitet ist, und die einzelnen Stücke nur der Zusammensetzung bedürfen. Die Dielen, welche gewöhnlich nur 6–8 Zoll breit sind, da man wegen des Verwerfens den Kern beseitigt und diese Breite auch der[S. 337] Maschine, welche das Hobeln, Fugen und Spunden besorgt, besser zusagt, werden in der ganzen Bretslänge aufgenagelt, weil Verzierungen der Fußböden mit Friesen nicht vorkommen und die Hausbewohner in der Regel Teppiche legen. Ein vorher sich nöthig machendes Ebenen der Balken, worauf die Breter zu liegen kommen, wie es bei uns geschehen muß, findet nicht Statt, da die Balkenlagen genau nach einer Stärke geschnitten sind.
Besondere Stiegenhäuser findet man nur selten und mit Nichts geizt man im Innern des Hauses mehr, als mit dem Raum zur Treppe; selten sind solche breiter wie drei Fuß, gehen in der Regel gleich hinter dem Hauseingang in die Höhe und werden nur im Nothfall mit Winkelstufen versehen. Der Transport der größern Möbelstücke oder Instrumente muß daher durch die Fenster geschehen.
Die Rahmenstücke zu Thüren und Fenstern sind alle vorher durch Maschinerie gehobelt, gestemmt und gezapft. Flügelfenster kennt man nicht, sondern dieselben werden beim Oeffnen von unten herauf in die Höhe geschoben. Die Arbeit des Verglasens ist das Geschäft des Bauzimmermanns mit und geht, gleich Allem, schnell von Statten, da man nur drei verschiedene Größen der Glastafeln in Anwendung bringt und solche überall genau nach der Nummer bekömmt, welche man ohne Diamant einsetzen kann.
Der Thürbeschlag ist einfach und enthält außer Band und Angel nur noch eine schlichte Klinke, weshalb der Miethsmann, welcher seine Sachen besser verwahren will, ein Vorlegeschloß anzulegen pflegt.
Stuben-Oefen nach unserer deutschen Manier kommen nicht ins Haus, sondern die russische Oesse bildet im Zimmer, welches geheizt werden soll, ein französisches Kamin; der Miethsmann hat daher, gleich den andern Möbeln,[S. 338] auch für den Ofen zu sorgen, und stellt denselben, welcher mit Löchern zum Einhängen der Töpfe und einer Bratröhre versehen ist, im Winter mitten in die Stube, im Sommer auf den Boden, oder wenn man nicht im Kamin kochen will, im Hofraume auf, da in der Regel die Küchen fehlen. — Nur in Gebäuden, welche die Hauseigenthümer selbst bewohnen, oder nur von einem Miethsmanne bezogen werden, befindet sich eine Küche im Souterrain.
Die Häuser erhalten äußerlich keinen Kalk-Abputz, sondern die beim Bau theilweis verloren gegangene rothe Farbe der Ziegelsteine wird wieder durch einen Anstrich hergestellt, und die Kalkfugen mit weißer Farbe hervorgehoben. Zur vordern Façade verwendet man auch aus feinerer Masse bereitete Steine, welche wie geschliffen sind.
Die Fenster erhalten gewöhnlich Jalousieen, um dadurch während der heißen Sommertage den Zimmern eine erquickende Kühle zu verschaffen, da die dahinter geöffneten Fenster den Luftzug gestatten.
Nie kömmt der Abtritt ins Haus, sondern immer an den entferntesten Ort des Hofraumes, da es der Amerikaner für unreinlich und unpassend hält, diesen Ort in seiner Nähe zu haben, was bei den heißen Sommertagen lästig werden würde.
Daß, wenn vom schnellen und leichten Aufbau der Häuser die Rede ist, nur Privat-Wohnungen gemeint werden, versteht sich wohl von selbst. Große massive, meist aus Marmor-Quadern aufgeführte öffentliche Gebäude verlangen ebenfalls die gehörige Zeit, wie bei uns; nur daß man hier besser versteht die Zeit zu benutzen und die Hände in Bewegung zu setzen.
Fortsetzung.
(Staats-Aemter und Bürgerrecht.)
Im Dezember 1840.
Eines Abends, als ich aus dem noch im Bau begriffenen Brennerei-Lokal nach meinem Boarding-Hause gehen wollte, rief eine Stimme hinter mir zwei Mal meinen Namen, ohne daß ich beim Umsehen Jemand Bekanntes gewahr wurde. Doch, wer stellt sich das Erstaunen und meine Freude vor, als aus dem nächsten Fleischladen ein Weib auf mich zusprang, und während es meine Hände faßte und drückte, erkannte ich die Frau des Meister Fickardt, welche Familie sogleich nach unserer Ankunft in Amerika verschwunden war, wie sich der Leser erinnern wird. Keines von uns Beiden hatte später erfahren können, wo das Schicksal uns hingeführt hatte, und ich mußte sogleich der Frau in ihre Wohnung folgen, um deren Mann, so wie den alten Irrläufer auf der deutschen Reise, den Großvater, zu überraschen.
Diese arme getäuschte Schuhmacher-Familie, welche zur Zeit in einem kleinen Breterhäuschen, nur mit Hausthür und einem Fenster versehen, sich eingemiethet hatte, war bei unserer Ankunft in New-York, wo der Mann auf sein Geschäft kein Unterkommen gefunden, in die größte Bedrängniß gerathen, und hatte sich mit Aus- und Einladen der Schiffe das Nothdürftigste zu erwerben gesucht. Während der Wintermonate aber, wo der Seehandel liegt, mußten Vater und Sohn durch Steineklopfen das ärmliche Leben fristen, und die Frau mit den ältesten Kindern suchte durch Anfertigen kleiner Pappkästchen in eine Matches-Fabrik (Zündhölzer-Fabrik) den Verdienst zu erhöhen. Auch sie[S. 340] beklagten vor Allem die mangelnde Kenntniß der Landessprache, da jetzt, wo die Kinder zur Noth den Dolmetscher machen könnten, das Geschäft auf die Profession schon besser ginge, und in der Zwischenzeit, wenn sonst keine andere Arbeit vorhanden, mit Ausbessern alter Fußbekleidung das zum Leben Nöthige verdient werde. — Da diese meine braven Landsleute und Seereisegefährten nicht weit von dem Brennereigebäude wohnten, so brachte ich manche freie Stunde in ihrer Nähe, uns der lieben Heimath erinnernd, zu. — Hier erfuhr ich auch, daß zur Zeit der Seiler Schmidt mit seinem Ehegespons, da er ebenfalls auf seine Profession keine Arbeit erhalten, in der Matches-Fabrik arbeite, wohin Frau Fickardt ihre Kästchen lieferte.
Während dieser Zeit meines Aufenthalts in New-York nahm der leidenschaftliche Ton der zahllosen Zeitungen, welche sich abmüheten, dem Kanditaten zur Präsidentenstelle kein gutes Haar auf dem Kopfe zu lassen, immer mehr zu, und je näher der Wahlakt herbeikam, um so mehr wurde von Whigs und Demokraten Nichts unterlassen, um die möglichste Anzahl Stimmen zu sammeln, und deshalb im Freien, so wie in Sälen Zusammenkünfte veranstaltet, besondere Lokale hierzu erbaut, und die abscheulichsten Karrikaturen darin aufgehängt, um die Gegenparthei lächerlich zu machen und zu beschimpfen. Doch diese ununterbrochene, zur Gewohnheit gewordene Verunglimpfung und Beleidigung der rechtlichsten Männer, wie sie von der ihnen ergebenen Parthei geschildert wurden, machte solche zuletzt selbst gleichgültig gegen alle Verläumdung, und das Ehrgefühl des besten Menschen muß ersterben, wenn jeder, auch der besten Handlung, eine schlechte Absicht untergelegt wird. — Wahrlich, wem die Gelegenheit wird, hier zu sehen, mit welcher Leidenschaft man den Federkrieg führt, und welcher Mißbrauch mit der freien[S. 341] Presse getrieben wird, der kann unmöglich wünschen, daß Aehnliches bei uns entstehen möge.
Doch nicht allein, daß man dadurch geradezu verfehlt, die Gebrechen des Landes zu heilen, und bei den am Ruder stehenden Männern den Muth und die Lust, das allgemeine Beste zu fördern, erstickt, sondern man lodert auch bei jedem Laien das Feuer auf, welcher glaubt, durch das Zeitungslesen und Politisiren, welches hier zur Tagesordnung gehört, sich auf dem Gipfel intellektueller Vollkommenheit zu befinden und im Stande zu seyn, die tiefsten politischen Untersuchungen anstellen zu können, auch dabei sich erdreistet, den Weg mit vorzuschreiben, welchen die Regierung verfolgen soll.
Für mich, der sich nicht naturalisiren lassen wollte, konnte es ganz gleich seyn, wer den Sieg bei der Präsidenten-Wahl davon tragen würde, weshalb ich auch, um keiner Parthei ungehört das Urtheil zu sprechen, mit umso größerem Interesse Whigs- und demokratische Schriften las. Besonders waren es zwei neue deutsche Zeitblätter: der Wahrheitsverbreiter, in Baltimore erscheinend, welches den Demokraten huldigte, und der Pennsylvany-Deutsche, von einem Herrn Grund in Philadelphia redigirt, welches jetzt den General Harrison, den Whig-Kandidaten, in den Himmel hob, und den derzeitigen Präsidenten, Van Buren, welchem er früher gleichen Weihrauch gestreut, von ihm aber bei Besetzung der Aemter übergangen worden war, jetzt das Verdammungs-Urtheil sprach, und mitunter eine Sprache führte, die an Derbheit nichts übertraf, ja oft bis ins Gemeine herabzusteigen pflegte, wenn von Gegnern gereizt, solchen bewiesen werden sollte, daß, wenn der Wahrheits-Verbreiter an der ersten Lüge erstickt sey, schwerlich die zweite Nummer erschienen seyn würde. Zu diesen zwei Blättern gesellte sich eine dritte neue Zeitschrift: der Wächter am Hudson, in New-York erscheinend, welche[S. 342] zuerst von dem berüchtigten Dr. Frösch, Prediger der Vernunftsgläubigen, redigirt wurde; als dieser aber, um die Kasse vor möglichem Bestehlen zu sichern, die anvertrauten Gelder selbst verthat, so wurde er seiner Stelle entsetzt, und einem andern Herrn, dessen Name mir entfallen ist, die Redaktion übertragen. Nur einen Artikel hebe ich aus dieser Zeitschrift aus, um den theologischen Styl zu zeigen: „General Harrison wurde nicht bloß allen bankerotten und halbbankerotten Spekulanten, allen Geld- und Aemter-Jägern, sondern auch dem ganzen Volke als Heiland und Erlöser angekündigt. Wir, die wir zum ungläubigen Volke gehören, verlangen zur Bestätigung seiner hohen Sendung, das Unmögliche möglich zu machen, ein Zeichen. So that Jesus, so wollen alle Religionsstifter gethan haben. Jesu erstes Wunder war, daß er Wasser in Wein verwandelte; dies verlangen wir nicht von Herrn Harrison, — wir sind ein nüchternes Mäßigkeitsvolk und behelfen uns mit „Hard-Cyder“ (saurer Apfelwein), — namentlich da er so vieler „Improvements“ fähig ist. Alles, was wir von unserm neuen Heilande Harrison verlangen, ist, daß er alle kleinen Noten unter fünf Dollars in Silber, und alle größern Noten in Gold verwandle. Thut er dies, so prophezeihen wir, daß alles Volk anbetend vor ihm niederknieen wird. — Denn wir wissen, wo uns Amerikanern der Schuh drückt, und welches Glaubensbekenntnisses wir fähig sind.“
Bald wird dem unbefangenen Leser beim Studiren dieser Zeitschriften die Ueberzeugung, daß es den Herren Verlegern bei allem Anscheine, den sie sich zu geben verstehen, um das allgemeine Beste befördern zu helfen, doch nur darum zu thun ist, bei dem Wechsel der ersten Staatsämter, da der Präsident, wie die Gouverneure der einzelnen Staaten eine große Anzahl meist gut besoldeter Stellen zu vergeben haben, eine solche zu erhalten, und dieses die ei[S. 343]gentliche Triebfeder ist, welche, außer den baaren Zuschüssen von der sich verkauften Parthei, die Zeitungsschreiber und Partheiführer in Bewegung setzt. Gall giebt darüber eine weitere Definition indem er sagt:
„Die wirklichen Beamten, deren Existenz von dem Ausgange der Gouverneurs- oder Präsidenten-Wahl abhängt, sind daher die eifrigsten Mitarbeiter an den Zeitungen, welche für die Wiederwählung des wirklichen Gouverneurs oder Präsidenten Parthei nehmen, und diejenigen, welche die Drucker der Gegenparthei am thätigsten unterstützen, erwarten dafür einträgliche Stellen zum Lohne. Dieses mächtige Reizmittel erklärt am besten die Anstrengungen der Partheieen, welche so weit gehen, daß man einige Monate vor der Wahl neue Zeitungen entstehen sieht, welche nur bis zur Entscheidung des Kampfes um die Herrschaft fortgesetzt werden. — Daß ein Präsident oder Gouverneur bei seinem Amtsantritte alle von seiner Ernennung abhängige Beamten, welche nicht zu seiner Parthei gehören, absetzt und seine Anhänger mit den vakanten Stellen und Gehalten belohnt, findet man gar nicht auffallend. Die Folgen einer solchen Ordnung der Dinge sind unschwer zu würdigen. Jeder benutzt die kurze Glücksperiode der Herrschaft nach Kräften, und die häufigen Untersuchungen gegen Staatsbeamte, deren ich oben erwähnte, haben gewöhnlich Bestechungen und Geldunterschlagungen zum Gegenstande.“
Um dem Leser einen Blick in die amerikanische Staatsverfassung zu gewähren, habe ich, was Bezug auf die Staats-Aemter hat, aus Lem’s Briefen über Amerika entnommen, welcher bemerkt:
„Die ganze gesetzgebende Gewalt, der Kongreß der Vereinigten Staaten, welcher aus dem Hause der Repräsentanten und dem Senate besteht, und die vollziehende Gewalt ist dem Präsidenten der Vereinigten Staaten[S. 344] auf die Zeit von vier Jahren, und einem Vice-Präsidenten, der zu gleicher Zeit, und auf dieselbe Zeit von Jahren erwählt wird, anvertraut.“
„Das Haus der Repräsentanten besteht aus, alle zwei Jahre durch das Volk der verschiedenen Staaten gewählten Mitgliedern. Keiner kann zu einem Repräsentanten erwählt werden, der nicht das fünfundzwanzigste Lebensjahr erreicht hat, seit sieben Jahren Bürger der Vereinigten Staaten und Einwohner des Staates ist, von welchem er gewählt wird.“
„Die Zahl der Repräsentanten ist für jeden Staat der Union nach der resp. Zahl seiner freien Einwohner bestimmt, und zwar Einer, auf jedes Mal 30,000 Einwohner.“
„Der Senat besteht (weil jeder Staat zwei Senatoren ernennt, welche sechs Jahre im Amte bleiben), aus 48 Senatoren, da 24 Staaten (jetzt 27) zur Union gehören, wovon jeder Eine Stimme hat. Keiner kann zum Senator erwählt werden, wenn er nicht 30 Jahr alt, seit 9 Jahren Bürger der Vereinigten Staaten, und zur Zeit seiner Wahl Einwohner des Staates ist, der ihn wählt. Der Vicepräsident der Vereinigten Staaten präsidirt dem Senate, hat aber keine Stimme, außer wenn die Stimmen gleich sind. Der Senat wählt seine übrigen Beamten, und ernennt einen Präsidenten pro tempore in Abwesenheit des Vice-Präsidenten.“
„Der Kongreß versammelt sich alle Jahre wenigstens ein Mal, und die Zeit der Eröffnung ist auf den ersten Montag des Dezember bestimmt.“
„Jeder Staat ernennt so viel Wähler, als er Senatoren und Repräsentanten auf den Kongreß zu schicken das Recht hat. Die Wähler versammeln sich in ihren resp. Staaten, und schlagen durch Ballotiren zwei Personen, wovon eine wenigstens nicht zum Staate der Wählenden[S. 345] gehören darf, zum Präsidenten oder Vice-Präsidenten vor, der ein geborner Mitbürger der Vereinigten Staaten seyn, das 35ste Lebensjahr erreicht, und 14 Jahre sich im Staate aufgehalten haben muß. Der Präsident, der Vice-Präsident und alle Beamten der Vereinigten Staaten müssen ihrer Stellen entsetzt werden, wenn sie der Verrätherei, der Bestechung und anderer Verbrechen angeklagt und überführt worden sind. Der Präsident ist Oberhaupt der Land- und See-Macht und schwört folgenden Eid: „Ich schwöre feierlich, treu die Stelle eines Präsidenten der Vereinigten Staaten zu versehen, und die Konstitution derselben, so gut als es mir möglich seyn wird, zu erhalten, zu schützen und zu vertheidigen.““
„Die richterliche Gewalt ist einem obersten Gerichtshofe und untern Gerichtshöfen anvertraut und bezieht sich auf alle Streitigkeiten. — Der oberste Gerichtshof besteht aus einem Oberrichter und sechs Richtern und hat jedes Jahr seinen Sitz zu Washington. Die Staaten der Union bilden in gerichtlicher Hinsicht 24 Distrikte und auch wieder 7 Kreise. In jedem Distrikte ist ein Gerichtshof, ausgenommen für den Staat New-York, wo ihrer zwei sind. Diese Gerichtshöfe haben vier Mal des Jahres in den zwei Hauptstädten des Distrikts abwechselnd ihre Sitzungen. In jedem Kreise hat ein Kreis-Gerichtshof einmal jährlich eine Sitzung. Es giebt einen General-Prokurator der Vereinigten Staaten, welcher den Ankläger vor dem Ober-Gerichtshofe macht. In jedem Distrikte befindet sich gleichfalls ein Advokat und ein Marschall. Der Advokat macht den Ankläger vor den Kreis- und Distrikts-Gerichts-Höfen, der Marschall leitet den Prozeßgang dieser Gerichtshöfe, bei welchem er die Stelle eines Sherifs versieht. Der Obergerichtshof übt eine ausschließende Jurisdiction aus in allen Prozeß-Sachen, worin einer von den Staaten der Union Parthei ist,[S. 346] und in allen Prozeß-Sachen gegen die öffentlichen Beamten.“
Um bei einer Beamtenwahl seine Stimme mit abgeben zu dürfen, und im vollen Genusse aller Bürgerrechte sich zu befinden, muß man naturalisirt seyn, wozu im Staate New-York ein fünfjähriger, doch in einigen andern Staaten kürzerer Aufenthalt verlangt wird. Wer daher entschlossen ist, für immer in Amerika zu bleiben, der thut wohl, sogleich bei seiner Ankunft sich zum Bürgerwerden zu melden, und hat für Einschreibung seines Namens und für Ausstellung eines Attestes über die geschehene Anmeldung Einen Dollar zu zahlen. Zwei Jahre darauf giebt man folgende Erklärung ab:
„Ich Endesunterschriebener, gebürtig aus N.N. in N.N., so und so alt, früherer Unterthan Sr. Majestät von N.N., erkläre hiermit, daß ich gesonnen bin, Bürger der Vereinigten Staaten zu werden, und mich für immer von der Unterthanen-Treue und Pflicht gegen irgend einen andern fremden Fürsten oder Staat, besonders aber aller Unterthanen-Schuldigkeit gegen obengenannte Majestät, meinen frühern Souverain, los zu sagen.“
Ueber Erfüllung dieser Formalität erhält man ebenfalls ein Attest und zahlt dafür ½ Dollar. Fünf Jahre nach der ersten Anmeldung wird an die nächste Court des Staates, in welchem man wohnt, die folgende Bittschrift um Aufnahme als Bürger gerichtet, welcher obige Atteste beigefügt werden müssen: „Der hochzuverehrenden Court des Staates N.N. überreicht ehrfurchtsvoll der Unterzeichnete folgendes Gesuch: Der Supplikant hat zu gehöriger Zeit, der bestehenden Ordnung gemäß, sich einregistriren lassen, und seine Erklärung, daß er gesonnen sey, Bürger der Vereinigten Staaten zu werden, wie es das Gesetz erfordert, abgegeben, weshalb genannter Supplikant ehrfurchtsvoll den hochzuverehrenden Court bittet, denselben in der übli[S. 347]chen Form zum Bürger der Vereinigten Staaten aufzunehmen.“
Nach der Aufnahme muß noch folgende Schlußerklärung ausgestellt und beschworen werden.
„Ich Endesunterschriebener erkläre hiermit, daß ich die Konstitution der Verein. Staaten unterstützen, und gänzlich aller Unterthanenpflicht und Treue gegen jeden fremden Fürsten, Potentaten, Staat oder sonst eine oberherrliche Gewalt, welche sie auch seyn mag, abschwören, und mich gänzlich in dem weitesten Sinne des Worts von der Unterthanspflicht gegen meinen frühern Souverain lossagen will. Außerdem entsage ich noch ganz ausdrücklich aller Ansprüche auf irgend einen erblichen Titel oder Adelsprivilegium, und zwar besonders auf die Titel: Baron, Graf oder Herr von N. N., welchen ich bis hierher geführt habe, wozu ich mich vor der ganzen öffentlichen Court verpflichte und mit meinem Eide bekräftige.“
Wie aus dem Vorhergehenden zu ersehen ist, erfolgt die Aufnahme zum Bürger im Staate New-York erst nach Verlauf von fünf Jahren des ersten Einregistrirens, und nicht wie viele Einwanderer irrig glauben, nach fünfjähriger Wohnung im Lande; denn es könnte einer 10 Jahr hier seyn, ohne sich zu melden, so müßte er immer noch fünf Jahre warten, ehe dem Gesetze nach, seine Aufnahme erfolgen könne. Doch man braucht hierüber nicht so ängstlich zu seyn. Wie man in Amerika für Alles Mittel und Wege kennt, so genügen auch hier zwei Zeugen, welche beschwören, daß der um Aufnahme Suchende die gesetzliche Zeit im Lande sey, wobei aber dann noch fünf Dollars entrichtet werden müssen, welche Summe, um die Stimme des Betheiligten für den vorgeschlagenen Kandidaten der Präsidenten-Stelle zu erhalten, von den Häuptern der Partheieen bezahlt wird. Ja, meinem Landsmann R., welcher ebenfalls versäumt hatte, sich einschreiben zu lassen,[S. 348] und noch nicht einmal volle fünf Jahre im Lande war, wollte man, um sich seiner Stimme bei der jetzigen Wahl zu versichern, auf diese Weise zum Bürgerwerden verhelfen, wovon er aber keinen Gebrauch machte, da er keinen falschen Schwur, wozu seine bestochenen Zeugen sich verpflichtet, ablegen wollte.
Fortsetzung.
(Schule und Kirche.)
Im Dezember 1840.
Die Sonntagsfeier in New-York konnte von mir, der sich Enthaltsamkeit von allen kostspieligen Vergnügungen zum Gesetz gemacht, nicht besser verwendet werden, als in und außer dem Tempel des Herrn die verschiedenartigsten Gottesverehrungen zu beobachten, und Erkundigungen über die Schulen einzuziehen, woraus ich Folgendes zusammengestellt habe:
Es liegt wohl unstreitig im Interesse jedes Staates, daß die Jugend eine vernünftige Erziehung genieße und daß möglichst für Ausbildung der geistigen Fähigkeit gesorgt wird, worin vor Allem der Grund zu einer vernünftig wahren Gottesverehrung zu legen ist, damit bei vorgerücktem Alter die Erlernung eines praktischen Geschäfts um so leichter, und ein Staatsbürger gewonnen werde, der zum allgemeinen Menschenwohl nach Kräften beiträgt, und die wahre Zufriedenheit in sich selbst suchen kann, aber auch findet. Wie ist dieses aber wohl anders zu erringen möglich, als durch gut organisirte Schulen, welche besucht werden müssen, und wo die geistigen Kräfte des Menschen,[S. 349] wenn sie nicht im Keime wieder ersticken sollen, frühzeitig entwickelt und ausgebildet, diese Ausbildung aber bis zur Mannbarkeit fortgesetzt wird, wie dieses bei uns der Fall ist.
Ganz anders denkt und handelt man hier, wo der Amerikaner sich keine Beschränkung der individuellen Freiheit gefallen läßt, und deshalb da, wo Schulen vorhanden sind, diese nicht von den Kindern besucht werden, sie auch keine Behörde dazu anhalten darf, weil die Konstitution nichts davon enthält, und die Freiheit des Menschen sich bis auf das schulfähige Kind herab erstreckt, welches, dem Gesetze nach, nicht einmal der Vater selbst bestrafen darf.
„Hätte Amerika so viele Schulen als Kirchen, welche besucht werden müßten“, äußert sich ein Reisender, „wo außer Lesen, Schreiben und Rechnen auch das gelehrt wird, was zur Menschenbildung nöthig ist, so stände es mit dem Amerikanischen Volke besser, als jetzt, wo das junge Geschlecht aufwächst, wie der Baum in den Urwäldern. Kirchen giebt es mehr wie nöthig, und besser wäre es, die Hälfte davon würde zu Schulgebäuden benutzt. Hunderte von Kirchen werden hier jährlich neu gegründet, und doch nimmt die Zügellosigkeit, Rohheit und Irreligiosität immer mehr zu.“
Lesen, Schreiben und Rechnen sind die Hauptlehrsätze, denen nur noch wenig Andere untergeordnet sind, und welches Alles, wie mir versichert ward, auf eine leicht faßliche Manier gelehrt werde. Dabei besitzt der Amerikaner ein angebornes Genie, welches ihn schnell Alles auffassen und zur Schlauheit im Handel und Fabrikwesen geschickt macht, so wie die Grundregeln der Mechanik zu Maschinenbau erlernen läßt. Doch außer seinem eigenen Geburtslande und dessen Verfassung, welche die Zeitschriften unaufhörlich be[S. 350]sprechen, und solche zu lesen, zur allgemeinen Gewohnheit geworden ist, kennt, außer den höhern Ständen, der Amerikaner nichts, und von Europa nur wenig; die niedern Volksklassen stellen sich daher Deutschland als eine Wüste vor, welche nur von Despoten und sklavischen Bettlern bewohnt werde, die aus Mangel vom Begriff der Menschenrechte und durch Entziehung der Mittel zur eigenen Existenz in Amerika ein ferneres Fortkommen und ein neues, freies Vaterland suchen. Deshalb ist auch hier im Allgemeinen der Deutsche so verachtet, gleich den Juden in Deutschland, und nicht schnell genug kann man die englische Sprache erlernen, um sich und sein Vaterland verläugnen zu können, und dem Amerikaner als gewachsener Gegner gegenüber zu stehen.
Wie nun durch Mangel von Schulen auf dem flachen Lande, und durch Nichtbesuch der vorhandenen von vielen Städtern die geistige Ausbildung im Allgemeinen aufgehalten und erschwert wird, eben so ist dieses der Fall in Bezug auf Religion und wahre Gottes-Verehrung, und selbst in den Schulen ist die Glaubenslehre kein Gegenstand der besondern Beachtung, oder man verwickelt die Grundlagen, worauf man fußt, so in Widersprüche, daß der Schüler in ein Labyrinth geräth, woraus er später als Mann sich nicht wieder herauszufinden vermag, wenn man nicht gar allen Religionsunterricht aus der Schule verbannt, und so den Menschen ohne alle Grundlage heranwachsen läßt, wo durch solcher als schwaches Rohr in spätern Jahren nicht weis, welchen von den 61 verschiedenen Sekten er sich zugesellen soll, von einer Glaubensansicht in die andere fällt, und so an sich selbst und der Gottheit irre werden muß.
