The Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 4: Mirgorod, by Nikolai Gogol

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Title: Sämmtliche Werke 4: Mirgorod
       Gutsbesitzer der alten Zeit / Taraß Bulba / Wij / Wie Iwan
              Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten / Die
              Equipage

Author: Nikolai Gogol

Editor: Otto Buek

Translator: Charlotte König
            Eugenie Chmelnitzky
            S. Bugow

Release Date: August 2, 2015 [EBook #49576]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

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Nikolaus Gogol
Mirgorod

Nikolaus Gogol
Sämmtliche Werke
In 8 Bänden

Herausgegeben
von
Otto Buek

Band 4

München und Leipzig
bei Georg Müller
1910

Nikolaus Gogol

Mirgorod

Herausgegeben
von
Otto Buek

München und Leipzig
bei Georg Müller
1910

Inhalt

Vorrede des Herausgebers IX
Mirgorod I 1
Gutsbesitzer der alten Zeit 3
Taraß Bulba 41
Mirgorod II 241
Wij 245
Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten 309
Novellen 391
Die Equipage 393
Anhang 415

Vorrede des Herausgebers

Die in diesem Bande vereinigten Erzählungen bilden die Fortsetzung der Novellensammlung „Abende auf dem Gutshofe bei Dikanka“, durch welche Gogols Name zuerst in der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde und die ihn sogleich an die Seite der ersten Schriftsteller Rußlands stellte. Es ist jedoch kein eigentlich gedanklicher Zusammenhang, der die beiden Novellenbände miteinander verbindet; sie bilden nicht etwa ein durch eine fortlaufende Handlung oder eine einheitliche Idee zusammengehaltenes Ganzes, sondern sind durchaus selbständig und voneinander unabhängig, so wie auch jede einzelne Novelle in ihrer Art ein in sich geschlossenes und für sich dastehendes Kunstwerk ist. Was Gogol trotzdem veranlaßte, die Novellen „Mirgorod“ als Fortsetzung des ersten Sammelbandes zu bezeichnen — das war der gemeinsame Schauplatz und der gemeinsame Charakter und Stil, der diese Novellen kennzeichnet. Es ist das Leben jenes eigenartigen kleinrussischen Volksstammes, aus dem Gogol selbst hervorgegangen ist, das durchgehend den Stoffkreis dieser Novellen bildet, und es ist jene seltsame Mischung von ungebundener Phantastik und derber Realistik, in der ihre stilistische Einheit liegt.

Gogols starkes schriftstellerisches Talent hat sich schon sehr früh angekündigt; schon während seiner Schulzeit bildete sich ein ausgesprochen parodistischer und karikaturistischer Hang bei ihm aus, der ihn bei seinen Kameraden und Mitschülern gefürchtet machte. Allein der Jüngling maß diesen Talenten keine ernstere Bedeutung bei, da sein hochfliegendes Streben eine ganz andere Richtung eingeschlagen hatte. Er wollte seinen Namen durch eine Großtat verewigen, und seinem Traume winkte kein geringeres Ziel, als die Reformation und Beglückung seines Vaterlandes und des ganzen Menschengeschlechtes. Der Staatsdienst erschien ihm als das einzige Feld, auf dem er seine ehrgeizigen Pläne verwirklichen konnte, und so trieb es ihn gleich nach Vollendung seiner Studien im Lyzeum zu Njeschin aus seiner kleinrussischen Heimat nach Petersburg, wo er einen seiner Begabung und seinen Fähigkeiten angemessenen Wirkungskreis zu finden hoffte. Doch schon die ersten Schritte auf dem schlüpfrigen Boden der Großstadt brachten ihm eine Enttäuschung. Er fand hier keineswegs die Beachtung, die seinem Talente entsprach und hatte mit schweren Entbehrungen und Nahrungssorgen zu kämpfen. In diese Zeit fällt sein erster literarischer Versuch, die Dichtung „Hans Küchelgarten“: ein Idyll im Stile von Johann Heinrich Voß mit einem starken Einschlag romantischer Stimmungen. Es schildert die Flucht eines schwärmerischen, für große Taten begeisterten Jünglings aus der Enge und Dumpfheit eines friedlichen provinziellen Daseins an der Seite der Geliebten, seine Irrfahrten und die Rückkehr des Enttäuschten in den Schoß der Familie. Doch dieser Erstling, auf den Gogol so große Hoffnungen gesetzt hatte, trug ihm keinen Erfolg ein und erfuhr von der Kritik eine entschiedene Ablehnung. Erbittert und verärgert kaufte der Dichter alle Exemplare von dem Verleger zurück, um sie für immer zu vernichten, und floh aus Petersburg, wo er so viele zerstörte Illusionen zurückließ, ins Ausland, um die häßlichen Eindrücke zu vergessen und als neuer Mensch ein neues Leben zu beginnen. Indessen auch dieser Versuch mißglückte. Gogol hielt es im Auslande nicht lange aus und kehrte schon nach einem Monat wieder nach Petersburg zurück, wo er als Beamter in das Apanagedepartement eintrat. Allein der Aufstieg auf der Leiter der Beamtenhierarchie vollzog sich viel zu langsam für den hochstrebenden Jüngling, auch stand die Tätigkeit, der er sich hier widmen mußte, in einem zu krassen Gegensatze zu jenem Ideal eines freien Wirkens im Dienste des Vaterlandes und der Menschheit, das ihm unablässig vorschwebte, und sein Beamtengehalt war viel zu klein, um ihm eine gesicherte Existenz zu gewähren. Da mochte ihm denn der Gedanke gekommen sein, sein schriftstellerisches Talent und seine Kenntniß Kleinrußlands zu verwerten, um sich die Mittel zum Leben zu erwerben. Er wollte das russische Publikum mit seiner Heimat und ihren Bewohnern bekannt machen, zumal sich gerade in jenen romantischen Zeiten ein besonderes Interesse für neuentdeckte Länder und Volksstämme bemerkbar machte. So entstanden die prachtvollen leben- und kraftstrotzenden Erzählungen: „Abende auf dem Gutshofe bei Dikanka“, durch die Gogol zum Entdecker einer völlig neuen, damals noch ganz unbekannten Welt wurde, und die seinen Namen mit einem Schlage berühmt machten. Diese Novellen zeigen Gogol sogleich auf der Höhe seines Könnens. Das sind wunderbare farbensatte Bilder kleinrussischen Volkslebens, vorzüglich der niederen Schichten, mit einer derben Realistik und naiven Sinnenfreude an der knorrigen Urkraft und der grellen Buntheit dieses Lebens gestaltet, und das Ganze ist in eine phantasievolle Märchensphäre hinaufgerückt, wo die Geschöpfe der Volkssage: die Nixen, Hexen, Wald- und Hausgeister humorvoll in das irdische Treiben hineinspielen. Gogols junger Dichterruhm brachte ihn bald in nähere Berührung mit den bedeutendsten Vertretern der russischen Dichterschule, vorzüglich mit Puschkin, der mit sicherem Blick sogleich die stärkste Seite an Gogols Talent, seine einzigartige Begabung für die Darstellung des Engen, Beschränkten, Gemeinen und Trivialen herausfand, und in ihm den Dichter des Alltags entdeckte. Von nun ab gewann Puschkin einen immer stärkeren und entscheidenderen Einfluß auf Gogols Schaffen. Diese Zeit geistiger Freundschaft und Gemeinschaft mit Puschkin ist zugleich die schönste und heiterste Epoche im Leben Gogols, denn Puschkin verstand es, die finsteren Schatten, die Gogols Seele schon damals bedrängten, und sie nachmals völlig in ihren Bannkreis zogen, zu verscheuchen; es ist zugleich die fruchtbarste Periode in Gogols dichterischem Schaffen, in der solche Meisterwerke, wie die ersten Kapitel der toten Seelen und der Revisor entstanden. Auch der Novellenzyklus Mirgorod gehört diesem Zeitabschnitt an. Die einzelnen Novellen dieser Sammlung sind unabhängig von einander entstanden, sie stehen, wie schon erwähnt, ganz selbständig da, und bedürfen zu ihrem Verständnis keineswegs der Kenntnis der vorhergehender Erzählungen; trotzdem aber geht etwas wie eine gemeinsame Idee oder doch eine Grundstimmung durch das Ganze, die das ästhetische Band dieser Novellen bildet. Das ewige Thema in Gogols Leben und Dichten kündigt sich hier zum ersten Male an: der furchtbare Kontrast zwischen dem, was für ihn Leben bedeutet: einem von einem beherrschenden Zweck erfüllten und durchdrungenen Streben, einer Beseelung der materiellen Daseinsäußerungen, ihre Erhebung zu einer geistigen Bedeutung, — und dem wirklichen Abbild des menschlichen Treibens, wie es sich uns in Wahrheit darbietet und das erdrückende Übergewicht in allem menschlichen Geschehen bildet. In dem ersten Teil des Mirgorod tritt dieses Motiv in einem stark abgetönten Gegensatz hervor. Die Erzählung „Gutsbesitzer aus der alten Zeit“ läßt es noch kaum merklich anklingen, und die kritische Stimmung tritt noch stark gegenüber dem Gefühl freundlicher Sympathie für die Helden dieser Novelle zurück. Mit mildem Humor und warmer Liebe zeichnet uns Gogol hier das Bild zweier alter Leute, die in zärtlicher Zuneigung verbunden, langsam dahinwelken. Ihre ganze Existenz wurzelt in den allerprimitivsten natürlichsten Lebensfunktionen und erhebt sich keinen Augenblick über das Niveau der gewöhnlichsten materiellen Bedürfnisse. Sie sind ganz Trieb, ganz Natur, alle geistigen Ansprüche liegen ihnen völlig fern, und das verleiht ihrer Existenz etwas Ganzes, Harmonisches, von keinem Mißklang Getrübtes. Ihre schlichte Einfalt und ihre natürliche Güte gewinnt unsere Herzen, dennoch aber erscheint uns dies Dasein mit all seiner ruhigen Heiterkeit und in dem Frieden, der über ihm ruht, arm und inhaltsleer, da es in seinem ewig gleichmäßigen Abfluß durch keinen Zweck und Sinn geadelt wird. So konnte es Gogol wohl reizen, das Gegenbild dieses Lebens aufzustellen, das trotz all den freundlichen Seiten, die er ihm abzugewinnen vermochte, doch nur ein Schatten des wahren Lebens war. Die Gegenwart konnte ihm nicht bieten, was er suchte, sie erschien ihm grau, öde und tot, und so flüchtete er in die Vergangenheit, in die er wie ein echter Romantiker sein Ideal verlegte, und die er mit der ganzen Farbenpracht einer verschwenderischen Phantasie ausstattete. Die Geschichte seiner Heimat hatte von jeher eine starke Anziehungskraft auf ihn ausgeübt, und ihr entnahm er auch den Stoff zu seiner großen Heldendichtung „Taraß Bulba“. In der freien Ungebundenheit des Kosakentums, in dem großartigen Schwung dieses noch von keinen staatlichen Schranken beengten und durch die großen Kämpfe um Volkstum und Religion zu hoher Bedeutung emporgehobenen Lebens trat ihm eine neue Welt entgegen, in der er sich heimisch fühlte, und die den stärksten Kontrast zu der Monotonie des stumpfen Dahinvegetierens bildete, das ihn an der Gegenwart so sehr abstieß. Die eigentümlichen Verhältnisse des geschichtlichen Werdens hatten in der Tat in dem Kosakentum ein Volksgebilde von kraftvoller Eigenart und Ursprünglichkeit geschaffen. Die Not der Zeit, die Raubzüge der Tataren, die verheerend und verwüstend über Südrußland hinweggezogen waren, hatten eine Anzahl verwegener Männer zur Abwehr dieser Horden an den Ufern und auf den Inseln des Dnjepr zusammengeführt. Flüchtlinge, Räuber und Freibeuter aus aller Herren Länder stießen hinzu, und so bildete sich hier allmählich jener merkwürdige Freistaat der Saporoger Kosaken heraus, der bereits gegen Ende des XIV. Jahrhunderts eine imponierende, den benachbarten Polen und Tataren Schrecken einflößende kriegerische Macht repräsentierte. Das befestigte Hauptlager der Kosaken, die sogenannte Sjetsch, von dem aus sie ihre Feldzüge unternahmen, lag auf einer der Inseln des Dnjepr; sie hatten ihre eigene originelle Organisation und eigenartige Sitten und Gebräuche, über die sie mit Eifersucht wachten. Die höchste Bewegungsfreiheit paarte sich hier mit einem quellenden Tatendrang, der in den ständig drohenden Gefahren und in den kriegerischen Aktionen zum Schutze der angestammten Religion und des eigenen Volkstums eine willkommene Aufgabe fand und so das Entstehen mächtiger und starker Individualitäten begünstigte, die doch durch das gemeinsame Ziel zu einer festen Gemeinschaft zusammengeschlossen wurden. Den reichen Stoff, der hier vorlag, hat Gogol mit vollendeter Meisterschaft bewältigt. Hierbei sind ihm seine tiefen historischen Studien zustatten gekommen, die er einst mit der Absicht, eine Geschichte Kleinrußlands zu schreiben, unternommen hatte; allein die streng wissenschaftliche Darstellung war nicht die adäquate Form für seine geschichtlichen Forschungen. Erst in der Gestalt der Dichtung gewannen diese für ihn Leben und Realität. Indem sich Gogol dem freien Fluge der Einbildungskraft überließ, gab er uns in einer gewaltigen Anschauung ein getreueres, lebensvolleres Bild jener historischen Epoche, als dies je eine wissenschaftliche Rekonstruktion vermöchte. In „Taraß Bulba“ steigt ein entschwundenes Zeitalter leibhaftig vor uns auf. Wir lernen die Völker in ihrer nationalen Eigenart, in ihrem Hassen und Lieben kennen, wir erleben den Kampf der Religionen, die Gegensätze der feindlichen Stämme: der Russen und Polen, des Katholizismus und der Orthodoxie, die furchtbaren Leiden der Juden usw., und all diese einzelnen Züge vereinigen sich für uns zu einem großen historischen Gemälde und zu einem mächtigen Bardengesang auf das kleinrussische Volk. „Taraß Bulba“ ist neben den „Toten Seelen“ die stärkste Dichtung Gogols und zugleich einer der Gipfelpunkte der russischen Literatur.

In dem patriotischen Heldenlied der Taraß Bulba-Dichtung klingt der erste Teil von Mirgorod aus. Der zweite Teil führt uns durch das Grauen der Gespensternovelle Wij, die wieder an den Stil der Abende auf dem Gutshofe bei Dikanka anknüpft und uns alle Schrecken des Gespensterglaubens mit einer an die Realistik des Traumes gemahnenden Intensität erleben läßt, wieder in die Welt des Alltags und zur Erbärmlichkeit der Gegenwart zurück. Die köstliche Satire vom Streite Iwan Iwanowitschs und Iwan Nikiforowitschs bildet den äußersten Abstich gegen das großzügige Epos slawischen Lebens: den Taraß Bulba. Der Traum der Phantasie ist ausgeträumt, und die heroische Geste wird abgelöst durch die Grimasse. Die ganze Misere kleinstädtischen Daseins, der trostlose Stumpfsinn einer geistlosen, jeden ernsten Interessen entfremdeten Existenz erscheint hier in dem Zerrspiegel eines Humors, der nur ein Ausdruck für den Pessimismus des Dichters ist, welcher die Nichtigkeit und Fratzenhaftigkeit der Welt an dem Ideal freier Menschlichkeit mißt und seine Tränen hinter der Maske des Spottes und des Gelächters verbirgt.

Diese Erzählung, mit der der Novellenkreis Mirgorod schließt, leitet bereits zu dem neuen Stil Gogols hinüber, der seine vollkommenste Ausprägung in dem Roman „Die toten Seelen“ gefunden hat. Die kleine Erzählung „Die Equipage“, die wir dem Mirgorodzyklus als Anhang folgen lassen, stammt aus einer späteren Zeit, hängt jedoch in bezug auf ihren Charakter und ihre Grundidee eng mit dem letzteren zusammen.

Erster Teil

Gutsbesitzer aus der alten Zeit

Übersetzt von
Charlotte König

Ich liebe es sehr, dies bescheidene Leben jener einsamen Bewohner entlegener Dörfer, die man in Kleinrußland gewöhnlich „Gutsbesitzer aus der alten Zeit“ nennt, und die uns gleich verwitterten malerischen Häuschen durch ihre schlichte Einfachheit anziehen. Der Reiz besteht in dem absoluten Gegensatz zu den neuen, sauberen Gebäuden, deren Mauern noch kein Regen verwaschen hat, deren Dächer kein grüner Schimmel bedeckt und deren vom Mörtel entblößte Fassade noch nicht ihre roten Ziegel hervorstreckt. Ich liebe es, mich mitunter auf Augenblicke in die Sphäre dieses ganz einsamen Lebens zu versenken: da schwingt sich kein Wunsch über den Zaun, der das kleine Gehöft umgibt, oder über die Hecke, die den mit Apfel- und Birnbäumen reich bestandenen Garten einschließt. Kein Verlangen reckt sich über die von Weiden, Holunder und Birnbäumen beschatteten, schiefen Hütten. Auch das Leben der Bewohner ist so still — so still daß man zeitweise sich selbst vergißt und glaubt, die Leidenschaften, die Begierden und die seltsamen Gelüste des bösen Geistes, die diese Welt beunruhigen, existierten gar nicht und wären nur Gesichte eines glänzenden, leuchtenden Traumes.

Es ist mir, als sähe ich es vor meinen Augen — das niedrige Häuschen mit der Galerie aus kleinen geschwärzten Holzstäben, die rund herum das Haus umgibt, damit man bei Regen und Hagel die Läden schließen kann, ohne selbst naß zu werden. Hinter ihr erhebt sich ein duftender Faulbaum und eine lange Reihe niedriger Obstbäume, die im Purpurrot der Kirschen und im saphirblauen Meer der mattbereiften Pflaumen ertrinken. Dort steht ein langgestreckter Ahorn, in dessen Schatten ein ausgebreiteter Teppich zur Ruhe einladet, vor dem Hause befindet sich ein geräumiger Hof, der von frischem kurzem Gras bedeckt ist, in welchem emsige Füße von dem Speicher bis zur Küche und von der Küche bis zu den Herrschaftszimmern einen schmalen Weg ausgetreten haben. Eine langhalsige Gans steht umringt von jungen, flaumigen Kücheln und trinkt Wasser; der Staketenzaun ist mit Bündeln von getrockneten Äpfeln, Birnen und Teppichen behängt, die hier ausgelüftet werden; eine Fuhre mit Melonen steht neben dem Speicher, und der ausgespannte Stier ruht träge daneben aus. Das alles hat für mich einen unerklärlichen Zauber, vielleicht weil ich es nun nicht mehr sehe und weil uns alles so teuer ist, von dem wir getrennt sind. Gleichviel warum, jedenfalls zog auch schon damals eine wunderbare angenehme Ruhe durch meine Seele, wenn sich mein Wagen dem Häuschen näherte; fröhlich trabten die Pferde auf die Freitreppe zu, und der Kutscher stieg behaglich vom Bock und zündete sich ein Pfeifchen an, als käme er zu sich nach Hause — ja selbst das Gebell, das die phlegmatischen, schwarzen und braunen Köter anstimmten, war meinen Ohren angenehm.

Am meisten aber gefielen mir die Besitzer dieser bescheidenen Nester, die alten Männer und Frauen, die einem geschäftig entgegenkamen und einen so freundlich begrüßten. Heut noch im Lärm und Trubel des Lebens, inmitten moderner Fräcke meine ich manchmal ihre Gesichter zu sehen: und im Halbschlummer steigt dann die Vergangenheit vor mir auf. In ihren Zügen liegt immer soviel Güte, soviel Treuherzigkeit und Herzensreinheit — daß man unwillkürlich, wenn auch nur für kurze Zeit, seine vermessenen Pläne und Absichten vergißt und unbewußt mit allen Fühlern in dies schlichte und idyllische Leben hinabtaucht. Bis heute kann ich zwei von diesen alten Leuten aus dem vorigen Jahrhundert nicht vergessen, die längst nicht mehr unter den Lebenden weilen: aber auch heut noch ist meine Seele von Trauer erfüllt, und mein Herz zieht sich bei dem Gedanken seltsam zusammen, daß ich wieder einmal an ihrer einstigen nun verödeten Wohnung vorbeikommen könnte, und dort, wo einst ihr niedriges Häuschen stand, nur einen Haufen verfallener Hütten, einen moosüberzogenen Teich, den verwilderten Garten finden könnte — und weiter nichts. Es wird einem so traurig dabei zumute! Wie traurig ist schon der bloße Gedanke daran. Aber wenden wir uns unserer Erzählung zu.

Afanassji Iwanowitsch Towstogub und Pulcheria Iwanowna „Towstogubicha“, (wie die Bauern aus der Umgegend sie zu nennen pflegten), so hießen jene alten Leute, von denen ich zu erzählen begonnen habe. Wenn ich ein Maler wäre und das Bild von Philemon und Baucis auf der Leinwand darstellen wollte: ich würde mir nie ein anderes Modell wählen, als diese beiden. Afanassji Iwanowitsch war 60 Jahre alt, Pulcheria Iwanowna 55. Afanassji Iwanowitsch war groß von Wuchs, trug beständig einen mit Kamelot überzogenen Schafpelz, saß gebeugt da und lächelte immer, sei es nun daß er selbst sprach und erzählte oder daß er einfach zuhörte. Pulcheria Iwanowna dagegen war stets ernst und lächelte fast nie: in ihren Zügen und in ihren Augen lag soviel Güte, und soviel Bereitwilligkeit, Sie mit dem Besten zu bewirten, was sie besaß, daß Sie ein Lächeln auf diesen guten Zügen sicher als süßlich empfunden hätten. Die feinen Runzeln auf ihren Gesichtern hatten etwas so Angenehmes und Liebenswürdiges, daß ein Maler sie sich sicher gemerkt und bei Gelegenheit verwertet hätte. Es schien als konnte man die ganze Geschichte ihres Lebens von ihnen ablesen: dieses lauteren, ruhigen Lebens, wie es die alten bodenständigen, braven und wohlhabenden Familien führen, die so sehr von jenen gewöhnlichen Kleinrussen abstechen, welche aus den Kreisen von Teerbrennern und Krämern hervorgehen. Diese erfüllen alle Staatsbehörden und Kanzleien wie die Heuschrecken, ziehen ihren eigenen Landsleuten die letzten Groschen aus der Tasche, überschwemmen Petersburg mit ihrem Klatsch, erwerben sich endlich ein Vermögen und hängen dann ihrem Familiennamen, der immer auf o endet, breitspurig noch ein w an. Nein, unsere alten Leute hatten keine Ähnlichkeit mit diesen verächtlichen, traurigen Geschöpfen, ebensowenig wie die wurzelechten kleinrussischen Familien. Man konnte nicht gleichgültig bleiben, wenn man sah, wie innig sie einander liebten; obwohl sie sich nicht duzten sondern sich stets mit Sie anredeten: Sie, Afanassji Iwanowitsch! Sie! Pulcheria Iwanowna!

„Afanassji Iwanowitsch, haben Sie den Stuhl durchgesessen?“

„Jawohl, Pulcheria Iwanowna, seien Sie mir deshalb nicht böse!“

Sie hatten nie Kinder gehabt, und daher konzentrierte sich all ihre Liebe aufeinander. Früher einmal, in seiner Jugend, hatte Afanassji Iwanowitsch gedient, und hatte es sogar bis zum Sekonde-Major gebracht — aber das war schon lange her und längst vorbei — Afanassji Iwanowitsch dachte selbst fast nie mehr an diese Zeit. Mit dreißig Jahren hatte er geheiratet; er war damals ein forscher Kerl, trug ein gesticktes Kamisol; und hatte es sogar sehr gescheit angefangen, Pulcheria Iwanowna zu entführen, deren Verwandte gegen die Heirat waren, aber auch dies schien seinem Gedächtnis entschwunden zu sein, jedenfalls sprach er nie davon. All diese längst vergangenen und außerordentlichen Ereignisse waren verdrängt durch das ruhige, einsame Leben, und verwischt durch jene einschläfernden und doch wieder harmonischen Träumereien, die Sie überfallen, wenn Sie auf der Veranda sitzen und in den Garten schauen, wo ein herrlicher Regen niedergeht; klatschend fällt er auf das Laub der Bäume nieder, läuft in rieselnden Bächlein ab und träufelt einen süßen Schlummer in Ihre Glieder: unterdessen aber steigt langsam ein Regenbogen hinter den Bäumen auf und leuchtet wie ein halbzerstörtes Tor in seinen blassen sieben Farben am Himmel auf, .... oder wenn Sie sanft hin- und hergewiegt in Ihrem Wagen zwischen grünen Sträuchern hindurchfahren, wenn die Steppenwachtel schlägt, und duftendes Gras, Kornähren und Feldblumen durch die Türen Ihres Wagens dringen und Ihnen liebkosend Gesicht und Hände streicheln.

Er hörte seinen Gästen, die zu ihm zu Besuch kamen, immer freundlich lächelnd zu; manchmal sagte er auch selbst wohl ein Wort, aber größtenteils fragte er sie bloß aus. Er gehörte nicht zu jenen Greisen, die allen Leuten durch ihr unaufhörliches Preisen der alten Zeit und durch das Schmähen des Neuen lästig fallen: im Gegenteil, er erkundigte sich stets nach allem und zeigte großes Interesse und lebhafte Teilnahme für Ihre Lebensverhältnisse, Ihre Erfolge und Mißerfolge — gewöhnlich interessieren sich ja alle guten alten Leute dafür, obwohl ihre Teilnahme uns an die Neugierde eines Kindes erinnert, das mit Ihnen spricht und dabei eingehend das Zifferblatt Ihrer Uhr mustert. Man kann wohl sagen, daß sein Gesicht in solchen Augenblicken vor Güte strahlte.

Die Zimmer des Häuschens, in dem unsere Alten lebten, waren klein und niedrig, wie wir sie gewöhnlich bei Leuten aus der guten alten Zeit antreffen. Jede Stube war mit einem riesigen Ofen versehen, der fast den dritten Teil des Raumes einnahm. In diesen Zimmern war es immer furchtbar warm, weil Afanassji Iwanowitsch und Pulcheria Iwanowna beide die Wärme sehr liebten. Das gesamte Heizmaterial war im Flur aufgestapelt, der fast bis zur Decke mit Stroh angefüllt war, welches in Kleinrußland gewöhnlich statt des Holzes verwendet wird. Das Knistern und die Farbe des brennenden Strohs geben dem Flur an den Winterabenden etwas besonders Anziehendes, wenn die ausgelassene Jugend, die wohl draußen einer braunen Schönen nachjagte, plötzlich ganz erfroren hereinstürmt und sich lachend die Hände wärmt. Die Zimmerwände waren mit Bildern und Bildchen in alten, schmalen Rahmen geschmückt: ich bin überzeugt, daß die Sujets dieser Bilder selbst von den Wirten längst vergessen waren, und wenn man ein paar davon entfernt hätte, wäre es den Alten sicherlich nicht aufgefallen. Zwei dieser Bilder waren größer und in Öl gemalt: das eine stellte einen Bischof dar, das andre Peter III. Aus einem schmalen Rahmen blickte das ganz von Fliegen beschmutzte Gesicht der Herzogin von La Vallière hervor. Um die Fensterrahmen herum und über den Türen hing eine Menge kleinerer Bilder, die man unwillkürlich für Flecke an der Wand hält und daher nicht näher betrachtet. Der Fußboden bestand fast in allen Zimmern aus Lehm; aber er war so schön gepflegt und so sauber gehalten, wie kaum ein Parkett in einem vornehmen Hause, welches von faulen, schläfrigen Livreedienern gefegt wird.

Pulcheria Iwanownas Zimmer war ganz mit Kisten und Kasten, Kistchen und Kästchen verstellt. An den Wänden hingen unzählige Bündelchen und Säckchen mit Blumen-, Gemüse- und Wassermelonensamen. In den Ecken standen mehrere Koffer; in diesen und zwischen diesen wurden viele Knäule buntfarbiger Wolle, sowie Stoffreste von altmodischen Kleidern, die vor einem halben Jahrhundert genäht waren, aufbewahrt. Pulcheria Iwanowna war eine sorgsame Hausfrau und hob alles auf, obschon sie selbst nicht wußte, warum.

Aber das allerbemerkenswerteste im Hause waren die singenden Türen. Sobald der Morgen graute, hörte man den Gesang der Türen durchs ganze Haus erschallen. Ich weiß nicht, warum sie eigentlich sangen. Vielleicht waren die verrosteten Angeln schuld daran, vielleicht aber hatte auch der Mechaniker, der sie gebaut, ein Geheimnis in sie hineingelegt. Was jedoch am meisten auffiel war dies, daß jede Tür ihre eigene Stimme hatte. Die Schlafzimmertür sang im höchsten Sopran, die des Speisezimmers krächzte im Baß, dafür gab die Flurtür einen ganz seltsamen, dröhnenden und ächzenden Laut von sich, so daß man bei längerem Hinhören deutlich die Worte „Väterchen, mich friert!“ zu vernehmen glaubte. Ich weiß wohl, daß vielen dieses Geräusch nicht gefällt, aber ich liebe es sehr, und wenn ich es zufällig höre, steigt sofort das Dorf vor meinem Geiste auf: das niedrige, nur schwach vom Licht altmodischer Leuchter erhellte Zimmerchen, der Tisch mit dem Abendessen, die dunkle Mainacht, die durch das geöffnete Fenster über den gedeckten Tisch fällt, die Nachtigall, welche Garten und Haus und den Fluß in der Ferne mit ihrem Gesang erfüllt, das Raunen und Flüstern der Zweige .... Herrgott, welch eine unabsehbare Kette von Erinnerungen zieht dann an mir vorüber!

Die hölzernen Stühle im Zimmer waren, wie das in der alten Zeit üblich war, alle massiv; sie hatten hohe, geschnitzte Lehnen, in der Naturfarbe, ohne Lack und Anstrich; ja sie waren nicht einmal mit Stoff bezogen und erinnerten einigermaßen an die Stühle, auf welchen auch in unserer Zeit noch die Bischöfe zu sitzen pflegen. In den Ecken standen dreieckige und vor dem Sopha und dem Spiegel mit dem schmalen, goldenen Rahmen — dessen geschnitzte Blätter die Fliegen mit schwarzen Punkten übersät hatten — viereckige Tische; vor dem Sopha war ein Teppich mit Vögeln, die wie Blumen, und mit Blumen, die wie Vögel aussahen, ausgebreitet; das war so ziemlich die gesamte Ausstattung des anspruchslosen Häuschens, in dem unsere alten Leutchen lebten.

Das Mädchenzimmer war von jungen und alten Mädchen in gestreiften Leinwandröcken erfüllt; dann und wann gab Pulcheria Iwanowna ihnen etwas zu nähen, oder sie ließ sie Beeren aussuchen, gewöhnlich aber liefen sie in der Küche umher, oder sie schliefen. Pulcheria Iwanowna hielt es für nötig, sie im Hause zu halten und wachte streng über ihr Betragen; aber zu ihrem großen Erstaunen verging kaum ein Monat, ohne daß der Umfang des einen oder des andern Mädchens in ganz ungewöhnlicher Weise zunahm. Dies war um so merkwürdiger, als es im ganzen Hause keinen Junggesellen gab, ausgenommen den Zimmerburschen, der barfuß, in einem kurzen grauen Frack umherlief und entweder aß, oder wenn er nicht damit beschäftigt war, ganz sicher schlief. Pulcheria Iwanowna schalt die Schuldige gewöhnlich aus und bestrafte sie streng, um in Zukunft einem Wiederholungsfall vorzubeugen. An den Scheiben der Fenster summten unzählige Fliegen, übertönt von dem tiefen Baß einer Hummel, der mitunter noch von dem grellen Summen der Wespen unterstützt wurde; sobald man jedoch ein Licht hineintrug, suchte die ganze Gesellschaft ihr Nachtlager auf, und eine schwarze Wolke bedeckte die ganze Zimmerdecke.

Afanassji Iwanowitsch kümmerte sich sehr wenig um die Wirtschaft, obgleich er manchmal zu den Mähern und Schnittern hinausfuhr und dann ohne Unterlaß zusehen konnte, wie sie arbeiteten; die ganze Last der Verwaltung lag auf den Schultern Pulcheria Iwanownas. Die wirtschaftliche Leitung Pulcheria Iwanownas bestand in einem unablässigen Öffnen und Schließen der Vorratskammern und im Salzen, Trocknen und Einkochen einer unzähligen Menge von Früchten und Gemüsen. Ihr Reich sah auf ein Haar einem chemischen Laboratorium ähnlich. Unter dem Apfelbaum flackerte beständig ein Feuer und der Kessel oder das Kupferbecken standen fast immer auf dem eisernen Dreifuß: dort kochte sie ihr Eingemachtes, ihre Gelées und Marmeladen aus Honig, Zucker und weiß Gott woraus sonst noch. Unter dem andern Baum vor einem kupfernen Kessel stand der Kutscher, der beständig Spiritus auf Pfirsichblätter — Faulbaumblüten — Tausendgüldenkraut — Kirschkerne usw. destillierte. Am Schluß dieses Verfahrens war er natürlich nie imstande ein vernünftiges Wort zu reden, sprach einen solchen Unsinn zusammen, daß Pulcheria Iwanowna nichts verstehen konnte, und ging endlich in die Küche, um sich schlafen zu legen. Von all diesem unnützen Zeug wurde so unendlich viel gekocht, getrocknet, eingesalzen usw., daß es wahrscheinlich den ganzen Hof überschwemmt hätte (Pulcheria Iwanowna liebte es, sich über ihren Bedarf hinaus noch einen Reservevorrat anzulegen; wenn nur nicht die größere Hälfte all dieser schönen Dinge von den Dienstmädchen verzehrt worden wäre. Sie schlichen sich in die Vorratskammern und aßen sich dort so voll, daß sie danach den ganzen Tag lang stöhnten und über Leibweh klagten.)

In den Ackerbau und die andern wirtschaftlichen Ressorts hatte Pulcheria Iwanowna nur einen geringen Einblick. Der Verwalter und der Dorfälteste bestahlen sie gemeinsam ganz unbarmherzig. Diese beiden hatten die Gewohnheit angenommen, im herrschaftlichen Walde ganz wie in ihrem eigenen zu schalten: sie ließen eine Menge von Schlitten herstellen und verkauften sie dann auf dem nächsten Markte; außerdem verkauften sie den benachbarten Kosaken, welche Balken für ihre Mühlen brauchten, die dicken Eichenstämme. Einmal wollte Pulcheria Iwanowna ihren Wald inspizieren. Es wurde auch eine Kutsche mit einer riesigen Schutzdecke angespannt, als jedoch der Kutscher die Leinen anzog und die Pferde, die noch in der Miliz gedient hatten, davontrabten, da erfüllte die Kutsche die Luft mit ganz merkwürdigen Tönen, sodaß man plötzlich Flöten, Schellen und Trommeln zu hören glaubte: jeder Nagel, jede eiserne Klammer stöhnte so laut, daß man es sogar bei den über zwei Werst entfernten Mühlen hören konnte, wie die Herrschaften ausfuhren. Die furchtbare Verwüstung im Walde konnte Pulcheria Iwanowna natürlich nicht entgehen: sie sah daß viele Eichen fehlten, die ihr schon in ihrer Jugend als hundertjährige Bäume bekannt gewesen waren. Sie wandte sich daher an den anwesenden Verwalter, und fragte: „Nitschipor, wie kommt es, daß so wenig Eichen da sind? Paß mal auf, daß dir die Haare auf deinem Kopf nicht ausgehen!“

„Warum?“ antwortete der Verwalter wie gewöhnlich, „sie sind verschwunden, glatt verschwunden. Der Blitz hat sie getroffen, die Würmer haben sie gefressen — sie sind verschwunden, gnädige Frau, — ganz verschwunden.“

Pulcheria Iwanowna begnügte sich vollkommen mit dieser Antwort. Als sie jedoch nach Hause kam, befahl sie, die Zahl der Wächter bei den spanischen Kirschen und bei den großen Winterbirnen zu verdoppeln.

Diese würdigen Herren, der Verwalter und der Dorfälteste, hielten es auch für ganz überflüssig, dem herrschaftlichen Speicher alles Mehl zukommen zu lassen, und meinten, daß die Herrschaft schon an der Hälfte genug hätte: zu guter Letzt bestand diese Hälfte gar nur aus allerhand verschimmelten und feuchten Resten, die auf den Märkten nicht verkauft worden waren. Gewiß stahlen der Verwalter und Dorfälteste außerordentlich viel, und das Gesinde, von der Wirtschafterin abwärts bis hinab zu den Schweinen, vertilgten eine schreckliche Menge von Äpfeln und Pflaumen — diese Tiere stießen nämlich mit ihren Rüsseln oft gegen die Bäume, um sich einen ganzen Fruchtregen herabzuschütteln — gewiß pickten die Sperlinge und Krähen sehr viel an — gewiß beschenkten die Knechte und Mägde ihren Verwandten in den andern Dörfern auf das reichlichste (sie holten sogar ganze Stücke Leinwand und alter Hausgewebe aus dem Speicher). Auch fand außerordentlich viel den Weg ins allgemeine Reservoir d. h. zum Gastwirt, und auch die Gäste, die phlegmatischen Kutscher und Diener mochten nicht wenig wegstehlen: jedoch die fruchtbare Erde brachte alles in solcher Überfülle hervor, und Afanassji Iwanowitsch und Pulcheria Iwanowna hatten so wenig Bedürfnisse, daß diese verheerenden Räubereien in der Wirtschaft vollkommen unbemerkt blieben.

Unsere beiden alten Leutchen liebten vor allen nach Art der Gutsbesitzer aus der alten Zeit auch sehr — zu essen. Kaum brach die Morgenröte an, (sie standen immer sehr zeitig auf), und kaum begannen die Türen ihr vielstimmiges Konzert, — da saßen die beiden auch schon bei Tisch und tranken Kaffee. Nach dem Kaffee ging Afanassji Iwanowitsch gewöhnlich in den Flur, schwenkte sein Taschentuch und rief: „Ksch, Ksch! Marsch! fort von der Treppe ihr Gänse!“ Im Hofe traf er meist den Verwalter und ließ sich gewohnheitsmäßig mit ihm in ein Gespräch ein, ließ sich mit der größten Ausführlichkeit von allen Arbeiten erzählen und gab dann Anweisungen und Befehle, die jeden durch die gediegene Wirtschaftskenntnis, von der sie zeugten, in Staunen gesetzt hätten; ein Neuling hätte es sich sicher nicht träumen lassen, daß man einem so aufmerksamen Hausherrn etwas stehlen könne. Aber der Verwalter war ein geriebener Herr: er wußte, welche Antworten er geben mußte, noch besser aber verstand er sich auf das Wirtschaften.

Dann ging Afanassji Iwanowitsch ins Haus zu Pulcheria Iwanowna zurück und fragte: „Pulcheria Iwanowna, wie denken Sie, wäre es nicht Zeit, einen kleinen Imbiß nehmen?“

„Was könnte man jetzt wohl essen, Afanassji Iwanowitsch? Vielleicht ein paar in Schmalz gesottene Pfannkuchen? Oder kleine Mohnkuchen? Oder ein paar gesalzene Pilze?“

„Meinetwegen — Pilze oder auch Mohnkuchen,“ antwortete Afanassji Iwanowitsch, und plötzlich deckte sich der Tisch mit einem Tischtuch, Pilzen und Mohnkuchen.

Eine Stunde vor dem Mittagessen nahm Afanassji Iwanowitsch wieder einen Imbiß, trank aus einem alten silbernen Becherchen einen Schnaps und aß ein paar Pilze, getrocknete Fischchen und dergleichen. Um zwölf Uhr setzte man sich zu Tisch. Außer den verschiedenen Schüsseln und Saucièren standen auf dem Tisch noch zahlreiche Töpfchen, die sorgfältig zugedeckt und verklebt waren, damit die zahlreichen angenehmen Erzeugnisse der alten, wohlschmeckenden Küche nicht ihr Aroma verlören. Beim Mittagstisch drehte sich die Unterhaltung gewöhnlich um Gegenstände, die eng mit der Mahlzeit verknüpft waren.

„Mir scheint,“ sagte zum Beispiel Afanassji Iwanowitsch, „daß diese Grütze etwas angebrannt ist. Meinen Sie nicht auch, Pulcheria Iwanowna?“

„Nein, Afanassji Iwanowitsch, nehmen Sie nur etwas mehr Butter, so wird sie nicht mehr angebrannt schmecken, oder hier, gießen Sie etwas Pilzsauce darüber —“

„Hm! vielleicht haben Sie recht,“ sagte Afanassji Iwanowitsch und reichte seinen Teller hin. „Ich will es mal versuchen.“

Nach dem Mittag legte sich Afanassji Iwanowitsch auf ein Stündchen nieder. Hierauf brachte ihm Pulcheria Iwanowna eine angeschnittene Wassermelone und sagte: „Afanassji Iwanowitsch, versuchen Sie einmal, sehen Sie nur, was das für eine schöne Melone ist.“

„Lassen Sie sich nicht dadurch täuschen, daß sie in der Mitte so schön rot ist, Pulcheria Iwanowna,“ sagte Afanassji Iwanowitsch, indem er sich eine gute Portion vorlegte, „es kommt vor, daß Melonen rot und doch schlecht sind!“

Die Melone wurde sofort verzehrt. Hierauf aß Afanassji Iwanowitsch noch einige Birnen und machte mit Pulcheria Iwanowna einen Spaziergang durch den Garten. Wenn sie wieder nach Hause kamen, besorgte Pulcheria Iwanowna ihre Geschäfte und er setzte sich vor die Tür und sah zu, wie der Speicher dem Beschauer bald sein Innerstes preisgab, bald wieder verbarg, und wie die Dienstmädchen sich unaufhörlich stoßend und drängend, allerhand Kram in Holzkisten, Sieben, Mulden und sonstigen Obstbehältern hin- und hertrugen. Nach einer Weile schickte er nach Pulcheria Iwanowna, oder er ging selbst zu ihr hin und sagte: „Was sollte ich jetzt wohl essen, Pulcheria Iwanowna?“

„Ja, was könnte man wohl essen ....!“ meinte Pulcheria Iwanowna, „soll ich Ihnen vielleicht Quarkkuchen mit Beerenfüllung bringen lassen, die ich eigens für Sie aufbewahren ließ?“

„Ja, das wäre ausgezeichnet,“ sagte Afanassji Iwanowitsch.

„Oder vielleicht wollen Sie etwas rote Grütze essen?“

„Auch das läßt sich hören,“ antwortete Afanassji Iwanowitsch, und gleich darauf wurde all dieses hereingebracht und, wie zu erwarten war, mit Appetit verzehrt.

Vor dem Abendbrot versorgte sich Afanassji Iwanowitsch noch mit diesem oder jenem. Um ½10 Uhr setzte man sich zum Abendbrot. Darauf ging man sofort schlafen, und eine allgemeine Stille senkte sich auf diesen tätigen und doch ruhevollen Erdenwinkel herab.

Das Schlafzimmer Afanassji Iwanowitschs und Pulcheria Iwanownas war so warm, daß ein anderer kaum einige Stunden in ihm hätte zubringen können; aber Afanassji Iwanowitsch schlief noch eigens auf der Ofenbank, um es wärmer zu haben, obgleich die Hitze ihn des Nachts einige Male zwang, aufzustehen und im Zimmer auf und ab zu laufen. Hin und wieder stöhnte er leise im Gehen.

Gewöhnlich fragte dann Pulcheria Iwanowna: „Warum stöhnen Sie so, Afanassji Iwanowitsch?“

„Weiß Gott, Pulcheria Iwanowna,“ sagte Afanassji Iwanowitsch, „ich habe wohl ein wenig Leibdrücken!“

„Sollten Sie nicht vielleicht etwas zu sich nehmen, Afanassji Iwanowitsch?“

„Ich weiß nicht, Pulcheria Iwanowna; wird mir das auch bekommen? Übrigens, was könnte ich denn essen?“

„Nun, etwas saure Milch oder ein paar geschmorte Birnen?“

„Ja, so etwas — das wäre noch das Einzige,“ murmelte Afanassji Iwanowitsch; die schläfrige Magd mußte alle Schränke durchsuchen, und Afanassji Iwanowitsch aß einen Teller Milch oder Birnen, wonach er gewöhnlich erklärte: „Mir scheint, es ist mir schon wieder besser.“

Mitunter, wenn es schon heller war und eine angenehme Wärme im Zimmer herrschte, wurde Afanassji Iwanowitsch ganz munter; dann liebte er es wohl, ein wenig mit Pulcheria Iwanowna zu scherzen.

„Was würden wir machen, Pulcheria Iwanowna, wenn plötzlich Feuer im Hause ausbräche? Wohin würden wir uns flüchten?“ fragte er.

„Gott behüte uns davor!“ sagte Pulcheria Iwanowna und schlug ein Kreuz.

„Gewiß — aber nehmen wir einmal an, unser Haus würde niederbrennen? Wohin würden wir dann ziehen?“

„Gott weiß, was Sie da schwatzen, Afanassji Iwanowitsch! Wie kann denn unser Haus abbrennen! Das wird Gott nie zulassen!“

„Hm — und wenn es doch abbrennt?“

„Nun dann werden wir in die Küche übersiedeln. Sie müßten dann für einige Zeit in dem Zimmer wohnen, wo jetzt die Wirtschafterin haust.“

„Und wenn die Küche mit abbrennt?“

„Auch das noch! Das würde Gott nie zulassen, daß Haus und Küche so plötzlich niederbrennen. Dann müßten wir ja in den Speicher ziehen, bis das neue Haus fertig ist.“

„Hm — wenn nun aber auch der Speicher mit abbrennt?“

„Herrgott, was Sie nur reden! Ich will nichts davon hören, es ist eine Sünde, so zu sprechen. Gott straft einen für solche Reden!“

Aber Afanassji Iwanowitsch saß zufrieden lächelnd auf seinem Stuhl und freute sich, daß er Pulcheria Iwanowna ein wenig geneckt hatte.

Am allerinteressantesten erschienen mir jedoch die alten Leutchen, wenn sie Besuch hatten. Dann nahm in ihrem Hause alles einen andern Anstrich an. Man kann wohl sagen, diese prächtigen Menschen lebten ganz für ihre Gäste. Das Beste, was sie hatten, wurde herausgesucht, und sie wetteiferten miteinander, dem Gast die schönsten Erzeugnisse der ganzen Wirtschaft vorzusetzen. Und was dabei das Angenehmste war: in all ihrer Liebenswürdigkeit lag auch nicht eine Spur von Aufdringlichkeit. Die Treuherzigkeit, Gefälligkeit und Güte leuchtete ihnen aus den Augen und stand ihnen so gut, daß man unwillkürlich ihren Einladungen Folge leistete. Diese Güte und Freundlichkeit quoll aus der schlichten Einfalt ihrer braven und ehrlichen Seelen, und ihre Liebenswürdigkeit hatte nichts mit der eines Staatsbeamten gemein, der es mit Ihrer Hilfe zu etwas gebracht hat, Sie seinen Wohltäter nennt und vor Ihnen kriecht. Der Gast durfte nie am selben Tag wieder gehn: er mußte durchaus bei den Alten übernachten.

„Wie kann man bloß zu so später Stunde noch einen so weiten Weg antreten?“ pflegte Pulcheria Iwanowna zu sagen. (Gewöhnlich wohnte der Gast drei oder vier Werst weit von ihnen.)

„Natürlich,“ sagte Afanassji Iwanowitsch, „wer weiß, was einem alles passieren kann: es gibt doch Räuber und andres Gesindel, die einen überfallen können!“

„Gott möge Sie vor Räubern bewahren,“ sagte Pulcheria Iwanowna, „warum sprichst du zur Nacht von solchen Dingen. Ich sage es nicht der Räuber wegen, — man sollte überhaupt nicht in solch einer Dunkelheit fahren! Ja, und Ihr Kutscher — ich kenne doch Ihren Kutscher, er ist so ein dürftiger, kleiner Kerl, den wirft jede Stute um — und dann ist er jetzt sicherlich schon betrunken und schläft irgendwo.“

Und dem Gast blieb nichts anderes übrig: er mußte bleiben. Übrigens waren der Abend in dem niedrigen, warmen Zimmer, die treuherzige, erwärmende und zugleich einschläfernde Unterhaltung, und der Geruch, der von den nahrhaften und meisterhaft zubereiteten Gerichten, die den Tisch besetzten, aufstieg, eine entsprechende Belohnung. Ich sehe Afanassji Iwanowitsch noch ganz deutlich vor mir, wie er gebeugt im Lehnstuhl sitzt und dem Gaste voller Aufmerksamkeit, ja mit Entzücken zuhört. Zuweilen war auch von Politik die Rede. Der Gast, der meist auch nur selten aus dem Dorf herauskam, teilte dann wohl mit wichtiger und geheimnisvoller Miene seine Vermutungen mit und erzählte, daß die Franzosen sich heimlich mit den Engländern verbündet hätten, um Bonaparte wieder einmal auf Rußland loszulassen; oder er erzählte einfach von dem bevorstehenden Kriege. Dann pflegte Afanassji Iwanowitsch wohl zu antworten, indem er Pulcheria Iwanowna scheinbar gar nicht beachtete:

„Ich denke auch daran, in den Krieg zu gehen —: warum sollte ich auch nicht in den Krieg gehen?“

„Was er da wieder redet — das fehlt gerade noch,“ unterbrach ihn Pulcheria Iwanowna. „Glauben Sie ihm nicht,“ wandte sie sich an den Gast, „wie kann er in seinem Alter noch in den Krieg ziehen — der erste beste Soldat schießt ihn ja gleich tot; bei Gott, er schießt ihn tot. Ja, er wird auf ihn anlegen, zielen und ihn niederschießen.“

„Nun und was ist dabei?“ erwiderte Afanassji Iwanowitsch, „ich werde ihn auch niederschießen!“

„Hören Sie nur, was er wieder spricht,“ fiel ihm Pulcheria Iwanowna ins Wort, „wie kann er denn in den Krieg gehen! Seine Pistolen sind ja längst verrostet und liegen schon lange in der Rumpelkammer. Sie sollten sie nur ansehen: das sind ganz gräßliche Dinger, bevor man abdrückt, sprengt einem das Pulver das ganze Zeug auseinander. Er wird sich die Hände verstümmeln, und das Gesicht verunstalten, er wird sich noch für ewige Zeiten unglücklich machen!“

„Und wenn schon,“ sagte Afanassji Iwanowitsch, „ich werde mir eben ein neues Gewehr kaufen — und mir einen Säbel und einen Kosakenspieß anlegen.“

„Dummheiten, Dummheiten! Plötzlich fällt ihm etwas ein, und dann geht es los!“ sagte Pulcheria Iwanowna ganz ärgerlich. „Ich weiß ja, daß er spaßt, aber es ist doch unangenehm, so etwas anhören zu müssen. Sehen Sie, so spricht er immer, mitunter wird einem ganz bange, wenn man ihn so reden hört.“

Aber Afanassji Iwanowitsch saß höchst befriedigt darüber, daß er Pulcheria Iwanowna etwas geängstigt hatte, ganz zusammengebeugt in seinem Stuhl und lachte vergnügt.

Pulcheria Iwanowna war immer am interessantesten für mich, wenn sie einen Gast zu Tische führte. „Dies hier“, — sagte sie, indem sie den Verschluß einer Karaffe entfernte, „ist ein Schnaps, der auf Holz oder Salbei abgesetzt ist, der ist besonders gut gegen Schmerzen im Schulterblatt oder im Kreuz — oder der hier ist aus Tausendgüldenkraut und sehr nützlich gegen Ohrensausen und Flechten im Gesicht; und der da ist aus Pfirsichkernen destilliert, nehmen Sie doch ein Gläschen — ein herrlicher Duft nicht wahr? Wenn man beim Aufstehen zufällig gegen eine Tisch- oder Schrankecke stößt und sich eine Beule auf der Stirn holt, dann hat man nur nötig, vor dem Mittag-Essen ein Gläschen davon zu nehmen — und die Beule ist wie weggeblasen; in einer Minute ist alles spurlos verschwunden.“ Hierauf folgte eine Lobrede auf die übrigen Karaffen, und fast alle hatten irgend eine heilkräftige Wirkung. Wenn sie den Gast in diese vollständige Apotheke eingeführt hatte, so geleitete sie ihn vor eine ganze Sammlung von Tellern. „Das hier sind Pilze mit Pfefferkraut, und da das mit Nelken und Walnüssen. Eine Türkin hat mich gelehrt, sie einzusalzen — das war damals, als noch die Türken bei uns in der Gefangenschaft lebten. Eine so brave Türkin, man merkte es ihr garnicht an, daß sie Mohammed anbetete; sie betrug sich ganz unauffällig, ganz wie unsereiner und wollte nur kein Schweinefleisch essen: „unser Gesetz verbietet uns das“, pflegte sie zu sagen. Diese Pilze da sind mit Johannisbeerblättern und Muskatnüssen angerichtet, und das da sind große Feldnelken, es ist das erste Mal daß ich es versuche, sie mit Essig aufzukochen, ich weiß nicht, ob sie gut schmecken werden. Der Priester Iwan hat mir das Geheimnis mitgeteilt: man muß vor allem einen kleinen Zuber mit Eichenblättern auslegen, dann Pfeffer und Salz darauf streuen und zuletzt die Blüten von Mauseöhrchen darüber legen: aber so, daß die Schwänzchen alle nach oben zu liegen kommen. — Dies hier sind Pastetchen, mit Käsefüllung — die dort mit Schmalz, und das sind Afanassji Iwanowitschs Lieblingspasteten mit Kraut und Buchweizengrütze.“

„Ja,“ fügte Afanassji Iwanowitsch hinzu, „ich liebe sie sehr, sie sind so weich und etwas säuerlich.“

Pulcheria Iwanowna war überhaupt immer in bester Laune, wenn sie Besuch hatte. Die brave Alte! Sie ging vollkommen in ihren Gästen auf. Ich besuchte sie sehr gern, obgleich ich mich jedesmal schrecklich überaß, wie alle ihre Gäste, was mir sehr schädlich war, aber ich freute mich doch immer wieder, zu ihnen zu fahren. Übrigens glaube ich, daß die Luft in Kleinrußland eine besondere, die Verdauung befördernde Eigenschaft haben muß: wenn es hier jemand einfiele, sich so zu überessen, so würde er zweifellos sehr bald auf dem Tisch statt auf dem Bette liegen.

Die guten alten Leutchen .... Jedoch meine Erzählung nähert sich einem sehr traurigen Ereignis, das das Leben dieses friedlichen Winkels für immer veränderte. Dieses Ereignis wirkt um so überraschender, als es durch einen ganz belanglosen Vorfall verursacht wurde. Aber nach dem seltsamen Lauf der Welt haben kleine Ursachen noch immer große Wirkungen gezeitigt, und umgekehrt große Unternehmungen oft nur winzige Erfolge gehabt. Irgend ein Eroberer sammelt alle Kräfte seines Reichs und kämpft viele Jahre lang, seine Feldherrn zeichnen sich aus und werden berühmt, und die ganze Geschichte schließt mit der Eroberung eines Fleckchens Erde, auf welchem man kaum ein paar Kartoffeln pflanzen kann. Und umgekehrt, ein andermal geraten zwei Wurstfabrikanten aus zwei verschiedenen Städten wegen irgendeiner Bagatelle aneinander, der Streit zieht die Städte und alle Dörfer und Flecken mit hinein, und plötzlich ist das ganze Reich in Mitleidenschaft gezogen. Aber lassen wir diese Betrachtungen — sie gehören nicht hierher; ich liebe überhaupt keine Betrachtungen, die nur Betrachtungen bleiben.

Pulcheria Iwanowna besaß ein graues Kätzchen, welches fast immer zu einem Knäul zusammengeballt zu ihren Füßen lag. Manchmal streichelte Pulcheria Iwanowna es freundlich und kraute ihm mit den Fingern den Hals, den das verwöhnte Kätzchen so hoch als möglich emporstreckte. Man kann nicht gerade sagen, daß Pulcheria Iwanowna das Kätzchen besonders liebte, aber sie hatte sich daran gewöhnt, es immer bei sich zu haben. Afanassji Iwanowitsch neckte sie mitunter wegen ihrer Zuneigung zu dem Tierchen.

„Ich begreife nicht, was Sie an der Katze finden, Pulcheria Iwanowna, was für einen Nutzen hat sie? Wenn Sie noch einen Hund hätten, — das wäre ganz etwas anderes — einen Hund kann man mit auf die Jagd nehmen; aber was macht man mit einer Katze?“

„Schweigen Sie nur still, Afanassji Iwanowitsch. Sie wollen ja nur so reden, und weiter nichts. Ein Hund ist nicht reinlich, ein Hund macht viel Schmutz, und wirft alles um — aber eine Katze ist ein stilles Geschöpf, die wird niemandem etwas zuleide tun.“

Übrigens machte sich Afanassji Iwanowitsch weder aus Hunden noch Katzen etwas, er redete nur so, um Pulcheria Iwanowna wieder einmal zu necken.

Hinter dem Garten befand sich ein großer Wald, der von dem unternehmenden Verwalter bisher noch verschont geblieben war; vielleicht weil der Lärm des Fällens leicht bis zu den Ohren Pulcheria Iwanownas dringen konnte. Dieser Wald war sehr verwildert und verwahrlost; die alten Baumstämme waren mit wilden Haselnußsträuchern bewachsen und sahen wie befiederte Taubenfüße aus. In diesem Walde hausten auch wilde Waldkater. Diese wilden Waldkater darf man jedoch nicht mit jenen kühnen Helden verwechseln, die auf den Häuserdächern herumlaufen; sie sind in der Stadt trotz ihrer schlechten Manieren weit zivilisierter als im Walde. Die Waldkatzen sind dagegen ein finsteres und wildes Volk; sie sind immer elend und mager, und miauen mit einer groben, unartikulierten Stimme. Manchmal dringen sie durch unterirdische Gänge in die Speicher ein und stehlen Speck, oder sie springen durch das Küchenfenster, wenn sie merken, daß der Koch ins Feld gegangen ist. Überhaupt fehlt es ihnen an allen edleren Regungen, sie leben nur von Raub und würgen die jungen Sperlinge in den eigenen Nestern. Diese Kater hatten seit längerer Zeit ein Liebesverhältnis mit dem schüchternen Kätzchen Pulcheria Iwanownas angeknüpft, sie beschnüffelten es durch ein Loch im Speicher und lockten es endlich zu sich, so wie wohl ein Trupp Soldaten eine dumme Bauerndirne verführt. Pulcheria Iwanowna bemerkte bald das Verschwinden der Katze und schickte Leute aus, um sie zu suchen; aber die Katze konnte nicht aufgespürt werden. So vergingen drei Tage, Pulcheria Iwanowna bedauerte den Verlust der Katze, aber bald war sie ganz vergessen. Eines Tages, als Pulcheria Iwanowna eben ihren Gemüsegarten revidiert hatte und mit einer Menge eigenhändig gepflückter frischer Gurken für Afanassji Iwanowitsch zurückkehrte, vernahm sie zu ihrer Überraschung ein jämmerliches Miauen. Unwillkürlich lockte sie das Kätzchen, rief „Ksch, ksch“, und plötzlich kam eine graue, magere, elende Katze aus dem Steppengras hervorgekrochen, der man es deutlich ansah, daß sie schon einige Tage nichts zu fressen bekommen hatte. Pulcheria Iwanowna ließ nicht nach, sie zu rufen, aber die Katze blieb stehen, miaute und wagte es nicht, näher zu kommen; sie war augenscheinlich in der Zwischenzeit sehr verwildert. Pulcheria Iwanowna ging voraus und hörte nicht auf, die Katze zu locken, die ihr allmählich ängstlich bis zum Speicher nachschlich. Als die Katze jedoch die alten Plätze wiedererkannte, folgte sie ihrer Herrin bis ins Zimmer. Pulcheria Iwanowna befahl sogleich, ihr Milch und Fleisch zu bringen, setzte sich vor ihr nieder und freute sich über die Gier, mit der ihr Liebling ein Stück nach dem andern verschlang und die Milch ausleckte. Die graue Vagabundin wurde zusehends dicker und fraß schon nicht mehr so gierig. Pulcheria Iwanowna streckte die Hand aus, um sie zu streicheln, aber die Undankbare hatte sich offenbar schon zu sehr an die wilden Kater gewöhnt, oder sie hatte den Kopf voll romantischer Ideen und glaubte wohl, Armut und Liebe sei besser als ein Palast (und die Kater waren arm wie Kirchenmäuse), kurzum, sie sprang aus dem Fenster und keiner von den Knechten und Mägden vermochte sie einzufangen.

Die alte Frau wurde nachdenklich. „Der Tod ist zu mir gekommen,“ murmelte sie vor sich hin, und hinfort konnte sie nichts mehr zerstreuen.

Den ganzen Tag war sie traurig. Vergeblich scherzte Afanassji Iwanowitsch und wollte wissen, warum sie plötzlich so melancholisch geworden sei, Pulcheria Iwanowna schwieg, oder sie gab Antworten, die Afanassji Iwanowitsch unmöglich befriedigen konnten. Am nächsten Tage sah sie ganz verändert aus.

„Was fehlt Ihnen, Pulcheria Iwanowna? Am Ende sind Sie gar krank?“ „Nein, ich bin nicht krank, Afanassji Iwanowitsch! Ich muß Ihnen etwas sehr Merkwürdiges mitteilen. Ich weiß, daß ich diesen Sommer sterben werde: der Tod ist schon bei mir gewesen, um mich zu holen.“ Afanassji Iwanowitschs Mund verzog sich schmerzlich, aber er suchte das in seiner Seele aufsteigende traurige Gefühl zu überwinden und sagte lächelnd: „Gott weiß, was Sie reden, Pulcheria Iwanowna. Sie haben gewiß statt des üblichen Kräutertranks ein Gläschen Pfirsichschnaps getrunken!“

„Nein, Afanassji Iwanowitsch, ich habe keinen Pfirsichschnaps getrunken,“ antwortete Pulcheria Iwanowna.

Afanassji Iwanowitsch bereute, daß er Pulcheria Iwanowna geneckt hatte: er sah sie an, und eine Träne hing an seiner Wimper.

„Ich bitte Sie, Afanassji Iwanowitsch, erfüllen Sie meinen Wunsch,“ sagte Pulcheria Iwanowna, „und lassen Sie mich wenn ich sterbe, an der Kirchhofsmauer beerdigen. Ziehen Sie mir das graue Kleid an, wissen Sie — das mit den kleinen Blümchen auf dem braunen Saum. Ziehen Sie mir nicht das Atlaskleid mit dem himbeerroten Streifen an — Tote brauchen keine Kleider — was sollte ich auch damit? Aber Ihnen kann es noch von Nutzen sein, Sie können sich einen schönen Schlafrock daraus machen lassen: wenn Gäste kommen, können Sie sich doch sehen lassen, und sie würdig empfangen.“

„Gott weiß, was Sie da schwatzen, Pulcheria Iwanowna,“ sagte Afanassji, „wer kann denn wissen, wann er sterben wird, und Sie erschrecken mich jetzt mit solchen Worten.“

„Nein, Afanassji Iwanowitsch, ich weiß schon, wann ich sterben werde. Aber Sie dürfen nicht um mich trauern. Ich bin schon alt, wir werden uns bald im Jenseits wiedersehen.“

Aber Afanassji Iwanowitsch schluchzte wie ein Kind.

„Afanassji Iwanowitsch, es ist eine Sünde, so zu weinen. Versündigen Sie sich nicht an Gott, erzürnen Sie ihn nicht mit Ihrem Schmerz. Ich bedaure nicht, daß ich sterben soll, nur das eine tut mir leid (ein tiefer Seufzer unterbrach für einen Augenblick ihre Rede), es tut mir leid, daß ich nicht weiß, wem ich Sie anvertrauen soll. Wer wird für Sie sorgen, wenn ich sterbe? Sie sind ja wie ein kleines Kind — wer für Sie sorgen will, müßte Sie lieb haben!“ Und bei diesen Worten lag ein solch tiefes, herzinniges Mitleid in ihren Zügen, daß ich nicht weiß, ob ihr jemand in diesem Augenblick ohne Bedauern hätte in die Augen sehen können.

Hierauf wandte sie sich an die Wirtschafterin, die sie hatte rufen lassen, und sagte: „Paß mir auf, Jawdocha, und sorge für den Herrn, wenn ich sterbe, hüte ihn wie deinen Augapfel, und wie dein eigenes Kind. Achte darauf, daß man in der Küche stets seine Lieblingsgerichte kocht, und daß Du ihm immer reine Wäsche und reine Kleider gibst, achte darauf daß er anständig angezogen ist, wenn Gäste kommen: sonst kann es noch am Ende passieren, daß er im einen alten Schlafrock herauskommt, er vergißt doch jetzt schon manchmal, ob es Feiertag oder ein Wochentag ist. Laß ihn nicht aus den Augen, Jawdocha, ich werde in jener Welt für dich beten, und Gott wird dich belohnen. Vergiß nicht, Jawdocha, du bist schon alt, und hast auch nicht mehr lange zu leben, häufe keine Sünde auf deine Seele. Wenn du nicht auf den Herren acht gibst, so wirst du nie wieder glücklich werden auf dieser Erde, ich werde Gott selbst bitten, dir kein seliges Ende zu gewähren. Du selbst wirst unglücklich sein, deine Kinder werden unglücklich werden, und dein ganzes Geschlecht wird ohne Gottes Segen sein.“

Die arme Alte! In diesem Moment dachte sie nicht an den gewaltigen Augenblick, der ihrer harrte, nicht an ihre eigene Seele, noch an das zukünftige Leben — sie dachte nur an ihren armen Kameraden, mit dem sie ihr Leben geteilt und den sie nun verwaist und hilflos zurücklassen mußte. Mit der größten Geschäftigkeit und Eile richtete sie alles so ein, daß Afanassji Iwanowitsch nach ihrem Tode ihre Abwesenheit nicht merken sollte. Ihre Überzeugung von der Nähe ihres Todes war so stark, ihre Seele war so davon erfüllt, daß sie wirklich nach einigen Tagen bettlägerig wurde und keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen vermochte. Afanassji Iwanowitsch war die Aufmerksamkeit selbst, er wich keinen Augenblick von ihrem Bette. „Vielleicht sollten Sie doch etwas essen, Pulcheria Iwanowna,“ sagte er, und sah ihr ängstlich in die Augen. Aber Pulcheria Iwanowna sprach kein Wort. Endlich, nach langem Schweigen, schien es, als wollte sie etwas sagen, ihre Lippen bewegten sich, und — ihre Seele war entflohen.

Afanassji Iwanowitsch war aufs höchste betroffen. Das alles erschien ihm so unsinnig und schrecklich, daß er nicht einmal zu weinen vermochte. Trüben Auges blickte er auf die Tote, wie wenn er nicht verstünde, was dieser kalte Leichnam zu bedeuten hätte.

Man legte die Verstorbene auf den Tisch, zog ihr das Kleid an, welches sie sich selbst ausgesucht hatte, und gab ihr eine Wachskerze in die gefalteten Hände. Teilnahmslos sah er allem zu. Eine große Volksmenge aus den verschiedensten Ständen erfüllte den Hof; eine große Anzahl Gäste war zur Beerdigung gekommen; im Hofe wurden lange Tische gedeckt, Gebäck aus Reis und Rosinen (das russische Gericht, das bei keinem Totenmahl fehlen darf), Schnäpse und Kuchen standen in großen Massen umher, die Gäste weinten, betrachteten die Tote, unterhielten sich über ihren Charakter und sahen Afanassji Iwanowitsch an: er aber ging wie abwesend herum. Endlich trug man die Verstorbene hinaus, das Volk strömte hinterher, und auch er folgte mechanisch nach. Die Geistlichkeit erschien in vollem Ornat, die Sonne stand leuchtend am Himmel, die Säuglinge schrien auf den Armen ihrer Mütter, die Lerchen sangen, und eine Unzahl nur mit einem Hemde bekleideter Kinder lief durcheinander und tollte am Wege herum. Endlich stellte man den Sarg neben dem Grabe nieder, und bat ihn heranzutreten und die Verstorbene zum letztenmal zu küssen. Er trat hinzu und küßte sie, Tränen füllten seine Augen, aber es waren kalte, gefühllose Tränen. Der Sarg wurde hinabgelassen, der Priester ergriff als erster die Schaufel und warf eine Handvoll Erde hinunter: unter dem wolkenlosen Himmel stimmte der volle, langgezogene Chor des Vorsängers und zweier Kirchendiener das Lied vom ewigen Gedenken an. Die Totengräber ergriffen den Spaten, und bald füllte Erde das Grab und machte es dem Boden gleich. Da drängte Afanassji Iwanowitsch sich vor, und alle wichen zurück und machten ihm Platz, um zu sehen, was er tun würde. Er aber hob die Augen empor, blickte verstört um sich und sagte: „So also, ihr habt sie schon begraben! Warum ...? ...“ Er stockte und brachte den Satz nicht zu Ende. Aber als er nach Hause kam, und sah, daß sein Zimmer leer war, und daß sogar der Stuhl, auf dem Pulcheria Iwanowna zu sitzen pflegte, fehlte: da weinte er, da weinte er trostlos und bitterlich — und Tränenströme stürzten aus seinen trüben Augen.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Welches Leid stillt nicht die Zeit? Welche Leidenschaft hält stand im ungleichen Kampfe mit der Zeit? Ich kannte einen jungen blühenden Mann in voller Jugendkraft, erfüllt von Edelmut und herrlichen Gaben, ich kannte ihn damals, als er leidenschaftlich verliebt war: seine Liebe war zärtlich, glühend, wahnsinnig, brutal und schüchtern zugleich; und in meiner Gegenwart, fast vor meinen Augen, raffte der unersättliche Tod den Gegenstand seiner Liebe, — ein zartes, engelgleiches Mädchen dahin. Ich habe nie solch’ furchtbare Ausbrüche des Seelenschmerzes, eines wahnsinnigen, verzehrenden Jammers, und einer so brennenden Verzweiflung gesehen wie die, die den unglücklichen Liebenden durchrasten. Ich hätte nie gedacht, daß der Mensch selbst sich eine solche Hölle schaffen könnte, in der kein Schatten, kein Bild, — nichts vorhanden ist, was auch nur im entferntesten einer Hoffnung ähnlich sieht ... Man gab sich Mühe, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Man versteckte alle Waffen, mit denen er sich vielleicht hätte ein Leid antun können. Nach zwei Wochen aber hatte er plötzlich die Herrschaft über sich selbst wiedergewonnen, er begann wieder zu lachen und zu scherzen; man gab ihm die Freiheit, und das erste, wozu er sie benutzte, war — sich einen Revolver zu kaufen. Eines Tages wurden seine Verwandten durch einen plötzlichen Schuß aufgeschreckt: sie liefen hinzu und fanden ihn mit zerschmettertem Schädel. Der schnell herbeigerufene Arzt, dessen Kunst damals in aller Munde war, fand noch einige Lebenszeichen bei ihm, auch war die Wunde nicht unbedingt tödlich; und zu aller Erstaunen wurde er wieder hergestellt. Die Aufsicht über ihn wurde noch verschärft, sogar bei Tisch legte man nie ein Messer in seine Nähe. Man versuchte alles von ihm fern zu halten, womit er sich hätte töten können. Aber nur zu bald fand er wieder eine Gelegenheit und warf sich unter die Räder eines Wagens. Arme und Beine wurden ihm zerquetscht: aber auch diesmal genas er wieder. Ein Jahr später sah ich ihn in einer großen Gesellschaft. Er saß auf einem Stuhl und sagte fröhlich: „petit ouvert“, indem er eine Karte verdeckte; und hinter ihm, auf die Stuhllehne gestützt, stand seine junge Frau und spielte mit seinen Marken.

Fünf Jahre waren seit dem Tode Pulcheria Iwanownas vergangen, als ich wieder in diese Gegend kam. Ich fuhr nach dem Gut Afanassji Iwanowitschs, um meinen alten Nachbar zu besuchen, bei dem ich so manchen frohen Tag verbracht und mir so oft an den schmackhaften Erzeugnissen der liebenswürdigen Hausfrau den Magen verdorben hatte. Als ich in den Hof einfuhr, erschien mir das Haus um zehn Jahre älter: die Bauernhütten hatten sich zur Seite geneigt und ihre Bewohner wahrscheinlich auch; Zaun und Flechtwerk im Hofe waren ganz zerstört, und ich sah selbst, wie die Köchin einen Pfahl herauszog, um den Ofen anzuheizen, obwohl sie nur zwei Schritte hätte machen brauchen, um das dort aufgeschichtete Reisig zu erreichen. Melancholisch fuhr ich bei der Treppe vor; dieselben schwarzen und braunen Hunde, die aber jetzt schon blind waren oder verkrüppelte Beine hatten, schlugen an und wedelten mit ihren zottigen Schwänzen, die voller Kletten waren. Der Alte kam mir entgegen. Ja das war er! Ich erkannte ihn sofort, aber er war doppelt so tief zusammengesunken wie früher. Er erkannte und begrüßte mich mit dem wohlbekannten Lächeln. Ich trat nach ihm ins Zimmer. Es schien, als sei hier noch alles unverändert, aber ich entdeckte überall eine schreckliche Unordnung, — überall machte sich ein empfindlicher Mangel von etwas bemerkbar — mit einem Wort, ich empfand jenes Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir zum erstenmal die Wohnung eines Witwers betreten, den wir nie anders, als an der Seite seiner Lebensgefährtin gesehen haben, von der er sich nie trennte: Ein Gefühl, jenem gleich, das wir empfinden, wenn wir einen Menschen ohne Beine sehen, den wir nie anders als völlig gesund kannten. An allem merkte ich die Abwesenheit der sorgsamen Pulcheria Iwanowna; bei Tisch legte man ein Messer ohne Griff auf; die Speisen waren nicht mehr mit der gleichen Kunstfertigkeit zubereitet. Und nach der Wirtschaft wagte ich gar nicht erst zu fragen; ich fürchtete mich sogar, einen Blick in die Wirtschaftsräume zu werfen.

Als wir uns zu Tisch setzten, band das Mädchen Afanassji Iwanowitsch die Serviette vor; und es war gut, daß sie es tat, sonst hätte er seinen Schlafrock ganz mit Sauce begossen. Ich versuchte es, ihn ein wenig zu zerstreuen und erzählte ihm allerlei Neuigkeiten. Er hörte mir mit dem gleichen Lächeln zu, aber mitunter war sein Blick völlig abwesend; kein Gedanke leuchtete aus ihm hervor, und er war ganz leer. Häufig erhob er den Löffel mit dem Brei, aber statt ihn zum Munde zu führen, führte er ihn zur Nase; statt mit seiner Gabel ein Stück Hühnchen aufzuspießen, stieß er mit ihr gegen die Karaffe, und dann nahm das Mädchen seine Hand und führte sie zum Huhn. Manchmal mußten wir einige Minuten lang warten, bis das nächste Gericht aufgetragen wurde. Afanassji Iwanowitsch bemerkte es auch und sagte: „Warum bringt man uns denn so lange nichts zu essen?“ Aber ich sah durch den Spalt, daß der Junge, welcher uns bediente, garnicht darauf achtete, sondern den Kopf auf die Bank gelehnt, dalag und schlief.

„Diese Speise,“ sagte Afanassji Iwanowitsch, als man uns eine sogenannte Nonne mit saurer Sahne vorsetzte, „diese Speise,“ fuhr er fort, und ich spürte wie seine Stimme zu zittern begann und Tränen seine bleischweren Augen erfüllten, — aber er nahm alle Kraft zusammen, versuchte sich zu beherrschen — „diese Speise, welche die Ver — Ver — Verstorb .....“ und plötzlich schluchzte er laut auf, die Hand sank auf den Teller, der Teller fiel zu Boden und zerbrach, und die Sauce ergoß sich über ihn. Er saß wie leblos da, steif hielt er den Löffel in der Hand, und Tränenbäche flossen, wie ein nie versiegender Quell in Strömen auf die vorgebundene Serviette.

Ich sah ihn an und dachte: „Mein Gott, fünf Jahre der alles verschlingenden Zeit — und nun ist er ein Greis, ein stumpfsinniger Greis, er, dessen Leben scheinbar nie durch eine starke Gemütsbewegung erschüttert worden war, dessen ganzes Leben darin bestand, auf einem hohen Stuhl zu sitzen, und getrocknete Fische oder Beeren zu verzehren, — oder harmlose Geschichten anzuhören: und nun dieser heiße, nie endende Gram! Was ist denn das Stärkere in uns: die Leidenschaft oder die Gewohnheit? Sind unsere heftigen Ausbrüche, ist der Sturm unserer Wünsche nur eine Folge der glühenden Jugend, und scheinen sie uns nur deshalb so schrecklich und verwirrend, weil wir jung sind?“ Wie dem auch sein mag, in jenem Augenblick schienen mir all unsere Leidenschaften so kindisch im Vergleich zu dieser allmählichen, fast unbewußten Gewöhnung. Wiederholt versuchte er den Namen der Verstorbenen auszusprechen: aber schon bei der ersten Hälfte des Wortes verzerrte sich sein sonst so ruhiges, indifferentes Gesicht, und sein kindliches Weinen drückte mir das Herz ab. Nein, das waren andere Tränen als die, die alte Leute so leicht bei der Hand haben, wenn sie uns von ihrer trüben Lage und ihrem Unglück vorjammern; das waren auch nicht jene Tränen, die sie so leicht bei einem Glas Punsch vergießen: nein das waren Tränen, die ungewünscht und ungerufen hervorströmten, gehäuft durch das schneidende Weh eines schon erkalteten Herzens.

Er lebte nicht mehr lange. Vor kurzem hörte ich, daß er gestorben sei. Und ist es nicht seltsam, daß die Art seines Todes eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Pulcheria Iwanownas hatte. Eines Tages sollte Afanassji Iwanowitsch ein wenig im Garten spazieren gehen. Als er langsam und gedankenlos in seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit des Weges einherschritt, da ereignete sich ein merkwürdiger Zufall. Er vernahm plötzlich, wie jemand hinter ihm mit klarer Stimme seinen Namen rief: „Afanassji Iwanowitsch!“ Er drehte sich um, aber es war niemand da. Er spähte nach allen Seiten, blickte hinter die Büsche, — aber er konnte niemand entdecken. Der Tag war still, und die Sonne strahlte am Himmel. Einen Augenblick versank er in Nachdenken, dann belebten sich seine Züge, und endlich sagte er. „Das ist Pulcheria Iwanowna — sie ruft mich!“

Sicherlich hat schon so mancher Leser einmal eine Stimme gehört, die ihn beim Namen ruft; der Volksmund erklärt das so, daß eine Seele sich vor Sehnsucht nach einem Menschen verzehrt und ihn ruft: die Folge aber sei unbedingt der Tod. Ich muß gestehn, mir war solch ein geheimnisvolles Rufen immer unheimlich. Ich erinnere mich, es in meiner Kindheit recht oft gehört zu haben: manchmal sprach plötzlich hinter mir jemand meinen Namen aus. Gewöhnlich war es ein besonders klarer und sonniger Tag, im Garten regte sich kein Blatt an den Bäumen; überall herrschte eine beklemmende Stille, selbst die Grille verstummte um diese Tageszeit, und keine Menschenseele war im Garten. Und doch muß ich sagen: hätte mich die fürchterlichste, stürmischste Nacht mit der ganzen Hölle der entfesselten Natur im einsamen Urwalde überfallen: ich wäre nicht so erschrocken gewesen, wie bei dieser schauervollen Stille mitten an diesem wolkenlosen Tag! Gewöhnlich lief ich dann, halb wahnsinnig vor Schreck, atemlos aus dem Garten und beruhigte mich erst, wenn irgend ein Mensch mir entgegenkam, dessen Anblick die furchtbare Öde aus meinem Herzen verjagte. — Er gab sich ganz der Überzeugung hin, daß Pulcheria Iwanowna ihn gerufen habe. Er unterwarf sich wie ein Kind, magerte ab, hüstelte und schmolz dahin, wie eine Kerze und verlöschte endlich wie diese, wenn nichts mehr vorhanden ist, was ihre Flamme speist.

„Legt mich neben Pulcheria Iwanowna“ — das war alles, was er vor seinem Tode zu sagen vermochte.

Man erfüllte seinen Willen und beerdigte ihn neben der Kirche, ganz in der Nähe von Pulcheria Iwanownas Grab. Diesmal waren weniger Gäste zur Beerdigung erschienen, dafür aber zahlreiche arme Leute und Bettler. Das Herrenhaus wurde jetzt ganz leer. Der unternehmende Verwalter und der Dorfälteste trugen all die altertümlichen Gegenstände und alles Hausgerät, was die Wirtschafterin übrig gelassen hatte, mit sich fort.

Bald erschien, Gott weiß woher, irgend ein entfernter Verwandter, der Erbe des Gutes; er war ein großer Reformer, und hatte, ich weiß nicht mehr, in welchem Regiment als Leutnant gedient. Er bemerkte sofort die große Unordnung und Verwahrlosung in der Wirtschaft und beschloß dies alles mit Stumpf und Stil auszurotten, zu reformieren und eine neue Ordnung einzuführen. Er schaffte sich sechs prachtvolle englische Sicheln an, ließ an jeder Hütte eine Nummer befestigen und richtete alles so vortrefflich ein, daß das Landgut nach sechs Monaten unter Kuratel gestellt wurde. Die wohlweise Vormundschaft (welche aus einem ehemaligen Assessor und irgend einem Stabsoffizier in einer verblichenen Uniform bestand), vertilgte in kürzester Zeit alle Hühner und Eier. Die Hütten, welche schon fast auf der Erde lagen, stürzten jetzt völlig ein, die Bauern ergaben sich dem Trunk und machten sich zum größten Teil aus dem Staube. Der Besitzer, der im übrigen mit seinen Vormündern auf freundschaftlichem Fuße lebte und mit ihnen Punsch trank, kam nur höchst selten auf sein Gut und verweilte nie lange dort. Er fährt bis heute auf allen Jahrmärkten Kleinrußlands umher und erkundigte sich genau nach den Preisen für die Erzeugnisse: als da sind: Mehl, Hanf, Honig usw., die en gros verkauft werden, aber er selbst kauft nur Kleinigkeiten: wie Feuersteine, einen Nagel zum Reinigen der Pfeife und überhaupt alles, was im Gesamtpreis den Wert eines Rubels nicht übersteigt.

Taraß Bulba. Eine Erzählung

Übersetzt von
Eugenie Chmelnitzky

Erstes Kapitel

Dreh dich mal um, Junge! Siehst du aber komisch aus! Was tragt ihr denn da für Talare? Geht ihr auf der Akademie alle so angezogen?“

Mit diesen Worten begrüßte der alte Bulba seine beiden Söhne, die im Seminar von Kiew studiert hatten und nun in das väterliche Haus zurückkamen.

Die jungen Leute waren eben vom Pferde gestiegen. Das waren zwei derbe Burschen, ernst und mißtrauisch dreinschauend wie alle, die das Seminar erst eben verlassen haben. Auf ihren frischen, wetterfesten Gesichtern keimte schon der erste Flaum, den noch kein Rasiermesser berührt hatte. Sie waren ganz verblüfft über den Empfang, den ihr Vater ihnen bereitet hatte, und standen mit unbeweglich zur Erde gesenkten Augen da.

„Halt, so laßt euch doch erst mal gründlich ansehen,“ fuhr er fort, indem er sie hin- und herschob und sie von allen Seiten betrachtete.

Herrgott, habt ihr lange Kittel an! So etwas gibt es ja gar nicht wieder! Lauft doch mal ein bißchen herum. Ich will doch mal sehen, ob ihr nicht über eure eigenen Rockschöße stolpert und hinfallt.“

„Vater, hör doch auf und laß die Scherze,“ sagte endlich der Ältere.

„So ein stolzer Bursche! Und warum soll man denn nicht einmal lachen können?“

„Weil es mir nicht gefällt. Du bist zwar mein Vater, aber wenn du dich über mich lustig machst — bei Gott, so prügle ich dich durch!“

„Na, du bist ja ein netter Sohn! Was sagst du? Mich verprügeln?“ rief Taraß Bulba und trat vor Erstaunen einige Schritte zurück.

„Jawohl, wenn es sein muß, prügele ich auch den eigenen Vater durch. Ich lasse mich von niemandem beleidigen, von niemandem!“

„Und wie willst du dich mit mir schlagen? Welche Waffe wünschst du? Etwa die Faust?“

„Das ist mir völlig gleichgültig.“

„Na, dann meinetwegen los,“ sagte Bulba und streifte seine Ärmel auf, „ich will doch mal sehen, ob du im Faustkampf deinen Mann stellen kannst.“

Und statt sich nach so langer Trennung herzlich zu begrüßen und zu plaudern, begannen Vater und Sohn aufeinander loszuschlagen, daß es nur so von Rippenstößen und Faustschlägen auf Leib und Brust und Bauch hagelte. Bald traten sie zurück und blickten sich an, bald gingen sie wieder aufeinander los.

„Seht euch das nur mit an, liebe Leute, der Alte ist ganz verrückt geworden, ganz und gar verrückt,“ sagte die blasse, magere, gute Mutter, die auf der Schwelle stand und noch nicht dazu gekommen war, ihre teuren Sprößlinge zu umarmen. „Eben sind die Kinder nach Hause gekommen, man hat sie über ein Jahr nicht gesehen; ihm aber rappelt’s, und er beginnt mit Fäusten auf sie einzuschlagen.“

„Ja, der drischt wundervoll,“ sagte Bulba und trat zurück. „Bei Gott, das hat er fein raus,“ fuhr er fort, indem er sich etwas verschnaufte, „es wäre beinahe besser gewesen, ihn nicht erst in Versuchung zu bringen. Das gibt mal einen prachtvollen Kosaken. Ausgezeichnet, mein Junge, und jetzt wollen wir uns endlich ein paar ordentliche Küsse geben.“ Und Vater und Sohn küßten sich. „Brav, mein Junge! Prügle nur jeden so durch, wie eben mich! Laß dir nichts gefallen. Aber Dein Anzug ist wirklich ein bißchen komisch. Was baumelt denn da herunter? — Na und du? Was stehst du da und läßt die Arme hängen?“ wandte er sich an den Jüngeren. „Warum drischst du nicht auch auf mich los, du Hundsfott?“

„Das ist wieder ein echter Einfall von dir,“ sagte die Mutter und umarmte den Jüngeren. „Wie einem nur so etwas in den Kopf kommen kann! Das eigene Kind soll seinen Vater prügeln! Ja, als ob jetzt Zeit dazu wäre, wo das arme Kind eben einen so weiten Weg zurückgelegt hat und noch ganz müde ist — (das Kind war über zwanzig Jahre alt und genau einen Klafter groß) — Es müßte sich jetzt ausruhen und etwas essen. Und du zwingst ihn, sich mit dir herumzuschlagen.“

„Na, du bist mir der Rechte, das sehe ich schon,“ sagte Bulba. „Höre nicht auf ihre Reden, mein Junge, sie ist ein Weib und versteht nichts davon. Solch eine Verzärtelung! Das weite Feld und ein gutes Pferd — das ist eure Erholung! Hm, seht ihr diesen Säbel? Das ist eure rechte Mutter! Das ist alles Schund, was man euch in die Köpfe gestopft hat: die Akademien, die Bücher, die Fibeln, die Philosophie und dieser ganze gelehrte Kram — ich pfeife auf das alles!“ (Hier bediente sich Bulba eines Wortes, das sich nicht gut drucken läßt.)

„Na, es ist schon das beste, ich bringe euch nächste Woche gleich zu den Saporoger Kosaken. Das ist eine Wissenschaft, das ist die wahre Wissenschaft und die richtige Schule für euch. Dort werdet ihr erst zu Verstande kommen!“

„Was, nur eine Woche sollen sie hier bleiben?“ jammerte die alte, dürre Mutter mit Tränen in den Augen, „die Armen sollen sich nicht einmal ein bißchen erholen können, nicht das Vaterhaus kennen lernen, und ich werde mich nicht einmal richtig satt sehen können an ihnen!“

„Genug, genug, hör auf zu heulen, Alte! Der Kosak ist nicht dazu da, sich mit Weibern herumzuplacken. Du möchtest sie dir wohl am liebsten unter den Rock stecken? und auf ihnen herumsitzen wie auf Hühnereiern! Schnell, schnell, geh und deck den Tisch und bring uns, was da ist. Plätzchen, Honigkuchen, Mohnstritzel und ähnliche Kindereien kannst du dir schenken! Schaff lieber einen ganzen Hammel heran und eine Ziege, und vierzigjährigen Meth dazu. Und recht viel Schnaps, aber keinen mit allerlei Unfug, mit allerhand Zusätzen, Rosinen und ähnlichen Geschichten, sondern einen unverfälschten, prickelnden, schäumenden Schnaps, der einen brennt wie toll.“

Und Bulba führte seine Söhne in die gute Stube, aus der bei ihrem Eintritt zwei hübsche Dienstmädchen mit goldfarbenen Halsbändern herausliefen, die gerade die Zimmer aufräumten. Anscheinend waren sie über die Ankunft ihrer jungen Herren, denen man nicht gerade übertriebene Freundlichkeit nachsagte, erschrocken, oder sie wollten nach Weiberart, aufschreien, den fremden Männern entfliehen und sich lange schamhaft mit dem Ärmel die Augen verdecken. Die Stube war im Geschmack jener Zeit ausgestattet, an die sich nur noch in den Balladen und Volksliedern, wie sie früher in der Ukraine vor versammeltem Volk von blinden Greisen zu den stillen Klängen der Bandura gesungen wurden, eine lebendige Erinnerung erhalten hatte im Geschmack jener kampflustigen, rauhen Zeit, da in der Ukraine die Gefechte und Schlachten gegen die Union begannen. Alles war sauber und mit farbigem Ton bestrichen. An den Wänden hingen Säbel, Peitschen, Vogel- und Fischnetze, Waffen, ein schön gearbeitetes Pulverhorn, ein goldener Zaum und Zügel mit silbernen Beschlägen. Die Fenster dieser Stube waren klein, mit runden, trüben Scheiben, wie man sie wohl in alten Kirchen antrifft, und durch die man nur hindurch schauen kann, wenn man die eine bewegliche Scheibe hinwegschiebt. Fenster und Türen hatten rote Vorhänge. In den Ecken standen Krüge, große und kleine Flaschen aus grünem und blauen Glase, ziselierte silberne Becher, vergoldete Tassen von mannigfaltigster Arbeit: venezianische, türkische und tscherkessische, die auf mancherlei Wegen, aus dritter und vierter Hand, wie es in jenen tollen Zeiten üblich war, in die Stube des alten Bulba gelangt waren. Stühle aus Birkenholz standen ringsum an den Wänden, in der Vorderecke unter den Heiligenbildern ein ungeheurer Tisch, ferner ein breiter Ofen mit Stufen, Vorsprüngen und bunten farbigen Kacheln — das alles war unsern beiden tapfern Jünglingen wohlbekannt, die alljährlich während der Ferien nach Hause wanderten — wobei sie ihre Füße gebrauchen mußten, weil sie noch keine Pferde hatten, und da es zu jener Zeit noch nicht Sitte war, daß Schüler ritten. Sie hatten noch lange, flatternde Mähnen, an denen sie jeder waffentragende Kosak packen durfte. Erst nach ihrer Entlassung aus der Schule hatte ihnen Bulba ein paar junge Hengste aus seiner Herde geschickt.

Zur Feier der Ankunft seiner Söhne ließ Bulba alle anwesenden Hauptleute und Regimentskommandeure versammeln, und als zwei von ihnen sowie der Unterhetman Dmitro Towkatsch, sein alter Kampfgenosse, erschienen, stellte er ihnen sofort seine Söhne vor und sagte: „Seht euch mal die tapfren Jungens an! Ich will sie bald nach der Sjetsch schicken.“ Die Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute, und versicherten ihnen, daß das wohlgetan wäre, es gäbe für einen jungen Mann überhaupt keine bessere Schule als die Saporoger Sjetsch.

„Nun Brüder, nehmt alle am Tisch Platz. Da, wo es jedem am bequemsten ist. Und jetzt, meine Jungens, wollen wir vor allen Dingen einen Schnaps trinken,“ sagte Bulba. „Gott segne euch! Bleibt gesund, Kinder. Dein Wohl Ostap und deins Andrij. Gott gebe, daß ihr in der Schlacht immer Sieger bleibt, daß ihr alle Heiden, die Türken und die Tataren vernichtet, und wenn die Polen unsern Glauben antasten wollen, so gebt es auch ihnen ordentlich! Gib mal dein Glas her! He, der Schnaps ist gut? Wie heißt eigentlich Schnaps auf lateinisch? Ja, ja, das waren alles Dummköpfe, die Lateiner, die wußten nicht einmal, daß es Schnaps auf der Erde gibt. Wie hieß doch der, der lateinische Verse geschrieben hat. Ich kann nicht viel lesen und schreiben, und weiß es darum nicht mehr recht ... Horaz, hieß er nicht Horaz?“

„Sieh mal einer den Vater an,“ dachte der ältere Bruder Ostap, „der alte Mops weiß alles und verstellt sich so.“

„Ich mein’, der Archimandrit hat euch nicht einmal Schnaps zu riechen gegeben,“ fuhr Taraß fort, „aber gesteht mal Jungens, man hat euch doch den Rücken und alles, was ein Kosak sonst noch hat, tüchtig mit Birken- und frischen Kirschenruten bestrichen? Oder hat’s wohl gar Peitschenhiebe gegeben, da ihr mir schon gar zu klug zu sein scheint. Man hat euch wohl nicht nur Sonnabends, sondern auch am Mittwoch und Donnerstag damit regaliert?“

„Laß das doch, Vater“, sagte Ostap kaltblütig, „was geschehen ist, ist geschehen.“

„Mag’s doch jetzt mal einer versuchen!“ sagte Andrij, „er soll nur kommen, und uns anrühren; wenn mir so ein Tatarenkerl in den Weg käme, der sollte schon erfahren, was ein Kosakensäbel für ein Ding ist.“

„Brav, Söhnchen, brav, bei Gott. Wenn die Sache so steht, so fahre ich selbst mit euch. Bei Gott, das tu ich. Was zum Teufel, soll ich denn hier sitzen und warten? Soll ich etwa Buchweizen säen, nach den Schafen und Schweinen schauen, den Hauswirt spielen oder gar mit meinem Weib schön tun? Der Teufel soll sie holen, ich bin ein Kosak und mache solche Dinge nicht! Was macht’s, daß es jetzt keinen Krieg gibt! Ich gehe mit euch zu den Saporogern — ich will mich dort ein wenig austoben. Bei Gott, ich fahre mit.“

Und der alte Bulba regte sich immer mehr und mehr auf, und geriet endlich vollkommen in Zorn, stand auf, stampfte mit dem Fuß und nahm eine energische Haltung an. „Morgen geht’s los. Wozu sollen wir es aufschieben! Welchen Feind können wir denn hier abfangen? Was soll mir diese Hütte? Wozu brauchen wir das alles? Wozu sind diese Töpfe?“ Und bei diesen Worten nahm er die Töpfe und Flaschen, warf sie auf den Boden und zertrümmerte sie. Die arme alte Frau, die an dies Benehmen ihres Mannes schon gewöhnt war, saß auf der Bank und sah traurig vor sich hin. Sie wagte nichts zu sagen: als sie jedoch von dem schrecklichen Entschluß ihres Mannes hörte, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten; sie sah ihre Kinder an, von denen sie sich so schnell trennen sollte — und niemand hätte wohl die ganze stumme verhaltene Kraft ihres Kummers beschreiben können, der, wie es schien, in ihren Augen und den krampfhaft aufeinandergepreßten Lippen zitterte.

Bulba war schrecklich eigensinnig. Das war einer jener Charaktere, wie sie nur in dem harten XV. Jahrhundert, in einem von halben Nomaden bewohnten Winkel Europas geboren werden konnten, als noch das ganze alte Süd-Rußland, von seinen Fürsten verlassen, durch die unaufhaltsamen Überfälle der mongolischen Räuber von Grund auf verwüstet und verheert wurde; als die Menschen ihres Herdes und jeglicher Habe beraubt, immer tollkühner und verwegener wurden, sich im Angesicht der ständigen Gefahr und der furchtbaren Feinde in ihren abgebrannten Häusern niederließen und sich, der Furcht spottend — daran gewöhnten, dem Kampf mutig ins Auge zu schauen; als der alte, friedliche slavische Geist von der kriegerischen Flamme erfaßt wurde, als das Kosakentum, dieses machtvolle Symbol der russischen Natur, erstand und alle an den Flüssen gelegenen Gegenden, alle Fähren und alle niedrigen und bequem liegenden Plätze von Kosaken überschwemmt wurden, deren Zahl niemand anzugeben wußte und deren kühne Kameraden einem Sultan auf seine Frage nach ihrer Anzahl antworten durften:

„Wer soll das wissen? Die ganze Steppe ist mit ihnen übersät, und wo sich nur ein Hügelchen erhebt, da ist auch schon ein Kosak.“ Es war wirklich eine ungewöhnliche Erscheinung der russischen Kraft, die der Feuerstrahl des Unglücks aus der russischen Brust geschlagen hatte. An Stelle der früheren Lehnsgüter, der mit Hundewärtern und Oberjägermeistern bevölkerten kleinen Städte, an Stelle der kleinen Fürsten, die sich gegenseitig bekriegten und ihre Städte verhandelten, entstanden trotzige Niederlassungen, Kosakendörfer und Ortschaften, die durch die gemeinsame Gefahr und den Haß gegen die heidnischen Räuber verbunden waren. Es ist jedem aus der Geschichte bekannt, wie ihr ewiger Kampf und ihr ruheloses Leben Europa vor den beständigen Angriffen der Mongolen gerettet haben, die es zugrunde zu richten drohten. Die polnischen Könige, die an Stelle der Lehnsfürsten die Herrscher dieser großen Ländereien geworden waren, begriffen — obgleich sie zu weit entfernt und zu schwach waren — sehr wohl die Bedeutung der Kosaken und den Vorteil dieses so kampffrohen und wachsamen Lebens.

Sie spornten die Kosaken sogar an und leisteten ihren Neigungen Vorschub. Unter ihrer durch ihre Entfernung nur wenig drückenden Herrschaft schufen die Hetmane, die selbst aus der Mitte der Kosaken gewählt wurden, die Dörfer und Ansiedelungen in regelrechte Truppenlager und Reviere um. Dies waren zwar keine regulären Truppen — die hätte man hier vergebens gesucht — aber im Kriegsfall, wenn eine allgemeine Bewegung durch das Land ging, stellte sich jeder Kosak in höchstens acht Tagen hoch zu Roß in voller Rüstung ein. Ein jeder erhielt vom Könige für seine Dienste nur einen Dukaten, und doch wurde innerhalb zwei Wochen ein solches Heer aufgestellt, wie es keine Rekruten-Aushebung hätte schaffen können. Wenn der Krieg beendet war, kehrte jeder Krieger zu seinen Wiesen und Weideplätzen, oder zu den Ufern des Dniepr zurück, lebte dort als Fischer weiter, handelte, braute Bier, und wurde wieder ein freier Kosak.

Die Ausländer waren damals mit Recht erstaunt über die außerordentlichen Fähigkeiten des Kosaken. Es gab kein Gewerbe, das er nicht verstand: Wein keltern, Wagen bauen, Pulver mahlen, Schmiede- und Schlosserarbeiten verrichten und dazu die ganzen Nächte hindurch bummeln, trinken und zechen, wie nur irgend ein Russe das vermag — das alles war so recht nach seinem Geschmack. Neben den registrierten Kosaken, die es für ihre unabweisliche Pflicht hielten, sich im Kriegsfalle zur Verfügung zu stellen, konnte man im Notfalle auch noch jederzeit ganze Scharen von Freiwilligen zusammenbringen; zu diesem Zwecke mußten die Unterhauptleute nur einmal durch alle Märkte und Plätze der Dörfer und Städtchen hindurchfahren und von ihren Wagen herab laut verkündigen: „Hallo, ihr Bierbäuche und Bierbrauer! Hört doch endlich auf, immer nur Bier zu brauen, hinter dem Ofen herumzuliegen und die Fliegen mit euren dicken Wänsten zu mästen. Macht euch auf, Ruhm und Ritterehre zu erwerben! Hallo, ihr Ackerleute, ihr Bauern, Schafhirten und Weiberknechte! Ihr seid lange genug hinter dem Pfluge einhergelaufen, habt eure gelben Stiefel mit Erde beschmutzt und mit den Weibern scharwenzelt. Wollt ihr eure Ritterehre ganz vergessen? Auf, Kerls, es ist Zeit, wieder Kosakenruhm zu erwerben!“ Solche Worte waren gleich Funken, die in trockenes Holz fielen. Der Ackermann zerbrach seinen Pflug, die Bierbrauer verließen ihre Kübel und zertrümmerten ihre Fässer, die Händler und Handwerker ließen ihr Handwerk und ihren Laden zum Teufel gehen, zerbrachen zu Hause das Geschirr, und wer es nur irgendwie durchsetzen konnte, schwang sich aufs Pferd. Kurz, der russische Charakter kam hier mächtig und herrlich zur Entfaltung und zeigte sich in einer neuen, kräftigen Gestalt.

Taraß gehörte noch zu den alten Kosakenhäuptlingen von echtem Schrot und Korn: sein ganzer Charakter war dazu angetan, die Gefahren und die Unruhe des Krieges auf sich zu nehmen, und er zeichnete sich durch ein grobes, aber offenes und gerades Wesen aus. Damals machte sich bereits der Einfluß Polens im russischen Adel bemerkbar. Viele hatten polnische Sitten angenommen, führten ein üppiges Leben, besaßen eine glänzende Dienerschaft, Falken, Hunde und ein großes Gefolge, und hielten zudem rauschende Feste und Bankette ab. All das war Taraß verhaßt. Er liebte das einfache Leben der Kosaken, entzweite sich oft mit seinen Genossen, die der Warschauer Art zugeneigt waren, und nannte sie Sklaven der polnischen Pane. Nie gönnte er sich Ruhe und er hielt sich für den rechtmäßigen Beschützer der rechtgläubigen Kirche. Unerwartet und eigenmächtig kam er in die Dörfer, wo man über den Druck der Pächter oder über die allzu harten neuen Steuern klagte, die auf den Höfen lasteten. Dort hielt er selbst inmitten seiner Kosaken Gericht ab. Er hatte es sich zur Regel gemacht, in drei Fällen stets zum Säbel zu greifen, erstlich wenn die Kommissare den Ältesten der Gemeinde nicht die nötige Achtung erweisen wollten und mit der Mütze auf dem Kopfe vor ihnen standen; zweitens, wenn sie über die rechtgläubige Kirche spotteten und die Sitten der Vorfahren belächelten, und endlich drittens: wenn es sich um Feinde, Türken und Mohammedaner handelte, gegen die er es stets für erlaubt hielt, zum Ruhme der Christenheit das Schwert zu ziehen.

Jetzt freute er sich schon im voraus bei dem Gedanken, mit seinen beiden Söhnen in der Sjetsch einzutreffen und dort laut verkündigen zu können: „Seht mal her, was ich euch für tüchtige Kerle mitgebracht habe!“ Er freute sich darauf, sie all seinen kampferprobten Freunden zu zeigen und dann ihre ersten großen Taten in der Kriegs- und Fechtkunst, die er ebenfalls für die Haupttugend eines Ritters hielt, miterleben zu dürfen. Zuerst wollte er sie allein fortschicken; aber angesichts ihrer frischen Jugend, ihres kräftigen Wuchses und ihrer männlichen Schönheit loderte sein kriegerischer Geist empor, und er beschloß, sich schon am nächsten Tage selbst mit ihnen auf den Weg zu machen, wenn ihn auch keine andere Notwendigkeit zu dieser Reise veranlaßte, als allein sein eigensinniger Wille. Er war bereits aufs äußerste beschäftigt und erteilte Befehle, wählte die Pferde, Geschirr und Sattelzeug für seine jungen Söhne aus, sah sich in den Ställen und Speichern um und bestimmte die Diener, die morgen mit ihnen zusammen aufbrechen sollten. Seine Ämter übergab er dem Unterhauptmann Towkatsch, und befahl ihm zugleich aufs strengste, sich unverzüglich mit der ganzen Schar einzufinden, sowie er aus der Sjetsch eine Nachricht von ihm erhalte. Obgleich er noch ein wenig angeheitert war, und der Branntwein noch in seinem Kopfe rumorte, vergaß er doch nichts: er befahl sogar, die Pferde zu tränken, ihnen den schönsten und besten Weizen in die Krippe zu schütten, und kam endlich ganz ermüdet von all seinen Besorgungen zu Hause an.

„Jetzt heißt es, ausschlafen, Kinder, und morgen, da machen wir, was Gott uns eingiebt. Ja, und mach uns keine Betten zurecht. Wir brauchen kein Bett; wir werden auf dem Hofe schlafen.“

Die Nacht hatte ihre Schwingen noch kaum über den Himmel gebreitet, aber Bulba pflegte sich stets früh zur Ruhe zu begeben. Er streckte sich auf dem Teppich aus und bedeckte sich mit einem kurzen Schafspelz, denn die Nachtluft war ziemlich frisch, und Bulba hüllte sich gern tüchtig ein, wenn er zu Hause war. Es dauerte nicht lange, da begann er schon zu schnarchen, und bald folgte der ganze Hof seinem Beispiel; alles, was in den verschiedenen Ecken herumlag, schnarchte, pfiff und grunzte in den verschiedensten Tönen im schönsten Konzert. Zuallererst schlief der Wächter ein: er hatte zur Feier der Ankunft der jungen Herren am meisten getrunken.

Nur die arme Mutter schlief nicht. Sie schlich sich an das Kopfende ihrer Herren Söhne, die nebeneinander lagen, kämmte ihre jungen, wirren Locken mit einem Kamme und netzte sie mit ihren Tränen. Sie blickte sie an, blickte sie vollen Herzens an, als wäre sie ganz Auge geworden — und konnte sich nicht satt an ihnen sehen. Sie hatte sie an ihrer eigenen Brust genährt; hatte sie selbst gehegt und gepflegt und großgezogen — und jetzt sollte sie sie nur einen kurzen Augenblick bei sich sehen!

„Meine Söhne, meine lieben Söhne! Was wird aus euch werden? Was erwartet euch?“ sagte sie, und die Tränen blieben in den Runzeln hängen, die ihr einstmals so schönes Gesicht gänzlich verändert hatten. Wirklich, sie war zu bedauern, wie jede Frau in dieser kampflustigen Zeit. Nur einen Augenblick hatte sie die Liebe, die ersten hitzigen Triebe der Leidenschaft, die erste stürmische Glut der Jugend kennen gelernt, und schon hatte ihr rauher Geliebter sie verlassen, um sie gegen den Säbel, die Kameraden und Zechgelage einzutauschen. Gewöhnlich sah sie ihren Mann zwei, drei Tage im Jahr; es kam aber auch vor, daß sie jahrelang nichts von ihm hörte. Aber selbst wenn sie ihn dann sah, wenn sie zusammen lebten — was war das für ein Leben! Sie mußte jede Beleidigung über sich ergehen lassen, sie erhielt sogar Schläge, und die Liebkosungen, die ihr zuteil wurden, warf man ihr nur wie aus Gnade hin. Sie war ein seltsames Wesen, mitten in diesem Kreise unbeweibter Reiter, denen das unbändige Saporoger Leben seinen rauhen Charakter mitgeteilt hatte. Ihre an Glück und Genüssen arme Jugend war dahingeschwunden; ihre wunderschönen frischen Wangen und Brüste waren ungeküßt verblüht und hatten sich vorzeitig mit Runzeln bedeckt. Alle Liebe, alle Gefühle, alles was eine Frau an Zartheit und Leidenschaft in sich birgt, hatte sich bei ihr ausschließlich in mütterliches Empfinden verwandelt. Voller Glut und Leidenschaft, und mit Tränen in den Lidern hing sie wachsam wie eine Steppenmöve an ihren Kindern. Ihre Söhne, ihre lieben Söhne sollten ihr genommen werden — und sie würde sie niemals wiedersehen! Wer weiß, vielleicht würden die Tataren ihnen schon in der ersten Schlacht die Köpfe abhauen, und sie würde nie erfahren, wo ihre Leiber hingekommen seien, die unbeachtet am Wege lagen und die vielleicht ein vorbeifliegender Raubvogel zerfleischte. Wie gern hätte sie für jeden Tropfen ihres Blutes ihr ganzes Leben hingegeben! Weinend schaute sie ihnen in die Augen, die der allmächtige Schlaf schon zu schließen begann: „Vielleicht,“ sprach sie leise vor sich hin, „vielleicht wird Bulba, wenn er aufwacht, die Reise doch noch auf zwei Tage verschieben, vielleicht wollte er nur deshalb so früh aufbrechen, weil er zu viel getrunken hat.“

Der Mond beleuchtete schon längst den Hof, der voller Schläfer lag, und blickte auf das Weidengestrüpp und all das hohe Steppengras herab, das den Hof gleichsam umzäunte. Sie aber saß immer noch zu Häupten ihrer geliebten Söhne, blickte nicht einen Augenblick von ihnen weg und dachte nicht an Schlaf. Die Pferde, die bereits die Morgendämmerung witterten, lagen im Grase und fraßen bald nicht mehr; die Wipfel der Weiden zitterten, und ein leises Flüstern glitt wie ein Strom bis zu ihren Wurzeln herab. Sie saß da, bis es hell wurde, verspürte nicht die leiseste Müdigkeit und wünschte insgeheim, daß die Nacht recht lange dauern möchte. Von der Steppe her hörte man das leise Wiehern der Füllen, und am Himmel leuchtete der erste Streifen der Morgenröte auf.

Plötzlich erwachte Bulba und sprang empor. Er erinnerte sich an alle Anordnungen, die er gestern getroffen hatte. „Hallo, ihr Burschen, jetzt ist es vorbei mit dem Schlafen! Es ist Zeit, höchste Zeit. Tränkt die Gäule! Und wo ist die Alte? (So nannte er gewöhnlich seine Frau.) Schnell, schnell Alte, mach das Essen bereit: wir haben einen langen Weg vor uns!“

Die arme Alte ging traurig und ihrer letzten Hoffnung beraubt, ins Haus. Während sie tränenden Auges alles vorbereitete, was zum Frühstück erforderlich war, erteilte Bulba seine Befehle, machte sich im Stall zu schaffen und suchte selbst den kostbarsten Schmuck für seine Söhne aus.

Die Seminaristen schienen plötzlich wie umgewandelt. Statt der alten schmutzigen Stiefel hatten sie nun welche aus rotem Saffianleder mit silbernen Beschlägen; die Beinkleider, die so weit waren, wie das schwarze Meer, schlugen tausend Falten und wurden durch einen goldenen Gurt zusammengehalten, an dem lange schmale Riemen mit Troddeln und anderem Zierat für die Tabakspfeife angebracht waren. Ihre feuerroten Kosakenröcke schnürten bunt gestickte Gürtel ein, in denen schön ziselierte türkische Pistolen staken, und ihre Füße umklirrte ein mächtiger Säbel. Ihre nur wenig gebräunten Gesichter schienen noch schöner und weißer geworden zu sein, und ihre jünglingshaften schwarzen Schnurrbärte ließen die helle Farbe und die gesunde kraftvolle Blüte ihrer Jugend noch stärker hervortreten. Mit ihren in eine goldene Spitze auslaufenden Schaffellmützen sahen sie tatsächlich wunderschön aus. Die arme Mutter! Als sie sie erblickte, vermochte sie kein Wort hervorzubringen, und die Tränen blieben ihr in den Augen stecken.

„Nun Jungens, es ist alles fertig. Jetzt ist keine Zeit mehr zu verlieren!“ sagte Bulba endlich. „Doch wir wollen uns vor der Abreise nach christlichem Brauch erst noch einmal niedersetzen.“

Alle ließen sich nieder, selbst die Knechte, die bisher ehrerbietig an der Tür gestanden hatten.

„So, jetzt segne deine Kinder, Mutter,“ sagte Bulba, „bete zu Gott, daß sie wacker kämpfen, stets die Ritterehre hochhalten und den christlichen Glauben beschützen mögen — sonst sollen sie lieber zugrunde gehen, und ihre Spur mag vom Erdboden getilgt werden! Kinder, geht zu eurer Mutter hin, das mütterliche Gebet schützt einen zu Wasser wie zu Lande!“

Die Mutter umarmte sie, schwach wie jede Mutter, zog zwei kleine Heiligenbildchen hervor und legte sie ihnen schluchzend um den Hals. „Die heilige Jungfrau möge euch beschirmen ... Vergesst eure Mutter nicht, Kinder ... laßt uns ab und zu eine Nachricht zukommen ...“ Mehr vermochte sie nicht zu sagen.

„Nun kommt, Jungens,“ sagte Bulba. Die gesattelten Pferde standen vor der Tür. Bulba schwang sich auf seinen „Teufel“, der sich wütend aufbäumte, wie wenn er eine Last von zwanzig Zentnern auf sich fühlte. — Taraß war nämlich außerordentlich schwer und umfangreich.

Als die Mutter sah, daß ihre Söhne bereits die Pferde bestiegen, schmiegte sie sich an den Jüngeren, dessen Züge mehr Zärtlichkeit für sie verrieten. Sie ergriff seine Zügel, klammerte sich an seinen Sattel und wollte, die Augen voll Verzweiflung auf ihn geheftet, nicht von ihm lassen. Zwei kräftige Kosaken packten sie vorsichtig an und trugen sie in das Haus zurück. Aber als die Kavalkade gerade das Tor passiert hatte, lief sie, was in keinem Verhältnis zu ihrem Alter stand, mit der Behendigkeit einer jungen Ziege vor das Tor, hielt das Pferd mit unbegreiflicher Kraft an und umarmte ihren Sohn mit einer geradezu rasenden und sinnlosen Leidenschaft. Man mußte sie zum zweiten Male fortschleppen.

Trübsinnig ritten die jungen Kosaken davon, indem sie sich aus Furcht vor dem Vater krampfhaft bemühten, die Tränen zurückzuhalten, der selbst etwas bewegt war, obgleich er sich’s nicht merken ließ. Es war ein trüber Tag, das Grün schimmerte grell, und die Vögel zwitscherten wild durcheinander. Nachdem unsere Freunde ein Weilchen geritten waren, schauten sie sich um: das Gehöft schien wie in den Boden gesunken zu sein, nur die beiden Schornsteine ihres bescheidenen Häuschens und die Wipfel der Bäume waren noch zu erblicken, in deren Ästen sie früher wie Eichhörnchen herumgeklettert waren. Nun lag die weite Wiese vor ihnen, die die Erinnerungen an ihr ganzes Leben wachrief: seit den Jahren da sie sich auf dem betauten Gras herumgetummelt hatten, bis zu der Zeit, wo sie den schwarzäugigen Kosakenmädchen auflauerten, die mit ihren flinken jungen Füßchen ängstlich über die Wiese liefen. Jetzt sah man nur noch die Stange über dem Brunnen, die mit ihrem oben befestigten Wagenrad einsam in den Himmel ragte, und die Ebene, die sie durchritten hatten, schien ihnen fast wie ein Berg, der alles verdeckte. — Lebt wohl, ihr kindlichen Spiele, lebt alle, alle wohl!

Zweites Kapitel

Die drei Reiter ritten schweigend vor sich hin. Der alte Taraß dachte an die Vergangenheit, seine Jugend zog an ihm vorüber: die dahingeschwundenen Jahre, die der Kosake beweint, der sein ganzes Leben lang jung zu bleiben wünscht. Er dachte daran, wem von seinen einstigen Kameraden er wohl in der Sjetsch begegnen würde. Er rechnete aus, welche von ihnen bereits gestorben wären, und wer wohl noch am Leben sein mochte. In seinem Auge glänzte eine stumme Träne, und sein ergrauter Kopf hing traurig herab ...

Seine Söhne waren mit ganz andern Gedanken beschäftigt. Doch es ist Zeit, etwas Näheres über sie mitzuteilen. Mit zwölf Jahren waren sie auf das Seminar von Kiew geschickt worden, denn alle höheren Würdenträger jener Zeit hielten es für nötig, ihren Söhnen eine gelehrte Erziehung zuteil werden zu lassen, obschon dies zu keinem andern Zweck geschah, als damit sie nachher alles Gelernte wieder vollständig vergessen. Bei ihrem Eintritt ins Seminar waren sie, wie alle Jünglinge ihrer Art, noch sehr wild und richtige Naturburschen; dort aber wurden sie gewöhnlich etwas abgeschliffen und nahmen bald durch die gleichmäßige Erziehung Gewohnheiten an, die da machten, daß sie sich alle ein wenig ähnlich sahen. Ostap, der ältere, begann seine Laufbahn damit, daß er noch im ersten Jahre die Flucht ergriff. Man brachte ihn zurück, prügelte ihn fürchterlich durch und setzte ihn hinter die Bücher. Viermal vergrub er sein Lesebuch in die Erde, und viermal wurde ihm ein neues angeschafft, nachdem er das alte unmenschlich zerrissen hatte. Er hätte es zweifellos noch zum fünftenmal versucht, wenn ihm sein Vater nicht feierlich geschworen hätte, ihn volle zwanzig Jahre als Knecht ins Kloster zu schicken und ihm nicht angedroht hätte, er solle die Sjetsch niemals zu Gesicht bekommen, wenn er sich auf der Akademie nicht alle Wissenschaften aneignen werde. Es ist interessant, daß derselbe Taraß Bulba dies sagte, der über alle Gelehrsamkeit spottete und, wie wir gesehen haben, seinen Kindern empfahl, sich nicht mit solchen Dingen zu beschäftigen! Seit dieser Zeit begann Ostap mit außerordentlichem Fleiß über dem langweiligen Buche zu brüten und wurde bald einer der besten Schüler. Das damalige Unterrichtssystem nahm nicht die geringste Rücksicht auf das wirkliche Leben; denn diese scholastischen, grammatikalischen, rhetorischen und logischen Finessen paßten gar nicht zu dem Zeitalter, wurden nie angewendet und wurden im Leben nie wieder gebraucht. Die, die sie beherrschten, konnten ihr Wissen, auch wenn es weniger scholastisch war, nirgends anbringen. Die damaligen Gelehrten waren bei ihrer Weltfremdheit, und weil es ihnen an der nötigen Erfahrung fehlte, fast noch unwissender, als die andern Menschen. Außerdem mußte ihnen auch die republikanische Verfassung der Seminare — diese ungeheuere Anzahl gesunder, kräftiger, junger Leute, Lust zu einer Tätigkeit einflößen, die gar nichts mit den Studien, die sie trieben, zu tun hatte. Oft genug erzeugten auch die schlechte Kost, die häufigen Hungerstrafen und die Bedürfnisse, die in einem frischen, gesunden, jungen Manne erwachen, jenen Unternehmungsgeist in ihnen, dem sie nachher in der Saporoger Sjetsch ungehemmten Lauf lassen konnten. Die hungrigen Seminaristen streiften durch die Straßen Kiews und zwangen alle zur peinlichsten Vorsicht. Die Hökerfrauen, die auf dem Markte saßen, bedeckten ihre Pasteten, Brezeln und Kürbissamen stets mit den Händen wie das Adlerweibchen seine Jungen, wenn sie einen Seminaristen vorbeikommen sahen. Der Konsul, dessen Pflicht es war, die ihm untergebenen Kameraden im Zaum zu halten, hatte so riesige Taschen in seinen weiten Beinkleidern, daß er den ganzen Kramladen der etwas eingeschlafenen Handelsfrau darin hätte unterbringen können. Diese Seminaristen bildeten eine abgeschlossene Welt für sich. Zu den höheren Kreisen, die sich aus dem russischen und polnischen Adel zusammensetzten, hatten sie keinen Zutritt. Selbst der Wojewode Adam Kissel führte sie trotz des Protektorates über das Seminar, das er übernommen hatte, nicht in die gute Gesellschaft ein, und erließ den Befehl, sie recht streng zu halten. Übrigens war diese Anordnung ganz überflüssig, denn der Rektor und die geistlichen Professoren sparten weder Ruten noch Peitsche, und oft genug züchtigten die Liktoren ihre Konsuln auf ihren Befehl so fürchterlich, daß jene sich noch wochenlang die Beinkleider kratzten. Vielen machte das kaum etwas aus, und brannte es nur ein wenig stärker, als ein gut gepfefferter Schnaps; andere jedoch bekamen die ständigen Züchtigungen gründlich satt und brannten nach dem Saporog durch, wenn sie den Weg dorthin zu finden wußten und nicht wieder eingefangen wurden. Ostap Bulba blieb, obschon er die Logik und die Gottesgelahrtheit mit großem Eifer zu erlernen begonnen hatte, keineswegs von den ewigen Prügelstrafen verschont. Es ist nur zu natürlich, daß diese Behandlung schließlich den Charakter verhärten und ihm jene gewisse Festigkeit geben mußte, die den Kosaken stets eigen war. Ostap galt immer für einen der besten Kameraden. Er verführte selten andere zu frechen Unternehmungen — wie etwa zu Raubzügen in fremde Obst- und Gemüsegärten; dafür aber war er einer der ersten, die sich unter die Fahne eines kühnen, unternehmungslustigen Seminaristen stellten, und nie, und unter keinen Umständen hätte er einen Kameraden verraten: weder Peitschenhiebe noch Rutenstreiche konnten ihn dazu veranlassen. Er war gleichgültig und voller Verachtung gegen alle Leidenschaften, die nicht auf den Krieg oder ein Freß- und Saufgelage abzielten. Wenigstens dachte er fast an nichts anderes. Gleichgestellten gegenüber besaß er eine große Offenheit. Er besaß eine gewisse Güte, soweit dies in dieser Zeit und bei einem solchen Charakter möglich war. Die Tränen der armen Mutter hatten sein Herz außerordentlich bewegt, und es war allein dies Gefühl, das ihn jetzt verwirrte und ihn zwang, nachdenklich den Kopf zu senken.

Sein jüngerer Bruder Andrij hatte lebhaftere und bestimmtere Empfindungen. Das Lernen machte ihm mehr Vergnügen, und er bedurfte dazu keiner besonderen Anstrengung, die ein schwerfälliger und harter Charakter stets dabei anwenden muß. Er war erfinderischer als sein Bruder, war öfter Anführer bei gefährlichen Unternehmungen und verstand es, dank seiner Schlauheit und Intelligenz manches Mal der Strafe zu entgehen; während sein Bruder Ostap gleichmütig und ganz von selbst seinen Rock ablegte und sich auf den Boden streckte, ohne auch nur daran zu denken, daß er um Gnade bitten könnte. Andrijs Seele dürstete gleichfalls nach Heldentaten, aber sie war auch andern Empfindungen zugänglich. Als er das achtzehnte Jahr überschritten hatte, bemächtigte sich seiner ein heftiges Bedürfnis nach Liebe. Immer häufiger tauchte das Weib vor seinen erregten Sinnen auf; während er philosophischen Disputen beiwohnte, umschwebte es ihn: jung, schwarzäugig und zart. Unablässig glaubte er ein Paar glänzende kräftige Brüste oder einen wundervollen zarten nackten Arm vor sich zu sehen; das Kleid, das die jungfräulichen und zugleich starken Glieder einhüllte, hauchte in seiner Phantasie eine unaussprechliche Wollust aus. Er verbarg diese leidenschaftlichen Wallungen seiner Seele sorgfältig vor den Kameraden; denn in jener Zeit galt es für schmachvoll und ehrlos, wenn ein Kosak an Weiber und Liebe dachte, ehe er an einer Schlacht teilgenommen hatte. Überhaupt war er in den letzten Jahren, die er im Seminar verbrachte, immer seltener Anführer einer Rotte, und irrte meist in irgend einem einsamen Winkel Kiews, zwischen Kirschgärten und kleinen Häusern umher, die verführerisch auf die Straße hinausblickten. Hin und wieder geriet er auch in das aristokratische Stadtviertel, in das jetzige „Alte Kiew“, wo die kleinrussischen und polnischen Adligen wohnten und die Häuser einen etwas bizarren Baustil hatten. Als er dort eines Tages tief in Gedanken versunken umherschlenderte, hätte ihn beinahe die Kutsche eines polnischen Pans überfahren, und der auf dem Bock sitzende Kutscher mit einem fürchterlichen Mundwerk versetzte ihm unter greulichen Flüchen einige ziemlich kräftige Peitschenhiebe. Der junge Seminarist geriet in Wut: voll unsinniger Kühnheit packten seine kräftigen Fäuste das hintere Rad, und brachten den Wagen zum Stehen. Aber der Kutscher, der eine Abrechnung befürchtete, versetzte den Pferden einen heftigen Schlag, sie zogen stark an — sodaß Andrij, der glücklicherweise seine Hand zurückgezogen hatte, umgeworfen wurde, und mit dem Gesicht mitten in den Schmutz fiel. Da vernahm er plötzlich ein helles wohlklingendes Lachen über sich. Er sah empor und erblickte am Fenster ein Mädchen von wunderbarer Schönheit, wie er noch nie ein ähnliches gesehen hatte; ihre Augen waren schwarz, und ihr Antlitz schimmerte so weiß wie Schnee, den die Morgensonne bescheint. Sie lachte aus voller Kehle, und ihr Lachen verlieh ihrer blendenden Schönheit einen geradezu überwältigenden Reiz. Er stand ganz verdutzt da. Traumverloren starrte er sie an und wischte sich zerstreut den Schmutz von seinem Gesicht, jedoch so ungeschickt, daß er sich nur noch mehr entstellte. Wer war dieses schöne Mädchen? Er suchte es von den Bedienten zu erfahren, die reichgeschmückt vor dem Tore standen und einen jungen Bandura[1]spieler umringten. Die Knechte und Mägde brachen jedoch in ein stürmisches Gelächter aus, als sie sein schmutziges Gesicht erblickten, und würdigten ihn keiner Antwort. Endlich hörte er, daß die Unbekannte die Tochter des für einige Zeit hier weilenden Wojewoden von Kowno sei. In der nächsten Nacht kletterte er mit einer nur den Seminaristen eigenen Frechheit über den Zaun, gelangte so in den Garten und erklomm geschwind einen Baum, dessen Zweige das Dach des Hauses berührten. Von dort schwang er sich auf das Dach und gelangte so durch den Schornstein direkt in das Schlafzimmer der Schönen, die gerade vor einer Kerze saß und ihre kostbaren Ohrringe ablegte. Als die schöne Polin plötzlich einen unbekannten Mann vor sich erblickte, erschrak sie derartig, daß sie kein Wort hervorzubringen vermochte, als sie jedoch bemerkte, daß der Seminarist mit gesenkten Augen vor ihr stand und vor Schüchternheit kaum zu atmen wagte, und als sie denselben Jüngling in ihm erkannte, der vor ihren Augen in den Straßenkot gefallen war, brach sie in ein erneutes übermütiges Lachen aus. Allerdings kam noch dazu, daß Andrij garnicht schrecklich aussah, sondern ein sehr hübscher Junge war. Sie lachte von ganzem Herzen und trieb allerlei Kurzweil mit ihm. Wie alle Polinnen war auch sie sehr launenhaft; aber ihre Augen, ihre wundervollen, durchdringend klaren Augen hatten jenen langen Blick, der Beständigkeit verrät. Der Seminarist rührte keinen Finger, er stand wie gefesselt da, als endlich die Tochter des Wojewoden kühn auf ihn zutrat, ihm ihr strahlendes Diadem auf den Kopf setzte, ihm die Lippen mit ihren Ohrringen behängte und ihn in ein durchsichtiges, golddurchwirktes, mit Festons verziertes Hemdchen aus Nesseltuch hüllte. Sie putzte ihn heraus und trieb tausend Dummheiten mit ihm — keck und kindlich, wie es die Art der leichtsinnigen Polinnen ist, was unsern armen Seminaristen in noch größere Verlegenheit brachte. Er machte eine recht komische Figur, wie er mit offenem Mund dastand und regungslos in ihre leuchtenden Augen starrte. Plötzlich vernahm man ein Geräusch an der Tür; sie erschrak aufs heftigste und befahl ihm, sich unter dem Bett zu verstecken. Als die Gefahr vorüber schien, rief sie ihre Kammerzofe, eine gefangene Tatarin, und befahl ihr, ihn vorsichtig in den Garten hinaus zu führen, damit er von dort aus über den Zaun auf die Straße gelangen könne. Aber diesmal kam der Seminarist nicht so glücklich hinüber: der Wächter erwachte, packte ihn kräftig an den Beinen, und die herbeieilenden Knechte walkten ihn auf der Straße so lange durch, bis ihn seine flinken Beine retteten. Seit dieser Zeit war es für ihn gefährlich, an dem Hause seiner Angebeteten vorüberzugehen, denn der Wojewode verfügte über eine sehr zahlreiche Dienerschaft. Dagegen sah er sie einmal in der katholischen Kirche: sie bemerkte ihn und lächelte ihm aufs liebenswürdigste zu, wie einem guten, alten Bekannten. Hierauf begegnete er ihr noch einmal ganz flüchtig; bald darauf reiste der Wojewode von Kowno ab, und statt der schönen, schwarzäugigen Polin starrte ein feistes, gleichgültiges Gesicht aus den Fenstern heraus.

Das war es, woran Andrij dachte, als er mit gesenktem Kopf, und die Augen starr auf die Mähne seines Pferdes gerichtet, dahinritt.

Unterdessen hatte sie die Steppe in ihre grünen Arme aufgenommen, und das hohe Gras verbarg sie von allen Seiten, daß nur noch die schwarzen Kosakenmützen zwischen den Ähren hervorschimmerten.

„He, Jungens, weshalb seid ihr denn plötzlich so still geworden,“ sagte Bulba, endlich aus seinen Träumen erwachend, „ihr seid mir rechte Mönche! Ah, jagt doch alle trüben Gedanken zum Teufel! Steckt euch eine Pfeife in den Mund, wir wollen eins rauchen, den Gäulen die Sporen geben und dahinsausen, daß uns kein Vogel einholen soll!“

Und die Kosaken beugten sich über die Pferde und verschwanden im Grase. Bald konnte man auch die schwarzen Mützen nicht mehr sehen. Nur die lange Flucht des niedergetretenen Grases zeugte von ihrem schnellen Ritte.

Die Sonne strahlte längst am klaren Himmel und ergoß ihr belebendes, wärmespendendes Licht über die ganze Steppe. Alle Schläfrigkeit und Traurigkeit verschwand augenblicklich aus der Seele der Kosaken, und ihre Herzen schwangen sich empor gleich flinken Vögeln.

Je tiefer sie in die Steppe hineinkamen, um so schöner wurde sie. Damals war der ganze Süden, jene große Strecke, die jetzt Neurußland bildet und sich bis zum schwarzen Meer erstreckt, noch eine grüne, jungfräuliche Wüste. Der Pflug hatte diese unermeßlichen Wogen wilden Grases noch nie berührt, und nur die Pferde, die wie in einem Walde in ihm untertauchten, stampften es zuweilen nieder. Es gab kaum etwas Schöneres in der Natur: die ganze Erdoberfläche glich einem grüngoldenen Ozean, übersät von Millionen der mannigfaltigsten Blumen. Zwischen den schlanken, hohen Grashalmen schimmerten hellblaue, blaue und lila Blüten hervor; gelber Ginster ragte mit seiner pyramidenförmigen Spitze empor; weißer Klee glänzte mit seinen schirmartigen Köpfchen auf der Oberfläche; die weiß Gott wie hierher verpflanzten Weizenähren schossen gleich einem Dickicht in die Höhe, und ab und zu flogen ein paar Schnarchhühner mit vorgestreckten Hälsen hindurch. Die Luft war von tausend verschiedenen Vogelstimmen erfüllt. Mit weit ausgebreiteten Flügeln schwebten die Habichte unbeweglich am Himmel, ihre Augen unverwandt auf das Gras gerichtet. Von einem fernen See tönten die Schreie einer weit abseits vorüberziehenden Wolke wilder Gänse herüber. Mit gemessenem Flügelschlage erhob sich eine Möve aus dem Grase und badete sich voller Lust in den blauen Luftwellen. Da war sie schon in der Höhe verschwunden und erglänzte nur noch ganz fern wie ein schwarzer Punkt, aber plötzlich wendete sie ihren Flug und leuchtete hell auf in den blendenden Sonnenstrahlen — hol’ euch der Teufel, ihr Steppen, wie herrlich seid ihr doch ...!

Unsere Reisenden machten nur auf wenige Minuten Rast, um Mahlzeit zu halten. Ihr Gefolge, das aus zehn Kosaken bestand, sprang von den Pferden und band die hölzernen Branntweinflaschen und die Kürbisse, die als Trinkgefäße dienten, ab. Man aß nur etwas Brot, Speck oder Zwieback und ähnliches, trank nicht mehr als ein einziges Glas, und auch dies nur der Stärkung wegen, denn Taraß Bulba erlaubte es nie, sich unterwegs vollzutrinken, und darauf wurde der Weg bis zum Abend fortgesetzt.

In der Dämmerung veränderte die Steppe vollkommen ihr Gesicht. Ihre ganze bunte, von den letzten hellen Sonnenstrahlen beschienene Oberfläche wurde allmählich immer dunkler, sodaß der Schatten der Kosaken in scharfen Konturen über sie hinglitt, und nahm bald einen dunkelgrünen Schimmer an. Der Erde entströmten immer stärkere Düfte: jedes Blümchen, jeder Grashalm atmete Ambra aus, und die ganze Steppe schien ein Meer von Wohlgerüchen geworden zu sein. An dem dunkelblauen Himmel schien ein riesenhafter Pinsel rötlichgoldene Streifen gezogen zu haben; hin und wieder sah man ein paar durchsichtige Wölkchen aufleuchten, und ein frischer, wohltuender Wind strich lockend, wie grüne Meereswellen, kaum merklich über die Spitzen der Gräser hin, so lind, daß er kaum die Wangen berührte. Die ganze Musik, die den Tag erfüllte, war verklungen und durch eine andere ersetzt. Bunte Ziesel kamen aus ihren Schlupflöchern, setzten sich auf ihre Hinterpfötchen und pfiffen durchdringend über die Steppe hin; immer deutlicher wurde das Zirpen der Grillen. Zuweilen tönte von irgend einem einsamen See her der silberhelle Schrei eines Schwanes durch die Luft. Die Reisenden machten mitten auf dem Felde halt, suchten sich ein Nachtlager und zündeten ein Feuer an, auf welches sie einen Kessel stellten, um sich ihr Kulisch zu kochen. Bald dampfte der Kessel und der Rauch stieg schräg in die Luft. Nachdem die Kosaken ihr Abendbrot eingenommen und die aneinandergekoppelten Pferde freigelassen hatten, damit diese ruhig grasen konnten, begaben sie sich zur Ruhe und lagerten sich auf ihren Kitteln. Die nächtlichen Gestirne blickten hell und klar auf sie hinab. Das Knistern, Pfeifen und Summen der ganzen unendlichen Insektenwelt, die im Grase schwirrte, klang an ihr Ohr. All diese Töne hallten wie Musik durch die Nacht, läuterten sich in der frischen Luft und wiegten den müden Sinn langsam in Schlaf. Wenn einer der Reisenden erwachte und sich erhob, lag die Steppe, besät mit den blitzenden Funken schwirrender Leuchtkäfer, vor ihm. Bisweilen wurde der Nachthimmel an verschiedenen Stellen vom fernen Flammenschein des trockenen Schilfrohres beleuchtet, das auf den Wiesen und Flüssen verbrannt wurde. Eine dunkle Schaar von Schwänen, die nach Norden flog, erschien plötzlich in rosig-silbernes Licht getaucht am Himmel, was so aussah, wie wenn rote Tücher am dunkelen Horizont flatterten.

Die Reisenden ritten vorwärts, ohne irgend ein Abenteuer zu erleben. Nirgends gewahrten sie Bäume; überall umgab sie die gleiche endlose, freie, herrliche Steppe. Hin und wieder nur sah man in der Ferne an den Ufern des Dniepr die Wipfel eines Waldes blau aufleuchten, und nur einmal machte Taraß seine Söhne auf einen kleinen schwarzen Punkt fern im Grase aufmerksam und sagte: „Seht mal Jungens, da trabt ein Tatar.“ Ein kleiner, mit einem Schnurrbart geschmückter Kopf richtete seine schmalen Augen auf sie, schnüffelte vorsichtig wie ein Jagdhund in der Luft herum und verschwand wie ein Reh, als er bemerkte, daß die Kosaken dreizehn Mann hoch waren. „Hallo, Jungens, versucht mal den Tataren einzuholen! Ah — laßt es lieber sein, ihr werdet ihn ja doch nicht fangen. Sein Gaul ist schneller als mein ‚Teufel‘.“ Bulba traf jedoch entsprechende Vorsichtsmaßregeln, da er einen Hinterhalt befürchtete. Er ritt mit seinem Zuge bis zu einem kleinen Fluß, der Tatarka hieß und in den Dnjepr mündet; dort sprangen sie ins Wasser, ließen sich mitsamt ihren Pferden eine Zeitlang von der Strömung treiben, um ihre Spur zu verwischen, und setzten erst hiernach an dem andern Ufer ihren Ritt fort.

Drei Tage nach diesem Abenteuer befanden sie sich endlich in der Nähe des Ortes, der das Ziel ihrer Reise war. Die Luft wurde plötzlich merklich kühler, ein Zeichen, daß der Dnjepr nicht mehr fern war. Da glänzte er auch schon in der Ferne, und hob sich als ein dunkler Streifen vom Horizont ab. Seine kalten Wellen rollten dahin, kamen immer näher und näher heran, und schienen endlich die Hälfte der ganzen Erdoberfläche zu umfassen. Das war jene Stelle, wo der Dnjepr, bis dahin von Stromschnellen eingeengt, seinen Lauf ungehindert entfalten und dem Meere gleich, fessellos, dahinrauschen kann, wo die in ihm verstreuten Inseln seine Ufer noch weiter zurückdrängen, und seine Wellen, weder von Felsen noch Dämmen gebrochen, sich breit über das Land ergießen.

Die Kosaken saßen ab, bestiegen die Fähre und gelangten nach einer dreistündigen Überfahrt an die Insel Chortiza, wo sich damals die so oft ihren Aufenthalt wechselnde Sjetsch befand.

Ein Haufen Volks stritt sich gerade am Ufer mit den Fährleuten herum. Die Kosaken zäumten ihre Pferde auf. Taraß reckte sich gewichtig empor, zog seinen Gurt fester zusammen und strich sich stolz mit der Hand über den Schnurrbart. Seine jungen Söhne musterten sich ebenfalls von Kopf bis zu Fuß, nicht ohne eine gewisse Angst und ein unklares Wohlgefallen, und alle ritten in die Vorstadt hinein, die eine halbe Werst von der Sjetsch entfernt lag. Bei ihrer Ankunft wurden sie durch den Lärm von fünfzig Schmiedehämmern betäubt, die in fünfundzwanzig unterirdischen und mit Rasen bedeckten Schmieden niederfielen. Auf der Straße saßen riesige Gerber und walkten unter dem Schutzdach die Ochsenhäute mit ihren muskulösen Händen. Zahlreiche Krämer saßen unter ihren Zelten vor ganzen Haufen von Feuersteinen und Pulver; ein Armenier bot teure Tücher zum Verkauf aus, ein Tatar drehte ein in Teig gehülltes Lamm am Bratspieß, ein Jude zog mit vorgestrecktem Kopf Branntwein aus einem Faß ab. Der erste Mensch, der ihnen begegnete, war ein Saporoger, der mit weit ausgestreckten Händen und Füßen mitten auf dem Wege schlief. Taraß Bulba konnte nicht umhin, haltzumachen und ihn mit großem Vergnügen zu betrachten. „Du hast es dir aber ordentlich bequem gemacht! Verdammt noch einmal, bist du ein prächtiger Bursche!“ rief er aus und hielt an. Das Bild, das sich ihnen darbot, war in der Tat sonderbar genug: der Saporoger lag breit wie ein Löwe mitten auf dem Wege, sein stolz zurückgeworfener Haarschopf bedeckte mindestens drei Fuß vom Boden, und die Beinkleider aus teurem roten Tuch waren mit Teer beschmutzt, um die vollkommene Verachtung ihres Besitzers gegen solche Dinge recht deutlich zu zeigen. Nachdem Bulba sich an diesem Bilde sattgeschaut hatte, ritt er weiter durch die engen Straßen, die voll von Handwerkern, welche ihren Beruf gleich hier an Ort und Stelle ausübten, und von Leuten aller möglichen Nationalität war, die den Vorort bevölkerten. Es sah hier fast so aus wie auf einem Jahrmarkt, der die ganze Sjetsch kleidete und nährte, da diese sich ja nur aufs Herumlungern und Schießen verstand.

Endlich hatten sie die Vorstadt hinter sich und erblickten einige zerstreut liegende Gebäude, die mit Rasen oder auch, nach tatarischer Art, mit Filz bedeckt waren. Vor einzelnen von ihnen standen Kanonen. Nirgends sah man einen Zaun oder eins jener niedrigen Häuser mit einem Schutzdach auf niedrigen Holzsäulen, wie man sie in der Vorstadt fand. Ein kleiner Wall und ein Verhau, ohne die geringste Bewachung, zeugten von einer unglaublichen Sorglosigkeit. Einige riesenhafte Saporoger Kosaken, die mit ihrer Pfeife in den Zähnen mitten auf dem Wege herumlagen, schauten die Ankömmlinge ziemlich gleichgültig an und rückten nicht vom Fleck. Taraß ritt mit seinen Söhnen vorsichtig zwischen ihnen hindurch und sagte: „Guten Tag, meine Herren.“ „Gleichfalls,“ antworteten die Saporoger. Überall, und auf dem ganzen Felde, sah man in malerischen, bunten Gruppen große Mengen Volkes lagern. Ihre gebräunten Gesichter zeugten davon, daß sie im Pulverdampf der Schlacht gestählt waren und mancherlei Ungemach erfahren hatten. Das also war sie, die Sjetsch! Das war die Höhle, aus der all die Helden hervorgingen, stark und stolz wie Löwen! Das war der Ort, von dem aus sich Rittertum und Freiheit über die ganze Ukraine ergoß!

Die Reisenden lenkten ihre Pferde nach einem geräumigen Platze, wo sich gewöhnlich der Rat versammelte. Auf einem großen umgestürzten Fasse saß ein Saporoger, ohne Hemd; er hielt es in der Hand und stopfte langsam und bedächtig die Löcher. Wiederum versperrte ihnen ein ganzer Haufen von Musikanten den Weg, in deren Mitte ein junger Saporoger, die Mütze auf dem Ohr und mit hocherhobnen Händen, einen Tanz aufführte. Er schrie fortwährend: „Spielt doch schneller, ihr Musikanten! Thomas, schenk tüchtig Branntwein ein, spar doch nicht so bei rechtgläubigen Christen.“ Und Thomas, der ein angeschwollenes Auge hatte, reichte jedem, der an ihn herantrat, einen ungeheuren Becher. Um den jungen Saporoger herum, führten vier Alte mit kleinen Schritten allerlei Tänze aus; bald flogen sie zur Seite wie ein Wirbelwind, wobei sie fast die Köpfe der Musikanten berührten, bald setzten sie sich unvermutet nieder und begannen mit ihren silberbeschlagenen Absätzen laut und hart auf den festgetretenen Fußboden zu stampfen. Dumpf dröhnte die Erde in der ganzen Umgebung, und die Hopps und Topps, die mit den klingenden Sporen der Stiefel geschlagen wurden, schallten laut durch die Luft. Ein Kosak aber schrie lauter als alle andern und drehte sich mit den andern im Tanze. Sein Haarzopf flatterte im Winde, die starke Brust war ganz entblößt, über die Schulter aber hatte er den warmen Wintermantel geworfen, so daß ihm der Schweiß unaufhörlich in Strömen von der Stirn lief.

„Zieh doch wenigstens den Pelz aus,“ sagte endlich Taraß. „Sieh doch, wie du dampfst.“

„Das geht nicht,“ schrie der Saporoger.

„Weshalb nicht?“

„Das geht nicht, das ist bei mir nun mal nicht anders: habe ich ihn erst einmal abgenommen, so vertrinke ich ihn auch!“

Der junge Bursche hatte schon längst keine Mütze, keinen Gürtel am Rock und kein buntes Tuch mehr: alles war schon dorthin gewandert, wo es hingehörte. Der Haufen wurde immer größer, neue Ankömmlinge schlossen sich dem Tanze an, und man konnte nicht ohne Bewegung sehen, wie hier alles an dem tollsten, leidenschaftlichsten aller Tänze, den die Welt je gesehen hat, und der nach seinen kräftigen Erfindern „Kosatschok“ benannt ist, teilnahm.

„Säße ich bloß nicht zu Pferde,“ rief Taraß aus, „wahrhaftig, ich wollte selbst loslegen und mittanzen!“

Unterdessen mischten sich hie und da auch einzelne graue, alte Männer unter die Menge, die in der ganzen Sjetsch wegen ihrer Verdienste geachtet und schon oft Kosakenälteste gewesen waren. Taraß traf bald eine Unzahl Bekannte, und Ostap und Andrij hörten fortwährend Begrüßungsworte: „Holla, da bist du ja, Petscheriza!“ „Guten Tag, Kosolup!“ „Wo kommst du denn her, Taraß?“ „Wie geht’s Doloto?“ „Guten Tag, Kirdjaga!“ „Guten Tag, Gustyj!“ „Ich hätte nie geglaubt, dich in diesem Leben noch einmal wieder zusehen, Remen!“

Und all die Helden, die hier aus der großen Wildnis des östlichen Rußlands zusammengekommen waren, küßten einander, und zahllose Fragen flogen hin und her.

„Was macht Kasjan?“ „Und Borodawka?“ „Wo steckt Kolopjor?“ „Und Pidsyschok?“ Und Taraß bekam fortwährend Antworten wie etwa folgende: Borodawka sei in Tolopan aufgeknüpft, Kolopjor sei bei Kisikirmen lebendigen Leibes geschunden worden, Pidsyschoks Kopf sei eingesalzen und in einem Fasse nach Konstantinopel geschickt worden usw. Und der alte Bulba blickte traurig zu Boden und sagte gedankenvoll: „Und waren doch so wackere Kosaken!“

Drittes Kapitel

Nun lebte Taraß Bulba bereits seit einer Woche mit seinen Söhnen in der Sjetsch. Ostap und Andrij beschäftigten sich nur wenig mit den militärischen Übungen. Die Sjetsch liebte es nicht, mit solch langweiligen Dingen ihre Zeit zu verlieren. Die jungen Leute wurden durch die Erfahrung erzogen und im Feuer der Schlachten ausgebildet, und daher mußten diese unaufhörlich erneuert werden. Die Kosaken fanden es langweilig, sich in den Ruhezeiten mit irgendwelchen Übungen abzugeben: sie versuchten sich höchstens mal im Scheibenschießen, oder veranstalteten große Ritte, oder jagten in der Steppe und auf den Wiesen nach wilden Tieren; die übrige Zeit war den Zechgelagen und ähnlichen Vergnügungen gewidmet — ein Zeichen der großen Leidenschaftlichkeit ihrer Seelen. Überhaupt war die ganze Sjetsch eine außerordentliche Erscheinung: hier herrschte eine nie endenwollende Feier, gleichsam ein Fest, das lärmvoll begonnen, ewig fortdauerte. Einige von den Bewohnern trieben ein Handwerk, andere hatten Kramläden und handelten mit allerlei Dingen — die meisten jedoch lungerten von früh bis spät herum, wenn ihre Taschen ihnen noch eine Möglichkeit dazu boten, und das erworbene Geld noch nicht in die Hände der Kaufleute und Gastwirte übergegangen war. Dieses allgemeine Zechen und Prassen hatte etwas geradezu Sinnbetörendes an sich. Das war kein Haufe von Zechern, die aus Verzweiflung und Elend tranken, das war eine völlig ursprüngliche und unbändige Fröhlichkeit. Wer hierher kam, vergaß alles und ließ alles liegen, was ihn bisher beschäftigt hatte. Man kann sagen: er pfiff auf seine Vergangenheit. Sorglos ergab er sich der Freiheit, dem geselligen Zusammensein mit gleichen Naturen und Abenteurern wie er selbst, die weder Angehörige, Familie, noch Haus und Hof besaßen, sondern nur den freien Himmel und ein ewiges Verlangen nach ewigen Festen und Feiertagen in ihrer Seele trugen. So entstand jene fessellose Fröhlichkeit, die aus keiner andern Quelle hätte kommen können. Die Erzählungen und Geschichten der mitten zwischen dem versammelten Volk faul auf den Boden Lagernden reizten so zum Lachen und atmeten solches Leben, daß es schon der ganzen Gelassenheit des Saporogers bedurfte, eine unbewegte Miene beizubehalten und nicht einmal mit den Mundwinkeln zu zucken — ein Charakterzug, der den Kleinrussen bis heut’ noch von seinen südrussischen Brüdern unterscheidet. Es war eine trunkene, lärmende Fröhlichkeit, aber nicht in einer verräucherten Schenke, wo der Mensch in einer finsteren, bizarren Ausgelassenheit Vergessenheit von seinem Schmerz sucht, dies war vielmehr ein enger Kreis von Freunden und Schulgenossen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß die Menschen hier, statt hinter der Fibel zu sitzen und trockene Erklärungen des Lehrers über sich ergehen zu lassen, auf fünftausend Pferden ausritten und allerhand kühne Raubzüge unternahmen; statt der Wiese, wo Ball gespielt wurde, hatten sie die weite unbegrenzte Steppe, die keinem von ihnen Sorgen machte, die von niemandem bewacht wurde, und wo bloß hier und da der flinke Kopf eines Tataren auftauchte, oder ein Türke finster und unbeweglich unter dem grünen Turban hervorschaute. Ferner kam hinzu, daß sie hier nicht ein fremder Wille zusammenführte, wie in der Schule, sondern eigner Entschluß: hatten sie doch selbst Väter und Mütter verlassen und waren dem elterlichen Hause heimlich entlaufen. Hier gab es Männer, deren Hals der Strick bereits berührt hatte, und die statt des blassen Todes noch mit Mühe das Leben erwischten, dies unbändige Leben voll herrlichen Genusses und Fröhlichkeit; hier hausten Menschen, die aus einer edlen Gewohnheit keine Kopeke in der Tasche behalten konnten, und wieder andere, die bisher einen Dukaten für einen großen Schatz gehalten hatten, und denen man dank den jüdischen Pächtern die Taschen umkehren konnte, ohne Gefahr zu laufen, daß etwas herausfiele. Hier befanden sich Seminaristen, die die akademischen Ruten nicht vertragen und in der Schule keinen Buchstaben gelernt hatten — zugleich aber auch solche, die ihren Horaz und Cicero kannten und über das Wesen der römischen Republik Bescheid wußten. Hier traf man viele jener Offiziere, die sich später in den königlichen Heeren auszeichneten, sowie jene erprobten Parteigänger, die die edle Überzeugung hegten, daß es gleichgültig sei, wo man kämpfe, wenn man nur überhaupt kämpfen konnte, denn es sei eines ritterlichen Mannes nicht würdig, ein Leben ohne Kämpfe und Schlachten zu führen. Endlich gab es auch eine Anzahl solcher, die nur in die Sjetsch gekommen waren, um sagen zu können: sie seien in der Sjetsch gewesen und seien folglich im Kampf gestählte Krieger. Aber was gab es hier nicht? Diese sonderbare Republik war durchaus ein Bedürfnis jener Zeit. Für Liebhaber des kriegerischen Lebens, goldener Becher, reicher Gewebe, Dukaten und Schaumünzen gab es hier jederzeit genug zu tun. Nur die Verehrer der Frauen kamen nicht auf ihre Rechnung: denn nicht einmal in der Vorstadt der Sjetsch durfte sich eine Frau zeigen ... Ostap und Andrij fanden es sonderbar, daß niemand die zahlreichen Menschen, die mit ihnen in die Sjetsch gekommen waren, nach ihrer Herkunft und ihrem Namen fragte. Sie kamen hierher, als ob sie in ihr eigenes Haus zurückkehrten, das sie erst vor einer Stunde verlassen hatten. Der Ankömmling meldete sich bloß beim Hauptmann, der gewöhnlich fragte: „Grüß Gott. Glaubst du an Christus?“ „Ja, ich glaube,“ antwortete der Ankömmling. „Auch an die heilige Dreieinigkeit?“ „Auch das.“ „Besuchst du die Kirche?“ „Ja, ich besuche sie.“ „Gut, bekreuzige dich einmal.“ Der Ankömmling tat es. „Schön,“ sagte der Hauptmann, „geh und wähl dir selbst das Kosakendorf, das dir gefällt.“ Und damit war die Zeremonie beendet. Die ganze Sjetsch betete in derselben Kirche und war bereit, sie bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, trotzdem sie von Fasten und Enthaltsamkeit nichts wissen wollte. Nur die, nebenbei bemerkt, äußerst geldgierigen Juden, Armenier und Tataren wagten es, sich in der Vorstadt niederzulassen und hier ihre Kramläden aufzuschlagen, denn die Saporoger handelten nur ungern und zahlten gewöhnlich so viel Geld, als sie mit einem Griff aus der Tasche holten. Übrigens war das Los dieser habsüchtigen Händler sehr traurig; man konnte sie fast mit den armen Leuten vergleichen, die am Fuße des Vesuvs wohnten, denn sobald es den Saporogern an Geld fehlte, zertrümmerte die rohe Bande die Buden der Krämer und nahm sich alles, was sie brauchte, auch ohne Zahlung.