Nur wenn die Entwickelung der Begriffe vom höchsten Wesen bei der Jugend gleichmäßig fortschreitend, den Vernunftskräften angepaßt würde, damit die zur Erlangung[S. 351] menschlicher Glückseligkeit nöthige Harmonie nicht gestört werde, und sich so ein fester, wahrer, auf Vernunft gegründeter Religionsglaube in dem Menschen bilden könne, welcher ihn im Genuß des Glücks seine Menschheit nicht vergessen läßt, in Tagen der Trübsal aber wahren Trost gewährt und seinem Herzen himmlischen Balsam spendet, kann der Mensch mit weniger Gefahr für seinen Glauben die in Amerika bestehenden, so verschiedenartigen christlichen Religions-Sekten bei Ausübung ihres Gottesdienstes besuchen, ohne dabei von der Menschheit, Teufel und Hölle, so wie vom höchsten Wesen selbst falsche Begriffe zu bekommen. Denn was man hier, wo alle Glaubenslehre frei ist, zu sehen und zu hören Gelegenheit hat, grenzt an das Unglaubliche, und oft habe ich mich im Stillen gefragt: „Sind das auch mit Vernunft begabte Menschen, welche auf solch abgöttische Weise dem Schöpfer zu gefallen suchen?“
Was man von Sekten, wie die der Zitterer, Methodisten u. dgl., deren Bekenner meistentheils den niedern Ständen angehören, und welche entweder mit Blindheit geschlagen, oder, ihres weltlichen Vortheils willen, den Unsinn und die Abgötterei bis ins Weiteste treiben, denken und halten soll, ist leicht zu erklären; was soll aber der wahrhaft vernünftige Mensch zu einer Glaubenslehre sagen, die von Männern ausgeht und gelehrt wird, welche sich unter die Gebildetsten, Aufgeklärtesten und Verständigsten des Volkes zählen, und deren Grundlehre die ist: — „Verbannt alle Religionslehre, verbannt die Bibel aus den Schulen, denn das sonst für heilig gehaltene Buch ist veraltet, die Menschheit aber verjüngt. Unsere Bibel sey die Vernunft und deren Ausspruch die Religion. Kein Pfaffe lasse die Schwelle betreten, wo dem Menschen gelehrt wird, warum und wozu er auf der Welt sey, damit er nicht mit seinem Pesthauch die neue Moral vergifte und im[S. 352] Keime tödte. Laßt dem Jüngling freie Wahl, ob er sich zu einer Religions-Sekte bekennen, und welcher er sich anschließen will; denn Freiheit im Glauben ist das erste, wozu der Mensch die gerechtesten Ansprüche hat“ u. s. w.
Welch herrliche Lehre, wie passend in die jetzigen Zeiten! Welch weites Feld öffnet sich nicht der Gewissensache? Der Zeuge ist nicht mehr verlegen, wenn es auf einen Schwur ankommt. Der Spekulant, der Geschäftsmann hat nur noch den weltlichen Arm der Justiz zu fürchten, und dafür giebt es ebenfalls Advokaten, welche der neuen Lehre huldigen. Himmel und Hölle sind nicht mehr, und Gott ein zu erhabenes Wesen, um sich um solche Kleinigkeiten, wie das Drängen und Treiben der Menschen auf der Erde sey, zu bekümmern.
Wie steht es aber mit diesen Verblendeten, wenn bei der Leere des Herzens Noth und Trübsal über sie kömmt? Wo bleibt der himmlische Trost und die beruhigende Seelenruhe, die dem Menschen so Noth thut, wenn er nach dem allgemeinen Naturgesetz alles Irdische verlassen muß?
Mehrere Kirchen und Bethäuser sind von Spekulanten erbaut und werden, gleich den Gasthöfen, verpachtet, worin eine Sekte so lange in ruhigem Besitz verbleibt, bis ihr Kontrakt abgelaufen und von einer andern Religions-Parthei überboten worden ist. Kein Geistlicher wird vom Staate besoldet, und in der Regel sind es die Einkünfte des Klingelbeutels und der Trau- und Taufgelder, wofür er dient. Jedes Gemeinde-Mitglied zahlt jährlich einen bestimmten Beitrag zur Kirchenkasse; da aber die oft nicht unbedeutende Summe für Miethe des Gotteshauses nicht zulangend ist, oder um Gelder zu einem Neubau zu sammeln, so muß jeder, nicht zur Gemeinde gehörende Kirchenbesucher vor seinem Eintritt sechs Cents (2½ Sgr.) entrichten.
Bei aller Religions- und Glaubens-Freiheit sieht es doch der Brodherr gern, wenn seine Arbeiter mit ihm gleiche Gottesverehrung ausüben, weshalb mein Neffe unter die Chorsänger einer frommen Gemeinde, welcher sein Meister huldigte, aufgenommen worden war und Sonntags drei Mal zum Lobe des Herrn seine Stimme erschallen lassen mußte. Unser Landsmann R. hatte sich dagegen auf die Seite der Vernunftsgläubigen geneigt und abwechselnd das Herumtragen des Klingelbeutels mit übernommen.
Diese Sekte, welche zur Zeit den berüchtigten Dr. Frösch an der Spitze hatte, welcher keine Grenzen in seinen Religions-Vorträgen kannte, aber, zum Lobe sey es gesagt, von vielen seiner frühern Anhänger deshalb verlassen worden war, hatte, wie ich schon berührt, eine förmliche Umwandlung mit den Grundpfeilern der christlichen Glaubenslehre vorgenommen, die Bibel und die Auslegung der Evangelisten nach vernünftigen, den Menschen Heil bringenden, Grundsätzen aus der Kirche verbannt, und zum Gegenstand seines Vortrags entweder nur solche Stellen der heiligen Schrift gewählt, welche zu den forschbaren Wahrheiten gehören, z. B. Untersuchungen der evangelischen Nachrichten über die Himmelfahrt Jesu, dann die Ungereimtheiten und Widersprüche in den evangelischen Nachrichten über Jesu, u. s. w., oder weltliche Begebenheiten, wie: die Kreuzzüge, die Bartholomäus-Nacht, die Jungfrau von Orleans, zu seinem Zweck bearbeitet, wobei nie unterlassen wurde, den Staatsbürger, (da der Ausdruck Unterthan ihm zu verhaßt ist) gegen seine Vorgesetzten aufzuhetzen, und wobei er es hauptsächlich auf die Europäischen Regenten und die Geistlichkeit abgesehen hatte und darauf Bezug habende Themata z. B. Wer ist ein wahrer Republikaner? Grundsätze, nicht Personen sollen den Menschen regieren! zu seinem Kanzelvortrage machte.
Der Gesang hat ebenfalls der Musik Platz machen müssen, doch erwarte man keine wie bei uns gebräuchliche altmodische Kirchenmusik, das wäre wider die Vernunft, wie sie sagen, sondern dem Geist der Gemeinde angemessene Ouverturen und beliebte Theaterstücke werden aufgeführt und mitunter auch, wenn der Redner seine Zuhörer überzeugt zu haben glaubt, daß des Menschen Bestimmung auf dieser Welt nur die sey, sich des Lebens zu freuen und angenehm zu machen, die heilige Andacht mit einem Schottischen oder sonstigen Galopp schließt.
Dem denkenden Beobachter bleibt hier die Frage zu beantworten übrig, was wohl für den Menschen besser sey, vorwärts zu streben nach unheilbringender Aufklärung, oder rückwärts ins dunkle Pfaffenthum zu gehen. Ich glaube, daß der Mittelweg, wie er bei uns betreten wird, der beste ist.
Doch nicht allein der Mann fühlt sich in Amerika berufen, zum Seelenheil seiner Nebenmenschen beizutragen, sondern auch das schöne Geschlecht glaubt dazu auserwählt zu seyn, und diese Frommen, welchen vorzüglich ein gutes Mundwerk nicht abzusprechen ist, erzählen der um sich versammelten Menge in einer Viertelstunde mehr aus dem Stegreif, als einem alten Geistlichen möglich ist, in zwei Stunden seiner Gemeinde vorzutragen.
Besonders amüsirte mich ein Fischerweib, welches an Tagen des Herrn vom Kahne aus mit heiligem Feuereifer den nahen Untergang der Welt und die ewige Verdammniß dem sündhaften Menschen verkündigte und ihre Stimme um so ärger erhob, je weniger Zuhörer sie hatte, um dadurch die Vorübergehenden zum Stillstand zu bewegen. Während des ewigen Kommens und Gehens der Menschen, von welchen die Reuigen weinten, die Gottlosen lachten, rauften und schlugen sich zügellose Buben, doch ohne dadurch die Prophetin irre zu machen. Als aber beim Apportiren der Hunde ins Wasser die ausgeworfenen[S. 355] Ballen in den Kahn geschleudert wurden und die wilden Bestien der Geist nicht abzuhalten vermochte und solche unter den Beinen der frommen Rednerin herumspionirten, da war es aus mit der Langmuth Gottes und das Zetergeschrei des Weibes verkündigte noch in dieser Stunde das Strafgericht des Herrn, weshalb ich mich zurückzog und ins Tagebuch notirte, was ich so eben gesehen und gehört hatte.
Fortsetzung.
(Ursache der schnellen Abreise.)
Im Januar 1841.
Als die Einrichtung des Brennerei-Lokals so weit fertig war, um mit dem Apparat Proben anstellen zu können, so wurde zum Einmaischen der verschiedenen Schrotmassen geschritten; da aber die zum Gähren nöthige Wärme im Brennhaus noch fehlte, auch die zum Anfang verwendete Bierhefe nicht die beste seyn mochte, so ging die Fermention nur langsam von Statten und es wurde aus vier- eine fünftägige Maische (Bier), wie man diese flüssige Masse in Amerika nennt.
Das um einen Tag später reif gewordene Maischgut verlegte die Zeit des Abdestillirens zufällig auf den Sonntag (18. Oktober 1840), welches den Amerikanern schon unangenehm war, als ich aber vollends das Unglück hatte, dabei die Hände zu verbrennen, so erkannte man darin das Strafgericht Gottes, weil ich den Tag des Herrn entweiht. Doch um dadurch auch einen weltlichen Gewinnst zu erzielen, so wollte man mir auf die Zeit der Kur[S. 356] den wöchentlichen Lohn vorenthalten und nur auf die Drohung, in diesem Fall New-York zu verlassen und einem Ruf nach Philadelphia (welches Letztere jedoch nur eine Nothlüge war) zu folgen, blieb es beim Alten, da man überzeugt zu seyn schien, daß der Brenn-Apparat ohne mich nicht behandelt werden könne.
Als nach abgelegter Probe von mir angefragt wurde, ob man nun gesonnen sey, auf die alleinige Anfertigung solcher Brenn-Apparate ein Patent zu nehmen, wofür die bedungene Summe ausgezahlt werden müsse, gab man mir zu verstehen, daß dieses für jetzt nicht der Fall sey, da Mr. Benson in Mr. Sperring einen Kompagnon gefunden, welcher Letzterer auf Rechnung des Erstern das Brennereigeschäft mit fortzubetreiben beschlossen habe und man den Verdienst in solchem und nicht durch Verbreitung der Apparate suche. — An diesen Fall hatte leider beim Aufsetzen des Kontrakts Niemand gedacht, und so unangenehm mir solches auch war, so verhielt ich mich doch ruhig, da bei wenig Arbeit die bestimmte wöchentliche Löhnung alle Sonnabende richtig erfolgte, wodurch die zurückgelegten Gelder sich schnell mehrten.
Für Branntwein kann man von den niedern Volksklassen in Amerika Alles erhalten, und besonders sind es die hier sich niedergelassenen Irländer, welche dem Laster der Trunksucht ergeben sind. Selbst das Leben wird gewagt, wenn eine Bouteille Branntwein zu verdienen ist, wie mir ein solch irisches Vieh zeigte, welches meinen, in einen tiefen Brunnen gefallenen Hut heraufholte und sich deshalb an einem Seil bis auf die Wasserfläche hinabließ, aber auch nach überstandener Gefahr die Flasche bis auf den Grund leerte.
Um dem verderblichen Einfluß, den die Säufer auf die Sitten des Volks ausüben, und eine Menge von Lastern, Verbrechen und Elend aller Art erzeugen, Einhalt zu thun,[S. 357] so errichtete man in Amerika die Mäßigkeits-Vereine, worüber in Europa so viel geschrieben, und deren Sieg über das größte Laster eines Volks, als vollkommen gelungen, dargestellt wurde. Leider ist dieses nicht überall in dem Grade, wie man glauben zu machen sucht, geglückt, da man in den meisten Staaten die Mäßigkeits-Vereine nur noch dem Namen nach kennt, und Alles seinen alten Gang fortgeht. Die Gründer derselben mußten nur zu bald die Erfahrung machen, daß sich ein so tief gewurzeltes Laster, welches mit dem Verdienste einer großen Anzahl mit geistigen Getränken Handeltreibender so innig verwebt war, sich nicht so leicht ausrotten lasse, als man von vornherein geglaubt hatte. — Im Staate Pennsylvanien sind noch die meisten Spuren von gänzlicher Enthaltsamkeit des Genusses geistiger Getränke vorhanden und stets ist man dort bemüht, der Trunksucht Einhalt zu thun, demohngeachtet wird aber in diesem Lande noch sehr viel Branntwein verbraucht und fabrizirt.
Mitte November wurden mir von dem Fabrikherrn schriftlich mehrere Fragen vorgelegt, welche auf das Brennerei- und Destillateur-Geschäft und die Behandlung des Apparats Bezug hatten und worüber er eine genaue Definition verlangte, welche ebenfalls schriftlich von mir abgegeben werden sollte. — Dieses gab Veranlassung, von meiner Seite dabei die Bedingung zu stellen, daß mein wöchentlich festgesetzter Lohn bis Ostern k. J. fortbestehen müsse, gleich, ob ich in der Brennerei oder in der Kupfer-Fabrik beschäftigt würde, und bei meinem Abgang zu Ostern, wenn ich nicht länger zu bleiben beabsichtigen sollte, mir dann noch die Summe von 500 Dollars ausgezahlt werde.
Der Vorschlag wurde angenommen, von einem Sachkenner in zwei gleichlautenden Exemplaren alle Bedingungen festgestellt und von beiden Theilen mit den nöthigen[S. 358] Zeugen, wozu ich unsern Landsmann Herrn Ratz erwählt hatte, unterzeichnet. — Von dem Grundsatz des Amerikaners ausgehend, daß man jeden Menschen so lange für einen Schurken halten müsse, bis man von seiner Rechtlichkeit überzeugt sey (welches freilich mit der Ansicht des biedern Deutschen im Gegensatz steht), erläuterte ich zwar alle gestellte Fragen durch Zeichnung und schriftliche Erklärung so, daß man vollkommen damit zufrieden gestellt zu seyn schien, behielt aber die Hauptsache, hinsichtlich der Behandlung des Apparats, noch zurück, um mich in der Brennerei weniger entbehrlich zu machen, besonders da man beabsichtigte, aus Melasse Rum zu fabriziren, welche Prozedur mir selbst noch nicht genau bekannt, und man deshalb einen Franzosen zugezogen hatte, nach dessen Angabe das dazu Nöthige in dem Brennereigebäude hergerichtet wurde.
Während dieser Zeit wurden von mir die Pumpen gefertigt und das sonst weiter Nöthige in der Brennerei besorgt. Doch mehr und mehr suchte man mich jetzt zu chicaniren, da man glauben mochte, nun im Besitz aller Geheimnisse zu seyn, und mich, dem sie mehr als einem andern Arbeiter an meiner Stelle zahlen mußten, auf diese Weise zum Abgang zu veranlassen. Ich ersuchte daher, als die Sache zu toll wurde, am 8. Januar einen Landsmann, welcher der englischen Sprache vollkommen mächtig war, den Dolmetscher zu machen, und sich zu erkundigen wo ich gefehlt, und was sie wollten, da ich mir selbst keiner Schuld bewußt sey. Im Laufe des Gesprächs wurde mein Vertreter hitzig und stieß einige beleidigende Worte aus, worauf der Gegner die Thüre öffnete und Miene machte, ihn hinaus zu werfen. Ich, der bis jetzt den ruhigen Zuschauer abgegeben, sprang dazwischen, und während der Karambolage setzte es Blut, da ein unglücklicher Faustschlag den Gegner verwundet hatte.
Von mehreren Seiten wurde mir gerathen, weder die Brennerei, noch die Kupfer-Fabrik wieder zu betreten, weil das Schlimmste zu befürchten stehe, weshalb ich beschloß, Amerika unverzüglich zu verlassen, wenn die bedungenen 500 Dollars ausgezahlt wären, da liebe Briefe aus der Heimath die Sehnsucht nach der Familie mehrten und ich das Leben im gelobten Lande bis zum Ueberdruß satt hatte.
Um zu dem Gelde zu gelangen, war der Kontrakt von Nöthen und vom Sachwalter erfuhr ich jetzt, daß er das Original mit der deutschen Uebersetzung Herrn Ratz mit der Bitte zugestellt, mir Beides, wenn ich ihn besuchen würde, zu übergeben. Doch, wer stellt sich meinen Schreck vor, als ich von Letzterem erfuhr, daß durch ein unglückliches Verhängniß das Dokument vernichtet und solches nur noch theilweise vorhanden sey, da sein kleiner Sohn während seiner Abwesenheit mit dem Wasserglase diese Schreiben benetzt und, aus Furcht vor Strafe, dieselben auf dem Windofen zu trocknen versucht, sie leider aber über dem Spielen vergessen und so verbrannt habe.
Der Rechtsweg blieb zwar zu betreten übrig, da die Zeugen noch vorhanden waren; doch wie konnte ich, den das böse Geschick überall verfolgte, einen Streit wagen, welchen durchzuführen mir die Mittel fehlten, da die Herren Advokaten hier vor Allem das Liquidiren am besten verstehen und wobei meine zurückgelegten Gelder riskirt werden mußten, ja nicht ausgereicht haben würden, wenn die Sache in die Länge gezogen und ich den Ausgang unbeschäftigt hätte abwarten müssen. Froh war ich daher, daß ich durch Sparsamkeit mir wenigstens ein hübsches Sümmchen erworben und die Rückreise über England und Frankreich unternehmen konnte.
Jetzt, da ich fest entschlossen war, Amerika Valet zu sagen, hätte mich nichts in der Welt länger hier zurückhalten[S. 360] können. Hoch schlug das Herz und nur eines Gedankens, an Weib und Kinder, war ich mächtig. Schnell, als sey Etwas versäumt, wurde Alles geordnet, meine Sachen durch die gefällige Vermittelung des Herrn Ludekus den geraden Weg über Hamburg, den Meinen zugeschickt und mit dem Paquetschiff Montreal, welches den Abgang nach London schon auf den 10. Januar angesetzt hatte, akkordirt und, ohne Kost im Zwischendeck zu reisen, funfzehn Dollars gezahlt.
Außer einigen Leckereien, welche mir von der Gattin des Herrn Wallrabe bei Abholung meiner daselbst deponirten Gelder gefälligst gereicht wurden, war nur noch Brod, Schinken, Käse und eine Flasche Rum zur Seereise angeschafft; Thee und Kaffee sollte gegen ein Douçeur der Schiffskoch mir gewähren.
Die Anzahl der Deckpassagiere war wegen ungünstiger Jahreszeit gering, und außer mir nur noch drei männliche und eine Frauens-Person vereinigt, um im Zwischendeck einen Raum zu beziehen, welcher wohl zum Liegen groß genug, da vier Logen leer waren, außerdem aber nur noch höchstens sechs Q. Fuß Platz enthielt, wo die Kisten der Reisenden standen, die das Promeniren unmöglich machten. War auch die Wohnung gesund, da sie nicht von einer großen Anzahl Passagiere verpestet wurde, so gewährte doch der enge Raum keinen bequemen Aufenthalt im Innern des Schiffes und versprach demnach bei der kalten Jahreszeit, welche das Verweilen auf dem Deck nicht wohl gestattete, auch nicht die angenehmste Fahrt. Aber hätte man mich auch in einen Sarg gebettet, gern hätte ich es mir gefallen lassen, da der Gedanke, die Meinen nun bald wieder zu umarmen, alles Andere vergessen ließ. Um so unwillkommener war daher die Nachricht, daß die Abreise verschoben sey, und erst den 16ten d. angetreten werde, welches abermals bewies, wie wenig man in Amerika dem[S. 361] gegebenen Worte trauen kann, da bei bezahlter Passage die Versicherung gegeben wurde, daß ein Paquetboot unwiderruflich, wenn solches nicht widrige Winde unmöglich machten, die bestimmte Zeit einhalten müßte.
Am Morgen des 16ten verließ ich den Amerikanischen Boden, um ihn nicht wieder zu betreten, und war deshalb glücklicher als Tausende meiner Landsleute, welche wider Willen lebenslänglich hier festgehalten wurden.
Die Kälte hatte nachgelassen, der Schnee aber sich in einem so dicken Nebel verwandelt, daß es unmöglich war, ohne Gefahr von der Stelle zu kommen, wodurch abermals die Abreise verschoben werden mußte. Am 17. des Mittags wurde die Luft freier und der Wind blies zu unsern Gunsten, weshalb man ernstliche Anstalten zum Abgange machte. Vom Verdeck aus sah ich nochmals New-York an mir vorübergehen und mannichfaltige Gefühle wurden in mir rege bei dem Gedanken, was ich während des kurzen Aufenthalts in der neuen Welt Alles erlebt, und solches den bunten Bildern meiner Jugendzeit anreihte, wo ich die mannichfaltigsten Situationen durchgemacht; wie ein Traum kam mir Alles vor, als ich aufs Lager gestreckt, nichts mehr von Amerika, nichts von der Wassermasse sah, auf welcher ich jetzt der alten Welt wieder zusegelte. Nur die gesammelten Erfahrungen blieben zurück, und der ausgestreute Saame wird mir, da die Witterung wohlthätig mit einwirkt, die gewünschten Früchte tragen und einen neuen Wirkungskreis zu betreten, die Veranlassung geben.
Seereise nach London.
Im Februar 1841.
Im Zwischendeck wurde von mir allein eine der untern Schlafstellen bezogen und das Arrangement so getroffen, daß im Lager auch der Koffer und die übrigen Viktualien untergebracht wurden, wodurch die zur Seereise angeschafften hartgebackenen Brode, mit welchen ich mich gehörig versorgt, eine Schanze bildeten, durch welche der große Käse wie eine Bombe hervorschaute, und den genügsamen, an frugale Kost gewöhnten Deutschen vor Hunger schützte.
Vis-a-vis war die junge Amerikanerin gebettet, deren Reize dem neugierigen Blick ein zum Vorhang benutztes Tafeltuch entzog, hinter welchem die Schöne wie in einem Himmelbette ruhte. Durch unsere Lage, nur von einem niedrigen Bret getrennt, konnte ich jedes Ach und O, welches der beängstigten Brust entschlüpfte, deutlich vernehmen, und die Seufzer, wie das ängstliche Wimmern harmonirten trefflich mit einander, wenn das wüthende Element das Leben in Gefahr brachte. Nur wenn bei Sturmeswuth die Seekrankheit den Körper erschlafft hatte, und solchem Erquickung Noth that, dann öffnete meine Hand den neidischen Schleier und theilte mitleidig von dem Eingemachten, welches die Gemahlin des Herrn Wallrabe mir verehrt, weshalb dieses Geschenk mir jetzt um so trefflicher zu Statten kam, da meine Leidensgefährtin mit dem Schiffskoche einen Privat-Kontrakt geschlossen, durch welchem sie und ihr Mann mit Zucker, Thee und Kaffee versorgt wurden, und man diese Genüsse als Recompense jedes Mal brüderlich mit dem alten German (wie sie mich nannten), theilten. Darüber neidisch, suchten die über mir liegenden zwei Passagiere den über sei[S. 363]ner Frau placirten Ehemann eifersüchtig zu machen, was ihn aber nicht aus seiner Contenance zu bringen vermochte, da er unbedingt und mit Recht dem Weibe Vertrauen zu schenken Ursache zu haben glaubte, welche ihm zu Liebe das Vaterland verlassen und mit nach England überzusiedeln sich entschlossen hatte.
Die ersten Paar Tage blies der Wind ziemlich günstig, so daß das Schiff schnell aber ruhig seinen Lauf verfolgte, dann aber wuchs seine Gewalt mit jedem Tage, doch meist zu unsern Gunsten, da er aus Norden kommend, das Fahrzeug wie ein Pfeil vor sich her trieb; daß wir dabei nicht immer auf die angenehmste Art gewiegt wurden, läßt sich denken. Doch zu viel habe ich schon über dergleichen Begebenheiten gesagt, als daß ich nochmals alles das Fürchterliche, was ein Seesturm im Gefolge hat, dem geehrten Leser auftischen sollte. Es ist und bleibt immer dasselbe, und wohl dem Menschen, welcher im sichern Hafen nicht die Beschwernisse einer solchen Reise durchzumachen hat, sondern nur das, was Andern begegnete, erzählen hört.
Die Kälte war äußerst empfindlich, so daß selbst bei ruhiger See es Keinem der Passagiere auf dem Deck behagen wollte, und wir nur nothgedrungen den untern Raum und die Schlafstellen verließen. Dabei war es vor Allem das Lager, welches mir das Ende der Seereise wünschenswerth machte, indem ich aus Mangel an Stroh, auf Anrathen in New-York den Leinwandsack mit Hobelspähnen hatte ausstopfen lassen, wobei jedoch der schurkische Tischlerlehrling, vielleicht auch nur aus Mißverständniß, da solche Spähne häufig zum Brennen benutzt werden, mir trotz des mitgeschickten Trinkgeldes den Sack reichlich mit Bret- und Stollen-Abschnitten gefüttert hatte, worauf ich, wie auf einen Steinhaufen gebettet, zu liegen verdammt war. Dabei wurde die Langweile, welche durch nichts unterbrochen ward, für mich umso em[S. 364]pfindlicher, da ich auf der Reise gern spreche, und von Anderen erzählen höre, sich aber nicht ein einziges Individuum auf dem Schiffe befand, welches ein Wort Deutsch verstand, und ich deshalb nur unvollkommen über das Allgewöhnliche im Leben die Gedanken in englischer Sprache austauschen konnte. Zum Glück war ich reichlich mit amerikanisch-deutschen Zeitschriften versehen, woraus ich während der Fahrt immer besser das Gute, so wie das Böse der neuen Welt kennen lernte, und mitunter höchst interessante Aufsätze fand, von welchen ich einen, der die Ueberschrift führte: „Das weibliche Geschlecht in Amerika“, welches Thema noch zu wenig in meinen Briefen berührt worden ist, hier mittheilen will:
„Vom zartesten Alter an widmet sich der Amerikaner den Geschäften, denn kaum kann er lesen und schreiben, so wird er Kaufmann. Der erste Klang, der zu seinen Ohren dringt, ist der des Geldes. Die erste Stimme, die er vernimmt, ist die des Interesses. Mit der Geburt schon athmet er gewissermaßen eine industrieelle Luft ein. Die ersten Eindrücke, die er empfängt, überzeugen ihn, daß das Geschäftsleben das einzige sey, welches für ihn paßt.
„Ganz anders gestaltet sich das Loos des Mädchens aus gebildeten Familien; seine moralische Erziehung währt bis zu dem Tage, an welchem es sich verheirathet. Es erwirbt sich Kenntnisse in der Literatur und Geschichte; im Allgemeinen erlernt es eine fremde Sprache, meist französisch, und versteht etwas von Musik.
„Diese so unähnlichen jungen Leute beider Geschlechter vereinigen dereinst sich durch eine Heirath. Der Mann folgt dem Laufe seiner Gewohnheiten und bringt seine Zeit entweder auf der Börse oder in seinem Magazine zu. Die Frau, welche von dem Tage ihrer Vermählung an vereinzelt dasteht, vergleicht das reelle Leben, welches ihr zu Theil wird, mit der Existenz, von der sie träumte und da[S. 365] von dieser neuen Welt, welche sich ihr öffnet, nichts zu ihrem Herzen spricht, so nährt sie sich von Luftbildern und lies’t Romane. Es lächelt ihr wenig Glück, sie wird fromm, und lies’t Predigten. Hat sie Kinder, so lebt sie unter diesen, pflegt und liebkoset sie. Auf solche Weise fließen ihre Tage dahin.
„Am Abend kommt ihr Mann nach Hause; er ist sorgenvoll, unruhig, von Anstrengungen erschöpft und träumt von Spekulationen des folgenden Tages. Er setzt sich zum Essen und giebt kein Wort von sich; die Frau weiß nichts von den Geschäften, welche seine Seele ausfüllen, und so kommt es denn, daß sie selbst in Gegenwart des Mannes noch vereinzelt dasteht.