Die Sjetsch bestand aus mehr als sechzig Niederlassungen, die ebenso viele völlig voneinander unabhängige Republiken darstellten. Sie glichen Schulen oder Seminaren, deren Zöglinge in der Anstalt gekleidet und beköstigt werden. Niemand besaß etwas, oder legte sich Vorräte an, alles befand sich in den Händen des Kosakenhauptmanns, den man deshalb auch gewöhnlich „Väterchen“ nannte. Er verwaltete das Geld, die Kleidung, den gesamten Speisevorrat, den Roggen- und Weizenteig, die Grütze und sogar das Heizmaterial: auch das Barvermögen wurde ihm zur Aufbewahrung gegeben. Zwischen den einzelnen Niederlassungen brachen des öfteren Streitigkeiten aus, die sogleich in Schlägereien ausarteten. Der Marktplatz füllte sich mit den Bewohnern der Dörfer, und man bearbeitete sich so lange mit den Fäusten, bis irgend eine Partei niedergekämpft war, und dann begann ein Zechgelage und ein großer Jubel. Das war die Sjetsch, die eine so starke Anziehungskraft auf die jungen Leute ausübte.

Ostap und Andrij stürzten sich mit der ganzen Leidenschaft der Jugend in dieses Freudenmeer, vergaßen schnell das väterliche Haus, das Seminar und alles, was ihre Seele bisher bewegt hatte, und gaben sich ganz dem neuen Leben hin. Alles fesselte sie hier: die wilden Sitten der Sjetsch, ihr einfaches Gerichtswesen und ihre Gesetze, die ihnen freilich manchmal für eine freie Republik gar zu streng erschienen. Wurde ein Kosak beim Diebstahl irgend einer Kleinigkeit ertappt, so galt dies für eine dem gesamten Kosakentum zugefügte Beleidigung: er wurde für ehrlos erklärt, an den Schandpfahl gebunden, und es wurde eine Holzkeule neben ihn gelegt, mit der jeder Vorübergehende ihm einen Schlag versetzen mußte, bis man ihn zu Tode gemartert hatte. Den säumigen Schuldner schmiedete man mit einer Kette an eine Kanone, wo er so lange gefesselt blieb, bis einer seiner Kameraden ihn auslöste und seine Schuld beglich. Den stärksten Eindruck aber übte die unerhört grausame Strafe, mit der der Mord bestraft wurde, auf Andrij aus: vor den Augen des Verurteilten wurde eine Grube gegraben, in die er lebendig hinabgestürzt wurde, dann senkte man den Sarg mit dem Leichnam des Ermordeten in die Grube hinab und schüttete Erde darüber. Noch lange nachher mußte Andrij an diesen entsetzlichen Brauch zurückdenken, und fortwährend stand der mitsamt dem grauenhaften Sarge lebendig begrabene Mensch vor seinen Augen.

Die beiden jungen Kosaken wurden schnell beliebt bei ihren Kameraden. Oft begaben sie sich mit ihren Lagergenossen und zuweilen auch mit dem ganzen Bezirk oder auch mit benachbarten Niederlassungen in die Steppe zur Jagd auf unabsehbare Scharen von Vögeln, Hirschen und Ziegen, oder sie zogen bis an die Seen, Bäche und Ströme, die jedem Dorf durch das Los zugeteilt wurden, um zu angeln, ihre Netze auszuwerfen und reiche Beute für ihr Lager mitzubringen. Obgleich es keine Wissenschaften gab, in der der Kosak geprüft wurde, machten sie sich doch unter den andern jungen Leuten durch ihre ehrliche Kühnheit und ihre Erfolge bemerkbar. Gewandt und sicher schossen sie ins Ziel und durchschwammen den Dnjepr selbst gegen die Strömung: eine Tat, für die der Neuling feierlich in den Kreis der Kosaken aufgenommen wurde.

Jedoch der alte Taraß sah sich nach einer anderen Tätigkeit für sie um. Das müßige Leben seiner Söhne war nicht nach seinem Wunsch: er verlangte ernstere Aufgaben für sie. Oft dachte er nach, wie er die Sjetsch zu einem kühnen Zuge bewegen könne, bei dem es eine einem Ritter geziemende Betätigung gab. Endlich aber ging Taraß eines Tages zum Hauptmann und sagte ohne Umschweife zu ihm: „Hauptmann, es wär’ Zeit, daß die Saporoger sich wieder einmal tüchtig austobten.“

„Es ist keine Gelegenheit dazu vorhanden,“ antwortete der Hauptmann, indem er seine kleine Pfeife aus dem Munde nahm und ausspuckte.

„Was, keine Gelegenheit? Man könnte doch gegen die Türken oder gegen die Tataren losgehen!“

„Nein, das kann man nicht. Weder gegen die Türken noch gegen die Tataren,“ antwortete der Hauptmann und steckte kaltblütig seine Pfeife zwischen die Zähne.

„Und warum nicht?“

„Weil wir dem Sultan versprochen haben, Frieden zu halten.“

„Aber er ist doch ein Mohammedaner, und Gott und die heilige Schrift befehlen, die Heiden auszurotten!“

„Wir haben kein Recht dazu. Ja, wenn wir nicht bei unserm Glauben geschworen hätten, dann ginge es vielleicht, so aber ist es unmöglich.“

„Warum unmöglich? Wie kannst du sagen, wir hätten kein Recht dazu? Sieh mal, ich habe zwei Söhne, beide sind junge Burschen. Weder der eine noch der andere war ein einziges Mal in der Schlacht, und da behauptest du, wir hätten kein Recht dazu, und sagst, die Saporoger dürften nicht in den Kampf ziehen!“

„Nein, es geht nicht.“

„Wie es scheint, soll wohl die ganze Kosakenkraft unnütz vergeudet werden, der Mensch soll wohl tatenlos faulen wie ein Hund, und weder das Vaterland noch die ganze Christenheit soll einen Nutzen von ihm haben? Wozu leben wir denn da — warum zum Teufel leben wir denn überhaupt? Bitte, erkläre mir das! Du bist ein kluger Mensch, sie haben dich nicht umsonst zum Hauptmann gewählt; also sprich: wozu leben wir?“

Der Hauptmann antwortete nicht auf diese Frage. Er war ein starrköpfiger Kosak. Er schwieg eine Weile still und meinte dann: „Einen Krieg gibt es dennoch nicht!“

„Es gibt also keinen Krieg?“ fragte Taraß wiederum.

„Nein.“

„Es ist also garnicht daran zu denken?“

„Nein, es ist garnicht daran zu denken.“

„Warte nur, verdammter Teufel!“ murmelte Bulba vor sich hin, „du sollst mich kennen lernen.“ Und er beschloß, sich an dem Hauptmann zu rächen.

Er besprach die Sache mit dem einen und dem andern und veranstaltete ein großes Gelage; eine Anzahl angeheiterter Kosaken stürzte auf den Marktplatz, wo sich die Pauken befanden, die an einem Pfahl hingen und gewöhnlich zum Zeichen einer beabsichtigten Ratsversammlung geschlagen wurden. Da sie die Schlegel nicht fanden, die meist beim Paukenschläger verwahrt zu werden pflegten, nahm jeder ein Holzscheit in die Hand und hieb damit auf die Pauken los. Auf diesen Lärm kam zuerst der Paukenschläger herbeigelaufen, ein langer Kerl mit einem einzigen Auge, das trotzdem recht verschlafen aussah.

„Wer wagt es, die Pauken zu schlagen?“ schrie er.

„Schweig! Nimm deine Schlegel und schlag drauf los, wenn man dir’s befiehlt!“ antworteten die angeheiterten Hauptleute.

Der Paukenschläger holte sofort die Schlegel, die er mitgenommen hatte, aus seiner Tasche, da er schon mit dem Ausgang solcher Vorgänge vertraut war. Die Pauken erdröhnten — und bald versammelten sich die schwarzen Scharen der Saporoger wie Hummeln auf dem Platz. Alle scharten sich zu einem kleinen Kreise zusammen, und nach dem dritten Schlage erschienen endlich auch die Ältesten: der Hauptmann mit der Keule, dem Zeichen der Würde, in der Hand, der Richter mit dem Heeressiegel, der Schreiber mit dem Tintenfaß und der Kosakenfähnrich mit dem Stabe. Der Hauptmann und die Ältesten nahmen ihre Mützen ab und verbeugten sich nach allen Seiten gegen die Kosaken, die, die Arme in die Seiten gestemmt, stolz dastanden.

„Was bedeutet diese Versammlung? Was wollt ihr, Herren?“ fragte der Hauptmann, aber lautes Fluchen und Schreien ließen ihn nicht zu Ende sprechen.

„Leg die Keule nieder! Leg sie sofort nieder, du Teufelssohn! Wir wollen dich nicht mehr!“ schrien einige Kosaken aus der Menge heraus. Andere, aus Lagern, die noch nüchtern waren, widersprachen, und es dauerte nicht lange, so begann zwischen Nüchternen und Trunkenen ein regelrechter Faustkampf. Alles schrie und lärmte durcheinander.

Der Hauptmann wollte sprechen, aber da er wußte, daß die wütende und eigensinnige Menge ihn, wie das in solchen Fällen ja immer geschieht, dafür zu Tode prügeln würde, verbeugte er sich tief, legte die Keule nieder und verschwand in der Menge.

„Befehlt ihr, Herren, daß auch wir die Zeichen unserer Würde niederlegen?“ fragten der Richter, der Schreiber und der Kosakenfähnrich. Sie machten sich schon bereit, Tintenfaß, Stab und Heeressiegel niederzulegen.

„Nein, ihr sollt bleiben,“ schrie man aus der Menge, „wir wollen nur den Hauptmann los sein. Was ist das für ein Weib! Wir brauchen einen Mann zum Hauptmann!“

„Wen wollt ihr denn aber zum Hauptmann wählen?“ fragten die Ältesten. „Wählt Kukubjenko,“ schrie ein Teil. „Nein, wir wollen Kukubjenko nicht,“ schrie ein anderer. „Er ist noch zu jung, er hat ja kaum die Kinderschuhe abgelegt.“

„Schilo soll unser Hauptmann sein,“ schrien verschiedene, „Schilo soll Hauptmann sein!“

„Daß euch der Schilo in den Leib fahre!“ schrien andere wieder durcheinander. „Was ist denn das für ein Kosak? dieser Hundsfott stiehlt ja wie ein Tatar! Der Teufel soll ihn holen, steckt ihn in den Sack, den Säufer!“

„Borodaty, wählen wir doch Borodaty zum Hauptmann!“

„Wir wollen Borodaty nicht! Zum Teufel mit Borodaty!“

„Ruft Kirdiaga,“ flüsterte Taraß Bulba einigen zu.

„Kirdiaga, Kirdiaga,“ schrie die Menge. „Borodaty, Borodaty! Kirdiaga, Kirdiaga! Schilo! Zum Teufel mit Schilo! Kirdiaga!“

Die Genannten traten sofort aus der Menge heraus, damit man nicht glauben sollte, sie suchten ihre Wahl durch persönliche Anteilnahme zu befördern.

„Kirdiaga! Kirdiaga!“ Dieser Name erklang öfter als die andern. „Borodaty!“ Endlich wurde die Sache durch die Fäuste ausgefochten, und Kirdiaga trug den Sieg davon.

„Schnell, holt den Kirdiaga,“ riefen viele Stimmen, und sogleich sonderten sich zehn Kosaken von der Menge ab. Einige von ihnen waren so bezecht, daß sie sich kaum aufrecht halten konnten. Sie begaben sich direkt zu Kirdiaga, um ihn von der Wahl zu unterrichten.

Kirdiaga war zwar ein schon recht bejahrter, aber kluger Kosak, der schon lange in seine Strohhütte zurückgekehrt war und so tat, als ob er nichts von dem Vorgefallenen wüßte. „Nun, meine Herren, was wünscht ihr?“ fragte er.

„Komm, du bist zum Hauptmann gewählt worden.“

„Aber ich bitte euch, ihr Herren,“ sagte Kirdiaga, „wie komme ich zu einer solchen Ehre? Wie kann ich euer Hauptmann sein? Ich bin ja gar nicht klug genug, um eine solche Würde zu tragen! Als ob ihr im ganzen Heere keinen Besseren finden könntet, als mich!“

„Komm schnell, hörst du!“ schrien die Saporoger. Zwei von ihnen packten ihn bei den Armen, und so sehr er sich auch mit den Füßen gegen den Boden stemmte, er wurde doch schließlich unter andauernden Schimpfworten, Rippenstößen und aufmunternden Zurufen auf den Platz gebracht. „Sträube dich doch nicht, du Satan! Nimm doch das Ehrenamt an, wenn man es dir anbietet!“ Auf diese Weise wurde Kirdiaga in den Kreis der Kosaken geschleppt.

„Nun Herrschaften!“ riefen die, die ihn hergebracht hatten, laut aus, „seid ihr einverstanden, daß dieser Kosak unser Hauptmann wird?“

„Ja, wir sind alle einverstanden,“ schrie die Menge, und das ganze Feld hallte wider von ihrem Geschrei.

Einer von den Ältesten hob die Keule auf und überreichte sie dem neuerwählten Hauptmann. Der Sitte gemäß weigerte sich Kirdiaga zunächst, sie anzunehmen. Der Älteste bot sie ihm darauf zum zweiten Male an, und Kirdiaga wies sie zum zweiten Male zurück. Erst beim dritten Mal nahm er die Keule an. Nunmehr brach die Menge in ein lautes Beifallsgebrüll aus und wiederum hallte das Feld vom Geschrei der Kosaken wider. Darauf traten vier von den ältesten Kosaken mit grauen Köpfen und Bärten aus der Mitte des Volkes heraus. (Ganz Alte gab es in der Sjetsch nicht, denn kein Saporoger starb eines natürlichen Todes.) Jeder von ihnen nahm eine Handvoll Erde, die um jene Zeit durch den Regen in Kot verwandelt war, und legte sie Kirdiaga aufs Haupt. Die nasse Erde rann ihm vom Kopf herunter, floß ihm über den Schnurrbart und über die Wangen, und beschmutzte ihm das ganze Gesicht. Aber Kirdiaga blieb stehen, rührte sich nicht von der Stelle und dankte den Kosaken für die ihm erwiesene Ehre.

So endete diese höchst geräuschvolle Wahl, über die sich vielleicht niemand so innig freute, wie Bulba. Zunächst, weil er sich an dem früheren Hauptmann gerächt hatte, und dann war Kirdiaga sein alter Kamerad, der mit ihm die gleichen Kriegszüge zu Wasser und zu Lande gemacht, und mit dem er die Mühen und Gefahren des Kriegslebens geteilt hatte. Die Menge zerstreute sich, um die Wahl sofort zu feiern, und nun erhob sich ein Jubel, wie ihn Ostap und Andrij bisher noch nicht erlebt hatten. Die Schnapsläden wurden verwüstet, Met, Branntwein und Bier wurden heruntergegossen, ohne daß jemand an Bezahlung dachte, und die Gastwirte waren schon zufrieden, daß sie selbst verschont blieben. Die ganze Nacht hindurch brüllte und sang man Lieder, in denen die Heldentaten gefeiert wurden, und der aufgehende Mond beleuchtete noch lange die Haufen von Musikanten, die mit Banduren, Teorben und runden Balaleiken durch die Straßen zogen, sowie die Kirchensänger, die man sich in der Sjetsch zur Abhaltung des Gottesdienstes und zur Lobpreisung der Taten der Saporoger hielt. Endlich begann sich der Rausch und die Müdigkeit auch der starken Köpfe zu bemächtigen. Bald da, bald dort sank ein Kosak zur Erde, ein Kamerad umarmte den andern, und wurde rührselig — ja mancher begann sogar zu weinen und taumelte dann zusammen mit dem andern zu Boden. Dort wälzte sich ein ganzer Haufen herum; ein Kosak suchte sich einen möglichst bequemen Ruheplatz und legte sich dabei gerade auf einen Holzklotz. Ein einziger, der stärker war als die übrigen, hielt noch allerhand unzusammenhängende Reden, aber endlich tat es auch diesem der Rausch an — er fiel nieder — und die ganze Sjetsch versank in Schlummer ...

Viertes Kapitel

Gleich am nächsten Tage beriet sich Taraß Bulba mit dem neuen Hetman, wie man die Saporoger zu einem Kriegszuge anstacheln könnte. Der Hetman war ein kluger, gewiegter Kosak, er kannte die Saporoger und sagte daher zuerst:

„Den Eid können wir nicht brechen. Das geht auf keinen Fall.“ Dann schwieg er eine Weile und fuhr fort:

„Es macht nichts, es geht auch so. Wir werden den Eid nicht verletzen, aber ein Vorwand wird sich schon finden. Sorge nur dafür, daß sich das Volk wieder versammelt, aber nicht auf meinen Befehl hin, sondern aus freiem Antriebe ... ihr wißt ja selbst am besten, wie das gemacht wird. Dann kommen wir sogleich mit den Ältesten auf den Platz geeilt, als ob wir von nichts wüßten.“

Es war noch keine Stunde seit diesem Gespräch vergangen, als schon die Pauken erdröhnten. Sogleich war auch wieder eine ganze Menge von betrunkenen und unvernünftigen Kosaken zur Stelle. Tausende von Kosakenmützen füllten plötzlich den Platz. Ein mächtiges Stimmengewirr erhob sich. Überall ertönten Fragen: „Was ist geschehen? Warum hat man uns zusammengerufen?“ Niemand antwortete. Endlich tönte es aus dieser und jener Ecke hervor: „So vergeudet man die Kosakenkraft! Es gibt keinen Krieg! Die Vorsteher haben sich hinter den Ofen gelegt, und schwimmen in ihrem Fett! Es gibt keine Gerechtigkeit mehr in der Welt!“ Die Kosaken hörten erst eine Weile zu und stimmten dann mit in das Geschrei ein: „Wahrhaftig, es gibt keine Gerechtigkeit in der Welt.“ Die Ältesten schienen über die Vorwürfe sehr bestürzt zu sein. Endlich trat der Hetman vor und sagte: „Werte Herren Saporoger! erlaubt ihr mir, eine Rede zu halten?“

„Rede!“

„Werte Herren, es wird jetzt darüber gesprochen, und ihr wißt es am besten, daß viele Saporoger bei den Juden in den Schenken und auch bei den eigenen Kameraden viele Schulden haben! Kein Teufel traut ihnen mehr. Außerdem spricht man darüber, daß es bei uns eine große Anzahl von jungen Burschen gibt, die noch nie mit eigenen Augen eine Schlacht gesehen haben — während ihr doch selbst wißt, werte Herren, daß so ein junger Mensch ohne Krieg nicht leben kann. Was ist denn das auch für ein Saporoger, der sich noch nie mit den Heiden herumgeschlagen hat!“

„Er spricht ausgezeichnet,“ dachte Bulba.

„Denkt übrigens nicht, ihr Herren, daß ich das sage, um den Frieden zu stören. Gotte behüte mich! Ich meine das nur so. Und ein Gotteshaus haben wir — es ist eine wahre Sünde, wie es aussieht! Solange schon blüht die Sjetsch durch Gottes Gnade, und bis jetzt sind die Heiligenbilder — von dem Äußeren wage ich garnicht zu sprechen — noch immer ohne jeden Schmuck! Hätte ihnen wenigstens noch jemand ein silbernes Gewand geschmiedet! So aber haben sie nur gerade das erhalten, was ihnen der eine oder der andere Kosak hinterlassen hat. Diese Gaben waren aber meistens recht ärmlich, hatten sie doch schon bei Lebzeiten alles vertrunken. Ja, also ich rede nicht etwa, um den Krieg gegen die Ungläubigen zu predigen: wir haben dem Sultan Frieden geschworen, und es wäre eine große Sünde ihn zu brechen, denn wir haben auf unsern Glauben geschworen.“

„Was schwatzt er denn da durcheinander,“ sagte Bulba vor sich hin.

„Ihr seht also, werte Herren, daß sich ein Krieg nicht so leicht beginnen läßt: das wäre gegen unsere Ritterehre. Aber ich in meinem einfältigen Verstande denke mir folgendes: Man müßte einmal allein die Jungen auf Kähnen ein bißchen an der Küste Anatoliens herumstreifen lassen! Was denkt ihr darüber, ihr Herren?“

„Führe uns, führe uns alle dahin,“ schrie die Menge von allen Seiten, „für unsern Glauben opfern wir gern unser Leben.“

Der Hetman erschrak. Er hatte durchaus nicht die Absicht, alle Saporoger in Aufruhr zu bringen; jedenfalls hielt er es in diesem Falle für ehrlos, den Frieden zu brechen. „Gestattet mir noch einige Worte, werte Herren.“

„Hör auf,“ riefen die Saporoger, „was Besseres kannst du ja doch nicht sagen!“

„Nun, wenn ihr meint, so möge es denn sein. Ich bin der Knecht eures Willens. Wie es ja schon in der Schrift heißt: Volkes Stimme — Gottes Stimme. Es läßt sich nichts Klügeres erdenken, als was das ganze Volk ersonnen hat. Aber, werte Herren, ihr wißt, daß der Sultan das Vergnügen, das sich unsere tapfern Burschen gestatten werden, nicht ungestraft lassen wird? Allein inzwischen müssen auch wir uns rüsten und frische Kräfte sammeln, dann brauchen wir niemand zu fürchten. Aber während unserer Abwesenheit könnten die Tataren die Sjetsch überfallen: diese türkischen Hunde wagen es nicht, einem ins Gesicht zu sehen und einem offen gegenüberzutreten, dagegen beißen sie einem gern von hinten in die Fersen, und das gründlich. Hm, und um die Wahrheit zu sagen: wir verfügen auch nicht über so viel Boote und Pulver, wie wir benötigten, wenn alle mitziehen wollten. Im übrigen: was mich betrifft — ich bin zu allem bereit: ich bin nur der Knecht eures Willens.“

Der listige Hetman schwieg. Einzelne Haufen begannen miteinander zu beratschlagen, ebenso die Hauptleute der einzelnen Heerabteilungen. Zum Glück waren nicht allzuviele von ihnen betrunken, und man beschloß daher, sich dem vernünftigen Rat zu fügen.

Sofort wurden einige Leute ans gegenüberliegende Ufer des Dnjepr nach dem Zeughaus gesandt, wo sich in unzugänglichen Verstecken, unter dem Wasser und im Schutt, die Kriegeskasse, sowie ein Teil der vom Feinde erbeuteten Waffen befanden. Die andern machten sich schnell an die Boote, um sie gründlich zu besichtigen und für die Reise auszurüsten. In einem Augenblick war das Ufer vom Volk überschwemmt. Die Zimmerleute kamen mit dem Beil in der Hand herbeigeeilt. Alte, sonnenverbrannte, breitschultrige Saporoger, mit graumelierten und schwarzen Schnurrbärten standen mit aufgeschürzten Schifferhosen bis zu den Knien im Wasser und zogen die Boote an einem festen Tau vom Ufer herab. Andre schleppten fertige, trockene Balken und Baumstämme herbei. Da wurde ein Kahn mit Brettern verschlagen, dort kehrte man einen um und kalfaterte und teerte ihn. Hier befestigte man nach Kosakenbrauch lange Schilfbündel an den Kahnwänden, damit die Meereswellen die Boote nicht zum Kentern bringen sollten. Etwas abseits am Ufer wurden kupferne Kessel aufgestellt, in denen man Pech zum Teeren der Boote siedete. Die Älteren und Erfahrenen belehrten die Jungen, ringsum hallte alles von dem Lärm der Arbeit wider, das ganze Ufer war voller Leben und Bewegung.

Unterdessen näherte sich dem Ufer eine große Fähre, deren Bemannung schon von fern mit den Händen winkte. Es waren Kosaken in zerlumpten Röcken. Ihre zerrissene Bekleidung — mehrere von ihnen hatten nichts als ein Hemd an und eine kurze Pfeife in den Zähnen — bewies, daß sie soeben einer großen Gefahr entronnen waren oder ihr gesamtes Besitztum vertrunken und verbummelt hatten. Aus ihrer Mitte trat ein kleiner, breitschultriger Kosak von etwa fünfzig Jahren hervor, und stellte sich vorn auf die Fähre. Er schrie und bewegte die Arme noch heftiger, als die andern: aber der Lärm und das Klopfen der Arbeiter übertönte seine Stimme. „Wie kommt ihr hierher,“ fragte der Hetman, als die Fähre ans Ufer stieß. Alle Arbeiter stellten die Arbeit ein, ließen Beil und Meißel ruhen und schauten voller Erwartung drein.

„Wir haben Unglück gehabt,“ schrie der kleine Kosak auf der Fähre.

„Was für ein Unglück?“

„Erlauben die Herren Saporoger einige Worte?“

„Sprich.“

„Wollt ihr nicht lieber eine Versammlung abhalten?“

„Sprich, wir sind alle hier.“

Das Volk drängte sich zu einem Haufen zusammen.

„Habt ihr denn garnichts davon gehört, was in der Ukraine vorgeht?“

„Was denn?“ fragte einer der Hauptleute.

„Was? euch hat wohl der Tatar die Ohren verstopft, daß ihr nichts gehört habt!“

„So sprich doch, was geschehen ist!“

„Es geschieht etwas, was wir seit unserer Geburt und unserer Taufe nicht gesehen haben!“

„So sag doch endlich, was es ist, du Hundessohn!“ schrie einer aus der Menge, der die Geduld zu verlieren schien.

„Es ist eine Zeit angebrochen, wo selbst die heiligen Kirchen nicht mehr uns gehören!“

„Weshalb gehören sie uns nicht?“

„Sie sind jetzt an die Juden verpachtet. Wenn man die Juden nicht erst bezahlt, kann man keine Messe mehr darin abhalten.“

„Was faselst du?“

„Und wenn so ein Judenhund mit seiner unreinen Hand nicht ein Zeichen über die Hostie macht, kann man auch kein Ostern mehr feiern.“

„Er lügt, Brüder, es ist unmöglich, daß der unreine Jude ein Zeichen über die Hostie macht!“

„Hört zu, ich werde euch noch ganz andere Dinge erzählen. Katholische Geistliche fahren jetzt in Bauernwagen in der Ukraine herum. Das ist ja freilich noch kein Unglück, daß sie in Bauernwagen herumfahren; wohl aber das, daß sie statt der Pferde rechtgläubige Christen vorspannen. Ja, noch mehr hört mal weiter: man erzählt, daß sich die Judenweiber Röcke aus den Gewändern der Geistlichen nähen! So liegen die Dinge in der Ukraine! Und ihr sitzt hier in der Sjetsch und unterhaltet euch! Ja, man sieht, der Tatar hat euch einen solchen Schrecken eingeflößt, daß ihr weder Augen noch Ohren noch sonst etwas habt, daß ihr nichts davon merkt, was in der Welt vorgeht!“

„Halt, halt,“ unterbrach ihn hier der Hetman, der bis dahin mit zu Boden gesenkten Augen dagestanden hatte, wie alle Saporoger, die sich bei wichtigen Angelegenheiten nie von dem ersten Eindruck hinreißen lassen, sondern schweigen, bis ihre Erbitterung im stillen um so mächtiger anschwillt. „Hör auf, hör auf, hier habe ich auch noch ein Wort mitzureden. Und was habt ihr — der Teufel soll eurem Vater das Fell gerben — was habt ihr getan? Hattet ihr denn keine Säbel, he? Wie konntet ihr denn solche Niederträchtigkeiten zulassen?“

„Wie man eine solche Niederträchtigkeit unbestraft lassen kann! He? Versuch doch nur was anzufangen, wo uns allein fünfzigtausend Polen gegenüberstanden. Und dann, wir wollen unsere Schande nicht verheimlichen; es gab auch Hunde unter uns, die schon den feindlichen Glauben angenommen hatten!“

„Und was taten euer Hetman und eure Heerführer?“

„Unser Hetman hat etwas getan, wovor uns alle Gott bewahre!“

„Wie? was sagst du?“

„Hört zu: Unser Hetman liegt jetzt eingepökelt in einem kupfernen Kessel zu Warschau und die Köpfe und Hände unserer Hauptleute werden zur Augenweide für alles Volk auf den Jahrmärkten herumgeschleppt. So ist es unsern Anführern gegangen!“

Die ganze Volksmasse geriet in Bewegung. Zuerst herrschte tiefes Schweigen, wie es wohl einem schweren Unwetter vorhergeht, dann aber hallte plötzlich das ganze Ufer von wilden Reden, Ausrufen und Schreien wider.

„Was, die Juden haben die christlichen Kirchen gepachtet! Die katholischen Geistlichen spannen rechtgläubige Christen an ihre Deichseln!! Wie, man duldet auf russischem Boden solche Grausamkeiten von den verfluchten Ungläubigen! Und daß sie so mit unsern Heerführern und Hetmans umgehen! Das kann nicht sein, das darf nicht sein!“

So hallte es aus allen Ecken. Die Saporoger schrien sehr laut: sie empfanden ihre Kraft. Das war nicht mehr das Aufbrausen eines leichtsinnigen Völkchens; das war die Erregung bedachtsamer und männlicher Charaktere, die langsam in Hitze gerieten, aber, einmal entflammt, ihr inneres Feuer lange und dauernd bewahrten.

„Die ganze Judenbande muß gehenkt werden,“ schrie es aus der Menge, „sie sollen ihren Judenweibern keine Röcke mehr aus den geistlichen Gewändern nähen! Sie sollen keine Zeichen auf den heiligen Hostien machen!“

„Ersauft doch dies ganze Heidenpack im Dnjepr!“ Diese Worte, die einer aus der Menge gerufen hatte, zündeten blitzartig in allen Köpfen. Die Menge stürzte in die Vorstadt, mit dem festen Entschlusse, die ganze Judenschaft umzubringen.

Die armen Kinder Israel verloren ihre Geistesgegenwart und ihren letzten, schon ohnedies nicht allzu großen Mut, sie versteckten sich in leeren Branntweinfässern und in den Öfen, und verkrochen sich sogar unter den Röcken der Jüdinnen. Aber die Kosaken wußten sie überall zu finden.

„Erlauchte Herren,“ schrie ein langer spindeldürrer Jude, indem er sein mitleiderregendes, schreckentstelltes Haupt aus der Menge seiner Freunde hervorstreckte. „Erlauchte Herren! laßt mich euch nur ein Wort sagen, ein einziges Wort. Wir werden euch etwas mitteilen, was ihr noch nie gehört habt — etwas so Wichtiges; man kann garnicht sagen, wie wichtig es ist!“

„Gut, mag er sprechen,“ sagte Bulba, der es immer liebte, auch den schuldigen Teil anzuhören.

„Erlauchte Herren,“ sprach der Jude, „solche Herren hat man noch nie gesehen! So edle, gute und tapfere Männer gab es noch nie auf Erden.“ Seine Stimme erstarb und zitterte vor Angst. „Wie wäre es möglich, daß wir schlecht von den Saporogern dächten! Die gehören ja gar nicht zu uns, die in der Ukraine die Kirchen pachten! Bei Gott, sie gehören nicht zu uns! Das sind ja gar keine Juden! Der Teufel weiß, was das für Leute sind, das sind solche Schufte, die man bloß anspucken und ausrotten sollte! Alle hier werden es mir bestätigen! Nicht wahr, Schloma, nicht wahr, Schmuhl?“

„Bei Gott! Ob es wahr ist,“ riefen Schloma und Schmuhl aus der Menge; sie trugen zerrissene Mützen und waren so bleich wie Kalk. „Wir haben es nie mit den Feinden gehalten,“ fuhr der lange Jude fort, „und die Katholiken mögen uns überhaupt gestohlen bleiben. Der Teufel kümmere sich um sie. Wir fühlen mit den Saporogern wie mit unsern eigenen Brüdern ...“

„Was! Die Saporoger sollen eure Brüder sein!“ rief einer aus der Menge. „Verfluchte Juden, das überlebt ihr nicht! In den Dnjepr mit ihnen, werte Herren, wir wollen diese verfluchten Hunde ersäufen!“ Diese Worte wirkten wie ein Signal. Man packte die Juden bei den Händen und warf sie in die Wogen. Von allen Seiten ertönte ein jämmerliches Schreien, aber die rauhen Saporoger lachten nur, als sie die mit Schuhen und Strümpfen bekleideten Füße der Juden in der Luft herumzappeln sahen.

Der arme Redner, der durch seine Worte das Unglück selbst heraufbeschworen hatte, wand sich aus dem Kaftan heraus, bei dem man ihn bereits gepackt hatte, warf sich in seinem scheckigen und engen Kamisol Bulba zu Füßen und flehte ihn mit jämmerlicher Stimme an: „Großer, erlauchter Herr! Ich habe Euern Bruder gekannt, den seligen Dorosch! Er war die Zierde des ganzen Rittertums. Ich habe ihm achthundert Zechinen gegeben, als er Geld brauchte, um sich aus der Gefangenschaft der Türken auszulösen!“

„Du kanntest meinen Bruder?“ fragte Bulba.

„Bei Gott, ich kannte ihn! Was war das für ein großmütiger Herr!“

„Und wie heißt du?“

„Jankel.“

„Gut,“ sagte Taraß und wandte sich nachdenklich an die Kosaken. „Wenn es sein muß, werden wir immer noch genug Zeit haben, den Juden aufzuknüpfen — jetzt aber überlaßt ihn mir.“

Mit diesen Worten führte Taraß ihn zu seinem Wagen, neben dem seine Kosaken standen. „Nun, krieche unter den Wagen, bleib dort liegen und rühr dich nicht vom Fleck; und ihr, Brüder, laßt mir den Juden nicht entweichen!“

Hierauf begab er sich nach dem Platz, wo die ganze Schar bereits versammelt war. Alle hatten das Ufer und die Arbeit an den Kähnen augenblicklich verlassen, stand doch jetzt ein Kriegszug zu Lande und nicht zu Wasser bevor, und man bedurfte der Schiffe und der Kosakenboote nicht mehr, wohl aber der Wagen und Pferde. Jetzt wollten alle mit in den Krieg, Alt und Jung; im Einverständnis mit dem Rate der Ältesten, dem Hetman, den Hauptleuten und dem ganzen Heer der Saporoger beschloß man, direkt nach Polen zu ziehen, um sich für alles Böse, für die Schändung des heiligen Glaubens und der Kosakenehre, zu rächen, in den eroberten Städten Beute zu machen, Dörfer und Scheunen in Brand zu setzen und überall in der Steppe seinen Ruhm zu verbreiten. Alles rüstete und bewaffnete sich. Der Hetman schien um mehrere Zoll gewachsen zu sein. Das war nicht mehr der schüchterne Vollstrecker der launischen Wünsche eines ungezähmten Volkes; das war ein unbeschränkter Gebieter, ein Despot, der nur zu befehlen verstand. Alle die eigenwilligen und stolzen Ritter standen bewegungslos in Reih und Glied mit ehrerbietig gesenkten Köpfen, und keiner erhob die Augen, wenn der Hetman Befehle erteilte. Er tat es ruhig, ohne viel Geschrei und ohne sich zu übereilen, aber bedächtig wie ein alter, vielerfahrener Kosak, der nicht zum erstenmal einen klug erdachten Plan zur Ausführung bringt.

„Seht euch um, seht euch recht gut um,“ sagte er, „bringt die Wagen und Teereimer in Ordnung, prüft eure Gewehre. Nehmt nicht zu viel Kleidung mit euch: ein Hemd und zwei Paar Hosen pro Mann und einen Topf mit Hirsebrei — keiner soll mehr bei sich führen. In den Wagen wird schon soviel Vorrat sein, als unbedingt nötig ist. Jeder Kosak soll ein Paar Pferde mit sich führen, auch nehmen wir zweihundert Paar Ochsen mit, da wir ihrer bei den Furten und in den morastigen Gegenden bedürfen könnten. Und, werte Herren, haltet vor allem auf Ordnung! Ich weiß, daß es einige unter euch gibt, die, sobald Gott eine reiche Beute schickt, sich sofort die Füße in Nanking und Seide hüllen. Laßt euch nicht vom Teufel verführen, werft allen Tand fort und nehmt euch höchstens ein Gewehr mit, wenn es gut ist, und ein paar Dukaten oder etwas Silbergeld — das sind Dinge, die nicht viel Raum einnehmen und die man immer gebrauchen kann.

Und das sage ich euch im voraus, werte Herren: sollte sich jemand von euch während des Feldzuges betrinken, so lasse ich ihn ohne jedes Gerichtsverfahren, wie einen Hund beim Genick packen, an den Wagen binden, und — mag er der tapferste Kosak sein — er wird sofort wie ein Hund erschossen und ohne Begräbnis den Vögeln zum Fraß überlassen, denn jemand, der sich im Feldzug betrinkt, ist eines christlichen Begräbnisses unwürdig. Ihr aber, ihr jungen Männer, gehorcht in allem den Alten. Wenn euch eine Kugel trifft oder ein Säbel euch am Kopf oder sonstwo verwundet: legt dem keine große Bedeutung bei; mischt eine Ladung Pulver in einem Becher Schnaps, trinkt ihn mit einem Satz aus, und alles geht vorüber, ohne jedes Fieber; oder wenn die Wunde nicht gar zu groß ist, so legt einfach etwas Erde darauf, nachdem ihr sie erst auf der Handfläche mit etwas Speichel verrieben habt: dann heilt sie bald zu. Und nun, an eure Arbeit, ihr Jungen, an die Arbeit, aber ohne Eile und mit Bedacht!“

So sprach der Hetman, und sobald er seine Rede beendet hatte, machten sich alle Kosaken sofort an ihre Arbeit. Die ganze Sjetsch wurde nüchtern und nirgends war ein Betrunkener mehr zu sehen, als hätte es unter den Kosaken nie welche gegeben. Die einen brachten die Räderreifen in Ordnung und ersetzten die alten Wagenachsen durch neue, andere trugen Säcke mit allerhand Vorräten in die Wagen oder luden Waffen auf, andere wieder trieben die Pferde und Ochsen zusammen. Von allen Seiten hörte man das Stampfen der Pferde, das Einschießen der Gewehre, das Klirren der Säbel, das Gebrüll der Ochsen, das Knarren der schwerbepackten Wagen und das laute Schreien und Rufen der Krieger. Bald dehnte sich das Kosakenlager über das ganze Feld aus. Und der hätte lange laufen können, der es von Anfang bis Ende hätte durchqueren wollen. In der kleinen Holzkirche hielt der Geistliche einen Gottesdienst ab und besprengte alle mit Weihwasser, und alle küßten das Kreuz. Als das Lager sich in Bewegung setzte und aus der Sjetsch hinauszog, da sahen sich alle Saporoger noch einmal um. „Leb wohl, du, unsere Mutter,“ riefen sie fast einstimmig, „möge dich Gott vor jedem Unglück bewahren!“

Als sie durch die Vorstadt zogen, bemerkte Taraß Bulba, daß der Jude Jankel sich bereits wieder eine Bude mit einem Schutzdach eingerichtet hatte und Feuersteine, Decken, Pulver und allerlei nützliche Dinge, die ein Heer im Kriege brauchen kann, ja sogar Zwieback und Brot feilbot. „So ein Teufelskerl dieser Jude,“ dachte Taraß, sprengte an ihn heran und sagte: „Du Narr, was sitzt du hier? Willst du, daß man dich wie einen Sperling niederschießt?“

Jankel trat vorsichtig zu ihm heran, machte ihm mit beiden Händen allerhand Zeichen, als wolle er ihm ein Geheimnis mitteilen, und sagte: „Wenn der Herr nur schweigen und es sonst keinem sagen wollte; unter den Kosakenwagen befindet sich einer, der mir gehört, ich führe allerlei nützliche Dinge für die Kosaken mit, und will euch unterwegs den Proviant so billig liefern, wie noch nie ein anderer Jude; bei Gott, es ist so, so wahr mir Gott helfe!“

Taraß Bulba zuckte die Achseln; er wunderte sich über die zähe, flinke Natur des Juden und ritt ins Lager zurück.

Fünftes Kapitel

Bald war der ganze Südwesten Polens eine Beute des Schreckens. Überall erklang der Ruf: „Die Saporoger, die Saporoger sind gekommen!“ Alles was sich in Sicherheit bringen konnte, tat es. Alles machte sich auf und davon, wie es in jenem barbarischen, sorglosen Zeitalter Sitte war, wo man weder Festungen noch Burgen kannte, und wo der Mensch sich seine Strohhütte an dem ersten besten Ort baute. Man dachte: es hat ja doch keinen Sinn, Arbeit und Geld an ein Haus zu wenden, wenn der Tatar es ja doch zerstört. Alles geriet in Bewegung und Unruhe; der eine vertauschte Pflug und Heerde gegen Pferd und Flinte und trat in das Heer ein, ein anderer versteckte sich und sein Vieh und trug fort, was er tragen konnte. Gewiß stieß man hin und wieder auch auf solche, die die Gäste mit der Waffe in der Hand empfingen, aber die weitaus größere Zahl entfloh schon vorher. Alle wußten es, daß es eine schwere Sache ist, sich mit jenem wilden und kriegerischen Haufen einzulassen, der den Namen des „Saporoger Heeres“ trug, und der trotz seiner äußerlichen Willkür und Unordnung eine Ordnung zu halten wußte, wie sie in der Schlacht erforderlich ist. Die Reiter überlasteten und erhitzten ihre Pferde nicht; die Fußgänger schritten nüchtern hinter den Wagen her; das ganze Feldlager bewegte sich nur nachts vorwärts, bei Tage ruhte es aus und zwar auf freien und unbewohnten Plätzen und Wäldern, die damals noch im Überfluß vorhanden waren. Man sandte Kundschafter und Spione voraus, um sich über die jeweilige Lage zu unterrichten. Oft tauchte die ganze Schar gerade an den Orten auf, wo man sie am wenigsten erwartete — und dann sagten alle dem Leben Ade. Die Dörfer wurden an allen Ecken und Enden angezündet; das Vieh und die Pferde, die dem Heere nicht folgen konnten, wurden an Ort und Stelle niedergemacht. Es schien, als ob die Kosaken es mehr auf ein schwelgerisches Leben abgesehen hatten, als auf einen Feldzug. Die Haare stehen einem noch heute zu Berge, wenn wir uns jene schrecklichen Zeichen der Grausamkeit eines halbwilden Zeitalters ins Gedächtnis rufen, wie sie die Saporoger überall offenbarten. Erschlagne Säuglinge, Frauen mit abgeschnittenen Brüsten, das waren ihre Heldentaten; und wenn sie jemand in Freiheit setzten, zogen sie ihm vorher bis zu den Knien die Haut von den Füßen ab. Kurz, die Kosaken zahlten ihre früheren Schulden mit harter Münze heim. Als der Abt eines Klosters hörte, daß sie im Anzuge seien, sandte er ihnen zwei Mönche entgegen und ließ ihnen sagen, sie handelten nicht so, wie es sich gehöre; zwischen den Saporogern und der Regierung sei Frieden geschlossen, daher verletzten sie ihre Pflicht gegen den König und zugleich damit das Völkerrecht. Hierauf erwiderte ihnen der Hetman: „Sage deinem Erzbischof in meinem und aller Saporoger Namen, daß er nichts zu befürchten hat, die Kosaken zünden sich ja bloß ihre Pfeifen an.“

Bald war die majestätische Abtei von vernichtenden Flammen erfaßt, und die mächtigen gotischen Fenster schauten düster durch das lodernde Glutmeer. Flüchtige Haufen von Mönchen, Juden und Frauen erfüllten plötzlich alle Städte, in denen nur ein Schein von Hoffnung auf die Garnison und die städtische Besatzung bestand. Die von der Regierung von Zeit zu Zeit, aber meist immer zu spät zu Hilfe gesandten Detachements fanden die Kosaken entweder nicht oder gaben bei dem ersten Zusammenstoß Fersengeld und flüchteten sich auf ihren wackeren Pferden. Es kam auch vor, daß einige königliche Heerführer, die in früheren Schlachten siegreich geblieben waren, beschlossen, sich den Saporogern mit vereinten Kräften entgegenzustellen. Das aber waren gerade die Gelegenheiten, in denen die jungen Kosaken ihre Kräfte prüften: sie verabscheuten die Geldgier und die Nichtswürdigkeiten gegenüber dem wehrlosen Feind, hier aber brannten sie vor Verlangen, sich vor den Alten auszuzeichnen und sich Mann gegen Mann im offenen Kampfe mit dem kecken und prahlerischen Polen zu messen, der auf seinem stolzen Roß im prächtigen, vom Winde geblähten Mantel mit den herabhängenden Ärmeln angesprengt kam.

Das war eine fröhliche Wissenschaft; sie hatten schon viel reiches Pferdegeschirr, kostbare Säbel und Gewehre erbeutet. Im Verlauf eines Monats hatten die Jünglinge alles Knabenhafte abgelegt, und die kaum flügge gewordenen Jungen waren zu Männern herangereift; ihre Gesichtszüge, die bisher eine gewisse jugendliche Sanftheit aufwiesen, waren nun streng und ernst. Der alte Taraß sah mit Freuden, wie seine beiden Söhne überall die ersten waren. Ostap schien schon in der Wiege dazu bestimmt zu sein, ein Kämpferdasein zu führen, und Heldentaten zu verrichten. Nichts brachte ihn in Verwirrung oder ließ ihn den Kopf verlieren; mit einer für einen zweiundzwanzigjährigen Jüngling fast unverständlichen Kaltblütigkeit wußte er im Augenblick die Gefahr und die Sachlage zu überblicken; und er fand auch sofort ein Mittel, der Gefahr auszuweichen, aber so daß er sie um so sicherer überwand. Seine Bewegungen zeigten schon Erfahrung und Selbstvertraun: man erkannte in ihm sofort den zukünftigen Führer. Sein Körper schwoll von Kraft; und seine ritterlichen Tugenden hatten etwas von der gewaltigen Kraft des Löwen.

„Oh, der wird mit der Zeit noch ein tüchtiger Hetman werden,“ sagte der alte Bulba, „ja, ja, das gibt einen ausgezeichneten Feldherrn ab, der stellt noch den Vater in Schatten.“

Andrij war wie bezaubert von der wundervollen Musik der Kugeln und Schwerter. Er kannte die Bedeutung des Überlegens, Berechnens und des Ausmessens der eignen und fremden Kräfte nicht. Die Schlacht war ihm ein tolles, wonniges Vergnügen, und ihm war in solchen Augenblicken zumute, wie einem Menschen bei einem Feste, wenn das Gesicht glüht, alles vor den Augen schwirrt und durcheinandergeht, die Schädel herabsausen, die Rosse dröhnend zu Boden stürzen, und er wie trunken im Lärm der Kugeln und zwischen blitzenden Säbeln dahinfliegt, und nach allen Seiten um sich haut, ohne selbst die Hiebe zu empfinden, die er empfängt. Oft genug wunderte sich der Vater auch über Andrij, wenn er sah, wie er, von seiner wilden Leidenschaft hingerissen, sich an Dinge wagte, die ein Kaltblütiger und Überlegender stets gemieden hätte, und in seinem rasenden Draufgängertum Wunder verrichtete, über die selbst alte in Schlachten ergraute Kosaken in Staunen geraten mußten. Dann bewunderte ihn der alte Taraß und sagte wohl: „Auch er ist ein tüchtiger Krieger — der Feind vermag nichts gegen ihn. Er ist kein Ostap, aber doch ein tüchtiger, ein sehr tüchtiger Krieger.“

Man hatte beschlossen, direkt gegen die Stadt Dobno zu marschieren, die, wie es hieß, reiche Schätze barg und begüterte Bürger beherbergte. In anderthalb Tagen war der Weg zurückgelegt, und die Saporoger standen bereits vor der Stadt. Die Einwohner hatten beschlossen, sich bis zum letzten Blutstropfen, ja bis zum Äußersten zu verteidigen, und wollten lieber auf den Märkten und an den Schwellen ihrer Häuser sterben, als den Feind in ihr Heim hineinlassen. Ein großer Erdwall umgab die Stadt; wo er zu niedrig war, da erhob sich eine steinerne Mauer, oder ein Haus, das als Batterie diente, oder endlich ein aus eichenen Bohlen errichteter Zaun. Die Besatzung war stark und empfand die ganze Bedeutung der Lage. Die Saporoger hatten schon einen wilden Sturm gegen den Wall versucht, aber ein Kartätschenfeuer prasselte auf sie herab. Auch die Bürger und die sonstigen Stadtbewohner schienen die Hände nicht in den Schoß legen zu wollen und eilten in Massen auf die Stadtmauern. Der feste Wille zu einem verzweifelten Widerstand war in ihren Augen zu lesen: die Frauen beschlossen ebenfalls, an der Verteidigung teilzunehmen, warfen Steine, Fässer und Töpfe voll siedendem Pech auf die Köpfe der Saporoger und schütteten zuletzt Säcke voll Sand über sie aus, die ihnen die Augen blendeten. Die Saporoger hatten es nicht gern mit Festungen zu tun, Belagerungen waren eben ihre Sache nicht. Der Hetman ordnete daher den Rückzug an und sagte: „Genug, werte Herren und Brüder, wir ziehen uns zurück. Aber ihr sollt mich einen schlechten Tataren und nicht einen Christen nennen, wenn wir auch nur einen aus der Stadt herauslassen. Mögen sie alle vor Hunger krepieren, die Hunde!“ Das Heer zog sich zurück, umzingelte die Stadt und begann zum Zeitvertreib die Umgebung zu verwüsten. Man zündete die umliegenden Dörfer und die noch nicht eingebrachten Getreidehaufen an und hetzte die Pferde in Massen auf die von der Sichel noch unberührten Felder, auf denen sich wie zum Trotze fette Ähren wiegten — die Frucht eines außerordentlich guten Jahres, das den Bauern eine reichliche Ernte versprach. Voller Schrecken sahen die Bürger in der Stadt, wie ihre Existenzmittel vernichtet wurden. Unterdessen hatten die Saporoger ihre Wagen in zwei Reihen um die Stadt gezogen, und gerade so wie in der Sjetsch in einzelnen Quartieren ihr Lager aufgeschlagen; sie rauchten ihre Pfeifen, tauschten miteinander ihre erbeuteten Waffen aus, spielten Bockspringen, Gerade und Ungerade, wie sichs traf, und noch andere Glücksspiele und blickten hie und da mit geradezu mörderischer Kaltblütigkeit nach der Stadt hin. Nachts wurden Feuer angezündet, jedes Quartier kochte sich seinen Brei in mächtigen kupfernen Kesseln, und die Wachen, die die ganze Nacht kein Auge schließen durften, standen um das Feuer herum.

Bald aber wurden den Saporogern die Tatenlosigkeit und die andauernde Nüchternheit, der keine Unternehmungen das Gleichgewicht hielten, langweilig. Der Hetman ordnete sogar an, eine doppelte Ration Wein auszuteilen, wie es im Heer hin und wieder zu geschehen pflegte, wenn keine Schlachten oder sonstige schwierige Unternehmungen bevorstanden. Den jungen Kosaken und besonders Taraß Bulbas Söhnen gefiel ein solches Leben ganz und gar nicht. Andrij war die Ungeduld schon von weitem anzusehen. „Du unvernünftiger Bursche,“ sagte Taraß zu ihm, „hab Geduld, Kosak! — und du wirst Hetman! Nicht der ist ein guter Krieger, der nur in schwierigen Lagen den Kopf oben behält, sondern der, der den Mut nicht sinken läßt, auch wenn es nichts zu tun gibt, der alle Dinge erträgt und endlich doch seinen Willen durchsetzt.“ Aber ein feuriger Jüngling versteht einen Greis nicht so leicht: ihre Natur ist zu verschieden, und sie sehen die gleiche Sache mit ganz andern Augen an.

Inzwischen aber war Taraß’ Aufgebot unter Towkatschs Führung angekommen, und mit ihm zwei Hauptleute, ein Schreiber und andere Offiziere; die Gesamtzahl der Kosaken betrug jetzt mehr als viertausend. Darunter befanden sich auch viele Freiwillige, die ganz von selbst auf das bloße Gerücht von den Kämpfen und ungerufen zu ihnen gestoßen waren. Die Hauptleute brachten Taraß’ Söhnen den Segen der alten Mutter und je ein Heiligenbild aus Zedernholz aus dem Meschigorski-Kloster von Kiew mit. Beide Brüder hingen sich die heiligen Bilder um den Hals und verfielen unwillkürlich in Träumereien, als sie so an die alte Mutter erinnert wurden. Was prophezeite, was verhieß dieser Segen? Den Sieg über den Feind, eine reiche Beute und frohe Rückkehr in die Heimat, ewige Preisgesänge der Lautenspieler — oder ...? Aber die Zukunft kennt keiner — und wie Herbstnebel, der aus dem Sumpf emporsteigt, liegt sie vor dem Menschen: blind fliegen die Vögel, ängstlich mit den Flügeln schlagend, hin und her, sie erkennen einander nicht — das Täubchen nicht den Habicht und der Habicht nicht das Täubchen — und niemand weiß, ob nicht das Verderben schon auf ihn wartet, während er weiter fliegt ...

Ostap beschäftigte sich wieder mit seinen Angelegenheiten und lebte sein gewöhnliches Lagerleben, aber Andrij empfand — er wußte selbst nicht warum — eine gewisse Unruhe im Herzen. Die Kosaken hatten ihr Abendessen bereits eingenommen, das Abendrot war längst verglüht, und die Luft war voll von der Pracht einer wundervollen Julinacht. Allein Andrij suchte sein Lager nicht auf, er legte sich nicht schlafen und versenkte sich unwillkürlich in das Bild, das sich vor ihm ausbreitete. Am Himmel leuchteten viele Sterne voll weißen und kühlen Glanzes auf. Das Feld war über eine weite Strecke hin mit Wagen bedeckt, die allerlei schöne Dinge und den Proviant bargen, den man dem Feinde geraubt hatte, und an denen mit Teer gefüllte Eimer hingen. Neben und unter den Wagen, und nicht weit davon entfernt lagen die Saporoger weit ausgestreckt auf dem Grase. Sie waren in den verschiedensten, malerischsten Stellungen eingeschlafen: der eine hatte sich ein Bündel, der andere die Mütze unter den Kopf geschoben, ein dritter benutzte einfach den Körper seines Kameraden als Kissen. Neben jedem Kosaken lag ein Säbel, eine Büchse, eine kurze Pfeife mit Kupferbeschlag und einem eisernen Stäbchen, sowie ein Feuerstein. Schwerfällige Ochsen lagen, die Beine unter den Körper gezogen, auf dem Felde, und ihre großen weißlichen Massen glichen von ferne grauen Felsblöcken, die auf den abschüssigen Feldern verstreut lagen. Von allen Seiten ertönte das Schnarchen der auf dem Grase ruhenden Krieger, dem vom Felde her die über ihre Fesselung unwilligen Hengste mit lautem Gewieher antworteten.

Diese Julinacht bot indessen auch majestätische und drohende Bilder dar: den Widerschein der brennenden Dörfer im Umkreis. Hier stieg die Flamme stolz und königlich zum Himmel auf, dort loderte sie plötzlich — von neuer Nahrung gespeist — wie ein entfesselter Wirbel pfeifend bis zu den Sternen empor, und ihre Funken erloschen erst fern am Horizont. Drohend wie ein Karthäuser Mönch stand das abgebrannte schwarze Kloster da und ließ bei jedem Aufleuchten des Feuers seine ganze düstere Größe sehen; etwas weiter brannte der Klostergarten, man glaubte die in Rauch gehüllten Bäume prasseln zu hören, und, so oft die Flammen hervorzüngelten, fiel ihr Schein plötzlich mit violettem, phosphoreszierendem Licht auf die reifen Pflaumenbüschel oder verwandelte hie und da die gelben Birnen in eitel Gold, bisweilen aber tauchte gleich einer schwarzen Masse der elende Körper eines an einem Baumast oder an einer Mauer hängenden Juden oder Mönches auf, der zugleich mit dem Gebäude seinen Untergang gefunden hatte. In gemessener Entfernung umkreisten Vögel, die kleinen schwarzen Kreuzen auf einem feuerroten Felde glichen, den Brandherd.

Die umzingelte Stadt schien im Schlaf versunken, ihre Türme, Dächer, Zäune und Mauern leuchteten stumm im Widerschein der fernen Brände ... Andrij schritt durch die Reihen der Kosaken. Die Scheiterhaufen, an denen die Wächter saßen, drohten jeden Augenblick zu verlöschen, und die Wächter selbst waren eingeschlafen, nachdem sie ihren kräftigen Kosakenappetit reichlich befriedigt hatten. Er wunderte sich nicht wenig über ihre Sorglosigkeit und dachte darüber nach, wie gut es doch sei, daß kein starker Feind in der Nähe und daß nichts zu fürchten wäre. Endlich näherte auch er sich einem der Wagen, kletterte hinauf und legte sich auf den Rücken, nachdem er die gefalteten Hände unter den Kopf geschoben hatte. Aber er konnte nicht einschlafen und blickte lange zum Himmel empor, der sich in seiner ganzen Unendlichkeit offen vor ihm ausbreitete; die Luft war rein und durchsichtig, das Sternenheer, das die Milchstraße bildete, zog sich schräg gleich einem Gürtel über den Himmel hin, und alles war wie mit Licht überflutet. Von Zeit zu Zeit schien Andrij alles zu vergessen, ein leichter Schlummer verhüllte wie ein Nebel den Himmel, der sich jedoch bald wieder aufklärte und ganz sichtbar wurde.

Mit einem Male war es ihm, als nähere sich ihm ein sonderbares menschliches Gesicht. Er glaubte natürlich, es sei ein Traum, der sich gleich wieder verflüchtigen werde, öffnete die Augen weit und sah, daß sich wirklich ein welkes und verhärmtes Gesicht über ihn gebeugt hatte und ihm in die Augen starrte. Lange, kohlschwarze, ungekämmte Haarsträhnen krochen wild aus dem dunklen, leicht übergeworfenen Kopftuch hervor. Das sonderbare Leuchten des Auges und die totenhafte Blässe des mageren Antlitzes mit den scharf hervortretenden Zügen verstärkten seine Meinung, ein Gespenst vor sich zu haben. Unwillkürlich griff er nach der Flinte und stieß fast krampfhaft hervor:

„Wer bist du? Bist du ein Teufel, so hebe dich weg, weit fort aus meinen Augen, bist du aber ein Mensch, so scherzest du zur Unzeit, ich nehme mein Gewehr und schieße dich nieder!“

Statt jeder Antwort legte die Erscheinung den Finger an den Mund und schien hierdurch um Schweigen zu flehen. Er ließ den Arm sinken und begann, sie aufmerksamer zu betrachten. An den langen Haaren, dem Hals, der braunen halbentblößten Brust erkannte er eine Frau. Sie schien eine Ausländerin zu sein: ihr Gesicht hatte eine gelblich-braune Farbe und war durch Krankheit völlig abgemagert, die breiten Knochen traten stark unter den eingefallenen Wangen hervor; der schmale Schlitz der Augenlider stieg bogenförmig nach oben empor. Je länger er sie betrachtete, um so bekannter schienen ihm ihre Züge. Endlich hielt er es nicht mehr aus und fragte:

„Sprich, wer bist du? Ich glaube, dich schon einmal gekannt oder gesehen zu haben?“

„Vor zwei Jahren in Kiew ....“

„Vor zwei Jahren in Kiew,“ wiederholte Andrij und suchte sich an alles zu erinnern, was sein Gedächtnis ihm aus seiner Seminarzeit noch aufbehalten hatte. Noch einmal faßte er sie fest ins Auge und plötzlich schrie er laut auf: „Du — du bist die Tatarin! Die Zofe des Fräuleins, der Tochter des Wojewoden!“

„Pst!“ machte die Tatarin, faltete flehend die Hände und sah sich zitternd um, ob nicht etwa jemand durch Andrijs lauten Schrei erwacht sei.

„Sprich doch, sprich doch, weshalb bist du hier,“ flüsterte ihr Andrij beinah atemlos zu, die innere Erregung ließ ihn jeden Augenblick inne halten. „Wo ist das Fräulein? Lebt sie noch?“

„Sie ist hier, in der Stadt!“

„In der Stadt?“ wiederholte er und hätte beinah aufgeschrien; er fühlte wie sein ganzes Blut plötzlich zum Herzen strömte, „warum ist sie in der Stadt?“

„Weil der alte Herr dort ist, er ist seit anderthalb Jahren Wojewode in Dubno.“

„Und ist sie verheiratet? So sprich doch, sprich! Wie merkwürdig du bist! Was macht sie jetzt?“

„Sie hat seit zwei Tagen nichts mehr gegessen!“

„Was?“

„Die Einwohner unserer Stadt haben schon lange kein Stück Brot mehr gesehen, sie nähren sich nur noch von Erde ...“

Andrij erstarrte vor Entsetzen.

„Das Fräulein hat dich von der Stadtmauer aus bei den Saporogern gesehen und mir den Auftrag gegeben: „Geh und sag dem Ritter: wenn er sich meiner erinnert, soll er zu mir kommen, wenn nicht — so soll er dir ein Stück Brot für meine alte Mutter geben — ich kann nicht sehen, wie meine Mutter vor meinen Augen stirbt. Es ist besser, ich sterbe zuerst und dann sie. Bitte ihn, umschlinge seine Knie und küsse seine Füße; er hat auch eine alte Mutter, er soll mir um ihretwillen ein Stück Brot geben.“

Die widerstreitendsten Gefühle erwachten in Andrij und bewegten die Brust des jungen Kosaken.

„Wie ist dir’s nur gelungen, hierher zu kommen?“

„Ich habe einen unterirdischen Gang benutzt.“

„Gibt es denn einen unterirdischen Gang hierher?“

„Ja.“

„Wo ist er?“

„Wirst du uns auch nicht verraten, Ritter?“

„Ich schwöre dir’s beim heiligen Kreuz.“

„Man geht erst am Ufer entlang und überschreitet das Flüßchen an der Stelle, wo das viele Schilf wächst.“

„Und er führt direkt in die Stadt hinein?“

„Gerade in das städtische Kloster.“

„Komm, komm, laß uns sogleich gehn.“

„Aber um Christi und der heiligen Jungfrau willen — erst ein Stück Brot!“

„Schon gut, du sollst es haben. Bleib hier am Wagen stehen, oder besser, leg dich hinein, so wird dich niemand sehen, alle schlafen, ich komme gleich zurück.“

Und er eilte zu dem Wagen, in dem die Vorräte seiner Truppe aufbewahrt wurden. Sein Herz klopfte zum Zerspringen. Die ganze Vergangenheit, alles, was durch das ständige Lagerleben, durch das rauhe Soldatendasein betäubt war — erwachte auf einmal wieder und ließ ihn die Gegenwart völlig vergessen. Wieder tauchte die stolze Frau wie aus dunklen Meeresfluten vor ihm empor, wieder leuchteten ihre herrlichen Arme in seinem Innern auf, ihre Augen, ihre lachenden Lippen, die dichten, dunkelbraunen Haare, die in krausen Locken über ihren Busen fielen — die festen, schöngeformten Glieder ihrer jungfräulichen Gestalt. Nein, dieses Bild war nie aus seinem Herzen geschwunden, es hatte nur für einige Zeit andern mächtigen Gefühlen Platz machen müssen, aber häufig genug hatte es den tiefen Schlaf des jungen Kosaken beunruhigt, und oft lag der Erwachte schlaflos auf seinem Lager, ohne sich den Grund hierfür erklären zu können ...

Er ging, sein Herz klopfte bei dem Gedanken, sie wieder zu sehen, immer stärker und stärker, und seine jungen Knie wankten unter ihm. Als er die Wagen endlich erreicht hatte, wußte er nicht mehr, weshalb er gekommen war; er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und versuchte es, sich an das zu erinnern, was er eigentlich beabsichtigte. Endlich zuckte er zusammen, ein wilder Schrecken erfüllte ihn; plötzlich kam es ihm in den Sinn, daß sie vor Hunger stirbt. Schnell lief er zu dem Wagen heran und steckte sich mehrere große schwarze Brote unter den Arm; aber da ergriff ihn ein Zweifel, ob diese Nahrung, die wohl für einen kräftigen, nicht sehr wählerischen Saporoger genügen mochte, für ein so zartes Wesen wie sie nicht zu grob und zu schwer sein würde. Er erinnerte sich, daß der Hetman die Kosaken, denen die Bereitung des Breis oblag, noch gestern ausgescholten hatte, weil sie das ganze Buchweizenmehl verbraucht hatten, obwohl es für drei Mahlzeiten ausgereicht hätte. Fest davon überzeugt, daß er noch genügend Brei finden würde, holte er den Feldkessel seines Vaters hervor und ging damit zum Koch seiner Abteilung, der zwischen zwei Kesseln schlief, die wohl zehn Eimer fassen mochten und unter denen noch die Asche glimmte. Als er in die Kessel hineinblickte, sah er zu seinem Erstaunen, daß beide leer waren. Die Kosaken mußten geradezu unmenschliche Kräfte entwickelt haben, um alles aufzuessen, zumal seine Abteilung weniger Krieger zählte als die andern. Er blickte auch in die Kessel der anderen Abteilungen hinein, es war alles leer. Unwillkürlich fiel ihm das Sprichwort ein: „Die Saporoger sind wie Kinder: ist wenig da, so begnügen sie sich mit wenig, ist viel da, so lassen sie nichts übrig.“ Übrigens mußte sich im Wagen seines Vaters noch ein Sack mit Weißbrot befinden, den man bei der Plünderung der Klosterküche entdeckt hatte. Er ging geradewegs zum väterlichen Wagen, aber er fand den Sack nicht mehr vor. Ostap hatte ihn sich unter den Kopf gelegt und schnarchte, auf der Erde ausgestreckt, so laut, daß es durch das ganze Feld schallte. Andrij ergriff den Sack mit einer Hand und riß ihn unter Ostaps Kopf hervor, sodaß dieser auf den Boden sank. Ostap fuhr schlaftrunken auf und schrie mit geschlossenen Augen aus voller Kehle: „Greift, greift den verfluchten Polen, greift ihn, fangt doch sein Pferd, fangt sein Pferd!“ „Halt den Mund, sonst schlag ich dich tot,“ rief Andrij voller Schrecken und wollte mit dem Sack dreinschlagen. Aber Ostap war ohnehin schon wieder verstummt und schnarchte so laut, daß sich das Gras, auf dem er schlief, unter seinen Atemzügen hin- und herbewegte. Andrij sah sich scheu nach allen Seiten um, um sich darüber zu vergewissern, ob nicht Ostaps Geschrei einen von den Kosaken aufgeweckt hätte. In dem benachbarten Lager hatte sich in der Tat ein zottiger Kopf aufgerichtet und sah sich um, sank jedoch gleich wieder zu Boden. Andrij wartete noch zwei Minuten und zog dann mit seiner Last ab. Die Tatarin lag noch immer mit krampfhaft angehaltenem Atem auf dem Wagen.

„Steh auf, komm! Alle schlafen, fürchte dich nicht! Kannst du vielleicht eins von diesen Broten tragen, wenn ich keinen Platz für sie alle finden sollte?“ Mit diesen Worten lud er sich die Säcke auf den Rücken, nahm, als sie an einem Wagen vorbeigingen, noch einen Sack mit Hirse mit, ergriff selbst die Brote, die er der Tatarin zum Tragen geben wollte, und schritt dann, von seiner Last ein wenig zusammengebeugt, mutig durch die Reihen der schlafenden Saporoger hindurch.

„Andrij!“ rief der alte Bulba in dem Augenblick, als der Sohn an ihm vorbeikam. Sein Herz stockte, er blieb stehen und fragte zitternd: „Was willst du?“

„Du hast ein Weib bei dir! Wenn ich aufstehe, prügle ich dich durch, so groß du bist. Die Weiber führen einen nie zum Guten!“

Und mit diesen Worten stützte er den Kopf in die Hand und betrachtete aufmerksam die in ihr Tuch eingehüllte Tatarin.

Andrij stand mehr tot wie lebendig daneben. Er hatte nicht den Mut, seinem Vater ins Gesicht zu blicken. Doch als er endlich die Augen zu erheben wagte und ihn ansah, hatte der alte Bulba wieder den Kopf auf die Hand gestützt und schlief.

Andrij schlug ein Kreuz. Der Schrecken wich ebenso schnell aus seinem Herzen, wie er gekommen war. Als er sich nach der Tatarin umwandte, sah er sie in ihr schwarzes Tuch gehüllt, unbeweglich wie eine Granitsäule vor sich stehen, und der Widerschein der fernen Feuersbrunst spiegelte sich in ihren Augen, die starr waren wie die einer Toten. Er zupfte sie am Ärmel, und beide gingen, sich unablässig umschauend, zusammen vorwärts, bis sie endlich an einem Berghang vorbei in ein tiefes Tal oder an eine Böschung gelangten, auf deren Grunde sich ein Flüßchen träge dahinschlängelte; das Tal war mit Riedgras bewachsen und mit zahlreichen kleinen Erdhügeln übersät. Nachdem sie die Schlucht betreten hatten, konnten sie von dem Feld aus, auf dem die Saporoger lagerten, nicht mehr gesehen werden. Wenigstens sah Andrij, als er sich umwandte, die abschüssige Böschung sich hinter ihm gleich einer steilen Wand fast manneshoch erheben. Auf der Höhe schwankten einige große Feldblumen hin und her, und über ihnen stieg der Mond schräg gleich einer Sichel aus gemünztem Golde am Himmel empor. Ein leichter aus der Steppe herabwehender Wind ließ vermuten, daß es nicht mehr lange bis Tagesanbruch sei. Aber nirgends ertönte ein ferner Hahnenschrei: es gab schon seit langer Zeit weder in der Stadt noch in der ausgeplünderten Umgebung einen Hahn mehr.

Auf einem schmalen Brett überschritten sie den Fluß, dessen jenseitiges Ufer sich noch höher erhob als das andere und in Form eines steilen Abhanges emporstieg. Es schien dies der stärkste und von Natur auch der sicherste Punkt der städtischen Befestigungen zu sein; wenigstens war der Erdwall hier niedriger, und doch war von der Besatzung dahinter nichts zu sehen. Allerdings erhoben sich dafür in einiger Entfernung die starken Klostermauern. Das steile Ufer war überall mit Steppengras bewachsen, und der schmale Raum zwischen ihm und dem Flüßchen war mit mannshohem Schilfrohr bedeckt. Oben auf der Böschung sah man die Überreste eines geflochtenen Zauns, der wohl früher einen Gemüsegarten umfriedet hatte; davor wuchsen Disteln mit großen breiten Blättern, aus welchen Gänsefuß, stachelichte Kletten und Sonnenblumen hervorragten, die ihr Haupt stolz in die Luft streckten. Hier angelangt zog die Tatarin ihre Schuhe mit den hohen Absätzen aus und ging barfuß weiter, wobei sie sorgfältig ihr Kleid emporhob, denn der Weg wurde jetzt sumpfig und feucht. Sie bahnten sich mühsam einen Pfad durch das Röhricht, bis sie vor einem Haufen Reisig und Faschinen haltmachten. Sie entfernten das Reisig und fanden eine Art Erdhöhle, deren Öffnung wenig größer als die eines Backofens war. Die Tatarin bückte sich und ging voran, Andrij folgte ihr ebenfalls so gebückt wie möglich, um mit seinen Säcken hindurchzukommen, und bald befanden sich beide in vollkommener Finsternis.

Sechstes Kapitel

Andrij vermochte sich in dem finstern schmalen Gang kaum zu bewegen, zumal er hinter der Tatarin her schleichen mußte, und noch dazu mit den vielen Brotsäcken vollauf bepackt war. „Gleich werden wir wieder sehen,“ sagte seine Führerin, „wir sind schon nahe an der Stelle, wo ich die Lampe hingestellt habe.“

Und in der Tat, die dunklen Wände begannen sich allmählich zu erhellen. Sie erreichten einen kleinen Vorplatz, auf dem sich eine Kapelle zu befinden schien, wenigstens stand ein schmales Tischchen in der Form eines Altars an der Wand, über dem ein völlig verwaschenes und verblichenes Bild der heiligen Jungfrau angebracht war. Ein kleines silbernes Lämpchen, das vor ihm hing, beleuchtete es notdürftig. Die Tatarin bückte sich und hob eine kupferne Lampe vom Boden auf, die sie hier zurückgelassen hatte und an deren schlankem, schmalem Fuß ein Kettchen mit einer Zange, einer Nadel zum Ordnen des Dochtes und ein Löschhorn hing. Sie zündete die Lampe an dem Lämpchen vor dem Heiligenbild an. Die Helligkeit verstärkte sich, und wie sie beide halb von dem Lichte bestrahlt und halb im tiefsten nachtschwarzen Schatten dahinschritten, erinnerten sie an eins der Gemälde von Gherardo dalle Notti. Das frische, von Gesundheit und Jugend strotzende Gesicht des schönen Kosaken bildete einen schneidenden Gegensatz zu dem erschöpften und bleichen Antlitz seiner Gefährtin. Der Durchgang verbreiterte sich allmählich, so daß Andrij in die Höhe zu blicken vermochte. Neugierig betrachtete er die Erdwände, die ihn an die Höhlen in Kiew gemahnten. Ganz wie dort gab es auch hier Nischen in den Wänden, die Särge bargen. An einigen Stellen lagen menschliche Gebeine verstreut, die infolge der Feuchtigkeit morsch geworden und zu Staub zerfallen waren. Offenbar hatten hier einst heilige Anachoreten gelebt, die sich vor den Stürmen der Welt, vor dem Elend und den Versuchungen hierher geflüchtet hatten. Die Feuchtigkeit war so stark, daß ihre Füße bisweilen durch Wasser waten mußten. Andrij mußte oft stehen bleiben, um seine Gefährtin ausruhen zu lassen, die immer wieder von der Müdigkeit überwältigt wurde. Das winzige Stückchen Brot, das sie gierig verschlungen hatte, verursachte ihrem der Nahrung fast entwöhnten Magen starke Schmerzen, und oft verharrte sie minutenlang regungslos auf ein und derselben Stelle.

Endlich erblickten sie eine kleine eiserne Tür. „Gott sei Dank, wir sind zur Stelle,“ sagte die Tatarin mit schwacher Stimme und erhob ihre Hand, um ans Tor zu pochen. Aber ihre Kraft versagte. Statt ihrer pochte Andrij kräftig an die Pforte: man hörte sie stark widerhallen, was auf einen großen, freien Raum hinter der Türe hindeutete. Das Echo wurde gedämpfter, als ob es auf hohe Wölbungen gestoßen sei. Nach zwei Minuten hörte man einen Schlüsselbund rasseln, und es schien, als ob jemand die Treppe herunterkäme. Endlich öffnete sich die Tür: auf der engen Treppe vor ihnen stand ein Mönch, den Schlüsselbund und eine brennende Kerze in den Händen. Beim Anblick eines jener katholischen Mönche, die die Kosaken so haßten und verachteten und mit denen sie fast noch unmenschlicher umzugehen pflegten, als mit den Juden, blieb Andrij unwillkürlich stehen, und auch der Mönch fuhr einen Schritt zurück, als er einen Saporoger Kosaken erblickte. Jedoch die Tatarin flüsterte ihm etwas zu, was Andrij nicht verstand, den andern jedoch zu beruhigen schien. Er leuchtete ihnen voran, schloß die Tür hinter ihnen, führte sie eine Treppe hinauf, und bald befanden sie sich in dem hohen, dunklen Gewölbe der Klosterkirche. Vor einem der Altäre, auf denen hohe Leuchter mit Kerzen standen, kniete ein Priester und betete leise. Rechts und links von ihm knieten zwei junge Chorknaben in violetten und mit weißen Spitzen besetzten Meßgewändern, die Rauchfässer in den Händen schwingend. Sie flehten den Herrn um ein Wunder an: sie baten ihn, er möge die Stadt erretten, die mutlos gewordenen Gemüter wieder stärken, ihnen Geduld schenken und dem Versucher wehren, der sie mit Unzufriedenheit, Kleinmut und schwachmütigen Klagen über die irdischen Leiden heimsuche. Einige Frauen, die wie Gespenster aussahen, lagen auf den Knien; sie stützten oder legten ihre erschöpften Häupter auf die Lehnen der Kirchenstühle und die dunklen Holzbänke vor ihnen; auch sah man einige Männer, welche traurig an den Säulen und viereckigen Wandpfeilern, die die Seitenschiffe des Gewölbes trugen, niedergekniet waren. Das buntbemalte Fenster oberhalb des Altars erglänzte im rötlichen Licht des Morgenrots und warf hellblaue, gelbe und andersfarbige Lichtstrahlen auf den Fußboden, die die ganze Kirche plötzlich mit Licht erfüllten. Der Altar in der entfernten Nische schien wie in Glanz getaucht, und gleich einer regenbogenfarbenen Wolke blieb der Weihrauch in der Luft hängen. Andrij blickte nicht ohne Bestürzung aus seiner dunklen Ecke auf das Wunder, das das Licht hier bewirkt hatte. Im selben Augenblicke durchbrauste das mächtige Rauschen der Orgel die ganze Kirche, es schwoll stärker und stärker an, wurde endlich zu einem gewaltigen Donner und löste sich plötzlich wieder in himmlische Musik auf und schwebte hoch bis zur Wölbung empor, mit seinen wunderbaren harmonischen Klängen an zarte Mädchenstimmen gemahnend. Dann wieder schwoll es zu einem vollen Rauschen und Donner an und verstummte. Lange noch hallten die mächtigen Klänge zitternd im Gewölbe nach, und mit halbgeöffnetem Munde ergab sich Andrij dem Zauber der gewaltigen Musik.