„Der Anblick seines Weibes, seiner Kinder, vermag den Amerikaner nicht der Geschäftswelt zu entreißen, und so selten giebt er denselben ein Zeichen seiner Liebe und seiner Zärtlichkeit, daß man demjenigen Familienvater, wo dieses mitunter vorkommt, und der Mann seine Frau und Kinder bei der Heimkehr umarmt, den Spottnamen: „küssende Familie“ beilegt.
“In den Augen des Mannes ist die Frau keine Gefährtin, sondern eine Handelsgenossin, die das von ihm durch den Handel oder sonstige Spekulationen gewonnene Geld für seine Wohlfahrt theilweis wieder ausgiebt.
„Aus der sitzenden und zurückgezogenen Lebensweise der amerikanischen Frauen, und aus den klimatischen Verhältnissen erklärt sich die Schwäche ihres Geschlechts; sie verlassen das Haus selten oder nie, machen sich keine Leibesbewegung, leben von leichter Nahrung und haben meist viele Kinder. Es darf daher nicht verwundern, wenn sie vor der Zeit altern und jung sterben.“
„Solche Gegensätze bildet das Leben beider Geschlechter in der vornehmen reichen Volksklasse; das der Männer ist bewegt, das der Weiber, traurig und eintönig. Gleich[S. 366]förmig verfließt es bis zu dem Tage, wo der Mann seiner Frau ankündigt, daß er bankerott gemacht habe. Dann wird aufgebrochen, und dieselbe Existenz anderswo aufs Neue begonnen.“
Die Lebensweise der amerikanischen Frauen aus den Mittelständen hat Vieles gemein mit dem Leben der vornehmen Volksklassen, doch schließt es sich schon mehr den deutschen Sitten an; dabei unterlassen sie aber nicht, öfters ihre Ueberlegenheit, wozu sie das Gesetz erhebt und beschützt, den armen Männern fühlbar zu machen.
Bei Führung der Haushaltung suchen die Frauen möglichst wenig Arbeit selbst zu übernehmen, und wenn die Domestiken fehlen, so muß die liebe Ehehälfte, der gute Mann, außer den sonstigen häuslichen Verrichtungen, auch noch für die Herbeischaffung der nöthigen Lebensmittel sorgen. Im niedrigsten Stande sucht die Frau, gleich wie bei uns, mit ihrer Hände Arbeit Geld zu verdienen, um es dann wieder in Gemeinschaft des Mannes zu vertrinken.
In ihrer Jugend sind die amerikanischen Frauenzimmer meist sehr hübsch, aber mit dem Kindbette verlieren sie ihre Schönheit, und mit zunehmender Familie schwindet ihr blühendes Aussehen ganz. Die Zähne fangen an schlecht zu werden, und mit wenig Ausnahme sind im dreißigsten Jahre keine Spuren der frühern Reize mehr vorhanden.
Bei der Verehelichung der Geschlechter findet nicht, wie es bei uns Sitte ist, ein kirchliches Aufgebot oder eine sonst gerichtliche Bekanntmachung des Vorhabens Statt, sondern der Pfarrer vollzieht, wenn die Gebühren entrichtet worden sind, die Trauung zu jeder Zeit und an jedem beliebigen Orte, ohne weiter danach zu fragen, ob die Verbindung mit oder ohne Einwilligung der Eltern geschieht, oder ob sonst Jemand Etwas dagegen einzuwenden hat.[S. 367] Daher kommt es auch, daß in Amerika Viel-Weiberei nichts Ungewöhnliches ist und Fälle vorgekommen sind, daß dem Gesetze zum Hohne, welches solches verbietet, Männer sich sechs und mehr Weiber haben antrauen lassen. In wilder Ehe leben Tausende von Menschen, und nach der neuen Vernunftslehre paßt es gar nicht mehr in jetzige Zeit, bei Vereinigung der Geschlechter einen Geistlichen oder sonst eine weltliche Macht zuzuziehen.
Viele der neugebornen Kinder bleiben nach solchen Grundsätzen ungetauft, und die Eltern legen ihnen selbst einen beliebigen Namen bei, weshalb auch keine Kirchenbücher zum Einzeichnen des Tages der Geburt und des Namens vorhanden sind.
Weder über die Geburten, noch über die Sterbefälle werden authentische Register geführt, wodurch die bürgerlichen Rechte, welche aus der Geburt und der Ehe erwachsen, sehr gefährdet werden, und je älter das junge Amerika wird, um so nachtheiliger muß dieses Verfahren für die Geschlechter sich herausstellen, und Anlaß zu einer Unzahl der verwickeltsten Prozesse abgeben.
Während der Zeit von drei Wochen, wo man auf dem Schiffe nichts weiter zu thun hat, ward alles bei mir habende Gedruckte gelesen, und jetzt die Zuflucht zu den vielen mir anvertrauten, unversiegelten Briefen genommen, welche ich entweder persönlich überbringen, oder, von mir auf dem Kontinent mit Kouverts versehen, der Post zur weitern Besorgung übergeben sollte.
Weit entfernt, die brieflichen Geheimnisse verrathen zu wollen, so halte ich es doch für räthlich, über diese Schreiben nur so viel zu sagen, daß in manchen, aber leider nur in den wenigsten, die wahren Verhältnisse der Abwesenden geschildert waren und dem gegebenen Versprechen gemäß ohne falsche Schaam über das betroffene Loos treulich berichte[S. 368]ten, um vor ähnlichem Schritte zu warnen. Andere dagegen standen im grellsten Widerspruche mit dem Leben und Wirken der Schreiber, welche sich brüsteten, täglich so und so viel zu verdienen, und dabei verschwiegen, daß sie Monate lang unbeschäftigt, nicht mit dem auskommen konnten, was während der Arbeitszeit übrig geblieben war, und auf bessere Zeiten los, Schulden machen mußten. Mitunter ist es auch wahr, daß der tägliche Lohn zur Zeit der Absendung des Briefes die in Letzterem angegebene Höhe erreicht hat, es fragt sich aber, ob der Verdienst auch von Dauer ist, in welchem Falle sich der Handarbeiter in Amerika bei Selbstbeherrschung schnell eine hübsche Summe ersparen kann, welches ihnen bei uns nach den Statt findenden Arbeitslöhnen in der Hälfte seines Lebens nicht möglich seyn würde. So aber ist in der Regel hier alle Arbeit nur momentan, da der amerikanische Fabrikherr nicht nach deutscher Manier, eine Bestellung nach der andern in Arbeit giebt, und so fortwährend eine bestimmte Anzahl angelernter Arbeiter beschäftigt, sondern zu gleicher Zeit alle Aufträge vornehmen läßt, wozu ihnen die zweckmäßigen Maschinen die Möglichkeit verschaffen, auch dabei Gehülfen mit anstellt, welche das Geschäft eigentlich nicht erlernt haben, und es demnach nur einiger guter Vormänner bedarf, welche die Aufsicht führen. Wie nun die neu eingehenden Bestellungen nachlassen, und die Arbeiten schnell gefördert werden, so vermindert sich auch die Zahl der Arbeiter oft bis auf die wenigen Vormänner, und die fleißigsten Hände erwarten dann mit Ungeduld die Zeit, wo sie von Neuem Beschäftigung und Verdienst erhalten. Daher darf man nicht fragen: Was verdient ein Arbeiter in Amerika den Tag? Sondern: Was bleibt übrig, wenn das Jahr um ist? und das Facit ist in der Regel, wie bei uns, Nichts! Dabei lebt man aber in unserm Vaterlande in einer heilbringenden, geregelten Freiheit,[S. 369] welche der Gerechtigkeitsliebende aus jedem Stande, der das Gute nur erkennen will, überall, wenn auch zu Zeiten umwölkt, auffinden kann. Jedem Menschen es recht zu machen, vermag kein Gott, noch weniger eine Behörde. Wo sind aber in Amerika die Staaten, in denen für Alle, arm oder reich, gleiche Rechte wie bei uns, zu finden sind? Und dennoch lassen Viele sich bethören, verlassen, um der Freiheit willen, ihr liebes Vaterland, und übergeben sich der Gnade und Abhängigkeit der reichern amerikanischen Volksklassen.
Einige meldeten, daß sie in Amerika mehr Fleisch äßen, als sie in Deutschland gesehn hätten, und vor Allem Kalbs-, Rinds- und andere Köpfe, von welchen der Amerikaner keinen Gebrauch mache, um einen Spottpreis kaufen könnten; desgleichen wären auch Knochen mit noch vielem Fleischanhang beinah um nichts zu haben.
Wie ich schon erwähnt habe, ist der Amerikaner kein Freund von Suppen und legt daher um so weniger Werth auf Knochen, mit welchen wir in Deutschland von unsern Fleischern als Zulage leider nur zu reichlich versehen werden. Aus diesem Grunde wird in Amerika alles Fleisch ohne Knochen und Letztere werden nur auf besonderes Verlangen gegen einen sehr billigen Preis, verabreicht. Hinter den Fleischerscharren befindet sich eine förmliche Wagenburg, auf welcher man die ausgeschälten Knochen sehr unappetitlich den Tag über aufbewahrt, bis sie Abends an Fabrikanten zum Seifekochen etc. ihrer weitern Bestimmung zugeführt werden. Schreibt nun mitunter ein Deutscher aus einer großen Stadt in Amerika, (auf dem Lande ist dieses etwas anders) daß er mehr Fleisch äße, als er in Deutschland zeither gegessen habe, so ist er, bezüglich dieser Delikatesse, wie man aus Vorstehendem ersieht, nicht immer zu beneiden.
Wurst- oder Kesselsuppe kennt der Amerikaner ebenfalls nicht, da er es für Sünde hält, den Schweiß vom Schweine aufzufangen und Blutwurst davon zu machen. Nur von[S. 370] eingewanderten Fleischern wird gegen des Landes Sitte Wurst gemacht.
Ein Schuhmacher zeigte an, daß er mit den Seinigen bei jedem Mahle verschiedene Gerichte verzehre, die ihm äußerst billig zu stehen kämen; er ließ aber weislich die nähere Definition weg, daß nämlich seine Frau aus den Speisehäusern die Ueberbleibsel der Mahlzeiten zusammentrage, welches buntschäckige Gemenge nicht immer das appetitlichste war.
Ein Bäcker berichtete unter andern, über das ihm in Amerika betroffene Mißgeschick, mit folgenden Worten: „Ich miethete mich bei meiner Ankunft in New-York bei einem Schneider ein, mit der Bedingung, in seinem Hause einen Backofen und das sonst Nöthige zum Geschäft aufbauen zu dürfen. Zu meiner Freude sah ich täglich die Kundschaft sich mehren, zahlte pünktlich alle Monate im Voraus, wie der Kontrakt besagte, die Rente, ohne mich weiter um etwas zu bekümmern.
Da ich die Quittungen vorsichtig aufbewahrte, so war ich ruhig ½ Jahr im Besitz des Quartiers, als eines Morgens ein stattlicher Herr nach dem Aufenthalte meines vermeintlichen Hauswirths frug, bei welchem, wie ich vermuthete, ein neuer Anzug bestellt werden sollte, wurde aber statt dessen in Kenntniß gesetzt, da wir die Thür zu dessen Stube verschlossen fanden, daß der Schneider, als Miethsmann vom ganzen Hause, auf ein halbes Jahr die Rente schulde und sich deshalb, wie es schien, auf und davon gemacht habe. Daß für mich, welcher Quittung über richtig geleistete Zahlung von dem, bei welchen ich eingemiethet, in den Händen hatte, Nachtheil daraus entstehen könne, kam mir nicht in den Sinn; um so unerwarteter war daher der Bescheid, daß ich, den man im Hause gefunden, auch für den entlaufenen Miethsmann mit einstehen müsse, und die Bescheinigung vom fälschlichen Hausbesitzer über gezahlte Rente ohne Unterschrift des wah[S. 371]ren Hauseigners ungültig sey, und ich mich deshalb besser hätte erkundigen sollen.
Der Bau des Backofens, wie die übrige Einrichtung, hatte mein mitgebrachtes Geld verschlungen, und bei weniger Kundschaft und gezahlter Miethe an den verteufelten Schneider, war nichts weiter, als eine bessere Zukunft übrig geblieben, welcher ich froh entgegenging. Jetzt aber, da ich unvermögend war, die geforderte Summe zu erlegen, und bei der Vorstellung, daß ich als Fremder unmöglich die Gesetze kennen könne, und es auch schicklicher gewesen sey, mich früher aus dem Irrthume zu reißen, mußte ich froh seyn, mit Zurücklassung der Backgeräthschaften meine Freiheit zu erhalten, und als armer Geselle das weitere Fortkommen zu suchen.“
Hier hat der Gesetzgeber, von der Ansicht bestimmt, daß ein Miethsmann den andern besser beaufsichtigen könne, als es dem Besitzer mehrerer Häuser möglich sey, für den Reichen trefflich gesorgt, und den armen Miethsmann, welcher seinen Geschäften nachgehen muß, der Gefahr ausgesetzt, daß der Hausvoigt, im Einverständniß mit dem Hausbesitzer, sich mit dem einkassirten Gelde entfernt, und so die Zurückgebliebenen in den Fall kommen können, doppelt auszahlen zu müssen.
Ein anderer Bäcker berichtete, wie einer seiner amerikanischen Kollegen mit dem Vorgeben, Familien-Verhältnissen halber nach einem andern Staat zu ziehen, seine Kundschaft, wohin er das Brod fahre, ausgeboten, und an ihn für einige hundert Dollars verkauft habe. Nach empfangener Zahlung hätte aber der Schurke seinen Entschluß geändert, ein anderes Haus bezogen, einen Backofen gebaut, und jetzt wie früher das Backgeschäft fortbetrieben und ihn so um das sauer ersparte Gut geprellt. „Herrliche Freiheit!“
Dann beliebte es wieder einem unserer Landsleute, den Seinen brieflich zu erzählen, wie er in Freistunden und[S. 372] des Sonntags auf der Jagd sich erlustire, immer in Freude und Herrlichkeit lebe, und die Kinder der schönsten Zukunft entgegen gingen, obgleich in der Gegend, wo der Erzähler wohnte, nicht ein Schwanz mehr zu schießen war und nur das Nothdürftigste erworben wurde, die Kinder ohne Schule wild heranwuchsen, weshalb sie um die schöne Zukunft wahrlich nicht zu beneiden sind.
Alle Briefe zu besorgen, hielt ich für Pflicht, da ich mich einmal dem Geschäfte unterzogen und sonst keine Verantwortung übernommen hatte, gleich, ob der Inhalt wahr, oder erlogen sey. Nur einer wurde von mir vernichtet, da durch solchen ein armes Weib hintergangen und betrogen war, und es mir besser schien, diesem bedauernswürdigen Geschöpfe keine Kunde vom Mann zukommen zu lassen, als in dem betrogenen Mutterherzen falsche Hoffnungen zu erregen. Der Absender dieses Schreibens, welcher sich in Amerika für ledig ausgab, und wie Alle, die mit ihm zusammenwohnten, auch nicht anders glaubten, feierte einige Tage vor meiner Abreise die Verlobung mit der Wittwe eines erst kürzlich verstorbenen Amerikaners, welcher einen Trinkstoor besessen, weshalb, um dieses Geschäft nicht eingehen zu lassen, die Frau schnell wieder einen Mann zu erhalten suchte. Erst auf dem Meer, nach Lesung des mir übergebenen Briefes, wurde die Maske dieses leichtsinnigen Menschen gelichtet, welcher im Vaterlande Frau und Kinder im Stiche gelassen, und in Amerika ein Weib betrog.
Die abgeschmacktesten Lügen, wie die Angabe von abgeschicktem, aber wie zu befürchten stehe, nicht angekommenen Gelde, um welches er nun gekommen, dann die Unmöglichkeit, da er krank sey, die Familie jetzt nachkommen zu lassen und dieses bis auf bessere Zeiten verschoben werden müsse und dergleichen Geschichtchen mehr, enthielt der Brief.
Durch solche Fälle aufmerksam gemacht, kann es einer Behörde, oder dem Vorstand einer Gemeinde nicht verargt[S. 373] werden, wenn sie dem ohne Frau und Kinder zur Auswanderung entschlossenen Mann Hindernisse in den Weg legen, da selten die gemachten Pläne der Letztern in Amerika sich realisiren, und dadurch selbst mancher brave Familienvater wider Willen von den Seinen getrennt leben muß, und dann ist es leicht möglich, daß die Zurückgelassenen der Verpflegung der betreffenden Gemeinde anheim fallen.
Schon gaben wir uns der Hoffnung hin, daß das Ziel der Reise ohne einen besondern Unglücksfall bald erreicht sey, und waren so an das gewaltsame Anschlagen der Meereswogen, wie an das unsanfte Auf- und Absteigen des Schiffes, gewöhnt worden, daß wir, gleich den Matrosen, wenig Gewicht mehr auf die Ankündigung von Sturm legten, da diese Kunde häufig zu unsern Ohren drang.
Nach der Wärme zu schließen, mußten wir die letzte Zeit der Fahrt weit südlich schiffen, weshalb wir bei ruhiger See den Tag über auf dem Deck zuzubringen suchten, um durch die scharfe Seeluft ermattet, die Nacht besser zu ruhen. So lag ich einst in süßen Träumen des ersten Schlummers, als der ungewöhnliche Lärm der Matrosen, während des Beilegens der Segel und der mit der Leuchte zu uns herabsteigende Zimmermann, welcher Werkzeug holen wollte, die Kunde gab, daß ein Unwetter im Anzuge sey, weshalb der Kapitän, bei der Nähe des Landes, zeitig alle Vorkehrungen treffen wolle.
So willkommen uns die letzte Nachricht zu einer andern Zeit gewesen wäre, so stand jetzt zu befürchten, während der Nacht an die Küste getrieben, noch Schiffbruch zu erleiden; doch dieser Gedanke, so schrecklich er war, wurde bald von dem Geheul und Lärmen der Wellen, dem Pfeifen des Windes durch die Segel, wie von den Jammertönen unserer Leidensgefährtin, verscheucht, welche gleich mir schrecklich von der Seekrankheit geplagt wurde. Jedes von uns suchte sich so gut als möglich während der dun[S. 374]keln Nacht im Lager festzuklammern, da die Gefahr, herausgeworfen zu werden, mit jeder Viertelstunde zunahm, und die gewaltsam anschlagenden Wassermassen das Fahrzeug in allen seinen Fugen zu zerreißen drohten, welches Geprassel die Ladung des Schiffes noch vermehrte, von welcher die obersten Mehlfässer aus nicht vollen Reihen knarrend sich gegen die Rippen des Schiffes andrückten, und bei jeder veränderten Stellung des Fahrzeugs hin und her rollten, sich aneinander rieben und ein recht widriges Getöse verursachten.
Wie einem Jeden von uns zu Muthe war, gaben die Klagetöne zu erkennen. Als aber während dieser Katastrophe die verschlossene Luke über der Treppenstiege geöffnet wurde, und mit den sofort hereinschlagenden Wellen die Schreckensworte herabtönten: „auf Befehl des Kapitäns, unsern Aufenthalt schnell zu verlassen und in der Kajüte das Weitere abzuwarten“, glaubten wir sicher, in den Wellen begraben zu werden. So schnell als es die erschöpften Kräfte bei dem Schwanken des Fahrzeugs erlaubten, welches taumelnd jeden Augenblick bald rechts, bald links schräg auf den Meereswogen lag, raffte sich ein Jeder auf, um durch die aufschlagenden Wassermassen, dem Schiff entlang, auf allen Vieren kriechend, da ein Aufrechtgehen unmöglich war, die Kajüte zu erreichen.
Ohne selbst recht zu wissen, was geschehen sey, da der in englischer Sprache gegebene Befehl bei dem Getöse nur wenig verständlich war, hatte ich glücklich bei dunkler Nacht das Verdeck erreicht, um mechanisch den Andern zu folgen, wurde aber sogleich durch eine aufschlagende Welle übergossen, welches mich bestimmte, wieder hinabzusteigen, da ich noch bei der Gefahr, zu ertrinken, durch Erfahrung an Erkältung dachte und die wollene Decke nachzuholen beabsichtigte, wobei ich leider, während der Fuß unsicher nach der nächstfolgenden Stufe suchte, die noch zurück[S. 375]seyende und vom Manne verlassene Amerikanerin vor die Brust trat, wodurch dieselbe mit einem Schrei hinabstürzte und bewußtlos am Boden zwischen den Koffern liegen blieb.
Wie war es jetzt möglich, da ich selbst, ohne mich fest anzuhalten, nicht stehen konnte, dieses durch den unglücklichen Tritt an der Flucht gehinderte, bedauernswürdige Geschöpf mit fortzubringen? Sie ihrem Geschick zu überlassen, wäre unmenschlich gewesen, und obiger Vorwurf hätte mich betroffen, wären wir Uebrigen beim schlimmsten Ereigniß gerettet worden und nur diese Arme hätte durch meine unschuldige Veranlassung, mit dem Leben büßen müssen.
Nicht zu beschreiben war unsere beiderseitige Lage. Angst und Bangigkeit im Herzen, über das, was noch kommen konnte, fort und fort durchnäßt von den einschlagenden Wellen, welchen wir, gerade unter der Luke, ausgesetzt waren, dabei das anhaltende Erbrechen, welches die Brust zersprengen wollte, und nicht vorsichtig beseitigt werden konnte, wodurch Eines das Andere beschmutzte. O! ihr beneidenswerthen Kajüten-Reisenden, von allen Diesem habt ihr nichts zu erfahren und deshalb auch nichts davon zu berichten.
Während ich mich noch abmühte, das junge Weib auf die Füße zu bringen und Trost zuzusprechen, in der Angst vergessend, daß sie kein Wort Deutsch verstand, und ich eben so wenig ihre halb ausgesprochenen Gedanken enträthseln konnte, wurde von einem Matrosen, der nicht wußte, daß wir noch zurück waren, um den innern Raum vor dem einschlagenden Wasser zu verwahren, die Decke der Oeffnung mit einem „God damn!“ zugeschlagen und so der letzte Sternenschein von uns abgeschnitten.
Wie in Grabesnacht der Erwachende ängstlich horchen mag, ob sich nichts rühre, was sein Pochen vernimmt, so übertönte hier als Gegensatz das tobende Element unsern Ruf und gleichsam lebendig begraben, wurden wir, von den[S. 376] übrigen Passagieren abgeschieden, unserm Schicksal überlassen.
Nach langer Mühe gelang es mir endlich, die arme Frau, welche besinnungslos nicht mehr wußte, was um sie vorging, in die Koje zu bringen, worauf ich selbst nach meinem Lager kroch und abgespannt an Leib und Seele, nicht im Stande war, einen Gedanken zu fassen und eben so wenig betete, als wie ein Murren meinen Lippen entging. Gott und die Welt waren vergessen. Der Angstschweiß lief über Kopf und Wangen, wobei die nassen Sachen den Unterleib erstarrten, weshalb ich mich zu entkleiden bemühete. Doch dieses Geschäft, wozu nur eine Hand verwendet werden konnte, da die andere zum Festklammern diente, brachte mich, da es nicht gehen wollte, so in Harnisch, daß ich mich vergessend, wie ein Landsknecht fluchte. O, German! rief mir eine Engelsstimme zu, worauf ich beschämt jetzt wieder an meine Nachbarin erinnert wurde und solcher mit dem Ausdruck: „Arme Lady“ meine Reue zu erkennen gab.
Was ist doch der Mensch für ein erbarmungswürdiges Geschöpf, wenn er unvermögend, der Gefahr zu entrinnen, ruhig abwarten muß, was die Mächte des Himmels über ihn beschlossen. Ja in solcher Lage ist wahrlich das Vieh, welches nicht weiß, was mit ihm vorgeht, glücklicher. Um weniger zu erfahren, wie im schlimmsten Falle das Wasser schmecke, empfahl ich Gott meine Seele und suchte durch Leeren der Rumflasche die Sinne zu betäuben, welches auch, da der Magen leer und der Kopf ohnedies ganz wüste war, schnell gelang, worauf ich im Schlaf versunken, nichts mehr von Allem vernahm, was um und über uns nach Mitternacht vorging.
Noch heulte der Wind am Morgen durch die Segel und peitschte die Wellen, daß solche keine Ruhe finden konnten, als die Luke sich öffnete und mit dem jungen[S. 377] Tage uns neue Hoffnung beseelte. Der Schiffskoch, in Begleitung des Mannes, brachte der Lady Kaffee und die Nachricht, daß die Gefahr vorüber, da der Orkan durch die geschickten Manövres des Kapitäns das Fahrzeug rückwärts gedrängt, und man jetzt weit vom Ufer entfernt, wieder auf hoher See schiffe.
Der reuige Mann suchte seine Unschuld zu beweisen, daß er, getrennt vom Weibe, die fürchterlichste Nacht habe zubringen müssen, da er mehr um ihr als sein Geschick besorgt gewesen sey. Doch verrieth auch das liebende Weib nicht durch Worte, was ihr Herz empfunden, so malte sich doch deutlich ihr Unmuth im Gesicht, wobei sie meiner freundlich gedachte, der ihr hülfreich während der Gefahr zur Seite gestanden; dabei war sie sich jedoch nicht bewußt, daß durch mein Retourgehen sie am Ersteigen der Treppe gehindert und dieses die Veranlassung zum Fall gegeben, sondern während der Bestürzung und bei der Dunkelheit der Nacht hatte sie den Fußtritt für etwas vom Verdeck Herabfallendes gehalten, von welchem Wahn ich sie auch weislich nicht befreite.
Drei Tage später kamen wir Englands Küste wieder nahe und nachdem ich vernommen, daß der Pilot an Bord und das Schiff sicher auf der Themse Englands Riesenstadt zuführe, schlug das Herz freudig im Busen, denn bald sollte wieder einer meiner Lieblingswünsche in Erfüllung gehen.
Nach einer Fahrt von nur 25 Tagen, wobei das Schiff retour geschlagen und dadurch Zeit verloren ging, langten wir glücklich am 12. Februar in London an, wo uns sogleich die Kunde wurde, daß bei dem letzten Sturm an Englands Küsten mehrere Fahrzeuge gestrandet, und wir froh seyn könnten, nur mit dem Schreck davon gekommen zu seyn, und jene Zahl nicht vermehrt zu haben.
Aufenthalt in London.
Im Februar 1841.
Noch vor Ankunft unsers Packetschiffs, an seiner bestimmten Station, in dem seinem Welthandel angemessenen großen Basin, wohin es aus der Themse durch einen Seitenkanal langsam an Seilen gezogen wurde, verließen die, während der Seereise über mir logirt gewesenen zwei Passagiere das Fahrzeug und verschwanden alsobald unter der gaffenden Menge am Ufer, welches zu der Vermuthung Anlaß gab, da solche vor ihrer Entweichung aus einem unter ihrem Lager versteckt liegenden Packet etwas zu sich steckten, daß solches Kontrebande seyn müsse. Selbst als das Schiff in der Mitte der ringsum auf dem Basinufer erbauten Zoll- und Lagerhäuser wie in einer Festung sich befand und kein Fahrzeug bei Konfiskation außerhalb dieses Terrains und in solchen auch nicht das Geringste von Waaren vor der Revision ausladen darf, kamen die Schwärzer durch die mit Wachthäusern besetzten Ausgänge dieser Anstalt, versahen sich von Neuem mit Waaren und trugen solche am Leibe versteckt dreist durch die wachthabenden Zollbeamten, ohne weiter angehalten, noch weniger visitirt zu werden. — Was soll man dabei denken? Neugierig, was es wohl seyn mochte, um dieses Risiko zu unternehmen, untersuchte ich den Versteck und fand Kautaback, welcher, wie ich später erfuhr, hoch besteuert sey.
Während der Zeit, bis die Matrosen eine Passage zum Transport unserer Sachen aus dem Schiffe besorgten und die Koffer selbst genau visitirt wurden, so daß auch das letzte Stück ausgeräumt werden mußte, hatten die Kontrebandiers, einzeln oder in Gesellschaft Anderer, mehrmals die Eingänge passirt, ohne Verdacht zu erregen und durch[S. 379] geschickte Manövres die Wächter getäuscht und so die weislich außer ihrem Koffer im Schiff verwahrten und bei etwaigem Verrath als ihnen nicht zugehörige Waaren, in Sicherheit gebracht.