Doch da fühlte er, wie ihn jemand an seinem Rockschoß zupfte. „Es ist Zeit,“ sagte die Tatarin. Von niemand bemerkt durchschritten sie die Kirche und gelangten zu einem Platz, der sich vor ihr befand. Längst schon leuchtete das Morgenrot am Himmel, und alles verkündete den Sonnenaufgang. Der viereckig geformte Platz war vollkommen leer, und nur die hölzernen Tischchen, die überall herumstanden, wiesen darauf hin, daß hier vielleicht noch vor einer Woche Lebensmittelmarkt abgehalten worden war. Die Straßen, die zu jener Zeit noch nicht gepflastert wurden, stellten einen großen, eingetrockneten Schmutzhaufen dar. Der Platz war von kleinen einstöckigen Häusern aus Stein oder Lehm umgeben, deren Wände bis an die Giebel von hölzernen Pfählen und mächtigen Balken durchzogen und ihrerseits wieder von Querbalken durchschnitten wurden. Dies war die Bauart, in der die Bewohner jener Gegend ihre Häuser bauten, wie man das jetzt noch vereinzelt in Polen und Litauen antrifft. Sie hatten alle unverhältnismäßig hohe Dächer und eine Unmenge von Fenstern und Luken. Auf der einen Seite, in der Nähe der Kirche stand ein Gebäude, das alle andern bedeutend überragte und das sich vollständig von ihnen unterschied. Wahrscheinlich war es das Rathaus oder irgend ein anderes städtisches Gebäude. Es hatte zwei Stockwerke und darüber einen Aussichtsturm mit zwei Bogengängen, auf dem ein Wachtposten hin und her patrouillierte. In das Dach war das große Zifferblatt einer Uhr eingefügt. Der Platz war wie ausgestorben, Andrij kam es jedoch so vor, als höre er ein leises Stöhnen. Als er sich umsah, bemerkte er auf der anderen Seite des Platzes eine Gruppe von zwei bis drei Menschen, die fast regungslos auf dem Boden lagen. Er betrachtete sie aufmerksam, um sich zu vergewissern, ob es Schlafende oder Tote seien und stieß plötzlich auf ein Etwas, das zu seinen Füßen lag. Es war der tote Körper einer Frau, offenbar einer Jüdin. Sie schien noch ganz jung zu sein, obgleich ihre entstellten und erschöpften Züge keinerlei Schlüsse darüber zuließen. Ihr Haupt war in ein rotes Tuch gehüllt, ihre Ohren zierten zwei Reihen Perlen aus Wachs oder Glas, und zwei oder drei lange krause Locken glitten ihr den eingefallenen Hals mit den angeschwollenen Adern hinab. Neben ihr lag ein Kind, das die verdorrte Brust der Mutter krampfhaft in seinen Händen hielt und sie in unwillkürlichem Zorn darüber, daß sie keine Milch mehr gab, immer wieder mit den kleinen Fingern zusammenpreßte. Das Kind weinte und schrie nicht mehr, nur die sich leise hebende und senkende Brust ließ daraus schließen, daß es noch nicht tot oder wenigstens erst im Begriff war, den letzten Atemzug auszuhauchen. Sie lenkten wieder in die Straßen ein und wurden plötzlich von einem Tobsüchtigen angehalten, der sich angesichts der kostbaren Last, die Andrij mit sich schleppte, wie ein Tiger auf sie warf und sich mit dem Schrei „Brot“ an ihnen festklammerte. Aber seine Kräfte waren schwächer als seine Gier. Andrij stieß ihn zurück, sodaß er zu Boden fiel. Von Mitleid überwältigt, warf er ihm eins der Brote zu, auf das sich jener wie ein toller Hund stürzte und es gleich auf der Straße zerbiß und zernagte; bald darauf verschied er jedoch infolge der langen Entbehrungen unter schrecklichen Krämpfen. Fast bei jedem Schritte wurden sie durch grauenvolle Opfer der Hungersnot in Schrecken gesetzt. Es schien, als ob viele ihre Qualen zu Hause nicht ertragen konnten und mit Absicht auf die Straße hinausgeeilt waren, weil sie hofften, in der frischen Luft Nahrung und Stärkung zu finden. Vor der Tür eines Hauses saß eine alte Frau; es war unmöglich, zu erkennen, ob sie nur eingeschlafen, bereits tot, oder einfach in Träume versunken war; jedenfalls hörte und sah sie nichts mehr und saß nur, mit auf die Brust gesenktem Haupte, regungslos da. Von dem Dach eines anderen Hauses hing ein langer dürrer Körper an einer Schnur herab. Der arme Kerl hatte die Hungerqualen nicht länger zu ertragen vermocht und es vorgezogen, seinem Leben freiwillig ein Ende zu machen.

Angesichts dieser furchtbaren Zeugen des Hungers hielt es Andrij nicht länger aus und fragte die Tatarin:

„Konntet ihr denn in der Tat garnichts finden, um euer Leben zu fristen? Wenn die äußerste Not an den Menschen kommt, dann gibt es keine Wahl, dann muß er essen, was ihm früher vielleicht Ekel einflößte, und wenn er sich erst von jenen Wesen nährt, die das Gesetz zu essen verbietet — dann darf er eben alles essen!“ „Es ist schon alles aufgegessen,“ sagte die Tatarin, „alles Vieh ist fort, und es ist kein Pferd, kein Hund, ja nicht einmal eine Maus mehr in der Stadt zu finden. Wir haben hier in der Stadt nie Vorräte gehabt, es wurde uns ja alles von den Bauern geliefert.“

„Ja, wie konntet ihr denn dann, wo euch ein so schrecklicher Tod droht, noch immer daran denken, die Stadt zu verteidigen?“

„Vielleicht hätte der Wojewode sie auch schon dem Feinde überlassen, aber gestern sandte uns der Oberst, der sich in Budschaki befindet, einen Habicht mit der Weisung, uns auf keinen Fall zu ergeben; er komme uns mit einem Regiment zur Hilfe und warte nur noch auf den andern Oberst, um gemeinsam mit ihm zu unserer Entsetzung zu eilen. Sie werden jeden Augenblick erwartet ... Doch, wir sind vor unserm Hause angelangt.“

Andrij hatte schon von weitem ein Haus bemerkt, das sich wesentlich von den andern unterschied und von einem italienischen Architekten gebaut zu sein schien; es war aus schönen schmalen Ziegelsteinen errichtet und zwei Stockwerke hoch. Die Fenster des unteren waren mit weit hervorstehenden Gesimsen eingefaßt; das obere bestand vollständig aus kleinen Bögen, die eine Galerie bildeten, dazwischen befanden sich Gitter mit Wappenschilden. Eine breite Außentreppe aus buntfarbigen Ziegelsteinen führte direkt auf den Platz. Unten zu beiden Seiten der Treppen saßen Schildwachen, sie hielten ebenso malerisch wie symmetrisch mit der einen Hand die Hellebarde und stützten ihre Köpfe auf die andere, so daß sie mehr zwei steinernen Bildsäulen als lebendigen Menschen glichen. Sie schliefen oder schlummerten nicht etwa, schienen aber doch unempfindlich gegen alles zu sein und würdigten die beiden Personen, die jetzt die Treppe hinaufgingen, kaum eines Blicks. Oben trafen Andrij und die Tatarin einen reich gekleideten und von Kopf bis zu Fuß bewaffneten Ritter, der ein Gebetbuch in der Hand hielt. Er richtete seine ermüdeten Augen auf sie, die Tatarin sagte ihm jedoch ein paar Worte, und er versenkte sich sogleich wieder in sein offnes Gebetbuch. Sie traten in das erste Zimmer, das ziemlich geräumig war und als Empfangsraum zu dienen schien, oder vielleicht auch einfach ein Vorzimmer war; dies war völlig mit Soldaten, Dienern, Hundewärtern, Mundschenken und anderen Bedienten angefüllt, wie sie ein polnischer Magnat, ob er nun Offizier oder Rittergutsbesitzer ist, braucht, um die Würde seines Standes ins rechte Licht zu setzen; sie saßen alle in den verschiedensten Stellungen an den Wänden herum. Der ganze Raum war von dem Qualm einer erloschenen Kerze erfüllt, und zwei andere in außerordentlich großen, fast mannshohen Leuchtern brannten noch mitten im Zimmer, trotzdem der Morgen schon längst durch das große vergitterte Fenster hineinblickte. Andrij wollte schon auf eine breite, mit Wappen und verschiedenen Schnitzereien verzierte Eichentür zugehen; die Tatarin zupfte ihn jedoch am Ärmel und wies auf eine kleine Pforte in der Seitenwand. Durch diese gelangten sie in einen Gang und dann in ein Zimmer, das Andrij eingehend besichtigte. Das Licht, das durch die Spalte des Fensterladens hineindrang, küßte die blau und rot gefärbten Vorhänge, das vergoldete Gesims und die Malereien an den Wänden. Die Tatarin bedeutete Andrij, hier zu bleiben und öffnete die Tür zu einem andern Zimmer, aus der ein Lichtschein hereindrang. Er vernahm das leise Flüstern einer Stimme, die sein ganzes Innere erbeben machte. Mit einem flüchtigen Blick durch die Tür erkannte er eine schlanke weibliche Gestalt mit langen prachtvollen Haarflechten, die über den hocherhobenen Arm herabwallten. Die Tatarin kam zurück und bat ihn, hineinzugehen. Es war ihm später ganz unmöglich, anzugeben, wie er in das Zimmer gelangt war und wie sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Im Zimmer brannten zwei Kerzen und ein Lämpchen, das vor dem Heiligenbild angebracht war: darunter befand sich nach katholischer Sitte ein hoher Hausaltar mit mehreren Stufen, auf denen man beim Beten niederknien konnte. Aber das war es nicht, was Andrijs Augen suchten. Er wandte sich nach der andern Seite und erblickte ein Weib, das in einer schnellen Bewegung erstarrt und versteinert zu sein schien. Es war, als hätte sich ihre schlanke Gestalt ihm entgegenwerfen wollen und sei nun plötzlich wie erstarrt stehen geblieben. Nicht minder bestürzt blieb auch er vor ihr stehen. Denn nicht so hatte er sie wiederzusehen geglaubt. Das war sie nicht, das war nicht jenes Mädchen mehr, das er früher gekannt hatte. Sie hatte nichts, was an jene gemahnte: nein, sie war noch einmal so schön und herrlich anzuschauen wie ehemals. Damals hatte sie noch etwas Unreifes und Unvollendetes — jetzt dagegen glich sie einem vollkommenen und bis auf den letzten Pinselstrich vollendeten Kunstwerk. Jene war ein wunderschönes, leichtsinniges Mädchen, diese ein zu edler Schönheit erblühtes Weib. Ihre emporblickenden Augen verhießen ein unendliches Gefühl: nicht nur Bruchstücke und Andeutungen von Gefühlen, sondern ein ganzes, volles Gefühl. In ihren Augen schimmerten Tränen, die noch nicht ganz getrocknet waren, und verliehen ihnen einen feuchten Glanz, der bis zum Herzen drang. Busen, Schultern und Hals hatten jene wundervollen Formen angenommen, die der vollendeten Schönheit eigen sind, die Haare, die ehemals ihr Antlitz in leichten Locken umringelten, hatten sich in eine starke, prachtvolle Flechte verwandelt; ein Teil war hochgesteckt, während der andere über die ganze Länge des Arms, und in seinen langen Wellen über den wundervollen Busen fiel. Jeder Zug ihres Gesichtes schien sich verändert zu haben. Vergebens bemühte Andrij sich, den einen oder den andern, so wie er in seiner Erinnerung lebte, ins Gedächtnis zurückzurufen — er vermochte es nicht. So tief ihre Blässe auch war, sie verdunkelte ihre wundervolle Schönheit nicht, sondern verlieh ihr eher noch etwas Hinreißendes und unbezwinglich Sieghaftes. Andrij fühlte sich von einem ehrfurchtsvollen Schauder durchzittert und blieb unbeweglich vor ihr stehen. Auch sie schien über den Anblick des Kosaken, der in seiner ganzen Schönheit und der männlichen Kraft seiner Jugend vor ihr stand, betroffen zu sein, obschon selbst die Bewegungslosigkeit seiner Glieder etwas von der Ungezwungenheit und Freiheit ihrer Bewegungen offenbarte. Mut und Festigkeit strahlte aus seinen Augen, die von sammetweichen, kühngeschwungenen Brauen beschattet wurden; die braunen Wangen spiegelten das ganze Feuer einer noch unverbrauchten Jugend wieder, und der zarte Flaum seines Schnurrbarts glänzte wie Seide.

„Nein, ich habe nicht die Kraft, dir zu danken, hochherziger Ritter,“ sagte sie mit zitternder, silberheller Stimme, „Gott allein kann dir’s lohnen und nicht ein schwaches Weib wie ich ....“ Sie senkte die Augen, und die herrlichen Lider mit den, langen Pfeilen gleichenden, Wimpern legten sich in wundervollen, schneeweißen Halbkreisen darüber, ihr herrlicher Kopf hatte sich geneigt, und eine leise Röte überzog den unteren Teil des Gesichts. Andrij wußte nicht, was er antworten sollte; er wollte alles aussprechen, was seine Seele erfüllte, so leidenschaftlich, wie er es in seinem Innern empfand — und vermochte es nicht. Er fühlte, daß ihm etwas die Lippen verschloß, daß es ihm, der im Seminar und in dem Wanderleben des Krieges aufgewachsen war, nicht gelingen würde, die Antwort auf diese Worte zu finden, und der Zorn gegen seine Kosakennatur stieg in ihm auf.

In diesem Augenblick trat die Tatarin ins Zimmer. Sie hatte das von Andrij mitgebrachte Brot bereits in Scheiben geschnitten und trug es auf einer goldenen Schale herein, die sie vor ihrer Herrin hinstellte.

Das schöne Mädchen sah ihre Dienerin lange an, betrachtete das Brot, blickte Andrij an, und ihre Augen leuchteten vielsagend auf. Dieser rührende Blick, in dem sich ihre Ohnmacht und Unfähigkeit, ihre Gefühle auszusprechen, ausdrückten, war für Andrij verständlicher als alle Worte. Es wurde ihm plötzlich leicht ums Herz, wie wenn sich alles in ihm gelöst hätte. Die Bewegungen und Gefühle seines Herzens, die bisher noch mühsam gezügelt wurden, fühlten sich jetzt frei, aller Fesseln ledig und wollten sich schon in einem endlosen Redestrom ergießen, als sich die Schöne plötzlich der Tatarin zuwandte und unruhig fragte:

„Und die Mutter? Hast du der Mutter etwas gebracht?“

„Sie schläft.“

„Und dem Vater?“

„Ihm habe ich etwas gebracht; er sagte, er wolle selbst kommen, um dem Ritter zu danken.“

Sie nahm eine Scheibe Brot und führte sie zum Munde. Mit unaussprechlichem Vergnügen sah Andrij, wie sie es mit ihren weißen schimmernden Fingern zerbrach und aß. Plötzlich aber erinnerte er sich an den Mann, der vor Hunger tobsüchtig geworden war und in seiner Gegenwart seinen Geist aufgegeben hatte, als er ein Stück Brot verschlang. Er wurde bleich, ergriff ihre Hand und rief:

„Genug! Iß nicht weiter! Du hast so lange nicht gegessen. Das Brot ist Gift für dich.“ Sie ließ sofort die Hand sinken, legte das Brot auf den Teller und sah ihm wie ein gehorsames Kind in die Augen. O wenn das Wort nur etwas ausdrücken könnte! Aber weder Meißel noch Pinsel, noch die allmächtige Sprache vermögen das wiederzugeben, was in solch einem Blick einer Jungfrau liegt und was nur das Gefühl der Rührung auszudrücken vermag, das der empfindet, der einen solchen Blick auf sich gerichtet fühlt.

„Herrin,“ rief Andrij von den tiefsten, innigsten und heiligsten, überquellenden Empfindungen erfüllt aus, „was verlangst du? Was willst du? Befiehl! Fordere jeden Dienst von mir, selbst den unmöglichsten, den es auf der Welt gibt — und ich eile, um ihn auszuführen. Befiehl mir, was menschliche Kraft nicht auszuführen vermag — ich werde es tun, und sollte ich mich dabei ins Verderben stürzen. Ja, ins Verderben stürzen! Für dich zu sterben — o ich schwöre es dir beim heiligen Kreuz — ist Süßigkeit für mich. Aber Worte sagen ja nichts. Ich besitze drei Gehöfte, die Hälfte der väterlichen Herden, alles, was meine Mutter dem Vater mit in die Ehe gebracht, und sogar das, was sie vor ihm verheimlicht hat, — alles dies gehört mir. Kein Kosak besitzt solche Waffen wie ich; allein für den Griff meines Säbels bietet man mir die beste Roßherde und noch dreitausend Schafe dazu. Von all dem will ich mich lossagen, es verlassen, verbrennen, ins Wasser werfen, wenn du mir nur ein Wort sagst oder deine zarten schwarzen Augenbrauen nur leise bewegst! Ich weiß wohl, daß ich vielleicht dumme Dinge rede, die hier ganz und gar nicht angebracht sind, und nicht hierher gehören; ich weiß, daß es sich für mich, der sein ganzes Leben in dem Seminar und der Sjetsch zugebracht hat, nicht schickt, so zu reden, wie es dort Sitte ist, wo Könige, Fürsten und die Edelsten der Ritterschaft sich einfinden. Ich sehe wohl, daß du ein anderes Geschöpf Gottes bist wie wir alle, und daß alle Bojarenfrauen nebst ihren Töchtern weit unter dir stehen. Wir sind nicht wert, deine Sklaven zu sein, nur die himmlischen Engel sind würdig, dir zu dienen.“

Mit steigender Verwunderung, gespannten Ohres und ohne ein Wort zu verlieren, vernahm die Jungfrau diese offene und begeisterte Rede, in der sich die junge, kraftvolle und leidenschaftliche Seele ausprägte wie in einem Spiegel. Jedes dieser einfachen Worte, das mit einer Stimme gesprochen wurde, die aus tiefstem Herzensgrunde kam, war voller Kraft und Leidenschaft. Sie neigte ihr schönes Antlitz vor, warf die widerspenstigen Haare weit zurück, öffnete die Lippen und sah ihn lange mit offnem Munde an. Sie wollte etwas sagen, allein sie hielt inne, denn sie erinnerte sich plötzlich, daß der Ritter eine andere Bestimmung hatte, daß sein Vater, seine Brüder, sein Vaterland als strenge Richter hinter ihm standen, sie dachte daran, was für schreckliche Menschen die Saporoger waren, die die Stadt belagerten, und wie sie und alle in der Stadt einem furchtbaren Tode verfallen wären — und ihre Augen füllten sich mit Tränen; schnell ergriff sie ihr kunstvoll gesticktes Seidentuch, bedeckte ihr Gesicht, und in wenigen Augenblicken war das Tuch ganz feucht von ihren heißen Tränen. Lange saß sie so da, den wunderschönen Kopf zurückgelehnt, ihre schneeweißen Zähne in die herrliche Unterlippe drückend, als ob sie plötzlich den Biß einer giftigen Schlange gefühlt hätte, und ohne das Tuch vom Gesicht zu nehmen, damit Andrij ihren herzzerreißenden Schmerz nicht sähe.

„Sprich doch ein Wort,“ sagte Andrij und ergriff ihre sammetweiche Hand. Bei dieser Berührung strömte es wie glühendes Feuer durch seine Adern, und er preßte ihre Hand zusammen, die gefühllos in der seinen lag. Aber sie schwieg und verharrte regungslos in derselben Stellung, ohne das Tuch vom Gesicht hinwegzuziehen.

„Weshalb bist du so traurig? Sage mir doch, weshalb du so traurig bist?“

Da warf sie das Tuch fort, schlug die ins Gesicht fallenden reichen Haarsträhnen zurück und brach in bittere Worte der Klage aus, die sie mit leiser, ganz leiser Stimme vor sich hinsprach, gleich dem Winde, der sich an einem schönen Abend erhebt und durch das dichte Rohr am Wasser fährt. Da geht es plötzlich wie ein Flüstern durch das Rohr, da singen und klingen klagende, zarte Töne durch die Luft. Der Wanderer bleibt stehen und lauscht ihnen mit einer unerklärlichen Schwermut, und er merkt nicht das Nahen des Abends, noch die heiteren Lieder der Arbeiter, die vom Feld und von der Ernte zurückkehren, noch das Rasseln eines fern vorbeirollenden Wagens.

„Bin ich nicht ewig bemitleidenswert? Ist die Mutter nicht unselig, die mich zur Welt gebracht hat? Gibt es ein Los, bitterer als das meine? Quälst du mich nicht zu Tode, schreckliches Schicksal! Alles hast du mir zu Füßen gelegt: die besten Männer der ganzen Schlachta, die reichsten Herren, Grafen und fremden Barone und die höchste Blüte unserer Ritterschaft? Alle liebten sie mich, und jeder hätte meine Gegenliebe für das größte Glück gehalten. Ich brauchte nur mit der Hand zu winken, und jeder von ihnen, der Schönste und Vornehmste von Angesicht und Herkunft wäre mein Gatte geworden. Und keinem von ihnen hast du, grausames Schicksal, mein Herz zugewendet. Den besten Helden unseres Vaterlandes hast du es entzogen und den Betörungen eines Fremden, eines Feindes überliefert. Warum, o heilige Mutter Gottes, um welcher Sünden und schwerer Verbrechen willen verfolgst du mich so grausam, so unbarmherzig? In Überfluß, Reichtum und Pracht sind meine Tage verflossen. Die herrlichsten auserlesensten Speisen, die süßesten Weine bildeten meine tägliche Nahrung. Und warum, wozu war das alles? Nur dazu, um mich zuletzt eines schrecklichen Todes sterben zu lassen, wie ihn kaum der letzte Bettler im Lande stirbt! Doch nicht genug, daß ich zu einem so schrecklichen Los verurteilt bin, nicht genug, daß ich vor meinem Ende Vater und Mutter in unerträglichen Qualen dahinwelken sehen muß, sie, für die ich, wenn ich ihnen nur helfen könnte, tausendmal mein Leben hingeben würde! Nein, das alles genügt noch nicht, ich muß auch noch, bevor ich sterbe, Worte vernehmen und eine Liebe kennen lernen, wie ich sie noch nie erfahren habe! Er muß mir mit seinen Worten das Herz zerreißen, auf daß mein bitteres Los noch bitterer werde, auf das ich mein junges Leben noch mehr betrauere, daß mir mein Tod noch schrecklicher dünke, und daß ich dir, o grausames Schicksal, und dir, heilige Mutter Gottes, — vergib mir die Sünde — noch im Sterben so furchtbare Vorwürfe mache!“

Endlich verstummte sie, und ein Ausdruck qualvollster Hoffnungslosigkeit spiegelte sich in ihrem Antlitz. Jeder Zug ihres Gesichts verriet eine tiefe nagende Schwermut, alles, die traurig gesenkte Stirn, die niedergeschlagenen Augen und die auf den leise glühenden Wangen versiegenden Tränen — alles schien zu sagen: Dies Angesicht weiß nichts von Glück!

„Nie ward es erhört auf dieser Welt, es kann nicht sein und ich dulde es nimmer,“ sprach Andrij, „daß die schönste und edelste der Frauen ein so bitteres Los ertragen sollte, sie, die dazu geboren ist, die Besten und Edelsten unserer Zeit vor sich wie vor einem Heiligtume knien zu sehen! Nein, du sollst nicht sterben! Du sollst nicht sterben; ich schwöre es bei meiner Geburt und bei allem, was mir teuer ist auf dieser Welt — du wirst nicht sterben! Sollte es aber trotz allem so kommen, sollte dies bittere Schicksal weder durch Kraft, noch Gebet, noch Mut abgewendet werden können, so werden wir zusammen sterben, und ich zuerst vor dir und zu deinen herrlichen Füßen; erst wenn ich tot bin, wird man mich von dir trennen können.“

„Täusche nicht dich und mich, Ritter,“ sagte sie leise, ihr schönes Haupt schüttelnd, „ich weiß es, ich weiß es zu meinem bitteren Leid nur zu wohl, daß du mich nicht lieben darfst, und ich kenne deinen Beruf und deine Pflicht: Dich ruft der Vater, die Kameraden, das Vaterland; wir aber sind — deine Feinde!“

„Was sind mir Vater, Vaterland und Kameraden,“ rief Andrij, ungestüm sein Haupt schüttelnd und sich machtvoll emporreckend, daß seine Gestalt der Balsampappel am Ufer glich. „Wenn es denn sein muß, nun wohl, so habe ich niemand, niemand, niemand,“ wiederholte er mit einer Stimme und Handbewegung, mit der wohl ein wackerer Kosakenheld seinen unerschütterlichen Entschluß zu einer unerhörten Tat zum Ausdruck bringt, der kein anderer gewachsen ist. „Wer sagt, daß die Ukraine mein Vaterland ist? Wer hat sie mir zum Vaterland gegeben? Das Vaterland ist da, wo es unsere Seele sucht, ist das, was ihr das liebste ist. Mein Vaterland — das bist du! Du bist mein Vaterland! Und dieses Vaterland will ich in meinem Herzen tragen! So lange ich lebe, werde ich es dort tragen: und ich möchte sehen, welcher Kosak es wagen will, dich aus meinem Herzen zu reißen. Ja, alles was ich besitze, will ich weggeben, verschenken, verkaufen und zugrunde richten für dies mein Vaterland!“

Einen Augenblick schien es, als ob sie zu einer herrlichen Bildsäule erstarrt sei. Dann sah sie ihm fest in die Augen, schluchzte laut auf und schlang ihm mit jener wundersamen hingebenden Leidenschaft, deren nur eine großmütige und zu starken Gefühlsausbrüchen neigende Frau fähig ist, die nichts von Berechnung weiß, ihre herrlichen, schneeweißen Arme um den Hals. In diesem Augenblick hörte man von der Straße ein wirres Geschrei hereindringen, das von Posaunenstößen und Paukenklängen begleitet wurde. Aber Andrij hörte nichts davon: er fühlte nur die wohlige Wärme ihres süßen Atems, ihre wundervollen Lippen, fühlte nur, wie ihre Tränen in Strömen über sein Antlitz flossen, und wie ihr reich herabwallendes, duftendes Haar ihn wie in dunkel glänzende Seide einhüllte.

Plötzlich kam die Tatarin mit einem Freudenschrei hineingestürmt. „Wir sind gerettet, gerettet,“ rief sie ganz außer Atem, „die Unseren sind in die Stadt gedrungen und haben Brot, Weizen, Mehl und gefangene Saporoger mitgebracht.“ Aber niemand wollte hören, was für „Unserige“ in die Stadt gedrungen, was sie mitgebracht hätten, und welche Saporoger gefangen worden seien. Von überirdischen Gefühlen erfüllt, küßte Andrij die süß duftenden Lippen, die sich an seine Wange geschmiegt hatten, und diese Lippen ließen ihn nicht ohne Antwort. Sie erwiderten seine Liebkosungen, und in diesem gegenseitigen, ineinanderschmelzenden Kuß empfanden beide, was der Mensch nur einmal im Leben zu empfinden vermag.

Der Kosak war verloren! Für immer verloren für das ritterliche Kosakentum! Niemals mehr würde er die Sjetsch, niemals die väterlichen Fluren und nie mehr sein Gotteshaus wiedersehen! Und nie mehr sollte die Ukraine ihn wiederfinden, ihn, der einer ihrer tapfersten Söhne war und sie mit seinem Leben zu verteidigen gelobt hatte! Rauf dir die grauen Haare aus deinem Schopf, alter Taraß, und verfluche Tag und Stunde, da du zu deiner Schmach dir einen solchen Sohn erzeugtest.

Siebentes Kapitel

Im Lager der Saporoger herrschte Lärm und Bewegung. Anfangs vermochte niemand genaue Auskunft zu geben, wie es geschehen konnte, daß die Truppen in die Stadt eindrangen. Doch bald wurde festgestellt, daß die ganze Perejaslawsche Abteilung, die ihr Lager vor einem Seitentor der Stadt aufgeschlagen hatte, am Abend vorher total betrunken gewesen war. So war es weiter nicht wunderbar, daß die Hälfte von ihnen erschlagen und der Rest, noch ehe man recht wußte, was passiert war, gefangen wurde. Bevor noch die benachbarten Abteilungen, vom Lärme aufgeschreckt, zu den Waffen greifen konnten, zogen die Truppen schon durch das Stadttor ein; ihre letzten Reihen verteidigten sich gegen den nachstürmenden Feind, indem sie einige Schüsse auf die schlaftrunkenen und noch nicht ganz nüchternen Saporoger abgaben, die sie ohne jede Ordnung zu verfolgen suchten.

Der Hetman ließ alle Kosaken ohne Ausnahme zusammenkommen, und als sie alle schweigend und mit den Mützen in den Händen im Kreise herumstanden, sagte er: „Ihr seht, liebe Herren und Brüder, was sich diese Nacht ereignet hat. Dahin also hat uns der Trunk gebracht! Eine solche Schmach hat uns der Feind angetan! Das scheint bei euch wohl Brauch zu sein; wenn man eure Rationen verdoppelt, so seid ihr gleich bereit, euch derart vollzutrinken, daß der Feind aller christlichen Streiter euch nicht nur die Hosen abziehen, sondern euch wohl gar ins Gesicht speien kann, ohne daß ihr etwas davon merkt!“

Die Kosaken standen alle mit gesenkten Köpfen und schuldbewußt da. Nur der Hauptmann Kukubenko von der Nesamaikow-Abteilung erwiderte:

„Halt mal, Väterchen! es ist zwar nicht vorschriftsmäßig, daß man Einspruch gegen das erhebt, was der Hetman im Angesicht des ganzen Heeres sagt, aber die Sache war doch nicht ganz so, und darum will ich reden. Nicht ganz mit Recht hast du dem gesamten christlichen Heer einen Vorwurf gemacht. Freilich wären die Kosaken des Todes schuldig gewesen, die sich im Feldzug, im Kampf oder während eines schweren Unternehmens vollgetrunken hätten. Wir aber führten ein untätiges Lagerleben vor der Stadt, aus dem uns keine Arbeit aufrüttelte. Es herrschten ja weder Fasten, noch sonst eine Zeit, während der die christliche Kirche eine strenge Enthaltsamkeit vorschreibt: wie sollte es da ausbleiben, daß sich der Mensch, wenn er doch gar nichts zu tun hat, aus Langeweile einmal ordentlich betrinkt? Das ist doch keine Sünde! Aber wir wollen ihnen schon zeigen, was es heißt, über wehrlose Menschen herfallen. Wir haben’s ihnen schon früher tüchtig gegeben, jetzt aber wollen wir es ihnen so heimzahlen, daß ihre Füße sie nicht mehr nach Hause tragen sollen!“

Die Rede des Hauptmanns gefiel den Kosaken. Sie erhoben wieder das Haupt, und viele von ihnen gaben durch Nicken des Kopfes ihre Zustimmung zu erkennen und sagten: „Kukubenko hat gut gesprochen!“ Allein Taraß Bulba, der nicht weit vom Hetman stand, sprach: „Nun, Hetman, Kukubenko hat wohl die Wahrheit gesprochen. Was kannst du hierauf antworten?“

„Was ich antworte? Das will ich dir sagen: Selig ist der Vater, der einen solchen Sohn gezeugt hat. Es ist noch kein Zeichen von großer Weisheit, ein Wort des Vorwurfs zu sagen, es ist ein weit größeres, sich bei dem Unglück eines Menschen nicht lustig zu machen, sondern ihm Mut einzureden, so wie die Sporen das Pferd zu neuen Leistungen antreiben, das sich an der Tränke erfrischt hat. Ich hatte selbst die Absicht, euch später ein paar tröstliche Worte zu sagen, Kukubenko ist mir jedoch zuvorgekommen.“

„Auch der Hetman hat gut gesprochen,“ tönte es jetzt aus den Reihen der Saporoger. „Ein gutes Wort,“ wiederholten andere. Sogar die Ältesten unter ihnen, die wie blaue Täuberiche dastanden, nickten mit den Köpfen, rümpften die mit grauen Schnurrbärten gezierten Lippen und sagten leise: „Ja, ja, das war gut gesprochen.“

„So hört denn, ihr Herren,“ fuhr der Hetman fort, „die Stadt zu erstürmen, ihre Mauern zu erklimmen und unterirdische Gänge anzulegen, wie es die ausländischen deutschen Meister tun — die der Teufel holen mag — das ist nicht Kosakenart und auch nicht ihre Sache. Aber nach dem zu urteilen, wie die Sache liegt, so ist der Feind nur mit wenig Vorräten in die Stadt eingezogen. Er hat ja nur ein paar Wagen mit sich geführt. Die Leute in der Stadt sind ausgehungert und werden daher alles auf einmal aufessen; auch die Pferde brauchen ja Heu — ich weiß nicht, vielleicht schüttet ihnen einer ihrer Heiligen etwas auf ihre Gabeln herunter — Gott mag es wissen — ihre Priester verstehen sich zwar mehr auf Worte. Sei dem nun wie ihm wolle, jedenfalls sollen sie uns nicht aus der Stadt herauskommen. Teilt euch also in drei Haufen und besetzt die drei Wege, die zu den drei Toren führen. Fünf sollen sich vor dem Haupttor und je drei vor den beiden anderen aufstellen. Die Djadkiwsche und Korsunsche Abteilung dagegen bleiben im Hinterhalt liegen. Ebenso der Hauptmann Taraß mit seiner Abteilung. Die Titarewsche und Timoschewsche Abteilung decken die Vorräte auf der rechten Seite der Wagen. Die Abteilung Schtscherbinow und Teblikow die linke! Und ihr, ihr Jungen, die ihr Haare auf den Zähnen habt, tretet mal hervor aus euren Reihen, um den Feind ein wenig zu reizen! Der Pole ist ein hohler Patron, er verträgt keine Beschimpfungen, und vielleicht kommen sie noch heute aus den Toren herausgelaufen. Die Hauptleute sollen ihre Abteilungen gut im Auge behalten! Wem es an Kosaken fehlt, der soll sie aus den Resten der Perejaslawschen Abteilung ergänzen. Mustert sie noch einmal ordentlich. Gebt jedem Kosaken vorher noch ein Glas Branntwein, damit er wieder nüchtern wird und ein Stück Brot zur Stärkung. Aber ihr seid sicher noch alle satt von gestern, denn — der Wahrheit die Ehre — ihr habt euch gestern so voll gegessen, daß ich mich höchlichst wundere, wie heute nacht keiner von euch geplatzt ist. Ja, und noch eins habe ich euch zu sagen: sollte irgend so ein jüdischer Schankwirt einem Kosaken ein Maß Branntwein verkaufen, so lasse ich dem Hund ein Schweinsohr an die Stirn nageln und ihn an den Beinen aufhängen! Doch nun ans Werk, ihr Brüder, auf! Frisch ans Werk!“

Der Hetman gab seine Anweisungen, und alle verneigten sich tief vor ihm und begaben sich, ohne die Mützen aufzusetzen, zu ihren Wagen und ins Lager zurück; erst als sie schon ganz weit waren, bedeckten sie wieder ihre Häupter. Alle begannen sich zu rüsten und zum Kampfe vorzubereiten, sie prüften die Säbel und Lanzen, schütteten Pulver aus den Säcken in die Pulverhörner, rückten und stellten die Wagen zurecht und suchten sich die besten Pferde aus.

Als Taraß zu seiner Abteilung zurückkehrte, dachte er lange darüber nach, wo wohl Andrij weilen könnte, und er konnte es sich durchaus nicht erklären, wo er geblieben war. Er fragte sich, ob man ihn vielleicht zusammen mit den andern gefangen genommen oder ihn im Schlafe gefesselt habe — aber nein, Andrij war nicht der Mann, sich lebend gefangen nehmen zu lassen. Unter den erschlagenen Kosaken war er auch nicht zu finden. Taraß verfiel in tiefes Sinnen und schritt draußen seine Abteilung ab, ohne zu hören, daß ihn schon lange jemand beim Namen rief. „Wer will was von mir,“ sagte er endlich, wie aus einem Traume erwachend. Vor ihm stand der Jude Jankel.

„Herr Hauptmann, Herr Hauptmann,“ sagte der Jude schnell und hastig, wie wenn er ihm eine wichtige Nachricht mitzuteilen hätte, „ich war in der Stadt, Herr Hauptmann.“

Taraß sah den Juden an und wunderte sich, daß er es fertiggebracht hatte, sich in die Stadt zu stehlen.

„Wer zum Teufel hat dich denn da hineingebracht?“

„Ich will’s Euch sofort erzählen,“ sagte Jankel. „Wie ich bei Tagesanbruch das Schreien und Schießen der Kosaken hörte, da ergriff ich so schnell wie möglich meinen Kaftan und lief ohne ihn anzuziehen so rasch ich konnte dorthin; erst unterwegs fuhr ich in die Ärmel. Ich wollte nämlich die Ursache des Lärms erfahren und nachsehen, warum die Kosaken in so früher Stunde schießen. Ich lief immer vorwärts und kam grad in dem Augenblick an das Tor, als das letzte Regiment in die Stadt einzog. Plötzlich sehe ich den Herrn Fähnrich Galjandowitsch an der Spitze der Truppen. Ich kenne ihn sehr gut, er schuldet mir schon seit drei Jahren hundert Dukaten. Ich ging also hinter ihm her, wie wenn ich ihn an seine Schuld mahnen wollte, und gelangte auf diese Weise in die Stadt.“

„Wie bist du denn in die Stadt hineingekommen, wenn du doch nur eine Schuld eintreiben wolltest,“ sagte Bulba, „hat er dich denn nicht sofort aufhängen lassen wie einen Hund?“

„Ja, bei Gott, das wollte er tun!“ antwortete der Jude. „Seine Diener hatten mich schon gepackt und mir den Strick um den Hals gelegt; ich aber flehte den Herrn an und sagte, daß ich mit meiner Schuld warten würde, solange der Herr es wünscht, ja ich versprach ihm sogar ihm noch mehr zu leihen, wenn er mir nur helfen wolle, das Geld von den anderen Rittern einzutreiben; denn der Herr Fähnrich hatte — um gleich alles zu sagen — nicht einen einzigen Dukaten in der Tasche. Wenn er auch viel Land, einige Güter, vier Schlösser und Grund und Boden besitzt, der bis an das Tor der Stadt Schkloff reicht, er hatte doch keinen baren Groschen — wie ein rechter Kosak! Und wenn ihn jetzt zum Beispiel nicht ein paar Breslauer Juden ausgerüstet hätten, hätte er gar nicht in den Krieg ziehen können. Deshalb war er auch nicht zum Reichstag gekommen.“

„Und was hast du in der Stadt gemacht? Hast du die Unsrigen gesehen?“

„Gewiß! Da gibt es doch viele von unseren Leuten. Den Itzig, den Rachum, den Schmul, den Chaiwalch, einen jüdischen Pächter ...“

„Hol der Teufel die Hunde,“ rief Bulba ärgerlich, „was geht mich deine Judensippe an. Ich frage dich nach unsern Saporogern!“

„Unsere Saporoger habe ich nicht gesehen, nur den Herrn Andrij.“

„Du hast Andrij gesehen,“ rief Bulba, „sprich, wo hast du ihn gesehen? In einem unterirdischen Gewölbe? Unter der Erde? Im Kerker? Hat man ihn entehrt und mit Schmach bedeckt? Ist er gefesselt?“

„Wer hätte gewagt, Herrn Andrij zu fesseln! Nein, er ist jetzt ein vornehmer Ritter — bei Gott, ich habe ihn kaum wiedererkannt! Sein Schulterbesatz ist eitel Gold, auch seine Ärmel sind mit Gold gestickt, er hat einen goldenen Spiegel, und seine Mütze glänzt von lauter Gold. Am Gürtel schimmert Gold, und überall ist Gold, und alles an ihm ist Gold! Wie die Sonne im Frühling glänzt, wenn im Garten jedes Vögelchen zwitschert und singt und die Kräuter duften, so glänzt und schimmert auch er von Gold. Der Wojewode hat ihm auch das schönste Pferd geschenkt, ein Pferd, das allein zweihundert Gulden kostet.“

Bulba stand wie erstarrt da. „Weshalb hat er denn die fremde Rüstung angelegt?“

„Weil sie schöner ist, hat er sie angelegt. Und er reitet überall umher; die andern reiten auch überall umher, und er gibt ihnen und sie geben ihm gute Lehren, wie wenn er der reichste unter den polnischen Herren wäre.“

„Wer konnte ihn dazu zwingen?“

„Ich sage nicht, daß ihn jemand gezwungen hat. Weiß denn der Herr nicht, daß er aus freiem Willen zu ihnen übergegangen ist?“

„Wer ist übergegangen?“

„Nun, der Herr Andrij!“

„Wohin ist er übergegangen?“

„Auf ihre Seite. Er gehört doch jetzt schon ganz zu ihnen.“

„Du lügst, Schweinehund!“

„Wie sollte ich denn lügen? Bin ich etwa ein Narr, daß ich lügen werde? Ich würde mich ja um meinen eigenen Kopf bringen. Weiß ich nicht, daß man den Juden aufhängen wird wie einen Hund, wenn er den Herrn belügt?“

„Du willst also sagen, daß er sein Vaterland und seinen Glauben verraten hat?“

„Ich sage doch nicht, daß er verraten hat — ich habe nur gesagt, daß er zu ihnen übergegangen ist.“

„Du lügst, Satan von einem Juden! So etwas ist noch nie dagewesen in der ganzen Christenheit! Du lügst, Hund!“

„Das Gras soll wachsen auf der Schwelle meines Hauses, wenn ich lüge! Anspeien soll jeder das Grab meines Vaters, meiner Mutter, meines Schwiegervaters, meines Vaters Vaters und des Vaters meiner Mutter, wenn ich lüge. Wenn der Herr es wünscht, will ich sogar sagen, warum er zu ihnen übergegangen ist.“

„Nun?!“

„Der Wojewode hat eine schöne Tochter — heiliger Gott, ist die schön! ...“ Bei diesen Worten versuchte der Jude ihre Schönheit, so gut er es konnte, mit seinem Gesicht auszudrücken: er breitete die Hände aus, zwinkerte mit den Augen und verzog den Mund, als ob er etwas Köstliches genossen hätte.

„Nun, was soll das?“

„Für sie hat er alles getan und ist übergegangen. Wenn sich ein Mensch verliebt, geht es mit ihm wie mit einer Stiefelsohle, die man biegen kann, wie man will, wenn man sie erst im Wasser aufgeweicht hat ...“

Bulba versank in tiefes Sinnen. Er dachte daran, wie groß die Macht eines schwachen Weibes ist. Wieviel Starke sie schon ins Verderben gestürzt hatte, und daß Andrijs Natur ihr nur allzuleicht unterlag. Und lange stand er wie versteinert auf einer Stelle.

„Hört, Herr, ich will Euch alles ausführlich erzählen,“ sagte der Jude.

„Im selben Augenblick, wie ich den Lärm hörte und sah, wie die Soldaten durch das Stadttor einzogen, da steckte ich für alle Fälle eine Perlenschnur zu mir; ich sagte mir: es gibt doch in der Stadt schöne Edelfrauen, die werden mir schon ein paar Perlen abkaufen, auch wenn sie nichts zu essen haben. Und kaum daß mich die Knechte des Fähnrichs losgelassen hatten, da lief ich schnell nach dem Hause des Wojewoden, um die Perlen zu verkaufen. Dort fragte ich eine Dienerin, eine Tatarin aus, von der ich alles erfuhr. Es wird bald Hochzeit gefeiert, sowie die Saporoger verjagt sind. Der Herr Andrij hat versprochen, die Saporoger fortzujagen.“

„Und du hast ihn nicht sofort totgeschlagen, den Satan!“ schrie Taraß.

„Warum totschlagen? Er ist doch aus freien Stücken übergegangen! Was kann er dafür? Es geht ihm dort besser als hier: so ist er eben zu ihnen gegangen!“

„Hast du ihn von Angesicht gesehen?“

„Bei Gott, von Angesicht zu Angesicht! Welch ein vornehmer Herr! Weit schöner als alle andern! Gott schenke ihm Gesundheit — er hat mich sogleich erkannt und als ich zu ihm herantrat, sagte er sofort ...“

„So? Was hat er gesagt!“

„Er sagte ... doch nein, er winkte mir erst mit der Hand, und dann erst sagte er: „Jankel“. Worauf ich sagte: „Herr Andrij!“ „Jankel, sag dem Vater, sag dem Bruder, sag den Kosaken, sag den Saporogern, sag ihnen allen, daß der Vater mir von heute ab kein Vater, der Bruder kein Bruder, der Kamerad kein Kamerad mehr ist, und daß ich mit ihnen kämpfen werde, mit ihnen allen kämpfen werde!“

„Du lügst, satanischer Judas!“ schrie Taraß außer sich, „du lügst, verfluchter Hund! Du hast auch Christus gekreuzigt, du gottverfluchtes Geschöpf! Satan, ich erschlage dich! Fliehe, flieh von hier — sonst bist du gleich des Todes!“ Mit diesen Worten riß Taraß seinen Säbel aus der Scheide, und der erschrockene Jude ergriff die Flucht und lief, so schnell er konnte, davon, so weit ihn seine trockenen dürren Beine trugen. Lange lief er, ohne sich umzusehen, durch das Kosakenlager, immer weiter und weiter über das freie Feld, obgleich ihn Taraß garnicht verfolgte — er hatte es sich überlegt, daß es unvernünftig sei, seinen Zorn an dem ersten besten auszulassen.

Jetzt erinnerte er sich daran, daß er Andrij in der vorigen Nacht mit einem Weibe durch das Lager habe gehen sehen, und er ließ sein graues Haupt mutlos herabsinken. Aber er wollte noch immer nicht daran glauben, daß ihm eine solche Schmach hätte angetan werden können und daß der eigene Sohn seinen Glauben und seine Seele verraten konnte. Endlich ermannte er sich, führte seine Abteilung in den erwähnten Hinterhalt und verschwand im Walde, dem einzigen, der noch nicht von den Kosaken niedergebrannt war. Die andern Saporoger, das Fußvolk wie die Reiter, rückten in drei Zügen bis an die drei Tore vor. Eine Abteilung zog hinter der andern her: die Abteilungen Uman, Popowitschew, Kanew, Steblikiw, Nesamaikow, Gurgusiw, Tymoschew usw. Nur die Abteilung Perejaslaw fehlte. Diese hatte nämlich am Abend vorher ein äußerst stürmisches Zechgelage veranstaltet, und die Folge davon war, daß einige von ihnen gefesselt im feindlichen Lager und andere gar nicht erwachten, sondern sogleich in die feuchte Erde gebettet wurden. Chlib, der Hauptmann, wurde ohne Hemd und Hose ins polnische Lager gebracht.

In der Stadt hörte man bald von der Bewegung im Kosakenlager. Alle liefen auf die Wälle hinaus, und ein prächtiges Bild entfaltete sich vor den Augen der Kosaken. Die polnischen Ritter standen, einer immer schöner als der andere, auf den Wällen. Die kupfernen Helme, mit schwanenweißen Federn geziert, glänzten wie kleine Sonnen. Andere trugen leichte rosa und hellblaue Mützen, deren oberer Teil auf der Seite etwas eingebogen war. Ihre Röcke mit den herabhängenden Ärmeln waren mit Goldstickereien oder einfachen Schnüren versehen; sie hatten reichverzierte Säbel und Waffen, die die polnischen Herren teuer genug bezahlt haben mochten, und vielerlei andere Schmuckgegenstände. In der vordersten Reihe stand der Oberst von Budschakow in würdiger Haltung mit einer roten, goldgestickten Mütze. Der Oberst war bedeutend größer und stärker als alle übrigen, und sein weiter kostbarer Rock war fast zu eng für seine mächtige Hühnengestalt. Auf der anderen Seite, ganz nahe am Seitentor, stand ein anderer Oberst, ein kleiner dürrer Mann, dessen winzige, scharfe Augen lebhaft unter dichten Augenbrauen hervorblickten; er drehte sich schnell nach allen Seiten um, und seine hagere Hand wies gebieterisch bald hierher und bald dorthin. Man sah, daß er trotz seiner Kleinheit sich trefflich auf das Kriegshandwerk verstand. Unweit von ihm stand der Fähnrich, ein langer Kerl mit einem dichten buschigen Schnurrbart und einer fast zu frischen Gesichtsfarbe; der Herr liebte die starken Getränke und war der Freund einer reichbesetzten Tafel. Hinter ihnen sah man noch viele viele Ritter, von denen sich ein Teil auf eigene Kosten bewaffnet und ausgerüstet hatte, der andere dagegen auf Kosten der Staatskasse oder mit jüdischem Gelde, da diese Herrn all ihr Hab und Gut, das die Schlösser der Väter bargen, versetzt hatten. Es gab darunter auch eine nicht geringe Zahl von jenen Schmarotzern, die das Gefolge der Senatoren zu bilden pflegten, und die an ihrer Tafel sitzen durften, um ihren Glanz zu erhöhen; oft genug stahlen sie dort als Entgelt die silbernen Becher von den Tischen und aus den Schränken weg und lenkten vielleicht schon morgen, ihrer Ehre entkleidet, vom Kutscherbock herab die Pferde eines großen Herrn. Da gab es alle möglichen Sorten und Gattungen von Menschen. Manch einer besaß noch nicht genug, um sich einen Becher Branntwein zu kaufen: für den Krieg aber hatten sie sich alle aufs schönste herausgeputzt.

Die Kosaken standen gelassen vor den Stadtmauern. An ihnen war auch nicht eine Spur von goldenem Zierat zu bemerken, nur ab und zu blitzte es an einem Säbelgriff oder einem Gewehrkolben auf. Die Kosaken liebten es nicht, sich zur Schlacht reich zu schmücken. Ihre Panzer und Kleider waren alle höchst einfach und bescheiden: bloß ihre schwarzen Lammfellmützen mit den roten Spitzen konnte man weithin schimmern sehen.

Zwei Kosaken lösten sich von den Reihen der Saporoger ab und sprengten nach vorn; der eine war noch ganz jung, der andere etwas älter, beide hatten Haare auf den Zähnen, verstanden sich gut aufs Reden, doch auch nicht minder gut auf das Handeln. Sie hießen Ochrim Nasch und Mykyta Golokopytenko. Ihnen folgte Demid Popowitsch, ein stämmiger Kosak, der sich schon lange in der Sjetsch aufhielt, bei Adrianopel gekämpft und schon mancherlei erlebt und erfahren hatte: sollte er doch bereits einmal lebendigen Leibes auf einem Scheiterhaufen verbrannt werden; damals war er mit geteertem und geschwärzten Kopf und abgesengten Schnurrbart in der Sjetsch erschienen, aber Popowitsch hatte sich bald wieder erholt und sich einen langen Schopf, der ihm bis übers Ohr herabhing, und einen pechschwarzen, buschigen Schnurrbart wachsen lassen. Übrigens konnte Popowitsch oft recht bissig werden.

„Ja, das muß man sagen, schöne Kleider habt ihr an, ihr tapferen Ritter; ich möchte nur wissen, ob euer Mut und eure Tapferkeit ebenso groß ist?“

„Ich will’s euch schon zeigen,“ rief der dicke Oberst von oben herab, „ich lasse euch allesamt binden und an die Kette legen. Gebt eure Gewehre und Pferde her, ihr Knechtsseelen. Habt ihr’s gesehen, wie ich eure Leute habe binden lassen? Hollah, schleppt doch mal die Saporoger auf den Wall!“

Und die aneinandergebundenen Saporoger wurden auf den Wall geschleppt. Zuerst erschien der Hauptmann der Abteilung, Chlib, ohne Hemd und Hose — ganz so, wie man ihn im Rausche erwischt hatte. Er ließ den Kopf tief sinken, denn er schämte sich, daß er sich vor den Kosaken in seiner Blöße zeigen mußte, und daß er schlaftrunken wie ein Hund in Gefangenschaft geraten war. Sein mächtiger Kopf war in der einen Nacht ergraut.

„Sei nicht traurig, Chlib, wir werden dich schon befreien“, riefen ihm die Kosaken von unten zu.

„Sei nicht traurig, Freund,“ fügte der Hauptmann Borodaty hinzu, „es ist nicht deine Schuld, daß sie dich nackt gefaßt haben, jedem Menschen kann solch ein Unglück passieren. Sie müssen sich schämen, daß sie dich so hergebracht und nicht einmal deine Blöße anständig bedeckt haben.“

„Ihr scheint ja gegen Schlafende besonders tapfer zu sein,“ sagte Golokopytenko und blickte zum Wall empor.

„Wartet’s nur ab, wir werden euch schon eure Mähnen abschneiden,“ riefen ihnen jene zu.

„Das möchte ich doch sehen, wie sie es fertig bringen werden, uns die Mähnen abzuschneiden,“ sagte Popowitsch, dann wandte er sich auf seinem Pferde zu seinen Leuten um, sah sie an und sagte: „Übrigens ist es vielleicht doch wahr, was die Polen sagen; wenn der Dicke ihr Führer ist, brauchen sie sich nicht zu fürchten, das ist eine gute Schutzwehr.“

„Weshalb glaubst du, daß sie dann in Sicherheit sind?“ fragten die Kosaken, welche wußten, daß sich Popowitsch wahrscheinlich schon auf eine Antwort vorbereitet hatte.

„Na, einfach deshalb, weil sich das ganze Heer hinter ihm verstecken wird. Höchstens, daß man hinter seinem dicken Wanst einen mit der Lanze hervorholt!“

Alle Kosaken brachen in ein schallendes Gelächter aus und noch lange schüttelten einzelne von ihnen den Kopf und sagten:

„Ja ja, der Popowitsch! Der versteht’s! Wenn der es auf einen abgesehen hat, dann ...“ Allein die Kosaken sagten nicht, was „dann“ kommt. „Schnell fort — schnell fort von den Mauern,“ rief der Hetman, denn die Polen schienen die boshaften Bemerkungen nicht vertragen zu können, und der Oberst hatte schon mit der Hand ein Zeichen gegeben.

Kaum waren die Kosaken einige Schritte zurückgewichen, da hagelten auch schon die Kartätschen von den Wällen herab. Auf dem Wall geriet alles in Bewegung, selbst der graue Wojewode kam zu Pferde herangesprengt. Die Tore öffneten sich, und das Heer zog hindurch. Vorne in wohlgeordneten Reihen ritt ein Trupp Husaren in schön gestickten Röcken, dann kamen, eine Abteilung Lanzenreiter und Schwerbewaffnete in schweren Kupferhelmen und schließlich etwas abseits und in einiger Entfernung die vornehmsten von den Rittern, jeder nach seinem besonderen Geschmack gekleidet. Die stolzen Herren wollten sich nicht unter die andern mischen, und wer von ihnen über kein Kommando verfügte, ritt allein mit seinen Dienern. Dann folgten von neuem lange Reihen von Soldaten, hinter denen ein Fähnrich einherritt. Dann wieder mehrere Reihen Soldaten und hinter ihnen der dicke Oberst; und endlich ganz zu letzt kam der kleine Hauptmann hinter dem Heere dahergesprengt.

„Hindert sie, hindert sie, ihre Stellungen einzunehmen“, rief der Hetman, „rückt auf sie los; alle Abteilungen vor! Laßt die andern Tore im Stich. Die Abteilung Tytarew greift von der einen Seite an, die Djadkiwsche Abteilung von der andern. Kukubenko und Palywoda, fallt ihnen in den Rücken! Bringt sie in Verwirrung und sprengt sie auseinander.“

Die Kosaken rückten von allen Seiten heran. Sie drängten die polnischen Reihen zurück, brachten sie in Verwirrung und gerieten selbst in ein wirres Durcheinander. Man ließ sich nicht einmal Zeit, die Gewehre zu laden und abzufeuern, sondern zog sofort das Schwert und gebrauchte die Lanze. Alles drängte sich zu einem Haufen zusammen, und jeder hatte Gelegenheit, seinen Mut und seine Kraft zu zeigen.

David Popowitsch säbelte drei gemeine Soldaten nieder, warf zwei der tapfersten Edelleute von den Pferden und rief: „Sind das schöne Pferde! Solche Pferde hatte ich mir längst gewünscht!“ Er jagte die Rosse weit ins Feld hinaus und rief einigen Kosaken zu, sie sollten sie festhalten. Dann stürzte er sich wieder in den Haufen und warf sich über die am Boden liegenden Edelleute: den einen erschlug er und dem andern warf er eine Schlinge um den Hals, band ihn am Sattel fest und schleifte ihn über das ganze Feld, nachdem er ihm zuvor seinen Säbel mit dem kostbaren Griff abgenommen und seinen Beutel mit Goldstücken vom Gürtel abgerissen hatte.

Kobita, ein wackerer und noch junger Kosak, war ebenfalls mit einem der tapfersten der polnischen Kämpfer handgemein geworden; das war ein langer Kampf; jetzt brauchten sie bereits ihre Fäuste ... der Kosak hatte schon beinahe die Oberhand gewonnen, den Feind niedergeworfen und ihm ein langes türkisches Messer in die Brust gestoßen. Aber er hatte dabei nicht acht auf sich gegeben; im selben Augenblick durchbohrte ihm eine heiße Kugel die Schläfe. Einer der edelsten Herren, der schönste Ritter aus einem der ältesten Fürstengeschlechter hatte ihn hingestreckt. Schlank wie eine Pappel saß er auf seinem Schimmel, und hatte schon manch hohes Beispiel von seinem Heldenmut gegeben; zwei Saporoger hatte er geradezu zerspalten, den Fedor Korsch, einen wackeren Kosaken, samt seinem Pferde niedergehauen, den Gaul erschossen, und den Reiter unter dem Rosse mit ein paar Lanzenstichen getötet, vielen andern hatte er den Kopf oder die Arme abgeschlagen und endlich den Kosaken Kobita durch eine wohlgezielte Kugel, die jenem die Schläfe durchbohrte, niedergestreckt.

„Das ist ein Kerl, mit dem ich einmal meine Kräfte messen möchte,“ rief der Hauptmann Kukubenko von der Abteilung Nesamaikow aus. Er gab seinem Pferde die Sporen, sprengte von hinten an ihn heran und schrie so laut, daß alle, die in der Nähe standen, bei diesem unmenschlichen Gebrüll erbebten. Der Pole wollte schnell sein Pferd herumreißen, um ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten; aber das Pferd gehorchte ihm nicht. Erschreckt von dem entsetzlichen Geschrei sprang es zur Seite, und so gelang es Kukubenko, dem Ritter eine Kugel in den Leib zu jagen. Sie drang ihm ins Schulterblatt, und er stürzte vom Pferde. Aber auch jetzt ergab sich der Pole noch nicht, sondern versuchte es noch immer, seinem Gegner einen Schlag zu versetzen, doch sein kraftloser Arm vermochte den Säbel nicht mehr emporzuheben. Unterdessen ergriff Kukubenko mit beiden Händen seinen schweren Pallasch und stieß ihn dem Polen in das erbleichende Antlitz. Der Säbel hieb ihm zwei von den milchweißen Zähnen heraus, spaltete die Zunge, zerschmetterte den Halswirbel und drang noch tief in die Erde hinein. So nagelte er ihn für ewig an die feuchte Erde fest. Das edle rote Ritterblut spritzte hoch empor, so rot wie die Dolden der Eberesche am Flusse, und färbte den gelben goldgestickten Rock des Ritters. Aber Kukubenko kümmerte sich nicht mehr um ihn und stürzte mit seinen Nesamaikow-Kosaken mitten ins Gedränge hinein.

„Ei, wie kann man nur eine so kostbare Rüstung liegen lassen,“ rief der Hauptmann der Uman-Abteilung, Borodaty, der die Seinen verlassen hatte und nach der Stelle geritten war, wo der von Kukubenko erschlagene Edelmann in seinem Blute lag.

„Sieben Edelleute habe ich eigenhändig erschlagen, aber noch bei keinem habe ich eine so kostbare Rüstung gesehen!“ Von der Beute angelockt, bückte sich Borodaty, um dem Toten die kostbare Rüstung abzunehmen; schon bemächtigte er sich des türkischen Dolches mit dem Griff aus farbigen leuchtenden Edelsteinen, löste das Täschchen mit den Dukaten vom Gürtel ab und zog ihm einen Beutel mit feiner Wäsche, kostbarem silbernem Zierat und einer schönen Mädchenlocke, die hier zur Erinnerung aufbewahrt wurde, aus dem Busen. So kam es, daß Borodaty es nicht hörte, wie der Fähnrich mit der roten Nase, den er schon einmal aus dem Sattel geworfen und einen kräftigen Denkzettel versetzt hatte, hinterrücks auf ihn eindrang. Der Fähnrich holte tüchtig aus und gab ihm mit dem Säbel einen furchtbaren Hieb über den niedergebeugten Nacken. Die Beutegier trug dem Kosaken nichts Gutes ein; sein mächtiges Haupt flog ihm von den Schultern, der kopflose Leichnam brach zusammen und tränkte den Boden ringsherum mit seinem Blute. Die rauhe Kosakenseele stieg zürnend und murrend, aber zugleich voller Verwunderung, daß sie schon so früh aus dem starken Körper entweichen mußte, zum Himmel empor. Kaum aber hatte der Fähnrich die Mähne des Hauptmanns gepackt, um sie an seinen Sattel zu binden, da nahte auch ihm schon der schreckliche Rächer.

Wie ein am Himmel schwebender Habicht, der plötzlich, nachdem er mit seinen starken Flügeln manch gewaltigen Kreis beschrieben hat, mit ausgebreiteten Schwingen an einer Stelle hängen bleibt und dann wie ein Pfeil auf die singende Wachtel am Wege herabstößt, so stürzte sich Taraß’ Sohn, Ostap, auf den Fähnrich und warf ihm schnell den Strick um den Hals. Das rote Antlitz des Fähnrichs wurde noch röter, als ihm die grausame Schlinge die Kehle zuschnürte; er griff nach der Pistole, aber die krampfhaft zusammengedrückte Hand vermochte nicht mehr zu zielen, und die Kugel flog nutzlos ins Feld hinaus. Sofort löste Ostap die seidene Schnur vom Sattel des Fähnrichs, die dieser zur Fesselung der Gefangenen mit sich führte, und band ihm mit seiner eigenen Schnur Hände und Füße zusammen; das Ende befestigte er an seinem Sattel und schleifte dann den Polen über das Feld, indem er alle Kosaken der Abteilung Uman laut ermahnte, ihrem Hauptmann die letzte Ehre zu erweisen.

Als die Uman-Kosaken hörten, daß ihr Hauptmann Borodaty gefallen sei, verließen sie das Schlachtfeld und eilten herbei, um seinen Leichnam in Sicherheit zu bringen. Dann gingen sie sofort zu Rate, wen sie zu ihrem Hauptmann wählen sollten. Endlich sagten sie: „Wozu sollen wir lange überlegen? Wir können ja doch keinen bessern Hauptmann bekommen als Ostap Bulba; er ist zwar der jüngste von uns, aber er hat soviel Verstand wie ein älterer Mann.“

Ostap nahm die Mütze ab und dankte allen Kameraden für die Ehre, ohne sich erst lange mit seiner Jugend oder seiner geringen Erfahrung zu entschuldigen, denn er wußte, daß man während des Krieges keine Zeit zu solchen Dingen hat. Er führte seine Kosaken sogleich dorthin, wo das Gedränge am größten war, und bewies so, daß sie nicht übel beraten waren, als sie ihn zum Hauptmann wählten. Als die Polen merkten, daß die Sache doch etwas ernst wurde, zogen sie sich zurück und stürmten quer über das Feld, um sich am andern Ende wieder zu sammeln. Der kleine Hauptmann gab den vierhundert Mann, die in der Nähe des Tores standen und noch nicht am Gefecht teilgenommen hatten, ein Zeichen — und ein Kartätschenregen hagelte auf die Reihen der Kosaken nieder; sie trafen jedoch nur wenige. Dafür aber streiften einige Kugeln die Ochsenherden der Kosaken, die die Schlacht mit entsetzten Blicken anstarrten. Die erschrockenen Ochsen brüllten laut auf, stürmten auf das Kosakenlager zu, zertrümmerten die Wagen und traten viele Leute zu Boden. In diesem Augenblick jedoch stürzte Taraß mit seiner Abteilung aus dem Hinterhalte hervor und verlegte den Tieren den Weg, die aufs höchste gereizt, kehrt machten und sich mit angstvollem Gebrüll auf die polnischen Regimenter stürzten, die Reiter über den Haufen warfen und alles zerstampften und zertraten.

„Hallo, Dank ihr Ochsen!“ schrien die Saporoger, „ihr habt uns während des ganzen Feldzuges schon manchen Nutzen gebracht und jetzt leistet ihr uns gar noch Kriegsdienste!“

Und mit frischen Kräften stürzten sie sich auf den Feind. Da wurde manch ein Pole niedergemetzelt, und viele von den Kosaken zeichneten sich durch ihre Kraft und ihren Heldenmut aus! Meteliza, Schilo, die beiden Pisarenko, Wowtusenko und noch mancher andere.

Die Polen sahen, daß es schlecht mit ihnen stand, und so befahlen sie denn, die Fahnen zu hissen und das Stadttor zu öffnen. Knarrend öffnete sich das eisenbeschlagene Tor und nahm die sich stoßenden und drängenden, erschöpften und bestaubten Reiter auf wie der Stall die Schafe. Viele Saporoger sprengten ihnen nach, aber Ostap hielt seine Leute zurück und sagte: „Haltet euch fern von den Mauern, werte Herren und Brüder, haltet euch fern von ihnen. Es ist gefährlich, sich ihnen zu nähern.“ Er hatte die Wahrheit gesprochen, denn die Polen schleuderten alles, was sie in die Hände bekamen, von den Mauern herab, und hierbei wurde mancher Kosak gefährlich verletzt. In diesem Augenblicke ritt der Hetman an Ostap heran, lobte ihn und sagte:

„Der Hauptmann ist zwar noch jung, aber er leitet seine Schar wie ein alter, gewiegter Heerführer!“

Der alte Bulba wandte sich um, um zu sehen, von was für einem neuen Hauptmann die Rede sei, und erblickte Ostap, der mit der Mütze auf dem Ohr und mit dem Hauptmannsstab in der Hand an der Spitze seiner Leute hoch zu Rosse saß. „Das ist ein Kerl!“ rief der Alte, ihn voller Freude betrachtend und dankte allen Uman-Kosaken für die seinem Sohne erwiesene Ehre.

Die Kosaken kehrten wieder um und machten sich bereit, ihr Lager aufzusuchen, als die Polen abermals, diesmal aber bereits in zerrissenen Gewändern auf den Wällen der Stadt erschienen. An vielen kostbaren Kleidern klebte geronnenes Blut, und die schönen Kupferhelme waren mit Staub bedeckt.

„Na, habt ihr uns zusammengebunden?“, riefen ihnen die Saporoger von unten zu.

„Ich werde euch schon fassen,“ schrie der dicke Oberst immer wieder von oben herab und drohte mit einem Strick; die erschöpften und bestaubten Krieger wollten noch immer nicht aufhören, Drohungen auszustoßen, und die Heißblütigsten ließen es auf beiden Seiten nicht an kräftigen Worten fehlen.

Endlich zerstreuten sich alle miteinander. Die einen begaben sich, vom Kampf ermüdet, zur Ruhe, die andern legten Erde auf ihre Wunden und zerrissen Tücher und die kostbaren Gewänder, die sie dem Feinde abgenommen hatten, um sich zu verbinden. Die, die sich etwas frischer fühlten, brachten die Erschlagenen fort und erwiesen ihnen die letzte Ehre; sie gruben ihnen mit einem Schwert oder einer Lanze ein Grab und trugen die Erde in ihren Mützen und Rockschößen fort; andächtig legten sie die toten Kosaken hinein und schütteten frische Erde über sie, damit ihnen Krähen und Adler nicht die Augen aushacken sollten. Die Leichen der Polen banden sie zu je zehn und mehr an die Schweife wilder Rosse und ließen diese zügellos über das ganze Feld rasen, ja, sie jagten noch hinter ihnen her und schlugen sie auf die Lenden. Die rasenden Pferde flogen über Furchen, Hügel, Gräben und Bäche und schleiften die mit Blut und Staub bedeckten Körper der Polen über den Erdboden.

Dann lagerten sich die Kosakenschaaren im Kreise, um ihr Abendessen einzunehmen, und redeten des langen und breiten über die Heldentaten, die ein jeder vollbracht hatte, zur Nacheiferung und zum Gedächtnis für die Neuhinzukommenden und die Nachfahren. Es dauerte lange, ehe sie sich niederlegten, aber länger als alle blieb der alte Taraß auf, der fortwährend darüber nachsann, was es wohl bedeuten mochte, daß Andrij sich nicht unter den feindlichen Kriegern befunden hatte. Ob sich der Judas vielleicht geschämt hatte, gegen die Seinen zu kämpfen, oder ob der Jude gelogen und Andrij einfach gefangen war? Aber er mußte doch wieder daran denken, wie empfänglich sein Herz für die Worte der Frauen war, ein tiefer Gram erfaßte Taraß, und er verfluchte im tiefsten Innern die Polin, die seinen Sohn bezaubert hatte. Oh er wollte seinen Schwur halten; ohne nur im geringsten ihrer Schönheit zu achten, wollte er sie an ihren schönen üppigen Haaren packen und zwischen den Kosaken hindurch über das ganze Feld schleifen. Staub und Blut sollten ihre schönen Brüste und Schultern bedecken und mochten sie noch so weiß sein und schimmern wie der ewige Schnee auf den Berggipfeln, sie sollten gegen die harte Erde schlagen und von ihr zerfetzt und zerrissen werden. In tausend Stücke wollte er ihren wunderbaren schwellenden Körper reißen, und die Teile in den Wind zerstreuen. Aber Bulba wußte nicht, was Gott dem Menschen für den morgigen Tag aufbehalten hat ..... er vergaß endlich seinen Schmerz und schlief ein. Die Kosaken plauderten noch immer miteinander, und die ganze Nacht hindurch standen nüchterne Wachtposten bei den Lagerfeuern und blickten scharfen Auges nach allen Seiten.

Achtes Kapitel

Die Sonne stand noch nicht im Zenit, als sich die Saporoger bereits zu einer allgemeinen Beratung versammelten. Aus der Sjetsch war die Nachricht gekommen, daß die Tataren sie während der Abwesenheit der Kosaken überfallen und völlig ausgeplündert, ja daß sie sogar die Schätze, die die Kosaken unter der Erde versteckt hielten, ausgegraben und alle, die zu Hause geblieben waren, totgeschlagen oder in die Gefangenschaft geführt hätten, und daß sie mit den geraubten Rinder- und Roßherden geradewegs nach Perekop gezogen wären. Nur einem einzigen Kosaken, Marim Goloducha, war es unterwegs gelungen, sich aus den Händen der Tataren zu befreien; er hatte den Mirza erstochen, dessen mit Zechinen gefüllten Beutel geraubt und sodann in tatarischer Kleidung und auf einem Tatarenpferde einen Tag und zwei Nächte auf der Flucht vor seinen Verfolgern zugebracht. Hierbei hatte er sein eigenes Pferd zu Tode gehetzt, ein anderes bestiegen, das er ebenfalls zu Schanden geritten hatte, und so war er erst am dritten Tage ins Lager der Saporoger gekommen, nachdem er unterwegs erfahren, daß diese bei Dubno standen. Er vermochte nur noch zu sagen, daß das Unglück geschehen war; wie es aber geschehen konnte, ob die zurückgebliebenen Saporoger sich nach Kosakenart betrunken hatten und dann im Rausch gefangen genommen worden, und wie die Tataren die Stelle entdeckt hatten, an der sich der Kriegsschatz befand — von alledem vermochte er nichts zu sagen. Der Kosak war furchtbar erschöpft und am ganzen Körper geschwollen; der heiße Wind hatte ihm das Gesicht verbrannt, genug, er sank sofort nieder und verfiel in einen tiefen Schlaf.

In solchen Fällen war es bei den Saporogern Sitte, den Räubern unverzüglich nachzujagen und sie noch unterwegs einzuholen, denn es konnte sonst leicht geschehen, daß die Gefangenen plötzlich auf den kleinasiatischen Bazaren, in Smyrna, auf der Insel Kreta oder an anderen Orten auftauchten, und Gott allein mochte wissen, wo man den buschigen Schädeln der Saporoger noch sonst begegnete. Das war der Grund, weswegen die Saporoger sich versammelt hatten. Sie alle, vom ersten bis zum letzten, hatten ihre Mützen aufbehalten, denn sie waren nicht hergekommen, um von ihrem Hetman Befehle zu hören, sondern um sich als Gleichgestellte miteinander zu beraten. „Die Ältesten sollen zuerst sprechen,“ riefen einige Stimmen aus der Menge. „Nein, Hetman, gib du uns einen Rat,“ sagten andere.

Der Hetman nahm die Mütze ab, nicht mehr als ihr Anführer, sondern als ihr Kamerad, dankte für die Ehre und sprach: „Es gibt viele unter uns, die älter sind, als ich, und viele, die einen klügeren Rat erteilen könnten, da man mir aber die Ehre erwiesen hat, mich zu fragen, so ist dies mein Rat: Verliert keine Zeit, Kameraden, und setzt den Tataren nach, denn ihr wißt ja selbst, was der Tatar für ein Mensch ist. Er wird mit seinem geraubten Schatz kaum auf unsere Ankunft warten, sondern ihn sofort verschleudern, sodaß auch nicht eine Spur von ihm übrig bleibt. Dies also ist mein Rat. Wir müssen aufbrechen, wir haben uns hier schon genug Bewegung gemacht. Die Polen wissen, wer die Kosaken sind, wir haben unsern Glauben nach Kräften gerächt. Die ausgehungerte Stadt aber kann für uns nicht mehr viel bedeuten. Darum lautet mein Rat: Brechen wir auf!“

„Aufbrechen, aufbrechen!“ schrieen die Abteilungen der Saporoger. Aber diese Worte wollten Taraß Bulba wenig gefallen. Finster runzelte er seine rabenschwarzen, leicht ergrauten Augenbrauen, die dem dichten Gestrüpp glichen, das auf dem Scheitel eines Berges wächst und dessen Spitzen mit feinen weißen Nadeln bereift sind. „Nein, dein Rat ist nicht gut, Hetman,“ sagte er, „deine Worte sind nicht richtig, du scheinst zu vergessen, daß die Unsern in der Gefangenschaft bei den Polen zurück bleiben. Du scheinst zu wollen, daß wir das erste und heiligste Gesetz der Freundschaft mißachten; daß wir unsere Brüder in Stich lassen, damit man ihnen bei lebendigem Leibe die Haut abzieht oder ihren Kosakenleib vierteilt und ihn dann durch alle Städte und Dörfer schleppt, wie sie das bereits mit dem Hetman und den besten Helden der Ukraine gemacht haben. Haben sie unser Heiligstes noch nicht genug beschimpft? Was sind wir denn? frage ich euch alle. Was ist das für ein Kosak, der seinen Kameraden in der Not verläßt und zugibt, daß er in der Fremde verreckt wie ein Hund? Wenn es schon so weit gekommen ist, daß niemand die Kosakenehre mehr heilig hält und daß jeder sich erlaubt, uns ins Angesicht und auf unseren großen Schnurrbart zu speien, und Schimpfworte auf uns zu häufen — so soll wenigstens mir keiner einen Vorwurf machen können. Ich bleibe hier und wenn ich der einzige bin!“

Alle anwesenden Saporoger begannen zu schwanken.