Das junge Ehepaar war ebenfalls mit Zurücklassung seiner Sachen sogleich bei unserer Ankunft verschwunden, und so stand ich fremd, ohne Rathgeber und gehörige Kenntniß der Sprache, in der Mitte einer Menge Allerwelts-Freunde, welche ihre Dienste anboten, ein Jeder etwas zu erinnern wußte und sich bemüheten, den deutschen, aus Amerika angekommenen Vogel die Federn mit rupfen zu helfen. Wider Willen schleppte mich einer dieser dienstfertigen Leute nach dem Bureau, wo eine Aufenthaltskarte gelöst werden müsse, ohne welche mich Niemand beherbergen dürfe, mit der Bemerkung, daß während der Zeit die Andern meine Sachen in Aufsicht behalten wollten.
Die Schuldigkeit eines jeden Reisenden ist, sich in die örtlichen Gesetze zu fügen, wobei ich zugleich erinnert wurde, daß ich nicht mehr in Amerika war, wo Niemand bei der Ankunft, während des Aufenthalts und der Abreise sich die Mühe giebt, zu fragen, ob Einer Hans oder Kunz heiße, wo und wie lange man in den Vereinigten Staaten zu bleiben willens sey und was Einer zu treiben gedächte. Alles dieses sind Sachen, welche nur mit den relativen Begriffen von Freiheit der Amerikaner übereinstimmend sind.
Nur einige hundert Schritte entfernt, da man mich durch mehrere Hausgänge führte, war die Office, und an der Thür angelangt, gab mein Begleiter durch das Oeffnen der Hand zu verstehen, daß er für seine Mühe abgelohnt seyn wolle, mit dem Bemerken, daß er mich dann eben so schnell wieder retour geleiten werde. Zu meinem Verdruß fand ich beim Durchsehen des Silbergeldes keine kleinere Münze als ein Six-pence-Stück (5 Sgr.), erhielt aber[S. 380] zur Verwunderung statt Dank, das mir zu viel scheinende Geld mit der Bemerkung zurück, daß unter einem Schilling (10 Sgr.) ein Engländer keinen Dienst erweise. Hier half kein Besinnen, das Geforderte zu zahlen, da seine Kollegen im Besitze meiner Sachen waren.
Nachdem man mich, da kein Paß aufgezeigt werden konnte, in deutscher Sprache sehr zuvorkommend examinirt hatte, stellte man einen Schein über geschehene Meldung aus, welcher von mir am Tage der Abreise zurückgegeben werden sollte. Diese ganze Verhandlung dauerte höchstens eine Viertelstunde, welche Zeit meinem Wegweiser doch zu lange vorgekommen seyn mochte, um das Geld wieder im allgemeinen Verkehr zu bringen, oder durch neuen Verdienst zu vermehren; kurz er war verschwunden, und ich so genöthigt, den Rückweg allein anzutreten.
Obgleich keiner der Hüter meiner Sachen in deren Nähe sich befand, welche auch, wie ich später erfuhr, ohne besondere Aufsicht sicher gestanden haben würden, so hielten doch alle drei die Hände auf, in dem Glauben, daß in jede ein Schilling gelegt werde. Der Gemahl meiner jungen Leidensgefährtin, welcher zurückgekommen war, nahm sich aber der Sache an, und fertigte in meinem Namen Alle für ihr Nichtsthun mit einem Schilling ab.
Um ein deutsches Kosthaus, wo man billig logiren sollte, zu beziehen (wenn das Wort „billig“ in London Anwendung finden kann), nahm ein vereideter Lastträger, wie es das angehängte Schild zu erkennen gab, meinen Koffer mit auf seinen schon mit andern Sachen beladenen, zweirädrigen Wagen, welcher von zwei kleinen Buben gezogen wurde, und bestimmte, da dieses Hôtel weit entfernt seyn sollte, sechs Schillinge Fuhrlohn. In der bald erreichten Bishopsgate-Street, bei Old Catherine Wheel Jun., wurden die übrigen Sachen abgeladen und zu meiner Freude fand ich hier einen Straßburger wieder, den ich[S. 381] schon in Amerika kennen gelernt, und der jetzt, wie ich, auf der Heimreise begriffen war, da er jenseits des Meeres auch nicht gefunden, was Tausende vergeblich suchen. Auf den Vorschlag, hier zu logiren, und dann mit ihm und einem zweiten Landsmann, welcher auch aus Amerika kam, die Reise über Paris zu machen, war nichts einzuwenden, und da er versicherte, daß der Wirth, ein geborner Franzose, zwar auch die Feder zu spitzen verstehe, er doch nicht, wie es hier die Sitte in andern Hôtels sey, das Fell über die Ohren ziehe, und ich leicht auch bei dem rekommandirten deutschen Wirthe aus dem Regen in die Traufe kommen könne, so gab ich nach und blieb hier.
Dagegen hatte der Fuhrmann nichts einzuwenden; als ich aber statt sechs nur drei Schillinge für den Transport des Koffers zahlen wollte, da noch nicht die Hälfte des akkordirten Weges zurückgelegt war, und dieses schon übertheuer bezahlt sey, wie die Andern versicherten, so predigte ich doch tauben Ohren. Ohne seine Schuld sey der Weg gekürzt worden, war die Antwort, und Niemand könne sein gutes Recht auf die bedungene Summe ihm absprechen, auch würde er bei weiterm Aufenthalt noch wegen Zeitverlust auf Vergütung Anspruch machen.
Mit den englischen Gesetzen zu wenig bekannt, und um einen Rechtsstreit zu beginnen, nicht nach London gekommen, zahlte ich also, und mache dieses als Vorgeschmack bekannt, damit man sehe, was den wenig bemittelten Reisenden für Genüsse in England erwarten.
Noch zu sehr erschöpft und ärgerlich gestimmt über die unverschämten Forderungen dienstbarer Geister, ward beschlossen, die letzten Stunden des heutigen Tages zu ruhen, und morgen erst die Wanderung durch Britanniens Hauptstadt zu beginnen. — Um die Wollust, auf einem weichen Bette sich zu pflegen, recht zu empfinden, muß man, wie ich, mehrere Wochen vorher unter immerwähren[S. 382]den Stürmen auf hartem Lager zugebracht haben. — Schon war es hoch an der Zeit, was ich nicht bemerkt hatte, da die herabwallenden Bettvorhänge dem Auge die Tageshelle verbargen, als die im Nebenzimmer logirenden Landsleute mich weckten, da der auf heute bestellte Lohnbediente angekommen sey.
Schnell war die Toilette gemacht, schneller noch das Frühstück verzehrt, und: „Wohin nun zuerst die Schritte gerichtet?“ war die Frage des Wegweisers. Die Ansichten stimmten nicht überein. Der Themse-Tunnel, dieses Riesenwerk, erregte vor Allem meine Neugierde, dagegen der dritte Landsmann, als Bierbrauer, die großartigen Anstalten Londons zuerst besehen wollte, der Straßburger, als Handelsmann, aber die Börse und von der großen Brücke herab, das Gewühl der Fahrzeuge auf der Themse zu sehen wünschte. „Es wird wohl das Beste seyn“, versetzte der Cicerone, „wenn Sie sonst keine bestimmten Geschäfte abzumachen haben, und die Briefe nebenbei abgegeben werden können, daß wir uns zuerst nach dem volkreichsten Theile der Stadt, der City, begeben, damit Sie sogleich einen Blick in Londons Geschäftsleben werfen, und auf dem Wege durch Lutgad-hill, das Packet besorgen können.“
Kaum hatten wir unser Logis im Rücken, als der Führer den Antrag stellte, im Falle wir einige Wochen hier verleben wollten, unsern jetzigen Aufenthalt zu verlassen, wo, im Verhältniß zu andern großen Städten, bei aller Billigkeit noch theuer zu logiren sey. Dagegen finde man mit leichter Mühe, wie auf den an den Häusern angeschlagenen Zetteln zu ersehen sey, überall zur Miethe ausgebotene Wohnungen, groß oder klein, elegant und einfach meublirt, je nach Bedarf. Da wir aber nur einige Tage in London zu bleiben gedachten, wurde für die Nachricht gedankt, ohne selbst Gebrauch davon zu machen. Ich halte es aber der Angabe werth, da es vielleicht dem geehrten[S. 383] Leser zu Gute kommen mag, wenn er nach vollendeten Eisenbahnen einen Abstecher nach England zu machen, willens seyn sollte.
Größer noch, wie in New-York, ist das Treiben und Wogen der geschäftigen Menge in diesem Stadtviertel. Die Trottoirs in den Hauptstraßen, breit genug um sechs und mehreren Personen neben einander das Gehen zu gestatten, sind beständig mit Menschen überfüllt. Schwieriger aber noch wird das Durchkommen in den engen und krummen Gassen der eigentlichen City, wo die Fußwege schmal und der Koth in den, wie es scheint, nie gereinigten Fahrstraßen, den dahin Tretenden, oder quer über die Straße Gehenden, in die Gefahr versetzt, die Fußbekleidung im Stiche zu lassen. Demnach befinden sich gewöhnlich Bettler, mit Besen bewaffnet, an den Orten, wo die Trottoirs durch eine Straße unterbrochen werden, um einen schmalen Fußweg zu fegen. Da aber die Arbeit nur ein Gewerb zum Betteln ist, und das ewige Fahren Alles wieder sogleich mit Koth überzieht, auch bei dem ewigen Nebel die Trottoirs nicht immer die reinlichsten sind, so bedient man sich in der Regel der Galloschen, und die Frauenzimmer mit Zwecken beschlagener Stelzschuhe, welches Klappern schon aus der Ferne die Ankunft der Schönen verräth.
Die vornehme Welt besucht diesen Stadttheil nie zu Fuß, und selbst der Mittelstand bedient sich der Miethwagen, welche den ganzen Tag auf den angewiesenen Plätzen bereit stehen, und deren Zahl über 1200 seyn soll.
Da durch das ewige Hin- und Herfahren, so wie das durch Einanderdrängen nach allen Richtungen, im Fahrwege ohne Gefahr zu gehen, nicht möglich ist, so spatzieren auch auf den Trottoirs die vielen Lastträger, Schubkärner, Milchhändler, Brod- und Kuchen-Händler mit ihren Körben, Straßenkehrer mit ihrem Geräthe, wie alle mit Baumaterial belasteten Maurer und Zimmerleute,[S. 384] und die größte Vorsicht ist nöthig, um nicht umgerannt zu werden. Durch die langen Züge der sich aneinander reihenden Wagen entstehen oft bei Passirung der Querstraßen, Viertelstunden lange Stockungen, welche Zeit des Aufenthaltes der Fußgänger verwendet, um die geschmückten Läden, da fast jedes untere Stock dazu eingerichtet ist, zu besehen. — Die Pracht und Schönheit dieser Gewölbe, mit all den sinnreich aufgestellten Waaren, setzt den Fremden in Erstaunen, und der Reichthum und Glanz der Gold- und Silber-Arbeiter ist nicht zu beschreiben. Die Galanterie-Läden bieten jedes Luxuriöse, und die schönen Draperieen, mit welchen die Schnitthändler hinter großen Spiegelfenstern die Waaren dem Publikum zeigen, reizen zum Kauf. Die lockenden Obst- und Kuchen-Läden erwecken den Appetit, und wässern den Mund unwillkürlich, da Alles, was Konditoren nur erfunden haben, hier zur Schau aufgestellt ist. Auch die Apotheker stehen nicht nach, und verzieren die Ladenfenster mit gläsernen Kugeln, gefüllt mit gefärbtem Spiritus, zwischen welchen Vasen mit künstlichen Blumensträußen aufgestellt sind, welche, vorzüglich Abends erleuchtet, einen imposanten Anblick gewähren. Vor Allem aber fesseln den Blick die Kupferstichläden, wo täglich neue Gegenstände ausgehängt sind, weshalb immer ein Kreis Neugieriger die Fenster umlagern, und den Weg verengen. Nichts mag es wohl in der Welt geben, womit Handel getrieben wird, was in London nicht zu bekommen wäre.
Um aber auch bei ungünstiger Witterung dem Publikum die Gelegenheit zu geben, geschützt vor Koth und Wetter, ihre Einkäufe machen zu können, den Neugierigen und Geschäftslosen Promenaden, wie den Verkäufern trockene und sichere Magazine zu verschaffen, so sind mit Glas bedeckte Passagen errichtet worden, welche prachtvollen Glasgallerien Alles bieten, was man wünscht und sucht, und[S. 385] diese Durchgänge noch dem Fußgänger den Vortheil gewähren, den weiten Weg zu kürzen, indem man durch solche schnell aus einer Straße in die andere gelangen kann. Mein Gefährte hatte beim Passiren der Arcade Bourlington die Gewölbe gezählt und deren zweiundsiebenzig gefunden.
Je mehr man sich wieder aus der City entfernt, desto mehr nimmt das Gewühl der geschäftigen Menge ab, denn hier wohnt mehr der konsumirende Theil der Einwohner, welche in größter Bequemlichkeit sich des Lebens zu freuen suchen. Kein rauschender Erwerb, kein Gedränge der arbeitenden Klasse, nur geputzte Herren und Damen und bunte Livreen beleben die Straßen, so wie nur glänzende Equipagen und Lohnkutscher sichtbar sind.
Fortsetzung.
Im Februar 1841.
Die durch den fortwährenden Steinkohlendampf schwarz geräucherten Häuser haben im Allgemeinen, mit Ausnahme einiger fürstlichen Wohnungen, kein imposantes Ansehen; sie sind meist drei Stock hoch, von Ziegelsteinen ohne die geringste äußere Verzierung aufgeführt, meist schmal, da sie in der Regel nur von Einer Familie bewohnt werden und haben deshalb keinen Thorweg; dabei sind die Hausthüren auffallend eng und hoch, eben so die Fenster, welche, gleich den Amerikanischen, keine Flügel haben, sondern zum Aufschieben eingerichtet sind. Die Treppen sind ebenfalls äußerst schmal, und im Souterrain befinden sich die Küche und Bedienten-Wohnungen.
Alle, meist von großen Plätzen ausgehende, oder in solche einmündende Straßen sind gerade, breit und mit Trottoirs versehen. Die schönste Straße ist aber die Regent-Street, in welcher an beiden Seiten längs der Häuser, eine Säulen-Colonnade aufgeführt ist.
Mit Besteigung der Säule, das Monument genannt, welche zur Erinnerung der Stelle, wo 1666 der große Brand entstand, der 13,000 Häuser zerstörte, errichtet ist, wurde der erste Tag beschlossen. Von der Höhe der Säule, welche oben mit einer Gallerie umgeben ist, und wohinauf 365 Stufen einer Wendeltreppe führen, genießt man eine herrliche Aussicht, wenn die Witterung günstig und der Steinkohlendampf weniger die Luft verdickt. Leider war es jetzt der Fall, daß der Nebel die Fernsicht hemmte, und wir unbefriedigt den Ort verließen.
Alles, was wir während des siebentägigen Aufenthalts in London, bei wenig Ruhe, Gelegenheit zu sehen hatten, genau zu beschreiben, würde einen ganzen Band füllen, und durch meine ungeübte Feder nur unvollkommen geschehen können. Dabei würde solches über das gesteckte Ziel hinausführen, und Zeit in Anspruch nehmen, welche mir jetzt schon zu andern nothwendigen Arbeiten verloren ginge. Im Allgemeinen will ich nur bemerken, was mir unter der Größe und Pracht Londons am Meisten aufgefallen, wovon aber manches weniger Merkwürdige dem Gedächtniß wieder entschwunden ist.
Die schönen Statuen, Monumente, Brücken und die Eisenbahnen, von welchen eine der Letzteren in einem Stadttheil über die Häuser führt, die Straße unter dem Wasser weg (der Themse-Tunnel), die großartigen Bierbrauereien, die Theater, die St. Paulskirche, der Palast von Westmünster, Westmünster-Abtey und der so geschichtlich berühmte Tower.
Unter andern Aufträgen von Amerika aus, war mir auch die Besorgung eines Briefes an Prinz Albert (Ge[S. 387]mahl der Königin), übertragen, weil man glaubte, daß solcher auf diesem Wege sicherer, als durch die Post, in seine Hände gelangen würde. Die Veranlassung zeigte, daß nicht immer auf das Wort großer Herren zu bauen, und die Sache selbst interessant genug ist, um sie hier zu veröffentlichen.
Ein Schneidergeselle in New-York, mit Namen Karl, welcher auf Stück für einen Kleiderhändler arbeitete, und dessen Bekanntschaft ich machte, hatte die Milchschwester des Prinzen Albert von Koburg geehelicht, welche ihren Mann mit einem kleinen Söhnchen beschenkte. Nach langem Berathschlagen, wer wohl der annehmbarste Pathe seyn möchte, erinnerte sich die Wöchnerin der Worte des Prinzen, welcher bei ihrer Konfirmation, wo sie ihm vorgestellt worden, gesagt haben sollte:
„Bedürfen Sie Meiner einmal in spätern Jahren, so erinnern Sie sich nur des Milchbruders, und ich werde, der Worte eingedenk, helfen, wenn ich’s vermag.“
Der Bedarf war da, denn der arme Modekünstler verdiente nur zur Noth, was er nebst Frau täglich brauchte. Leider blieb aber nichts zur Bestreitung der nöthigsten Ausgaben für den kleinen Wurm übrig, auf welchen gar nicht gerechnet worden war.
In aller Form wurden Tauf- und Trau-Schein und sonstige Atteste der Armuth nach London abgeschickt, und bis die gewünschte Antwort ankommen würde, das Kind ungetauft gelassen. Nach langem Hoffen kam endlich das ersehnte Schreiben, mit Königlichem Siegel gut verwahrt, an, und nach seiner Größe zu schließen, enthielt es vielleicht gar noch außer der Banknote als Pathengeschenk, ein Diplom als Leibschneider Sr. Majestät, für den lieben Mann.
Zum Unglück für die Frau war bei Ankunft des Briefträgers der Mann nicht zu Haus, und ruhig abzuwarten, bis er komme, ließ die Neugierde der Hochbeglückten nicht[S. 388] zu. Boten wurden nach allen Seiten ausgeschickt, und die nächsten Bekannten gerufen.
„Wenn nur nicht gar ein Orden darin verborgen ist“, bemerkte im Scherz der Hauswirth, „denn ein solcher darf hier nicht angenommen und getragen werden.“
„Dafür weiß ich Rath“, versetzte die Frau lakonisch, „wir verlassen sogleich Amerika, denn allerliebst muß sich mein kleiner Mann, mit dem großen Orden geschmückt, ausnehmen.“
Dem aufgefundenen Schneider wurde nicht allein die Ankunft des Packets gemeldet, sondern mehr noch zugesetzt, als wahr war, und wer konnte es dem Freudetrunkenen verargen, wenn er sogleich auf Pump einige Gläser leerte, und so seelenvergnügt der Familie zueilte. Mit ängstlicher Spannung wurden die Siegel gelöst. Doch wer malt das Erstaunen der versammelten Menge, als nichts mehr, noch weniger in dem Packet enthalten war, als was man nach London abgeschickt hatte. Mit keiner Sylbe war über das Verfahren berichtet, die Unterschrift des Absenders, oder dessen Bevollmächtigten fehlte und eben so Ort und Datum des Abgangs.
Der Mann hätte gern das auf Pump Getrunkene dem Wirthe wiedergegeben, wenn dieses möglich gewesen wäre, und die Frau dem Briefträger das ganze Schreiben überlassen, wenn dieser das Postgeld restituirt hätte. Vor Allem aber schien das kleine Pathchen selbst, welches die Mutter im Geiste reichlich bedacht, jetzt aber, über der Freude, zu füttern versäumt hatte, wegen des Vorgefallenen erzürnt zu seyn, denn es schrie entsetzlich, und vertrieb uns, die noch zusammen waren, um zu berathen, was nun zu thun sey, aus dem Hause.
Beschlossen ward, da zu vermuthen stand, daß die Hauptperson von der Sache gar nicht in Kenntniß gesetzt worden sey, daß ich bei meiner Ankunft in England, einen[S. 389] Brief mit dem kurzen Inhalte des Ereignisses in die Hände des Gemahls Ihrer Majestät der Königin, nun auf Umwegen, zu bringen suchen sollte, da diesmal nicht der gerade Weg, wie das Sprichwort sagt, der beste war.
Bei einem Londoner Restaurateur, wohin der Kammerdiener des Prinzen zuweilen kommen sollte, und welchen ich bat, den Brief in die Hände des Dieners des Prinzen Albert zu legen, da Ersterer die Mutter des Kindes von Koburg aus kenne, und zu erwarten stehe, daß solcher sich deshalb des Auftrages unterziehen würde, wurde mir die Nachricht: daß der Dienerschaft streng verboten sey, Schreiben an die höchsten Herrschaften anzunehmen, und demnach zu befürchten stehe, wenn ich nicht persönlich den Brief dem Kammerdiener nebst Fürsprache übergeben würde, daß derselbe ebenfalls unbeachtet verloren gehen könnte. Jetzt blieb nichts übrig, als auf gut Glück nach dem Buckingham-Palast wo die Majestäten residirten, bis zum — Kammerdiener vorzudringen.
Der Hofraum dieses Palastes, mit zwei Seitenflügeln versehen, wird von eisernen Spalieren geschlossen, und die Eingänge mit Garde-Grenadieren besetzt, welche jedem unberufenen Gast den Zutritt verwehren. Gern hätte ich mit der Equipage des Königs der Belgier, welcher zur Zeit zum Besuch in London war, und dessen Ankunft im Schlosse die Soldaten unter’s Gewehr rief, den Eingang erstürmt, wenn nicht die reichlich hintenaufstehende Dienerschaft dieses unmöglich gemacht hätte. So standen wir lange, und berathschlagten, was zu thun sey, da der Rückweg zu unserer Wohnung weit war, indem solcher durch die Gärten von Kensington und Hyde-Park genommen werden sollte.
Endlich erschien, wie seine Eilfertigkeit verrieth, der Laufbursch des Gehülfen vom Fußbekleidungs-Reiniger des Kammerdieners, der durch ein Geschenk bewogen wurde, den[S. 390] Brief anzunehmen, und in die Hände seines Gebieters zu legen[56].
Die Gärten von Kensington bieten in Bezug auf die daselbst befindlichen Thiere nichts besonderes Merkwürdiges dar, und nur Wildpret, Fasanen und verschiedene andere Vögel sind in eingezäunten Distrikten zu sehen.
Die Königliche Menagerie mit ihren reißenden Thieren, wie Löwen, Tiger, Panther, Leoparden und verschiedene andere Bewohner der Wüste waren früher im Tower mit verwahrt, wo den Reisenden die Gelegenheit ward, solche sehen zu können, nach dem daselbst statt gehabten Brande aber, dort nicht mehr existiren.
Der Hyde-Park, dieses große Terrain, ist nach englischer Manier angelegt, und hie und da sind nur einige Bäume sichtbar; wegen der Winterzeit verlor sich auch das Grün der Rasenplätze, wodurch dieselben eher einer Sandwüste glichen, doch ist der Geschmack verschieden. Der Engländer liebt einmal die weite Aussicht, und des Sonntags Nachmittags, wo hier 5–6 Tausend Personen aus allen Ständen auf- und abwandeln, und die Wege voll sind von Reitern, Wagen und Kabriolets, wovon immer ein Pferd, ein Fuhrwerk schöner als das andere ist, soll auch dieser Ort höchst interessant seyn, und zum öftern Besuche einladen.
Herzog Wellington’s und Sutherland’s Paläste wurden nur von fern gesehen, denn als in einer andern Richtung eine Rauchsäule, welcher bald die helle Flamme folgte, in die Luft[S. 391] wirbelte und die Umgegend erhellte, wurden die Schritte verdoppelt da wir uns verpflichtet hielten, hier, wo’s Noth that, mit zu helfen.
Noch ehe wir ankamen, waren schon einige Spritzen in Thätigkeit, wovon die erste 30, die zweite 20 Schillinge als Prämie erhielt. Auffallend war die Ruhe, welche dabei herrschte. Keine Sturmglocke ertönte, kein Feuerlärm wurde vernommen. Niemand war beängstigt und bestürzt. Von der Brandstätte etwas entfernt, standen Hunderte und sahen mit Wohlgefallen diesem schönen Schauspiele zu, doch Keinem fiel es ein, thätig mit einzuschreiten, weil auf den ersten Feuerruf die aus allen Stadtvierteln mit Pferden und Menschen bespannten Spritzen herbeieilten, und nur dazu beauftragte Leute dem Feuer sich nähern dürfen. Die Direktion dieser Löschanstalten ist weislich den Häuptern der Feuer-Assekuranzen anvertraut, da diese bei Feuerunglück am mehrsten interessirt, nichts unterlassen, um der Kasse den Verlust weniger fühlbar zu machen.
Nicht allein jedes Gebäude ist versichert, wie man an den Schildern der Häuser sehen kann, sondern in der Regel auch das Mobiliar, und es steht dem Eigenthümer der Sachen, wegen möglicher Veruntreuung, nicht zu, beim Ausräumen derselben mit Hand anzulegen, sondern dies geschieht Alles durch eigends dafür besoldete Leute.
Des Feuers wurde man bald Meister, da es sich selbst verzehrte, die Spritzen, denen es nicht an Wasser fehlte, welches durch unterirdische Röhren durch alle Straßen Londons geleitet wird, nicht nutzlos in die Feuersäule gossen, und die Bemühung der Spritzenleute nur darauf gerichtet war, die weitere Ausbreitung des Feuers zu hindern, als das einmal in Brand gerathene Haus zu löschen.
Die neugierige Menge verlor sich mehr und mehr und eine besondere Art Nachtvögel wurde bemerkbar, welche die einzelnen oder in kleinen Trupps zusammenstehenden Jünglinge und Männer umschwärmten. Auch zu uns gesellten sich einige dieser öffentlichen Stadtnymphen und stellten Anträge, welchen am besten zu entgehen unser Cicerone den Vorschlag machte, eine Lohnkutsche zu besteigen, bis wo hinein nur auf Verlangen der Fuß einer Begleiterin sich verirren darf.
An Kreaturen, welche für Geld ihre Reize feilbieten, fehlt es, wie überall in der Welt, auch in Amerika nicht, doch werden öffentliche Häuser dort nicht geduldet, und streng wacht das Gesetz über die moralischen Sitten des schönen Geschlechts. Kupplerinnen dürfen nur im Geheimen die Hand zur Verführung bieten, und bei der geringsten Anzeige oder Verdacht wird ihnen das Handwerk gelegt und sie büßen mit Gefängniß und ihrer weltlichen Habe. Aber auch dem lüsternen Manne wird der Appetit benommen, da nach dem Gesetz die verworfendste Dirne selbst den Familienvater zum Vater ihres Kindes nicht allein schwören kann, sondern dazu ermuntert wird, indem 400 Dollars der geringste Preis ist, welchen das Gesetz zum Lohn für einen solchen Schwur aus dem Beutel des angegebenen Vaters bewilligt, insofern nicht durch Zeugen bewiesen wird, daß die Klägerin schon früher oder gleichzeitig auch gegen Andere nicht ..... unerbittlich gewesen sey.
Doch auch diese Strenge hat ihre Schattenseite, da, wie Gall bemerkt, der Beklagte in den meisten Fällen vorzieht, mit jenem Sündenlohn lieber die erforderlichen Zeugen nöthigenfalls zu erkaufen. Daß die scandalösen Prozesse, welche sich aus solchen Klagen entspinnen, den verderblichsten Einfluß auf die Sittlichkeit ausüben, kann man sich denken.
Reise nach Paris.
Im Februar 1841.
Den 20. Februar ward das Dampfschiff City of Londonderry bestiegen, um mit diesem nach Frankreich abzugehen, und in Havre de Grace zu landen. Die zweitägige Seereise dahin ist freilich länger, als durch den Kanal von Dover nach Calais, welche Fahrt in so viel Stunden gemacht wird, dabei ist aber zu bemerken, daß die Landreise von Havre nach Paris auch weit kürzer und billiger ist, als von Calais dahin, und dann wünschte ich auch die Hafenstadt kennen zu lernen, von wo aus meistens die Rheinländer die Reise nach Amerika antreten.
Ueber die Rechnung des Wirths, bei welchem wir während der Zeit des Aufenthalts in London logirt hatten, konnte man sich nicht beschweren, und zwar aus dem triftigen Grunde, da wir bei ihm außer Bett, früh Kaffee und Abends einem Krug Bier, nichts erhalten hatten. Frühstück, Mittag- und Abend-Brod wurde nach Bedarf auf der Wanderung verzehrt, und da wir nicht, um den Gaumen zu kitzeln, nach London gekommen waren, so wurden auch nicht die vornehmsten Restaurationen besucht, sondern in gewöhnlichen Speisehäusern eingesprochen. Zu jeder Zeit kömmt man hier recht, immer füllen und leeren sich die Tische; man speis’t ungenirt und hat den Vortheil, nicht nach einem guten Trunke lüstern zu werden, da die Wirthe dieser Tabernen keine Getränke verkaufen dürfen, und deshalb Wasser, woran ich und meine Begleiter schon in Amerika gewöhnt waren, gratis verabreichen.
Wie zu vermuthen steht, ißt nur die vornehme Welt in England die Speisen halb gar gekocht, denn niemals[S. 394] habe ich in den besuchten Speisehäusern darüber zu klagen gehabt, daß die Zähne mit dem Zerkleinern nicht hätten fertig werden können. Im Gegentheil war alles Fleisch mehr als zu weich; dagegen herrscht aber auch hier, wie in Amerika, die Sitte, alles Gemüse nur in Wasser zu kochen und ungeschmelzt zu serviren. So gelebt, hat man über die Theuerung unumgänglich nöthiger Lebensbedürfnisse in Betracht des Maaßstabes, wie solcher in England angewandt werden muß, nicht zu klagen, und die direkten Ausgaben schmerzen den Reisenden weniger, als die indirekten, da hier das Sprichwort gilt: „Für Nichts hat man Nichts!“ Alles, was man sehen will, wie die geringste Handleistung muß theuer bezahlt werden.
Vorsichtig gemacht, wurden die Transportkosten unserer Sachen nach dem Dampfschiffe vorher bestimmt; da aber das Boot einige Schritte vom Ufer abstand, weil ein zwischenliegendes Fahrzeug das Näherankommen verhinderte, so wurde abermals eine Ausgabe herbeigeführt, und für diesen geringen Dienst von der Person ein Schilling bezahlt. Als man aber nach Erreichung des Dampfboots für die mit uns zugleich mit übergesetzten drei Koffer noch besonders eine Vergütung verlangte, und sich mit dem in fünf Minuten verdienten Thaler nicht begnügen wollte, wäre es bald zu einer thätlichen Demonstration gekommen, da der Bierbrauer Miene machte, diesen Schurken über Bord zu werfen, wenn nicht die dazwischenspringenden Matrosen es verhindert hätten.
Zwanzig Schillinge war der bestimmte Preis, in der zweiten Kajüte zu reisen. Als aber das Geld von dem Steward einkassirt wurde, verlangte derselbe noch von jeder Person zwei Schillinge, als Trinkgeld für sich, da dieses so Gebrauch sey. Alles Einreden der Passagiere wegen Unbilligkeit dieser Forderung, fruchtete nichts. Wer[S. 395] kein Geld habe, solle nicht reisen, war die lakonische Antwort des Britten, und so blieb nichts übrig, als abermals den englischen Blutegeln den Beutel vorzuhalten und als Wiedervergeltung wäre die Strafe nicht zu hart, wenn man den Herren Insulanern, welche nur, um Geld zu ersparen, nach Deutschland gehen, ihnen wenigstens dieses weniger möglich zu machen suchte.
War auch die Witterung am ersten Tage der Reise nicht die günstigste, so gewahrte sie doch einen freien Blick, und die Fahrt der Themse hinab, an welcher an beiden Ufern diese Riesenstadt mit ihren Schiffswerften sich hinzieht, gewährte einen herrlichen Anblick. Unter den vielen großen und kleinen Fahrzeugen zeichnete sich besonders ein schwimmendes Lazareth aus, welches kolossale Gebäude mitten auf dem Wasser über tausend Kranke beherbergte; es ist mit allem Nöthigen versorgt, von aller Kommunikation des festen Landes abgeschnitten, und daher bei ansteckenden Krankheiten eine treffliche Anstalt.
Das Packet-Dampfboot Londonderry, welches jetzt regelmäßig die Fahrt zwischen London und Havre de Grace zu machen bestimmt ist, soll an bequemer Einrichtung seinen Vorgänger, welcher acht Tage zuvor untergegangen und an dessen Stelle Ersteres von der Kompagnie dieser Anstalt angenommen war, nicht nachstehen. Um so unverzeihlicher war es aber, das Kommando von diesem Fahrzeug Männern, wie der Kapitän, Ober- und Untersteuermann waren, anzuvertrauen, welche diese so gefährliche Tour, wie der sich erst ereignete Fall bewies, noch nicht gemacht hatten. Wie unkundig sie mit der Gegend waren, ging daraus hervor, daß sie von annähernden Fischerbooten das Nähere wegen der Fahrt erst zu erforschen suchten. Als aber der Nebel, statt sich zu verlieren, in dicken Wolken sich auf die Wasserfläche legte und außer dem Dampfboot[S. 396] nichts mehr erkannt werden konnte, da sah man dem Kapitän im Gesicht an, wie ihm zu Muthe war, da er die Gefahr, in welcher wir schwebten, besser kennen mochte, als die Passagiere, welche, ins Innere des Bootes zurückgezogen, von keinem Unglück träumten. Plötzlich erhielt aber das Schiff einen heftigen Stoß, welchem weniger fühlbare folgten und in allen seinen Theilen krachend, glaubte man es schon auseinander bersten zu sehen.
Jesus Marie! schrie eine neben mir sitzende gute Katholikin und holte in der Angst ihren Rosenkranz hervor; wir Andern eilten alle bestürzt dem Ausgang zu, wodurch die Treppe verstopft, dieses weniger möglich gemacht werden konnte. In dem Augenblick verstummten die Töne der Dampfmaschine und das Boot saß unbeweglich auf Steinbänken fest, wie dieses das ausgeworfene Senkblei bekundete. Zum Glück war dasselbe dauerhaft genug, um bei ruhiger See und langsamer Fahrt einen solchen Stoß vertragen zu können, ohne einen Leck zu erhalten. Was wäre aber aus den Passagieren geworden, wenn bei Sturm das tobende Meer die Gewalt verdoppelt hätte?
Alle Anstrengung, wieder flott zu werden, war vergebens und immer schwieriger, da während der Zeit der Ebbe das zurückgehende Wasser immer seichter wurde, bis das Dampfschiff, förmlich trocken, mitten in Steinmassen stand und bei sich zertheilendem Nebel Frankreichs nahe Küste sichtbar wurde, wohin man trocknen Fußes gelangen konnte.
Der uns sogleich bemerkt habende Telegraph berichtete diesen Vorfall nach Havre, worauf ein von dort abgeschicktes Pilotenboot ankam und nach wieder eingetretener Fluth der des Weges kundige Führer uns sicher in den Hafen von Havre de Grace geleitete.
Schon war es spät, als wir am 21. dieses in den leeren Straßen der Stadt den deutschen Gastgeber Köhler[S. 397] noch aufsuchten, da Hunger und Durst uns vom Dampfboote trieb, und nur mit Mühe gelang es, die aus dem tiefen Schlafe geweckten Wirthsleute zu bewegen, uns noch aufzunehmen, da schon einige auswanderungslustige Familien hier logirten. Erst als der Straßburger Handelsmann seinen Namen nannte, wodurch der Wirth einen seiner frühern Gäste erkannte, der bei seinem Abgange nach Amerika hier gewohnt hatte, änderte sich die Scene. Die Thür wurde freudig geöffnet, das Feuer schnell geschürt und bald saßen wir um eine Bowle Glühwein. Vor Meereswellen, Feuer- und Hungersnoth geborgen, erhöhten die überstandenen Strapazen nur die allgemeine Fröhlichkeit und auf das Wohl des Continents, des lieben Vaterlandes, und Aller, welche es wohl mit uns meinen, wurden die Gläser geleert. Durch die Stille der Nacht drang bald der Freudenruf zu den neben und über uns schlafenden Auswanderern, welche glaubten, daß wir als halbe Millionärs zurückkehrten und von dem Wunsche beseelt, von gleichem Glück begünstigt zu werden, wünschten sie am Morgen zu erfahren, wie man es in Amerika anfangen müsse, um in kurzer Zeit reich zu werden. Doch belehrt, daß wir darüber hoch erfreut wären, wenigstens mit heiler Haut zurückgekommen zu seyn, erzählten wir ihnen einzelne Bruchstücke unserer Aventuren und stellten ihnen das Prognostikon, was im gelobten Lande Jeden erwarte; aber man predigte doch tauben Ohren. Ein Jeder glaubte, daß ihn ein besseres Geschick erwarte und begeistert von Berichten, welche lieblicher geklungen, als unsere Töne, eilten sie unaufgehalten ihrem Elend entgegen. — Möge Gott sie bewahren, daß sie nie Ursache haben, einen Schritt zu bereuen, welchen zu verbessern nicht immer einem Jeden möglich ist.
Als Beleg, wie die Reue oft zu spät kömmt, mag folgender Vorfall noch bezeugen. Unser Landsmann, der[S. 398] Müller S.[57] landete mit Familie in Baltimore, wurde während der Seereise schon bestohlen, fand auf keine Art mit seinem Tochtermann und Kindern bei der Ankunft in Amerika Unterkommen und Verdienst, und setzte so Alles zu. In dieser bedrängten Lage erfuhr er, daß ich aus den südlichen Staaten nach New-York zurückgekehrt sey und machte es möglich, allein dahin zu kommen, um meine Hülfe in Anspruch zu nehmen. Doch, ein gebranntes Kind scheut das Feuer; ich kannte jetzt Amerika und seine Grundsätze zu gut, um mich abermals der Gefahr auszusetzen, eine Summe zu verlieren, da ihm mit Wenigem nicht geholfen war. Auf die Frage, warum der Bittsteller versäumt, vor Ausführung seines Vorhabens bei meiner Frau in Weimar Erkundigung einzuziehen, über das, was ich an sie von Amerika und dem Loose der Auswanderer berichtet hatte, gestand er mit weinenden Augen, daß dieses zwar geschehen sey, aber man hätte dem Inhalt meiner Briefe nicht geglaubt, weil andere Nachrichten mit demselben widersprechend gewesen wären. Leider müßten sie aber jetzt die Ueberzeugung gewinnen, wer es am Besten mit dem Menschen gemeint und daß ich nur zu wahr gesprochen habe.
Manchem Andern wird es nicht besser gehen, da Viele, der Warnungen ohngeachtet, immer noch das Vaterland verlassen und ein Jeder glaubt, es besser als seine Vorgänger zu machen; er vergißt aber, daß die Zeiten in Amerika schwerlich besser, leider aber durch den ungeheuern Zudrang großentheils unbemittelter Einwanderer für den Armen immer schlechter werden müssen.
Um zu zeigen, wie groß der Zudrang in den Verein. Staaten ist, habe ich Haxard’s kommerzielles und statistisches Register mit aufgenommen, welches eine umständliche Aufzählung der Anzahl des Geschlechts, Alters, der[S. 399] Beschäftigung und der Heimath aller Fremden, welche im Laufe des Jahres 1839 in amerikanischen Häfen landeten, enthält. Diese Zusammenstellung ist den jährlichen Berichten des Staats-Sekretärs entnommen und es erhellet daraus, daß die ganze Anzahl von Passagieren, welche im Verlaufe dieses Jahres landeten, 74,666 betrug, von welchen 70,509 Eingeborne fremder Länder und 4157 Eingeborne der Vereinigten Staaten waren. 47,688 landeten in New-York, 10,306 in New-Orleans, 6081 in Baltimore, 3949 in Philadelphia, 3081 in Boston und sonstigen Plätzen. 34,213 waren Eingeborne von Großbritannien, 10,474 von Deutschland, 7018 von Frankreich, 1234 von Preußen und 2108 von andern Theilen Europas; also im Ganzen 64,227 Europäer. Der Ueberrest kam von Westindien, Südamerika und hauptsächlich von den Britischen Provinzen von Nordamerika. 37,658 hatten keine Beschäftigung; in dieser Zahl sind jedoch 26,001 Frauenzimmer und der größte Theil von 15,166 Knaben unter 15 Jahren mitbegriffen. 12,870 waren Ackerbauer, 8930 Handwerker, 1870 Arbeitsleute und 5633 Kaufleute, (von denen wahrscheinlich die meisten Amerikaner waren). 571 Matrosen, 143 Geistliche, 254 Mediziner, 296 Näherinnen, und 208 Ladendiener. 7195 waren über 40 Jahre alt, 61,078 in einem Alter von 18–40 Jahren.
Wer eine nicht zu weite Landreise bis Havre zu machen hat, wird wohlthun, in diesem Hafen sich nach Amerika einzuschiffen, da die Passage eben nicht theurer wie in Bremen und Hamburg zu stehen kommt, wenn die zur Reise nöthige Verproviantirung von den Schiffsrhedern mit besorgt wird. Auch findet man hier immer Fahrgelegenheit, ohne Beköstigung, welches in Bremen nicht der Fall ist und es zahlte zur Zeit meines Aufenthaltes hier, die erwachsene Person 100 Franks (25 Thaler). Der Betrag für anzuschaffende Nahrung läßt sich nicht bestimmen,[S. 400] da es darauf ankommt, ob man an frugale Kost gewöhnt oder als Leckermaul sich auch auf dem Schiff nichts abgehen lassen will. Alle Ursache habe ich, den Auswanderungslustigen das deutsche Gasthaus von J. C. Köhler, Daffin-Straße No. 48 in Havre zu empfehlen, da man hier in jeder Hinsicht gut und billig bedient wird.
Das Dampfboot war sogleich bei der Ankunft unter Aufsicht gestellt worden und die am Morgen nach dem Zollhaus geschafften Koffer streng untersucht, so daß Alles bis auf das letzte Stück ausgeräumt werden mußte. Nach einem Reisepaß oder sonstiger Legitimation wurde auf die Angabe, daß wir aus Amerika kommend über London gereist seyen und ohne einen solchen Begleitschein wären, weiter nicht gefragt, sondern nur bemerkt, daß wir sogleich bei Ankunft in Paris die nöthigen Schritte deshalb thun sollten.
Theils um die Stadt besser kennen zu lernen, theils auch die zur Fastnachtzeit auf den Straßen maskirt herumziehende Menschenmenge, welche mitunter hübsche Aufzüge darstellten, zu sehen, folgten wir Herrn Köhler, welcher so gefällig war, uns herumzuführen, um uns das Merkwürdigste zu zeigen.
Havre liegt auf dem rechten Ufer der Seine-Mündung, ist mit Festungswerken umgeben, hat eine Citadelle, zwei Thürme, welche den Hafen vertheidigen, zwei Kirchen, ein Marine-Arsenal, ein Quarantainehaus, ein Ursulinerkloster, ein städtisches Kollegium, eine Schifffahrt-Schule und eine Börse; verschiedene Manufakturen, eine Ankerfabrik, bedeutende Seilereien, und Schiffswerfte, beschäftigen Viele der Einwohner und durch den bedeutenden Handel, da Havre nicht allein über die Mündung der Seine gebietet, sondern seine Schiffe in die entferntesten Länder der Erde sendet, gewinnt es täglich an Wohlstand. Der Hafen, welcher durch eine lange Mulje[58] gebildet[S. 401] wird, wie das Bassin, sind tief genug, um Fregatten von 60 Kanonen zu tragen und mehr als 400 Schiffe aufnehmen zu können. Doch soll für die Fahrzeuge bei Strömen nicht die gewünschte Sicherheit vorhanden seyn. Havre ist der Sitz eines Handels-Tribunals, einer Handelskammer, hat Wechsler, Mäkler und eilf Assekuranz-Gesellschaften, so wie 26,000 Einwohner.
Am 23. Februar wurden zur Landreise nach Paris, wohin man auch von hier auf der Seine gelangen kann, bei der Postanstalt Laffitte, Coillard et Comp. Plätze belegt und für die Entfernung von 52 Stunden nur zwanzig Franks bezahlt. Abends präcis sechs Uhr ging die Diligence ab, welcher ein zweiter Wagen, von einer andern Gesellschaft abgesendet, folgte, und diese nun, hinsichtlich der Schnelligkeit, mit welcher jede Kompagnie die Passagiere zu befördern sucht, sich den Rang abzulaufen streben. Während des Umspannens, welches alle zwei Stunden erfolgte, da die fünf Pferde bergan im Trabe, sonst immer Gallopp laufen mußten, blieb höchstens den Passagieren so viel Zeit, nöthigenfalls aus- und wiedereinsteigen zu können; doch darf mit Podagra wahrlich kein Reisender behaftet seyn, wenn er in dieser Frist den Kutschenhimmel, wo wir placirt waren, verlassen und wieder erklimmen will.
Obgleich der Schaffner während der Fahrt die Offerte machte, im zweiten Wagenrange leere Plätze einzunehmen, so blieben wir doch, gegen die Witterung gut verwahrt, auf unsern hohen Sitzen, um nicht durch unzeitige Bequemlichkeit die freie Aussicht zu verlieren und Frankreich, wenn auch nur wie im Fluge, zu sehen.
Die schnelle Reise wurde während der Nacht nur ein Mal unterbrochen um den hungrigen Magen zu beschwichtigen, und so war es möglich, schon den andern Tag um ein Uhr in Paris anzukommen.
Aufenthalt in Paris.
Im Februar 1841.
Jetzt war ich am Ziele aller derzeitigen Wünsche, ich sage derzeitigen, denn welcher rege Geist ließe sich wohl Grenzen setzen? Mit eigenen Augen sollte ich die Kaiserstadt sehen, nach welcher schon der jugendliche schwärmerische Geist sehnlich verlangte und der die jungen Männer, wie die im Dienste ergrauten Krieger beneidet hatte, die nach errungenem Siege hier den Triumph ihrer Thaten feierten.
Während der Fahrt von Havre nach Paris kam uns von Frankreich nicht viel zu Gesicht, denn bald nach Abgang aus der Hafenstadt verbarg die Dunkelheit die Orte, welche während der Nacht durchflogen wurden, und der trübe, naßkalte Morgen war unfreundlich genug, der Sonne nicht zu gestatten, die bei ungünstiger Jahreszeit erstarrten Glieder von Neuem zu erwärmen und zu stärken. — Zum Glück war der gewöhnliche Landwein nicht theuer und mundete, beim Mangel besserer Sorten, ganz trefflich. Dabei war der Kondukteur ein ganz charmanter Mann, welcher, in Betracht der schlechten Passage von unserm Thronhimmel herab, die leere Flasche wieder zu füllen, mit übernommen hatte.
So fuhren wir seelenvergnügt in Frankreichs Hauptstadt ein, nachdem wir in jeder Lehmhütte ein hübsches Landhaus, und in einem solchen, einen Palast erblickt, ja mein Gefährte, der Bierbrauer, eine nach der Hauptstadt zu getriebene Heerde Ochsen, für schwere Kavalerie ansah und meine Sinne für umnebelt hielt, als ich es nicht glauben wollte. Mir selbst kam es zuletzt auch vor, als wenn der Wagen stille hielt, und die Häuser so lange vorüber marschirten, bis der Posthof ankam, und die verpflichteten[S. 403] Lastträger, wegen des Transportes der Koffer, sich erkundigten, wo man logiren wolle.
Das in nächster Straße gelegene Gasthaus war schnell erreicht, und von uns jetzt nichts Besseres zu thun, als bis zur Ankunft des Lohnbedienten das Räuschchen auszuschlafen.
Ohne Führer nur das Merkwürdigste in Paris aufzufinden, würde einen längern als von uns beabsichtigten Aufenthalt zur Folge gehabt haben, wobei immer noch eine nähere Definition über das Gesehene verloren gegangen seyn würde, weshalb beschlossen wurde, wie in London, einen Cicerone anzunehmen, und sogleich bei Ankunft in der Hauptstadt die Wanderung zu beginnen.
Auf dem Vendome-Platze waren Briefe abzugeben, weshalb wir dahin zuerst die Schritte richteten. Doch bald glaubten wir uns in den bald engen, bald weiten, meist aber krummen und mit hohen Häusern besetzten, Straßen von Paris in die Londoner City versetzt, da man hier wie dort, in den von Koth überzogenen, mit Menschen und Wagen gefüllten Gassen, sich nur mit Mühe durchzuwinden vermochte, und beim Mangel von Trottoirs, dem fortwährenden Rufen und Schreien der herumziehenden Verkäufer, wie dem Getöse der rollenden Räder, welche Wagen kaum Platz genug haben, sich einander ausweichen zu können, der Fußgänger immer in Gefahr kömmt, überfahren oder an die Häuser gequetscht zu werden. Die allgegenwärtige Polizei hat daher immer ein wachsames Auge auf die Lenker der Rosse, und ohne Erbarmen wird ein solcher zur Strafe gezogen, welcher das Unglück hat, während des Ausweichens, oder um eine Ecke fahrend, einen der Fußgänger zu verletzen.
Die Häuser dieser Riesenstadt sind fast alle 4 bis 5 Stockwerk hoch, viele noch höher, und bis in das letzte Dachstübchen bewohnt; daher kommt es, daß Paris aus drei bis[S. 404] vier gleichsam übereinander gethürmten Städten besteht, deren viele Bewohner sich alle unten in dem kleinen Raume herumdrängen müssen. London dagegen bietet außer der City ein ganz anderes Bild. Die Häuser, weniger zusammengedrängt, sind meist nur von einer Familie bewohnt, wodurch die Stadt an Umfang bedeutend gewinnt, und die Masse der Bevölkerung, weniger konzentrirt, keinem Ameisenhaufen gleicht, wie in Paris.
Die engen Straßen der Stadt, in welche, wegen der Höhe der Häuser, kein Sonnenstrahl dringen kann, sind hauptsächlich während der Winterszeit ewig naß und düster, und die kellerartigen Wohnungen hinter den Läden selbst am Tage dunkel und mit Kerzen oder Gas beleuchtet, welche Lichtflammen aus allen Etagen bis zum Lämpchen des Dachbewohners am Abend einen magischen Schein über die bis spät in die Nacht auf den Straßen wogende Menge verbreiten, deren Lärm dumpf bis zum Ohr der Bewohner der höchsten Region dringt.
Wohler und freundlicher wird dem Wanderer, wenn er die innern Boulevards erreicht hat, wo auf breiten Trottoirs, vor dem Fuhrwerk geschützt, in der Mitte des regsten Lebens, der höchste Glanz und die reichsten Kunstprodukte dem Auge sich entfalten. Die Menge der elegant aufgeputzten Magazine aller Art erinnern wieder an Londons großartigen Markt, und Paris wetteifert im Bieten des Luxuriösen mit jener Riesenstadt. Hinter Spiegelscheiben erblickt man auch hier, was menschlicher Erfindungsgeist zur Verschönerung des Lebens hervorgebracht hat. Gold und Silber, Seide und Spitzen, wie Prunk aller Art sind zur Schau aufgestellt und eine Anzahl von Gemälden und Kupferstich-Handlungen suchen den neugierigen Beobachter zu fesseln. Daß es dieser Promenade der schönen Welt nicht an Restaurationen und Kaffeehäusern fehlt, verrathen die Schilde, und um uns mit solchen auf[S. 405] eine feine Manier bekannt zu machen, schützte der Führer entsetzlichen Durst vor, und lud uns ein, ihm zu folgen, wohl wissend, daß ihm diese Restauration nichts kostete.
Mit neugierigem Blicke schauten wir nach dem kleinen Manne, dem großen Napoleon empor, welcher in moderner Kleidung, Ueberrock und dreieckigem Hute, auf der Vendome-Säule thront. — Als Kind stand ich schon einmal dem lebenden Manne in meiner Geburtsstadt nahe und jetzt sollte mir zum zweiten Male die Gelegenheit werden, die Bekanntschaft des Abgottes der Franzosen in seiner Residenz zu erneuern, um von seinem Standpunkte aus die am Fuße pilgernden Liliputtaner zu betrachten. Statt mit Empfehlungsschreiben an den sonstigen Machthaber versehen zu werden, empfängt man, um den Zutritt sicher zu erlangen, von dem wachthabenden Invaliden der Napoleonischen Garde eine Leuchte, mit welcher der Führer die schmale dunkle Treppe voranschreitet und die Fallthür öffnet. — Die herrliche Säule, mit der Statue 140 Fuß hoch, ist äußerlich mit bronzenen Basreliefs bekleidet, welche sich schneckenförmig an ihr in die Höhe ziehen, und die Heldenthaten der großen Armee vom Jahre 1805 an verzeichnen. Die Plattform, mit eisernem Geländer umgeben, gewährt einen sichern Stand, und bietet einen Ueberblick der Stadt, welcher leider! von den umstehenden hohen Gebäuden beschränkt wird.
Die mehr und mehr zunehmenden Lichtflammen in den Läden gaben zu erkennen, daß es Zeit sey, aus der Nähe des Kaisers sich zu entfernen, um auf Umwegen durch herrlich beleuchtete Straßen dem Glanzpunkte von Paris, dem weltberühmten Palais-Royal, uns zu nähern, wo das Auge bald rechts, bald links mit Entzücken auf reich geschmückten und mit einer Menge von Gas-Flammen beleuchteten Magazinen verweilt. Hier steht der Fremde bei dem ersten Anblicke wie bezaubert. Hunderte von Gas-Laternen, welche mit[S. 406] Tausenden der illuminirten Läden die Nacht zum Tage umwandeln, geben den Waaren einen blendenden Reiz und bestimmen Einen, hier seine Einkäufe zu machen. Die Arkaden, die sich längs der Läden hinziehen, so wie die Gallerieen, sind mit Menschen überfüllt, da zur Winterzeit die freien Plätze weniger besucht sind, und die vor dem unfreundlichen Wetter Schutz suchende Menge sich hier erlustiget, wo man nicht nur Alles, was man an Schmuck und Kleidung bedarf, sondern auch in Restaurationen und Kaffeehäusern erhält, was zur Erhaltung des Lebens von Nöthen, und wo auch für geistigen Genuß durch Lesekabinete und Theater gesorgt ist. Ja, in diesem Königlichen Palaste, welcher mehrere Millionen Renten trägt, soll es unter seinen Tausenden von Bewohnern Viele geben, welche das ganze Jahr hindurch diesen Aufenthalt nicht verlassen, weil sie auf diesem Punkte beisammen finden, was sie zu ihrer Art von Lebensgenuß nöthig haben.
Am nächsten Morgen machte ein Jeder von uns seiner Gesandtschaft die Aufwartung, um die nöthigen Pässe zur Weiterreise zu erhalten, und solche wegen Zulaß in öffentlichen Anstalten zu benutzen.
Ganz anders, wie in London, wo ohne Geld nichts zu sehen ist, wird in Paris dem Fremden mit der größten Liberalität Alles gezeigt, und derselbe genießt sogar noch das Vorrecht, daß ihm zu jeder Zeit nach vorzeigen seiner fremden Legitimation da die Thüren geöffnet werden, wo den Franzosen nur an bestimmten Wochentagen der Zutritt frei ist. Trinkgelder sind nur dann zu entrichten, wenn eine besondere Dienstleistung von dem Aufsichts-Personale verlangt wird, sonst ist nirgends etwas zu bezahlen.
Eile mit Weile! Die Bureaux waren noch nicht geöffnet, was unser Cicerone wohl gewußt, dieses Manövre aber benutzt hatte, um uns vor der Frühstückszeit aus der Wohnung zu locken, und in nächster Restauration als[S. 407] unser Gesellschafter gratis an dem Frühstück Theil nehmen zu können. Dieser Mensch, ein wahrer Nassauer[59], verstand die deutsche Dreistigkeit mit der französischen Pfiffigkeit zu vereinen, um sich so außer dem bedungenen Lohne auch noch die Zehrung frei zu machen.