„Tapferer Oberst“ entgegnete hierauf der Hetman, „hast du denn vergessen, daß es ebenfalls unsere Kameraden sind, die sich in den Händen der Tataren befinden? Daß ihr Leben ein ewiges Sklaventum unter den Heiden sein wird, entsetzlicher als der schrecklichste Tod, wenn wir sie nicht befreien? Hast du denn vergessen, daß sie unsern gesamten Schatz besitzen, der mit teurem Christenblute erkauft ist?“

Die Kosaken wurden nachdenklich und wußten nicht, was sie sagen sollten. Keiner von ihnen wollte in üblen Ruf kommen. Da trat der Älteste aus dem Heere der Saporoger, Kaßjan Bowdjug, hervor. Er war hochgeehrt bei den Kosaken, war schon zweimal Hetman gewesen und galt auch im Kriege als ein tüchtiger Kosak, aber jetzt war er schon sehr alt und nahm an keinem Feldzuge mehr teil, auch liebte er es nicht, Rat zu erteilen, sondern der alte Kämpe zog es vor, im Kreise der Kosaken auf dem Rücken zu liegen und den Erzählungen über vergangene Abenteuer und Feldzüge der Kameraden zu lauschen. Er mischte sich nie in ihre Reden, sondern hörte nur aufmerksam zu und drückte mit den Fingern die Asche in seiner kurzen Pfeife zusammen, die er nie aus dem Munde ließ. So saß er lange da, die Augen halb geschlossen, und die Kosaken wußten nie, ob er zuhöre oder schon schlafe. Während der letzten Feldzüge war er stets zu Hause geblieben, aber diesmal hatte es ihn aufgerüttelt. Nach Kosakenart hatte er seine Hand geschwungen und gesagt: „Ach was, diesmal komme ich mit euch. Vielleicht kann ich dem Kosakentum noch irgendwie nützlich sein.“ Alle Kosaken verstummten, als er jetzt vor die Versammlung trat, denn schon lange hatte man kein Wort aus seinem Munde gehört. Jeder wollte wissen, was Bowdjug zu sagen hatte.

„Auch an mich ist jetzt die Reihe gekommen, einige Worte zu sagen, ihr Herren und Brüder“, begann er, „so hört denn, was euch ein alter Mann sagt, Kinder. Der Hetman hat weise gesprochen; als Führer des Kosakenheeres, der verpflichtet ist, den Besitz des Heeres zu hüten und zu bewahren, konnte er gar nichts Weiseres sagen. Das laßt euch zuerst gesagt sein. Jetzt aber hört, was ich euch weiter mitzuteilen habe. Und zwar muß ich euch folgendes sagen. Auch der Oberst Taraß hat eine große Wahrheit ausgesprochen! Gott möge ihm ein langes Leben bescheren, und möge es noch oft solche Obersten in der Ukraine geben! Die erste Pflicht und die höchste Ehre des Kosaken ist es, Waffenbrüderschaft zu halten. Solange ich auf der Welt bin, ihr Herren und Brüder, habe ich es noch nicht erlebt, daß der Kosak seinen Kameraden in Stich gelassen oder verraten hätte. Sowohl die einen wie die andern sind unsere Kameraden; ob ihrer nun viele oder wenige sind, das ist ganz gleich, sie sind alle unsere Kameraden und uns alle gleich lieb und wert. Ich will also folgendes sagen: Diejenigen, denen die Gefangenen der Tataren besonders lieb sind, sollen sich an die Verfolgung der Tataren machen, die dagegen, denen die von den Polen Fortgeschleppten mehr am Herzen liegen, und die deren gerechte Sache nicht verlassen wollen, sollen hier bleiben. Der Hetman mag seiner Pflicht gemäß mit der einen Hälfte die Tataren verfolgen, die andere Hälfte aber soll sich unterdessen einen eigenen stellvertretenden Hetman wählen. Und für dieses Amt eignet sich, wenn ihr einem Graukopf folgen wollt, niemand besser, als Taraß Bulba. Es gibt keinen unter uns, der ihm an Mut und Tapferkeit gleich ist.“

So sprach Bowdjug und verstummte; und alle Kosaken freuten sich, daß sie der Alte so auf den richtigen Weg gewiesen hatte. Alle warfen ihre Mützen in die Luft und riefen: „Dank dir, Väterchen! Du hast immer geschwiegen, und geschwiegen, du hast lange geschwiegen, und nun endlich hast du das einzig Richtige und Wahre gesagt. Du hast nicht vergebens erklärt, als du mit uns in den Feldzug zogst, daß du dem Kosakentum nützen könntest: Nun ist es wirklich so gekommen.“

„Seid ihr damit einverstanden?“ fragte der Hetman.

„Ja, wir sind Alle einverstanden,“ riefen die Kosaken.

„Die Versammlung ist also beendet?“

„Die Versammlung ist beendet,“ riefen die Kosaken.

„So vernehmt denn jetzt den Heeresbefehl, Kinder,“ sagte der Hetman, trat vor und setzte die Mütze auf; und alle Saporoger, so viel ihrer da waren, nahmen die ihren ab und hörten ihn entblößten Hauptes und mit zu Boden gesenkten Blicken an, wie es bei den Kosaken Sitte war, wenn einer der Ältesten sprechen wollte. „Jetzt teilt euch in zwei Teile, ihr Herren und Brüder. Wer gehen will, begebe sich auf die rechte Seite, wer bleibt, auf die linke. Geht der größere Teil einer Abteilung mit, so folgt ihnen auch der Führer, ist es jedoch nur der kleinere Teil, so mögen sich die Übrigbleibenden einer anderen Abteilung anschließen.“

Und Alle teilten sich in zwei Gruppen und stellten sich teils auf die rechte, teils auf die linke Seite. Wohin sich der größere Teil einer Abteilung begab, dahin folgte auch der Führer: kleinere Teile schlossen sich an die größeren Abteilungen an. Und es stellte sich heraus, daß beide Gruppen fast gleichstark waren. Folgende Abteilungen hatten sich zum Bleiben entschlossen: beinahe die ganze Abteilung Nesamaikow, die größere Hälfte der Abteilung Popowitsch, die ganze Abteilung Uman und Kanew, und die größere Hälfte der Steblikiwschen und Tymoschewschen Abteilungen. Die übrigen Abteilungen zogen es vor, die Tataren zu verfolgen. Auf beiden Seiten gab es viele tapfere und wackere Kosaken. Unter denen, die beschlossen hatten, den Tataren nachzujagen, befanden sich: ein wackerer, alter Kosak, Tscherewaty, ferner Pokotypole, Lemisch und Prokopowitsch Choma. Auch Demid Popowitsch hatte sich ihnen angeschlossen, denn er hatte eine recht hohe Meinung von sich und liebte es nicht, lange an ein und demselben Ort zu sitzen: er hatte sich nun mit den Polen gemessen, jetzt wollte er es wieder einmal mit den Tataren aufnehmen. Die Anführer der einzelnen Abteilungen waren folgende: Nostjugan, Pokryschka, Newylytschki und noch viele andere wackere und tapfere Kosaken, die Schwert und Kraft im Kampf gegen die Tataren erproben wollten. Aber nicht weniger tapfere und brave Kosaken waren unter denen, die da bleiben wollten: die Abteilungsführer Demytrowitsch, Kukubenko, Wertychwist, Balaban, Bulbenko und Ostap. Außer ihnen gab es da noch viele andere berühmte und gewaltige Kosaken: Wowtusenko, Tscherewytschenko, Stepan Guska, Ochrim Guska, Mykola Gustyj, Sadoroschny, Metelizja, Iwan Sakrutyguba, Mossy Schilo, Degtjarenko, Sydorenko, die drei Pissarenko und noch viele andere ausgezeichnete Kosaken, alles erfahrene, und erprobte Leute. Sie waren an den Küsten Anatoliens, in den Steppen der Krim, auf allen großen und kleinen Flüssen, die in den Dnjepr münden, und in den Schluchten und auf den Inseln dieses Flusses gewesen; sie hatten die Moldau, die Wallachei und die Türkei besucht, hatten das ganze schwarze Meer mit ihren zweiruderigen Kosakenbooten durchkreuzt und mit deren fünfzig die größten und reichsten Schiffe überfallen, nicht wenig Galeeren zum Kentern gebracht und viel, sehr viel Pulver in ihrem Leben verschossen. Oft genug hatten sie kostbare Seiden- und Sammetstoffe zerrissen um sich Fußlappen daraus zu verfertigen, und ihre Beutel am Hosengurt mit goldenen Zechinen vollgestopft. Und wieviel Geld und Gut jeder von ihnen schon vertrunken und verjubelt hatte, — einem andern hätte es für das ganze Leben gereicht — das war garnicht auszurechnen. Sie hatten nach Kosakenart alles verschwendet: alle Welt bewirtet, und Musikanten bestellt, damit alles, was da lebte, lustig sei! Noch jetzt hatten die meisten irgendwo Wertgegenstände vergraben: Becher, silbernes Trinkgeschirr und Armbänder, die sie im Schilf auf den Inseln des Dnjepr versteckt hielten, damit die Tataren sie nicht auffinden konnten, wenn es diesen gelingen sollte, die Sjetsch in einem unglücklichen Augenblick plötzlich zu überfallen. Aber es wäre den Tataren schwer geworden, diese Schätze zu finden, wußten doch oft die Besitzer selbst nicht mehr, wo sie sie vergraben hatten. Das waren die Kosaken, die da bleiben wollten, um die treuen Waffenbrüder und den christlichen Glauben an den Polen zu rächen. Der alte Kosak Bowdjug wollte gleichfalls mit ihnen zurückbleiben und sagte: „Ich bin nicht mehr jung genug, um hinter den Tataren herzulaufen; auch dies ist ein Platz, wo man einen ehrlichen Kosakentod sterben kann! Schon lange bete ich zu Gott, daß ich, wenn ich denn sterben soll, mein Leben im Kampf für die heilige Sache Christi hingeben dürfe. Nun ist es so gekommen. Einen schöneren Tod kann es für einen alten Kosaken nirgends geben.“

Nachdem sie auseinandergegangen waren und sich in zwei Gruppen nach den Abteilungen aufgestellt hatten, schritt der Hetman die Reihen ab und sagte:

„Nun ihr Herren und Brüder, sind die beiden Teile miteinander zufrieden?“

„Wir sind alle zufrieden Väterchen,“ riefen die Kosaken.

„Nun, dann küßt euch und drückt euch zum Abschied die Hände, denn Gott weiß, ob ihr euch noch einmal im Leben wiederseht. Gehorcht eurem Hetman, und tut euer Bestes: ihr wißt ja selbst, was die Kosakenehre von euch fordert.“

Und alle Kosaken, so viele ihrer waren, küßten einander. Die Führer machten den Anfang, sie strichen sich über ihre grauen Schnurrbärte und küßten sich dreimal, dann drückten sie sich die Hände und hielten sie lange fest, als ob sie sagen wollten: „Werden wir uns noch einmal wieder sehen, Herr Bruder oder nicht?“

Sie sagten aber doch nichts, sondern schwiegen, und ihre grauen Köpfe versanken in Nachdenken. Auch die Kosaken nahmen Abschied von einander; alle insgesamt, denn sie wußten, daß es für beide Teile viel zu tun gab. Sie beschlossen aber, sich nicht sofort zu trennen, sondern bis zum Anbruch der Nacht zu warten, damit der Feind nichts davon merke, daß das Kosakenheer kleiner geworden sei. Dann begaben sich alle in die einzelnen Lager, um sich ihr Mittagsmahl zu bereiten.

Nach der Mahlzeit legten sich alle, die nach Hause gehen wollten zur Ruhe nieder; sie schliefen lange und fest, wie wenn sie ahnten, daß dies das letzte Mal sei, wo sie sich als freie Männer auf freiem Felde ausschlafen konnten. Sie schliefen bis zum Sonnenuntergang: bei Anbruch der Dunkelheit aber standen sie auf, um ihre Wagen zu schmieren. Als sie fertig waren, schickten sie die Wagen voraus, sie selbst aber grüßten ihre Kameraden nochmals mit den Mützen und schritten langsam und still hinter den Wagen her; die Berittenen zogen in guter Ordnung, ohne die Pferde durch Schreien und Pfeifen anzuspornen, hinter den Fußgängern her, und bald waren sie in der Dunkelheit verschwunden. Nur hie und da hörte man noch das dumpfe Pferdegetrappel und hin und wieder das Knarren eines Rades herüberschallen, das noch nicht recht in Gang gekommen oder während der nächtlichen Dunkelheit schlecht geschmiert worden war.

Und lange noch winkten ihnen die zurückgebliebenen Kameraden zu, obgleich nichts mehr von ihnen zu sehen war. Als sie aber zu ihren Lagerplätzen zurückgekehrt waren, und als sie bei dem sternhellen Himmel sahen, daß die gute Hälfte der Wagen nicht mehr da war, und daß viele ihrer Brüder fehlten, da wurde es ihnen traurig und bang ums Herz, sie wurden unwillkürlich nachdenklich und ließen ihre unruhigen Köpfe herabsinken.

Taraß sah, wie schwermütig die Kosaken wurden, und wie sich ihrer Köpfe eine gewisse Verzagtheit, die eines tapferen Mannes unwürdig ist, bemächtigte; aber er schwieg, er wollte ihnen Zeit lassen, bis sie sich an den Schmerz gewöhnten, den der Abschied der Kameraden in ihnen hervorgerufen hatte. Im stillen nahm er sich jedoch vor, sie plötzlich durch den Kosaken-Kriegsruf aufzurütteln, um ihrer Seele wieder neuen frischen Mut und neue Stärke einzuflößen. Jene Stärke, deren nur die slavische Rasse fähig ist, diese weitherzige, mächtige Rasse, die sich zu den andern Rassen verhält, wie das Meer zu einem seichten Flüßchen. Wenn die Zeit stürmisch ist, dann bricht es in ein dröhnendes Gebrüll und Gedonner aus und wirft und türmt gewaltige Wogenmassen auf, wie es ein kraftloser Fluß nie vermag; wenn aber Windstille und Ruhe herrscht, dann streckt es seine unabsehbare, klare Spiegelfläche aus: den Augen ein ewiges Labsal, und klarer und reiner als je einer der Flüsse.

Taraß befahl seinen Dienern, einen Wagen, der gesondert dastand, auszupacken. Es war der größte und stärkste von allen Kosakenwagen. Seine Räder waren mit doppelten mächtigen Reifen beschlagen, er war hoch beladen, mit Decken und starken Ochsenfellen bespannt und mit gut geteerten Stricken umwunden. Im Innern befanden sich Gefäße und Fässer mit gutem alten Wein, der lange in Taraß’ Kellern gelagert hatte. Er hatte diesen Vorrat für einen feierlichen Augenblick aufgespart, damit ein jeder Kosak — wenn der große Augenblick gekommen war und große Taten winkten, die würdig waren, der Nachwelt überliefert zu werden — einen köstlichen Schluck dieses verbotenen Trunkes koste, auf daß der große Moment in dem Menschen auch ein großes Gefühl auslöse. Auf den Befehl des Obersten liefen die Knechte sofort zu den Wagen, hieben mit ihren Säbeln die dicken Stricke durch, nahmen die starken Ochsenhäute und Decken ab und zogen die Gefäße und Fässer vom Wagen herunter.

„Nehmt nur alle,“ sagte Bulba, „alle, so viele ihr seid, ein jeder nehme, was er bei der Hand hat: einen Becher, einen Eimer, mit dem er sonst sein Pferd tränkt, einen Fausthandschuh oder die Mütze, oder wenn es gar nicht anders geht, so haltet einfach die Hände unter.“

Und alle Kosaken, soviel ihrer da waren, taten, wie Taraß ihnen gebot; der eine hielt einen Becher unter, ein anderer einen Eimer, aus dem er sonst sein Pferd tränkte, ein dritter seinen Fausthandschuh und wieder andere die Mütze, viele aber hielten einfach beide Hände hin. Und Taraß’ Knechte schenkten ihnen allen den Wein aus Gefäßen und Fässern ein. Allein Taraß gebot ihnen, nicht eher davon zu kosten, als bis er ihnen ein Zeichen gäbe, damit alle den Wein auf einmal austränken. Man sah es ihm an, daß er etwas sagen wollte. Taraß wußte, daß, so stark auch die Wirkung an und für sich ist, die ein guter alter Wein auf das Gemüt des Menschen ausübt, und so sehr er ihn ermutigt und belebt, der Einfluß des Trunkes auf Geist und Gemüt noch doppelt so stark ist, wenn er von einem guten Wort begleitet wird. „Ich habe Euch nicht deshalb zu diesem Trunke eingeladen, werte Herren und Brüder,“ sprach Bulba, „weil ihr mich zu euerem Führer erwählt habt, so sehr ich mir das auch zur Ehre anrechne, und auch nicht um den Abschied von unseren Kameraden zu feiern, — das würde sich wohl in anderen Zeiten besser geziemen als gerade in diesem Augenblick. Große, schwere Taten, edlen Schweißes wert, harren unser, Taten, die den gewaltigen Mut der Kosaken erfordern! Und darum, Kameraden, laßt uns den Wein austrinken auf einen Zug: vor allem auf den heiligen christlichen Glauben, damit endlich die Zeit kommt, wo sich der eine wahre und heilige Glaube über den ganzen Erdboden verbreite und alle Mohammedaner, soviel ihrer auch sind, gläubige Christen werden. Und zugleich laßt uns auf die Sjetsch trinken, auf daß diese noch lange bestehen möge zum Schrecken und Verderben der Mohammedaner, und auf daß alle Jahre recht viele brave Kosaken, einer tüchtiger und schöner als der andere, aus ihr hervorgehen mögen. Und endlich laßt uns auch gleich auf unsern eigenen Ruhm trinken, auf daß Kinder und Kindeskinder sich von uns erzählen, daß es einst Kosaken gegeben habe, die nicht Verrat geübt an der Freundschaft und die eigenen Waffenbrüder nicht in Stich gelassen haben! Also es lebe der Glaube, werte Herren. Es lebe der Glaube!“

„Es lebe der Glaube!“ donnerten alle, die in den vordersten Reihen standen mit ihren tiefen Baßstimmen los. „Auf unsern Glauben!“ fielen auch die ferner Stehenden ein, und alle Anwesenden, die Alten und die Jungen, leerten die Becher auf ihren Glauben.

„Auf die Sjetsch!“ sagte Bulba und hob den Arm hoch über den Kopf empor.

„Auf die Sjetsch!“ riefen die in den vordersten Reihen mit lauter Stimme. „Auf die Sjetsch!“, sagten die Alten leise und strichen sich die grauen Schnurrbärte; und die Jungen wiederholten wie ein junger Falke, der aus dem Schlafe erwacht: „Auf die Sjetsch!“ — und weithin drang über das Feld der Ruf, mit dem die Kosaken ihrer Sjetsch gedachten.

„Jetzt noch einen letzten Trunk, Kameraden: auf unsere Ehre und unseren Ruhm und auf alle Christen, die in der Welt leben!“

Und alle Kosaken, vom ersten bis zum letzten, tranken den letzten Schluck auf Ehre und Ruhm und auf alle Christen, die irgendwo in der Welt lebten. Und lange noch wiederholten die einzelnen Gruppen und Abteilungen:

„Auf das Wohl aller Christen, die in der Welt leben!“

Die Becher waren geleert, doch noch immer standen die Kosaken mit erhobenen Händen da; allein wenn auch der Wein ihre Augen heller und freudiger glänzen machte, — sie waren doch immer noch ernst und nachdenklich. Nicht an Beute und Kriegsglück dachten sie jetzt, auch nicht daran, ob ihnen wohl goldene Dukaten, kostbare Waffen, gestickte Röcke und Tscherkessenpferde beschieden sein würden: sie saßen sinnend da wie eine Schar von Adlern, die sich hoch oben auf den Spitzen steinerner Felsen und steiler Berge niedergelassen haben, von wo aus man das weite grenzenlose Meer erblickt, wie es mit Galeeren, Segelschiffen und allerlei Fahrzeugen, gleichwie mit kleinen Vögeln, besät ist, — das Meer mit seinen in der Ferne verschwimmenden Meerbusen und Gestaden, mit Städten, die wie Fliegen, und mit Wäldern, deren Bäume wie niedrige Grashalme aussehen. Mit Adlerblick überschauten sie die ganze Ebene und ihr von ferne winkendes Schicksal. Einst würde das ganze weite Feld, mit all seinen Wegen und Verstecken, mit nackten weißen Kosakenknochen bedeckt sein, und auf dem von Kosakenblut gedüngten Boden würde man zertrümmerte Wagen, zerbrochene Säbel und Lanzen erblicken; überall würden dicht behaarte Köpfe mit zerzausten und blutigen Mähnen und tief herabhängenden Schnurrbärten herumliegen, die Adler würden sich auf die Leichen stürzen und ihnen mit ihren Schnäbeln die Kosaken-Augen heraushacken. Aber wie schön und herrlich war doch trotz allem ein so weites, freies Sterbelager! Keine ihrer großen Taten würde vergessen werden, und der Kosakenruhm würde nie vergehen und nie sich verlieren wie die kleine Kugel, die den Flintenlauf verlassen hat. Ein Bandura-Spieler mit einem weißen, bis an den Gürtel reichenden Bart würde einst von ihm singen oder vielleicht auch ein weißhaariger Greis, der aber noch immer ein Bild kraftvoller männlicher Schönheit ist: ein Wahrsager und Prophet, würde er mit gewaltigen, mächtigen Worten von ihm künden! Und weithin über die Welt würde sich der Ruhm der Kosaken verbreiten, und alle, die nach ihnen geboren würden, würden von ihnen reden. Denn leicht verbreitet sich ein gewaltiges Heldenwort, leicht wie der Ton aus schallendem Glockenerz, in das der Meister viel köstliches und reines Silber gemischt hat, auf daß der herrliche Klang in alle Städte und Dörfer, Paläste und Hütten dringe, und alle Christen zum heiligen Gebete rufe.

Neuntes Kapitel

In der Stadt hatte noch niemand etwas davon erfahren, daß die Hälfte der Saporoger abgezogen war, um die Tataren zu verfolgen. Vom Rathausturm bemerkte man allerdings, daß ein Teil der Wagen hinter dem Walde verschwunden war, allein man glaubte, daß die Kosaken den Leuten in der Stadt einen Hinterhalt legen wollten, und so dachte auch der welsche Ingenieur. Mittlerweile aber hatte sich die Meinung des Hetmans bestätigt: in der Stadt machte sich wieder ein großer Mangel an Lebensmitteln bemerkbar: wie stets in diesen Zeiten, so hatte man es auch diesmal nicht für nötig gehalten, die Bedürfnisse des Heeres im voraus zu berechnen. So versuchte man denn, einen Ausfall aus der Stadt zu machen — indes die Hälfte der Waghalsigen wurde auf der Stelle von den Kosaken niedergemacht, und die andern wurden mit leeren Händen in die Stadt zurückgeschickt. Die Juden aber wußten den Ausfall gut auszunutzen: sie kriegten alles heraus: wohin und weshalb die Saporoger fortgezogen waren, welche Führer, welche Abteilungen und wieviel Leute an Ort und Stelle zurückgeblieben waren, und was sie zu tun beabsichtigten — kurz, man war in der Stadt bald darauf aufs genaueste über alles unterrichtet.

Die Führer schöpften neuen Mut und entschlossen sich, den Kosaken eine Schlacht zu liefern. Taraß erriet diese Absicht schon an dem Lärm und der Bewegung in der Stadt, worauf auch er schnell alle Anstalten traf, alle nötigen Befehle und Anordnungen gab und die einzelnen Abteilungen in drei Lager teilte, indem er sie von Proviantwagen wie mit Festungswällen umstellen ließ, — eine Kampfart, in der die Saporoger unbesieglich waren. Zwei Abteilungen befahl er, sich in den Hinterhalt zu legen, und einen Teil des Feldes ließ er mit spitzen Pfeilen, zerbrochenen Säbeln und Lanzen spicken, um, wenn es glücken sollte, die feindliche Reiterei hineinzujagen. Als alles aufs trefflichste instand gesetzt war, hielt er eine Ansprache an die Kosaken: nicht etwa um sie zu ermutigen oder anzufeuern — er wußte, daß sie auch ohnedies mutig und tapfer genug waren, sondern einfach weil er selbst einmal aussprechen wollte, was er auf dem Herzen hatte.

„Werte Herren, ich will euch sagen, was unsere Kameradschaft bedeutet. Ihr habt von den Vätern und Großvätern vernommen, wie unser Land überall geehrt wurde: die Griechen haben es kennen gelernt, und von Konstantinopel erhielt es Dukaten als Tribut; es hatte herrliche Städte, Kirchen und Fürsten — Fürsten von altem russischen Adel, seine eigenen Fürsten und nicht katholische Ketzer. Und nun haben uns die Ungläubigen alles geraubt, und es ist alles verloren gegangen: nur wir arme Waisen sind übrig geblieben — und wie eine Witwe, deren starker Mann dahingegangen ist, ist auch unser Land verwaist und schutzlos geworden. In einer solchen Zeit haben wir uns die Hände gereicht, Kameraden, um Brüderschaft miteinander zu schließen! Und das ist es, worauf unsere Kameradschaft gegründet ist! Es gibt keine heiligeren Bande als die der Waffenbrüderschaft; der Vater liebt sein Kind, die Mutter liebt ihr Kind, das Kind liebt Vater und Mutter, doch was bedeutet das alles, Brüder? Auch das Tier liebt ja sein Junges! Eine Seelengemeinschaft die noch über die Blutsbande hinausgeht, die kann nur bei Menschen bestehen! Auch in andern Ländern haben treue Freunde und Kameraden zusammengehalten, aber nirgends noch gab es solche, wie die russische Erde sie hervorbrachte. Viele von euch haben lange, lange Zeit in der Fremde geschmachtet, gewiß, auch dort gibt es Menschen — auch sie sind von Gott erschaffen worden, und man kann mit ihnen sprechen wie mit seinesgleichen. Aber wenn es sich um Worte handelt, die die ganze Seele aufrühren, da merkt man sofort den Unterschied! Gewiß, es sind kluge Leute, und doch fehlt es ihnen an etwas, es sind Menschen wie wir, und doch ganz anders geartet. Nein Brüder, so lieben, wie ein russisches Herz es kann — ich meine nicht mit dem Verstande oder irgend etwas Ähnlichem, sondern mit allem, was uns Gott gegeben hat, mit alledem, was im Menschen verborgen ist — ah,“ sagte Taraß, indem er die Hand sinken ließ, sein graues Haupt schüttelte und mit dem Schnurrbart zuckte, „nein, so kann kein anderer lieben! Ich weiß wohl, es sind jetzt schlimme Sitten in unser Land gedrungen, alle Leute denken nur an ihre Heuschober, ihre Kornspeicher, ihre Roßherden und legen den allergrößten Wert darauf, daß die versiegelten Metflaschen in ihren Kellern nur ja unberührt bleiben; sie nehmen der Teufel weiß was für heidnische Sitten an, verachten ihre eigene Sprache und wollen kaum noch mit ihren eigenen Stammesgenossen sprechen, ja sie verkaufen den eigenen Bruder wie irgend ein seelenloses Vieh, das man auf dem Markte feilbietet. Die Gunst eines fremden Königs, ja nicht einmal eines Königs, sondern nur das schmähliche Wohlwollen eines polnischen Magnaten, der sie mit seinen gelben Stiefeln ins Gesicht schlägt, liegt ihnen mehr am Herzen als alle Brüderschaft. Aber auch im letzten Lumpen, so niedrig und gemein er auch sein mag, selbst wenn er sich noch so sehr in Staub, Schmutz und Unterwürfigkeit wälzt, auch in ihm, Brüder, lebt noch ein Fünkchen russischen Gefühls, und der Tag kommt, an dem er wieder erwacht und zur Besinnung kommt; dann wird er sich wie ein Verzweifelter gegen die Brust schlagen, sich am Kopfe fassen, sein schändliches Leben laut verfluchen, und seine schmachvolle Tat mit tausend Qualen sühnen wollen. So mögen sie denn alle wissen, was die Kameradschaft in russischen Landen bedeutet! Und wenn es denn gilt, zu sterben, so wird niemand von ihnen so zu sterben wissen wie wir. Niemand, niemand! Das bringt ihre Mäusenatur nicht fertig!“

So sprach der Hauptmann, und als er seine Rede beendet hatte, schüttelte er noch lange sein silberweißes Haupt, das in den vielen Kosakenzügen ergraut war.

Alle Umstehenden hatte seine Rede aufs tiefste ergriffen und bis ins Innerste erschüttert. Die Ältesten verharrten in völliger Bewegungslosigkeit, sie hatten ihre grauen Häupter zu Boden gesenkt, und in ihren alten Augen glänzte eine verstohlene Träne, die sie langsam mit dem Ärmel fortwischten. Dann aber erhoben sie alle wie auf Verabredung gleichzeitig die Hände und schüttelten die greisen Häupter.

Der alte Taraß mußte wohl mancherlei Vertrautes und Schönes wachgerufen haben, das tief im Herzen der Menschen schlummert, eines Menschen, der durch Not, Mühsal, Leichtsinn und allerhand Mißgeschick klüger geworden ist oder der zwar noch nicht alles erfahren, aber doch in seiner jungen reinen Seele vieles empfunden hat, zur Freude seiner greisen Eltern, die ihn erzeugt haben.

Doch schon kam das feindliche Heer aus der Stadt herangezogen, die Pauken und Posaunen dröhnten, und die Ritter nahten, die Hände in die Seiten gestemmt, auf ihren stolzen Rossen, umgeben von zahllosen Reisigen. Der dicke Oberst teilte Befehle aus. Ohne Verzug rückten die Polen gegen die Kosakenlager vor und legten drohend ihre Gewehre an, wobei ihre Augen zornig funkelten und ihre Kupferrüstungen glänzten.

Kaum hatten die Kosaken gesehen, daß sie nur noch auf Schußweite entfernt waren, so ergriffen auch sie ihre sechs Fuß langen Gewehre und eröffneten ein ununterbrochenes Feuer. Das dumpfe Knattern tönte über alle Wiesen und Felder und wuchs zu einem beständigen Donner an. Das ganze Schlachtfeld war in Rauch gehüllt, aber die Saporoger fuhren fort zu schießen, ohne auch nur die geringste Pause eintreten zu lassen, die hinteren Reihen taten hierbei nichts, als daß sie die Gewehre luden, die sie den vorderen reichten, worüber der Feind aufs äußerste bestürzt war, da er nicht begreifen konnte, wie die Kosaken zum Schuß kämen, ohne die Gewehre zu laden. Infolge des dichten Rauchs, der beide Heere einhüllte, war es völlig unmöglich, wahrzunehmen, wie bald der eine, bald der andere in den Reihen fehlte; doch die Polen fühlten sehr wohl, daß ein wahrer Kugelregen auf sie niederprasselte, und daß der Kampf sehr ernst wurde; als sie sich ein wenig zurückzogen, um aus dem Pulverrauche herauszukommen, und sich ein wenig umsahen, merkten sie, daß in ihren Reihen viele fehlten, während bei den Kosaken höchstens zwei oder drei vom Hundert gefallen waren. Die Kosaken aber setzten ihr Gewehrfeuer unablässig fort, ohne auch nur einen Augenblick inne zu halten.

Selbst der ausländische Ingenieur wunderte sich über diese noch nie gesehene Kampfart und erklärte laut und vor allen Leuten:

„Wackere Kerls diese Saporoger! So sollte man überall kämpfen, auch in anderen Ländern.“ Und er riet, unverzüglich die Kanonen auf das Lager zu richten. Dumpf brüllten die Kanonen aus ihren weiten ehernen Schlünden, weithin und dröhnend erbebte der Erdboden, und das ganze Schlachtfeld hüllte sich in noch dichteren Pulverdampf. In den Straßen und Plätzen der benachbarten und entfernteren Städte machte sich der Pulvergeruch bemerkbar, allein die Polen hatten zu hoch gezielt: die glühenden Kugeln beschrieben einen zu großen Bogen, flogen mit schrecklichem Getöse über die Köpfe des gesamten Lagers hinweg und bohrten sich tief in den Boden ein, wobei sie das schwarze Erdreich völlig aufwühlten und hoch in die Luft schleuderten. Angesichts einer solchen Ungeschicklichkeit raufte sich der welsche Kriegskünstler die Haare und begann die Kanonen nun selbst zu richten, ohne darauf zu achten, daß die Kosaken ununterbrochen feuerten.

Taraß hatte von weitem die Gefahr bemerkt, die der ganzen Abteilung Nesamaikow und Steblikiw drohte, und rief mit dröhnender Stimme: „Alle Mann hinter den Wagen vor, und sofort auf die Pferde!“ Allein die Kosaken hätten kaum noch Gelegenheit gehabt, das eine oder das andere zu tun, wenn nicht Ostap sich mitten in die Schlachtreihe des Feindes gestürzt hätte: hierbei schlug er sechs Kanonieren die Lunten aus den Händen, bei vier anderen mißglückte ihm jedoch dieser waghalsige Versuch, und die Polen trieben ihn wieder zurück. Nun aber ergriff der ausländische Hauptmann selbst die Lunte, um sie an ein Riesengeschütz zu legen, wie es noch keiner von den Kosaken bisher gesehen hatte: Es bot mit seinem furchtbaren Schlunde einen schrecklichen Anblick dar, und hundert Tode blickten aus ihm hervor. Und als es erdröhnte und zugleich mit ihm noch drei andere ihren ehernen Mund öffneten, und ein vierfacher Stoß den ganzen Erdboden erschütterte — welch entsetzliches Unheil richteten sie da an! Wie viele Kosaken blieben auf der Walstatt! Manch alte Mutter sollte ihren gefallenen Sohn beklagen und mit den knochigen Händen ihren welken Busen schlagen! Wie viele Witwen in Gluchow, Nemirow, Tschernigow und in anderen Städten sollten ihre Männer beweinen! Tag für Tag sollten die Bräute auf den Markt hinauslaufen, jeden Vorübergehenden festhalten und ihm in die Augen blicken, ob sich nicht der unter ihnen befindet, der ihr der Liebste ist! Aber viele Soldaten sollten durch die Stadt ziehen, doch der über alles Geliebte sollte nicht unter ihnen sein!

Die Hälfte der Abteilung Nesamaikow war wie weggeblasen. Wie der Hagel ein ganzes Erntefeld niedermäht, aus dem jede Ähre gleich einem vollwertigen Dukaten glänzt, so wurden sie erschlagen und niedergestreckt!

Wie da aber die Kosaken vorwärtsstürmten! Wie sie sich alle auf den Feind stürzten! Der Hauptmann Kukubenko schäumte vor Wut, als er sah, daß die Hälfte seiner Leute nicht mehr da war. Mitten ins feindliche Zentrum warf er sich jetzt mit dem Rest seiner Abteilung. Den ersten, der ihm begegnete, hieb er in seiner Wut in Stücke zusammen; zahllose Ritter stürzte er von ihren Rossen, indem er Roß und Reiter mit seiner Lanze durchbohrte: schon hatte er sich bis zu den Kanonieren durchgeschlagen und sich einer Kanone bemächtigt, als er sah, daß die Befehlshaber der Abteilungen Uman und Stephan Guska die Riesenkanone fortschleppten. Er überließ dies also jenen Abteilungen und sprengte mit den Seinen in den feindlichen Haufen zurück. Und immer öffnete sich eine Gasse, wo sich die Krieger von Nesamaikow zeigten! Wo sie eine Wendung machten, da tat sich eine Straße auf. Man sah, wie die Reihen der Polen sich immer mehr lichteten und wie ein Haufen nach dem andern niedersank. In der Nähe der Wagen stand Wowtusenko, vor ihm Tscherewitschenko, hinter dem letzten Wagen Degtarenko und noch weiter zurück der Abteilungsführer Wertychwist. Zwei Edelleute hatte Degtarenko bereits mit seiner Lanze durchbohrt und war jetzt an den dritten geraten, der sich so leicht nicht ergeben wollte. Dieser Pole war äußerst gewandt und stark, er trug eine prachtvolle Rüstung, und fünfzig Krieger bildeten sein Gefolge.

Er versetzte Degtarenko einen gewaltigen Streich, warf ihn zu Boden und schrie jetzt, den Säbel hoch über ihm schwingend: „Ihr Hunde von Kosaken, es gibt keinen unter euch, der es mit mir aufzunehmen wagte!“

„Doch, es gibt einen,“ sagte Mossy Schilo und trat vor. Er war ein starker Kosak, der die Kosaken schon oft zu Wasser befehligt und schon manches Mißgeschick erlebt hatte. Die Türken hatten ihn und seine Leute einst bei Trapezunt ergriffen und sie alle als Sklaven auf die Galeere geschleppt; ganze Wochen lang hatten sie ihnen kein Brot gegeben und sie ekles Meerwasser trinken lassen. Allein die armen Sklaven erlitten und ertrugen alles, nur um ihren heiligen Glauben nicht abzuschwören. Der Hauptmann, Mossy Schilo, vermochte jedoch diesen Zustand nicht mehr zu ertragen: er trat das heilige Gebot mit Füßen, schlang den abscheulichen Turban um sein sündiges Haupt und gewann dadurch das Vertrauen des Paschas, der ihn zum Schließer und Oberaufseher über das Schiff und alle Sklaven machte. Da wurden die armen Sklaven sehr traurig; sie wußten, wenn ein Bruder den Glauben verrät und zu den Bedrückern übergeht, dann wird es unter seiner Herrschaft noch viel schlimmer als unter der eines Ungläubigen. Und so kam es auch. Mossy Schilo legte allen neue Ketten an, schloß je drei zusammen, fesselte sie mit furchtbaren Stricken, die sich bis auf die weißen Knochen ins Fleisch einschnitten und versetzte ihnen kräftige Hiebe über Nacken und Kopf. Als jedoch die Türken voller Freude, daß sie einen solchen Aufseher gewonnen hatten, ihre religiösen Vorschriften vergaßen, sich zum Schmausen niederließen und sich ganz sinnlos betranken, da trug Mossy Schilo alle vierundsechzig Schlüssel herbei und gab sie den Gefangenen, ließ sie ihre Ketten aufschließen, die Fesseln ins Meer werfen, statt ihrer einen Säbel in die Hand nehmen und alle Türken niedermetzeln. Die Kosaken machten eine große Beute und kehrten ruhmbedeckt in die Heimat zurück; und lange noch sangen die Bandurenspieler von Mossy Schilo. Man hätte ihn wohl zum Hetman gewählt, wenn er nicht ein so seltsamer Kosak gewesen wäre. Manchmal vollführte er Dinge, die auch dem Weisesten nicht eingefallen wären; ein anderes Mal plagte ihn einfach der Teufel. Er vertrank und verjubelte alles, was er besaß; in der Sjetsch war er jedem etwas schuldig, und dazu kam noch, daß er einmal einen Diebstahl begangen hatte — wie ein gewöhnlicher Straßenräuber. Eines Nachts stahl er eine vollständige Kosakenausrüstung aus einer benachbarten Abteilung und gab sie einem Schenkwirt zum Pfand. Wegen dieser schimpflichen Tat wurde er auf den Markt geschleppt, an einen Pfahl gebunden, und es wurde ein Knittel neben ihn gelegt, mit dem ihm jeder einen kräftigen Schlag versetzen mußte; es fand sich aber keiner unter den Saporogern, der den Knittel wider ihn erhoben hätte: denn sie gedachten alle seiner früheren Verdienste. So war der Kosak Mossy Schilo.

„Es gibt doch noch Männer, ihr Hunde, die euch niederzuhauen wissen“, sagte er und fiel über den Polen her. Und beide hieben wild aufeinander los. Die Schulterstücke und Brustharnische verbogen sich unter ihren Schlägern. Der wütende Pole spaltete ihm den eisernen Panzer, und sein Schwert drang tief in seinen Körper. Das Hemd des Kosaken färbte sich blutrot, aber Schilo achtete nicht darauf: er hob seinen sehnigen Arm (und wie schwer war dieser stämmige Arm!) und versetzte dem Polen einen furchtbaren Hieb, der ihn betäubte. Der kupferne Helm flog in Stücke, der Pole schwankte und fiel zu Boden, und Schilo schickte sich gerade an, dem Betäubten den Garaus zu machen; — ach hätte er doch den Feind nicht vollends totgeschlagen und sich lieber umgedreht! Allein der Kosak tat es nicht, im selben Augenblick aber stieß ihm einer der Leute des Erschlagenen sein Messer in den Hals. Schilo drehte sich um und hätte den Waghalsigen vielleicht noch erreicht, aber er verschwand rechtzeitig im Pulverdampf. Unterdessen knatterten von allen Seiten die Luntenbüchsen, Schilo schwankte, er fühlte, daß seine Wunde tödlich war. Er sank nieder, preßte die Hand an die Wunde, wandte sich an seine Kameraden und schrie: „Lebt wohl, werte Herren und Waffenbrüder! Möge es ewig leben, das rechtgläubige Rußland, und ewig sei sein Ruhm und seine Ehre!“ Er schloß die brechenden Augen, und die Kosaken-Seele entfloh aus dem rauhen Kriegerleib. Da aber kam Sadoroschny mit seinen Leuten herangerast, auch der Hauptmann Wertychwist durchbrach die Reihen, und Balaban machte sich zum Angriff bereit.

„Hallo, ihr Herren,“ rief Taraß zu den Hauptleuten herüber, „habt ihr noch Pulver in den Hörnern? Ist eure Kosakenkraft noch nicht erlahmt? Steht der Kosak noch fest und beugt er sich nicht?“

„Noch ist Pulver in den Hörnern, Väterchen, noch ist die Kosakenkraft umgebrochen, und noch steht der Kosak fest und beugt sich nicht!“

Und die Kosaken drangen heftig auf den Feind ein und brachten die Reihen des Gegners in Verwirrung. Der kleine Hauptmann ließ die Trommel rühren und acht bunte Fahnen aufrollen, um seine Leute, die über das ganze Feld zerstreut waren, wieder zusammenzubringen. Die Polen strömten den Bannern zu, kaum hatten sie sich jedoch wieder in Reih und Glied aufgestellt, als der Hauptmann Kukubenko mit seinen Leuten wieder in das Zentrum einfiel und sich ohne weiteres auf den dicken Hauptmann stürzte. Der hielt nicht stand, wandte sein Pferd und galoppierte davon, allein Kukubenko setzte ihm weit über das Feld nach und verlegte ihm den Weg zu dem Heere. Als Stephan Guska das auf dem linken Flügel bemerkte, sprengte er seinerseits herbei, um ihm behilflich zu sein; den Kopf auf den Hals des Pferdes gebeugt und eine Schlinge in der Hand, so wartete er einen günstigen Augenblick ab und warf dem Polen plötzlich die Schlinge um den Hals: der Hauptmann wurde rot, griff mit beiden Händen nach dem Strick und suchte ihn zu zerreißen, aber da bohrte ihm der Kosak mit einem kraftvollen Stoß die tödliche Lanze in den Leib, und festgenagelt blieb jener am Boden liegen. Aber auch Guska stand nichts Gutes bevor. Die Kosaken hatten kaum Zeit, sich umzusehen, da drangen ihm schon vier Lanzen in den Leib. Er vermochte gerade noch die Worte hervorzubringen:

„Mögen doch alle Feinde untergehen, und möge das russische Reich ewig, ewig blühen und gedeihen!“ — dann verschied er.

Die Kosaken sahen sich um, hei, wie da Meteliza den Polen zusetzte und bald den einen, bald den andern niederschlug; von der andern Seite her rückt der Hauptmann Newelytschki mit seinen Leuten heran; bei dem Wagen steht Sagruriguba und teilt Hieb auf Hieb aus: noch weiter zurück hat Pissarenko der Dritte bereits eine ganze Schar in die Flucht getrieben, und an einer andern Stelle ist man schon handgemein und kämpft hoch oben auf den Wagen.

„Hallo, meine Herren,“ rief hier der Hauptmann Taraß, der allen voranritt, „ist noch Pulver in den Hörnern? Ist die Kosakenkraft noch ungebrochen? Stehen die Kosaken noch fest und beugen sie sich nicht?“

„Noch ist Pulver in den Hörnern, Väterchen! Die Kosakenkraft ist noch ungebrochen, noch stehen die Kosaken fest, noch beugen sie sich nicht.“

Schon war Bowdjug vom Wagen gefallen. Eine Kugel hatte ihn gerade in das Herz getroffen, aber er raffte noch einmal seine ganze Kraft zusammen und rief: „Ich trauere nicht, daß ich Abschied von der Welt nehmen muß! Gott gebe jedem ein solches Ende! Hoch lebe Rußland bis in alle Ewigkeit!“ Und Bowdjugs Seele stieg zum Himmel empor, um den längst hinübergegangenen Genossen zu berichten, wie man in Rußland zu kämpfen, und vor allem, wie man dort für den heiligen Glauben zu sterben weiß!

Bald darauf stürzte auch der Hauptmann Balaban zu Boden. Er hatte drei tödliche Wunden erhalten: eine von einer Lanze, eine von einer Kugel und eine von einem schweren Säbel. Und war doch einer der wackersten Kosaken gewesen! Er war Hetman und hatte viele Züge zur See unternommen, vor allen aber war sein Zug an die Küsten Anatoliens berühmt. Viele Zechinen hatten sie damals erbeutet, kostbare türkische Stoffe, Gewebe und allerlei Schmuck. Aber auf der Heimfahrt traf sie großes Unheil. Die Ärmsten kamen plötzlich unter den Regen der türkischen Geschosse. Es hagelte nur so auf sie los, die Hälfte ihrer Schiffe und Kähne kenterte, und viele Kosaken stürzten ins Wasser, jedoch das an den Seiten der Fahrzeuge befestigte Schilf rettete sie vor dem Untergange. Balaban ruderte mit Aufbietung aller Kräfte vorwärts, immer mitten in der Sonne, und ward so unsichtbar für das türkische Schiff. Die ganze Nacht schöpften er und seine Leute mit Schaufeln und Mützen das Wasser aus den Boten und besserten die beschädigten Stellen aus. Dann machten sie sich Segel aus ihren weißen Kosakenhosen, setzten sich in die Kähne und entkamen so den schnellsten türkischen Schiffen. Sie erreichten nicht nur unversehrt die Sjetsch, sondern brachten auch dem Archimandriten des Klosters Meschigorsk zu Kiew noch ein goldgesticktes Amtsgewand und einen Rahmen aus reinem Silber für den heiligen Pokrow in der Sjetsch mit. Und lange noch rühmten die Bandurenspieler die Geschicklichkeit und das Glück der Kosaken ... Da er den Tod herannahen fühlte, senkte er das Haupt und murmelte leise: „Mir scheint, ihr Brüder, ich sterbe einen schönen Tod. Sieben Feinde habe ich in Stücke gehauen, neun mit der Lanze durchstoßen, viele hat mein Pferd niedergetreten, und ich weiß nicht mehr, wieviele meine Kugel getroffen hat ... So möge denn das russische Reich ewig blühen!“ Und seine Seele entfloh.

Kosaken, Kosaken! Opfert doch nicht die schönste Blüte eures Heeres! Schon war Kukubenko umzingelt, schon waren von der Abteilung Nesamaikow nur noch sieben Mann übrig geblieben, und auch deren Kraft war erschöpft. Schon ist Kukubenkos Gewand über und über mit Blut bespritzt ... Taraß, der seine schlimme Lage übersieht, eilt ihm sofort zu Hilfe. Aber die Kosaken kommen zu spät: Eine Lanze war ihm ins Herz gedrungen, noch bevor es gelang, die ihn umzingelnden Feinde davonzujagen. Stumm sank er in die offenen Arme der Brüder, und sein junges Blut schoß in Strömen aus seinen Wunden hervor, gleich einem köstlichen Wein, den unvorsichtige Diener in gläsernen Gefäßen aus dem Keller tragen: gerade am Eingang des Gemaches gleiten sie aus, lassen die Kanne fallen, sie zerschellt, und ihr ganzer Inhalt ergießt sich über den Estrich. Was hilft es, daß der Hausherr herbeieilt und sich an den Kopf greift, da er den Wein doch für ein besonders glückliches Ereignis in seinem Leben aufbewahrt hatte, um sich, so Gott wollte, noch einst als Greis mit einem Jugendfreunde bei einem Becher der früheren, besseren Zeiten zu erinnern, als der Mensch noch anderer und reinerer Freuden fähig war. Kukubenko blickte langsam um sich und sagte: „Ich danke Gott, daß er mich vor euren Augen sterben läßt, Kameraden. Möchten doch unsere Söhne und Enkel noch tüchtiger sein als wir, und ewig blühe und gedeihe Christi geliebtes russisches Reich!“ Und er hauchte sterbend seine junge Seele aus. Die Engel nahmen sie in ihre Hände und trugen sie gen Himmel. Wie wohl wird es ihm dort sein! „Setz dich neben mich, Kukubenko,“ wird Christus sagen, „du hast deine Brüder nicht im Stich gelassen, hast nie die Ehre verletzt, hast keinen im Unglück verlassen und hast immer meine heilige Kirche behütet und beschützt.“ Alle Kosaken waren durch den Tod Kukubenkos aufs tiefste erschüttert. Ihre Reihen waren schon stark gelichtet, und viele, viele Tapfere fehlten, aber trotz alledem standen die Kosaken noch ihren Mann und hielten sich wacker.

„Nun, ihr Herren,“ rief Taraß den übrigen Befehlshabern zu, „ist noch Pulver in den Hörnern? Sind die Säbel noch nicht stumpf geworden? Ist die Kraft der Kosaken noch ungebrochen? Stehen die Kosaken noch ihren Mann?“

„Noch ist Pulver da, Väterchen, die Säbel sind noch scharf, die Kosakenkraft ist noch ungebrochen, und noch stehen die Kosaken ihren Mann!“

Und wieder stürzten sie sich in die Feinde, als hätten sie noch keine Verluste erlitten. Nur noch drei Befehlshaber waren am Leben, überall flossen Bäche von Blut, und hoch türmten sich die Leichen der Kosaken und der Feinde. Taraß blickte zum Himmel: ein Zug Falken flog vorüber. „Ja, einer wird sich sicher freuen,“ murmelte er vor sich hin. Und schon war Meteliza von einer Lanze durchbohrt, schon drehte sich das Haupt des zweiten Pissarenko im Kreise herum, seine Augen brachen, und schon stürzte Ochrim Guska vom Rosse herab und sank gevierteilt zu Boden.

„Wohlan denn,“ sagte Taraß und schwenkte sein Tuch hoch in der Luft. Ostap verstand das Zeichen, er brach aus dem Hinterhalt hervor und fiel mit unerhörter Kraft über die polnische Reiterei her. Die Polen hielten dem starken Ansturm nicht stand, und er trieb sie gerade nach dem Platz, wo die Pfähle und abgebrochenen Lanzen in die Erde gerammt waren. Die Pferde strauchelten, stürzten, und die Polen flogen über ihre Köpfe hinweg zu Boden. Jetzt feuerten auch die Kosaken der Korsunabteilung, die die Reserve bildeten und weit hinter den Wagen standen, ihre Büchsen auf die Polen ab, da sie sahen, daß diese sich nur in Schußweite von ihnen befanden. Die Polen gerieten in Verwirrung und verloren den Mut, während die Kosaken von neuer Hoffnung erfüllt wurden. „Jetzt ist der Sieg unser,“ schallten die Stimmen der Saporoger von allen Seiten, die Posaunen ertönten, und die Siegesbanner flatterten auf. Die geschlagenen Polen flohen nach allen Richtungen auseinander und suchten, wo sie sich verstecken könnten. „Nein, noch ist der Sieg nicht unser,“ sagte Taraß mit einem Blick auf das Stadttor, und er hatte die Wahrheit gesagt. Die Tore öffneten sich, und eine Schar Husaren, der Stolz der gesamten Reiterei, kam hervorgesprengt. Sie saßen insgesamt auf dunkelbraunen, schnellfüßigen Pferden, voran sprengte ein Ritter, schöner und mutiger als alle andern; sein schwarzes Haar wehte unter dem kupfernen Helm hervor, und am Arme trug er eine kostbare Binde, die die schönste unter den Polinnen ihm gestickt hatte. Taraß war starr vor Schreck, als er Andrij erkannte. Der aber flog, ganz vom Feuer und dem Wüten der Schlacht ergriffen und von dem einen Wunsche getrieben, sich das um den Arm gewundene Zeichen zu verdienen, dahin wie ein junger Jagdhund, der schönste, schnellste und jüngste von der ganzen Meute. Der Jäger ruft ihm zu — und er rast fort, die Füße wie eine gerade Linie in die Luft streckend, den Körper zur Seite geneigt, den Schnee aufwühlend und alle Hasen in seinem Laufe zehnmal überholend. Der alte Taraß blieb stehen und sah zu, wie er sich einen Weg bahnte, alles vertrieb, in Stücke zusammenschlug und nach rechts und links hin Hiebe austeilte. Das konnte Taraß nicht länger mit ansehen, und er rief laut aus: „Was, auf die eigenen Brüder schlägst du los, du Satanskind?!“ Allein Andrij sah nicht, wen er vor sich hatte: ob es die eigenen Kameraden oder Fremde waren, er sah nichts als Locken: ein paar lange, lange Locken, einen schwanenweißen Busen, einen schneeweißen Hals, zwei alabasterne Schultern, und alles, was geschaffen ist für wahnsinnige, glühende Küsse.

„Hallo, ihr Burschen, lockt mir mal den Reiter in den Wald! Schnell, lockt ihn mir nur hinein,“ rief Taraß. Und schon machten sich dreißig der schnellsten Kosaken daran, ihn in den Wald zu locken. Sie rückten ihre hohen Mützen zurecht und stürmten auf ihren Rossen dahin, um den Husaren den Weg zu verlegen. Sie griffen die Vorderreihen von der Seite an, sprengten sie auseinander und trennten sie von den hinteren Reihen, wobei sie beiden einen tüchtigen Denkzettel verabreichten. Hierbei versetzte Golokopytenko Andrij eins mit der flachen Klinge über den Rücken, und dann jagten die Kosaken alle auf und davon, so schnell sie nur konnten, um den Husaren zu entschlüpfen.

Da aber geriet Andrij in Wut! Das junge Blut stürmte wild durch all’ seine Adern. Er gab seinem Rosse die Sporen und jagte aus aller Kraft hinter den Kosaken her, ohne sich umzusehen und ohne zu bemerken, daß ihm nur zwanzig von seinen Leuten folgten. Die Kosaken sprengten mit Windeseile auf ihren Pferden dahin und ritten auf den Wald zu. Auch Andrij raste auf seinem Rosse weiter, und schon hatte er Golokopytenko erreicht, als plötzlich eine starke Hand seinem Pferde in die Zügel fiel. Andrij blickte auf: vor ihm stand Taraß! Er erbebte am ganzen Körper und wurde totenbleich, wie ein Schüler, der unüberlegterweise einen Kameraden geprügelt und von diesem mit dem Lineal einen Schlag auf den Kopf erhalten hat: plötzlich lodert er auf wie Feuer, springt von der Bank, um hinter seinem Mitschüler herzujagen und ihn in Stücke zu reißen — da erblickt er den Lehrer, der gerade die Klasse betritt: der ganze leidenschaftliche Zorn legt sich plötzlich, und seine ohnmächtige Wut ist wie fortgeblasen. So verschwand Andrijs Zorn augenblicklich, als hätte er nie in ihm getobt. Er sah nur noch seinen furchtbaren Vater vor sich.

„Nun, was sollen wir jetzt machen?“ sagte Taraß, und blickte ihm offen ins Antlitz. Aber Andrij konnte kein Wort hervorbringen und stand mit gesenkten Blicken da.

„Nun, mein Söhnchen, haben dir deine Polen geholfen?“

Andrij vermochte noch immer nichts zu sagen.

„Also Verrat und Tücke! Den Glauben verkaufen! Die Seinen verraten! Nun, steig mal vom Pferde herunter.“

Gehorsam wie ein Kind stieg Andrij vom Pferde und blieb mehr tot als lebendig vor Taraß stehen.

„Steh still und rühre dich nicht. Ich habe dich gezeugt — ich werde dich auch töten,“ sagte Taraß, trat einen Schritt zurück und nahm das Gewehr von der Schulter. Andrij war totenbleich geworden, man sah nur, wie sich seine Lippen leise bewegten und einen Namen flüsterten: aber das war nicht der Name seines Vaterlandes, oder der seiner Mutter, oder seiner Brüder — es war der Name der schönen Polin. Taraß drückte los.

Wie die Ähre im Felde von der Sichel getroffen dahin sinkt, wie ein junges Lamm, das den tödlichen Stahl im Herzen spürt, so ließ Andrij den Kopf sinken und stürzte lautlos, und ohne ein Wort zu sagen, auf das Gras.

Der Kindesmörder blieb stehen und betrachtete lange den leblosen Leichnam. Er war schön auch noch im Tode: das kühne Gesicht, das eben noch Kraft und Heldentum atmete, und einen unwiderstehlichen Reiz auf die Frauen ausübte, trug noch immer den Stempel vollendeter Schönheit. Die schwarzen Brauen ließen seine bleichen Züge wie ein Trauerflor noch stärker hervortreten.

„Was fehlte ihm zu einem braven Kosaken!“ sagte Taraß, „ist er nicht groß gewachsen, sind seine Brauen nicht schwarz, hat er nicht das Gesicht eines Edelmanns und einen starken Arm in der Schlacht? Und mußte doch zugrunde gehen. Ruhmlos zugrunde gehen — wie ein räudiger Hund.“

„Vater, was hast du getan? Du hast ihn getötet?“ fragte Ostap, der in diesem Augenblick herangesprengt kam.

Taraß nickte mit dem Kopf.

Ostap blickte dem Toten bange in die Augen. Er empfand Mitleid mit dem Bruder und sagte: „Vater, wir wollen ihm ein ehrliches Begräbnis bereiten, damit die Feinde ihn nicht beschimpfen und die Raubvögel seinen Körper nicht zerhacken.“ „Man wird ihn auch schon ohne uns begraben,“ sagte Taraß, „und es wird ihm nicht an Klageweibern und ähnlichen Dingen fehlen!“

Einige Sekunden schwankte er, ob er ihn den Wölfen zum Fraße überlassen, oder den tapferen Ritter in ihm ehren sollte, den jeder Krieger achten muß, wer er auch sei — da sah er plötzlich Golokopytenko heransprengen. „Es steht Schlimm um uns, Hauptmann, die Polen haben Verstärkungen erhalten, neue Truppen sind ihnen zu Hilfe gekommen!“ Und kaum hatte Golokopytenko dies gesagt, als sich Wowtusenko ihnen eiligst näherte: „Uns droht Unheil, Hauptmann, neue Truppen rücken heran ...“ Kaum hatte Wowtusenko ausgeredet, als Pissarenko ohne Roß herbeigeeilt kam: „Wo bleibst du Väterchen? Die Kosaken suchen dich. Die Hauptleute Newelytschki, Sadoroschni und Tscherewitschenko sind erschlagen; aber die Kosaken halten noch stand; sie wollen nicht sterben, bevor sie noch einmal dein Antlitz geschaut haben: sie wollen, daß du sie anblickst in ihrer Todesstunde!“

„Zu Pferd, Ostap,“ rief Taraß und sprengte davon, um die Kosaken aufzusuchen, sie noch einmal zu sehen und sie noch einmal vor ihrem Tode den Hauptmann sehen zu lassen. Aber sie hatten den Wald noch nicht verlassen, als die Feinde sie plötzlich von allen Seiten umzingelten, und überall zwischen den Bäumen Reiter mit geschwungenen Schwertern und Lanzen auftauchten. „Ostap, Ostap, ergib dich nicht,“ schrie Taraß, zog seinen blitzenden Säbel und hieb nach allen Seiten um sich. Sechs Feinde hatten sich auf Ostap gestürzt — aber das war ihr Unglück. Dem einen flog der Kopf von den Schultern, ein anderer machte kehrt und floh entsetzt davon, dem dritten fuhr die Lanze in die Rippen; der vierte war etwas mutiger, er hatte den Kopf zur Seite gewandt und war so einer heißen Kugel entgangen, die seinem Pferde in die Brust drang. Doch dieses bäumte sich wütend auf, stürzte zu Boden und begrub den Reiter unter sich. „Gut, Söhnchen, gut, Ostap,“ rief Taraß, „ich bin gleich bei dir!“ Er wußte sich der Andrängenden noch immer zu erwehren. Taraß säbelt und haut um sich, bald gibt er dem, bald dem einen Hieb über den Schädel, aber er blickt immer vor sich nach Ostap; da sieht er plötzlich, wie sich wenigstens acht Feinde auf den Sohn stürzen. „Ostap, Ostap, weich nicht zurück!“ Aber schon haben sie Ostap bezwungen, schon hat ihm einer die Schlinge um den Hals geworfen, schon bindet man ihn und schleppt ihn fort. „Ostap, Ostap,“ schreit Taraß, bahnt sich einen Weg zu ihm und haut alles um sich herum in Stücke. „Ach Ostap, Ostap ...!“

Aber plötzlich trifft ihn selbst etwas wie ein schwerer Stein. Ein Schwindel überfällt ihn, alles dreht sich um ihn. Einen Augenblick kreist alles vor seinen Blicken: Köpfe, Lanzen, der Rauch, das Flackern des Feuers, die Baumzweige mit ihren Blättern blitzen vor ihm auf. Wie eine gefällte Eiche stürzt er zu Boden, und Nebel bedeckt seine Augen.

Zehntes Kapitel

Ich habe wohl lange geschlafen!“ sagte Taraß wie nach einem Rausch aus schwerem Schlafe erwachend, und er versuchte es, die ihn umgebenden Gegenstände zu erkennen. Dabei fühlte er eine entsetzliche Schwäche in seinen Gliedern. Die Wände und Ecken des ihm ganz unbekannten Zimmers bewegten sich leise hin und her. Endlich bemerkte er, daß sein Kamerad Towkatsch neben ihm saß und jedem seiner Atemzüge zu lauschen schien.

„Ja,“ dachte Towkatsch, „du wärst vielleicht für immer eingeschlafen!“ Er sagte nichts, sondern drohte nur mit dem Finger und machte ihm ein Zeichen, daß er schweigen solle.

„So sag mir doch, wo ich jetzt bin?“ fragte Taraß von neuem. Er strengte seinen Verstand an und bemühte sich, sich das Vergangene wieder ins Gedächtnis zu rufen.

„So schweig doch,“ fuhr ihn der Gefährte scharf an, „was willst du noch wissen? Siehst du denn nicht, daß du ganz zerhauen bist? Schon zwei Wochen galoppiere ich mit dir herum, ohne mir Zeit zum Atmen zu gönnen, und während dieser Zeit sprichst und schwatzt du im Fieber allen möglichen Unsinn zusammen. Es ist heute das erstemal, daß du ruhig eingeschlafen bist. So schweige doch endlich, wenn du nicht selbst das Unheil auf dich herabrufen willst.“

Taraß strengte sich aus aller Kraft an, seine Gedanken zu sammeln und sich das Vergangene ins Gedächtnis zu rufen. „Die Polen hatten mich aber doch gepackt und mich ganz umzingelt? Ich hatte doch gar keine Möglichkeit, zu entkommen?“

„So schweig doch, hörst du, du Teufelssohn!“ schrie Towkatsch ärgerlich wie eine ungeduldige Wärterin, die ein unartiges und unruhiges Kind anschreit. „Was hast du davon, wenn du weißt, wie du davongekommen bist! Sei froh, daß es so ist! Es fanden sich eben Männer, die dich nicht im Stich gelassen haben — und nun sei zufrieden. Wir haben noch manche Nacht zu reiten. Du meinst wohl, daß sie dich für einen Kosaken halten? Nein, man hat deinen Kopf auf zweitausend Dukaten geschätzt!“

„Und Ostap?“ rief Taraß plötzlich, indem er sich aufzurichten versuchte. Jetzt erst erinnerte er sich, wie man Ostap gefangen und vor seinen Augen gebunden hatte, und daß er sich jetzt in den Händen der Polen befand. Und Schmerz und Trauer übermannten den Alten. Er riß die Verbände von seinen Wunden, schleuderte sie weit von sich und wollte laut etwas sagen — aber er sprach nur unzusammenhängende Worte, das Fieber bemächtigte sich seiner aufs neue, und er begann wieder zu phantasieren und allerhand unzusammenhängendes Zeug zu reden. Unterdessen stand sein treuer Gefährte neben ihm und überschüttete ihn mit zahllosen Schmähungen und Vorwürfen. Endlich packte er ihn an Händen und Füßen, wickelte ihn ein wie ein Kind und brachte die Verbände wieder in Ordnung. Dann hüllte er ihn in eine Ochsenhaut, band sie mit Bast zusammen, befestigte seine Last mit Stricken am Sattel und ritt mit ihm auf und davon.

„Und wenn du auch unterwegs sterben solltest, ich bringe dich doch in die Heimat zurück. Ich werde es nicht zulassen, daß die Polen deine Kosakenehre beschimpfen, deinen Körper in Stücke reißen und ins Wasser werfen. Soll dir denn der Adler durchaus die Augen aushacken — so mag es wenigstens unser Steppenadler sein und kein polnischer Adler, keiner der aus polnischen Ländern kommt. Tot oder lebendig — ich bringe dich in die Ukraine zurück.“

So sprach der treue Gefährte. Und er ritt Tag und Nacht rastlos dahin, bis er den völlig Bewußtlosen wirklich in die Sjetsch der Saporoger brachte. Dort behandelte er ihn unermüdlich mit Kräutern und Umschlagen, machte eine erfahrene, kenntnisreiche Jüdin ausfindig, die Taraß einen Monat lang allerlei Getränke einflößte — und so fing er denn wirklich an, sich zu erholen. Ob es nun die Medizin oder seine eigene eiserne Natur war — genug, nach anderthalb Monat stand er wieder auf den Beinen. Die Wunden waren verheilt, und nur die Säbelnarben bezeugten noch, wie schwer der alte Kosak einst verwundet worden war. Allein er war immer traurig, und sein Gemüt war sehr verdüstert. Drei tiefe Falten hatten sich in seine Stirn gegraben und schwanden nicht mehr von ihr. Soweit er um sich blicken mochte: alles war ihm neu in der Sjetsch. Die alten Waffenbrüder waren alle tot. Keiner von denen, die einst für die gerechte Sache, den Glauben und die Kameradschaft gekämpft hatten, war noch da, und auch jene, die zusammen mit dem Hetman die Tataren verfolgt hatten, waren nicht mehr am Leben. Sie alle waren tot und elend umgekommen. Die einen waren einen ehrlichen Tod im Kampfe gestorben, die andern vor Hunger und Erschöpfung in den Salzgründen der Krim zugrunde gegangen, andere wieder waren, unfähig diese Schmach zu ertragen, in der Gefangenschaft umgekommen. Auch der frühere Hetman war tot, keiner von den alten Kriegsgefährten war mehr am Leben, und längst schon wuchs Gras über ihnen, die einst so kraftvolle und mutige Kosaken gewesen waren.

Er hörte nur, daß man ein großes lärmendes Fest gefeiert hatte. Das Geschirr war in Stücke zerschlagen, kein Tropfen Wein war übrig geblieben, die Gäste und ihre Diener hatten alle kostbaren Becher und Gefäße gestohlen — und der Hausherr stand traurig da und dachte: „O hätte doch jenes Fest gar nicht stattgefunden!“ Vergebens bemühte man sich, Taraß zu ermuntern und zu zerstreuen. Vergebens rühmten die alten bärtigen Bandurenspieler, die zu zweien oder dreien durch die Sjetsch kamen, seine Heldentaten unter den Kosaken — finster und gleichgültig ließ er alles geschehen; auf seinem unbeweglichen Gesicht malte sich ein tiefes, nie verstummendes Leid, und mit gesenktem Kopf sprach er leise vor sich hin: „Mein Sohn, mein Ostap.“

Mittlerweile hatten die Saporoger ein Unternehmen zur See vorbereitet. Zweihundert Boote fuhren den Dnjepr hinab; plötzlich erblickte man in Klein-Asien eine Schar von Kosaken mit rasierten Schädeln und langen Mähnen: und mit Feuer und Schwert verheerten sie die blühenden Küsten. Die Turbane der mohammedanischen Bevölkerung lagen blutgetränkt gleich abgemähten Blumen auf den blutigen Feldern umher, oder schwammen an den Ufern. Auch manche teerbeschmierte Kosakenhose sah man in Kleinasien und manch muskulöse Faust mit der schwarzen Kugelpeitsche. Die Saporoger fraßen alle Weintrauben auf, vernichteten alle Weinberge, ließen ganze Haufen Unrat in den Moscheen zurück, umhüllten ihre Füße mit kostbaren persischen Tüchern oder banden sie als Gürtel um ihre schmutzigen Kittel. Und noch lange nachher sah man dort die kurzen Tabakpfeifen der Kosaken herumliegen. Dann fuhren sie fröhlich wieder zurück. Allein ein türkisches Schiff mit zehn Kanonen jagte hinter ihnen her und zerstreute ihre morschen Boote mit einer Salve aus allen Geschützen wie scheue Vögel. Der dritte Teil versank in den Tiefen des Meeres; die übrigen vermochten sich jedoch wieder zu sammeln und erreichten mit zwölf Fässern voller Zechinen die Mündung des Dnjepr.

Doch dies alles ließ Taraß völlig kalt. Wie mit der Absicht, zu jagen, durchstreifte er Felder und Steppen, aber niemals gab sein Gewehr einen Schuß ab. Voller Schwermut legte er es neben sich, während er sich unbeweglich am Meeresgestade niederließ. Lange saß er so mit gesenktem Kopf da und flüsterte immer wieder vor sich hin: „Ostap, mein Ostap“. Das ungeheure schwarze Meer lag leuchtend und blitzend vor ihm, im fernen Schilf schrie eine Möwe, sein grauer Schnurrbart schimmerte silbern, und eine Träne nach der andern rollte über seine Wangen.

Endlich aber hielt es Taraß nicht länger aus. „Was da auch kommen mag, ich will hingehen und erfahren, was mit ihm geschehen ist. Ob er noch lebt, oder schon im Grabe liegt? Vielleicht hat er nicht einmal ein Grab. Ich muß es erfahren, es koste, was es wolle.“ Eine Woche später war er bereits, hoch zu Roß, mit Lanze und Säbel bewaffnet, den Reisesack am Sattel und mit einem Kessel voll Weizenbrei, Pulver, Patronen, einem Koppelseil und sonstigem Gerät ausgerüstet, in der Stadt Uman. Er ritt geradewegs auf ein schmutziges Häuschen zu, dessen kleine verräucherte Fenster kaum zu sehen waren. Der Schornstein war mit einem Lappen zugestopft, und auf dem durchlöcherten Dach wimmelte es von Spatzen. Vor der Tür lag ein Kehrichthaufen, und aus dem Fenster guckte der Kopf einer Jüdin heraus, die ein mit schwärzlichen Perlen besetztes Häubchen trug.

„Ist dein Mann zu Hause?“ fragte Bulba, stieg vom Pferde und band die Zügel an einen eisernen Haken, der sich neben der Tür befand.

„Ja, er ist zu Hause,“ antwortete die Jüdin und trug eiligst Weizen für das Pferd und einen Krug Bier für den Ritter herbei.

„Wo ist denn dein Jude?“

„Er betet im andern Zimmer,“ sagte die Jüdin, verbeugte sich tief und wünschte Bulba, als er den Krug an die Lippen führte, eine gute Gesundheit.

„Bleib hier, füttere und tränke mein Pferd, ich will mit ihm allein sprechen. Ich habe Wichtiges mit ihm zu verhandeln.“

Dieser Jude war der uns wohlbekannte Jankel. Er war jetzt bereits Pächter und Schankwirt. Mit der Zeit hatte er alle benachbarten Herren und Edelleute in seine Hände bekommen, ihnen nach und nach fast all ihr Geld abgenommen und sich überhaupt in jener Gegend äußerst bemerkbar gemacht; drei Meilen weit nach allen Richtungen war kein Haus mehr in einem ordentlichen Zustand, alles verfiel und wurde alt und morsch, alle Leute hatten sich dem Trunke ergeben, und man bemerkte nichts als Armut und Elend. Die ganze Gegend sah so aus, als ob hier ein verheerender Brand stattgefunden, oder als ob die Pest hier gehaust hätte. Und hätte Jankel noch zehn Jahre dort gelebt, er hätte wahrscheinlich die ganze Wojewodenschaft zugrunde gerichtet.

Taraß trat ins Zimmer. Der Jude saß in einem ziemlich schmutzigen Leinenrock da und betete; er wandte sich gerade um, um zum letztenmal auszuspeien wie es seine Religion vorschreibt, als sein Blick plötzlich auf den hinter ihm stehenden Bulba fiel. Das erste, was dem Juden einfiel, waren die zweitausend Dukaten, die auf Bulbas Kopf gesetzt waren, aber er schämte sich gleich wieder seiner Geldgier und bemühte sich, den unablässigen Hunger nach Geld zu unterdrücken, der an seiner Seele nagte, wie an der aller Juden.

„Hör zu, Jankel,“ sagte Taraß zu dem Juden, der sich vor ihm verbeugte, und schloß vorsichtig die Tür, damit man ihn nicht sehen sollte, „ich habe dir das Leben gerettet — die Saporoger hätten dich wie einen Hund in Stücke gerissen — jetzt ist die Reihe an dir, mir einen Dienst zu erweisen.“

Das Gesicht des Juden verfinsterte sich ein wenig. „Was für einen Dienst? Wenn es möglich ist, warum nicht?“

„Genug, kein Wort mehr. Bringe mich nach Warschau.“

„Nach Warschau? Warum nach Warschau,“ fragte Jankel, indem er Schultern und Brauen bestürzt in die Höhe zog.

„Schweig. Bring mich nach Warschau. Was auch geschehen mag, ich will ihn noch einmal sehen und ihm wenigstens noch ein Wort sagen.“

„Wem ein Wort sagen?“

„Ihm, Ostap, meinem Sohne!“

„Hat denn der Herr nicht gehört, daß schon ...“

„Ich weiß, ich weiß alles, man bietet zweitausend Dukaten für meinen Kopf. Was verstehen die Narren von Preisen! Ich werde dir fünftausend Dukaten geben.

Da hast du gleich zweitausend (Bulba schüttete zweitausend Dukaten aus seinem ledernen Beutel), die übrigen erhältst du, sowie ich zurückgekehrt bin.“

Der Jude ergriff sofort ein Handtuch und bedeckte die Dukaten damit. „Ä schönes Geld, ä feines Geld,“ sagte er, drehte einen Dukaten in der Hand herum und prüfte einen zweiten mit den Zähnen. „Ich denke, der Mensch, dem der Herr so schöne Dukaten abgenommen hat, hat keine Stunde mehr gelebt; er ist gleich zum Fluß gegangen und hat sich ertränkt — nachdem er so herrliche Dukaten gehabt hat!“

„Ich würde dich nicht in Anspruch nehmen, vielleicht hätte ich auch allein den Weg nach Warschau gefunden; aber die verfluchten Polen könnten mich irgendwo erkennen und gefangen nehmen, denn ich verstehe mich nicht auf Listen und Kunststücke. Ihr Juden aber seid dafür wie geschaffen. Ihr könnt den Teufel selbst hinters Licht führen, ihr beherrscht alle Kniffe. Jetzt weißt du, weshalb ich zu dir gekommen bin. Ja, und ich allein würde ja auch in Warschau nichts ausrichten. Spann also sofort an und bringe mich nach Warschau!“

„Der Herr denkt wohl, das geht so einfach? Man braucht wohl nur die Stute anzuspannen und zu rufen: „He, holla los“! Glaubt denn der Herr, daß man ihn so mitnehmen kann, ohne ihn zu verstecken?“

„Nun, so verstecke mich — tu was du willst! Steck mich meinetwegen in ein Faß!“

„Ei, ei! Meint der Herr, daß man ihn stecken kann in ein leeres Faß? Weiß denn der Herr nicht, daß jeder denken wird, es sei Branntwein darin!“

„Schön, laß ihn doch denken, daß Branntwein darin ist!“

„Wie! Er soll denken dürfen, daß Branntwein darin ist?“ rief der Jude aus, ergriff seine Locken mit beiden Händen und hob sie m die Höhe.