Mein Paß, bis zur Unterschrift des abwesenden Minister-Residenten in aller Form ausgestellt, blieb zurück, und die Zeit des Abholens wurde auf den nächsten Tag bestimmt. Die Reisegefährten dagegen erhielten auf ihren Bureaux die vollständige Legitimation, welcher nur das Visa zur Weiterreise fehlte, und so wurde ich wider Willen schon in Paris von ihnen getrennt, da sie den andern Morgen den Postwagen bestiegen und mir voraus nach Straßburg eilten. So unangenehm mir der Vorfall war, so gab er doch Anlaß zu größerer Freude, da dieses Gelegenheit darbot, an Freundeshand die Hauptstadt von Frankreich in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit kennen zu lernen.
Noch ehe der Polizei-Palast erreicht war, wo die Gefährten das Weitere besorgten, machte uns der Führer auf die Morgue aufmerksam, in welchem Todtenhause alle unbekannten Leichname aufgestellt werden, welche man im Flusse, in den Straßen, auf den Plätzen und in nächster Umgebung der Stadt findet, und wo die über dem Kopfe aufgehängten Sachen der oft nicht mehr kenntlichen Leichen den Angehörigen und Freunden, welche in der Regel ein vermißtes Familienglied hier suchen, das Loos dieser Unglücklichen bekannt machen, welche die Leichen reklamiren können, wenn sie nicht auf Staatskosten beerdigt werden sollen.
Bald war das Nöthige auf der Polizei geschehen und dem Thiergarten zugepilgert, wo man ohne Anstoß Einlaß[S. 408] findet und Alles mit der größten Artigkeit dem Fremden gezeigt wird.
Der Thier- oder Botanische Garten, ein Vergnügungsort der Pariser und ein Lockvogel für Fremde, vereinigt Alles in sich, um den Botaniker, Naturforscher, Mediziner und Pharmaceuten zu belehren und zu bilden, dem Lustwandelnden Ruhe, Schatten und Wohlgerüche zu verschaffen und das Publikum zu ergötzen, da man die reichhaltigste Menagerie, welche es wohl geben mag, hier zu sehen Gelegenheit hat.
Nachdem der Garten in allen Richtungen durchwandelt, Irrwege, Treibhäuser, Lauben und Sitze gemustert waren, und der Führer zum Schlusse auf die große Ceder von Libanon aufmerksam gemacht hatte, sollte von hier aus über die eiserne Brücke d’Austerlitz nach dem berühmten Gottesacker Pére la chaise die Wanderung fortgesetzt werden. Doch auf dem so geschichtlich merkwürdigen Bastille-Platze, wo jetzt an der Stelle des frühern Staatsgefängnisses eine Säule, ähnlich der auf dem Vendome-Platze, errichtet ist, auf welcher eine Siegesgöttin prangt, besannen sich meine Gefährten eines Anderen, ließen die Todten ruhen und verzichteten auf einen Genuß, welcher mir später noch zu Gute kam.
Schon schickten wir uns an, nachdem auch das neben der Siegessäule stehende kolossale Elephanten-Modell[60] mit seinem Thurme auf dem Rücken besehen worden war, nach dem Invalidenhause zu eilen, als der Führer, welcher neben dem Fehler, immer Durst zu haben, auch den Hunger[S. 409] nicht zu beschwichtigen verstand, an die Mittagszeit erinnerte, welche längst vorbei sey.
Beim nächsten Marchand de vin, wo Posto gefaßt ward, fanden wir außer einem reinlichen Zimmer, gebratene Fische und einen Wein, gut genug für Seereisende, welche an weit geringere Kost gewöhnt und aus ökonomischer Rücksicht keine vornehmen Speisehäuser frequentiren konnten.
Jeder Zeit von der Ansicht ausgehend, nur unter Wölfen mit zu heulen, wurde von mir nie Anlaß gegeben, die Gelder durch Leckereien zu vergeuden, dagegen immer unverdrossen jedes Opfer gebracht, wenn es galt, Etwas zu sehen und die Kenntnisse zu bereichern.
Der Weg zum Invalidenhause war weit, und daher an der Zeit nichts zu verlieren, weshalb ein Omnibus bestiegen wurde, welche Wagen die Hauptstadt in allen Richtungen durchfahren und den Passagier für sechs Sous von einem Ende der Stadt bis zum andern spediren.
Das Hôtel des Invalides, welches funfzehn Morgen Land bedeckt, und seine Gebäude funfzehn Höfe einschließen, die durch Corridors verbunden sind, ist groß genug, um 7000 Mann aufnehmen und mit allen Bequemlichkeiten versehen zu können, auf welche Versorgung jeder Krieger Anspruch zu machen hat, der durch Wunden arbeitsunfähig, oder dreißig Jahre untadelhaft gedient hat. Alle die Schönheiten und Meisterwerke der Kirche dieser Anstalt zu besehen, ging für uns verloren, da hinter dem Hochaltare, wo die zweite Abtheilung oder der Dom anfängt, wegen Vorarbeiten zur Aufnahme der Napoleonsleiche, dieselbe zugeschlagen und der Zutritt verwehrt war. Die Decke der ersten Kirche schmücken meist spanische, portugiesische und algierische eroberte Fahnen, da die mehrsten der 3000 Flaggen, welche unter Napoleon die Kirche zierten,[S. 410] vor dem Einzuge der Alliirten am 31. März 1814 verbrannt worden sind, wie der Führer erzählte.
Auf der herrlichen Esplanade vor dem Gebäude standen noch theilweis die, Napoleons Leichenbegängnisse zu Ehren, mit vielen Kosten errichteten Statuen, Krieger alter und neuerer Zeit darstellend, unterbrochen von Ornamenten und Kandelabres, welche man jetzt wieder demolirte, und Plätze wie Straßen von den Ueberbleibseln großartiger Anstalten des Trauerfestes gereinigt wurden.
Die unfern der Invaliden-Wohnungen liegenden Elysäischen Felder werden im Winter von den Parisern weniger besucht, und dienen zur Zeit meist nur zu Revüen, Mannövres und Pferderennen.
Nachdem die Champs Elysées passirt waren, gelangten wir auf den Place de la Concorde, der imposanteste von Paris, welcher mehrmals den Namen, wie seine Ausschmückung, verändert hat. — Vieles Bürgerblut ist hier im Kampfe der streitenden Partheien geflossen, unzählige Opfer sind hier während der Revolution unter der Guillotine gefallen; auch Ludwig XVI. und seine Familie.
Jetzt prangt da, wo früher das Henkerbeil mordete, auf einem Piedestal von schönem französischen Granit der aus Egypten mit großer Mühe hieher geschaffte Obelisk von Luxor, der durch seine Alterthümlichkeit die allgemeine Aufmerksamkeit fesselt. Dieser 72 Fuß hohe Block ist noch vollkommen erhalten, aus einem Stück gearbeitet und ganz mit Hieroglyphen von der feinsten und kräftigsten Arbeit bedeckt. Mit dem Piedestal ist das Ganze 89 Fuß hoch. — Zu beiden Seiten des Obelisks befinden sich große, reich und geschmackvoll verzierte Wasserkünste, wie überhaupt eine Menge stark vergoldeter Kandelabres-Figuren und Marmor-Gruppen, die dem Ganzen ein imposantes Ansehen geben.
Durch den Tuilerieen-Garten eilten wir der Wohnung des Königs zu, um mit Beschauung dieses Schlosses die Wanderung für diesen Tag zu beschließen, welches meine Gefährten in jeder Hinsicht befriedigte, und diese, im Glauben nun Paris gesehen zu haben, am andern Morgen die Hauptstadt verließen, nicht ahnend, was für den Fremden noch an Kunstschätzen hier zu sehen ist, und ein günstiges Geschick mir diesen Genuß noch gewährte.
Nur anständig gekleideten Personen ist der Zutritt in den Garten der Tuilerieen gestattet, da die Eingänge mit Militär besetzt, Jeden abweisen, welcher diesem Befehl zuwider handeln will. Deshalb ist dieser Königliche Park auch der Einigungspunkt der vornehmen Welt, welche hier sehen und gesehen seyn will.
Diese herrliche, wohlunterhaltene Anlage vereinigt Alles, was zur Verschönerung der Natur, und dem Vergnügen der Menschen beitragen kann, und bei jeder Wendung begegnen dem Blicke die schönsten Statuen und Gruppen, welche von Wasserkünsten und Fontänen unterbrochen werden.
Der Name des Palastes der französischen Könige soll seinen Ursprung von Ziegelhütten haben, welche früher da standen, wo Katharine von Medicis das jetzige Tuilerie-Schloß angelegt hat, welcher Bau von jedem der nachfolgenden Regenten vergrößert und verschönert worden ist. Auch Ludwig Philipp unterläßt nicht, ihn von innen und außen zu verbessern und zu erweitern.
Fortsetzung.
Im Februar 1841.
Der Minister-Resident, Herr Staatsrath Weiland, wünschte persönlich meine Bekanntschaft zu machen, nahm mich sehr zuvorkommend auf, und stellte mir beim Abschiede eine Karte zu, welcher ich mich da, wo der Paß nicht auslangen würde, um Einlaß in die Kunstkabinete zu erhalten, bedienen möchte. Dabei war ich auch von dem Aufenthalte der zur Zeit in Paris lebenden Weimaraner in Kenntniß gesetzt, von welchen ich vor Allen Herrn Martersteig aufzufinden mich bemühte. Dieser, in seinem Atelier mit einem großen Kunstgemälde beschäftigt, war nicht wenig erstaunt, als er den Amerikaner erblickte, der, ihm in Paris einen Besuch abzustatten, gekommen war, und ich mußte sogleich bei diesem Braven meine Wohnung nehmen, da ein mehrtägiger Aufenthalt unerläßlich war, um das Weitere von Paris kennen zu lernen. Ein zweiter Landsmann, Herr Rückoldt, zur Zeit außer Kondition, wurde nun mein Cicerone, und dieser, ebenfalls in Paris von A bis Z bekannt, unterzog sich dem Geschäfte, mit mir die Stadt nach allen Richtungen zu durchstreichen und nichts unbesucht zu lassen. Den Abend mehrte die Gesellschaft ein dritter Landsmann, Herr Schaller, und so genoß ich nach der Abreise meiner Reisegefährten manche herrliche Stunde im Kreise der Freunde.
Vendome-Platz, Palais-Royal, Morgue, Thiergarten, Invalidenhaus, die Elysäischen Felder, Place de la Concorde, Tuilerieen-Garten, so wie die Wohnung des Königs, der Tuilerieen-Palast, waren die ersten Tage besehen worden. Jetzt sollte vom Polizei-Bureau aus, wo der Paß niedergelegt war, das Versäumte nachgeholt und der berühmte[S. 413] Gottesacker besucht werden. Auf der Tour dahin ward die alte ehrwürdige Notre-Dame besichtigt und die immer mit Menschen und Wagen besetzte Brücke Pont-neuf passirt, wo die bronzene Reiter-Statue Heinrichs IV. aufgestellt ist, und die auf den Trottoirs dampfenden Kohlenbecken und Oefen den Vorübergehenden immer frisch gebackene Schmalzkräpfel und Pasteten liefern; doch waren wir nach diesem Backwerke nicht lüstern, da die Sage geht, daß hier Hunde-, Pferde- und Menschen-Fett die Hauptrolle spielt.
Auf den Grêve-Platz angelangt, fällt vor Allem das schöne Rathhaus auf, in dessen Hofe das Standbild Ludwig XIV. prangt. Dieser Platz, auf welchem früher gehenkt, gerädert, geviertheilt und guillotinirt worden ist, hier, wo schuldige und unschuldige Opfer in Unzahl das Leben verloren haben, behält immer etwas Grausiges, und der Gedanke, auf dem gräßlichen Platze zu stehen, wo während der Revolution Ströme Bluts geflossen, wo der Henker Robespierre ohne Zahl die Menschen schlachten ließ, und als gerechte Strafe selbst durch Henkersbeil das Leben verloren hat, erfüllt den Menschen mit Abscheu gegen die Bluthunde damaliger Zeit.
Vor dem Todtenacker Pére la chaise verrathen die auf beiden Seiten der nicht breiten Straße in Ateliers arbeitenden Steinhauer, durch Aufstellung ihrer bestellten, oder vorräthig gefertigten Kunstwerke von Monumenten und Denksteinen, daß man nicht zu bereuen hat, die Schritte aus dem geräuschvollen Leben nach dem Eingange zur Lebensruhe gerichtet zu haben. Der Friedhof selbst überrascht den Pilger auf jede Weise. Kunst und Natur wetteifern hier, dem Orte das Abschreckende zu benehmen, und dem Besuchenden einen einladenden Garten zu zeigen. — Schöne Wege und Alleen führen zur Höhe hinauf, an dessen Abhang frei, und im Gebüsche versteckt, die schönsten Grabsteine, Kreuze, Monumente und Kapellen sicht[S. 414]bar sind. Herrliche Denkmäler, große und geschmackvolle marmorne Obelisken, Säulen und Statuen bezeichnen die Stellen, wo ausgezeichnet gewesene Männer ruhen. Die Namen der Marschälle Suchet, Massena, Lefevre findet man hier. Auch der durch sein tragisches Ende noch merkwürdiger gewordene Marschall Ney ist hier beigesetzt, doch ohne daß auf dem Steine, welcher ihn deckt, der Name verzeichnet ist. Besonders prächtig nehmen sich die Denkmaler der russischen Gräfin Demidoff, das der beiden liebenden Abaelard und Heloise, des General Foy und das in neuerer Zeit dem Staats-Minister Casimir Perier errichtete, aus.
Ist man auf dem ersten Vorsprunge des Hügels angelangt, wo eine Kirche steht, so ändert sich die Scene. Der Mensch wird abgezogen von seinen Betrachtungen über Tod und Ewigkeit, da von diesem Standpunkte aus, Paris in seiner ganzen Größe und Herrlichkeit sich vor seinem Blicke entfaltet, und die Sinne, vom Reize des Irdischen umstrickt, sich wieder dem sündhaften Leben zuwenden.
Im Kreise der Freunde ward beschlossen, den Abend dieses Tages auf einem deutschen Kaffeehause zu verleben und bei gutem Bier uns der lieben Heimath zu erinnern.
Zahlreich war die angetroffene Gesellschaft, da der in Paris lebende Deutsche noch zu sehr an dem gewohnten Gerstensaft hängt, als daß er letztern über den Wein, welcher mehr von den Franzosen getrunken wird, vergessen sollte. Alle Tische waren in den ersten Zimmern besetzt, und die qualmenden Pfeifen ließen mich um so mehr wünschen, besser im Hintergrund gedrängt, außer dem Bereiche der Rauchsäulen, leere Plätze zu suchen.
Das Bier, Straßburger Fabrikat, mundete trefflich, und schon war es spät an der Zeit, wie die um uns leer werdenden Sitze kund gaben, als wir uns auch zum Rückzuge[S. 415] anschickten, und die Freunde auf den leer gewordenen Straßen jetzt mit Schrecken gewahrten, daß kein Omnibus mehr fahre. Wie sie die weit abgelegenen Quartiere erreicht, war Keinem am nächsten Tage mehr bewußt, ich selbst wanderte mit meinem seelenvergnügten Maler langsam und friedfertig unserer Wohnung zu.
Auffallend ist der Kontrast, welchen eine so bevölkerte Stadt, wie Paris, zwischen Nacht und Tag bietet, und ein wahrhaft interessantes Bild davon giebt ein Autor, indem er sagt:
„Wie ganz anders gestaltet sich die Stadt am späten Abend. Die Lampen und Laternen sind erloschen, nur das Gas leuchtet noch auf einigen Plätzen und in größern Straßen; die Läden sind geschlossen, die Lichter in den Zimmern sind verlöscht, und nur in den obersten Stockwerken flimmert noch hin und wieder ein Licht. Der Journalist, der Poet, der Gelehrte arbeitet da noch; die arme, von der harten Tagesarbeit ermüdete Mutter, sucht für ihre hungrigen Kinder noch Etwas zu verdienen. Die Grisette erwartet noch ihren Geliebten; die feile Dirne lauert auf Beute, um morgen essen zu können. Dunkle Gestalten, von denen viele das Tageslicht scheuen mögen, schleichen gespensterartig mit leisen und gellenden Tritten an den Häusern hin; Patrouillen durchreiten und durchwandern die Stadt. Die Chiffonniers, mit ihren kleinen Laternen, hölzernen Butten und eisernen Hacken durchwühlen die Gossen und Ecken, um spärliche Papierschnitzel, verdorbene und weggeworfene Eßwaaren aufzusuchen. Nur selten rasselt ein Wagen; die pestilenzialisch stinkenden Ausleerungskarren schleppen langsam einher und gleichen Leichenwagen in einer ausgestorbenen Stadt, und Paris ist jetzt todt. Nur in den Salons der Großen, in den Spiel- und Freuden-Häusern ist noch Leben.“
Etwas spät stellte sich am andern Morgen mein wackerer Führer ein, da Heiserkeit und Kopfschmerzen ihn länger als gewöhnlich, aufs Lager gefesselt hatten. Doch solch ein nächtlicher Kommers genirt einen braven Burschen nicht. Der fleißige Maler stand schon früh mit Pinsel und Palette an seinem Meisterwerk, und korrigirte nebenbei vorkommende Fehler seiner jungen und talentvollen Schülerin, welche die Mutter mit Argusaugen bewachte, da in Paris den Männern in diesem Punkte zu wenig getraut wird, und man in jedem unbewachten Frauenzimmer, welche auf der Stube eines Mannes angetroffen wird, ein Grisettchen erkennt.
Ohne Appetit wollte heute bei einem Marchand de vin das Frühstück nicht munden, welches uns bestimmte, um nun auch die Wirthschaft einer der größten und vornehmsten Pariser Restaurationen kennen zu lernen, im Palais-Royal das Mittagsbrod einzunehmen.
Gute Bedienung, schmackhafte Speisen und trefflichen Wein findet man hier, doch ist solch ein Genuß, den Gaumen zu kitzeln, bei beschränkten Mitteln um so weniger anzuempfehlen, wenn man vom Hause aus kein Feinschmecker ist, und das Sprichwort: „Was hilft der Kuh Muskate!“[61] hier Anwendung finden möchte. Solch ein Vergnügen ist zu kostspielig, als daß der mit Glücksgütern nicht gesegnete Fremde hierauf nicht verzichten sollte. In ebenfalls anständigen Restaurationen, woran es in Paris nicht fehlt, ist es um drei Theile billiger.
Das geschichtlich merkwürdige Palais de Luxembourg, jetzt der Versammlungsort der ersten Kammer, der Pairs von Frankreich, wurde heute besucht. Die Gemäldegalle[S. 417]rieen, in welcher nur Meisterwerke jetzt lebender Künstler aufgestellt werden, ist sehenswerth; der daran stoßende herrliche Garten soll besonders von den Herren Studenten frequentirt werden, welche mit dem Liebchen am Arm, sich in den schattigen Gängen erholen, denn hier ist es Sitte, daß die Pariser Musensöhne, wie ihre deutschen Brüder ohne lange Pfeife nicht leben können und sich öffentlich zeigen, diese, ohne ein Grisettchen am Arm zu haben, die Straße nicht betreten und sonst in vertraulicher Eintracht mit ihren Stubengenossinnen leben.
Solche Stubenmädchen, deren es 18–20,000 in Paris geben soll, verdienen sich in der Regel vom Nähen und Sticken ihren Unterhalt, welcher Verdienst jedoch nicht ausreichend ist, um auch Putz und Logis davon bestreiten zu können, weshalb das liebe Geschöpfchen zu einem Studenten oder sonst jungen Mann nach ihrem Geschmack zieht, dessen Wirthschaft besorgt und die Frau vertritt, woher es kommen mag, daß die Findelhäuser immer reichlich besetzt sind. Dennoch findet man in einem solchen gesellschaftlichen Verhältniß nichts Anstößiges und weder Eltern, Vormünder noch die Obrigkeit haben Etwas dagegen einzuwenden.
Von hieraus wurde das Panthéon besucht, ein Meisterwerk der Architektur, welches schon über dreißig Millionen Franks gekostet hat und im Bau noch nicht vollendet ist. Es nimmt einen der ersten Plätze der Pariser Merkwürdigkeiten ein. Die Bestimmung dieses prächtigen Tempels des Ruhmes ist: die Gebeine berühmter Männer aufzunehmen, weshalb unter dem Gebäude eine lange Reihe von Gewölben angebracht ist.
Auch das Musée d’Artillerie wurde heute besichtigt, wo in fünf Gallerieen verschiedene Kriegswerkzeuge aufgestellt sind.
Auch zeigt man dort, außer den wirklich authentischen Waffen der größten französischen Kriegshelden und Monarchen, den Helm des Attila.
Am Abend wurde die große Oper besucht, wo wir bei frühzeitiger Ankunft schon eine Menge Menschen versammelt fanden, welche die im Zick-Zack errichteten Barrieren füllten und in Reihe und Glied das Oeffnen der Kasse erwarteten. Eine lobenswerthe Ordnung findet dabei Statt, bedungen von den vor dem Stück aufgestellten und nach Anfang desselben wieder weggenommenen Verschlägen, wodurch das Zudrängen von allen Seiten nach dem Eingang unmöglich wird, und so geschützt, der Vorderste Einlaß erhält, die Folgenden nachrücken und die Neuangekommenen sich immer dem Hintersten erst anschließen müssen.[62]
Pracht und Eleganz herrscht hier bis auf den letzten Sitz der obersten Gallerie und, wie in London, erhöhen die Lichtflammen fünf großer und brillanter Leuchter den Glanz der Vergoldung und Malerei, mit welchen das Haus reich und geschmackvoll dekorirt ist.
Die Vorstellungen dauern sehr lange, von acht Uhr bis Mitternacht; füllt ein Theaterstück diese Zeit nicht aus, so werden in mehrern Schauspielhäusern öfters vier bis fünf verschiedene Stücke gegeben.
Nicht wie bei uns, bekundet ein anhaltender Applaus die Kunst der Spieler, wie den anerkannten Werth des Stücks, denn hier, wie in London, giebt das Publikum nicht durch Klatschen seinen Beifall zu erkennen, sondern dies Geschäft verrichten die von den Theater-Direktionen, Akteurs und Aktricen, sowie vom Autor des Stücks bezahlten Klatscher (Claqueurs), welche sich im ganzen Theater ver[S. 419]breiten und je nachdem es bezahlt worden ist, werden die Hände in Bewegung gesetzt. Wer zu zischen und pfeifen wagt, indem sie klatschen, wird maltraitirt, wer klatscht, wenn sie ruhen, verhöhnt.
Vor Allem vermißt der Fremde in Amerika, London und Paris das gesittete und stille Betragen der Zuschauer vor Beginn des Stücks. Man spricht hier laut miteinander, ruft aus dem Parterre den in Logen und Gallerieen Sitzenden zu, macht allerhand launige Bemerkungen, lacht, schreit und singt nach Belieben und nicht weniger geniren sich später kommende Zuschauer, welche über Bänke und Sachen weglaufen, und sich einzudrängen suchen. Ebenso belästigen Verkäufer, welche Theaterzeitungen, Lorgnetten, Eßwaaren etc. feil bieten, und sich durch die Reihen Platz zu machen verstehen. Je nachdem das Stück Anklang findet, so hängt davon die Ruhe und Aufmerksamkeit des Publikums ab. Zieht das Stück an, so geht es erträglich, mißfällt es dagegen, so hat der Lärm keine Grenze, da ein Jeder für sein erlegtes Geld das Recht zu haben glaubt, sein Urtheil laut abgeben zu können.
Sonntag, den 28. Februar, fuhren wir auf der am rechten Seine-Ufer angelegten Eisenbahn nach dem vier Stunden von Paris gelegenen Versailles, um daselbst das schöne Schloß, die in demselben aufgestellte große Bildersammlung, Statuen, wie die so berühmten Wasserkünste im Schloßgarten zu sehen.
Versailles, zur Zeit Ludwig XIII. noch ein Dorf, erhielt erst sein Ansehen, nachdem dieser Regent ein Jagdschloß daselbst erbaute, seine Nachfolger aber solches erweiterten, immer vergrößerten und bis zur Revolution den Sitz des Hofes und der Regierung dahin verlegten, wodurch die Stadt an Größe schnell zunahm und gegen 100,000 Einwohner zählte; nach jener Schreckenszeit kam sie aber schnell in Verfall, so daß die Seelenzahl bis auf 30,000 herab[S. 420]sank, jetzt aber wieder im Zunehmen ist, da durch das von Ludwig Philipp daselbst angelegte Museum viele Fremde hingezogen werden und eine doppelte Verbindung mit Paris durch zwei Eisenbahnen hergestellt worden ist.
Eine genaue Beschreibung des Schlosses, der Kunstschätze, so wie des Gartens, findet man in dem Fremdenführer von Moritz Grimm, welcher Wegweiser jedem Fremden in Paris anzuempfehlen ist.
Die Wasserkünste, mit einem ungeheuern Geldaufwand errichtet, überbieten Alles, was wohl Derartiges auf der Welt existiren mag, und wenn sie spielen, glaubt sich der Zuschauer in das Feenreich versetzt.
Fortsetzung.
Im März 1841.
Die Kunstschätze des Schlosses von Versailles, wie die Wasserwerke des Parks, lassen erklären, warum man aus zwei verschiedenen Pariser Stadttheilen hieher kostspielige Eisenbahnen errichtet hat, da der Zudrang von Schaulustigen, sowohl Fremder als Einheimischer, sehr groß ist und die Herren Aktionärs bei stattfindender Konkurrenz immer noch hohe Prozente beziehen sollen.
Bis St. Cloud, einer kleinen Stadt an der Seine, wurde auf der Schienenbahn, die uns nach Versailles gebracht hatte, zurückgefahren, um das daselbst befindliche Schloß, für welches Napoleon eine besondere Vorliebe gehabt haben soll und welches Carl X. gewöhnlich zum Aufenthalt diente, zu besehen, und die im Schloßgarten befindlichen Bassins und Statuen zu bewundern; sowie später die Fußwanderung nach Sévres fortgesetzt wurde, um daselbst die welt[S. 421]berühmte Porzellan-Manufaktur und das in dieser befindliche Museum von fremdem und einheimischen Steingut und Töpferwaaren, Muster der Erden, aus denen sie fabrizirt werden, so wie Modelle aller Arten, Vasen, Figuren und Service, die seit 1755, dem Bestand dieser Anstalt, hier verfertigt worden sind, kennen zu lernen; dann besahen wir das zwischen Sévres und Meudon auf einem Hügel sehr schön gelegene Bellevue, wo man auf der Terrasse einen herrlichen Ueberblick von Paris und den Seine-Fluß hat.
Park und Schloß zu Meudon sind in neuerer Zeit von Ludwig Philipp durchaus neu eingerichtet worden, obgleich schon Napoleon für seinen Sohn dasselbe restauriren ließ.
Bis hierher ging Alles gut, und da das schönste Wetter diesen Ausflug, auf welchem ich gesehen, was ich wohl schwerlich zum zweiten Male sehen werde, es müßte denn Fortuna ein besonderes Auge auf mich werfen, begünstigte, so blieb nichts zu wünschen übrig, als möglichst schnell den knurrenden Magen zu beschwichtigen, da er sich mit dem geistigen Genuß nicht begnügen wollte.
Das herrliche Frankreich mit seinem Feuerwein, wie das bescheidene Vaterland mit seinem Gerstensaft, ließen wir bei dem nächsten Marchand de vin, wo eingekehrt wurde, hoch leben, und dadurch immer beredter und fideler, versäumten die Freunde an den Aufbruch zu mahnen und schon war der Wagenzug vorüber, als wir, um mitzufahren, zur Eisenbahn eilten.