„Was setzt dich so in Erstaunen?“

„Weiß denn der Herr nicht, daß Gott den Branntwein geschaffen hat, damit ihn jedermann probiere? Das sind doch alles Leckermäuler und Feinschmecker. Fünf Werst wird der Edelmann herlaufen hinter dem Faß, wird ä Löchelchen hineinbohren, und wenn nichts herauskommt, wird er sich gleich sagen: der Jude wird schon kein leeres Faß mit sich herumschleppen, es wird schon was darin sein! Packt den Juden, bindet den Juden, nehmt dem Juden alles Geld fort, steckt den Juden ins Gefängnis! Denn alles was es Schlechtes auf der Welt gibt, wird gewälzt auf den Juden, jeder behandelt den Juden wie einen Hund: alle denken, wer ein Jude ist, ist kein Mensch.“

„Nun, so verstecke mich in einem Fischwagen!“

„Das geht nicht Herr, bei Gott, es geht nicht. In ganz Polen sind die Menschen jetzt so ausgehungert wie die Hunde: sie würden die Fische fortschleppen und den Herrn entdecken.“

„So setz mich meinetwegen auf den Teufel, aber bring mich hin!“

„So hört doch Herr,“ sagte der Jude, streifte die Ärmelaufschläge in die Höhe und streckte seine weit auseinander gespreizten Finger gegen ihn aus. „Wir werden es so machen. Jetzt werden überall Festungen und Schlösser gebaut: es sind französische Baumeister aus Deutschland angekommen, und deshalb gibt es viele Wagen mit Ziegeln und Steinen auf der Landstraße. Der Herr soll sich also auf den Boden eines Wagens ausstrecken, und ich werde über ihn mit Ziegeln bepacken. Der Herr sieht gesund und kräftig aus, es wird ihm nichts schaden, wenn die Last ein bißchen schwer drückt; ich werde unten in den Wagen eine kleine Öffnung bohren, um dem Herrn die Nahrung zu reichen.“

„Mach was du willst, nur spann an!“

Nach einer Stunde verließ ein Wagen mit Ziegelsteinen, vor den zwei Mähren gespannt waren, die Stadt Uman. Auf der einen saß der lange Jankel, und seine großen Hängelocken flatterten lustig unter der Judenmütze hervor, während er auf dem Gaule herumhopste, auf dem er sich ausnahm wie eine am Wege stehende Meilenstange.

Elftes Kapitel

Zu der Zeit, als sich die hier beschriebenen Ereignisse abspielten, gab es in den Grenzorten keine Zollbeamten und Aufseher, diese Schrecken der Handelsstädte, und man durfte mit sich schleppen, was man nur wollte. Nahm jemand eine Revision oder Untersuchung vor, so geschah das mehr zu seinem eigenen Vergnügen, besonders wenn sich allerhand schöne und verlockende Dinge auf dem Wagen befanden: natürlich mußte aber auch die eigene Faust eine gewisse Kraft haben. Nach den Ziegelsteinen gelüstete es jedoch niemanden, und so fuhr der Wagen unbehindert durch das Tor der Hauptstadt ein. Bulba konnte in seinem engen Käfig nur das Lärmen und Fluchen der Kutscher hören, sonst vernahm er nichts. Jankel, der unaufhörlich auf seinem kleinen mit Staub bedeckten Klepper herumhopste, lenkte nach einigen Umwegen in eine dunkle schmale Straße ein, die den Namen Schmutz- oder Judenstraße trug, weil beinah sämtliche Juden von Warschau hier wohnten. Diese Straße besaß große Ähnlichkeit mit der inneren Seite eines Hinterhofs, und die Sonne schien überhaupt nie ihren Weg hierher zu finden. Die gänzlich verräucherten Holzhäuser mit den unzähligen Stangen, die aus den Fenstern hervorragten, schienen die Dunkelheit noch zu vergrößern. Hin und wieder schimmerte eine rote Backsteinwand hervor, aber auch sie war meist schon ganz schwarz. Nur hie und da leuchtete einem von oben ein in Sonne getauchtes, weiß getünchtes Stück Mauer entgegen und blendete die Augen durch seine unerträgliche Helligkeit. Alles, was man hier sah, bot einen abstoßenden und wenig erfreulichen Anblick dar: Röhren, Lumpen, Abfälle und zerbrochene Kübel, die man auf die Straße hinausgeworfen hatte, trieben sich hier herum. Jeder, der etwas besaß, was er nicht brauchen konnte, warf es auf die Straße hinaus und überließ es den Vorübergehenden, ihre Freude an all dem Unrat zu haben. Ein Reiter, der auf seinem Pferde saß, reichte mit der Hand bis fast an die Stangen heran, die mitten über die Straße, von einem Hause zum andern gezogen waren und auf denen die Juden ihre Strümpfe, ihre kurzen Hosen und geräucherte Gänse aufzuhängen pflegten. Hin und wieder blickte das hübsche von nachgedunkelten Perlen umrahmte Gesichtchen einer Jüdin aus dem Fenster hervor, ein Haufen kleiner schmutziger Judenkinder mit krausen Haaren wälzte sich schreiend im Unrat herum. Ein rothaariger Jude, dessen ganzes Gesicht mit Sommersprossen bedeckt war, (was ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Spatzenei verlieh) blickte aus einem Fenster heraus und sprach Jankel sofort in seinem Kauderwelsch an, worauf dieser sogleich in den Hof fuhr. Ein anderer Jude, der gerade durch die Straße kam, blieb stehen und nahm auch an dem Gespräch teil, und als Bulba endlich unter den Ziegelsteinen hervorkroch, erblickte er drei Juden, die heftig aufeinander einsprachen.

Jankel wandte sich an ihn und teilte ihm mit, daß alles gehen werde, wie er es wünsche, daß Ostap sich im Stadtgefängnis befinde, und daß er, Jankel hoffe, eine Zusammenkunft zwischen ihnen ermöglichen zu können, obgleich die Wachen sehr schwer zu bestechen seien.

Bulba ging mit den drei Juden ins Zimmer hinauf, und diese fingen wieder an, in ihrer unverständlichen Sprache miteinander zu sprechen. Taraß sah sich jeden von ihnen genau an. Plötzlich schien ihn etwas innerlich aufs heftigste erschüttert zu haben: sein rauhes, gleichgültiges Gesicht wurde von einem hell auflodernden Hoffnungsstrahl erleuchtet — einer Hoffnung, die den Menschen oft noch in Augenblicken höchster Verzweiflung heimsucht; sein altes Herz begann laut zu pochen wie bei einem Jüngling.

„Hört, ihr Juden,“ sagte er, und in seinen Worten klang etwas von einer übermächtigen Begeisterung mit, „ihr könnt alles in der Welt, selbst vom Grunde des Meeres holt ihr alles herauf, und schon lange heißt es im Sprichwort, daß ein Jude sich selbst wegstehlen kann, wenn er es nur will. Befreit mir meinen Ostap! Verschafft ihm die Gelegenheit, den Händen jener Teufel zu entfliehen. Ich habe dem Mann da zwölftausend Dukaten versprochen — ich lege noch zwölftausend Dukaten hinzu. Alle meine kostbaren Becher und alles Gold, das ich in der Erde vergraben habe, will ich verkaufen, selbst mein Haus und meinen letzten Rock; ich will mit euch einen Vertrag schließen, und mein ganzes Leben lang alles mit euch teilen, was ich im Kriege erbeuten werde!“

„O es geht nicht, teurer Herr, es geht nicht!“ sagte Jankel seufzend.

„Nein, es geht wirklich nicht,“ sagte ein anderer Jude.

Die drei Juden sahen einander an.

„Vielleicht versucht man es doch,“ sagte der dritte und schielte mit ängstlichen Blicken zu den beiden andern hinüber, „vielleicht hilft Gott!“

Die drei Juden begannen nun deutsch zu sprechen, aber so sehr Bulba auch hinhorchte, er vermochte nichts zu enträtseln, er hörte nur, daß das Wort „Mardochai“ oft wiederholt wurde, sonst verstand er nichts.

„Höre, Herr,“ sagte Jankel, „wir müssen uns mit einem Manne beraten, wie es noch nie einen in der Welt gegeben hat. Er ist so weise wie Salomo, wenn er nichts hilft, so kann nichts helfen auf der ganzen Welt. Bleib hier sitzen, Herr, hier hast du den Schlüssel und laß niemand herein!“ Und die Juden gingen auf die Straße hinaus.

Taraß schloß die Tür und blickte durch das kleine Fensterchen auf die schmutzige Judengasse. Die Juden blieben mitten auf der Straße stehen und begannen ziemlich heftig miteinander zu reden; bald schloß sich ihnen ein vierter und fünfter an. Er hörte, wie sie immer und immer wieder das „Mardochai, Mardochai“ wiederholten. Die Juden blickten fortwährend die Straße hinab, endlich sah man in der Tat hinter einem schmutzigen Hause einen mit jüdischen Schuhen bekleideten Fuß und dann ein Paar lange Rockschöße auftauchen. „Mardochai, Mardochai,“ schrien alle Juden wie aus einem Munde. Ein dürrer Jude, der etwas kleiner war als Jankel, aber bedeutend mehr Falten im Gesicht als dieser und eine überaus große Oberlippe hatte, näherte sich der ungeduldigen Gruppe, und alle Juden stürzten auf ihn zu und suchten ihn von dem Geschehenen zu unterrichten, wobei sie einander beständig unterbrachen. Mardochai blickte unterdessen mehrere Male nach dem kleinen Fensterchen hin, woraus Taraß schloß, daß von ihm die Rede war, bewegte die Hände hin und her, hörte zu, unterbrach die Redenden, spie oft nach der Seite aus, schlug seine Rockschöße zurück, steckte die Hände in die Taschen und holte ein Paar Klappern hervor, wobei seine abgeschabten Hosen zum Vorschein kamen. Schließlich machten die Juden einen solchen Lärm, daß der wachehaltende Glaubensgenosse ihnen ein Zeichen geben mußte, daß sie schweigen sollten, und Taraß begann schon für seine Sicherheit zu fürchten; dann erinnerte er sich jedoch, daß die Juden nicht anders als auf der Straße verhandeln können, und daß selbst der Teufel ihre Sprachen nicht verstehen könne, worauf er sich gleich wieder beruhigte.

Nach ungefähr zwei Minuten betraten die Juden allesamt wieder das Zimmer. Mardochai ging auf Taraß zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Wenn wir mit Gottes Hilfe etwas unternehmen, so wird schon alles geschehen, was nötig ist!“

Taraß sah sich diesen Salomon an, wie es noch nie einen zweiten in der Welt gegeben hatte, und schöpfte wieder einige Hoffnung. Und wirklich: seine Erscheinung flößte ein gewisses Vertrauen ein; diese Oberlippe konnte einen einfach schrecken, ihre Dicke war sicherlich auf äußerliche Ursachen zurückzuführen. Der Salomo hatte einen Bart, der im ganzen aus fünfzehn Härchen bestand, und zwar befanden sie sich alle auf der linken Seite. Sein Gesicht trug soviel Spuren von den Prügeln, die man ihm für seine Frechheit verabfolgt hatte, daß er wahrscheinlich ihre Zahl gar nicht mehr kannte und sich daran gewöhnt hatte, sie für Muttermale zu halten.

Mardochai ging zusammen mit seinen Genossen hinaus, die voller Bewunderung für seine Weisheit waren, und Bulba blieb allein zurück. Er befand sich in einer sonderbaren, ihm völlig ungewohnten Lage: zum erstenmal in seinem Leben empfand er etwas wie Unruhe, und ein fieberhafter Zustand hatte sich seiner Seele bemächtigt. Er war nicht mehr der alte, unerschütterliche Bulba: nicht mehr so stark unbeugsam wie eine Eiche, sondern kleinmütig und schwach. Bei jedem Geräusch, und jedesmal wenn sich am Ende der Gasse die Gestalt eines ihm unbekannten Juden zeigte, zuckte er zusammen. In diesem Zustand verharrte er den ganzen Tag, aß nichts, trank nichts und wich keinen Augenblick von dem Fenster, das auf die Straße hinausführte.

Endlich, — es war schon spät abends, — erschienen Mardochai und Jankel. Taraß erstarrte das Herz in der Brust.

„Nun, ist alles gut gegangen?“ fragte er mit der Ungeduld eines wilden Hengstes.

Aber noch ehe die Juden irgend etwas erwidern konnten, bemerkte Taraß, daß Mardochai die letzte Locke fehlte, die sich zwar recht unordentlich aber doch in krausen Ringen unter der Mütze hervordrängte. Man sah, daß er etwas sagen wollte, aber er stammelte ein so unverständliches Zeug zusammen, daß Taraß kein Wort davon begriff.

Auch Jankel führte häufig die Hand an den Mund, wie wenn er sich erkältet hätte.

„O weh, lieber Herr, jetzt ist es ganz unmöglich! Bei Gott es geht nicht. Das sind so schlechte Menschen, daß man ihnen auf den Kopf spucken möchte! Mardochai soll es Euch sagen. Mardochai hat Dinge fertig gebracht, wie noch kein Mensch in der Welt. Aber Gott will nicht, daß es so kommen soll. Es stehen schon dreitausend Soldaten da, die morgen alle hingerichtet werden sollen.“

Taraß sah den Juden ins Gesicht, jetzt jedoch schon ohne Ungeduld und ohne jeden Zorn.

„Wenn der Herr ihn sehen will, dann muß es schon morgen in der Früh sein, noch vor Sonnenaufgang. Die Wachen sind einverstanden, und ein Aufseher hat versprochen, uns zu helfen. Möge das Glück sie fliehen in jener Welt — o weh mir, was sind das für geldgierige Menschen! Nicht einmal unter uns gibt es solche Leute: jedem einzelnen habe ich fünfzig Dukaten geben müssen, und dem Aufseher ...“ „Gut! Führe mich zu ihm,“ sagte Taraß entschlossen, und all sein Mut und seine Festigkeit kehrten wieder in seine Seele zurück. Er war mit Jankels Vorschlag einverstanden, sich als ausländischer Graf zu verkleiden, der aus Deutschland gekommen sei. Der schlaue Jude, der alles vorausgesehen, hatte schon die Kleidungsstücke mitgebracht. Unterdessen war es Nacht geworden. Der Wirt des Hauses, der uns bekannte rothaarige Jude, mit den vielen Sommersprossen im Gesicht, schleppte eine elende Matratze herbei, die er mit einer Strohmatte bedeckte, und legte sie auf die Bank, damit Bulba sich auf ihr niederstrecken solle. Jankel bereitete sich ein ähnliches Lager aus dem Fußboden, der rothaarige Jude trank ein Gläschen Schnaps, zog seinen Rock aus — wenn er bloß mit Schuhen und Strümpfen bekleidet herumlief, hatte er große Ähnlichkeit mit einem Hühnchen — und begab sich schließlich mit seiner jüdischen Frau in eine Art von Schrank, und zwei kleine Judenknaben legten sich wie zwei Haushündchen neben dem Schrank auf den Boden. Aber Taraß konnte nicht schlafen. Unbeweglich saß er da und trommelte mit den Fingern auf dem Tische herum. Er hatte seine Pfeife im Munde und stieß solche Rauchwolken hervor, daß der Jude im Schlafe nieste und seine Nase unter die Decke steckte. Und kaum erschienen am Himmel die blassen Vorboten des Morgenrots, als Taraß Jankel bereits mit dem Fuß stieß. „Steh auf, Jude, und reich mir deine Grafenkleidung!“

In einem Augenblick war er angezogen: er schwärzte sich seinen Schnurrbart und seine Brauen, und setzte ein kleines dunkles Mützchen auf den Kopf, sodaß niemand, nicht einmal die Kosaken, die ihm am nächsten standen, ihn hätten erkennen können. Er sah nicht älter aus als ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren. Ein gesundes Rot bedeckte seine Wangen, und selbst die Narben standen ihm ausgezeichnet und verliehen ihm etwas Gebieterisches. Das goldverbrämte Gewand kleidete ihn ganz vorzüglich.

Die Straßen lagen noch in tiefem Schlafe, und noch war in der Stadt kein Händler mit seiner Kiste unter dem Arme zu bemerken. Bulba und Jankel gelangten vor ein Gebäude, das wie ein sitzender Reiter aussah. Es war niedrig, breit, außerordentlich groß und ganz vor Alter geschwärzt; auf der einen Seite ragte ein langer, schmaler Turm empor, der wie der Hals eines Storches aussah und auf dessen Spitze sich das Stück eines Daches befand. Dieses Gebäude hatte die allermannigfaltigsten Funktionen: hier befanden sich die Kasernen, das Gefängnis und sogar das Kriminalgericht. Unsere Wanderer traten in das Tor ein und standen gleich darauf in einem geräumigen Saal, oder vielmehr in einem gedeckten Hof, in dem ungefähr tausend Menschen nebeneinander schliefen. Ihnen gegenüber befand sich eine kleine Tür vor der zwei Wachen saßen, und ein merkwürdiges Spiel spielten, welches darin bestand, daß der eine dem andern mit zwei Fingern auf die Handflächen zu schlagen suchte. Sie beachteten die Ankömmlinge kaum und drehten ihre Köpfe erst um, als Jankel zu ihnen sagte:

„Das sind wir, hören Sie meine Herren, das sind wir!“

„Geht hinein,“ sagte der eine von ihnen und öffnete mit der einen Hand die Tür, während er seinem Kameraden die andere zum Schlage hinhielt.

Sie betraten einen schmalen dunklen Gang und gelangten in einen ähnlichen Saal mit einigen kleinen Fenstern an der Decke.

„Wer da?“ riefen mehrere Stimmen, und Taraß erblickte eine beträchtliche Anzahl von Kriegern in voller Rüstung. „Wir haben Befehl, niemanden hineinzulassen.“

„Das sind wir,“ rief Jankel, „bei Gott das sind wir, erlauchte Herren!“ Aber niemand wollte ihm Gehör schenken. Glücklicherweise trat in diesem Augenblick ein dicker Mann herein, der seinem Aussehen nach ein Vorgesetzter sein mußte, denn er schimpfte und fluchte mehr als alle andern zusammen.

„Herr, das sind wir, der Herr kennt uns schon — der Herr Graf wird sich noch persönlich bedanken!“

„Laßt sie durch, Donnerwetter noch ’mal! Von nun ab aber laßt ihr mir keinen mehr herein, und daß mir keiner von euch den Säbel ablegt und sich auf der Erde herumwälzt!“

Die Fortsetzung dieser so eindrucksvollen Rede vernahmen unsere Reisenden jedoch nicht mehr.

„Das sind wir, das bin ich, ein guter Freund,“ sagte Jankel zu jedem, der ihm begegnete.

„Ist’s so weit?“ fragte er eine der Wachen, als sie endlich an die Stelle gelangten, wo der Gang zu Ende war.

„Kommt nur. Ich weiß aber nicht, ob man euch in das Gefängnis selbst hineinlassen wird! Jan ist jetzt nicht mehr da, statt seiner steht ein anderer Wache,“ antwortete ein Wachtposten.

„Oh oh,“ sagte der Jude leise, „das ist schlimm, werter Herr!“

„Schnell, führ mich weiter,“ sprach Taraß hartnäckig. Der Jude gehorchte.

An der Tür eines unterirdischen Gewölbes, das oben scheinbar spitz zulief, stand ein Heiduck mit einem dreistöckigen Schnurrbart. Der eine Teil des Bartes war nach hinten gebürstet, der andere nach vorn, und der dritte hing ihm nach unten herab, sodaß der Mann aussah wie ein Kater.

Der Jude schrumpfte völlig zusammen und beugte sich fast bis zum Erdboden herab. Endlich näherte er sich ihm von der Seite. „Euer Gnaden, allerdurchlauchtigster Herr!“

„Sagst du das zu mir, Jude?“

„Zu dir, allerdurchlauchtigster Herr!“

„Hm ... ich bin aber doch nur ein einfacher Heiduck!“ sagte der Schnurrbartgewaltige und sein ganzes Gesicht strahlte von Eitelkeit.

„Ich dachte, bei Gott, du seist der erhabene Wojewode selbst! Oh oh oh.“ Bei diesen Worten schüttelte der Jude den Kopf und spreizte die Finger. „Oh oh, wie würdig und vornehm der Herr aussehen. Bei Gott — ein Oberst, wie ein richtiger Oberst! Nur noch ein Tröpfchen, und nichts fehlte zu einem Oberst! Der Herr müßte auf einem Pferde sitzen, so schnell, wie eine Fliege, und Parade abhalten über alle Regimenter!“

Der Heiduck brachte den untern Teil seines Bartes in Ordnung, und seine Augen strahlten vor Vergnügen.

„Nein, was sind die Soldaten doch für ein Volk,“ fuhr der Jude fort. „O weh mir, was für ein prächtiges Volk! Schnüre, Tressen, das glänzt ordentlich wie die Sonne! Und die Fräulein, die die Herren Soldaten sehen — oh oh ...“ Und der Jude schüttelte wieder den Kopf.

Der Heiduck strich sich mit der Hand über den oberen Teil des Bartes und gab hierbei einen Laut von sich, der dem Wiehern eines Pferdes glich.

„Darf ich den Herrn untertänigst um eine Freundlichkeit bitten?“ bat der Jude, „der Fürst hier ist aus fremden Landen gekommen; er möchte sich die Kosaken ansehen. Hat er doch in seinem Leben nicht gesehen, was für ein Volk die Kosaken sind!“

Die Besuche ausländischer Grafen und Barone kamen in Polen ziemlich häufig vor; oft führte sie nichts hin als die bloße Neugierde, sich diesen halbasiatischen Winkel Europas anzusehen. Moskau und die Ukraine galt ihnen schon für Asien. Der Heiduck hielt es daher nach einer ziemlich tiefen Verbeugung für nötig, von sich aus noch ein paar Worte hinzuzufügen.

„Ich weiß nicht,“ sagte er, „warum Euer Durchlaucht sie sich ansehen wollen. Das sind ja Hunde und keine Menschen. Und einen Glauben haben sie, den achtet niemand!“

„Das lügst du, Teufelsbrut,“ rief Bulba. „Du selbst bist ein Hund! Wie wagst du, zu sagen, daß man unsern Glauben nicht achtet! Euren ketzerischen Glauben, den verabscheut jeder Rechtgläubige!“

„Aha steht es so!“ rief der Heiduck, „jetzt weiß ich, wer du bist, mein Freund! Du gehörst wohl selbst zu diesen, die hier festsitzen. Warte mal, ich will mal unsere Leute herbeirufen!“

Taraß sah ein, wie unvorsichtig er gewesen war, aber Trotz und Wut hinderten ihn, darüber nachzudenken, wie er es wieder gut machen sollte. Glücklicherweise griff Jankel sofort ein.

„Allerdurchlauchtigster Herr! Wie sollte es möglich sein, daß der Herr ist ein Kosak! Und wenn er ein Kosak wäre, wie käme er zu einer solchen Kleidung und zu einem so gräflichen Aussehen!“

„Lüg dir doch selbst was vor!“ Der Heiduck wollte schon seinen riesigen Mund öffnen, um Lärm zu machen.

„Eure königliche Hoheit! Beruhigen Sie sich! Beruhigen Sie sich um Gottes willen!“ schrie Jankel. „Wir werden Ihnen so viel geben, wie Sie noch nie gesehen haben: wir werden Ihnen zwei goldene Dukaten geben!“

„He, wie? — zwei Dukaten! Aus zwei Dukaten mache ich mir garnichts, die gebe ich dem Barbier, wenn er mir die Hälfte meines Bartes rasiert hat. Hundert Dukaten, Jude!“ Hier drehte der Heiduck seinen Schnurrbart ... „Wenn du mir nicht sofort hundert Dukaten gibst, so schrei ich sofort los!“

„Warum soviel,“ rief der Jude, der ganz kreidebleich geworden war, jammernd und öffnete einen ledernen Säckel: er war aber doch glücklich, daß nicht mehr darin war, und daß der Heiduck nicht weiter als bis hundert zählen konnte.

„Herr, lassen Sie uns schnell fortgehen. Sie sehen doch, was das hier für schlechte Menschen sind!“ sagte Jankel, als er bemerkte, daß der Heiduck das Geld nachzählte, als ob es ihm leid täte, nicht mehr gefordert zu haben.

„Nun, du Satansheiduck?“ rief Bulba. „Das Geld hast du genommen, aber du denkst nicht daran, uns den Gefangenen zu zeigen? Nun, jetzt mußt du ihn uns zeigen! du hast das Geld angenommen, und darum hast Du kein Recht uns abzuweisen!“

„Fort mit euch, geht zum Teufel! Sonst melde ich es sofort! Und man wird euch gleich ... Ich will euch Beine machen, sage ich euch!“

„Herr. Herr, kommt schnell, bei Gott, kommt! Hol sie der Teufel! Gott schicke ihm einen Traum, daß ihm übel wird!“ schrie der arme Jankel.

Bulba wandte sich langsam um und schritt mit gesenktem Kopfe zurück, wobei ihn Jankel mit Vorwürfen überhäufte, der sich über die nutzlos weggeworfenen hundert Dukaten fast zu Tode ärgerte.

„Wozu mußtet Ihr ihn denn reizen! Hättet Ihr doch den Hund ruhig schimpfen lassen! Das ist doch nun mal so ein Volk, die müssen immer schimpfen. O weh mir, was für ein Glück hat Gott diesen Menschen geschickt! Hundert Dukaten dafür, daß er uns fortjagt; Unsereinem dagegen reißt man die Locken ab, man richtet ihm das Gesicht zu, daß man es gar nicht mehr anschauen mag — und kein Mensch gibt ihm hundert Dukaten! O mein Gott! Barmherziger Gott!“

Dieser Mißerfolg hatte jedoch einen noch tieferen Eindruck auf Bulba gemacht: eine verzehrende Flamme glühte in seinen Augen.

„Vorwärts“, sagte Bulba plötzlich, wie aus einem Traum erwachend, „komm, wir wollen auf den Platz gehen. Ich will sehen, wie man ihn foltern wird.“

„O weh, gnädiger Herr, wozu sollen wir hingehen, wir können ihm ja doch nicht mehr helfen.“

„Komm,“ sagte Bulba eigensinnig, und der Jude folgte ihm seufzend, wie eine Kinderfrau.

Es war nicht schwer, den Platz aufzufinden, wo die Hinrichtung stattfinden sollte: denn das Volk strömte von allen Seiten dorthin. In jenen barbarischen Zeiten war das nicht nur für den Pöbel, sondern auch für die höheren Kreise eins der beliebtesten Schauspiele. Viele fromme alte Weiber, eine Unzahl scheuer und ängstlicher junger Mädchen und Frauen, die nachher die ganze Nacht von blutigen Leichen träumten und im Schlafe so laut aufschrien, wie das nur noch ein betrunkener Husar vermag, ließen keine Gelegenheit vorüber, sich das Schauspiel anzusehen. „O welch entsetzliche Qualen,“ schrien manche in hysterischer, fieberhafter Erregung, hielten sich die Hände vor die Augen und wandten sich ab, verharrten aber trotzdem lange auf ihrem Platze. Viele standen mit weitgeöffnetemMunde da, streckten die Arme aus und wären den vor ihnen Stehenden am liebsten auf den Kopf gesprungen, um besser sehen zu können. Aus der Menge der kleinen, schmalen und gewöhnlichen Köpfe ragte hin und wieder das dicke Gesicht eines Schlächters hervor: er sah sich den Vorgang mit Kennermienen an und unterhielt sich in einsilbigen Worten mit einem Waffenschmied, den er Gevatter nannte, weil er sich an Feiertagen mit ihm zusammen in der gleichen Schenke zu betrinken pflegte. Wieder andere erörterten das Ereignis mit großer Erregung und Leidenschaftlichkeit; eine dritte Partei ging sogar Wetten ein. Die meisten der Anwesenden jedoch gehörten zu jener Gattung, die die ganze Welt und alles, was darin vorgeht gleichgültig ansehen und dabei den Finger in die Nase stecken. In der ersten Reihe, neben den mit mächtigen Schnauzbärten gezierten Heiducken, die die Stadtwache bildeten, stand ein junger Edelmann (er sah wenigstens so aus) — in ritterlicher Tracht; er hatte sich mit allem behängt, was er besaß, so daß nur noch ein zerrissenes Hemd und ein Paar alte Stiefel in seiner Wohnung zurückgeblieben waren. Um seinen Hals hatte er zwei Ketten geschlungen, eine über die andre, an denen je ein Dukaten hing. So stand er mit seiner Geliebten Jusysja da und sah sich fortwährend um, damit nur ja niemand ihr seidenes Kleid beschmutzte. Er hatte ihr bereits alles erklärt, so daß gar nichts mehr hinzuzufügen blieb. „Sieh, geliebte Jusysja,“ sagte er „dies ganze Volk, das Du hier siehst, ist hierhergekommen, um zu sehen, wie man die Verbrecher hinrichten wird. Der da, mit dem Beil und den andern Werkzeugen in der Hand, den, den du dort siehst, Liebchen: das ist der Henker, der wird das Urteil vollstrecken. Solange er den Verbrecher rädert und noch auf andere Weise martert, ist der immer noch am Leben; schlägt er ihm aber den Kopf ab, dann ist es aus mit ihm, Liebste. Zuerst wird er natürlich schreien und sich winden — wenn man ihm aber den Kopf abgeschlagen hat, dann kann er nicht mehr schreien, und nicht mehr essen, noch trinken, denn er hat ja keinen Kopf mehr, Liebchen!“ Und Jusysja hörte das alles voller Schrecken und Neugier an. Die Dächer der Häuser waren von einer großen Menschenmenge bedeckt. Aus kleinen Luken blickten merkwürdige Gesichter, mit Schnurrbärten und haubenartigen Kopfbedeckungen hervor. Auf den Balkonen saßen die Edelleute unter Baldachinen. Das schöne Händchen eines lachenden Fräuleins mit einem Gesichtchen, das wie Milchzucker glänzte, lag lässig auf dem Rand des Geländers. Edle Herren von ansehnlicher Beleibtheit blickten mit ernster Miene von oben herab. Ein Leibeigener in kostbarer Tracht und mit zurückgeschlagenen Ärmeln reichte allerhand Speisen und Getränke herum. Bisweilen warf ein mutwilliges Mädchen mit schwarzen Augen und weißen glänzenden Händchen Kuchen und Früchte unter die Menge. Eine Schar hungriger Ritter hielt um die Wette ihre Mützen hin, und ein hagerer Edelmann, der mit seinem Kopfe weit über alles Volk hinausragte und einen verblichenen roten Rock mit nachgedunkelten goldenen Schnüren trug, fing die süße Beute mit seinen langen Armen zuerst auf, küßte sie, drückte sie ans Herz und ließ sie dann im Munde verschwinden. Auch ein Falke, der in einem goldenen Käfig unter dem Balkon hing, gehörte zu den Zuschauern; er saß mit zur Seite gebogenem Schnabel und ausgestreckter Kralle da und beobachtete seinerseits das Volk voller Aufmerksamkeit. Plötzlich begann die Menge unruhig zu werden und zu lärmen, und man schrie von allen Seiten: „sie kommen, sie kommen, die Kosaken kommen!“

Diese kamen mit entblößten Häuptern und ihren langen Mähnen herangeschritten; auch ihre Bärte waren lang und ungepflegt. Ihr Gang war weder ängstlich noch bekümmert; stumm und stolz schritten sie daher. Das kostbare Tuch ihrer Kleider war verschlissen und hing in Fetzen an ihnen herab: sie beachteten das Volk nicht und gönnten ihm keinen Gruß. Allen voran schritt Ostap.

Was mochte der alte Taraß empfinden, als er seinen Sohn erblickte? Was ging wohl in seiner Seele vor? Er sah aus der Menge nach ihm hin, und keine seiner Bewegungen ging ihm verloren. Die Kosaken hatten den Richtplatz betreten. Ostap blieb stehen. Er sollte den bitteren Kelch als erster leeren. Er sah die Seinen an, hob die Arme empor und sprach laut: „Gebe Gott, daß alle Ketzer, die hier stehen, nichts davon vornehmen, wie ein Christ leidet, und daß keiner einen Laut von sich gebe!“ Dann beschritt er das Schafott. „Brav, mein Sohn, brav,“ sagte Bulba leise und ließ seinen grauen Kopf tief hinabsinken.

Der Henker riß Ostap die alten Lumpen herunter, Hände und Füße wurden in ein eigens zu diesem Zwecke angefertigtes Gestell gesteckt und ... Aber wozu sollen wir den Leser mit der Beschreibung all der höllischen Qualen erschüttern, bei denen einem jeden die Haare zu Berge stehen müssen. Das waren die Ausgeburten jenes rohen barbarischen Zeitalters, da der Mensch sein Leben nur in blutigen Kämpfen hinbrachte und seine Seele gegen alle menschlichen Gefühle abhärtete. Vergebens kämpften einzelne Menschen, die in jener Zeit nur seltene Ausnahme bildeten, gegen diese entsetzlichen Schauspiele. Vergebens wiesen geistig hochbegabte und aufgeklärte Könige und viele Ritter darauf hin, daß solch grausame Strafen den Rachedurst der Kosaken nur noch mehr entflammen müßten. Aber die Macht des Königs und die vernünftigen Erwägungen waren ohnmächtig gegenüber der Zügellosigkeit und frechen Willkür der Magnaten, die durch ihre Unüberlegtheit, ihren unbegreiflichen Mangel jeglichen Weitblicks und durch ihren kindischen Ehrgeiz und kleinlichen Stolz den Reichstag zu einer Satire auf die Regierung herabgewürdigt hatten. Ostap ertrug die Qualen und Foltern wie ein Held. Als man ihm die Gelenke an Händen und Füßen zerbrach, hörte man ihm nicht einmal einen Schrei oder einen Seufzer entfahren, und selbst als inmitten der totenstillen Menge das entsetzliche Krachen der Knochen auch dem entferntesten Zuschauer hörbar wurde, und die jungen Fräuleins ihre Augen abwandten — selbst da entwich seinen Lippen kein Klagelaut, und zuckte keine Miene in seinem Gesicht. Taraß stand mit gesenktem Haupte in der Menge, aber seine Augen blickten stolz, und er murmelte beifällig: „Bravo, mein Sohn, bravo.“

Als man jedoch zu den letzten tödlichen Martern schritt, da schien es, als ob Ostap seine Selbstbeherrschung verlassen wollte. Er sah sich rings um: Gott! Lauter fremde, unbekannte Gesichter! O wäre doch nur einer, der ihm nahestand, bei seinem Tode zugegen gewesen. Es war nicht das Schluchzen und Klagen der schwachen Mutter, oder das irrsinnige Jammern der Gattin, die sich die Haare zerrauft und gegen den weißen Busen schlägt, was ihn zu hören verlangte, wohl aber hätte er jetzt einen starken Mann sehen mögen, der ihn vor seinem Ende mit einem klugen Wort erfrischen und trösten konnte. Seine Kraft verließ ihn und in furchtbarer Seelenqual schrie er auf: „Vater, wo bist du? Hörst du das alles nicht?“

„Ich höre es,“ klang es plötzlich durch die allgemeine Stille, und ein Zittern ging plötzlich durch die millionenstarke Menge. Ein Teil der bewaffneten Reiter stürzte sich sofort mitten unter sie, um sie zu durchsuchen. Jankel war bleich geworden wie der Tod; als sich die Reiter ein wenig von ihm entfernt hatten, wandte er sich voller Schrecken um, um Taraß zu suchen; allein dieser stand schon nicht mehr neben ihm und war spurlos verschwunden.

Zwölftes Kapitel

Taraß ließ bald wieder von sich hören. Ein Heer von hundertzwanzigtausend Kosaken erschien an den Grenzen der Ukraine. Das war nicht mehr ein Häuflein oder eine kleine Schar, die auf Raub ausging oder die den Tataren nachsetzen wollte. Nein, die ganze Nation hatte sich erhoben, denn die Geduld des Volkes war endlich erschöpft — sie hatte sich erhoben, um sich für die Verhöhnung ihrer Rechte, den erniedrigenden Schimpf, der ihren Sitten angetan war, die Verletzung des Glaubens ihrer Vorfahren und ihrer heiligen Gebräuche, für die Schändung der Kirchen, die Willkür der ausländischen Herren, die Unterdrückung, die Union und die verhaßte Herrschaft der Juden in christlichen Landen, kurz, um sich für alles zu rächen, was den leidenschaftlichen Haß der Kosaken hervorgerufen und gesteigert hatte. An der Spitze dieses unübersehbaren Kosakenheeres stand der junge aber kluge und mutige Hetman Ostraniza, und ihm zur Seite sein altersgrauer und kampferprobter Waffenbruder und Berater Gunja. Acht Hauptleute führten ebensoviel Scharen von je zwölftausend Kosaken. Zwei Anführer und ein Unterfeldherr bildeten das unmittelbare Gefolge des Hetmans. Der erste Fahnenträger ritt mit dem großen Banner allen voran; und noch zahllose andere Fahnen und Feldzeichen sah man in der Ferne flattern. Die Anführer trugen alle ihre Hetmansstäbe. Außerdem befanden sich im Heere noch eine große Reihe anderer Würdenträger, als da sind: Proviantmeister, Stabsoffiziere, Heerschreiber &c., die von Berittenen und Fußvolk begleitet wurden. Die Zahl der Freiwilligen war fast ebenso groß, wie die der Kriegspflichtigen. Von allen Seiten waren die Kosaken zusammengeströmt: aus Tschigirin, Perejaßlaw, aus Baturin und Gluchow, von dem unteren Laufe des Dnjepr, von seinem ganzen Oberlauf und von all seinen Inseln. Zahllose Roßherden und Wagenreihen zogen über die Felder dahin. Aber unter den vielen Kosaken, unter diesen acht Abteilungen war eine, die vor allen ausgezeichnet war, das war die, an deren Spitze Taraß Bulba stand. Alles kam zusammen, um ihm ein gewaltiges Übergewicht über seine Genossen zu geben: sein vorgerücktes Alter, seine Erfahrung, seine Kunst, ein so großes Heer zu befehligen, und vor allem sein furchtbarer Haß gegen die Feinde. Selbst den Kosaken erschien seine furchtbare Wildheit und unbarmherzige Grausamkeit fast übertrieben. Sein ergrauter Kopf träumte von nichts anderen, als von Galgen und Feuer, und im Kriegsrate verbreitete sein Wort Schrecken und Vernichtung.

Es wäre zwecklos, all die Schlachten, in denen sich die Kosaken auszeichneten oder den ganzen Verlauf dieses Feldzuges zu beschreiben, all dieses ist in den Büchern der Geschichte aufgezeichnet. Man weiß, wie man in russischen Landen einen Krieg für den Glauben führt: es gibt keine furchtbarere Kraft als den Glauben. Er ist unüberwindlich und schrecklich wie ein Felsen, der nicht von Menschenhand geschaffen ist und der von dem wilden ewig wechselnden Meere umbraust wird: aus der tiefsten Tiefe des Meeresgrundes erhebt er seine unerschütterlichen, aus einem einzigen Stücke geschaffenen Mauern bis in den Himmel empor. Er ist von allen Seiten sichtbar und blickt aufrecht auf die vorbeieilenden Wogen herab. Und wehe dem Schiff, das zu ihm hingetrieben wird. Seine kraftlosen Masten und Segel reißen in Stücke. Mann und Maus geht unter, und das Jammergeschrei der Ertrinkenden erfüllt ringsum die Luft.

Es ist in den Chroniken ausführlich beschrieben, wie die polnischen Besatzungen aus den erschrockenen Städten flohen, wie die gewissenlosen jüdischen Pächter, einer nach dem andern, aufgeknüpft wurden, wie wehrlos der königliche Hetman Nikolaus Potozki mit seinem großen Heere dieser unüberwindlichen Macht gegenüberstand, wie er geschlagen und verfolgt wurde und wie er die bessere Hälfte seines Heeres in einem kleinen Flüßchen untergehen ließ; wie die furchtbaren Kosakenhorden ihn in das Städtchen Polomo einschlossen, und wie der bis zum Äußersten getriebene polnische Hetman ihnen mit einem feierlichen Eid im Namen des Königs und aller Magnaten vollständige Genugtuung und die Wiederherstellung aller früherer Rechte und Privilegien versprach. Aber die Kosaken waren nicht gesinnt, sich damit zu begnügen: wußten sie doch, welch einen Wert ein polnischer Eid hatte. Und Potozki hätte nicht mehr auf seinem schmucken Renner, der wohl sechstausend Gulden wert war, die Blicke der Edeldamen und den Neid des Adels auf sich lenken, nicht mehr im Reichstag lärmen und keine glänzenden Gastmähler zu Ehren der Senatoren geben können, wenn ihn die russische Geistlichkeit, die sich im Städtchen befand, nicht gerettet hätte. Als nämlich alle Polen in ihren glänzenden, goldgestickten Meßgewändern, mit Heiligenbildern und Kreuzen in den Händen und allen voran der Erzbischof mit Kreuz und Mitra ihnen entgegenkamen, da senkten die Kosaken ihre Häupter und nahmen die Mützen ab. In jenem Augenblick hätten sie wohl niemandem Achtung erwiesen, selbst dem König nicht — aber gegen ihre Kirche erdreisteten sie sich nicht, sich aufzulehnen, und daher begrüßten sie ihre Geistlichkeit ehrfürchtig. Der Hetman wie die Hauptleute erklärten sich bereit, Potozki freizugeben, doch ließen sie ihn vorher einen Schwur leisten, daß er alle christlichen Kirchen in Ruhe lassen, der alten Feindschaft entsagen und dem Kosakentum keinen Schimpf und Schaden mehr zufügen werde. Nur einer der Hauptleute wollte diesen Friedensschluß nicht mitmachen: dieser eine war Taraß. Er riß sich ein Büschel Haare aus und rief:

„He, du Hetman und ihr Hauptleute! macht doch keine solchen Weibergeschäfte! Traut den Polen nicht: sie werden euch ja doch verraten!“ Und als der Heerschreiber den Vertrag vorlegte, und der Hetman ihn mit seiner mächtigen Faust unterzeichnete, da zog Taraß seine herrliche Klinge, den kostbaren türkischen Säbel von feinstem Stahl, zerbrach ihn in zwei Stücke wie einen Stab, warf sie weit weg, nach verschiedenen Richtungen und rief: „So lebt denn wohl! So wenig wie diese beiden Enden sich je zu einem Säbel vereinigen werden, werden auch wir uns in dieser Welt noch einmal wiedersehen, Kameraden! Seid meiner Abschiedsworte eingedenk!“ (Hier wurde seine Stimme lauter, sie erhob sich gewaltig, und eine ungewohnte Macht ging von ihr aus, so daß alle über diese propethischen Worte in Verwirrung gerieten.) „In Eurer Todesstunde werdet ihr meiner gedenken! Ihr glaubt, daß ihr euch nun Ruhe und Frieden erkauft habt, ihr glaubt, daß ihr jetzt wie die Herren leben werdet? Das kann ein rechtes Herrenleben werden! Die Haut wird man dir vom Kopfe ziehen, Hetman, man wird sie mit Buchweizenspreu ausstopfen und sie auf allen Märkten herumschleppen und ausstellen! Und auch ihr, werte Herren, werdet eure Köpfe nicht behalten! In feuchten Kellern, zwischen steinernen Mauern eingepfercht, werdet ihr elend verrecken — wenn man euch nicht etwa lebendig röstet wie Hammel in glühenden Kesseln.“

„Doch ihr, Kameraden,“ fuhr er fort, indem er sich an seine Leute wandte, „wer von euch will einen Tod sterben, wie er selbst ihn sich wünscht, — nicht hinter dem Ofen und an der Seite seines Weibes, nicht trunken hinterm Zaun neben irgend einer Schenke, wie ein stinkendes Aas, — sondern einen ehrlichen Kosakentod, zusammen mit allen, auf einem Lager, wie Braut und Bräutigam? Oder wollt ihr vielleicht nach Hause zurückkehren, eurem Glauben abschwören und die polnischen Priester auf eurem Rücken schleppen.“

„Führe du uns Hauptmann, führe uns, Herr,“ riefen alle die zu seiner Abteilung gehörten, und noch viele andere schlossen sich ihnen an.

„Nun also denn, vorwärts“ rief Taraß, drückte seine Mütze noch kühner in die Stirn, warf den Zurückbleibenden einen verächtlichen Blick zu, richtete sich auf seinem Rosse hoch auf und rief den Seinen zu: „Niemand wage es, uns zu beschimpfen! Auf Freunde, jetzt wollen wir diesen Katholiken einmal einen Besuch abstatten!“ Damit gab er seinem Pferd einen Schlag und stürmte davon, und ein ganzer Zug von hundert Wagen, dem sich viele Kosaken zu Fuß und zu Pferde anschlossen, folgte ihm. Taraß wandte sich um und warf den Zurückbleibenden noch einen drohenden Blick zu — seine Augen sprühten vor Zorn. Niemand wagte es, sie zurückzuhalten. Die Abteilung zog Angesichts des ganzen Heeres ab, und noch viele Male drehte sich Taraß nach ihm um, und blitzte sie zornig an.

Der Hetman und die Kosaken blieben zurück; sie versanken in Gedanken und schwiegen lange Zeit, wie wenn eine schwere Vorahnung sie bedrückte. Taraß hatte die Wahrheit gesagt. Es kam ganz so, wie er es vorausgesehen hatte. Kurze Zeit darauf, nach dem Verrat von Kanewo, ward der Kopf des Hauptmanns und mit ihm der vieler vornehmer Würdenträger, auf einen Pfahl gesteckt und öffentlich zur Schau gestellt.

Was aber geschah mit Taraß? Er stürmte mit seinen Leuten durch ganz Polen, brannte achtzig Städtchen und ungefähr vierzig Kirchen nieder und rückte schon gegen Krakau vor. So manchen Edelmann hatte er schon niedergemacht und die reichsten und schönsten Schlösser geplündert. Die Kosaken öffneten die Wein- und Metfässer, welche Jahrhundertelang im Keller der polnischen Herren gelagert hatten, und ließen den köstlichen Wein auf den Boden laufen, schnitten die kostbaren Stoffe in Stücke und verbrannten die Gewänder und Zierrate, die sich in den Kammern befanden. „Schont mir nur nichts,“ wiederholte Taraß fortwährend, und die Kosaken schonten selbst die schwarzäugigen Fräulein mit dem weißen Busen und den lieblichen Gesichtchen nicht, nicht einmal vor den Altären fanden sie Schutz vor ihnen: Taraß ließ sie mitsamt den Altären verbrennen. Manch schneeweiße Hand hob sich flehend aus der feurigen Glut zum Himmel: bei ihrem jämmerlichen Geschrei hätte die Erde selbst sich erweicht, und das Gras der Steppe hätte sich mitleidig zu Boden geneigt. Aber die grausamen Kosaken achteten auf nichts, sie spießten auf den Straßen die Säuglinge auf ihre Lanzen und schleuderten sie ihnen in die Flammen nach. „Da ihr verdammten Polen, das ist die Totenfeier für Ostap,“ wiederholte Taraß beständig. Und solche Totenfeiern für Ostap veranstaltete er in jedem Dorfe, bis die polnische Regierung endlich erkannte, das Taraß’ Toben mehr bedeute als ein einfaches Rauben, sie erteilte daher Potozki den Auftrag, mit fünf Regimentern auszuziehen, um Taraß unverzüglich zu fangen.

Sechs Tage lang entzogen sich die Kosaken auf allerhand Feldwegen der Verfolgung, die Pferde vermochten die ungewohnte schnelle Flucht kaum zu ertragen und retteten nur mit Mühe die Kosaken. Potozki erwies sich jedoch diesmal des ihm gegebenen Auftrags gewachsen: unermüdlich verfolgte er sie und erreichte sie endlich am Ufer des Dnjestr, wo Bulba eine zerfallene und verlassene Festung bezogen hatte, um dort Rast zu halten.

Diese Festung stand dicht an den steilen Ufern des Dnjestr, die Wälle waren niedergerissen, die Mauern waren zerfallen, und die Spitze des Felsens, die jeden Augenblick zusammenzustürzen und herabzufallen drohte, war über und über mit zerbrochenen Kiesel- und Felssteinen bedeckt. Hier war es, wo der königliche Hetman Potozki die Kosaken von drei Seiten, die mit dem offnen Feld in Verbindung standen, umzingelte. Vier Tage lang kämpften und verteidigten sie sich, indem sie Felsen und Ziegelsteine auf die Polen herabschleuderten, aber als die Vorräte und Kräfte zu Ende waren, faßte Taraß den Entschluß, sich durch die feindlichen Reihen hindurchzuschlagen. Der Versuch wäre beinahe gelungen — schon hatten die Kosaken die feindliche Schlachtordnung durchbrochen, und vielleicht hätten ihnen ihre schnellfüßigen Rosse noch einmal einen treuen Dienst geleistet, — da hielt Taraß plötzlich mitten im vollen Lauf inne und rief aus: „Halt, ich habe meine Pfeife und meinen Tabak verloren! Ich will nicht, daß die verfluchten Polen auch nur meine Pfeife in die Hände bekommen!“ Und der alte Hauptmann bückte sich und begann im Grase nach seiner Pfeife zu suchen, die immerdar — zu Wasser und zu Lande, im Feldzug und daheim, seine treue Begleiterin gewesen war. Inzwischen war jedoch ein Trupp Polen herbeigesprengt, und plötzlich packten ihn ein paar Leute bei den kräftigen Schultern. Er suchte sie mit aller Macht abzuschütteln, aber diesmal fielen die Heiducken nicht wie ehemals von ihren Rossen herunter. „Ach ja, man wird alt,“ sagte er, und der schwere, alte Kosak begann bitterlich zu weinen, doch es war nicht das Alter, das an seiner Niederlage schuld war: er war der Übermacht erlegen, denn mehr als dreißig Mann hielten seine Hände und Füße umklammert.

„Endlich haben wir dich, alte Krähe!“ schrieen die Polen, „jetzt müssen wir es uns nur noch überlegen, du Hund, wie wir dich am besten ehren!“ Mit Zustimmung des Hetmans wurde er dazu verurteilt, angesichts des Heeres, lebendig verbrannt zu werden. Ganz in der Nähe befand sich ein kahler Baumstamm, dessen Spitze vom Blitze zerstört war. Taraß wurde in eiserne Ketten geschlossen, zum Baume geschleppt und an den Stamm gefesselt; man erhob ihn so hoch wie möglich über den Erdboden, damit man ihn von allen Seiten sehen konnte, nagelte seine Hände fest und schichtete einen Scheiterhaufen unter dem Baume auf. Aber Taraß blickte nicht auf den Scheiterhaufen; er dachte nicht an das Feuer, das ihn verzehren sollte, er sah dorthin, wo die Gewehre knatterten und die Kosaken sich ihrer Feinde zu erwehren suchten, war doch von seinem erhöhten Platze aus alles zu sehen wie auf der flachen Hand. „Schnell, schnell hinauf, Kameraden,“ schrie er, „besetzt den Hügel hinter dem Walde! Dorthin können sie euch nicht folgen!“ Aber der Wind trug seine Worte nicht bis zu ihnen. „Sie werden umkommen, nutzlos umkommen“ sagte er und blickte verzweifelt nach unten hinab, wo der Dnjestr glänzte. Plötzlich blitzte eine helle Freude in seinen Augen auf. Er hatte hinter einem Busch auf dem Flusse vier Nachen erblickt, und so nahm er denn seine ganze Kraft zusammen und schrie mit lauter Stimme „Ans Ufer, ans Ufer Kameraden! Lauft den kleinen Weg hinunter, den, der zur Linken liegt! Am Ufer liegen Kähne! Bemächtigt euch ihrer sofort, aber aller, hört ihr, damit sie euch nicht verfolgen können!“

Diesmal wehte der Wind von der andern Seite, und den Kosaken entging keins seiner Worte. Aber für seine Warnung erhielt er einen solchen Hieb mit der Keule über den Schädel, daß es ihm dunkel vor den Augen wurde.

Schnell wie der Blitz jagten die Kosaken den Bergsteig hinab, und dicht hinter ihnen die Verfolger. Sie sahen, daß der schmale Pfad sich vielfach hin und her schlängelt und windet und sich seitwärts verzweigt. „Ach Kameraden, es wird uns nicht glücken“ seufzten alle und hielten einen Augenblick inne, dann aber ließen sie ihre Peitschen durch die Luft sausen — ein Pfiff, und im Nu flogen ihre Tatarenpferde über die Erde hin; lang streckten sie sich in der Luft aus gleich einer Schlange, setzten im Sprung über Abgründe und stürzten dann mitten in den Dnjestr hinein. Nur zwei Kosaken vermochten den Fluß nicht mehr zu erreichen: sie fielen samt ihren Pferden auf die Felsen hinab und blieben dort für immer tot liegen, ohne auch nur einen Schrei ausgestoßen zu haben. Die andern aber schwammen bereits mit ihren Pferden im Flusse und banden die Boote los. Verdutzt blieben die Polen vor dem Abgrunde stehen; ganz erstaunt über diese unerhörte Kühnheit der Kosaken und noch im Zweifel ob sie ihnen folgen sollten oder nicht. Nur ein junger Hauptmann, dem das Blut heiß und wild durch die Adern stürmte, ein Bruder der schönen Polin, die den armen Andrij betört hatte, überlegte nicht lange, nahm einen Anlauf und warf sich mit seinem Roß in die Fluten: dreimal überschlug er sich in der Luft mit seinem Pferde und stürzte dann jäh auf die spitzen Felsen herab. Das scharfe Gestein riß seinen Körper in Stücke, der bald im Abgrunde verschwand, und sein mit Blut vermischtes Gehirn spritzte weit über Sträucher, die an den rauhen Felsenklippen des Abhanges wuchsen. Als Taraß sich von dem Schlage erholt hatte, blickte er nach dem Dnjestr hinab, die Kosaken saßen bereits in den Kähnen und ruderten davon; die Kugeln regneten nur so von oben auf sie herab, allein sie trafen niemand, und freudig leuchteten die Augen des alten Hetmans.

„Lebt wohl, Kameraden,“ rief er ihnen von oben zu, „denkt an mich, kommt im nächsten Frühling wieder her und setzt ihnen ordentlich zu. Nun! Was habt ihr erreicht, ihr teuflischen Polen? Glaubt ihr, es gibt etwas auf der Welt, wovor der Kosak sich fürchtet? Wartet nur, es kommt noch einmal der Tag, wo ihr erfahren werdet, was der rechte russische Glaube vermag! Schon jetzt spüren es die fernen und die nahen Völker! Ein Zar wird erstehen aus dem russischen Blute, und es wird keine Macht der Welt geben, die sich ihm nicht unterwerfen müßte!“ Schon züngelte die Glut über den Scheiterhaufen, das Feuer beleckte seine Füße und schlängelte sich in einer mächtigen Flamme am Baume empor. Aber gibt es denn irgendwo in der Welt ein Feuer, gibt es Qualen oder irgend eine Macht, die die Kraft eines Russen zu überwältigen vermöchte?

Ein großer Fluß ist der Dnjestr; er hat viele Buchten, viel dichtes Schilf, viele Sandbänke und gewaltige Untiefen. Es glänzt sein Wasserspiegel; hell klingt das Schreien der Schwäne, und stolz fliegt die Quäker-Ente über ihn dahin; viele Wasserschnepfen, Rebhühner mit roten Kröpfen und noch manch andere Vögel hausen in dem dichten Rohr seiner Ufer. Behend und kraftvoll glitten die Kosaken in ihren zweiruderigen Kähnen dahin, wacker legten sie sich in die Ruder, wichen vorsichtig den Sandbänken aus, scheuchten die ängstlich flatternden Vögel auf und sprachen preisend von ihrem Hauptmann.

Mirgorod
1835
Eine Novellen-Sammlung
zugleich eine
Fortsetzung der Abende auf
dem Gutshofe bei Dikanka

Mirgorod ist eine recht kleine Stadt, am Flusse Chorol. Sie hat eine Seilfabrik, eine Ziegelei, 4 Wassermühlen und 45 Windmühlen.

Lehrbuch der Geographie
von Sjablowski.

Obwohl man in Mirgorod die Bretzeln aus schwarzem Teig backt, sind sie dort doch recht schmackhaft.

Aus dem Tagebuche eines
Reisenden.

Zweiter Teil

Übersetzt von
Charlotte König

Wij.[2]

Sowie die helle Glocke ertönte, die an der Pforte des Bruderschaftsklosters zu Kiew hing, kamen die Schüler und Seminaristen von allen Enden der Stadt in dichten Scharen herbeigeeilt. Die Grammatiker, die Rhetoriker, die Philosophen und Theologen, sie alle strebten mit ihren Heften unter dem Arm der Schule zu. Die Grammatiker waren noch sehr klein; sie balgten sich unterwegs und schimpften sich mit ihren feinen Diskantstimmen. Fast immer hatten sie zerrissene, schmutzige Kleider an, und ihre Taschen waren stets mit allerlei Plunder wie: Knöcheln, Federkielpfeifen und angebissenen Pasteten vollgestopft. Manchmal trugen sie sogar junge Spatzen in der Tasche, und mitunter begann wohl der eine oder der andere, wenn tiefe Stille in der Klasse herrschte, zu zwitschern, was seinem Besitzer ein paar tüchtige Schläge auf beide Hände, und ab und zu auch eine Tracht Prügel mit der Rute aus jungen Kirschbaumzweigen eintrug. Bei den Rhetorikern ging es schon solider zu; ihre Kleider waren oft noch vollkommen heil, aber dafür waren sie im Gesicht fast immer mit einer Trophäe in Form einer rhetorischen Trope geschmückt: entweder versteckte sich ein Auge ganz unter der geschwollenen Stirn, oder man sah statt der Lippen eine große Blase, oder auch ein anderes charakteristisches Merkzeichen. Diese Rhetoriker sprachen und fluchten im Tenor, die Philosophen aber griffen eine ganze Oktave tiefer. Ihre Taschen enthielten nichts, außer kräftigen Tabaksblättern. Sie legten sich keine Vorräte an, denn alles, was ihnen unter die Finger kam, wurde sofort verzehrt. Sie rochen oft schon von weitem so stark nach Tabak und Schnaps, daß ein vorübergehender Handwerker stets stehen blieb und wie ein Jagdhund in der Luft herum schnüffelte.

Um diese Zeit begann der Marktplatz langsam zu erwachen. Die Händlerinnen breiteten ihre Bretzeln, Semmeln, Wassermelonen und Mohnsamen mit Honig aus und zupften die Vorübergehenden, die Kleider aus feinem Tuch oder schmuckem Baumwollstoff trugen, an den Rockschößen.

„Junge Herren, junge Herren, hierher! hierher!“ riefen sie von allen Seiten. „Sehen Sie nur, was für Mohnkuchen, was für schöne Brötchen und Bretzeln — sie sind ganz ausgezeichnet, bei Gott! Von feinstem Honig — ich habe sie selbst gebacken!“

Eine andere hielt ein langes, gewundenes Gebäck aus Teig in die Höhe und schrie: „He, he, die schöne Honigstange! Junger Herr kaufen Sie doch diese Honigstange!“

„Kaufen Sie ja nichts bei der: Sehen Sie doch diese widerliche Person an, die häßliche Nase, die unsauberen Hände ...“

Die Philosophen und Theologen aber ließen sie in Ruhe; denn diese liebten es nur zu „probieren“, und zwar nahmen sie sich immer gleich eine ganze Hand voll.

Im Seminar angekommen, verteilte sich die ganze Schar sogleich in den Klassen, die sich in niedrigen aber ziemlich geräumigen Zimmern, mit breiten Türen, kleinen Fenstern und schmutzigen Bänken befanden. Plötzlich erfüllte ein vielstimmiges Summen die Räume: die älteren Schüler, die sogenannten Auditoren, hörten den jüngeren ihre Lektionen ab; hierbei war der helle Diskant des Grammatikers genau auf den Ton der kleinen Fensterscheibe abgestimmt, die ihn fast unverändert zurückwarf; in der Ecke brüllte ein Rhetor, dessen Mund und wulstige Lippen eigentlich mehr zu einem Philosophen paßten. Er rezitierte mit tiefer Baßstimme und man vernahm von weitem nichts wie ein dumpfes Bu, bu, bu, bu ... Die Auditoren, die den jüngeren Schülern ihre Lektion überhörten, schielten mit einem Auge unter die Bank, wo gewöhnlich aus der Tasche des ihnen unterstellten Seminaristen ein Brot, ein Quarkkuchen, oder Kürbissamen hervorblickten.

Traf es sich, daß sich die ganze gelehrte Schar etwas früher als nötig versammelt hatte, oder wenn es bekannt wurde, daß die Professoren später als sonst kommen würden, dann inszenierte man unter allgemeinen Beifall eine „Schlacht“, an der alle Schüler, sogar die Zensoren teilnehmen mußten, die verpflichtet waren, die Ordnung aufrechtzuerhalten, und die die Moral des ganzen Schülerstandes zu beaufsichtigen hatten. Gewöhnlich entschieden zwei Theologen, wie die Schlacht vor sich gehen, ob jede Klasse für sich kämpfen, oder ob alle zusammen zwei Lager, nämlich die Bursa und das Seminar, bilden sollten. Auf alle Fälle machten die Grammatiker den Anfang, sobald sich dann die Rhetoriker hineinmengten, liefen sie fort und stellten sich an erhöhten Plätzen auf, um den Gang der Schlacht zu beobachten. Dann kamen die Philosophen mit ihren langen schwarzen Schnurrbärten an die Reihe, und ganz zuletzt griffen die Theologen mit ihren gräßlichen Hosen und den furchtbaren, dicken Hälsen in die Schlacht ein. Gewöhnlich endete der Kampf damit, daß die Theologie sämtliche Kämpfer besiegte, die Philosophie aber wurde in die Klasse gedrängt, rieb sich die Lenden und setzte sich auf die Bänke, um sich zu erholen. Der Professor, der zu seiner Zeit auch an ähnlichen Kämpfen teilgenommen hatte, merkte beim Eintritt in die Klasse sofort an den Gesichtern seiner Zuhörer, daß es keine üble Schlacht gegeben hatte, und klopfte den Rhetoren mit Ruten auf die Finger, während sein Kollege in der anderen Klasse die Hände der Philosophen mit einer Holzleiste bearbeitete. Mit den Theologen wurde ganz anders verfahren: ihnen wurde, nach dem Ausdruck des Theologieprofessors, ein Maß „grober Erbsen“, und zwar vermittelst eines kurzen Lederriemens zugemessen.

An Festen und an Feiertagen zogen die Seminaristen und Schüler mit einem Puppentheater von Haus zu Haus; manchmal spielten sie auch selbst Komödie, und dann zeichnete sich immer ein Theologe besonders aus: irgend ein Riese, der nicht viel kleiner war, als der Glockenturm von Kiew. Er spielte die Herodias oder Frau Potiphar, die Gemahlin des ägyptischen Kämmerers. Zur Belohnung erhielten sie ein Stück Leinwand, einen Sack Hirse, die Hälfte einer gebratenen Gans und dergleichen. All diesem gelehrten Volk, der Bursa, wie dem Seminar — die eine ererbte Antipathie gegeneinander hegten — fehlte es meist an den notwendigen Subsistenzmitteln, dabei aber waren sie außerordentlich gefräßig; es wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, die Zahl der Klöße anzugeben, die jeder von ihnen beim Abendbrot herunterschlang; so reichten denn auch die freiwilligen Spenden der wohlhabenden Gutsbesitzer gewöhnlich nicht aus. Daher schickte mitunter der Senat, der nur aus Philosophen und Theologen bestand, die Grammatiker und Rhetoriker unter Führung eines Philosophen, — zuweilen aber schloß er sich auch selbst in corpore an — mit Säcken auf den Schultern in die fremden Gemüsegärten; an solchen Tagen gab’s in der Bursa Kürbisbrei. Die Senatoren schlugen sich den Magen so mit Melonen und Wassermelonen voll, daß die Auditoren am nächsten Tage statt eines Vortrages, deren zwei zu hören bekamen: der eine drang aus dem Munde, der andere aus dem Magen des Senators hervor. Die Zöglinge der Bursa wie auch die des Seminars trugen lange Röcke, welche „bis dahin“ reichten; ein technischer Ausdruck, der soviel besagte als: „bis an die Fersen“.

Das feierlichste Ereignis für das Seminar aber war der Anbruch der Ferien, die Zeit vom Monat Juni an, wo die Bursa gewöhnlich nach Hause entlassen wurde. Dann war die Landstraße wie besät von Grammatikern, Rhetoren, Philosophen und Theologen. Wer kein eigenes Heim besaß, zog zu einem seiner Kameraden. Die Philosophen und Theologen gingen in „Kondition“, d. h. sie unterrichteten oder bereiteten die Kinder wohlhabender Leute für die Schule vor. Dafür erhielten sie einmal im Jahr ein Paar neue Stiefel und manchmal auch etwas Geld zu einem neuen Rock. Diese ganze Gesellschaft zog geschlossen aus wie eine Zigeunerbande, kochte sich ihre Grütze und übernachtete im Freien. Jeder trug einen Sack, in dem sich ein Hemd und ein Paar Fußlappen befanden. Die Theologen waren besonders sparsam und peinlich: um ihre Stiefeln zu schonen, zogen sie sie aus, hängten sie auf ihre Stöcke, und trugen sie auf ihren Schultern; das taten sie besonders, wenn es auf der Straße sehr schmutzig war. Sie krempelten ihre Hosen bis zu den Knien auf und patschten furchtlos mit den bloßen Füßen durch die Pfützen. Sowie sie irgendwo ein Gehöft erblickten, schwenkten sie von der Landstraße ab, näherten sich der stattlichsten Hütte, stellten sich vor den Fenstern in Reih und Glied auf und begannen aus voller Kehle einen Kantus anzustimmen. Der Hausherr, der gewöhnlich ein alter, ansäßiger Kosak war, stützte den Kopf auf beide Hände und hörte ihnen lange zu, dann fing er bitterlich an zu weinen und wandte sich an seine Frau: „Frau, was die Scholaren da singen, das muß etwas sehr Gescheites sein. Bring ihnen doch etwas Speck hinaus, und was sonst noch da ist.“ Dann wurde eine ganze Schüssel voller Quarkkuchen in den Sack geschüttet, dazu ein gehöriges Stück Speck; auch einige Laib Brot verschwanden darin und manchmal sogar ein zusammengebundenes Huhn. Nachdem sie sich so einen tüchtigen Vorrat angelegt hatten, zogen die Grammatiker, Rhetoren, Philosophen und Theologen wieder ihres Weges. Je weiter sie jedoch kamen, um so kleiner wurde die Schar. Allmählich zerstreute sich alles und wanderte nach Haus, und es blieben nur die übrig, deren Elternhaus weiter entfernt war, als das der andern.

Einst bogen während einer solchen Reise drei Burschen von der Landstraße ab, um beim ersten besten Gehöft, auf das sie stießen, den schon längst geleerten Sack mit neuen Vorräten zu versorgen. Dies waren der Theologe Haljawa, der Philosoph Choma Brut und der Rhetor Tiberius Gorobetz.

Der Theologe war ein großer, breitschultriger Bursche und hatte die äußerst merkwürdige Gewohnheit, alles zu stehlen, was in seine Nähe kam. Übrigens hatte er einen sehr finsteren Charakter; wenn er betrunken war, versteckte er sich im Gebüsch, und das Seminar hatte viel Mühe, ihn von dort hervorzuholen.

Der Philosoph, Choma Brut, war von heiterer Gemütsart, er liebte es sehr, auf der Bank zu liegen und seine Pfeife zu rauchen; wenn er trank, ließ er sogleich „Musikanten“ kommen und tanzte einen Trepak.[3]

Er hatte schon oft ein Maß „grober Erbsen“ zu kosten bekommen, aber er ertrug es mit stoischem Gleichmut und sagte nur: niemand entgeht seinem Schicksal.

Der Rhetor, Tiberius Gorobetz, hatte noch nicht das Recht, einen Schnurrbart zu tragen, Schnaps zu trinken und zu rauchen. Er trug nur einen Haarschopf auf dem Scheitel, und sein Charakter war damals noch wenig entwickelt. Aber aus den großen Beulen auf der Stirn, mit denen er oft in die Klasse kam, ließ sich schließen, daß er einmal einen tüchtigen Soldaten abgeben würde. Der Theologe Haljawa und der Philosoph, Choma, zupften ihn oft zum Zeichen ihrer Gönnerschaft am Schopfe und gebrauchten ihn als Boten.

Es war schon Abend, als sie von der Landstraße abbogen; die Sonne war eben untergegangen, und noch spürte man in der Luft die Wärme des Tages. Der Theologe und der Philosoph marschierten schweigsam mit der Pfeife im Munde dahin und der Rhetor, Tiberius Gorobetz, schlug mit seinem Stab den am Wege wachsenden Disteln die Köpfe ab. Der Weg zog sich zwischen Gruppen von Eichen und Nußbäumen dahin, welche die Wiesen beschatteten; dann und wann unterbrachen Hügel und kleine grüne Berge, die so rund waren wie Kuppeln, die Ebene. Verstreute Ackerfelder, mit reifendem Getreide bestellt, ließen erkennen, daß irgendwo ein Dorf in der Nähe sein müsse. Aber es war schon mehr als eine Stunde vergangen, seit sie an dem Ackerfelde vorbeigekommen waren, und noch immer war kein Gehöft zu sehn. Die Dämmerung hatte schon den ganzen Himmel eingehüllt: nur fern im Westen schimmerte noch ein schmaler, blauer Streifen Abendrot.

„Weiß der Teufel,“ sagte der Philosoph Choma Brut, „es sah doch ganz so aus, als müßten wir gleich auf ein Gehöft stoßen!“

Der Theologe schwieg und sah sich nach allen Seiten um, dann steckte er seine Pfeife wieder in den Mund, und alle drei trabten weiter.

„Bei Gott,“ rief der Philosoph und blieb wieder stehen, „es ist rein gar nichts zu sehen. Hol’s der Henker!“

„Vielleicht erreichen wir doch noch ein Gehöft,“ sagte der Theologe, ohne seine Pfeife aus dem Munde zunehmen.

Unterdessen war die Nacht hereingebrochen, eine finstere, dunkele Nacht; die kleinen Wolken am Himmel verstärkten die Finsternis nur noch mehr, und allem Anscheine nach durfte man weder auf Mond noch Sterne rechnen. Die Burschen merkten, daß sie sich verirrt hatten und längst vom richtigen Wege abgekommen waren.

Der Philosoph tastet mit dem Fuß nach allen Seiten und rief endlich kurz aus. „Ja, wo ist denn der Weg?“

Der Theologe schwieg, und murmelte nach einigem Nachdenken: „Ja, die Nacht ist dunkel ..!“

Der Rhetor kniete nieder und versuchte den Weg mit den Händen zu befühlen, aber seine Hände gerieten fortwährend in einen Fuchsbau hinein. Ringsumher lag die öde Steppe: scheinbar war hier noch nie jemand vorbei gefahren.

Die Wanderer machten noch einen Versuch, weiterzugehen: aber überall stießen sie auf die gleiche Wildnis. Der Philosoph fing an zu rufen: jedoch seine Stimme verhallte ohne in der Umgegend das geringste Echo zu wecken. Nach einer Weile hörten sie ein schwaches Stöhnen, das einige Ähnlichkeit mit dem Heulen eines Wolfes hatte.

„Teufel — was ist hier zu machen?“ sagte der Philosoph.

„Was? — wir bleiben hier und übernachten im Feld,“ erwiderte der Theologe und griff in die Tasche, um sein Feuerzeug hervorzuholen und sich von neuem die Pfeife anzuzünden. Aber der Philosoph wollte nicht darauf eingehen: er hatte die Gewohnheit, vor dem Schlafengehn noch einen halben Zentner Brot und vier Pfund Speck zu vertilgen, und fühlte eine unerträgliche Leere im Magen; auch fürchtete er sich trotz seiner heiteren Gemütsart ein wenig vor den Wölfen.

„Nein, Haljawa, das geht nicht,“ sagte er. „Wollen wir uns etwa ohne jede Stärkung hinlegen und einschlafen, wie die Hunde? Versuchen wir’s doch noch einmal, vielleicht stoßen wir noch auf irgend ein Haus, und vielleicht glückt es uns wenigstens, vor dem Schlafengehen noch ein Gläschen Schnaps herunterzugießen.“

Bei dem Worte „Schnaps“ spuckte der Theologe aus und murmelte: „natürlich, wozu sollten wir auch im Freien übernachten?“

Die Burschen gingen weiter und glaubten bald zu ihrer großen Freude in der Ferne etwas wie Hundegebell zu vernehmen. Sie horchten, von welcher Seite das Gebell herkam, und schritten fröhlich vorwärts. Nach einer Weile erblickten sie ein Licht.

„Ein Gehöft, bei Gott, ein Gehöft,“ rief der Philosoph.

Seine Vermutung hatte ihn nicht betrogen. Nach einiger Zeit bemerkten sie eine Ansiedlung, die nur aus zwei Hütten und einem Hof bestand. In den Fenstern schimmerte Licht; ein Dutzend Pflaumenbäume ragte über den Zaun. Als die Burschen durch die Spalten zwischen den Brettern des Tores blickten, gewahrten sie einen Hof, der voller großer Lastwagen stand. Jetzt erglänzten auch einige Sterne am Himmel.

„Hallo Brüder, jetzt heißt es energisch sein! Koste es was es wolle, wir müssen uns ein Nachtlager erobern!“

Die drei Bildungsbeflissenen klopften einmütig an das Tor und riefen: „Macht auf!“

Die Tür der einen Hütte knarrte, und einen Augenblick darauf sahen die Burschen ein altes Weib in einem Pelzrock vor sich.

„Wer ist da,“ rief sie, und hustete dumpf.

„Mütterchen, laß uns hier übernachten; wir haben uns verirrt, im Freien ist es ebenso schlimm wie in einem leeren Magen.“

„Was seid ihr für Volk?“

„Harmlose Leute: der Theologe Haljawa, der Philosoph Brut und der Rhetor Gorobetz.“

„Es geht nicht,“ knurrte die Alte, „mein Hof ist voll, jeder Winkel ist besetzt. Wo soll ich hin mit euch? Mit solchen großen, gesunden Burschen! Meine Hütte wird noch einstürzen, wenn ich solche Riesen in ihr unterbringe. Diese Theologen und Philosophen kenne ich: wenn man sich erst einmal mit solchen Trunkenbolden einläßt, ist man bald ohne Haus und Hof. Macht, daß ihr weiter kommt, hier ist kein Platz für euresgleichen!“

„Erbarme dich Mütterchen! Das geht doch nicht, daß ein Christenmensch so um nichts und wieder nichts umkommen soll. Steck uns, wohin du willst, wenn wir nur das Geringste anstellen — dann mögen uns die Hände verdorren, Gott weiß, was uns da passieren mag ... Hörst du?“

Wie es schien, ließ sich die Alte ein wenig erweichen. „Gut,“ sagte sie nach kurzem Bedenken, „ich will euch hereinlassen, aber ich werde jedem von euch einen anderen Ort anweisen; ich habe keine Ruhe, wenn ihr zusammen bleibt.“

„Wie du willst, wir fügen uns in alles,“ antworteten die Burschen. Die Pforte knarrte, und sie traten in den Hof.

„Nun, wie steht’s, Mütterchen,“ sagte der Philosoph, während er der Alten folgte, „wenn du, sozusagen ... bei Gott, mir ist’s, als ob mir jemand mit einem Wagen im Magen herumfährt. Seit heute morgen habe ich keinen Bissen im Munde gehabt!“

„Sieh einer an, was der für Gelüste hat,“ sagte die Alte, „nein, ich habe nichts, und der Ofen ist heute auch gar nicht geheizt worden.“

„Wir würden ja morgen alles gehörig bezahlen,“ fuhr der Philosoph fort, „wahrhaftig — bar bezahlen.“ Und er setzte leise hinzu: „Hol dir’s doch vom Teufel.“

„Vorwärts, vorwärts, seid zufrieden mit dem, was man euch gibt. Daß mir der Teufel auch solch feine Herren zuführen mußte!“

Bei diesen Worten wurde es dem Philosophen Choma ganz wehmütig ums Herz, plötzlich aber witterte seine Nase den Geruch von getrockneten Fischen. Er warf einen Blick auf die Hosen des Theologen, der neben ihm ging, und sah, daß ihm ein riesiger Fischschwanz aus der Tasche ragte.

Der Theologe hatte nämlich schon Zeit gefunden, eine ganze Karausche aus der Fuhre wegzustibizen. Da dies aber nicht aus Habgier, sondern mehr aus Gewohnheit geschehen war, hatte er seine Karausche längst vergessen und spähte schon wieder nach allen Seiten, was er nun noch erwischen könnte: selbst ein zerbrochenes Rad war nicht sicher vor ihm. Der Philosoph Choma steckte daher seine Hand in Haljawas Tasche, als sei’s seine eigene, und holte die Karausche hervor.

Die Alte hatte die Burschen bald untergebracht: der Rhetor kam in die Hütte, der Theologe in eine leere Kammer, und den Philosophen führte sie in einen Schafstall.

Als der Philosoph allein war, verspeiste er sofort die Karausche, untersuchte die geflochtenen Wände des Stalls, versetzte einem neugierigen Schwein, das den Rüssel aus dem anstoßenden Kober hinein steckte, einen Stoß mit dem Fuß, und legte sich auf die rechte Seite, um sofort einzuschlafen wie ein Toter. Da öffnete sich plötzlich die niedrige Tür, und die Alte trat gebückt in den Stall.

„Ah, Mütterchen! Was willst du?“ sagte der Philosoph.

Aber die Alte ging mit ausgebreiteten Armen gerade auf ihn zu.

„Ach so,“ dachte der Philosoph. „Nein, mein Täubchen, du bist mir zu alt.“

Er rückte etwas ab, aber die Alte kam unbekümmert näher.

„Höre, Mütterchen, jetzt ist’s Fastenzeit, und ich gehöre zu den Menschen, die die Fasten auch für tausend Goldstücke nicht verletzen,“ sagte der Philosoph.

Aber die Alte sprach kein Wort; sie breitete ihre Arme aus und suchte ihn zu fangen.

Dem Philosophen wurde ganz unheimlich zumute, besonders als er merkte, daß ihre Augen in ungewöhnlichem Glanze aufleuchteten. „Mütterchen, was ist mit dir! Geh mit Gott!“ schrie er.

Aber die Alte sagte noch immer nichts und griff mit beiden Händen nach ihm.

Er sprang auf, um fort zu laufen, doch die Alte stellte sich in die Tür, sah ihn mit funkelnden Augen an und ging von neuem auf ihn los.

Der Philosoph wollte sie mit den Händen fortstoßen, aber er fühlte zu seinem Erstaunen, daß er die Arme nicht bewegen konnte. Seine Füße rührten sich nicht vom Fleck, er empfand mit Schrecken, daß ihm selbst die Stimme den Dienst versagte; er wollte etwas sagen, aber seine Lippen bewegten sich nur, ohne einen Laut hervorzubringen. Er hörte nur, wie sein Herz schlug und sah, wie die Alte dicht an ihn herantrat, ihm die Hände zusammen legte, ihm den Kopf hinabbog und mit katzenartiger Geschwindigkeit auf seinen Rücken sprang. Sie gab ihm mit dem Besen einen Schlag auf die Lenden, und er galoppierte wie ein Reitpferd davon und trug sie auf den Schultern fort. Dies alles geschah so schnell, daß der Philosoph gar nicht zur Besinnung kam; er griff mit beiden Händen nach seinen Knien und wollte die Beine festhalten; aber zu seiner größten Bestürzung bewegten sie sich gegen seinen Willen und machten Sprünge, wie der beste Tscherkessen-Renner. Erst als sie aus dem Gehöft heraus waren, und sich die weite Schlucht und der kohlschwarze Wald zu ihrer Rechten ausbreitete, da sagte er zu sich selbst: „Aha, das ist eine Hexe.“

Die ihm zugewandte Mondsichel leuchtete hell am Himmel, der schüchterne, nächtliche Glanz breitete sich gleich einer durchsichtigen Decke über die Erde und wogte wie eine zarte Rauchwolke hin und her; Wald, Wiesen, Himmel und Täler, alles schien mit offenen Augen zu schlafen; es war ganz windstill, nirgends schien sich ein Lüftlein zu regen. Etwas Feuchtes und Laues lag in der mitternächtlichen Kühle; die Schatten der Bäume und Sträucher fielen gleich Kometenschweifen spitz und kantig auf die abschüssige Ebene. In solcher Nacht jagte der Philosoph Choma Brut, mit seinem seltsamen Reiter auf dem Rücken, dahin. Ein wunderbar quälendes, unheimlich süßes Gefühl erfüllte sein Herz. Er senkte den Kopf und sah, daß das Gras, das seine Füße noch kurz zuvor berührt hatten, jetzt tief, tief unter ihm lag, und darüberhin floß ein durchsichtiges Gewässer, krystallhell wie das einer Gebirgsquelle; das Gras schien den Boden eines hellen, durchsichtigen, bis zum Grunde klaren Meeres zu bilden, wenigstens sah er deutlich, daß er sich mit der auf seinem Rücken hockenden Alten darin spiegelte. Er sah dort unten statt des Mondes eine Sonne aufleuchten, er hörte die blauen Glockenblumen mit gesenkten Köpfchen läuten und er bemerkte, wie eine Nixe aus dem Riedgras hervorschwamm — ihr Rücken und ihre vollen prallen Lenden bebten und leuchteten, sie schien ganz aus Licht und Glanz gewebt. Sie wandte sich ihm zu, und er blickte ihr in ihr Antlitz mit den klaren, hellen, strahlenden Augen — sie kam näher, ihrem Munde entströmte ein Gesang, der ihm bis in die Tiefen der Seele drang — jetzt schwamm sie auf der Oberfläche — stimmte ein silberhelles Lachen an und entfernte sich wieder. Doch nun warf sie sich auf den Rücken. Ihre Brüste, die mit dem sanften Glanze des Porzellans, dem der Schmelz fehlt, wie durch eine Wolkenhülle hindurchschimmerten, leuchteten aus ihrer weißen, schwellenden, zarten Umgebung hervor; das Wasser rann wie ein Perlenregen in kleinen Tröpfchen auf sie herab, und sie zittert und bebt und lacht hell aus der Flut hervor. —

Sieht er es oder sieht er es nicht? Träumt er oder ist er wach? Und was soll das bedeuten? Ist das vielleicht der Wind, oder ist es Musik? Es klingt und klingt, steigt auf und kommt näher und dringt ihm in die Seele wie ein unerträglicher jubelnder Triller.

„Was ist das,“ dachte der Philosoph Choma Brut während er hinunter blickte, und raste weiter. Der Schweiß floß ihm in Strömen von der Stirn; er hatte ein dämonisch-süßes Gefühl; eine durchbohrende, quälende, schreckliche Wonne rieselte durch seinen Körper. Manchmal glaubte er, daß er kein Herz mehr habe, und er griff erschrocken mit der Hand danach. Erschöpft und verwirrt begann er alle ihm bekannten Gebete vor sich hin zu murmeln; er wiederholte alle Geisterbeschwörungen und fühlte plötzlich etwas wie eine Erleichterung; er merkte, wie sein Schritt sich verlangsamte, die Hexe klammerte sich weniger fest an seinen Rücken, er berührte das dichte Gras, das für ihn alles Außergewöhnliche verloren hatte, wieder mit den Füßen. Die Mondsichel leuchtete hell am Himmel.

„Vortrefflich,“ dachte der Philosoph Choma und begann seine Beschwörungen fast laut herzusagen. Endlich sprang er mit blitzartiger Schnelligkeit unter der Alten fort, und setzte sich nun seinerseits auf ihren Rücken. Die Alte lief mit kurzen kleinen Schritten vorwärts, aber so schnell, daß dem Reiter fast der Atem ausging. Er konnte die Erde kaum noch erkennen; alles war deutlich sichtbar, obgleich es nicht einmal Vollmond war. Die Täler waren flach, aber die große Schnelligkeit mit der sie vorüberrasten, ließ dem Auge alles unklar und trügerisch erscheinen. Choma ergriff ein am Boden liegendes Holzscheit, und begann die Alte aus Leibeskräften zu prügeln. Sie stöhnte anfangs wütend und drohend auf, dann aber schwächer, angenehmer, immer reiner und leiser, und zuletzt klang es wie Silberglockengeläut, und drang ihm tief in die Seele. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke: ist das wirklich noch die Alte? „Ach, ich kann nicht mehr!“ flüsterte sie ganz erschöpft und fiel zu Boden.

Er sprang auf, und sah ihr in die Augen. Die Morgenröte stieg empor, in der Ferne erstrahlten die Kirchen von Kiew. Vor ihm lag ein wunderbar schönes Mädchen, mit einem herrlichen zerzausten Zopf, und schweren, seidenweichen Wimpern, die so lang waren, wie ein Pfeil. Sie breitete gefühllos ihre nackten, weißen Arme aus, richtete die tränenerfüllten Augen nach oben und stöhnte.

Choma zitterte am ganzen Körper wie ein Espenblatt. Etwas wie Mitleid, eine seltsame Aufregung, und eine ihm bis dahin ganz fremde Schüchternheit erfaßten ihn. Er sprang auf und lief so schnell er konnte. Sein Herz klopfte unruhig; er vermochte sich das neue Gefühl, das ihn gepackt hatte, garnicht zu erklären. In das Gehöft zurückzukehren — dazu verspürte er keine Lust; so lief er denn nach Kiew, und dachte den ganzen Weg lang über das unerklärliche Abenteuer nach.

Es war kaum noch ein Seminarist in der Stadt. Alle waren auf den Dörfern „in Kondition,“ oder auch nicht, da man auf den kleinrussischen Gütern Käse, Saure Gurken und Quarkkuchen, die so groß sind wie ein Hut, essen darf, ohne einen Heller dafür zu bezahlen. Die große baufällige Hütte, in der die Bursa einquartiert war, stand ganz leer, und soviel der Philosoph auch in allen Ecken herumsuchen mochte — er ließ selbst die Löcher und Spalten im Dach nicht unbeachtet — nirgends fand er ein Stück Speck, ja nicht einmal eine alte Bretzel, die die Seminaristen an solchen Stellen zu verstecken pflegten.

Übrigens fand der Philosoph bald ein Mittel, um dies Übel abzustellen. Er ging auf den Markt, spazierte hier drei- bis viermal pfeifend auf und ab, winkte einer am anderen Ende sitzenden jungen Witwe mit einem gelben Kopftuch zu, die mit Bändern, Schrot und Rädern handelte, und wurde noch am selben Tage mit Quarkkuchen aus Weizenmehl, Hühnerbraten usw. versorgt — es ist unmöglich, aufzuzählen, was da alles auf dem Tische stand, der in einem kleinen Lehmhäuschen inmitten eines Kirschgartens gedeckt wurde. Am Abend sah man den Philosophen in der Schenke; er lag auf der Bank, rauchte wie gewöhnlich seine Pfeife und warf dem jüdischen Wirt vor allen Leuten ein kleines Goldstück hin. Vor ihm stand ein Krug mit Schnaps, er betrachtete die Kommenden und Gehenden mit gleichgültigen, zufriedenen Blicken und dachte nicht im geringsten mehr an sein seltsames Abenteuer.


Inzwischen aber verbreitete sich überall das Gerücht, die Tochter eines der reichsten Hauptleute — der ungefähr 50 Werst von Kiew eine Besitzung hatte — sei eines Morgens ganz zerschlagen von einem Spaziergang zurückgekommen. Sie hätte kaum noch die Kraft gehabt, das väterliche Haus zu erreichen, läge im Sterben, und hätte den Wunsch geäußert, der Seminarist Choma Brut aus Kiew solle nach ihrem Tode während dreier Nächte, die Totenmesse bei ihr lesen. Der Philosoph erfuhr das alles durch den Rektor selbst, der ihn zu sich ins Zimmer beschied und ihn beauftragte, sich unverzüglich auf den Weg zu machen, da der berühmte Hauptmann zu diesem Zweck ein paar Leute und seinen Wagen hergeschickt hätte.

Der Philosoph zitterte; ein unerklärliches Gefühl überkam ihn. Er konnte sich selbst keine Rechenschaft über den Grund geben, aber eine dunkle Ahnung sagte ihm, daß ihm nichts Gutes bevorstände. Ohne selbst zu wissen warum, erklärte er geradeheraus, daß er nicht hinfahren werde.

„Hör’ mal Domine Choma,“ sagte der Rektor (es gab Fälle, wo er sehr höflich mit seinen Untergebenen umging), „kein Teufel fragt danach, ob du fahren willst oder nicht. Ich sage dir nur eins. Wenn du hier den Störrischen spielst und räsonierst, so lasse ich dir den Rücken und anliegende Körperteile so mit jungen Birkenruten durchbleuen, daß du dir den Gang ins Bad ersparen kannst.“ Der Philosoph kratzte sich ein wenig hinter dem Ohr, ging wortlos hinaus, und setzte seine ganze Hoffnung auf seine Beine, von denen er bei der ersten günstigen Gelegenheit Gebrauch machen wollte. Ganz in Gedanken versunken stieg er die steile Treppe hinab, die in den pappelumstandenen Hof führte und blieb einen Moment stehen; er hörte den Rektor mit deutlicher Stimme dem Verwalter und noch jemanden, — wahrscheinlich einem Boten des Hauptmanns, der nach ihm gekommen war, — Befehle erteilen und sagen:

„Danke deinem Herrn für die Grütze und die Eier und sage ihm, sobald die Bücher, von denen er schreibt, fertig sind, würde ich sie ihm zusenden; ich habe sie dem Schreiber schon zur Abschrift übergeben. Und noch was, mein Lieber, vergiß deinen Herrn nicht daran zu erinnern, daß ihr auf eurem Gut so herrliche Fische habt, besonders einen ganz ausgezeichneten Stör: er könnte mir bei Gelegenheit etwas davon schicken; bei uns auf den Jahrmärkten ist er nicht gut und zu teuer. Und du, Jantuch, gib den Leuten einen Becher Schnaps; den Philosophen aber bindet mir fest, sonst läuft er euch noch davon.“

„Sieh doch den Teufelskerl!“ dachte der Philosoph, „er hat es schon herausgeschnüffelt! So’n Schlammbeißer!“

Er ging hinunter und erblickte einen Wagen, den er zuerst für einen Getreideschuppen auf vier Rädern hielt; und wahrhaftig, er war so tief wie ein Ofen, in dem man Ziegel brennt. Dies war ein gewöhnlicher Krakauer Wagen, in dem an die fünfzig Juden samt ihrer Ware in allen Städten herumzufahren pflegen, wo sie nur einen Jahrmarkt wittern. Sechs gesunde, kräftige, ältere Kosaken erwarteten ihn. Die kurzen mit Troddeln verzierten Röcke aus feinem Tuch bewiesen, daß die Kosaken einem reichen und angesehenen Herrn dienten. Die kleinen Narben auf der Stirn ließen erkennen, daß sie im Kriege gewesen und nicht ganz ruhmlos gekämpft hatten.

„Was bleibt mir übrig! Kein Mensch kann seinem Schicksal entgehen,“ dachte der Philosoph, wandte sich an die Kosaken und rief mit lauter Stimme: „Grüß Gott, Kameraden!“

„Grüß Gott, Herr Philosoph,“ erwiderten einige von den Kosaken.

„Ich soll also mit euch zusammen fahren? Der Wagen kann sich schon sehen lassen!“ fuhr er fort und stieg ein. „Schade, daß keine Musikanten dabei sind, hier ließe sich’s gut tanzen!“

„Ja, es ist ein geräumiger Wagen,“ sagte der eine Kosak und stieg mit dem Kutscher auf den Bock. Dieser hatte statt der Mütze, die er in der Schenke gelassen, ein Tuch um den Kopf gebunden. Die übrigen fünf krochen mit dem Philosophen in die Versenkung und setzten sich dort auf Säcke, die mit allerlei Waren, welche die Kosaken in der Stadt gekauft hatten, angefüllt waren.

„Es wäre interessant, zu wissen,“ begann der Philosoph, „wieviel Pferde nötig wären, um den Wagen von der Stelle zu bringen, wenn man ihn mit allerhand Waren, etwa mit Salz oder Eisenschienen beladen würde“.

„Ja,“ sagte nach einigem Schweigen der Kosak, der auf dem Bock saß, „da wäre wohl eine große Menge dazu nötig“.

Mit dieser befriedigenden Antwort glaubte der Kosak sich das Recht erworben zu haben, den Rest des Weges über zu schweigen.

Der Philosoph hätte gern Genaueres über den Hauptmann erfahren: über seinen Charakter, was man über seine Tochter wußte, die unter so merkwürdigen Umständen nach Hause gekommen war und jetzt im Sterben lag, und deren Geschick nun mit seinem eigenen verknüpft wurde; wie sie leben und was sie zu Hause treiben. Er suchte seine Begleiter auszufragen, aber wahrscheinlich waren die Kosaken auch Philosophen, denn statt zu antworten, schwiegen sie still und rauchten, auf den Säcken hingestreckt, weiter.

Nur der eine wandte sich mit dem kurzen Befehl an den Kameraden auf dem Kutschbock: „Paß auf, Owerko, alter Maulaffe; wenn du bei der Schenke an der Straße nach Tschuchrailowsk vorbeikommst, so vergiß nicht anzuhalten und uns zu wecken, falls einer von uns einschlafen sollte.“

Hierauf schlummerte er ziemlich geräuschvoll ein. Übrigens war diese Ermahnung ganz überflüssig, denn kaum näherte sich das Riesengefährt der Schenke an der Straße nach Tschuchrailowsk, als alle wie aus einem Munde losschrien: „Halt!“ Auch waren Owerkos Gäule schon so abgerichtet, daß sie von selbst vor jeder Schenke still standen. Trotz des heißen Julitages krochen alle aus dem Wagen und gingen in die niedrige, schmutzige Stube, wo der jüdische Schankwirt seine alten Bekannten voller Freude begrüßte. Der Jude holte sofort ein paar Würste aus Schweinefleisch herbei, die er unter seinen Rockschößen versteckt hielt, und legte sie auf den Tisch, um sich schleunigst von diesem vom Talmud verbotenen Gericht abzuwenden. Alle setzten sich um den Tisch herum, und bald hatte jeder Gast einen Tonkrug vor sich stehen. Auch der Philosoph, Choma Brut, mußte an dem gemeinsamen Mahle teilnehmen. Und da die Kleinrussen sofort anfangen, sich zu küssen oder zu heulen, wenn sie ein wenig angetrunken sind, so hallte die Hütte bald von schallenden Küssen wider. „Laß uns anstoßen Spirid! Komm her Dorosch, ich will dich küssen!“ Einer der Kosaken, der etwas älter war als die anderen, und dessen Schnurrbart schon grau zu werden begann, stützte seinen Kopf auf die Hand und fing bitterlich an zu weinen. Er jammerte, daß er weder Vater noch Mutter habe und ganz allein auf der Welt dastehe. Ein anderer, der ein großer Schwätzer war, tröstete ihn fortwährend, und sagte: „Weine doch nicht, bei Gott, weine nicht, was ist dann dabei .... Gott weiß schon, warum es so ist.“

Ein anderer, namens Dorosch, wurde plötzlich sehr neugierig, wandte sich an den Philosophen Choma und fragte ihn in einem fort. „Ich möchte gern wissen, was man euch in der Bursa eigentlich beibringt. Das, was der Vorsänger in der Kirche vorliest, oder etwas anderes?“

„Frag’ doch nicht,“ sagte der Schwätzer gedehnt, „laß es doch, gehn wie es geht. Gott weiß schon, wie es am besten ist, Gott weiß alles!“

„Nein, ich will wissen, was in den Büchern steht,“ sagte Dorosch, „vielleicht ist es etwas ganz anderes, als was der Vorsänger sagt!“

„Mein Gott, mein Gott,“ sagte der weise Moralist, „wie kann man nur so sprechen? Gott hat es nun einmal so gemacht: und was Gott gemacht hat, das läßt sich nicht ändern.“

„Ich will aber alles wissen, was in den Büchern steht; ich will in die Bursa eintreten, bei Gott, ich werde dort eintreten! Was? was denkst du? Ich werde nichts lernen? Alles werde ich lernen, alles!“

„Mein Gott, mein Gott,“ sagte der Moralist, und legte seinen Kopf auf den Tisch, er war wirklich nicht mehr imstande, ihn noch länger auf den Schultern zu tragen. Die übrigen Kosaken sprachen von ihren Herrschaften und darüber, warum wohl der Mond am Himmel leuchte.

Als der Philosoph Choma merkte, wie es in ihren Köpfen aussah, beschloß er den Moment auszunutzen und sich aus dem Staube zu machen. Zuerst wandte er sich an den graubärtigen Kosaken, der sich um Vater und Mutter grämte. „Was weinst du Onkelchen?“ fragte er. „Sieh, ich bin auch eine Waise. Freunde, laßt mich laufen! Gebt mir die Freiheit! Wozu braucht ihr mich?“

„Lassen wir ihn laufen,“ sagten einige, „er ist ja eine Waise. Lassen wir ihn gehn, wohin er will.“

„O mein Gott, mein Gott,“ stöhnte der Moralist, langsam seinen Kopf erhebend, „laßt ihn laufen! Mag er gehen, wohin er will!“

Und die Kosaken waren schon im Begriff, ihn selbst ins Freie zu führen, aber der, der so viel Wißbegierde gezeigt hatte, hielt sie zurück und sagte: „Rührt ihn nicht an; ich will mit ihm über die Bursa reden, ich werde selbst in die Bursa eintreten!“

Übrigens wäre ihm die Flucht kaum gelungen, denn als der Philosoph sich vom Tisch zu erheben suchte, fühlte er, daß seine Beine wie aus Holz waren, und er glaubte im Zimmer so viel Türen zu erblicken, daß er kaum die rechte gefunden hätte.

Erst gegen Abend fiel es der Gesellschaft ein, daß sie sich wieder auf den Weg machen müßte. Sie machten sich’s im Wagen bequem, und brachen auf, indem sie die Pferde antrieben und ein Lied anstimmten, dessen Sinn und Wortlaut wohl niemand enträtselt hätte. Nachdem sie die größere Hälfte der Nacht gefahren waren, wobei sie beständig vom Wege abkamen, obwohl sie ihn fast auswendig kannten, rollten sie endlich einen steilen Berg ins Tal hinab; der Philosoph erblickte zu beiden Seiten des Weges Staketzäune, Hecken und Dächer, die hier und da zwischen den niedrigen Bäumen hervorschauten. Es war ein großes Dorf, welches dem Hauptmann gehörte. Mitternacht war längst vorüber; der Himmel war dunkel, nur hier und da sah man einen einsamen Stern blinken und in keiner Hütte war ein Licht zu entdecken. Sie fuhren von Hundegebell begleitet in das Dorf ein. Auf beiden Seiten standen Scheunen und kleine Häuser mit Strohdächern; das eine, welches gerade in der Mitte und dem Tor gegenüber lag, war größer als die übrigen und schien dem Hauptmann als Wohnung zu dienen. Das Gefährt hielt vor einem kleinen Wagenschuppen, und unsere Reisenden legten sich nieder, um zu schlafen. Der Philosoph verspürte jedoch den Drang, sich die herrschaftlichen Wohnräume wenigstens von außen anzusehen, aber wie sehr er auch seine Augen anstrengte; er konnte nichts klar unterscheiden: statt des Hauses erblickte er einen Bären, und der Schornstein schien ihm dem Rektor zu gleichen. — Der Philosoph gab daher seine Bemühungen auf, und ging schlafen.

Als er wieder erwachte, war der ganze Hof schon in Bewegung: die Tochter des Hauses war in der Nacht gestorben. Die Diener liefen atemlos hin und her; ein paar alte Weiber heulten, eine Menge Neugieriger versuchte es, durch die Ritzen im Zaune zu erspähen, was auf dem herrschaftlichen Hof vorging. Der Philosoph begann, in aller Ruhe die Stätte zu betrachten, die er in der Nacht nicht hatte erkennen können. Das herrschaftliche Haus war ein kleines niedriges Gebäude, wie man sie in alten Zeiten in Kleinrußland zu bauen pflegte, und hatte ein Strohdach. Die kleine spitz zulaufende, hohe Giebelwand mit dem einen Fenster, das wie ein nach oben gerichtetes Auge aussah, war ganz mit blauen und gelben Blumen und roten Halbmonden bemalt. Sie ruhte auf Eichenpfosten, die oben rund und kunstvoll gedrechselt und unten sechseckig waren. Unter der Giebelwand befand sich eine kleine Treppe, und rechts und links standen Bänke. An den Seiten des Hauses gab es Schutzdächer auf ähnlichen und hier und da gewundenen Säulen. Davor stand ein hoher Birnbaum mit pyramidenförmiger Krone in der grünen Pracht seiner bebenden Blätter. In der Mitte des Hofes befanden sich mehrere, in zwei Reihen geordnete Speicher, die gleichsam eine breite Straße bildeten, welche direkt zum Herrenhause führte. Hinter den Speichern, dicht beim Tor, standen zwei dreieckige Kellergebäude, die einander gerade gegenüber lagen und gleichfalls mit Stroh gedeckt waren. Ihre dreieckigen Vorderwände hatten eine niedrige Tür, und waren mit allerlei Bildern bemalt. Auf der einen war ein Kosak dargestellt, der auf einem Faß saß und einen Krug mit der Inschrift: Ich trinke Rest! in die Höhe hob. Die andere hatte der Künstler mit runden und flachen Flaschen bemalt, und zu beiden Seiten erblickte man, was wohl besonders schön sein sollte, je ein Pferd, das sich emporbäumte, und ferner mehrere Pfeifen und Schellen, worunter zu lesen war: „Der Wein ist des Kosaken Wonne!“ Durch das riesige Bodenfenster guckten eine Trommel und ein paar kupferne Trompeten heraus. Am Tor standen zwei Kanonen. Dies alles ließ vermuten, daß der Hausherr sich zu amüsieren liebte, und daß der Hof oft von lustigen Gelagen widerhalle. Hinter dem Tor standen zwei Windmühlen. An der Rückseite des Hauses befanden sich Gärten, und zwischen den Wipfeln der Bäume sah man nichts wie die dunklen Kappen der Schornsteine, der im dichten Grün verborgenen Hütten. Das ganze Dorf lag auf dem breiten und ebenen Vorsprung eines Berges. Im Norden wurde dies alles von dem steil aufsteigenden Felsen abgeschlossen, der mit seinem Fuß bis dicht an den Hof heranreichte. Von unten gesehen schien er noch steiler zu sein und auf seinem Gipfel hoben sich die zerstreut stehenden Stengel des dürren Steppengrases schwarz vom hellen Himmel ab. Die nackte Lehmerde war ganz von Wasserrinnen und Regenlöchern zerrissen und verbreitete eine seltsame Schwermut. Auf dem abschüssigen Abhang sah man an zwei Stellen je eine Hütte stehen, deren eine von einem Apfelbaum beschattet wurde, der an der Wurzel durch kleine Pflöcke gestützt, mit herangefahrener Erde bedeckt war, und dessen Äpfel, die der Wind herunterwarf, bis in den herrschaftlichen Hof rollten. Vom Gipfel führte ein Weg über den ganzen Berg am Hofe vorbei bis ins Dorf hinunter. Als der Philosoph den furchtbaren Abhang des Berges betrachtete, und sich der gestrigen Fahrt erinnerte, sagte er sich, der Hausherr müsse fabelhaft kluge Pferde, oder die Kosaken enorm harte Köpfe haben, wenn sie nicht einmal im Rausche mitsamt dem riesigen Gefährt und dem Gepäck Hals über Kopf in den Hof hinabgerollt waren. Der Philosoph stand auf dem höchsten Punkte des Hofes: als er sich umwandte und auf die entgegengesetzte Seite blickte, bot sich ihm ein ganz anderes Bild dar. Das Dorf zog sich längs dem Abhange bis in die Ebene hin. Unabsehbare Wiesen erstreckten sich im Umkreis bis an den Horizont, deren helles Grün sich in der Ferne immermehr verdunkelte. Im Hintergrunde sah man eine ganze Reihe von Gehöften im blauen Dämmerlicht dagegen, obgleich sie wohl zwanzig und mehr Werst weit entfernt sein mochten. Rechts von diesen Wiesen zog sich eine Hügelkette hin, und ganz hinten erglühte ein dunkler Streifen des Dnjepr.

„Welch herrliches Stück Erde,“ sagte der Philosoph, „wie schön ließe sich’s hier leben; im Dnjepr und in den Teichen könnte man Fische fangen, und mit Gewehr und Netz auf Schnepfen und Zwergtrappen jagen; übrigens wird es in diesen Wiesen auch andere Trappen geben. Man könnte in Hülle und Fülle Früchte trocknen, und sie in der Stadt verkaufen, oder noch besser Schnäpse daraus machen, denn Fruchtschnaps geht doch noch über Branntwein. — Herrgott, ich muß mich doch umsehen, wie ich am besten ausreißen könnte.“

Hinter dem Zaun bemerkte er einen kleinen Fußweg, der ganz mit Steppengras bewachsen war; mechanisch setzte er den Fuß drauf; er wollte anfangs nur ein wenig spazieren gehen, und dann still zwischen den Hütten hindurchschlendern und sich ins freie Feld schlagen. Da fühlte er plötzlich eine kräftige Hand auf seiner Schulter.

Hinter ihm stand der alte Kosak, der gestern über den Verlust von Vater und Mutter und über seine Einsamkeit geklagt hatte.

„Du hoffst vergeblich, aus diesem Hofe zu entfliehen, Herr Philosoph,“ sagte er, „das ist kein Haus, wo man davonlaufen kann; — übrigens sind auch die Wege sehr schlecht und beschwerlich für Fußgänger — geh lieber zum Herrn, er erwartet dich schon längst in seinem Zimmer.“

„Gut denn, gehn wir, warum auch nicht — ich habe nichts dagegen,“ antwortete der Philosoph und folgte dem Kosaken.

Der Hauptmann war schon alt. Er hatte einen grauen Schnurrbart und saß, den Kopf auf beide Hände gestützt, mit einem Ausdruck dumpfer Trauer am Tisch. Er mochte fünfzig Jahre alt sein; aber der tiefe Gram in seinen Zügen und die bleiche, schlechte Farbe bewiesen, daß sein Herz ganz plötzlich gebrochen und vernichtet, und daß all seine frühere Fröhlichkeit und das laute sorglose Leben für immer zerstört war. Als Choma mit dem alten Kosak in das Zimmer trat, nahm der Hauptmann die eine Hand vom Gesichte und nickte unmerklich mit dem Kopfe; Choma und der Kosak verbeugten sich tief vor ihm und blieben ehrfurchtsvoll an der Türe stehen.

„Wer bist du und wo kommst du her, mein Lieber. Was ist dein Beruf?“ fragte der Hauptmann nicht eben freundlich, aber auch nicht schroff.

„Ich bin ein Seminarist und heiße Choma Brut, der Philosoph.“

„Und wer war dein Vater?“

„Ich weiß es nicht, gnädiger Herr.“

„Und deine Mutter?“

„Meine Mutter habe ich auch nicht gekannt. Es ist natürlich selbstverständlich, daß ich eine Mutter gehabt habe, aber wer sie war, woher sie stammte und wo sie gelebt hat, das weiß ich bei Gott nicht, gnädiger Herr!“

Der Alte schwieg und schien einen Augenblick in Grübeleien versunken.

„Wie hast du denn meine Tochter kennen gelernt?“

„Ich habe sie gar nicht kennen gelernt, gnädiger Herr, bei Gott, ich habe sie nie kennen gelernt. Solange ich auf der Welt bin, habe ich noch nie mit einem Fräulein zu tun gehabt. Gott bewahre mich davor, um nichts Unschicklicheres zu sagen.“

„Warum hat sie denn aber gerade dich und keinen anderen dazu bestimmt, an ihrem Sarge zu beten?“

Der Philosoph zuckte die Achseln. „Mein Gott, wie soll ich das erklären? Es ist ja bekannt, daß die vornehmen Herrschaften manchmal auf Dinge kommen, die auch der gelehrteste Mensch nicht zu erklären vermag. ‚Wenn der Herr will — muß der Knecht springen‘, sagt das Sprichwort.“

„Lügst du auch nicht, Herr Philosoph?“

„So wahr ich hier stehe, der Blitz soll mich treffen, wenn ich lüge!“

„Wenn sie nur noch einen Augenblick länger gelebt hätte,“ sagte der Hauptmann traurig, „dann hätte ich gewiß alles erfahren. ‚Laß niemand für mich beten, Vater, schicke gleich in das Kiewer Seminar und laß den Seminaristen Choma Brut kommen. Er soll drei Nächte lang für meine sündige Seele beten. Er weiß alles ...‘ was er aber wissen sollte, das bekam ich nicht mehr zu hören. Nur dies konnte mein Liebling noch sagen, dann starb sie. Du bist sicherlich durch deinen reinen Lebenswandel und durch deine Gottesfurcht berühmt, mein Lieber, und sie hat vielleicht von dir gehört.“

„Wer? Ich?“ sagte der Seminarist und trat vor Erstaunen einen Schritt zurück. „Ich, wegen meines gottesfürchtigen Lebens berühmt?“ Er sah dem Hauptmann gerade in die Augen. „Gott segne Sie! Herr, was sagen Sie da! Ich ... ich ... ich schäme mich fast, davon zu reden ... aber ich bin am Abend vor Gründonnerstag noch zur Bäckerin gegangen!“

„Nun, nun ... sie wird schon ihren Grund gehabt haben, als sie diese Bestimmung traf! Du mußt gleich heute beginnen.“

„Euer Gnaden, gestatten Sie mir, darauf zu erwidern ... natürlich, jeder Mensch, der die heilige Schrift kennt, kann ja — je nach den Verhältnissen ... aber hier wäre ein Diakonus oder wenigstens ein Vorsänger mehr am Platz. Das sind doch verständige Leute, die da wissen, wie alles gemacht werden muß ... ich dagegen ... ich habe ja nicht einmal die Stimme, die dazu nötig ist, ich bin ... weiß der Teufel, was ich bin! Ich sehe ja auch nach nichts aus!“

„Mach, was du willst, aber ich will alles tun, was mein Liebling bestimmt hat, und nichts soll mich gereuen. Wenn du von heute an die üblichen drei Nächte bei ihr wachen und beten willst, sollst du reichlich belohnt werden. Wenn du dich dagegen weigerst — ich möchte selbst dem Teufel nicht raten, mich zu reizen!“

Der Hauptmann sprach diese letzten Worte mit solch einer Energie aus, daß der Philosoph ihren Sinn vollkommen begriff.

„Folge mir,“ sagte der Hauptmann.

Sie traten in den Flur. Der Hauptmann öffnete die Tür des gegenüberliegenden Zimmers. Der Philosoph blieb einen Augenblick im Flur stehen, um sich die Nase zu putzen, und trat dann mit einem unwillkürlichen Schauder über die Schwelle.

Der ganze Boden war mit rotem chinesischem Tuch bedeckt. In der Ecke, unter den Heiligenbildern war die Tote auf einem hohen Tisch aufgebahrt. Sie lag auf einer blausamtenen Decke, die mit goldenen Fransen und Quasten geschmückt war. Am Kopf- und Fußende standen hohe mit Schneeballblüten umwundene Wachskerzen, die ein mattes Licht verbreiteten, das in der Helle des Tages verblich. Vor der Leiche saß der untröstliche Vater; er hatte der Tür den Rücken zugekehrt und verdeckte das Antlitz der Entschlafenen, sodaß Choma es nicht sehen konnte. Der Philosoph war aufs höchste erstaunt über die Worte, die er bei seinem Eintritt ins Zimmer vernahm.

„Ich weine nicht deshalb, liebes Töchterlein, weil du mir zum Kummer und Herzeleid, in der Blüte der Jahre die Erde verläßt, ohne das Alter erreicht zu haben, das dem Menschen vergönnt ist; ich klage darüber, daß ich nicht weiß, welcher grimme Feind deinen Tod verursacht hat. Wüßte ich, wer es gewagt hat, dich zu beleidigen, oder nur ein böses Wort über dich zu sagen — bei Gott, wenn er ein alter Mann ist, wie ich, er sollte seine Kinder nicht wiedersehn; — und wenn er noch jung ist, sollte er nie wieder zu Vater und Mutter zurückkehren. Seine Leiche sollte den Vögeln und wilden Tieren der Steppe zum Fraße dienen! Weh mir, du Blume des Feldes, meine kleine Wachtel, du Licht meiner Augen — ich muß den Rest meiner Tage freudlos und traurig verbringen und mit dem Saum meines Rockes die kargen Tränen trocknen, die aus meinen alten Augen tropfen, während meine Feinde sich des Lebens freuen, und sich in der Stille über den schwachen Greis lustig machen werden!“

Er schwieg, ein heftiger Schmerz erschütterte ihn und machte sich in einem Tränenstrom Luft.

Der Philosoph war tief gerührt von diesem namenlosen Kummer. Er hustete ein wenig, stieß einen dumpfen krächzenden Ton aus und räusperte sich.

Der Hauptmann wandte sich um und wies ihm einen Platz am kleinen Lesepult zu Häupten der Toten an. Auf dem Pult lagen mehrere Bücher.

„Ich will die drei Nächte schon irgendwie hinbringen und mein Pensum absolvieren,“ dachte der Philosoph, „dafür wird mir der Herr auch beide Taschen mit neuen glänzenden Goldstücken anfüllen.“

Er ging näher, räusperte sich noch einmal und begann zu lesen, ohne sich umzusehen, denn er hatte nicht den Mut, der Toten ins Gesicht zu blicken. Eine tiefe Stille umfing ihn: er merkte, daß der Hauptmann hinausgegangen war. Langsam wandte er den Kopf um, um die Tote anzusehen und ....

Ein Zittern lief durch seine Glieder: vor ihm lag das schönste Mädchen, das je auf Erden gelebt hatte. Wohl nie noch war in der Form der Gesichtszüge strenge Schönheit so mit Harmonie vereinigt gewesen wie hier. Sie lag da wie eine Lebende; die herrliche, zarte, schnee- und silberweiße Stirn schien auf eine intensive Gedankenarbeit hinzudeuten, die feinen edlen Brauen, die wie ein nächtliches Dunkel die sonnige Helle des Tages durchbrachen — schwangen sich stolz über die geschlossenen Augen; lange Wimpern senkten sich wie eine Schar spitzer Pfeile auf die vom Feuer geheimer Wünsche glühenden Wangen; die rubinroten Lippen schienen zu einem seligen Lächeln und zu Ausbrüchen des Glücks und der Freude bereit .... Und doch glaubte er in diesen Zügen etwas Schauerliches zu entdecken, das sich tief in seine Seele bohrte. Choma fühlte einen quälenden Schmerz in seinem Herzen; es war, wie wenn mitten im Wirbel ausgelassener Fröhlichkeit und einer sich im wilden Taumel drehenden Menge jemand einen Choral angestimmt hätte. Die Rubinlippen leuchteten so rot wie Herzblut. Plötzlich glaubte er in ihrem Gesicht etwas furchtbar Vertrautes zu erkennen; mit völlig veränderter Stimme schrie er auf: „Es ist die Hexe ..“, erblaßte, wandte die Augen ab und begann von neuem die Gebete herunter zu lesen. Es war dieselbe Hexe, die er getötet hatte.

Als die Sonne herabzusinken begann, wurde die Verstorbene in die Kirche getragen. Der Philosoph stützte den schwarzen Sarg mit seiner Schulter und Eiseskälte durchrieselte ihn. Der Hauptmann ging selbst voran, und hielt die rechte Seite des engen Totengehäuses mit der Hand fest. Die verwitterte hölzerne Kirche mit ihren drei kegelförmigen Kuppeln stand trübselig und moosbewachsen am Ende des Dorfes: man spürte, daß hier lange kein Gottesdienst gehalten worden war. Fast vor jedem Heiligenbilde brannten Kerzen. Der Sarg wurde in der Mitte der Kirche, gegenüber dem Altare hingestellt. Der alte Hauptmann küßte die Tote noch einmal, warf sich nieder, berührte den Boden mit der Stirn und verließ mit den Trägern die Kirche, nachdem er den Befehl gegeben hatte, dem Philosophen gut zu essen zu geben und ihn abends wieder in die Kirche zu führen. Als sie in die Küche traten, legten alle, die den Sarg getragen hatten, einer nach dem andern die Hand an den Ofen, was die Kleinrussen stets zu tun pflegen, wenn sie eine Leiche gesehen haben. Der Hunger, welchen der Philosoph um diese Zeit zu spüren begann, ließ ihn auf einige Augenblicke die Tote vollständig vergessen. Allmählich versammelte sich hier das ganze Gesinde, denn die Küche des Hauptmanns war eine Art Klub oder Versammlungsort, und hier strömte alles zusammen, was im Hofe lebte, selbst die Hunde, die schweifwedelnd vor der Tür erschienen, um sich einen Knochen und andere Abfälle zu holen. Jeder, der irgendeinen Auftrag erhalten hatte, oder irgendwohin geschickt worden war, kam immer erst in die Küche, um sich einen Augenblick auf die Bank zu legen, auszuruhen und eine Pfeife zu rauchen. Alle Junggesellen, die im Hause lebten und in eleganten Kosakenröcken umher liefen, lagen fast den ganzen Tag lang auf dem Ofen, oder auf und unter den Bänken — mit einem Wort überall, wo sich ein bequemes Ruheplätzchen fand. Außerdem hatte immer jemand etwas in der Küche vergessen: seine Mütze, die Peitsche, die für die fremden Hunde bestimmt war, oder etwas Ähnliches. Aber die zahlreichste Gesellschaft fand sich doch erst zum Abendbrot zusammen, dann kamen auch der Pferdehirt, der seine Pferde in die Hürden getrieben, und der Viehhirt, der die Kühe zur Tränke geführt hatte, und alle die, die am Tage nicht zu sehen gewesen waren. Beim Abendbrot wurde auch die schweigsamste Zunge redselig. Hier wurde gewöhnlich alles besprochen: wer sich neue Hosen genäht hatte, was sich im Innern der Erde befindet, und wer einen Wolf gesehen hatte. Hier kamen auch die Witzbolde zu ihrem Recht, an denen unter den Kleinrussen ja kein Mangel ist.

Der Philosoph setzte sich im Freien, mit vielen andern in einem großen Kreis, dicht an der Küchenschwelle nieder. Bald erschien eine Frau mit einem roten Kopftuch an der Tür; sie trug eine Schüssel mit heißen Klößen in den Händen und stellte sie in die Mitte vor die Hungrigen hin, die sich zum Abendessen anschickten. Jeder holte seinen Holzlöffel, und in Ermangelung eines Besseren, ein hölzernes Stäbchen aus der Tasche. Als die Kinnbacken sich langsamer zu bewegen anfingen und der Wolfshunger der ganzen Gesellschaft ein wenig gestillt war, begannen mehrere von den Anwesenden, sich zu unterhalten. Das Gespräch wandte sich natürlich der Verstorbenen zu.

„Ist es wahr,“ fragte ein junger Schafhirt, der an seinem Pfeifenriemen so viel Knöpfe und Messingplatten angebracht hatte, daß er dem Kramladen einer kleinen Händlerin glich, „ist es wahr, daß das Fräulein — ohne daß ich ihr deswegen etwas Böses nachsagen wollte, — es mit dem Gottseibeiuns zu tun gehabt hat?“

„Wer? Unser Fräulein?“ sagte Dorosch, der unserem Philosophen schon von früher bekannt war, „ja, das war eine richtige Hexe. Ich will jeden Schwur darauf ablegen — daß sie eine Hexe war.“

„Hör auf, Dorosch, hör auf,“ sagte der andere, der schon während der Fahrt eine große Neigung gezeigt hatte, alle Gegensätze zu mildern, „das geht uns nichts an, Gott mit ihr! Wozu sollen wir darüber sprechen.“ Aber Dorosch hatte gar keine Lust zu schweigen; er war erst eben mit dem Kellermeister in einer wichtigen Angelegenheit in den Keller gegangen, war nachdem er sich ein paarmal über zwei oder drei Fässer gebeugt hatte, sehr aufgeräumt von dort zurückgekehrt und redete nun in einem fort.

„Was willst du? Daß ich schweigen soll?“ sagte er, „ja sie ist doch aber auf mir selbst herumgeritten! Bei Gott, sie ist auf mir herumgeritten!“

„Onkelchen,“ rief der junge Schafhirt mit den vielen Knöpfen, „gibt es ein Zeichen, an dem man eine Hexe erkennen kann?“

„Nein,“ antwortete Dorosch, „die kann kein Mensch erkennen; du kannst den ganzen Psalter durchlesen, und erkennst sie doch nicht!“

„Sag das nicht, Dorosch, man kann sie wohl erkennen,“ fiel ihm der Moralist von gestern ins Wort, „Gott hat nicht umsonst einem jeden sein besonderes Abzeichen gegeben: die Gelehrten sagen, daß die Hexen hinten ein kleines Schwänzchen haben.“

„Wenn sie alt wird, ist jedes Weib eine Hexe,“ sagte der alte Kosak kaltblütig.

„O, o, ihr seid mir die Rechten,“ rief die Alte, die eben frische Klöße in die Schüssel schüttete, „ihr seid mir rechte Wildschweine!“

Der alte Kosak, der Jawtuch hieß, aber den Spitznamen Kowtun erhalten hatte, schmunzelte vergnügt, als er sah, daß die Alte sich von seinen Worten getroffen fühlte, der Viehhirt aber brach in ein so wüstes Gelächter aus, als hätten zwei Ochsen sich gegenübergestellt und zu gleicher Zeit losgebrüllt.

Das begonnene Gespräch hatte die Neugierde und den dringenden Wunsch des Philosophen geweckt, Genaueres über die Tochter des Hauptmanns zu erfahren, und er fragte daher, um wieder auf das alte Thema zurückzukommen, seinen Nachbar:

„Ich möchte doch wissen, warum halten alle, die hier beim Abendbrot sitzen, die Tochter des Herrn für eine Hexe? Hat sie denn jemanden etwas Böses zugefügt? Oder ihn gar behext?“

„Es ist alles schon dagewesen,“ sagte einer der Zunächstsitzenden, der ein ganz glattes Gesicht hatte, das so eben war wie eine Schaufel.

„Wer erinnert sich nicht noch des Jägers Mikita, oder des ...“

„Und was ist mit dem Jäger Mikita geschehen?“ fragte der Philosoph.

„Halt! Ich will die Geschichte vom Jäger Mikita erzählen,“ rief Dorosch.

„Nein, ich will die Geschichte vom Mikita erzählen,“ schrie der Pferdehirt, „es war doch mein Gevatter!“

„Nein, ich will die Geschichte vom Jäger Mikita erzählen,“ sagte Spirid.

„Laßt ihn erzählen, laßt Spirid erzählen!“ riefen alle.

Spirid begann. „Du hast Mikita nicht gekannt, Herr Philosoph. Ja, das war ein seltener Mensch. Jeden Hund kannte er wie seinen leiblichen Vater. Der jetzige Hundeaufseher, Mikolo, der dritte dort in der Reihe, reicht lange nicht an ihn heran, obgleich er seine Sache auch gut versteht, aber gegen Mikita ist er nichts wie Schund und Dreck.“

„Du erzählst ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet,“ warf Dorosch ein und nickte zufrieden mit dem Kopfe.

Spirid fuhr fort. „Noch ehe du dir den Tabak aus der Nase wischst, hat der den Hasen gesehen. Es kam vor, daß er den Hunden zurief: ‚Auf, Räuber, auf Schneller‘ und saß selbst schon auf dem Gaul und sauste mit Windeseile davon. Es war unmöglich, vorauszusagen, ob er — die Hunde, oder die Hunde — ihn überholen würden. Der goß euch ein Viertel Branntwein hinunter, wie wenn nichts passiert wäre. Ein herrlicher Jäger! Aber plötzlich fing er an, sich in einem fort nach dem Fräulein umzusehen. War er in sie verschossen, oder hatte sie ihn schon behext, kurz der Mann war verloren, und ein richtiger Weiberknecht geworden. Weiß der Teufel, was aus dem geworden war. Pfui — man schämt sich, es auszusprechen.“

„Ausgezeichnet,“ sagte Dorosch.

„Das Fräulein brauchte ihn nur anzusehen, und die Zügel glitten ihm aus den Händen. Den ‚Räuber‘ nannte er ‚Brauner‘, er stotterte fortwährend und trieb weiß Gott was für einen Unsinn. Einmal kam das Fräulein in den Stall, wo er die Pferde putzte. ‚Erlaub mal, Mikita,‘ sagte sie, ‚daß ich meinen Fuß auf dich setze.‘ Und der Esel — freut sich noch und sagt: ‚nicht bloß deinen Fuß, setz dich ganz auf mich.‘ Das Fräulein hob den Fuß in die Höhe, und wie er ihr nacktes, volles, weißes Bein sieht, da hat mich der Zauber völlig betäubt, sagte er. Der Esel bückte sich, faßte ihre beiden nackten Beine mit seinen Händen und begann zu galoppieren wie ein Pferd, immer die Felder entlang und immer weiter; wohin sie eigentlich geritten waren, das wußte er nie zu sagen. Jedenfalls kam er halbtot zurück, und wurde von da ab dürr und mager wie ein Kienspan; als man einmal in den Pferdestall kam, lag an der Stelle, wo er sonst zu schlafen pflegte, nur ein Haufen Asche und ein leerer Eimer; er war verbrannt, ganz von selbst verbrannt. Und war doch ein Jäger gewesen, wie man auf der ganzen Welt keinen zweiten findet!“

Als Spirid seine Erzählung beendet hatte, begann man sich allerseits der Vorzüge des früheren Jägers zu erinnern.

„Hast du auch nichts von dem Scheptschicha gehört,“ wandte sich Dorosch an Choma.

„Nein.“

„He! Sieh an! Man scheint euch in der Bursa nicht viel Gescheites beizubringen. Na paß mal auf. Wir haben im Dorf einen Kosaken, Scheptun, einen feinen Kosaken sag ich dir. Er liebt es zwar, hin und wieder was zu stibitzen und einen ohne Grund anzulügen — aber er ist doch ein feiner Kosak. Seine Hütte liegt nicht weit von hier. Einst setzten sich also Scheptun und seine Frau zum Abendbrot, es war so um dieselbe Zeit wie jetzt; nach dem Abendessen legten sie sich nieder, und weil das Wetter schön war, legte sich die Frau auf den Hof, während sich Scheptun in der Hütte auf einer Bank ausstreckte, oder nein: die Frau lag in der Hütte auf der Bank und Scheptun auf dem Hof ...“

„Die Frau legte sich auch nicht auf die Bank, sondern auf den Boden,“ rief eine Alte dazwischen, die auf der Schwelle stand und, den Kopf in die Hand gestützt, zuhörte.

Dorosch sah sie an, schlug die Augen nieder, sah sie dann noch einmal an und sagte nach einer Weile: „Wenn ich dir öffentlich deinen Unterrock aufstreife, wird dir das sicher nicht angenehm sein.“

Die Warnung verfehlte ihre Wirkung nicht; die Alte schwieg und hütete sich, ihn noch einmal zu unterbrechen.

Dorosch fuhr fort. „In der Wiege, welche mitten in der Hütte hing, lag ein einjähriges Kind, ich weiß es nicht mehr, ob es ein Knabe oder ein Mädchen war. Die Frau des Scheptun lag eine Weile da, da hört sie plötzlich, wie der Hund vor der Hütte scharrt und heult und heult, — es war um davonzulaufen. Die Frau erschrickt — die Weiber sind ja so ein dummes Volk, steckt ihnen abends die Zunge durch die Türspalte, so verlieren sie den Kopf vor lauter Angst — sie denkt aber doch: ich werde dem verdammten Hund eins auf die Schnauze geben, dann wird er wohl mit seinem Geheul aufhören. Sie nimmt also die Ofenzange und will die Tür öffnen, kaum aber hat sie sie ein wenig aufgetan, da springt der Hund zwischen ihren Beinen hindurch und stürzt auf die Wiege des Kindes los. Jetzt sah die Frau erst, daß es gar kein Hund war, sondern das Fräulein — ja wenn es noch das Fräulein gewesen wäre, wie sie es sonst gesehen hatte — das wäre noch nicht so schlimm gewesen; aber die Sache war eben die und der Umstand der: sie war ganz dunkelblau, und ihre Augen glühten wie feurige Kohlen. Sie ergriff das Kind, biß ihm die Gurgel entzwei und fing an, ihm das Blut auszusaugen. Die Frau schrie bloß: Ach und weh, und stürzte aus der Hütte. Als sie sah, daß die Tür im Flur verschlossen war, kroch sie auf den Dachboden: da sitzt nun das dumme Weib und zittert, aber plötzlich sieht sie, wie das Fräulein ihr auf den Boden nachklettert — und hier wirft sich das Fräulein über das dumme Weib und fängt an, sie zu beißen. Am nächsten Morgen holt Scheptun seine Frau ganz blau und zerbissen vom Boden herunter — und am folgenden Tage starb das dumme Weib. Was es nicht für Dinge und Vorfälle gibt! Ja, ja, wenn sie auch von vornehmer Herkunft ist — eine Hexe bleibt sie doch!“

Nach dieser Erzählung blickte sich Dorosch zufrieden im Kreise um und bohrte seine Finger tief in die Pfeife, um sie von neuem zu stopfen. Das Hexenthema war unerschöpflich, ein jeder brannte darauf, etwas zu erzählen. Zu dem einen war die Hexe in Gestalt eines Heuschobers bis dicht an die Tür gekommen; einem andern hatte sie die Mütze oder die Pfeife gestohlen; vielen Mädchen im Dorfe hatte sie die Zöpfe abgeschnitten, und andern das Blut eimerweis ausgesogen.

Endlich merkte die ganze Gesellschaft, daß sie sich erheblich verplaudert hatte, denn es war auf dem Hofe stockfinster geworden. Alle suchten ihr Lager auf, das sich teils in der Küche, teils auf dem Speicher oder im Hofe befand. „Nun, Herr Choma! für uns ist es jetzt Zeit, zu der Toten zu gehn,“ sagte der alte Kosak, indem er sich an den Philosophen wandte; sie gingen also zu viert — Spirid und Dorosch kamen auch mit — zur Kirche und wehrten mit ihren Peitschen die Hunde ab, die in Massen auf der Dorfstraße herumlungerten, bellten und sich wütend in die Peitschengriffe verbissen.

Je mehr sie sich der erleuchteten Kirche näherten, um so lebhafter war die Angst, die der Philosoph im geheimen in seinem Herzen aufsteigen fühlte, obschon er sich durch einen tüchtigen Krug Schnaps gestärkt hatte. Die Geschichten und Abenteuer, die er soeben gehört hatte, hatten seine Phantasie noch mehr erregt. Die Dunkelheit, die in der Nähe des Staketenzaunes und unter den Bäumen herrschte, erhellte sich ein wenig, die Strecke wurde freier. Endlich traten sie in die alte Umfriedung vor der Kirche ein: da gab es keinen Baum, nur ödes Feld, und dahinter lagen in nächtliches Dunkel gehüllte Wiesen. Die drei Kosaken stiegen mit Choma die steilen Stufen der Treppe bis zum Flur hinauf und betraten die Kirche. Hier wünschten sie dem Philosophen eine glückliche Vollendung seiner Aufgabe und gingen fort, nachdem sie auf Befehl ihres Herrn die Tür hinter ihm geschlossen hatten.

Der Philosoph war allein. Erst gähnte er ein paarmal, dann streckte er sich, blies in beide Hände und sah sich endlich in der Kirche um. In der Mitte stand der schwarze Sarg. Vor den dunklen Heiligenbildern brannten Kerzen, aber das Licht erleuchtete nur den Altar und warf einen schwachen Schimmer bis in die Mitte der Kirche. Der hohe altertümliche Altar machte einen recht gebrechlichen Eindruck; das durchbrochene und vergoldete Schnitzwerk hatte nur noch an ganz vereinzelten Stellen seinen Glanz bewahrt, die Vergoldung war stellenweise abgebröckelt oder nachgedunkelt. Die Gesichter der Heiligen waren ganz schwarz und blickten sehr düster und ernst aus den Rahmen. Der Philosoph sah sich noch einmal um. „Nun,“ sagte er, „wovor hätte ich mich hier zu fürchten? Kein Mensch kann herein, und gegen Tote und Gespenster aus der andern Welt habe ich meine Gebete; wenn ich die hersage, wird kein Geist es wagen, mich auch nur mit einem Finger zu berühren. Ach was,“ fügte er resigniert hinzu, „also fangen wir an zu lesen.“ Als er in die Nähe des Chors kam, erblickte er einige Bündel Kerzen. „Das ist ausgezeichnet,“ dachte der Philosoph, „ich werde die ganze Kirche taghell erleuchten! Schade nur, daß man hier im Gotteshause keine Pfeife rauchen darf!“

Und er fing an, jedes Gesims, jedes Lesepult und jedes Heiligenbild mit Kerzen zu versehen; er sparte nicht mit ihnen, und bald war die ganze Kirche von Licht erfüllt. Nur oben schien die Dunkelheit noch größer geworden zu sein, und die düsteren Heiligen schauten noch finsterer aus ihren altmodischen, geschnitzten Rahmen, deren Vergoldung hier und da aufblitzte. Er näherte sich dem Sarge und blickte verstohlen der Toten ins Antlitz — ein leichtes Frösteln durchlief seine Glieder. Er mußte die Augen schließen vor dieser dämonisch strahlenden Schönheit!

Er wandte sich ab und wollte gehen; aber infolge einer seltsamen Neugierde, die den Menschen besonders in Augenblicken der Angst zu quälen pflegt, konnte er es nicht unterlassen, im Fortgehen noch einen Blick auf die Tote zu werfen, und als derselbe Schauder ihn durchrieselte, sie noch einmal anzusehen. Und in der Tat, die grausame Schönheit der Verstorbenen erschien ihm schrecklich. Vielleicht hätte sie diese lähmende Furcht nicht hervorgerufen, wenn sie weniger schön gewesen wäre. In den Zügen war nichts Schlaffes, Trübes, Erstarrtes; es war dem Philosophen, als wenn ihn die Tote trotz ihrer geschlossenen Augen ansähe. Es schien ihm, als ob eine Träne zwischen den Wimpern des rechten Auges hervorquelle, und als sie über die Wange rollte, sah er deutlich, daß es ein Blutstropfen war.

Er trat schnell zum Chor, schlug das Buch auf, und begann, um sich Mut zu machen, so laut als möglich zu lesen. Seine Stimme schlug gegen die längst verstummten, tauben Holzwände, aber sein voller Baß fand in der Totenstille kein Echo und erschien dem Leser rauh und fremd. „Wovor soll ich mich fürchten,“ dachte er sich, „sie wird doch nicht aus dem Sarge aufstehen! Sie wird doch Furcht vor dem Wort Gottes haben! Sie soll ruhig liegen bleiben! Was wäre ich für ein Kosak, wenn ich Furcht hätte? Sicher, ich habe ein wenig zu viel getrunken, daher ist mir’s so unheimlich. Ich will jetzt eine Prise nehmen. Hm, ein feiner Tabak! Ein herrlicher Tabak!“ Allein, während er die Seiten umblätterte, schielte er immer wieder nach dem Sarge, und ein unabweisbares Gefühl flüsterte ihm ins Ohr: „Jetzt wird sie gleich aufstehen. Da — jetzt erhebt sie sich. Jetzt sieht sie hierher!“

Aber nichts störte die Totenstille, der Sarg stand unbeweglich da, und die Kerzen strömten ein ganzes Meer von Licht aus. Wie schrecklich ist doch eine hellerleuchtete Kirche — nachts, wenn sie einen Leichnam beherbergt, und keine Menschenseele in ihr ist!

Er erhob seine Stimme und begann in den verschiedensten Tonarten zu singen, um den Rest von Angst in seiner Seele zu betäuben. Aber immer wieder wanderten seine Augen zum Sarge, wie wenn sie unwillkürlich fragen wollten: „und was wird geschehen, wenn sie sich plötzlich erhebt, und aus dem Sarge steigt?“

Allein der Sarg rührte sich nicht. Wenn auch nur das kleinste Geräusch zu hören gewesen wäre! Wenn nur ein lebendes Wesen einen Laut von sich gegeben hätte! Aber nicht einmal ein Heimchen machte sich im Winkel bemerkbar. Nur dann und wann hörte man das schwache Knistern einer entfernten Kerze, oder den leicht aufklopfenden Ton eines zu Boden fallenden Wachströpfchens.

„Wie wenn sie aufstünde!“

Sie erhob den Kopf ....

Er schaute wild um sich und rieb sich die Augen. Wahrhaftig, sie lag nicht mehr, sie saß aufrecht im Sarge. Er wandte den Blick ab, aber im nächsten Moment sah er wieder mit Schrecken nach dem Sarge. Sie war aufgestanden — und ging mit geschlossenen Augen durch die Kirche ... immer wieder breitete sie die Arme aus, als wolle sie jemanden umschlingen!

Jetzt kam sie direkt auf ihn zu. In seiner Todesangst beschrieb er einen Kreis um sich und betete aus Leibeskräften. Er sagte alle Beschwörungen her, die ihn ein Mönch gelehrt, welcher sein ganzes Leben lang mit Hexen und bösen Geistern zu tun gehabt hatte.

Dicht vor dem Kreise blieb sie stehen. Man sah, sie hatte nicht die Macht, ihn zu überschreiten und wurde ganz blau, wie ein Mensch, der schon vor mehreren Tagen gestorben ist. Choma hatte nicht den Mut, sie anzusehen, sie war zu schrecklich. Ihre Zähne schlugen aufeinander, und sie öffnete ihre toten Augen, aber sie vermochte nichts zu sehen. Voller Wut — die sich deutlich in ihrem verzerrten Gesichte widerspiegelte — wandte sie sich nach der anderen Seite, und umschlang mit ihren ausgebreiteten Armen jeden Pfeiler, und betastete jede Ecke: sie wollte Choma fangen. Endlich blieb sie stehen, drohte mit dem Finger und legte sich wieder in ihren Sarg.

Der Philosoph konnte nicht gleich wieder zu sich kommen, und blickte voller Furcht auf die enge Behausung der Hexe. Da aber riß sich der Sarg plötzlich mit einem Rucke los und begann mit furchtbaren Pfeifen durch die Kirche zu fliegen, wobei er die Luft nach allen Richtungen kreuzte. Der Philosoph sah ihn einen Augenblick dicht über seinem Kopf, aber er bemerkte wohl, daß er den von ihm beschriebenen Kreis nicht zu berühren vermochte, und verstärkte seine Beschwörungen. Der Sarg stürzte mitten in der Kirche wieder herab und blieb unbeweglich liegen. Wieder erhob sich der Leichnam, der jetzt ganz blau und grün aussah. Da ertönte der ferne Ruf eines Hahnes: der Leichnam sank in den Sarg zurück, und der Deckel fiel krachend zu.

Dem Philosophen klopfte das Herz zum Zerspringen. Er war ganz in Schweiß gebadet, aber durch den Hahnenschrei ermutigt, fing er an, schneller zu lesen, bis er sein Pensum Seite für Seite vollendet hatte. Beim ersten Frührot lösten ihn der Vorsänger, und der alte Jawtuch, der damals das Amt eines Kirchenvorstehers bekleidete, ab.

Nachdem der Philosoph sein fernes Lager erreicht hatte, konnte er noch lange nicht einschlafen. Endlich aber siegte die Müdigkeit, und er schlummerte bis zum Mittag. Als er erwachte, glaubte er das ganze nächtliche Abenteuer geträumt zu haben. Man gab ihm einen Quart Schnaps zur Stärkung. Beim Essen ermunterte er sich vollkommen, flocht ein paar Bemerkungen in die Unterhaltung ein und aß beinahe allein ein ziemlich ausgewachsenes Ferkel auf. Aber ein unerklärliches Gefühl hielt ihn ab, von den Ereignissen in der Kirche zu sprechen, und er antwortete auf alle neugierigen Fragen: „Ja, es gab dort mancherlei Wunderbares.“ Der Philosoph gehörte zu den Menschen, welche sehr leutselig werden, wenn man ihnen gut zu essen gibt. Er lag mit der Pfeife zwischen den Zähnen, auf der Bank, sah alle mit freundlichen Blicken an und spuckte unaufhörlich aus.

Nach dem Essen befand sich der Philosoph in der besten Laune. Er fand Zeit, durch das ganze Dorf zu spazieren und schloß fast mit allen Bekanntschaft; aus zwei Hütten wurde er sogar herausgeworfen, und eine hübsche junge Frau versetzte ihm einen Schlag mit der Schaufel, als er in seiner Neugierde nachprüfen wollte, aus was für einem Stoff ihr Hemd und ihr Rock genäht wären. Aber je näher der Abend heranrückte, um so nachdenklicher wurde der Philosoph. Eine Stunde vor dem Abendbrot versammelte sich fast das ganze Gesinde, um „Grütze“ oder „Klötzchen“ zu spielen, eine Art Kegelspiel, bei dem man statt der Kugeln lange Stöcke benutzt, und wo der Gewinner dann das Recht hat, auf dem Rücken seines Partners herumzureiten. Dieses Spiel hatte für den Zuschauer etwas äußerst Interessantes: oft stieg der Pferdehirt, ein breitschulteriger Kerl, der aufgeschwemmt war wie ein Pfannkuchen, auf den Rücken des Schweinehirten, eines elenden, ganz runzligen Männchens. Ein anderes Mal mußte der Pferdeknecht seinen Rücken darbieten, und Dorosch sagte jedesmal, wenn er ihn bestieg: „das ist ein kräftiger Stier“. Die solideren Leute saßen an der Küchenschwelle, rauchten ihre Pfeifen und blieben immer ernst, auch wenn die Jungen sich über einen Witz des Pferdeknechts oder Spirids vor Lachen ausschütten wollten. Choma machte vergeblich den Versuch, am Spiele teilzunehmen; ein finsterer Gedanke saß ihm wie ein Nagel im Kopf. Beim Abendbrot gab er sich die größte Mühe, munter zu sein, aber seine Angst stieg in dem Maße, als die nächtliche Dämmerung den Himmel überzog.

„Nun wird es auch Zeit für uns, Herr Seminarist,“ sagte der uns bekannte alte Kosak, indem er zugleich mit Dorosch aufstand, „komm, gehen wir an die Arbeit!“

Man führte Choma wie am vorigen Abend in die Kirche und wieder ließ man ihn allein; da stieg die Angst aufs neue in ihm auf. Wieder sah er die düsteren Heiligenbilder, die glänzenden Rahmen und den bekannten schwarzen Sarg, der in drohender Stille unbeweglich in der Mitte der Kirche stand.

„Nun, all diese Zaubereien sind mir ja jetzt nichts Neues mehr,“ sagte er, „das ist nur zum erstenmal so schrecklich. Ja das erstemal ist es etwas peinlich, — aber später ist es schon nicht mehr so schlimm, dann ist es gar nicht mehr schrecklich.“

Eilig betrat er den Chor, beschrieb einen Kreis um sich, sagte einige Beschwörungen her und begann laut zu lesen, fest entschlossen, die Augen nicht vom Buche zu erheben und auf nichts zu achten. Er mochte etwa eine Stunde gelesen haben und begann schon müde zu werden und dann und wann zu husten; er nahm daher seine Tabaksdose aus der Tasche; ehe er jedoch eine Prise nahm, schielte er scheu nach dem Sarge. Sein Herz erstarrte.

Die Tote stand vor ihm, dicht vor dem Kreise und bohrte ihre erloschenen grünen Augen in die seinen. Der Seminarist erbebte, Eiseskälte durchrieselte seinen ganzen Körper. Er heftete seine Augen auf das Buch und begann seine Gebete und Beschwörungen lauter herzusagen; hierbei hörte er, wie die Tote mit den Zähnen klapperte, und fühlte, wie sie ihre Arme ausbreitete, um ihn zu umschlingen. Er schielte mit einem Auge nach der Toten hin, und sah, daß diese nicht dahin griff, wo er stand — es war also klar, daß sie ihn nicht sehen konnte. Sie begann dumpf zu murren und sprach mit erstorbenen Lippen drohende Worte, die heiß aufzischten wie das Brodeln kochenden Peches. Er hätte nicht sagen können, was diese Worte zu bedeuten hatten, aber sie mußten etwas ganz Schreckliches enthalten. In seiner Todesangst begriff jedoch der Philosoph, daß es Beschwörungen waren. Nach ihren Worten erhob sich ein Sturm in der Kirche, ein Lärm wie von unzähligen Flügeln, die durch die Luft rauschten. Er hörte, wie die Flügel gegen die Fensterscheiben und eisernen Fensterrahmen der Kirche schlugen, er hörte es winseln und an dem Eisen kratzen, eine ungeheuere Kraft stieß donnernd gegen die Tür und wollte sie aufbrechen. Sein Herz schlug fortwährend zum Zerspringen, mit geschlossenen Augen las er seine Gebete und Beschwörungen — endlich ertönte etwas in der Ferne — es war ein ferner Hahnenschrei. Der gepeinigte Philosoph hielt inne und wurde ruhiger.

Als die Ablösung kam, fand man ihn halbtot an der Wand lehnend, und er stierte die hereintretenden Kosaken mit blöden Augen an. Fast mit Gewalt führten sie ihn hinaus und mußten ihn unterwegs die ganze Zeit über stützen. Als sie im Herrenhof ankamen, ermannte er sich jedoch und verlangte einen Quart Branntwein. Nachdem er ihn ausgetrunken hatte, strich er über sein Haar und sagte: „Es gibt viel Lumpenzeug auf der Welt. Und so viel Schreckliches ...“ Hierbei fuhr seine Hand durch die Luft.

Die Umstehenden ließen bei diesen Worten die Köpfe hängen. Selbst ein kleiner Junge, den alle im Hof schieben und stoßen zu können glaubten, wenn es den Stall zu reinigen oder Wasser zu tragen galt — selbst dieser arme Junge sperrte das Maul auf.

In diesem Augenblicke ging eine nicht mehr ganz junge Frau vorüber, deren enganliegendes Oberkleid ihre vollen drallen Hüften sehen ließ; sie war die Gehilfin der alten Köchin und ein furchtbar kokettes Frauenzimmer, dessen Kopftuch immer mit allerhand schönen Dingen aufgeputzt war: einem Endchen Band, einer Nelke, ja sogar, wenn gar nichts Besseres zur Hand war, mit einem Stückchen Papier.

„Guten Morgen, Choma,“ sagte sie, als sie den Philosophen erblickte. „Halloh, was ist denn mit dir los!“ schrie sie auf und schlug die Hände zusammen.

„Ja was denn, dummes Weib?“

„Mein Gott, du bist ja ganz grau!“

„Herrgott, Herrgott! Sie hat wirklich recht!“ sagte Spirid und sah ihn genauer an. „Du bist wirklich ganz grau geworden, wie unser alter Jawtuch!“

Als der Philosoph dies hörte, lief er schnell in die Küche, wo er ein kleines dreieckiges und ganz von Fliegen beschmutztes Stückchen Spiegel an der Wand gesehen hatte; es war mit Vergißmeinnicht, Nelken und sogar mit einer Girlande geschmückt, was darauf hindeutete, daß es einer putzsüchtigen Kokette bei der Toilette diente. Mit Schrecken sah Choma, daß sie die Wahrheit gesprochen hatte, die Hälfte seines Kopfes war wirklich ganz weiß!

Choma Brut ließ den Kopf hängen und überließ sich seinen Gedanken. „Ich will zu dem Herrn gehen,“ sagte er endlich, „ich will ihm alles erzählen und ihm erklären, daß ich die Gebete nicht mehr lesen will. Er soll mich gleich nach Kiew zurückschicken.“

Mit diesem Entschluß ging er auf die Freitreppe des Herrschaftshauses zu. Der Hauptmann saß fast regungslos in seinem Zimmer. Der trostlose Gram, den Choma schon früher auf seinem Gesichte bemerkt hatte, verdüsterte noch immer seine Züge, und seine Wangen waren vielleicht noch etwas hohler geworden. Man sah, daß er nur wenig oder gar keine Nahrung zu sich nahm. Die ungewöhnliche Blässe gab seinem Gesicht eine geradezu steinerne Unbeweglichkeit.

„Guten Morgen, du Ärmster,“ sagte er, als er Choma erblickte, der mit der Mütze in der Hand in der Türe stehen blieb. „Nun wie geht’s? Ist alles in Ordnung?“

„In Ordnung? Jawohl, das ist eine schöne Ordnung! Das ist ja der reinste Hexensabbat, daß man am liebsten seine Mütze nehmen und davonlaufen möchte, soweit einen die Füße tragen!“

„Wieso?“

„Ja Herr, Eure Tochter .... Wenn man sich’s ordentlich überlegt .... sie ist ja von vornehmer Abkunft, das wird niemand leugnen .... aber nehmt es mir nicht übel, Gott gebe ihrer Seele Ruhe ....“

„Was ist denn mit meiner Tochter?“

„Sie hat sich dem Teufel verschrieben. Es geschehen solche furchtbaren Dinge — da hilft kein Lesen und kein Beten ....“

„Lies nur, lies. Sie hat dich nicht umsonst hierher gerufen, sie war um ihr Seelenheil besorgt, das liebe Kind, und wollte alle Versuchungen durch Gebete zuschanden machen ...“

„Ich stehe in Ihrer Macht, Herr, aber bei Gott, ich kann nicht mehr!“

„Lies, lies nur weiter,“ fuhr der Hauptmann in dem gleichen mahnenden Tone fort, „es ist doch nur noch eine Nacht übrig geblieben, und du tust ein christliches Werk. Ich werde dich gut belohnen.“

„Und wenn die Belohnung noch so groß wäre, Herr! Nein, wie Ihr wollt, ich lese nicht mehr,“ sagte Choma entschlossen.

„Hör mal, Philosoph,“ sagte der Hauptmann, und seine Stimme wurde stark und drohend, „ich liebe solche Scherze nicht. So etwas magst du in deiner Bursa machen, aber nicht bei mir. Wenn ich dich durchprügeln lasse, dann sieht es etwas anders aus, als bei eurem Rektor — Weißt du, was ein guter lederner Riemen ist?“

„Wie sollte ich nicht?“ sagte der Philosoph und ließ die Stimme sinken: „ein jeder weiß, was lederne Riemen sind — ein größere Portion davon — das kann niemand aushalten.“

„Ja. Aber du weißt wohl noch nicht, wie meine Leute sich aufs Prügeln verstehen,“ sagte der Hauptmann drohend und erhob sich; seine Züge nahmen eine gebieterische und grausame Miene an, in der sich die ganze Zügellosigkeit seines Charakters spiegelte, die eben nur durch den Kummer ein wenig eingeschläfert war. „Bei mir wird erst geprügelt, dann Branntwein darauf gegossen, und dann geht’s von neuem los. Geh, vollende deine Arbeit. Tust du es nicht — so stehst du nie wieder auf; gehorchst du mir dagegen — so gibt’s tausend Goldstücke!“

„Herrgott, das ist ja ein Teufelskerl,“ dachte der Philosoph, als er hinausging, „mit dem darf man nicht spaßen. Paß auf, Freundchen, ich werde Fersengeld geben, daß du mich mit all deinen Hunden nicht einholen sollst.“

Choma Brut war fest entschlossen, auszureißen. Er wartete nur noch die Zeit bis nach dem Mittagessen ab, wo das Gesinde sich ins Heu unter den Speichern zu legen pflegte, um mit offenem Munde in ein so schreckliches Pfeifen und Schnarchen auszubrechen, daß sich der Herrschaftshof in eine Fabrik zu verwandeln schien.

Endlich war es so weit. Selbst Jawtuch streckte sich in der Sonne aus und schloß die Augen. Zitternd und zagend schlich sich der Philosoph in den herrschaftlichen Garten, von wo er leicht und unbemerkt ins freie Feld zu gelangen hoffte. Der Garten war, wie das gewöhnlich der Fall ist, unglaublich verwildert und schien daher für allerlei geheime Unternehmungen besonders geeignet. Mit Ausnahme eines kleinen Fußpfades (der zu wirtschaftlichen Zwecken ausgetreten worden war), waren alle Wege dicht von Kirschbäumen, Holundersträuchern und Kletten verwachsen, die ihre langen Stengel mit den klebrigen, rosafarbenen Blüten hoch hinaufstreckten. Die Spitzen dieses bunten Gemischs von Bäumen und Sträuchern war wie mit einem Netze von Hopfenranken überzogen. Sie bildeten gewissermaßen ein Schutzdach, das auf dem geflochtenen Zaune ruhte und sich in grünen, mit wilden Glockenblumen durchwachsenen Schlangenwindungen zur Erde hinabließ. Hinter dem Zaun, der den Garten begrenzte, zog sich ein förmlicher Wald von Steppengras hin: hier schien noch kein neugieriger Blick hineingeschaut zu haben, und die Sense, welche mit ihrer Klinge diese dicken holzharten Stengel zu schneiden versucht hätte, wäre sicher in Stücke zersprungen.