Höllisches Geschick! Weder ein Fiacker, noch Coucous[63] ließ sich sehen und da keine Zeit zu verlieren war, indem wir am Abend der Vorstellung im Theater Franconi beiwohnen[S. 422] wollten, wo die Zurückkunft der Asche Napoleons theatralisch aufgeführt werden sollte, so blieb nichts übrig, als im Sturmschritt nach der Barriere zu eilen, um daselbst einen Omnibus zu besteigen, welcher uns nach dem weit entfernt gelegenen Boulevard du Temple transportiren sollte.
Auf dieser Tour rettete ich die Ehre meiner Landsleute, von denen die meisten während ihres Aufenthaltes in Paris vor Allem über das beschwerliche Zufußgehen geklagt haben, und ohne Wagen nicht fortzubringen gewesen seyn sollen, ich dagegen meine wackern Freunde immer hinter mir ließ, und dadurch zeigte, daß eine Reise nach Amerika nicht so mitnehmend sey, als ein Leben in Paris.
Der bei dem Omnibus wachthabende Sonnenbruder, welchem das Geschäft oblag, zur rechten Zeit den in der nächsten Kneipe sich wärmenden Kutscher zu rufen, hatte sich selbst das Geschäft erleichtert, war in den Wagen gestiegen und sanft entschlafen, mußte jedoch im Traume sich berufen fühlen, dieses Terrain frei zu halten, denn er schlug bei unserm Einsteigen um sich herum und machte, nachdem wir Posto gefaßt, Miene, uns wieder aus dem Wagen zu werfen, bis durch den Lärm der Kutscher selbst herbeieilte und den Trunkenbold auf die Seite schaffte.
Was ich vermuthete, war geschehen. Das Theater war längst angegangen und schon ein Stück vorüber, wie die aus dem Hause kommenden Schaulustigen zu erkennen gaben, von welchen die nicht Zurückgehenden ihre Billets an bereit stehende Kontremarken-Händler verkauften und Letztere solche wieder an später kommende Zuschauer anzubringen suchten, weshalb mehrere dieser Industriellen sich an uns drängten und Marken offerirten.
Dieser Billethandel, wogegen die Theater-Direktion nichts einzuwenden hat, geht in Paris ins Große und verschafft dem Publikum den Vortheil, daß man nicht für[S. 423] die ganze Vorstellung, welche an einem Abend Statt findet, zu bezahlen hat, im Fall man vor dem Schluß des Hauses das Schauspiel verläßt, oder erst in dem bald beendigten Stück das Theater besuchen will.
Mit allem Pomp und getreuer Nachahmung der stattgefundenen Ceremonieen, bei Abholung der Leiche Napoleons von St. Helena bis zur Uebernahme derselben im Invalidenhaus zu Paris von Ludwig Philipp, wurde diese Begebenheit theatralisch dargestellt, welcher Genuß mir um so willkommner war, da ich bedauern mußte, zu spät nach der Hauptstadt gekommen zu seyn, um der wirklichen Trauerfeierlichkeit beiwohnen zu können.
Am nächsten Morgen wurde die Magdalenenkirche besucht, welches herrliche Gebäude, von Napoleon zu einem Tempel des Ruhms bestimmt, jetzt wieder, nach dem Willen ihres ersten Gründers Ludwigs XV., unter die Zahl der Gottgeweihten Häuser aufgenommen ist. Das vollendete Aeußere dieses großartigen Tempels gewährt einen freundlichen Anblick, ohne daß der Styl verräth, daß man einer christlichen Kirche nahe stehe.
Aehnlich der Magdalenenkirche ist die Börse großartig aufgeführt, und wie jene 52 Säulen von Außen zieren, so sind hier 66 dergl. angebracht. Die von oben erleuchtete und mit einem herrlichen Plafont geschmückte Halle ist groß genug, 2000 Personen fassen zu können; am schönsten kann man von der Gallerie herab das Gewühl der versammelten Menge von Spekulanten, Banquiers, Kaufleuten bis zum kleinsten Krämer herab, durchmengt von Neugierigen und Dieben, beobachten, wenn man nicht selber in der Nähe die großartigen Handels- und Geldgeschäfte mit ansehen und hören will, und weniger besorgt für seine Uhr und Börse ist, denn mit unglaublicher Keckheit werden hier, besonders den Fremden, nicht allein Taschentücher entwendet, sondern die Virtuosität dieser Industriellen er[S. 424]streckt sich besonders auf Dosen, Uhren und Brieftaschen, welche, ehe man es ahndet, verschwinden. Paris und London werden sich wohl in diesem Fach immer den Vorrang streitig zu machen suchen und die unerreichbaren Vorbilder aller Gauner und Diebe bleiben.
Von hier aus wurde die große Passage des Panorames durchschritten und durch diese aufmerksam gemacht, verschiedene andere Glasgallerieen besucht; auch wurde mir das Haus gezeigt, woraus Fieschi seine Höllenmaschine auf den König abgeschossen hatte.
Die Beschauung des Louvre kam jetzt an die Reihe. Dieser Palast, von Franz I. (1528) errichtet, von allen nachfolgenden Regenten aber vergrößert und verschönert, interessirte mich ungemein. Er erweckt viele historische Erinnerungen und war häufig die Wohnung der Könige. Karl IX. schoß von hier aus auf die Hugenotten in der Bartholomäusnacht und hier fand der erbitterte Kampf des Volks gegen die Schweizergarde in der Juli-Revolution Statt. Das Aeußere, wie der innere Ausbau, dieses großartigen Gebäudes ist äußerst imposant und reich ausgeschmückt und soll für den Architekten viel Merkwürdiges enthalten. Die innern Räume des Louvre sind jetzt beinahe ganz von verschiedenen Museen eingenommen, und die Kunstschätze, welche hier aufbewahrt werden, übertreffen Alles, was man sich vor dem Beschauen davon verspricht.
Am letzten Tage meines Aufenthaltes in Paris fuhren wir nach St. Denis, einer Stadt von 5000 Einwohnern, um die daselbst befindliche merkwürdige Cathedrale zu besehen, wo die Gräber der französischen Könige sich befinden.
Wir besahen das alterthümliche Grab Dagoberts, das Grabmal Ludwigs XII., und Anna’s, seiner Gemahlin; dann das Denkmal von Heinrich II. und Catharina von Medicis, das Monument Franz I. und der Königin Claude.
Schon war die Pforte geöffnet und der Führer bereit, uns unter das Chor hinab zu geleiten, wo die Grabgewölbe der übrigen Könige und ihrer Familienglieder sich befinden, als mich Kolik-Schmerzen zum Rückzug zwangen.
Keine Zeit war zu verlieren, um nach Paris zurückzueilen, weil daselbst heute noch die nur bis vier Uhr geöffnete Königliche Teppichfabrik der Gobelins besucht werden sollte. Doch vergebens harrten wir im Kuckuk auf den Abgang des Wagens, obgleich der Kutscher beim Einsteigen den schnellsten Transport versprochen hatte. Mein Freund mochte toben und fluchen, so viel er wollte, der Wagen rückte nicht von der Stelle, denn noch waren nicht alle Plätze besetzt und der Fuhrmann verlangte seine volle Ladung. Nur, als wir Miene machten, wieder auszusteigen um einen andern, besser besetzten Wagen zu frequentiren, wurde das erbarmungswürdige Thier durch Peitschenhiebe zum Fortgehen bewegt. Unterwegs wurden noch Höckenweiber und Arbeiter aufgenommen, wodurch sich die Passagiere dermaßen mehrten, daß der Kutscher die Freude hatte, noch Lapins[64] zu placiren. — An der Barriere angelangt, wurde sogleich ein Omnibus bestiegen; doch da vier Uhr längst vorüber war, als wir bei den Gobelins ankamen, so wurde der Zutritt nicht mehr gestattet und das Anschauen dieser berühmten Kunstteppich-Weberei ging für mich verloren.
Aergerlich gestimmt, gingen wir langsam durch das öde, garstige Stadtviertel, wo die Lohgerber an dem Bievre-Flüßchen wohnen und das Geschäft meines Freundes und Führers getrieben wurde, nach dessen Wohnung zu und an der Anatomie vorbei, wo Mediziner und Chirurgen ihr[S. 426] Geschäft an Hunderten von Leichen üben. In dem Logis angelangt, mußte ich bemerken, wie ein so großes Haus in Paris gleichsam eine kleine Welt umschließt, und das nämliche Dach oft den ausschweifendsten Luxus neben der drückendsten Armuth bedeckt. Man wird hier geboren, man lebt, man stirbt, man freut sich oder man verzweifelt, und Niemand im Hause, außer denen, die es zunächst berührt, erfährt etwas davon. — Erst als am Abend im Atelier des fleißigen Malers, meines braven Wirths, die Freunde sich versammelt und der dampfende Glühwein von Neuem den Leib erwärmte, war mir wohler, und bis spät in die Nacht wurde unter Sang und Klang der Gläser der Abschied gefeiert.
Am Morgen des 3. März war bei der Postanstalt Laffitte, Caillard et Comp. die Reise nach Straßburg akkordirt und für den Platz auf dem Kutschenhimmel 33 Franks für 120 Stunden Wegs bezahlt; wobei noch 50 Pfund Gepäck und ein Hund frei waren.
Das von Freundes Hand mir anvertraute alte Thier, um solches dem Vater zu überbringen, hatte gewiß seine Jugendzeit auf dem Combat in Paris verlebt und daselbst bei den Hundepaukereien als kunstgerechter Kämpfer sich Lorbeeren erworben, obgleich der Händler diese Bestie mit seinen fletschenden Zähnen, als noch in besten Jahren stehende Bulldogge verkauft hatte, welche die grauen Haare nur aus Verdruß über nicht anerkannte Verdienste bekommen habe.
Freud und Leid verschaffte dieser Begleiter, welchen ich mir während der Reise durch Schmeichelei und Leckerbissen geneigt zu machen suchte. Bald fuhr er knurrend[S. 427] meiner nicht allzuhübschen Nachbarin nach den Waden, wenn sie das Unglück hatte, ihn mit ihren großen Füßen zu berühren; dann verrieth die Feuchtigkeit an den Füßen, daß die Bestie, ungalant genug, sich nicht genirte, über den Häuptern der tiefer sitzenden Passagiere der Nothdurft sich zu entäußern.
Während der 2½ Tag und zwei Nächte unausgesetzten schnellen Reise über Chalons und Nancy wurde nichts der Aufnotirung Werthes bemerkt und wir erreichten wohlbehalten am 5. d. Nachmittags Straßburg, wo ich bei dem mir rekommandirten und empfehlungswerthen Jacob Phisterre einkehrte und sogleich das Nöthige auf dem Paß-Bureau besorgte, währenddem die Bulldogge angebunden in der Gaststube zurück blieb. Doch dem freien Franzmann beliebte nicht eine solche sklavische Behandlung, knurrend säuberte er seine Nähe von zudringlicher Bekanntschaft und zerriß die Bande, um mit einem Satz nicht über den Rhein, sondern nach einer sich in aller Unschuld nähernden Katze zu springen, welche zu spät gewarnt, durch die rächende Nemesis jetzt gleiches Schicksal erfuhr, was sie Tausenden von Mäusen bereitet hatte. Mir selbst diente das Geschehene zur größern Vorsicht, und da zum Glück das gefallene Opfer nicht der Liebling der Frau Wirthin mehr war, indem das jüngere Geschlecht sie aus der frühern Gunst verdrängt hatte, so war auch von dieser Seite der Friede bald wieder hergestellt, woran mir am mehrsten gelegen war, da ich es nicht gern mit den Weibern verderbe.
Schon war der Name auf dem Postamte zur Weiterreise notirt, als mein böser Genius, der Hund, diese Fahrgelegenheit vereitelte, da man solchen weder frei, noch gegen Vergütung als Passagier mit aufnehmen wollte. Lohnfuhrwerk zu miethen, kam als einzelne Person zu theuer, weshalb ich einen Allerweltsfreund beauftragte, in den andern Gasthöfen nach einer Retourfuhre sich umzusehen.
Den andern Morgen wurde die Stadt besehen, wobei die Straßen derselben mit ihren engen, unregelmäßigen, meist hohen und altmodisch aufgeführten Häusern keinen freundlichen Anblick gewähren, und nur der Paradeplatz, mit ansehnlichen Häusern umgeben, macht hiervon eine Ausnahme.
Die mir als merkwürdig gezeigten Gebäude sind: der ehemalige bischöfliche Palast, das vormalige Jesuiten-Kollegium, die Münze, das Zeughaus, die Kanonengießerei, das Rathhaus und das Theater, vor Allem aber der berühmte Münster, das Meisterstück altdeutscher Baukunst. Der bewunderungswürdige hohe Thurm, welcher sein kühnes Haupt stolz bis zur Höhe von 438 Pariser Fuß in die Lüfte emporhebt, wurde bestiegen.
Eine herrliche Aussicht lohnt für die Mühe und das ängstliche Emporklimmen in einen der kleinen schlanken und mit durchbrochener Arbeit gezierten vier Thürmchen, welche bis hoch in die Lüfte den Hauptthurm umgeben, und in jedem eine schmale Schneckenstiege hinaufführt, die in der Spitze wieder in den Mittelthurm geleitet. Von diesem Standpunkte aus entfaltet sich dem Blicke das prachtvollste Panorama. Die Stadt mit ihren beträchtlichen Festungswerken liegt ausgebreitet unter dem Beschauer und gewährt den großartigen Anblick eines der ersten befestigten Orte. Ueber den Schanzen und Gräben hinaus fängt eine gut angebaute Gegend an, welche von schönen Gärten, Landhäusern und Dörfern angefüllt ist. Nachdem in allen Theilen die Riesen-Pyramide des Thurmes, welches Kunstwerk reichlich mit durchbrochener und anderer Bildhauerarbeit geziert, gemustert war, und ich auch die als Meisterstück anerkannte Thurmuhr besehen, verfügte ich mich nach der Thomas-Kirche, um das merkwürdige, dem Marschall Moritz von Sachsen errich[S. 429]tete Denkmal zu sehen. Eben daselbst werden auch in einer Nebenkapelle zwei in Särgen liegende Mumien gezeigt, von welchem der Zahn der Zeit schon einmal die Kleidungsstücke zernagt und Letztere mit neuen ersetzt worden sind; die Leichname selbst waren dagegen noch gut erhalten.
Eben als der Pförtner im Begriffe war zu erzählen, wer die längst Verstorbenen gewesen, trat der mich suchende Kundschafter ein und brachte die Nachricht, daß ein Herr mit mir vereint die Reise bis Frankfurt zu machen wünsche und im Logis meiner harre.
Ein mit der Post von Paris gekommener Musen-Sohn war das Herrchen, welcher mir die Ehre zugedacht, in seiner Gesellschaft und auf gemeinschaftliche Kosten die Reise fortzusetzen, und jetzt unserer Zwei, wurde es auch leichter, einen von Mannheim gekommenen, und auf Retourfuhre wartenden Lohnkutscher zu gewinnen.
Wohl hat freudiger, wie ich, kein Deutscher die große Schiffbrücke über den Rhein bei Straßburg passirt, denn mit wonnigen Gefühlen betrat ich von Neuem Deutschlands Boden. Während die Zolloffizianten bei Kehl sich mit Visitiren meiner Effekten beschäftigten, und ich von einigen Kleinigkeiten Eingangszoll zu entrichten hatte, war mein Reisegefährte um so schneller expedirt, da er außer seinem noblen Anzuge nur noch ein kleines Päckchen bei sich führte, dessen Inhalt mir unbekannt, aber doch nichts Steuerbares enthielt.
Den 7. März, Nachts 1 Uhr, in Karlsruhe angekommen, wurde von da früh 9 Uhr die Reise fortgesetzt, und von mir, wegen vorgeschütztem Mangel kleinen Geldes, für meinen Musensohn die Zeche ausgelegt. — Wie Letzterer erzählte, war er ein Schüler der Malerkunst, welcher im[S. 430] Begriffe stehe, in Frankfurt einen Onkel zu besuchen, sich da zu erholen, und frische Gelder zu erheben und in Dresden das Studium fortzusetzen; er war übrigens ein fideles Haus und ein guter Gesellschafter, welcher mir noch so Manches von dem Pariser Studentenleben mittheilte.
Abends 8 Uhr trafen wir in Mannheim ein und fanden im König von Portugal Unterkommen. Von hieraus wurde, um mich eines Auftrags zu entledigen, ein Abstecher nach Frankenthal nöthig, welches Geschäft einen Tag Zeit in Anspruch nahm, und meinen Reisegefährten bestimmte, um Jugendfreunde zu besuchen, auf der Eisenbahn nach Heidelberg zu fahren, morgen aber zu rechter Zeit zurückzuseyn, und auf dem Dampfschiffe wieder vereint mit mir, die Reise nach Mainz fortzusetzen.
Gegen den Beschluß war nichts einzuwenden; doch die Zumuthung, abermals die Zeche zu erlegen, machte mich bedenklich, als aber gar noch ein baares Anlehn kontrahirt werden sollte, wurde ich stutzig und nur als die Versicherung gegeben wurde, in Frankfurt sich der Pflicht pünktlich wieder zu entledigen, und man das Ehrenwort verpfändet hatte, gab ich theilweise nach, und machte wenigstens die Fahrt nach Heidelberg möglich.
Mir selbst wurde in Frankenthal ein herrlicher Genuß. Durch Briefe aus Amerika, von meinem Freund und Kollegen in der Kupferfabrik, brachte ich den Geschwistern und der Schwiegermutter Nachricht von dem Kinde, der lieben Tochter und dem Enkelchen. Außer sich vor Freude, wußte das Mütterchen nicht, wie sie ihre Dankbarkeit beweisen sollte, nöthigte zum Kaffee und ließ die Milch dabei überlaufen; invitirte zum Wein, und vergaß über alles Fragen, solchen zu holen, welches mir um so lieber war, da ich des Guten schon genug bei den Schwägern genossen, wo ich auch übernachten mußte. — O! hättest Du ahnen,[S. 431] und jetzt sehen können, alter Freund, und ihr Alle, welche Gleiches zu thun willens sind, wie es für Eltern schmerzlich ist, wenn sie so weit von den Ihrigen getrennt, sie mehr als todt beweinen, diese Wunde nie verharrscht, und bei jeder Nachricht von Neuem aufgerissen um so schmerzlicher wird, gewiß, ihr würdet vor der Ausführung, von dem unglücklichen Gedanken, Vaterland, Eltern und Geschwister zu verlassen, geheilt.
Am Morgen des 9. dieses traf ich wieder in Mannheim ein doch der Maler war noch nicht zurück, und, wie zu vermuthen stand, der Philister um das Anlehn geprellt, wenn nicht während meines Aufenthalts in dem bestimmten Gasthause zu Frankfurt, das Ehrenwort eingelöst wurde.
Bei dem Bezahlen auf dem Dampfschiffe wurde der Hund als halber Passagier in Rechnung gestellt, welche Ausgabe mir weniger unangenehm war, als daß ich solchen beständig an der Leine führen mußte, da diese Bestie einem deutschen Kameraden etwas unsanft den Gruß erwiderte, welchen der Pinscher kneffend anzubringen versucht hatte.
Die unfreundliche Witterung ließ wenig von der Gegend genießen, ebenso wurde von der Bundesfestung Mainz, welche wir um 4 Uhr erreichten, wenig gesehen, da um 5 Uhr der Eisenbahnzug nach Frankfurt abging wo ich mit diesem um 6 Uhr eintraf.
Während der Fahrt, wo ich bei meinem Nachbar, einem Frankfurter, Erkundigung wegen Gelegenheit zur Weiterreise einzuziehen suchte, wurde mir eine Herberge, in welcher in der Regel die Lohnkutscher logiren sollten, und wo man auch sonst gut aufgehoben sey, empfohlen, welches mich bestimmte, daselbst einzukehren, und den vom[S. 432] Maler empfohlenen Gasthof nicht zu beziehen, sondern nur Letzterem wegen des verpfändeten Ehrenworts einen Besuch abzustatten.
Am andern Morgen stattete ich sogleich dem Amerikaner Herrn Bindernagel, welcher sich zur Zeit in Bornheim aufhielt und dessen Bekanntschaft ich schon in New-York gemacht, einen Besuch ab, indem ich Briefe überbrachte. Dieser begleitete mich nach Frankfurt, und auf das dasige Polizei-Bureau, um mir daselbst den Unterschied zwischen amerikanischer und deutscher Geschäftsbedienung zu zeigen, da hier die ärmern Reisenden oft Stundenlang auf Einlaß wegen Visa warten müßten, währenddem die Herren Beamten im geselligen Diskurs ihre Zeit auszufüllen suchten. — Er selbst auf dem Bureau bekannt, geleitete mich durch eine Nebenthür in dasselbe, wo ich dieses leider bestätigt fand. Schnell wurde ich expedirt; um so zahlreicher aber standen die Reisenden vor dem Hause, harrten des Rufes zum Einlaß und übten sich in Geduld. Da schien es mir doch, als wenn Herr Bindernagel nicht ganz Unrecht hätte; er behauptete nämlich, daß nur in Amerika der Mensch überall als Mensch geachtet, und, gleich welchem Wirkungskreise er angehöre, bei jeder Behörde freien Zutritt und auf schnelle Bedienung Anspruch zu machen habe. Dem Amerikaner geht nichts über seine Zeit, und Wehe dem Angestellten, welcher gegen seinen Nächsten eine Geringschätzung blicken ließ, oder auf einem faulen Pferde gefunden würde.
Während Beseitigung dieser Geschäfte war der Hund dem Hausknecht zur Verwahrung übergeben worden, Letzterer solchem aber aus dem Gefängnisse entwischt, zu dessen Wiedererlangung die Nachmittagszeit verwendet werden mußte und dadurch versäumt wurde, in dem Absteigequartier des Malers zu hinterlassen, wo ich zu finden[S. 433] sey. — Am nächsten Morgen hatte ich den Verdruß, zu erfahren, daß dieser mit dem gestern Abend eingetroffenen Eisenbahnzuge angekommen, der Studiosus kein Schurke, sondern eingedenk seines gegebenen Wortes gewesen sey, sogleich nach mir gefragt, beim Nichtauffinden meiner Person aber vermuthet habe, daß ich bei meiner Ankunft in Frankfurt die Stadt sogleich wieder verlassen und die Reise fortgesetzt habe. — Die vermaledeiete Bestie, der Hund, war daher abermals Ursache des erlittenen Schadens, wenn der Schuldner die Generosität nicht so weit treiben sollte, mir einmal in Weimar die Ehre seines Besuches angedeihen zu lassen, was jedoch bis zur Zeit der Niederschreibung dieses noch nicht geschehen ist. Vielleicht kommen ihm diese Zeilen zu Gesicht und erinnern ihn an den alten Reisegefährten und sein gegebenes Wort.
Am Morgen des 10. März wurde von Frankfurt aus die Reise mit der von einer Privatgesellschaft errichteten Eilfuhrgelegenheit[65] fortgesetzt. Leider war aber hier Eile mit Weile gepaart, da bei jedem aus einem Haus herausschauenden Arme, Pferde und Menschen getränkt wurden, weshalb wir erst spät in Fulda ankamen. Statt aber unverweilt den Wagen zu wechseln, hielt der Herr Wirth für räthlicher, die Passagiere die zweite Hälfte der Nacht zu beherbergen und erst am Morgen die Tour fortzusetzen.
Das zweite Nachtquartier wurde in Eisenach gehalten, und der 13. März war der mir ewig unvergeßliche Tag, an welchem ich wieder in dem lieben Weimar eintraf und im Kreis meiner Familie von den Strapazen dieser Reise mich erholen konnte.
Die Erinnerung an all’ das mannigfaltig Erlebte auf dieser Reise bleibt zurück und gewiß viele der geehrten Leser hegen beim Schluß dieser Mittheilung den Wunsch, Gleiches, wie ich, erlebt zu haben, denn hier bewährt sich so recht das Sprichwort: „Wenn Jemand eine Reise thut, so kann er was erzählen.“ Nur muß ich bedauern, keinen bessern Vortrag zu haben und nochmals um gütige Entschuldigung bitten.
Daß mehrere der vorstehenden Briefe nur dem wesentlichsten Inhalt nach, kürzer gefaßt den Meinen zugeschickt wurden und Vieles erst, nachdem Erstere zum Druck bestimmt, aus meinem Tagebuch und andern Druckschriften, wie dieses die mit Gänsefüßchen („“) eingeschaltenen Sätze anzeigen, ergänzt worden ist, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Da es aber häufig der Fall ist, daß Leser eines Buches die Vorrede überschlagen, so erlaube ich mir noch die Schlußbemerkung: weniger streng über den schwerfälligen, nicht immer fließenden Styl zu urtheilen, da ich selbst nur zu bald beim Beginn dieser literarischen Arbeit die Bemerkung machen mußte, daß die den Tag über von technischen Geschäften angegriffenen und zerstreuten Gedanken, des Nachts dann die ungeübte Feder nicht immer dem Aufschwung des Geistes zu folgen vermochten, was mich bestimmte, das von mir Niedergeschriebene nochmals der Ueberarbeitung eines jungen Literaten zu unterwerfen. Leider war aber von diesem das Geschäft gegen die Tendenz der Vorrede und meinen Willen aufgefaßt worden, so daß nicht eine Ueberarbeitung, sondern eine förmliche Umarbeitung[S. 435] Statt fand, zu welcher ich den Namen nicht hergeben konnte, indem meine gereiftern Grundsätze sich nicht mit den Romanideen eines schwärmerischen Geistes einigen wollten, und sich auch dadurch mehrere Sinn entstellende Sätze eingeschlichen hatten. — Um nun nicht abermals Zeit zu verlieren, so sah ich mich genöthigt, dabei auf die Nachsicht der geehrten Leser vertrauend, das Werkchen schmucklos so in die Welt zu schicken, wie es von mir geboren worden ist.
Fr. Höhne.
Druck der Albrecht’schen priv. Hof-Buchdruckerei.
Bei dem Verleger dieser Reisebeschreibung sind folgende Werke erschienen:
Die Erscheinungen der Elektrizität und des Magnetismus in ihrer Verbindung mit einander.
Nach den neuesten Entdeckungen im Gebiete des Elektro-Magnetismus und der Induktions-Elektrizität. Für Freunde der Naturwissenschaften und besonders für Aerzte ausführlich dargestellt von D. I. Eydam. Mit 60 Abbildungen.
gr. 8. 1 Thlr. 26 Sgr. 3 Pf.
Unstreitig hat kein Theil der Naturwissenschaften einen so vielseitigen und lebhaften Anklang im Publikum gefunden, wie die wunderbaren Beziehungen zwischen Elektrizität und Magnetismus, welche unter dem Namen des Elektro-Magnetismus begriffen werden, besonders seitdem dieselben angefangen haben, eine Rolle in der Mechanik zu spielen und sich unter andern die Ansicht eröffnet hat, daß durch Einführung der elektro-magnetischen Treibkraft die durch den steigenden Preis des Brennmaterials immer kostspieliger werdende bisher gebräuchlichste Maschinenkraft, der Dampf, endlich verdrängt werden wird. Ich zweifle daher nicht, daß obige Schrift, die mit besonderer Rücksicht auf die technische Anwendung des Elektro-Magnetismus und der Magneto-Elektrizität sich über alle die interessanten Erscheinungen verbreitet, welche aus dem Conflikte der magnetischen Kraft mit der elektrischen hervorgehen und zugleich eine gründliche, dem neuesten Zustande der Wissenschaft angemessenen Darstellung der Lehre von der Elektrizität und dem Magnetismus, von dem Thermo-, Photo- und Rotations-Magnetismus, der Galvanoplastik, der elektrischen Telegraphie u. s. w. enthält, sich einer willkommenen Aufnahme zu erfreuen haben werde, zumal da der Verfasser seinen Gegenstand so auffaßte, daß nicht nur der gebildete Laie, sondern auch der Physiker vom Fache Befriedigung bei Aneignung der Schrift hoffen darf. Besonders werden auch Aerzte bei Lesung derselben Gelegenheit finden, sich über die Verhältnisse der medizinischen Anwendung der Elektrizität und des Magnetismus, so wie der elektro-magnetischen und magnetelektrischen Rotations-Apparate und deren Einrichtung, wie sie in neuester Zeit gebräuchlich worden sind, sich zu unterrichten. — Indem wir im Uebrigen auf das dem Werke vorgedruckte reichhaltige Inhaltsverzeichniß verweisen, bemerken wir nur noch, daß bei der äußern Ausstattung desselben von uns nichts verabsäumt wurde, was zur Empfehlung desselben dienen kann.
Interessante civilrechtliche Entscheidungen
der höchsten deutschen und andern
Spruchbehörden. Gesammelt und herausgegeben
von Dr. G. v. Hellfeld.
gr. 8. 1 Thlr.
Diese Sammlung wird kein Jurist unbefriedigt aus der Hand legen. Sie enthält keineswegs eine weitläufige juristische Polemik, sondern immer nur den Kern von 25 Entscheidungen auf 14 Bogen und unter diesen besonders folgende: über actio in factum de syndicatu gegen Richter und Kollegien aus nachlässigem Handeln, oder Unterlassen; — über den Beweis der condictio indebiti nach dem Sinne und Geiste der C. 25. D. de probationibus; — über Erbvertrag, Umfang des deutschrechtlichen mundii; — über Erbschaftsklage und Specifikation bei Universal- und Singular-Klagen; — über Suppletoria, Dos und Paraphernal-Vermögen; — über Perception industrieller Früchte durch den Usufruktuar; — über Miethvertrag, Einrede des nicht erfüllten Kontrakts und Ehescheidung wegen Haß; — über Privation wegen Ehebruches; — Juramentum novorum; — über der Rechtskraft nicht unterliegende Dekrete, Extrajudicial-Appellation und deren Eigenthümlichkeit; über devolutive und nicht devolutive Rechtsmittel; — über Zulässigkeit der Geschäftsführer zum Zeugenbeweis und über die Nachtheile der Zuvielforderung, nebst Register zum leichteren Gebrauche etc.
Die
innern Hals- und Brust-Krankheiten
der Kinder.
Dargestellt von Aug. Höcker. Fol. Tabellen-Format
1 Thlr. 20 Sgr.
Wir machen bei Anzeige dieses Werks, des dem ärztlichen Publikum bereits durch seine in unserm Verlage erschienene und mit allgemeinem Beifalle aufgenommene Schrift: Die Geschäftsführung der Staatsarznei-Wissenschaft etc. rühmlichst bekannten Herrn Verfassers, besonders auf das leicht Uebersichtliche der Tabellenform aufmerksam, in welcher dasselbe bearbeitet ist. Nach dem uns zugekommenen Urtheile Sachkundiger sind die einzelnen in dasselbe aufgenommenen Krankheitsformen, selbst in ihren individuellen Verhältnissen mit seltener Sorgfalt und der genauesten Sachkenntniß dargestellt und mit Hervorhebung der charakteristischen Merkmale, durch welche sie sich von einander unterscheiden, so neben einander gereihet, daß die bei den Krankheiten der Kinder so äußerst schwierige Kunst der Diagnose auf das Wesentlichste erleichtert wird. Wir glauben deshalb die Schrift, die eine fühlbare Lücke in der medizinischen Literatur ausfüllt, als eine Bereicherung derselben den Herren Aerzten mit Recht empfehlen zu können.
Fußnoten:
[1] Bei Weimar.
[2] Bei Erfurt.
[3] Hinter Erfurt.
[4] Bei Gotha.
[5] Nachdem ich fest entschlossen war, die Reise nach Amerika ohne Familie zu unternehmen, so war dabei sogleich festgestellt, mich nur auf die allernothwendigsten Ausgaben zu beschränken, um in pekuniärer Hinsicht so wenig als möglich zu opfern und dabei zu beweisen, daß der Mensch alles kann, wenn der gute Wille nicht fehlt. Ich theilte daher sogleich vom Anfang der Reise an, die Lebensweise meiner, zum Theil armen Gefährten, unter denen sich einige befanden, deren weniges Vermögen mir zur Bestreitung der Reisekosten anvertraut worden war; schlief mit ihnen auf der Streu, lebte eben so dürftig wie sie, aß Mittags nie warm, sondern erst Abends, in Gemeinschaft der ganzen Gesellschaft. Hierdurch wurde es möglich, daß erwachsene Personen täglich mit 6 gr. Cour. auslangten, und daß Familien pro Kopf 4 gr. Cour. bedurften. Als Fracht für den Zentner Effekten wurde von Weimar bis Bremen 1 thlr. 6 gr. berechnet, und um bei gutem Wege fahren zu können, zahlten außerdem die Erwachsenen 2 thlr. pro Kopf, Kinder die Hälfte.
[6] Bis weit vor die Stadt schicken die Herren Wirthe, welche Auswanderer beherbergen, diese Makler entgegen, wovon Jeder die billigste Bewirthung und das solideste Haus offerirt. Die Wahrheit solcher Anweisungen lernt man erst während des Aufenthalts kennen. Ich kann aber Auswanderern, welche ein billiges Unterkommen suchen und keine großen Ansprüche machen, den Schneidermeister Achelpohl empfehlen, wo man gut aufgehoben ist.
[7] Für Kost und Logis mit einem Bett à Person 10 gr. Cour. täglich. Bei gemeinschaftlichen Schlafen auf der Streue im großen Saale, 8 gr. Cour.
[8] Friedr. Jos. Schlevogt aus Oettern bei Weimar, lebt jetzt glücklich in Baltimore und ist Besitzer einer Basket-Faktory (Korbmacherei).
[9] Einige Schiffskapitäne, an welche ich mich wegen Akkordirung zur Seereise wendete, versicherten, daß sie zur Zeit (ob dieses immer der Fall ist, weiß ich nicht, da ich das Gegentheil gehört habe) streng angewiesen wären, ohne Vorwissen der Herren Schiffsmakler, keine Zwischendeckpassagiere aufzunehmen, dieses sei jedoch nicht der Fall mit den Kajütenpassagieren.
[10] Wichelhausen.
[11] Der Grot hat 4 pf., 72 Groten werden auf einen Bremer Thaler gerechnet.
[12] Wichelhausen.
[13] Wie mir später versichert wurde, soll es wirklich gesetzlich seyn daß derjenige, welcher Auswanderer zu einem Makler bringt, für jede Person 1 Gulden in Gold als Douçeur erhält. Herr W. suchte zwar dieses zu widerlegen, als ich, Bezug darauf nehmend, um Ermäßigung des Fahrgeldes für eine unserer armen Familien bat, ließ sich dennoch aber bestimmen, statt 35 nur 30 Thaler für den Säugling anzunehmen.
[14] Wie dem gegebenen Versprechen nachgekommen war, sieht man im Lauf meiner Erzählung. Es ist daher räthlich, den Kontrakt gerichtlich zu machen, und zwar um so mehr, wenn derselbe für mehre Personen lautet. Darin ist genau zu bestimmen, was vor und während der Reise dem Passagier zu gewähren sei, und im Fall, daß die gegebene Zusage nicht gehalten würde, auf Kosten des Herrn Schiffsmaklers, in Amerika das Weitere gerichtlich verfolgen zu können.
[15] Gebot auch die Vernunft, den gewünschten Vorschuß nicht zu leisten, weil, wie ich mehrfach gehört und gelesen, im freien Amerika sich selten einer noch verpflichtet hält, überseeisch gemachte Versprechungen zu erfüllen, so folgte ich dennoch dem Drange meines Herzens und gab das Erbetene, ohne mehr als das Wort zum Unterpfand zu verlangen. Wie schändlich ich dafür belohnt worden bin, zeigt der Gang meiner Erzählung.
[16] Wichelhausen.
[17] Dieses Alles fanden wir in Bremerhaven bestätigt, wo Niemand nach einem Reisepaß oder sonstiger Legitimation fragte. Die Passagiere wurden beim Abgang des Schiffes nicht in dasselbe hinein gezählt und Keinem Quittung über gezahltes Fahrgeld abverlangt und so hatte jeder Vagabund die schönste Gelegenheit, unerkannt den Rächerhänden der Justiz zu entschlüpfen. Zwei sich auf dem Schiffe ohne Vorwissen der Makler und des Kapitäns eingeschlichene Individuen wurden von uns selbst, da sie sich unpolitischer Weise verriethen, dem Gericht übergeben.
[18] Vor Allem sind zu einer Seereise nöthig: blecherne Eß-, Trink- und Nachtgeschirre, worunter sich ein Schaffen befinden muß. Eine mit Seegras oder Stroh ausgestopfte Matratze nebst Kopfkissen und wollener Decke, welche letztere von Hause aus mitzunehmen ist, um sie auf der Landreise bis Bremen benutzen zu können. Ein Korb mit weißem Schiffszwieback, einige Pfund Waizenmehl, worin Eier sich gut aufbewahren lassen, etwas Butter, Schweizerkäse, oder einen geräucherten Schinken, auch Wurst vertritt die Stelle; Pfeffer, Salz, Kaffee, Zucker, Wein und Essig leisten ebenfalls während der Seereise gute Dienste. Sollte auch von den besonders angeschafften Lebensmitteln bei der Ankunft in Amerika noch Etwas übrig seyn, so wird dieser Rest dem Passagier trefflich zu statten kommen und dieses ist um so mehr der Fall, wenn man sogleich eine Privatwohnung bezieht, woran es nie mangelt, und sich nicht den Uebertheuerungen der Wirthe aussetzt.
[19] Wichelhausen.
[20] Eine Familie mit erwachsenen Töchtern sollte nie die Ausgabe scheuen, diese Schiedbleichen der Schlafstellen ganz zuschlagen zu lassen, wozu in Ermangelung von Bretern, Tisch- oder Betttücher verwendet werden können. Eben so rathsam ist es, den Breterboden der obern Schlafstellen mit einem Tuche zu überziehen, wo dann zwischen den Fugen dieses Bodens kein Schmutz auf die darunter Liegenden fallen kann.
[21] Warum nur Anfangsbuchstaben? Eine Reisebeschreibung hat natürlich weit mehr Glaubwürdigkeit, wenn die Namen ausgeschrieben sind; aus diesem Grunde habe ich schon vorher den Namen Wichelhausen zur öffentlichen Kunde gebracht und nenne nunmehr auch den Namen Ulrich, als dessen Agenten in Bremerhaven, und zwar auf Veranlassung folgender Umstände: Ein hiesiger Partikulier hatte Auszüge aus Höhne’s Reisebriefen und zwar gerade diese empörende Behandlung der Auswanderer an den „allgem. Anzeiger d. D.“ nach Gotha gesendet, wo sie 1840 in No. 71 und 73 abgedruckt stehen. Der Herausgeber der Dorfzeitung fand sich bewogen, bezüglich dieser Auszüge folgende Notiz in der Dorfzeitung 1840 No. 51 erscheinen zu lassen:
„Der Allg. Anzeiger enthält Abscheu erregende Mittheilungen über die Schiffe, auf welchen die armen deutschen Auswanderer nach Amerika überfahren und von den Betrügereien vor, während und nach der Ueberfahrt. Warum werden aber solche Bursche in Bremen wie W. und ihre Agenten blos mit den Anfangsbuchstaben bezeichnet, warum brandmarkt man solche Seelenkäufer nicht öffentlich? Sind die meisten Auswanderer nicht ohnehin unglücklich genug, daß man sie noch solchen Blutsaugern in die schmutzigen Hände giebt?“
Hierauf erschien nun in dem Allg. Anzeiger No. 84 desselben Jahres folgende
Erklärung.
„Eine in der Dorfzeitung vom 16. März erschienene Anzeige, welche, mit Bezugnahme auf einen Aufsatz in dem Allg. Anzeiger, einen Bremer Schiffsexpedienten, bezeichnet mit dem Buchstaben W., betrifft, zwingt mich zu der Erklärung, daß ich demjenigen die Summe von tausend Gulden sofort auszahlen lassen werde, welcher mich überführen kann, mich auf eine so empörende Weise, wie dort geschildert wird oder überhaupt nur auf eine unrechtliche Weise gegen die von mir expedirten Auswanderer benommen zu haben.“
„Mein Charakter, welcher, wie ich mir schmeicheln darf, in ganz Deutschland allgemein als rechtlich und ehrliebend anerkannt ist, sollte mich freilich gegen alle Angriffe dieser Art schützen, allein Mißverständnissen ist in einem solchen Falle nicht vorzubeugen und es handelt der Einsender jenes Aufsatzes sehr unrecht, wenn er den Namen desjenigen verschweigt, welcher die Unbilde begangen, indem er dadurch den Zweck verfehlt, welchen er durch seine Bekanntmachung zu erreichen beabsichtigte.“ Bremen den 19. März 1840.
Fried. Jac. Wichelhausen
Ohne an dem rechtlichen Charakter des Herrn Wichelhausen zu zweifeln, so sind die angeregten Unbilden wenigstens durch sein Komptoir begangen worden, möglich ohne sein Vorwissen, allein der Chef des Komptoirs bleibt immer dafür verantwortlich. Unverantwortlich bleibt der Umstand, daß man das Fahrgeld, welches man mit seinem Agenten besprochen und gewissermaßen accordirt hatte, in Bremen erhöhete; unverantwortlich, daß man 208 Auswanderern die accordirte Schiffskost vorenthielt, welche erst dann erfolgte, als man gerichtliche Hülfe suchte und daß wahrscheinlich Herr Ulrich 277 für achttägige nicht gelieferte Schiffskost in die Tasche steckte.
Der Zweck, den man übrigens durch den Abdruck dieser Briefe in den Anzeiger beabsichtigte, wurde vollkommen erreicht, durch die bald darauf erfolgte obrigkeitliche Bekanntmachung des Bremer Senats, nach welcher dergleichen überseeische Seelentransportirungen unter eine sehr vernünftige Aufsicht gestellt wurden.
W. H.
[22] Recht gut ist es, sich außer den schon angegebenen, zur Seereise nöthigen Gegenständen, noch mit einigen Leckereien, wie Bonbons, zu versehen, welche man bei passenden Gelegenheiten an Kinder verschenkt und dadurch sich die Zuneigung der Eltern erwirbt, welche in vorkommenden Fällen durch Hülfeleistungen gern dafür erkenntlich sind. Ferner schaffe man sich zur Kurzweil ein Bretspiel oder Domino an, vergesse ein Gebetbuch nicht, da Beten das Herz erhebt und füge dem noch einige Bücher zur Lektüre bei. Selbst eine Brieftafel mit Bleifeder ist von Nutzen, um immer das Nöthige notiren zu können.
[23] Zum Malheur für uns waren unter den am Bord habenden Kartoffeln viele faulige, welche während der Reise auch die guten ansteckten, so daß der ganze, in Fäulniß übergegangene Vorrath ins Wasser geworfen werden mußte, wodurch wir um eines der besten Lebensmittel kamen. — Die zur Aufbewahrung des Wassers bestimmten Fässer waren vor dem Füllen nicht gereinigt worden, und so konnte es nicht anders kommen, daß der dort zurück gebliebene Unrath das frische Wasser bald so verdarb, daß es nur aus Noth genossen werden konnte. — Ob Arzneien oder sonstige Leckereien für die Kranken auf dem Schiff sich befanden, wie dieses uns von Herrn W. bekannt gemacht worden war, vermag ich nicht zu behaupten, da eben so wenig Kranke, wie Gesunde Etwas davon verspürten.
[24] Ein Universalmittel für gänzliche Abwendung der Seekrankheit giebt es bis jetzt noch nicht. Bei sämmtlichen Deckpassagieren, 208 an der Zahl, welche verschiedene Kuren machten, half keins vollkommen. Nach meiner unmaßgeblichen Ansicht ist es das beste sich schon vor dem Antritt der Seereise in Diät zu üben, den Magen nie zu überladen, Leib und Füße warm zu halten, möglichst wenig und nur mit Essig vermischtes Wasser zu trinken, auch, um den Stuhlgang zu befördern, mitunter Pflaumen zu genießen. Auch ist es gut, so lange die Kräfte es erlauben und die Witterung es gestattet, sich auf dem Verdeck aufzuhalten, um den mephitischen Ausdünstungen im innern Raume zu entgehen und sich Bewegung zu machen.
[25] Die gethane Bitte, uns für Geld ein Paar Flaschen Wein abzulassen, wurde mit der Bemerkung abgeschlagen, daß für Kranke kein Wein am Bord sey und der Kapitän selbst nur das nöthige Quantum für die Kajüte besitze.
[26] Der für die Zwischendeck-Passagiere bestimmte Schiffszwieback wird aus Roggenschrot gemacht, von welchem das feine Mehl weggenommen ist. Die kleinen hart gebackenen Brode werden, in zwei Hälften geschnitten, geröstet, und so vor dem Verschimmeln auf der See geschützt. Der Zwieback für die Matrosen hingegen ist aus Waizenmehl bereitet und gleicht an Geschmack unsern Fastenbretzeln.
[27] In den Speisen Haare zu finden, waren wir schon gewöhnt, als aber meinem Neffen eine ganze Locke zwischen den Zähnen hängen blieb, so verging uns doch der Appetit auf einige Tage, bis solcher, durch Hunger veranlaßt, sich wieder einstellte.
[28] Die Schwaben hatte das Schiff in Ostindien erhalten und waren, wie die Matrosen versicherten, aller bis jetzt angewandten Mittel ungeachtet, noch nicht auszurotten gewesen.
[29] Der Lootse, oder Pilot, soll für seine Bemühung, das Schiff unbeschädigt in sichern Hafen zu bringen, 50 Dollar erhalten.
[30] Zwei Passagiere kommen auf fünf Tonnen.
[31] Wenn auch den Männern nicht mehr so oft das Glück auf Amerikanischem Boden lächelt, so bleibt solches doch noch immer den Frauenspersonen hold. Der Verdienst für Letztere ist gut, 4 bis 6 Dollars monatlich, und bei der Ankunft sind in der Regel offene Stellen vorhanden. Auch wenn sie heirathslustig sind, fehlt es nicht an Männern.
[32] Ein Dollar oder spanischer Thaler ist gleich fünf Franks 30 Centimes französisches Geld, oder 1 Thlr. 14 gGr. Preuß. Cour. hat 8 Schillinge, der Schilling 12½ Cents. Der Cents ist die kleinste Kupfermünze in Amerika und gehen 100 Stück auf den Dollar.
[33] Dergleichen Kommissionäre giebt es hier in allen Städten, und nur zu oft werden von ihnen die Arbeitsuchenden geprellt. Auch oben bemerkter Herr hatte schon einige Mal wegen sich schuldig gemachten Betrugs, vor Gericht gestanden, sich aber als echter Amerikaner den Rückweg offen zu erhalten gewußt. Die Versprechungen, immer für tüchtige und fleißige Arbeiter in jeder Branche Stellen offen zu haben und solchen einen hohen Lohn zu stellen, beruht selten in Wahrheit und ist dieses nur die Lockspeise, um damit die Einwanderer zu bestimmen, sich seiner Person als Vermittler zu bedienen.
[34] Als Gehülfe in einem Fabrikgeschäft oder bei einem Meister einzutreten, wenn ein solcher einen Gesellen braucht, wirft nicht so viel ab, um sich und eine Familie ernähren zu können. Auf eigene Hand aber, sofort bei Ankunft in Amerika zu arbeiten, ist noch schwieriger, denn dazu gehören Mittel, Kundschaft und die nöthige Landessprache. Außer Kredit fehlen auch noch die hier gebräuchlichen Handgriffe, um mit seinen Kollegen konkurriren zu können. Alles dieses kommt erst mit der Zeit. Die ersten Jahre sind Leidensjahre, da Jeder wieder von vorn anfangen muß in seinem Geschäft zu lernen.
[35] Sehr oft trifft man solche Unglückliche, die in Amerika an Kanälen und Eisenbahnen arbeiten müssen, während sie im Vaterland eine weit glänzendere Rolle gespielt haben.
[36] Wie ich später erfuhr, hatten 4 Mann auf gemeinschaftliche Rechnung die Gastwirthschaft im Pacht, und einer von ihnen war es, welcher mich beim Bezahlen einer Flasche Bier um einen halben Dollar betrog.
[37] Ich selbst habe als Probe ein Zeitblatt aus Amerika mit zurückgebracht, welches 6 Fuß breit und 4½ Fuß hoch ist.
[38] Ein ähnliches Gesetz bestimmt auch, daß die Schiffseigner verbunden sind, jeden Einwanderer, welcher im ersten Jahr seines Aufenthalts in Amerika kein Unterkommen findet und aus Mangel an Geldmitteln dem Magistrat zur Last fällt, unentgeldlich nach dem Hafen wieder zurückzufahren, von wo aus der Auswanderer seine Reise nach Amerika angetreten hat. Leider ist dieses Gesetz nicht bekannt genug, denn sonst würden wohl Tausende meiner Landsleute mit Freuden in die liebe Heimath zurückkehren.
[39] Vergebens habe ich mich bemüht, die Entstehung dieses so sonderbaren Schimpfwortes, was in allen Vereinigten Staaten unter den niedern Volksklassen üblich ist und gegen die Deutschen gebraucht wird, zu erfahren.
[40] Gewöhnlich werden fünf englische Meilen auf eine deutsche gerechnet und es sind im Lauf dieser Briefe immer nur Erstere zu verstehen, wenn auch das Wörtchen: „englische“ weggelassen ist.
[41] Tanneberg, ein geborner Weimaraner, war dort 6 Jahre mein Freund und Hausgenosse gewesen. Wir hatten beide beschlossen, die Seereise nach Amerika, wo er sich förmlich übersiedeln wollte, zusammen anzutreten, während meine Absicht war, nur drei Jahre dort zu verweilen. Geschäftsangelegenheiten zwangen mich jedoch, den Abgang auf ein Jahr hinaus zu verschieben; da Ersterer aber nicht so lange warten wollte, trat er die Reise ohne mich an.
[42] Nur zu gewiß ist, daß dieser Arme sich abermals in seinen Hoffnungen getäuscht hat, da er seinem gegebenen Versprechen gemäß, mir nach meiner Heimkehr dann und wann Kunde zuzuschicken, bis jetzt nicht nachgekommen ist. Ebenso sind die noch lebenden Mutter und Bruder ohne alle Nachricht geblieben, obgleich Letzterer in mehren Briefen dringend darum gebeten hat. Die wahren Verhältnisse seines Geschicks mag er vermuthlich aus falscher Scham nicht schreiben und die Seinigen zu belügen denkt er zu rechtschaffen.
[43] Zur Versinnlichung dieser herrlichen Ansicht folgt hier aus dem Western-Pilot ein Kärtchen mit dem Kanal.
[44] Zu besserer Verständigung sehe man die Abbildung.
[45] Zum Mäßigkeitsvereine Gehörende.
[46] Bremen, Taback kauen.
[47] Borden, in Miethe und Kost gehen.
[48] Betrug und Geldschneiden gehören also in den Vereinigten Staaten Amerikas in die Kategorie erlaubter Spekulationen.
W. H.
[49] Im Erdgeschoß des Rathhauses befindet sich die Wachtstube der Bürgerwache nebst einem Gefängniß für Neger und sonst aufgegriffenes Gesindel. Vor der Wache steht eine Kanone, aus welcher jeden Abend 8 Uhr ein Schuß geschieht, welches das Signal ist, daß von dieser Zeit an kein Neger ohne Erlaubnißschein sich auf der Straße blicken lassen darf, desgleichen kein Gepäck mehr durch die Straßen transportirt werden soll, um dadurch das Entwenden der Sachen mehr zu verhüten, und aufgegriffenen Dieben mehr die Ausrede zu benehmen.
[50] Die Fahrpreise von New-Orleans nach den nördlichen Staaten sind immer um die Hälfte theuerer, als es der Fall umgekehrt ist.
[51] Thalemann war die dritte Person, welche mit mir und Tanneberg zu gleicher Zeit die Reise nach Amerika beschlossen; durch meinen späten Abgang aber getrennt, nur mit Tanneberg vereint, ein Jahr früher als ich, den amerikanischen Boden betreten hatte.
[52] Die Stadt Weimar sandte eine Anzahl Verbrecher nach Amerika, die ihre Strafzeit abgebüßt hatten.
[53] Siehe den beigelegten Plan.
[54] Ein Lobspruch für unsere deutschen Brüder in Amerika! Die Deutschen, in ihrem Vaterlande an Ruhe und Sicherheit gewöhnt, werden nach und nach durch ihre Ueberzahl Zucht und Ordnung verbreiten, die in Amerika herzustellen von Nöthen zu seyn scheint.
[55] Die Polizei und die Sicherheitsanstalten in New-York müssen nach dieser Erzählung wirklich vortrefflich seyn. Das ist also amerikanische gepriesene Freiheit, wo Niemand seines Lebens und Eigenthums sicher ist.
W. H.
[56] Welches Schicksal dieses zweite Schreiben gehabt, liegt im Dunkel, da, wie ich erst kürzlich aus Amerika berichtet worden bin, dorthin keine Antwort darauf eingegangen ist, und das Kind noch immer nicht die heilige Taufe empfangen hat. Vielleicht trägt das hier Mitgetheilte dazu bei, die Sache dennoch an die rechte Schmiede zu bringen, so daß das Sprichwort in Erfüllung geht: „Was lange währt wird gut.“
[57] Schellhorn.
W. H.
[58] Ein durch Dämme abgeschlossener Raum.
[59] Spottweise — er trank gern und viel.
W. H.
[60] Diese ungeheure Figur sollte bei Napoleons Regierung aus Erz gegossen werden; das Projekt wurde jedoch unausgeführt gelassen, und das Modell nimmt jetzt den dazu bestimmten Platz ein.
[61] Ein thüringisches Sprichwort, welches so viel bedeutet: Man weiß eine Sache nicht zu schätzen.
W. H.
[62] Man nennt dieses in Paris die Queue, und eine solche Veranstaltung wäre in Weimar und an andern Orten zur Verhütung von Unglücksfällen einzuführen.
W. H.
[63] Coucous, auf Deutsch „Kuckuk“, sind einspännige, zweirädrige mit einem Verdeck versehene Kutschen, welche von Paris aus in die Umgegend und von da zurück die Reiselustigen befördern.
[64] Lapins, auf Deutsch „Kaninchen“, werden in Paris die Passagiere genannt, welche bei schon besetzten Plätzen im Wagen auf unbequemen Sitzen außerhalb derselben, die Reise für ein geringes Fuhrlohn mitmachen.
[65] Rumpelpost genannt.
Dieser Text wurde anhand der 1844 erschienenen Buchausgabe möglichst originalgetreu erstellt. Die Zeichensetzung wurde sinnvoll korrigiert bzw. ergänzt. Rechtschreibvarianten wurden nicht harmonisiert; altertümliche Schreibweisen (z.B. ‚Schmuz‘ für ‚Schmutz‘, oder ‚Gefährde‘ für ‚Gefährte‘ wurden übernommen. Einige französisch- und englischsprachige Begriffe wurden vom Autor lautmalerisch nachempfunden (z.B. ‚stoor‘ für ‚store‘); diese Passagen bleiben hier unverändert. Fußnoten wurden teils vor, teils nach Satzzeichen platziert; dies wurde nicht verändert. Ansonsten wurden offensichtliche typographische Fehler stillschweigend korrigiert.
Der Originaltext wurde in Frakturschrift gesetzt; einzelne Passagen in Antiquaschrift werden hier in fettgedruckter, serifenloser Schrift dargestellt.
Nicht alle im Text vorgenommenen Berechnungen sind korrekt; da aber die Fehlerquellen nicht festgestellt werden konnten, mussten die angegebenen Zahlen ohne Korrektur übernommen werden.
Im Original wurde bei der Nummerierung der Briefe 30 bis 39 das Zahlwort ‚dreißig‘ in den Überschriften mit der Umschreibung ‚ſz‘ (sz mit langem s) oder ‚ſs‘ dargestellt, möglicherweise weil der für die Überschrift verwendete Schriftsatz das Symbol ‚ß‘ nicht enthielt. In der vorliegenden Fassung wurden diese Buchstabenkombinationen durch das auch im laufenden Text verwendete ‚ß‘ ersetzt.
Der Übersichtlichkeit halber wurde vom Bearbeiter ein Inhaltsverzeichnis eingefügt.
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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at http://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at http://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email business@pglaf.org. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at http://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director gbnewby@pglaf.org Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit http://pglaf.org While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: http://pglaf.org/donate Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works. Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: http://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.