Als der Philosoph über den Zaun steigen wollte, klapperten seine Zähne, und sein Herz pochte so heftig, daß er selbst erschrak. Die Schöße seines langen Rockes schienen an der Erde festzukleben, als hätte sie dort jemand angenagelt. Als er über den Zaun stieg, klang plötzlich ein betäubender Pfiff an sein Ohr, und eine Stimme schrie: „Wohin, wohin?“ Der Philosoph tauchte im Steppengras unter und begann zu laufen, wobei er in einem fort über alte Wurzeln stolperte und Maulwürfe zertrat. Er sah nun, daß er nach dem Heidegras noch ein Stück Feld zu passieren hatte, hinter dem sich eine dichte Dornenhecke hinzog: dort glaubte er sich gerettet, da er jenseits der Hecke einen direkten Weg nach Kiew zu finden meinte. Mit einer geradezu unglaublichen Geschwindigkeit durchmaß er das Feld, und befand sich plötzlich vor einer dichten Dornbuschhecke. Er kroch durch die Hecke, wobei er an jedem spitzen Dorn ein Fetzen seines Gewandes als Tribut zurückließ. Endlich gelangte er zu einem kleinen Hohlwege, wo eine Weide stand, die mit ihren weit ausgebreiteten Zweigen ab und zu die Erde berührte, und wo eine schmale, kristallklare Quelle wie lauteres Silber erglänzte. Das erste, was der Philosoph tat, war, daß er niederkniete und zu trinken begann — denn er verspürte einen geradezu unerträglichen Durst. „Ein herrliches Wasser,“ sagte er, indem er sich die Lippen abtrocknete, „hier könnte man fein ausruhen!“

„Nein, es ist doch besser, wir laufen weiter, vielleicht sind uns die Verfolger schon auf den Fersen!“

Diese Worte ertönten dicht neben seinem Ohr. Er sah sich um — Jawtuch stand vor ihm.

„So ein Teufel, dieser Jawtuch,“ dachte der Philosoph, „ich würde dich mit Vergnügen bei beiden Beinen packen und deine verdammte Fratze samt allen übrigen Körperteilen mit einem Eichenknüppel bearbeiten!“

„Wozu hast du so einen großen Umweg gemacht,“ fuhr Jawtuch fort, „es wäre klüger gewesen, du hättest den Weg gewählt, den ich gegangen bin: er führt dicht beim Stall vorbei. Dein Anzug tut mir leid. Solch ausgezeichnetes Tuch. Was hast du für die Elle bezahlt? — Doch jetzt sind wir genug spazieren gegangen: es ist Zeit, nach Hause zu gehen.“

Der Philosoph kratzte sich den Hinterkopf und folgte Jawtuch langsam nach. „Jetzt wird mir die verdammte Hexe erst recht die Hölle heiß machen,“ dachte er. „Aber was soll denn das! Wovor habe ich Angst? Bin ich ein Kosak, oder nicht? Ich habe doch zwei Nächte hintereinander gelesen, so werde ich denn mit Gottes Hilfe auch wohl noch die dritte überstehen. Die verfluchte Hexe hat sicherlich viel auf dem Gewissen, daß der Böse so für sie eintritt.“

Mit diesen Gedanken beschäftigt, betrat er den Gutshof. Nachdem er sich durch solche und ähnliche Erwägungen Mut gemacht hatte, bat er Dorosch, der durch die Protektion des Kellermeisters manchmal Zutritt zum herrschaftlichen Keller hatte, ihm eine Flasche gewöhnlichen Branntwein zu verschaffen. Dann setzten sich beide Kameraden am Speicher nieder und leerten fast einen halben Eimer, so daß der Philosoph plötzlich aufsprang und schrie: „Musikanten her! Musikanten!“ und ohne zu warten, bis die Musikanten erschienen, auf einem freien Platz mitten auf dem Hofe einen Trepak zu tanzen begann. Er tanzte unaufhörlich bis zum Nachmittag. Das Gesinde, das, wie es in solchen Fällen üblich ist, einen Kreis um ihn gebildet hatte, spuckte zuletzt aus und zog sich zurück. Kopfschüttelnd meinten sie: „Wie kann ein Mensch nur so lange tanzen!“ Endlich sank der Philosoph auf derselben Stelle nieder und schlief ein; erst ein Kübel frischen Wassers vermochte ihn zu wecken, als man sich zum Abendbrot versammelte. Beim Essen redete er viel davon, was ein rechter Kosak sei, und behauptete, daß ein Kosak sich vor nichts fürchten dürfe.

„Es ist Zeit,“ sagte Jawtuch, „komm laß uns gehn.“

„Ich wollte, ich könnte dir ein Zündholz durch die Zunge bohren, verfluchtes Schwein!“ dachte der Philosoph, erhob sich jedoch und sagte „Komm!“

Auf dem Wege zur Kirche sah sich der Philosoph fortwährend um und sprach ein paar Worte mit seinen Begleitern. Aber Jawtuch schwieg, und selbst Dorosch blieb stumm.

Es war eine höllische Nacht. Scharen von Wölfen heulten in der Ferne, selbst das Gebell der Hunde klang unheimlich.

„Es hört sich fast an, als wären das, was dort heult, gar keine Wölfe,“ sagte Dorosch. Jawtuch schwieg. Auch der Philosoph wußte nichts zu erwidern.

Sie näherten sich der Kirche und betraten den wackligen Holzboden, der deutlich verriet, wie wenig sich der Gutsherr um Gott und sein Seelenheil kümmerte. Jawtuch und Dorosch entfernten sich wie gewöhnlich, der Philosoph blieb allein.

Alles war wie am Tage zuvor. Alles hatte das gleiche, bekannte und drohende Aussehen. Choma blieb einen Augenblick stehen. Unbeweglich wie immer stand der Sarg der greulichen Hexe in der Mitte des Gotteshauses. „Ich fürchte mich nicht, bei Gott, ich fürchte mich nicht,“ sagte Choma, beschrieb wie vormals einen Kreis um sich und rief sich alle Beschwörungen ins Gedächtnis. Die lautlose Stille war schrecklich: die Kerzen flackerten und erfüllten die Kirche mit ihrem hellen Licht. Der Philosoph schlug eine Seite um, dann die zweite und dritte: da bemerkte er plötzlich, daß er gar nicht das las, was im Buch stand. Vor Schreck bekreuzigte er sich und begann zu singen. Das beruhigte ihn ein wenig: das Lesen ging jetzt wieder besser, er schlug eine Seite nach der andern um.

Da sprang plötzlich — inmitten der Stille — der eiserne Sargdeckel auf. Die Tote richtete sich empor. Sie war noch furchtbarer anzusehen, als das erstemal. Die Zähne schlugen gräßlich aufeinander, die Lippen verzerrten sich krampfhaft und stießen heulende, schreckliche Verwünschungen hervor. Ein Sturm fegte durch die Kirche. Die Heiligenbilder stürzten zur Erde, und die zerbrochenen Fenstergläser fielen klirrend auf den Boden. Die Tür wurde aus ihren Angeln gerissen, und eine Unzahl fürchterlicher Ungeheuer stürzte in das Gotteshaus. Sie schlugen mit ohrenbetäubendem Lärm ihre Flügel zusammen, kratzten mit ihren Krallen und erfüllten die Kirche mit einem schrecklichen Getöse. Alles flog und flatterte hin und her und spähte überall nach dem Philosophen.

Der letzte Rest seines Rausches war verschwunden. Choma schlug ein Kreuz ums andere und las alle möglichen Gebete, die er kannte, durcheinander. Unterdessen aber hörte er, wie die Dämonen um ihn herumtobten, sie streiften ihn fast mit ihren Flügeln und berührten ihn mit ihren widerlichen Schwänzen. Er hatte nicht den Mut, sie sich genauer anzusehen: er bemerkte nur, daß ein riesiges Ungeheuer, das so lang wie die Wand war, vor ihm stand: Ein dichter Wald von gräulichen durcheinander gewirrten Haaren hüllte es ein: durch das Geflecht der Haare aber blickten zwei grausige Augen hervor, deren Brauen ein wenig in die Höhe gezogen waren. Über ihm in der Luft schwebte eine Art Riesenblase, aus deren Zentrum sich Tausende von Zangen und Skorpion-Stacheln hinausstreckten, an deren Enden große Klumpen schwarzer Erde hingen. Alle blickten den Philosophen an, spähten nach ihm, und konnten ihn doch nicht sehen, denn er war von dem heiligen Kreise umgeben. „Führt den Wij her, führt den Wij her,“ schrie plötzlich die Stimme der Toten.

Mit einem Male trat in der Kirche eine tiefe Stille ein. Aus der Ferne vernahm man das Heulen der Wölfe, und gleich darauf erdröhnten schwere Schritte, die im Gotteshause laut widerhallten. Choma warf einen scheuen Blick auf die Tür und sah, wie ein untersetztes, stämmiges, täppisches Menschenwesen hineingeführt wurde. Es war ganz in schwarze Erde gehüllt. Seine gleichfalls mit Erde bedeckten Hände und Füße streckten sich wie zähe, knorrige Wurzeln empor, es stieß polternd mit den Füßen auf den Boden und stolperte beständig. Die großen Augenlider hingen ihm bis zur Erde herab und voller Grauen gewahrte Choma, daß sein Antlitz von Eisen war. Die Geister führten das Ungetüm an der Hand und brachten es bis an die Stelle, wo Choma stand.

„Hebt mir die Lider empor, ich sehe nicht,“ stöhnte Wij mit unterirdischer Stimme — und die ganze Dämonenschar stürzte auf ihn zu, um ihm die Lider empor zu heben.

Eine innere Stimme flüsterte dem Philosophen zu: sieh nicht hin. Aber er hielt es nicht aus und blickte hin.

„Da ist er,“ schrie Wij und deutete mit seinem eisernen Finger auf ihn, und alle Geister fielen über den Philosophen her. Atemlos stürzte er zu Boden und gab schreckerfüllt seinen Geist auf.

Da krähte der Hahn. Es war schon der zweite Schrei. Die Geister hatten den ersten überhört. Die geängstigten Dämonen zerstreuten sich nach allen Seiten: durch die Tür und durch die Fenster, nur um recht schnell zu entfliehen. Aber es war schon zu spät, sie blieben zwischen Türen und Fenstern hängen.

Als der Geistliche die Kirche betrat, blieb er beim Anblick einer solchen Schändung des Allerheiligsten auf der Schwelle stehen und wagte es nicht mehr, hier eine Messe abzuhalten. So blieb denn die Kirche mit den in den Fenstern und Türen festgebannten Ungeheuern in alle Ewigkeit leer. Wald, Wurzeln, Steppengras und wilde Dornhecken überwucherten sie, — und niemand wird je wieder den Weg zu ihr finden.


Als das Gerücht von diesen Begebenheiten bis nach Kiew drang und der Theologe Haljawa von dem Schicksal des Philosophen Choma hörte, versank er eine Stunde lang in tiefes Nachdenken. Seitdem war eine große Veränderung mit ihm vorgegangen. Das Glück war ihm hold gewesen: nach Beendigung des Kursus war er zum Glöckner des allerhöchsten Glockenturmes ernannt worden, und nun erschien er nie anders als mit einer zerschlagenen Nase, da die Treppe im Turm sehr schlecht gebaut war.

„Hast du schon gehört, wie es Choma ergangen ist?“ fragte ihn Tiberius Gorobetz, als er ihm einmal begegnete, er war jetzt Philosoph und trug schon einen Schnurrbart.

„Es war Gottes Wille,“ sagte der Glöckner, „komm in die Schenke, wir wollen seiner bei einem Glase gedenken.“

Der junge Philosoph, der begeistert von seinen neuen Rechten Gebrauch machte — seine Hosen, sein Rock, ja selbst seine Mütze rochen stark nach Alkohol und Tabak — drückte sofort seine Bereitwilligkeit aus.

„Choma war doch ein herrlicher Mensch,“ sagte der Glöckner, als der lahme Wirt den dritten Krug vor ihm hinstellte, „ein famoser Kerl, und ist so um nichts und wieder nichts umgekommen!“

„Ich weiß, warum er umgekommen ist! Weil er Angst bekommen hat; hätte er sich nicht gefürchtet, so hätte die Hexe ihm nichts anhaben können. Man muß nur das Kreuz schlagen, und ihr auf den Schwanz spucken — dann kann einem nichts geschehen! Ich kenne das ganz genau. Bei uns in Kiew sind doch alle Marktweiber Hexen.“

Hier nickte der Glöckner zum Zeichen seines Einverständnisses mit dem Kopf. Aber als er merkte, daß seine Zunge sich nicht mehr bewegen und keine Laute mehr hervorbringen konnte, erhob er sich vorsichtig und ging taumelnd davon, um sich irgendwo abseits im Steppengras auszustrecken. Hierbei vergaß er es jedoch aus alter Gewohnheit nicht, eine alte Stiefelsohle einzustecken, die auf einer Bank lag.

Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten

Erstes Kapitel.
Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch.

Was für eine herrliche Pekesche Iwan Iwanowitsch doch hat! Diese Pelzverbrämung — Teufel auch — diese Pelzverbrämung! Bläulichgrau, mit einem weißlichen Schimmer! Bei Gott — ich will ein Schuft sein, wenn es noch einen zweiten solchen Pelzrock gibt. Ich bitte Sie, sehen Sie sich das einmal an — besonders, wenn Iwan Iwanowitsch mit jemand spricht — betrachten Sie ihn nur in Profil: was ist das für eine Pracht! Es ist ganz unbeschreiblich: das leuchtet wie Samt und Silber und Feuer! Bei Gott, heiliger Wundertäter Nikolaus, frommer Knecht Gottes, ich bitte dich: warum habe ich nicht solch eine Pekesche! Er hat sie sich noch damals machen lassen, als Agafja Feodosiewna noch nicht so oft nach Kiew reiste. (Sie kennen doch Agafja Feodosiewna? Dieselbe, die dem Assessor das Ohr abgebissen hat?)

Und was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Wie stattlich ist sein Haus in Mirgorod! Rundherum geht ein Schutzdach auf eichenen Pfosten, und darunter stehen überall Bänke. Wenn es zu heiß wird, zieht er Pelzrock und Hose aus, legt sich im bloßen Hemd unter das Schutzdach und beobachtet, was im Hofe und auf der Straße vorgeht. Und was für herrliche Apfel- und Birnbäume vor dem Fenster stehen! Bitte öffnen Sie nur die Fenster, sofort stecken sie ihre Zweige bis ins Zimmer; aber das ist bloß vor dem Hause. Sehen Sie sich mal erst den Garten an! Was gibt es da nicht alles! Pflaumen, Kirschen, Weichsel, allerlei Gemüse, Sonnenblumen, Gurken, Melonen, Erbsen — sogar eine Tenne und eine Schmiede gibt es da.

Was für ein Prachtmensch Iwan Iwanowitsch ist! Besonders gern ißt er Melonen, das ist sein Lieblingsgericht. Gleich nach dem Mittagessen begibt er sich im Hemd unter das Schutzdach und befiehlt Gapka, zwei Melonen aufzutragen, die er eigenhändig zerlegt. Dann nimmt er die Kerne heraus, wickelt sie in ein Papier und macht sich daran, die Melonen zu verzehren; Gapka muß ihm das Tintenfaß bringen, und er schreibt eigenhändig auf das Päckchen: „Diese Melonen wurden an dem und dem Tage gegessen“. War irgend ein Gast dabei, so wird hinzugefügt: der und der hat teilgenommen.

Der verstorbene Richter von Mirgorod freute sich immer von Herzen beim Anblick von Iwan Iwanowitschs Haus. Ja — das Haus kann sich auch sehen lassen! Vor allem gefallen mir die vielen Balkone und Erkerchen, welche von allen Seiten angebaut sind; wenn man es von ferne erblickt, so sieht man die Dächer, die übereinander liegen — das erinnert mich immer an einen Teller voll Pfannkuchen, oder besser an Pilze, die aneinander und übereinander um einen herum wachsen. Übrigens sind die Dächer mit Binsen gedeckt, über die eine Weide, eine Eiche und zwei Apfelbäume ihre üppigen Zweige ausbreiten. Durch das Geäst aber gucken die kleinen Fensterchen mit ihren geschnitzten weißen Läden munter auf die Straße hinaus.

Was für ein Prachtmensch ist doch Iwan Iwanowitsch! Der Herr Kommissar aus Poltawa ist sein guter Bekannter. Dorosch Tarasowitsch Puchiwotschka besucht ihn stets, wenn er aus Chorol hierherkommt, und Vater Peter der in Koliberda wohnt, pflegt, wenn einmal fünf Mann hoch bei ihm zu Gaste sind, stets zu erwähnen, daß er niemanden kennt, der seine Christenpflicht so gut erfüllt und so zu leben versteht, wie Iwan Iwanowitsch.

Mein Gott, wie doch die Zeit vorbeieilt. Damals waren schon zehn Jahre verflossen, seit er Witwer geworden war. Er hatte keine Kinder. Dafür hat Gapka, die Magd, welche, die im Hofe spielen. Iwan Iwanowitsch gibt gewöhnlich jedem Kinde eine Bretzel, ein Stückchen Melone oder eine Birne. Gapka hat auch die Schlüssel zu den Kammern und Kellern: nur der Schlüssel zu dem großen Kasten, der in seinem Schlafzimmer steht, und der zu der mittleren Vorratskammer befindet sich bei ihm; denn Iwan Iwanowitsch liebt es nicht, jemanden dort hineinzulassen. Gapka ist ein kräftiges Mädel, mit einer großen Schürze, drallen Waden und roten Backen.

Und was für ein gottesfürchtiger Mensch Iwan Iwanowitsch ist! Jeden Sonntag zieht er seine Pekesche an und geht in die Kirche. Nachdem er sich nach allen Seiten verneigt hat, nimmt er gewöhnlich im Chor Platz und unterstützt den Baß auf das schönste. Ist der Gottesdienst zu Ende, so unterläßt es Iwan Iwanowitsch nie, der Reihe nach alle Bettler aufzusuchen. Vielleicht hat er oft gar keine Lust, sich mit so langweiligen Sachen abzugeben, aber seine natürliche Gutmütigkeit läßt ihm keine Ruhe.

Gewöhnlich sucht er sich das allerarmseligste Weib, in einem zerfetzten, aus Lumpen zusammengeflickten Kleide aus und wendete sich teilnahmsvoll an sie. „Nun wie geht es Ärmste? Woher kommst du Mütterchen?“

„Ich komme vom Dorf, Herr, seit drei Tagen habe ich weder gegessen noch getrunken. Die eigenen Kinder haben mich fortgejagt.“

„Du arme Seele! Und warum bist du hierhergekommen?“

„Ach Herr, ich stehe hier und bitte um ein Almosen, vielleicht gibt mir jemand etwas Geld, damit ich mir Brot kaufen kann.“

„Hm. So. Du möchtest also Brot haben?“ fragte Iwan Iwanowitsch gewöhnlich.

„Wie sollte ich nicht? Ich bin hungrig wie ein Hund.“

„Hm, hm,“ sagt Iwan Iwanowitsch gewöhnlich weiter: „Vielleicht möchtest du auch Fleisch haben?“

„Ja alles, was Euer Gnaden mir geben wollen, ich bin mit allem zufrieden.“

„Hm, hm, — ist denn Fleisch besser als Brot?“

„Ein Hungriger ist nicht wählerisch, Herr. Wir sind mit allem zufrieden, was Sie geben.“ Hierbei streckt sie ihm gewöhnlich die Hand entgegen.

„Nun, Gott mit dir,“ sagt Iwan Iwanowitsch. — „Ja, was stehst du denn noch da? Ich schlage dich doch nicht!“ Und in gleicher Weise wendet er sich an den zweiten und dritten Bettler und geht endlich nach Hause, zu seinem Nachbar, Iwan Nikiforowitsch, oder auch zum Polizeimeister, um einen Schnaps mit ihnen zu trinken.

Iwan Iwanowitsch liebt es auch sehr, wenn man ihm Geschenke macht oder ihm Leckerbissen bringt. Das letztere hat er besonders gern.

Auch Iwan Nikiforowitsch ist ein ganz prächtiger Mensch. Sein Hof grenzt an den Iwan Iwanowitschs. Zwei solche Freunde wie diese beiden, hat die Welt sicher noch nicht gesehen. Anton Prokowjewitsch Pupopus, der bis zum heutigen Tage noch einen braunen Rock mit hellblauen Ärmeln trägt und des Sonntags beim Richter zu Tisch geladen ist, pflegte gewöhnlich zu sagen: der Teufel habe in höchsteigener Person Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch mit einem Schnürchen zusammengebunden: wo der eine erscheint, da folgt der andere auf dem Fuße.

Iwan Nikiforowitsch war nie verheiratet. Man hat wohl davon gesprochen, er wäre einmal verheiratet gewesen, doch das ist eine gemeine Lüge. Ich kenne Iwan Nikiforowitsch sehr genau und kann beschwören, daß er niemals auch nur die Absicht gehabt hat, sich zu verheiraten. Wie solch ein Klatsch nur entsteht! Einmal hieß es, Iwan Nikiforowitsch sei hinten mit einem Schwanz auf die Welt gekommen. Aber dies ist eine Erfindung, die so dumm und dabei so abscheulich und unanständig ist, daß ich es nicht einmal für nötig halte, sie vor meinen aufgeklärten Lesern zu widerlegen, denen es sicher bekannt ist, daß nur die Hexen, und auch die nur, sofern sie weiblichen Geschlechts sind, (aber selbst diese bloß in Ausnahmefällen) hinten einen Schwanz haben. Übrigens gehören ja die Hexen überhaupt mehr dem weiblichen als dem männlichen Geschlecht an. Trotz der gegenseitigen Zuneigung waren diese seltenen Freunde doch von der Natur recht verschieden bedacht. Am besten lernt man ihren Charakter durch eine Nebeneinanderstellung kennen. Iwan Iwanowitsch besitzt die seltene Gabe, sehr angenehm zu sprechen. Herr Gott, wie kann er sprechen! Wenn Sie ihm zuhören, haben Sie eine Empfindung — nein, die läßt sich nur mit dem Gefühl vergleichen, wenn man Ihnen den Kopf kraut oder mit dem Finger leise, ganz leise über die Fersen streicht. Man lauscht und lauscht ... der Kopf sinkt einem herab ... so angenehm, so ungeheuer angenehm ist das! ... wie ein Schläfchen nach einem Bade. Iwan Nikiforowitsch hingegen ist das gerade Gegenteil. Er liebt es, zu schweigen — aber wenn er einmal ein Wörtchen sagt, dann heißt es: feststehen — das sitzt, das schneidet schärfer wie das feinste Rasiermesser! Iwan Iwanowitsch ist mager und von hoher Statur; Iwan Nikiforowitsch ist kleiner und geht mehr in die Breite. Iwan Iwanowitschs Kopf gleicht einem Rettich mit dem Schwänzchen nach oben. Iwan Nikiforowitsch dagegen einem Rettich mit dem Schwänzchen nach unten. Iwan Iwanowitsch liegt nur nach dem Mittag im bloßen Hemde unter dem Schutzdach, — abends zieht er seine Pekesche an und geht irgendwohin, entweder in das Stadtmagazin, an das er Mehl liefert, oder ins Feld, um Wachteln zu fangen. Iwan Nikiforowitsch liegt den ganzen Tag im Flur; wenn es nicht gar zu heiß ist, legt er sich mit bloßem Rücken in die Sonne und will sich garnicht vom Fleck rühren. Wenn es ihm gerade einfällt, macht er morgens eine Runde durch den Hof, sieht sich alles an und legt sich dann nieder. Früher ging er wohl auch einmal zu Iwan Iwanowitsch hinüber. Iwan Iwanowitsch ist ein sehr feiner Herr, nie gebraucht er ein schmutziges Wort, auch nicht im gewöhnlichsten Gespräch, und daher ist er auch sofort verletzt, wenn er ein solches hört. Iwan Nikiforowitsch aber läßt sich mitunter etwas gehn. Gewöhnlich steht dann Iwan Iwanowitsch auf und sagt: ‚Genug, genug, Iwan Nikiforowitsch, legen Sie sich doch lieber schnell wieder in die Sonne, statt solche gottlose Reden zu führen!‘ Iwan Iwanowitsch wird sehr böse, wenn er eine Fliege in der Suppe findet — er gerät außer sich, wirft den Teller hin, und der Wirt bekommt etwas zu hören. Iwan Nikiforowitsch badet ungemein gern, und wenn er bis zum Halse im Wasser sitzt, liebt er es sehr, sich ein Tischchen mit der Teemaschine ins Wasser stellen zu lassen und in der kühlen Flut Tee zu trinken. Iwan Iwanowitsch rasiert sich zweimal wöchentlich, Iwan Nikiforowitsch nur einmal. Iwan Iwanowitsch ist sehr neugierig, Gott bewahre einen jeden davor, ihm etwas zu erzählen, und nicht bis zum Schluß zu kommen. Ist er unzufrieden, so sieht man es ihm sogleich an. Äußerlich ist es Iwan Nikiforowitsch sehr schwer anzusehen, ob er zufrieden oder ärgerlich ist — selbst wenn er sich über etwas freut, so läßt er es sich nicht merken. Iwan Iwanowitsch hat einen etwas ängstlichen Charakter — ganz anders wie Iwan Nikiforowitsch, der so faltenreiche Pluderhosen trägt, daß sie, wenn man sie aufblasen wollte, den Hof mit allen Scheuern und Wirtschaftsgebäuden in sich fassen würden. Iwan Iwanowitsch hat große, ausdrucksvolle tabakfarbene Augen, und sein Mund hat die Form des Buchstabens V. Iwan Nikiforowitsch hat kleine, gelbliche Augen, die ganz zwischen den dicken Backen und den buschigen Brauen verschwinden, und seine Nase gleicht einer reifen Pflaume. Wenn Ihnen Iwan Iwanowitsch eine Prise anbietet, leckt er erst den Deckel der Tabakdose ab, klopft mit dem Finger auf sie, reicht sie Ihnen hin und sagt, wenn Sie gut mit ihm bekannt sind: ‚Mein Herr, darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!‘ Sind Sie ihm dagegen fremd, so spricht er: ‚Mein Herr, ich habe nicht die Ehre, Ihren Rang und Namen zu kennen, darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!‘ Iwan Nikiforowitsch dagegen gibt Ihnen einfach die Dose in die Hand und sagt ganz kurz: ‚Bedienen Sie sich.‘ Beide — Iwan Iwanowitsch sowohl wie Iwan Nikiforowitsch mögen die Flöhe nicht leiden, und lassen daher nie einen Handelsjuden vorübergehn, ohne ihm ein Elixier oder ein Pulver gegen diese Insekten abzukaufen — natürlich erst, nachdem sie ihn gehörig wegen seines Glaubens ausgescholten haben.

Übrigens sind beide, sowohl Iwan Iwanowitsch als auch Iwan Nikiforowitsch, abgesehen von einigen Verschiedenheiten, ganz prächtige Menschen.

Zweites Kapitel.
Aus welchem man erfahren kann, was Iwan Iwanowitsch sich wünschte, worüber Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch miteinander sprachen, und wie das Gespräch endete.

Eines Morgens — es war im Juli — lag Iwan Iwanowitsch unter seinem Schutzdach. Der Tag war heiß, und die Luft war trocken und flutete in feinen Strömen auf und ab. Iwan Iwanowitsch war schon außerhalb der Stadt und im Dorf bei den Schnittern gewesen und hatte schon alle Bauern und Bäuerinnen, die ihm begegneten, nach dem Woher, Wohin und Warum ausgefragt; dabei hatte er sich müde gelaufen und wollte nun ausruhen. Im Liegen betrachtete er lange den Hof, die Vorratskammern, und die im Hofe herumlaufenden Hühner und dachte sich: „Herr Gott, was bin ich doch für ein guter Wirt! Was habe ich nicht alles! Speicher, Gebäude, Vögel, alles was das Herz begehrt, Schnäpse und Liköre, einen Garten mit Birnen und Pflaumen, Mohn, Kohl und Erbsen ... was fehlt mir noch? Wirklich, ich möchte wissen, was mir fehlt?“

Mit dieser tiefsinnigen Frage beschäftigt, versank Iwan Iwanowitsch in tiefes Nachdenken, unterdessen aber suchten seine Augen nach neuen Gegenständen, schweiften über den Zaun nach Iwan Nikiforowitsch’s Haus und wurden unwillkürlich von einem merkwürdigen Schauspiel gefesselt.

Ein altes hageres Weib trug verschlissene Kleidungsstücke auf den Hof, um sie eins nach dem andern zum Auslüften auf einen ausgespannten Strick zu hängen. Bald streckte ein alter Waffenrock mit abgeschabten Aufschlägen seine Ärmel in die Luft und umarmte ein Jackett aus Brokatstoff; neben ihm kam eine Livree mit Wappenknöpfen und einem von den Motten zerfressenen Kragen zum Vorschein; ferner ein Paar fleckige weiße Kaschmir-Beinkleider, die einst Iwan Nikiforowitschs Beine umspannt hatten, jetzt aber bestenfalls für seine Finger reichen würden; dann wieder hing ein anderes Paar in Form eines A da, dann ein blauer Kosakenrock, den sich Iwan Nikiforowitsch vor 20 Jahren hatte machen lassen, als er in die Miliz einzutreten gedachte und sich sogar einen Schnurrbart wachsen ließ. Zuletzt kam zu all diesen schönen Sachen auch noch ein Degen hinzu, der einer Turmspitze glich, die in die Luft starrt — dann wieder flatterten die Rockschöße eines graugrünen Kaftans mit talergroßen kupfernen Knöpfen im Winde, und zwischen den Schößen lugte eine mit Goldborte verzierte, stark ausgeschnittene Weste hervor. Aber bald wurde die Weste durch einen alten Unterrock der Großmutter verdeckt, in dessen großen Taschen man ruhig je eine Melone hätte verstecken können. Dies ganze Durcheinander gewährte Iwan Iwanowitsch einen höchst unterhaltenden Anblick. Die Strahlen der Sonne beleuchteten bald einen dunkelblauen oder grünen Ärmel, einen roten Aufschlag und einen Teil des Goldbrokats oder sie spielten plötzlich um die Degenspitze und gaben ihr ein ganz ungewöhnliches Aussehen. Dieses bunte Allerlei weckte Erinnerungen an die Weihnachtskrippe, die herumziehende Tagediebe in den Dörfern aufstellen: die herandrängende Volksmenge betrachtet den Kaiser Herodes mit der goldenen Krone, oder den Anton, der eine Ziege herumführt; hinter der Krippe quietscht eine Geige, ein Zigeuner ahmt mit seinen Lippen eine Trommel nach, die Sonne geht allmählich unter und die angenehme Kühle der südlichen Nacht schmiegt sich verstohlen um die frischen Schultern und hochatmenden Busen der drallen Bäuerinnen.

Nach einiger Zeit kam die Alte wieder stöhnend aus der Vorratskammer, und trug keuchend einen altmodischen Sattel mit abgerissenen Steigbügeln, abgeschabten ledernen Pistolentaschen und einer Schabracke auf dem Rücken heraus, die einst purpurrot gewesen und mit Goldstickereien und Blechplatten verziert war.

„So ein dummes Weib,“ dachte Iwan Iwanowitsch, „bald wird sie auch noch Iwan Nikiforowitsch in eigener Person hinausschleppen und auslüften.“

Und in der Tat, Iwan Iwanowitschs Vermutung war nicht so ganz unrichtig. Nach kaum fünf Minuten erschienen Iwan Nikiforowitschs Pumphosen, die fast die ganze Hälfte des Hofes einnahmen. Dann schleppte sie noch seine Mütze und eine Flinte heran.

„Was soll das bedeuten,“ dachte Iwan Iwanowitsch. „Ich habe früher nie eine Flinte bei ihm gesehen! Ja, was fällt ihm ein! Er schießt eigentlich nicht, und hält sich doch eine Flinte! Was will er mit ihr? Es ist übrigens ein gutes Gewehr! .. ich wollte mir schon lange ein solches anschaffen. Ich wünschte sehr, so eine Flinte zu haben ... ich spiele zu gern mit so einem Flintchen ... He, Alte, Alte!“ schrie Iwan Iwanowitsch, und winkte mit dem Finger.

Die Alte kam an den Zaun.

„Was hast du da, gute Alte?“

„Sie sehen doch selbst, eine Flinte.“

„Was für eine Flinte?“

„Was weiß ich. Wenn sie mir gehörte, würde ich vielleicht wissen, woraus sie gemacht ist, aber sie gehört doch dem Herrn.“

Iwan Iwanowitsch stand auf, besah sich die Flinte von allen Seiten, und vergaß ganz, die Alte dafür zu schelten, daß sie auch Degen und Flinte zum Lüften herausgebracht hatte.

„Wahrscheinlich ist sie aus Eisen,“ meinte die Alte.

„Hm, hm, aus Eisen. Warum sollte sie gerade aus Eisen sein?“ murmelte Iwan Iwanowitsch. „Hat dein Herr sie schon lange?“

„Vielleicht — es ist möglich, daß er sie schon lange hat.“

„Ein vortreffliches Gewehr,“ fuhr Iwan Iwanowitsch fort. „Ich werde es mir von ihm ausbitten. Wozu braucht er eine Flinte? Oder ich tausche sie gegen etwas anderes ein. Sag mal Alte, ist dein Herr zu Hause?“

„Freilich.“

„Er hat sich wohl hingelegt?“

„Jawohl.“

„Gut. Ich werde zu ihm gehen.“

Iwan Iwanowitsch zog sich an und nahm einen Knotenstock mit sich, den er als Waffe gegen die Hunde brauchte; denn in Mirgorod begegnet man auf der Straße mehr Hunden als Menschen. Dann machte er sich auf den Weg.

Obwohl die Höfe Iwan Iwanowitschs und Iwan Nikiforowitschs aneinander grenzten, und man aus dem einen in den andern hinübersteigen konnte, ging Iwan Iwanowitsch doch über die Straße. Nach dieser Straße mußte er eine kleine Gasse passieren, die ganz ungewöhnlich schmal war; wenn es geschah, daß zwei Einspänner sich hier begegneten, so konnten sie nicht aneinander vorbei und mußten so lange stillstehen, bis sie jemand an den Hinterrädern packte und in die Straße zurückzog. Der Fußgänger aber kam wie mit Blumen geschmückt aus dieser Gasse heraus, da zu beiden Seiten des Zaunes die Kletten aufs schönste gediehen. An diese Gasse stieß sowohl die Scheune Iwan Iwanowitschs, als auch ein Kornspeicher Iwan Nikiforowitschs, und ebenso sein Tor und sein Taubenschlag. Iwan Iwanowitsch trat ans Tor und rüttelte an der Türklinke. Aus dem Innern erscholl Hundegebell, als aber die buntscheckige Gesellschaft sah, daß ein guter Bekannter den Hof betrat, zog sie sich schweifwedelnd zurück. Iwan Iwanowitsch durchschritt den Hof, auf dem ein buntes Drunter und Drüber herrschte: indische Tauben, die der Besitzer eigenhändig zu füttern pflegte, Melonen- und Wassermelonenschalen, verstreutes Gemüse, ein zerbrochenes Rad, ein Faßreifen, dazwischen ein kleiner Junge in einem schmutzigen Hemdchen — mit einem Wort, ein Anblick, wie die Maler ihn lieben! Die ausgehängten Kleider hüllten den ganzen Hof in ihre Schatten ein und verliehen ihm eine gewisse Kühle. Die Alte begrüßte Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung, rührte sich aber nicht vom Flecke und gähnte. Vor dem Hause befand sich eine zierliche Treppe mit einem Schutzdach, das von zwei Eichenpfosten gestützt wurde: übrigens ein sehr unzureichendes Mittel gegen die Sonne, denn Frau Sonne liebt um diese Zeit in Kleinrußland nicht zu spaßen und badet den Spaziergänger von Kopf bis zu Fuß in Schweiß. Dies zeigt übrigens, wie groß das Verlangen Iwan Iwanowitschs nach dem so unentbehrlichen Dinge war, da er sich um diese Zeit hinausgewagt hatte und somit seiner Gewohnheit, das Haus erst des Abends zu einem Spaziergang zu verlassen, untreu geworden war.

Das Zimmer, welches Iwan Iwanowitsch betrat, war ganz dunkel und die Läden waren geschlossen. Nur durch das Guckloch im Laden fielen ein paar Sonnenstrahlen, spielten in Regenbogenfarben und malten eine bunte Landschaft an die gegenüberliegende Wand: da sah man binsengedeckte Dächer, Bäume, die ausgehängten Kleidungsstücke usw. — alles natürlich auf den Kopf gestellt, wodurch das Zimmer in ein wundersames, helles Dämmerlicht gehüllt wurde.

„Gott helf,“ sagte Iwan Iwanowitsch.

„Guten Tag, Iwan Iwanowitsch,“ antwortete eine Stimme aus der Zimmerecke. Erst jetzt bemerkte Iwan Iwanowitsch Iwan Nikiforowitsch, der auf einem ausgebreiteten Teppich am Boden lag.

„Entschuldigen Sie bitte, daß ich mich Ihnen im Adamskostüm präsentiere.“

Iwan Nikiforowitsch lag ganz nackt und ohne Hemd da.

„Bitte, bitte. Haben Sie gut geschlafen, Iwan Nikiforowitsch?“

„Ausgezeichnet. Und Sie, Iwan Iwanowitsch?“

„Ich habe auch gut geschlafen.“

„Sie sind wohl erst eben aufgestanden?“

„Was? ich soll erst eben aufgestanden sein? Gott behüte, Iwan Nikiforowitsch, wie kann man so lange schlafen. Ich komme eben aus dem Dorf zurück — überall wo man hinkommt — giebt’s herrliches Getreide, großartig sag ich Ihnen! Auch das Heu ist lang, weich und saftig.“

„Gorpina,“ schrie Iwan Nikiforowitsch, „bring Iwan Iwanowitsch einen Schnaps und ein paar Rahmkuchen.“

„Ein herrliches Wetter heut.“

„Ach loben Sie es doch nicht, Iwan Iwanowitsch. Hol’s der Teufel — man kommt ja um vor Hitze.“

„Ist es denn durchaus nötig, den Teufel anzurufen? Ach, Iwan Nikiforowitsch, Sie werden noch an mich denken, wenn es zu spät sein wird. Jawohl, Sie werden im Jenseits für Ihre gottlosen Reden büßen müssen.“

„Womit habe ich Sie denn beleidigt, Iwan Iwanowitsch? Ich habe doch weder Ihren Vater noch Ihre Mutter beschimpft. Ich verstehe nicht, wodurch ich Sie gekränkt haben könnte.“

„Lassen wir das, Iwan Nikiforowitsch, lassen wir das.“

„Bei Gott, ich wollte Sie nicht kränken, Iwan Iwanowitsch.“

„Merkwürdig, daß die Wachteln noch immer nicht ins Rohr gehen.“

„Wie Sie wollen, Iwan Iwanowitsch, denken Sie was Sie wollen — ich hatte wirklich nicht die Absicht, Sie zu kränken.“

„Ich begreife nicht, warum Sie nicht hineingehen,“ sagte Iwan Iwanowitsch, als habe er die Worte gar nicht gehört. „Vielleicht ist noch die Zeit dazu nicht gekommen, aber mir scheint, es wäre jetzt die rechte Zeit.“

„Sie sagen, daß das Getreide gut steht?“

„Herrlich, ganz herrlich!“

Nun folgte eine lange Pause.

„Iwan Nikiforowitsch, warum lassen Sie denn plötzlich alle Ihre Kleider heraushängen,“ fragte endlich Iwan Iwanowitsch.

„Ach, die verfluchte Alte hat meine guten und fast neuen Kleidungsstücke verschimmeln lassen: jetzt lasse ich alles auslüften; das Tuch ist noch fein, es ist noch ganz ausgezeichnet, einiges braucht man nur wenden zu lassen, dann kann man es wieder tragen.“

„Etwas hat mir besonders gefallen, Iwan Nikiforowitsch.“

„Was denn?“

„Sagen Sie bitte, wozu brauchen Sie diese Flinte? Da ist doch eine Flinte mit herausgehängt!“ Bei diesen Worten reichte Iwan Iwanowitsch seinem Freunde eine Prise. „Darf ich Sie bitten, sich zu bedienen?“

„Bitte bedienen sie sich selbst, ich nehme von meinem eigenen,“ dabei tastete Iwan Nikiforowitsch mit den Händen umher und fand endlich seine Dose. „So ein dummes Weib! Sie will die Flinte also auch auslüften? Der Jude in Sorotschintzy macht einen ausgezeichneten Tabak. Ich weiß nicht, was er hineintut — es ist so etwas Aromatisches, und erinnert ein wenig an Krauseminze. Aber bedienen Sie sich doch.“

„Hm, sagen Sie doch Iwan Nikiforowitsch, um wieder auf die Flinte zurückzukommen, was wollen Sie mit ihr anfangen? Sie brauchen sie doch nicht?“

„Ich brauche sie nicht? Ja und wenn ich nun einmal schießen will?“

„Gott behüte sie, Iwan Nikiforowitsch, wann wollen Sie denn schießen? Vielleicht beim jüngsten Gericht? So viel ich weiß und von andern erfahren konnte, haben Sie noch nie eine Ente getötet, ja Gott der Herr hat Ihnen auch gar nicht die Natur dazu gegeben, daß Sie schießen sollten. Sie haben eine stattliche Figur, ein elegantes Auftreten: wie wollen Sie in den Sümpfen umherwaten, wenn das Kleidungsstück, das ich aus Anstandsrücksichten nicht nennen möchte, schon jetzt ausgelüftet werden muß? Was wird erst dann sein? Was Sie brauchen, ist Ruhe, Erholung.“ (Wir haben schon oben erwähnt, daß Iwan Iwanowitsch ungewöhnlich schön sprechen konnte, wenn es galt, jemanden zu überzeugen. Nein, wie er redete, Herrgott, wie er redete!) „Ja, ja, Ihnen stehen nur edle Handlungen an. Was meinen Sie, wie wär’s, wenn Sie mir die Flinte geben würden?“

„Wie könnte ich! So eine teure Flinte! So eine ist für kein Geld mehr zu haben. Die stammt noch aus der Zeit, als ich in die Miliz eintreten wollte, da habe ich sie von einem Tataren erstanden, und jetzt sollte ich sie so mir nichts dir nichts weggeben? Ich bitte Sie, das ist doch ein unentbehrliches Instrument.“

„Unentbehrlich? Wozu?“

„Wozu — wozu? Und wenn nun Räuber mein Haus überfallen! Ausgezeichnet! Nicht unentbehrlich! ... Gottlob, jetzt bin ich ruhig und fürchte mich vor nichts; denn ich weiß, in meiner Kammer steht eine Flinte!“

„Eine nette Flinte, Iwan Nikiforowitsch, der Hahn ist ja total verdorben!“

„Was macht denn das? Und wenn der Hahn nun wirklich verdorben wäre! Man kann ihn doch reparieren! Man muß ihn nur ein bißchen mit Hanföl einschmieren, damit er nicht rostet!“

„Nach Ihren Worten könnte man vermuten, daß Sie nicht die geringste Freundschaft für mich hegen, Iwan Nikiforowitsch, Sie wollen mir durchaus kein Zeichen Ihrer Sympathie geben?“

„Iwan Iwanowitsch, wie können Sie sagen, daß ich Ihnen kein Zeichen meiner Sympathie gebe. Schämen Sie sich! Ihre Ochsen weiden auf meiner Wiese, und ich habe sie noch nie zum Pflügen benutzt. Jedesmal, wenn Sie nach Poltawa fahren, bitten Sie mich um meinen Wagen, und habe ich es Ihnen je abgeschlagen? Ihre Kinder klettern über den Zaun, springen in meinen Garten und spielen mit meinen Hunden — und ich sage nichts; mögen sie doch spielen, solange sie nur nichts anrühren, mögen sie doch spielen ...“

„Nun, wenn Sie mir Ihre Flinte durchaus nicht verehren wollen — so wollen wir tauschen.“

„Und was würden Sie mir dafür geben?“ Bei diesen Worten stützte sich Iwan Nikiforowitsch auf seinen Arm und sah Iwan Iwanowitsch ins Gesicht.

„Ich würde Ihnen das braune Schwein dafür geben, das ich in meinem Stall gemästet habe. Eine großartige Sau! Passen Sie auf — im nächsten Jahre wirft sie Ihnen schon Ferkel.“

„Ich verstehe nicht, Iwan Iwanowitsch, wie Sie so sprechen können. Was soll ich mit Ihrem Schwein? Soll ich etwa dem Teufel ein Fest geben?“

„Schon wieder! Sie können nicht reden, ohne den Teufel anzurufen. Es ist eine Sünde, Iwan Nikiforowitsch, bei Gott, es ist eine Sünde!“

„Sie sind mir der Rechte, Iwan Iwanowitsch! Für eine Flinte bieten Sie mir weiß der Teufel was — eine Sau!“

„Warum ist eine Sau „weiß der Teufel was“, Iwan Nikiforowitsch?“

„Warum? Bitte urteilen Sie doch selbst: eine Flinte — da weiß doch jeder, was das für ein Gegenstand ist — und Sie bieten mir weiß der Teufel was — eine Sau! Wären Sie es nicht, der mir diesen Vorschlag machte, ich könnte es wahrhaftig für eine Beleidigung halten.“

„Was finden Sie denn so Schlimmes an einem Schwein?“

„Ja für was halten Sie mich denn eigentlich, daß ich ein Schwein ...“

„Bitte setzen Sie sich, setzen Sie sich, ich rede nicht mehr davon. Behalten Sie Ihre Flinte; möge sie in irgend einem Winkel Ihrer Kammer verrosten und verderben — ich rede kein Wort mehr davon.“

Hier trat eine lange Pause ein.

„Man spricht davon,“ begann endlich Iwan Iwanowitsch, „daß drei Könige unserm Kaiser den Krieg erklärt haben.“

„Ja, Peter Fjodorowitsch erzählte mir davon. Was ist das für ein Krieg? Warum führt man ihn?“

„Das kann ich nicht genau sagen, Iwan Nikiforowitsch,“ antwortete Iwan Iwanowitsch, „ich glaube, die Könige verlangen von uns, daß wir alle den türkischen Glauben annehmen sollen.“

„Sieh einer an, was die Narren ausgeheckt haben,“ sagte Iwan Nikiforowitsch und hob den Kopf in die Höhe.

„Verstehen Sie? Der Kaiser aber hat ihnen den Krieg erklärt. Nehmt mal lieber selber den christlichen Glauben an! sagte er.“

„Was meinen Sie, Iwan Iwanowitsch, die Unsern werden sie doch besiegen?“

„Ganz sicher, Iwan Nikiforowitsch! Sie wollen mir also Ihre Flinte nicht eintauschen?“

„Ich bin wirklich erstaunt, Iwan Iwanowitsch, ich glaubte immer, Sie seien ein Mann von einer gewissen Bildung, und heute reden Sie wie ein Kind. Bin ich denn ein Narr?“

„Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, Gott mit ihr, mag sie verrosten, ich sage kein Wort mehr.“

In diesem Augenblick wurde der Imbiß aufgetragen.

Iwan Iwanowitsch nahm einen Schnaps und aß einen Rahmkuchen dazu. „Hören Sie, Iwan Nikiforowitsch, ich gebe Ihnen außer dem Schwein noch zwei Säcke Hafer; Sie haben ja keinen gesät. Sie müssen also dieses Jahr sowieso welchen kaufen.“

„Bei Gott, Iwan Iwanowitsch, um mit Ihnen zu reden — muß man Erbsen gefressen haben.“ (Das war noch gar nichts, Iwan Nikiforowitsch konnte noch ganz andere Sachen vom Stapel lassen.) „Wo in aller Welt ist es erhört, daß man eine Flinte für zwei Säcke Hafer eingetauscht hätte? Ihre Pekesche werden Sie mir wohl nicht anbieten, da bin ich sicher.“

„Sie vergessen, Iwan Nikiforowitsch, daß Sie noch das Schwein dazu bekommen.“

„Was, zwei Säcke Hafer und ein Schwein für eine Flinte?“

„Ist das vielleicht zu wenig?“

„Für eine Flinte?“

„Jawohl, für eine Flinte!“

„Zwei Säcke für eine Flinte?“

„Die Säcke sind doch nicht leer, sondern voll Hafer. Und das Schwein — das Schwein haben Sie vergessen?“

„Geben Sie doch Ihrem Schwein einen Kuß, oder wenn’s Ihnen besser paßt: dem Teufel.“

„Weh dem, der mit Ihnen anbindet! Warten Sie ab, für solche gottlose Reden wird man Ihnen in jener Welt die Zunge mit glühenden Nadeln spicken! Wenn man mit Ihnen gesprochen hat, muß man sich wahrhaftig Kopf und Hände waschen, und den ganzen Körper ausräuchern!“

„Gestatten Sie, Iwan Iwanowitsch, eine Flinte ist ein nobler Gegenstand, mit dem man sich aufs schönste unterhalten kann, und zugleich der angenehmste Zimmerschmuck ...“

„Iwan Nikiforowitsch, Sie sprechen von Ihrer Flinte grad wie der Narr von seinem Futtersack,“ sagte Iwan Iwanowitsch, der allmählich anfing, ärgerlich zu werden.

„Und Sie, Iwan Iwanowitsch, Sie sind der reinste Gänserich!“

Hätte Iwan Nikiforowitsch nur gerade dies Wort nicht gebraucht, die beiden Freunde hätten sich gestritten und wären dann wie immer in aller Freundschaft geschieden; jetzt aber passierte etwas ganz anderes. Iwan Iwanowitsch wurde feuerrot. „Was haben Sie da gesagt, Iwan Nikiforowitsch?“ fragte er mit erhobener Stimme.

„Ich sage, daß Sie einem Gänserich gleichen, Iwan Iwanowitsch.“

„Was wagen Sie, mein Herr! Sie vergessen allen Anstand, Sie vergessen alle Achtung, die Sie meinem Stande und meiner Familie schuldig sind! Wie können Sie es wagen, einen Menschen mit einem so schimpflichen Namen zu belegen?“

„Was ist denn Schimpfliches daran? Und was fuchteln Sie so mit den Händen, Iwan Iwanowitsch?“

„Ich wiederhole. Wie konnten Sie es wagen, den Anstand so gröblich zu verletzen und mich einen Gänserich zu nennen?“

„Ich huste Ihnen was, Iwan Iwanowitsch! Was gackern Sie denn so?“

Jetzt konnte sich Iwan Iwanowitsch nicht länger beherrschen. Seine Lippen zitterten, sein Mund verlor die gewöhnliche Form (aus dem V wurde ein O), er blinzelte so mit den Augenwimpern, daß einem angst und bange werden konnte. Das passierte Iwan Iwanowitsch äußerst selten, er mußte schon außerordentlich erzürnt sein. „So erkläre ich Ihnen hiermit,“ rief Iwan Iwanowitsch, „von heute ab kenne ich Sie nicht mehr!“

„Großes Unglück! Bei Gott, das soll mir keine Träne auspressen,“ antwortete Iwan Nikiforowitsch. — Aber er log, bei Gott, er log. Es tat ihm schrecklich leid.

„Ich werde nie wieder die Schwelle Ihres Hauses betreten!“

„Aha!“ rief Iwan Nikiforowitsch; er wußte vor Verdruß nicht, was er tun sollte — und sprang ganz gegen seine Gewohnheit auf.

„Hallo Alte.“

In der Tür erschienen das alte dürre Weib und ein kleiner Junge, der in einem großen langen Rock steckte und sich beständig darin verwickelte.

„Nehmen Sie Iwan Iwanowitsch bei der Hand und führen Sie ihn hinaus!“

„Was? Mich? Einen Edelmann?“ rief Iwan Iwanowitsch voller Würde und Entrüstung. „Wagt es nur, in meine Nähe zu kommen. Ich vernichte Euch samt Eurem dummen Herrn. Und keine Krähe soll Euer Grab finden!“ (Iwan Iwanowitsch konnte sehr wuchtig sprechen, wenn er bis in die tiefste Seele erschüttert war.)

Die ganze Gruppe hatte etwas Imposantes an sich. In der Mitte des Zimmers stand Iwan Nikiforowitsch in seiner ganzen nackten Schönheit ohne jede Dekoration; dazu die Alte mit aufgerissenem Munde, einem dummen Gesicht und geängstigter Miene! Iwan Iwanowitsch aber stand da wie ein römischer Tribun mit erhobener Rechte — es war ein gewaltiger Augenblick, ein Schauspiel von wunderbarer Größe! Und doch war nur ein Zuschauer da: der Knabe in dem Uniformrock, der ruhig dastand und sich mit dem Finger die Nase putzte. Endlich ergriff Iwan Iwanowitsch seine Mütze. „Sie benehmen sich sehr vornehm, Iwan Nikiforowitsch, sehr vornehm. Ich werde es nicht vergessen.“

„Gehen Sie, Iwan Iwanowitsch, gehen Sie! Sehen Sie sich vor, daß Sie mir nicht in den Weg kommen, sonst .... ich könnte Ihnen, Iwan Iwanowitsch .... ich könnte Ihnen ihre ganze Visage verbläuen!“

„Daraus mache ich mir soviel, Iwan Nikiforowitsch,“ antwortete Iwan Iwanowitsch, drehte ihm eine lange Nase, und warf die Türe ins Schloß. Man hörte sie jedoch sofort wieder knarren, sie öffnete sich, und Iwan Nikiforowitsch erschien in der Türöffnung. Er wollte noch etwas sagen — aber Iwan Iwanowitsch eilte davon, ohne sich umzusehen.

Drittes Kapitel.
Was nach dem Streit zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch geschah.

So entzweiten sich die beiden Ehrenmänner, Mirgorods Stolz und Zierde; sie entzweiten sich — und warum? Wegen einer Kleinigkeit! wegen eines Gänserichs! Sie mieden sich, und brachen alle Beziehungen zueinander ab, sie, die doch früher als unzertrennliches Freundespaar gegolten hatten! Früher hatten sie jeden Tag zueinander geschickt und sich gegenseitig nach ihrem Befinden erkundigt, oder auf ihren Balkonen ausgestreckt miteinander geplaudert und sich so viel Angenehmes gesagt, daß es ein Vergnügen war, ihnen zuzuhören. Des Sonntags gingen sie oft — Iwan Iwanowitsch in seiner vornehmen Pekesche und Iwan Nikiforowitsch in seinem gelblich-braunen, leinenen Kosakenrock — Arm in Arm zur Kirche; und wenn Iwan Iwanowitsch, der sich durch sein scharfes Auge auszeichnete, zuerst eine Pfütze oder einen Schmutzhaufen auf der Straße erblickte — was auch in Mirgorod manchmal vorkommt — dann sagte er immer zu Iwan Nikiforowitsch: „Geben Sie acht, bitte treten Sie nicht hierher, hier ist etwas nicht ganz in Ordnung.“ Aber auch Iwan Nikiforowitsch ließ es nicht an rührenden Freundschaftsdiensten fehlen. So weit entfernt er auch von Iwan Iwanowitsch stehen mochte, stets hielt er ihm die Dose hin und murmelte, „Bitte bedienen Sie sich.“ Und welch herrlichen Hausstand hatten beide! .... Und diese beiden Freunde ....! Als ich es erfuhr, war ich wie vom Blitz getroffen. Ich wollte es lange Zeit nicht glauben. Gerechter Gott! Iwan Iwanowitsch hat sich mit Iwan Nikiforowitsch entzweit! Diese Ehrenmänner! Was ist noch von Dauer auf dieser Erde?

Als Iwan Iwanowitsch nach Hause kam, war er in heftiger Erregung. Sonst ging er gewöhnlich in den Stall, um nachzusehen, ob die junge Stute auch ihr Heu fraß (Iwan Iwanowitsch hatte eine hellbraune Stute mit einem weißen Fleck auf der Stirn — ein reizendes Pferdchen), dann fütterte er eigenhändig die Truthühner und die Ferkel, und ging endlich wieder ins Haus zurück, um Holzgeschirr zu schnitzen (er war äußerst geschickt, und stellte die verschiedensten Gegenstände aus Holz her wie der gewandteste Drechsler), oder er las in einem Buche, das bei Ljubi, Gari und Popow gedruckt war (an den Titel erinnerte sich Iwan Iwanowitsch nicht mehr, die Dienstmagd hatte vor längerer Zeit die obere Hälfte des Titelblattes abgerissen, und einem Kinde zu spielen gegeben), oder er legte sich unter das Schutzdach und ruhte aus. Heute aber tat er nichts von alledem. Im Gegenteil, er schalt Gapka, die ihm gerade entgegenkam, aus, weil sie müßig umher schlendere, obgleich sie Grütze nach der Küche trug, und warf einen Stock nach einem Hahn, der bis an die Treppe herangekommen war, um das gewohnte Futter in Empfang zu nehmen. Und als ihm der kleine schmutzige Junge im zerrissenen Hemdchen entgegenlief, und „Papa, Papa, einen Kuchen“ zu schreien anfing, drohte er ihm mit dem Finger und stampfte so laut mit dem Fuße, daß der erschreckte Knabe sich schleunigst aus dem Staube machte.

Endlich besann er sich jedoch und nahm seine gewohnte Beschäftigung wieder auf. Er aß sehr spät zu Mittag, und es dämmerte schon, als er sich auf der Veranda zur Ruhe niederlegte. Die ausgezeichnete Rübensuppe mit Täubchen, die Gapka zubereitet hatte, verbannte die Ereignisse des Morgens vollständig aus seinem Gedächtnis.

Wieder begann Iwan Iwanowitsch mit Vergnügen nach allem zu sehen, was in seinem Haushalt vorging, und als seine Augen über des Nachbars Hof glitten, sagte er, wie im Selbstgespräch zu sich: „heut war ich ja noch nicht bei Iwan Nikiforowitsch, ich muß doch mal rübergehn.“ Hierauf nahm er seine Mütze und seinen Stock und ging auf die Straße, aber kaum hatte er das Haustor verlassen, als ihm sein Streit mit dem Nachbar einfiel. Ärgerlich spuckte er aus und ging wieder in das Haus hinein. Ein ähnlicher Vorgang spielte sich auf dem Hofe des Iwan Nikiforowitsch ab. Iwan Iwanowitsch sah, wie die Alte schon den Fuß auf den Zaun setzte, um in seinen Hof zu klettern, als plötzlich Iwan Nikiforowitschs Stimme erscholl: „Zurück, zurück, es ist nicht nötig.“ Iwan Iwanowitsch wurde sehr traurig. Es ist sehr möglich, daß sich die beiden Ehrenmänner schon am nächsten Tage wieder versöhnt hätten, wenn nicht ein ganz besonderes Ereignis im Hause Iwan Nikiforowitschs jede Hoffnung auf eine Einigung vernichtet und Öl in die schon verglimmende Flamme der Feindschaft gegossen hätte.

Am Abend dieses Tages kam Agafja Fedosiewna zu Iwan Nikiforowitsch. Agafja Fedosiewna war weder verwandt noch verschwägert mit Iwan Nikiforowitsch, sie war nicht einmal seine Gevatterin. Eigentlich hatte sie also gar keinen Grund, ihn zu besuchen, und er war auch nicht sonderlich erfreut über ihre Anwesenheit: aber nichtsdestoweniger kam sie öfters zu ihm und blieb mitunter einige Wochen und noch länger bei ihm. Dann nahm sie die Schlüssel und die ganze Wirtschaft unter ihre Obhut. Das war nun Iwan Nikiforowitsch sehr unangenehm, aber zum allgemeinen Erstaunen gehorchte er ihr wie ein Kind, und so oft er mit ihr in Streit geriet, zog er immer den kürzeren.

Ich muß gestehn, ich begreife es nicht, warum es in der Welt so eingerichtet ist, daß uns die Frauen so geschickt an der Nase zu packen wissen, wie den Henkel einer Teekanne. Sind vielleicht ihre Hände besonders dazu geeignet, oder taugen unsere Nasen zu nichts anderem? Obschon Iwan Nikiforowitschs Nase eine große Ähnlichkeit mit einer Pflaume hatte, packte sie ihn doch an dieser Nase und zog ihn wie ein Hündchen hinter sich her. Während ihrer Anwesenheit veränderte er sogar unwillkürlich seine gewohnte Lebensweise: er lag nicht soviel in der Sonne, und wenn er es tat, nicht mehr nackt, sondern mit Hemd und Hosen bekleidet da, obwohl Agafja Fedosiewna gar keinen Wert darauf legte; sie liebte es, keine Umstände zu machen, und als Iwan Nikiforowitsch einmal das Fieber bekam, rieb sie ihn eigenhändig vom Kopf bis zu den Füßen mit Terpentin und Essig ein. Agafja trug eine Haube auf dem Kopfe, hatte drei Warzen auf der Nase, und ging in einem kaffeebraunen Morgenkleid mit gelben Blumen einher. Ihre Figur ähnelte einem Faß, und darum war es ebenso schwer, ihre Taille zu entdecken, wie ohne Spiegel seine eigene Nase zu sehen. Ihre Beinchen waren kurz und hatten die Form zweier Kissen. Des Morgens aß sie gesottene Rüben, sie verstand es, zu klatschen und meisterlich zu schimpfen, aber während all dieser mannigfaltigen Betätigungsweisen veränderte sich ihr Gesichtsausdruck nicht einen Augenblick — eine Erscheinung, die nur bei Frauen zu beobachten ist.

Seit sie angekommen war, ging alles drunter und drüber. „Iwan Nikiforowitsch, versöhne dich nicht mit ihm, bitte ihn nicht um Verzeihung, er will dich ins Unglück stürzen, das ist so ein Mensch! Du kennst ihn noch nicht!“ Und das verdammte Weib schwatzte und lag ihm fortwährend in den Ohren, und die Folge war, daß Iwan Nikiforowitsch nichts mehr von Iwan Iwanowitsch wissen wollte.

Alles nahm jetzt ein anderes Aussehen an; wenn der Hund des Nachbarn auf den Hof kam, griff man zum ersten besten Gegenstand, den man in die Hand bekam, und verabfolgte ihm eine Tracht Prügel; wenn einmal ein Kind über den Zaun kletterte, kam es heulend zurück, hob das Hemdchen in die Höhe und zeigte die Striemen auf seinem Rücken; selbst die Alte betrug sich so unanständig, daß Iwan Iwanowitsch, dieser delikate Mensch, als er eines Tages eine Frage an sie richtete, nur auszuspucken vermochte, und vor sich hinmurmelte: „Ein widerliches Weib — die ist noch schlimmer als ihr Herr.“

Und endlich, um das Maß der Kränkungen voll zu machen, baute der verhaßte Nachbar, gegenüber Iwan Iwanowitschs Haus, gerade an der Stelle, wo man so bequem hinübersteigen konnte, einen Gänsestall, nur, um seine Beleidigung noch besonders zu verschärfen. Dieser, für Iwan Iwanowitsch so peinliche Bau wurde mit geradezu diabolischer Schnelligkeit, im Laufe eines Tages hergestellt.

Iwan Iwanowitschs Wut war grenzenlos, er sehnte sich nach Rache. Übrigens ließ er sich seinen Ärger nicht merken, obgleich der Stall sogar einen Teil seines Terrains einnahm. Aber sein Herz pochte so heftig, daß es ihm ungemein schwer fiel, die äußere Ruhe zu wahren.

So verbrachte er den Tag und die Nacht kam heran. ... Oh, wenn ich ein Maler wäre, — wie wollte ich die Herrlichkeit der Nacht auf die Leinwand bannen. Ich würde darstellen, wie ganz Mirgorod schläft, wie zahllose Sterne unbewegt herniederblicken, wie nahes und entfernteres Hundegebell die tiefe Stille durchbricht, wie der verliebte Küster herbeigelaufen kommt und mit ritterlicher Furchtlosigkeit über den Zaun klettert, wie die weißen Häuser im Mondschein noch viel weißer und die sie beschattenden Bäume noch viel dunkler erscheinen; schwärzer als sonst ruht der Schatten der Bäume auf der Erde, Blumen und Gräser beginnen stärker zu duften, und die Heimchen, diese unermüdlichen Ritter der Nacht, lassen von allen Seiten ihre schrillen Lieder erklingen. Ich würde darstellen, wie in einer der niedrigen Lehmhütten die schwarzgelockte Bewohnerin auf einsamem Lager hingestreckt, mit wogendem Busen von einem Husaren mit Sporen und Schnurrbart träumt, während die Strahlen des Mondes auf ihren Wangen spielen. Ich würde malen, wie der dunkle Schatten einer Fledermaus über den weißen Weg huscht und sich auf den weißen Schornsteinen der Stadt niederläßt. Allein Iwan Iwanowitsch zu malen, der in dieser Nacht mit der Säge in der Hand aus seinem Hause trat: das würde mir kaum gelingen. Zu zahlreich waren die Gefühle, die sich in seinem Antlitz spiegelten! Leise, ganz leise schlich er zum Gänsestall. Iwan Nikiforowitschs Hunde wußten noch nichts von dem Streit ihrer Herren, und erlaubten ihm daher als einem alten Freunde, dicht an den Stall heranzuschleichen, der auf vier Eichenpfählen stand. Als er sich an den einen Pfosten herangedrängt hatte, legte er die Säge an und begann zu sägen. Der Lärm, welchen die Säge verursachte, zwang ihn, sich in einem fort umzusehen, aber der Gedanke an die erlittene Schmach gab ihm immer wieder neuen Mut. Der erste Pfahl war durchgesägt, und Iwan Iwanowitsch machte sich an den zweiten. Seine Augen brannten, und vor Angst vermochte er nichts zu sehen. Plötzlich schrie Iwan Iwanowitsch auf, er erstarrte und glaubte einen Leichnam vor sich zu sehen, aber er ermannte sich bald wieder, als er sah, daß es nur eine Gans war, die den Hals nach ihm ausstreckte. Ärgerlich spuckte Iwan Iwanowitsch aus, und setzte seine Arbeit fort. Der zweite Pfahl war durchgesägt, — der Bau erzitterte. Als Iwan Iwanowitsch den dritten Pfosten in Angriff nahm, schlug sein Herz so heftig, daß er seine Arbeit einigemale unterbrechen mußte. Schon war mehr als die Hälfte des Pfahls durchgesägt, als plötzlich das ganze schwankende Gebäude zu erzittern begann — Iwan Iwanowitsch hatte kaum Zeit beiseite zu springen — da stürzte es auch schon krachend zusammen. Die Säge krampfhaft in der Hand haltend, lief er tödlich erschreckt in sein Haus und warf sich auf sein Bett; er hatte nicht den Mut, durch das Fenster die Folgen seiner furchtbaren Tat zu beobachten. Ihm schien, als ob alle Knechte und Mägde Iwan Nikiforowitschs sich versammelt hätten — das alte Weib, Iwan Nikiforowitsch, der Junge in dem unendlichen Rock, sie alle kamen mit Keulen bewaffnet und von Agafja Fedosiewna geführt heran, um sein Haus zu zertrümmern.

Den ganzen folgenden Tag brachte Iwan Iwanowitsch wie im Fieber zu. Er glaubte, daß seine verhaßten Gegner ihm aus Rache mindestens das Haus anzünden würden, und daher befahl er Gapka in einem fort, überall nachzusehen, ob nicht irgendwo trockenes Stroh herumliege. Um jeder Gefahr vorzubeugen, beschloß er endlich, Iwan Nikiforowitsch zuvorzukommen, und beim Mirgoroder Kreisgericht eine Klage gegen ihn einzureichen. Worin diese Klage bestand, — das kann der Leser aus dem nächsten Kapitel erfahren.

Viertes Kapitel.
Was sich vorm Mirgoroder Kreisgericht für eine Szene abspielte.

Welch eine herrliche Stadt ist doch Mirgorod! Was gibt es da nicht für Gebäude, mit Stroh-, Schilf- und sogar mit Holzdächern! Rechts eine Straße, links eine Straße; überall wundervolle, von Hopfen umschlungene Zäune, auf denen hie und da Töpfe hängen; Sonnenblumen strecken ihre sonnenähnlichen Köpfe über sie hinweg, roter Mohn und schwellende Kürbisse ... eine wahre Pracht. Die Zäune sind stets mit allerhand Gegenständen geschmückt — einem ausgespannten Unterrock, einem Hemd, oder einem paar Hosen — die sie noch malerischer erscheinen lassen. In Mirgorod gibt es weder Diebe noch Gauner, und daher hängt dort jeder hin, was ihm einfällt. Wenn Sie einmal den Marktplatz besuchen, so werden Sie sicher einen Augenblick stehen bleiben, um sich an dem Bild zu erfreuen; Sie bemerken da eine Pfütze — eine ganz wunderbare Pfütze. Eine Pfütze, wie Sie sie vorher noch nie gesehen haben! Sie erstreckt sich fast über den ganzen Platz. Eine herrliche Pfütze! Die Häuser und Häuserchen, welche um sie herum stehen, und die man von fern für Heuschober halten könnte, sind ganz in Bewunderung der Schönheit dieses Gewässers versunken.

Das schönste Haus in der Stadt ist aber nach meiner Ansicht das Kreisgericht. Es kümmert mich nicht im mindesten, ob es aus Eichen- oder Birkenholz gebaut ist, aber — meine Herrschaften — es hat acht Fenster! Acht Fenster Front auf den Platz und auf die Wasserfläche hinaus, die ich eben erwähnte, und die der Polizeimeister einen See nennt. Es ist das einzige Haus, welches mit brauner Granitfarbe angestrichen ist; alle andern Häuser in Mirgorod sind ganz einfach geweißt. Das Dach ist aus Holz und wäre sogar auch rot angestrichen worden, wenn die Kanzleidiener nicht das dazu bestimmte Öl mit Zwiebeln angerichtet und aufgegessen hätten, weil es gerade Fastenzeit war. Und so blieb das Dach ungestrichen. Das Haus hat eine Veranda, die auf den Platz hinausführt; auf dieser sieht man oft „Hühner“ herumspazieren, denn meist ist Grütze oder sonst etwas Eßbares auf dem Boden verstreut, was übrigens nicht mit Absicht geschieht, sondern eher eine Folge der Unvorsichtigkeit der Klienten ist. Das Haus ist in zwei Teile geteilt: in der einen Hälfte befindet sich die Kanzlei und in der andern das Arrestlokal. In der Hälfte, wo die Kanzlei liegt, gibt es zwei reine, schön getünchte Zimmer: das eine ist leer und dient als Vorraum für die Klienten, das andere enthält einen mit Tintenklexen verzierten Tisch, auf dem sich ein Spiegel befindet; außerdem stehen noch vier Eichenstühle mit hohen Lehnen darin, und an den Wänden ein paar eisenbeschlagene Kisten, in denen Stöße von Protokollen aufbewahrt werden. Damals stand gerade auf einer dieser Kisten ein frisch gewichster Stiefel.

Die Sitzung hatte schon früh morgens begonnen. Der Richter, ein wohlbeleibter Herr, der freilich nicht ganz so dick war wie Iwan Nikiforowitsch, hatte ein gutmütiges Gesicht und trug einen schmierigen Schlafrock. Er rauchte aus seinem Pfeifchen, trank Tee und unterhielt sich mit dem Gerichtsschreiber. Sein Mund befand sich dicht unter seiner Nase, und daher konnte er die Oberlippe nach Herzenslust beschnüffeln. Diese Oberlippe diente ihm als Tabaksdose, da der Tabak, obgleich für die Nase bestimmt, gewöhnlich auf die Lippe herunterfiel und da liegen blieb. — Wie gesagt, der Richter unterhielt sich mit dem Gerichtsschreiber. Etwas seitwärts stand ein barfüßiges Mädchen, das ein Tablett mit Tassen in der Hand hielt. Am Ende des Tisches las der Sekretär einen Gerichtsbeschluß vor, aber mit so monotoner, trübseliger Stimme, daß sogar der Angeklagte eingeschlafen wäre, wenn er ihm zugehört hätte. Dem Richter wäre es zweifellos schon eher passiert, wenn er nicht gerade in ein interessantes Gespräch vertieft gewesen wäre.

„Ich habe mich absichtlich bemüht, herauszubekommen,“ sagte der Richter, indem er seinen schon ein wenig abgekühlten Tee schlürfte, „wie man das macht, daß sie so hübsch singen. Ich hatte vor zwei Jahren eine prachtvolle Drossel. Und was denken Sie wohl, plötzlich war sie ganz verdorben, und begann, weiß Gott wie zu singen, immer schlechter, schlechter und schlechter ... Sie fing an, zu schnarchen und zu krächzen — rein um sie fortzuwerfen. Dabei hing die ganze Geschichte mit einer Kleinigkeit zusammen. Wissen Sie, woher das kommt? An der Kehle bildet sich ein Bläschen, nicht größer als eine kleine Erbse. Dieses Bläschen muß man bloß mit einer Nadel aufstechen. Sachar Prokoffjewitsch hat es mich gelehrt, nämlich ... wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen, wie das war. Ich komme also zu ihm ...“

„Demian Demianowitsch, soll ich jetzt die andere Sache vorlesen?“ unterbrach hier der Sekretär, der schon seit einigen Minuten mit seiner Vorlesung zu Ende war, die Unterhaltung.

„Sind Sie schon fertig? Denken Sie bloß! Wie schnell das geht! Ich habe kein Wort gehört. Ja wo ist sie denn? Geben Sie her, ich will gleich unterschreiben. Haben Sie noch etwas?“

„Die Sache des Kosaken Bokitka wegen der gestohlenen Kuh.“

„Gut, lesen Sie! — Also ich komme zu ihm ... ich kann Ihnen sogar ganz ausführlich erzählen, was er mir alles vorgesetzt hat. Zum Schnaps wurde ein großartiger Stör gereicht. Ja, das war nicht solch ein Stör (hier schnalzte der Richter mit der Zunge, schmunzelte, zog die Oberlippe in die Höhe und sog den Duft, aus seiner immer bereit stehenden Tabaksdose ein) wie ihn unser Störladen hier liefert. Den Hering habe ich nicht gegessen, — Sie wissen ja, er verursacht mir immer Sodbrennen, hier unterm Herzen; dafür entschädigte ich mich beim Kaviar; ein herrlicher Kaviar! Wirklich, das muß ich sagen: ein herrlicher Kaviar! Dann trank ich einen Pfirsichschnaps, der auf Tausendgüldenkraut abgesetzt war. Es war auch noch Safranschnaps da — aber Sie wissen ja, Safranschnaps mag ich nicht. Verstehen Sie mich auch richtig.

Dieser Schnaps ist sehr gut zu Anfang, um den Appetit zu reizen, wie man zu sagen pflegt, und dann wieder als Abschluß ... Ah! aber was höre ich, was sehen meine Augen ...“ schrie der Richter plötzlich auf, als er den eben eintretenden Iwan Iwanowitsch erblickte.

„Grüß Gott! Alles Gute über Sie,“ sagte Iwan Iwanowitsch und grüßte mit der ihm eigenen Zuvorkommenheit nach allen Seiten. Mein Gott, wie wußte er alle durch seine Umgangsformen zu bezaubern! Eine solche Formsicherheit habe ich sonst bei niemandem gefunden. Er war sich aber auch durchaus seiner Würde voll bewußt und nahm die allgemeine Hochachtung als etwas Selbstverständliches hin. Der Richter bot Iwan Iwanowitsch höchst eigenhändig seinen Stuhl an und sog dabei allen Tabak von der Oberlippe ein, was bei ihm stets ein Zeichen großer Zufriedenheit war.

„Was kann ich Ihnen anbieten, Iwan Iwanowitsch,“ fragte er. „Wünschen Sie eine Tasse Tee?“

„Verbindlichen Dank, nein,“ antwortete Iwan Iwanowitsch, machte eine Verbeugung und setzte sich.

„Aber ich bitte Sie, ein Täßchen,“ wiederholte der Richter.

„Nein, danke, danke bestens für Ihre Gastfreundlichkeit!“ antwortete Iwan Iwanowitsch mit einer Verbeugung und setzte sich wieder.

„Eine einzige Tasse,“ wiederholte der Richter.

„Nein, bitte, inkommodieren Sie sich nicht, Demian Demianowitsch!“ Dabei verbeugte sich Iwan Iwanowitsch wieder und setzte sich.

„Ein Täßchen?“

„Nun, denn, meinetwegen, ein Täßchen,“ sagte Iwan Iwanowitsch und streckte die Hand nach dem Teebrett aus.

Himmel! Welch eine Fülle von feinstem Takt besitzt doch mitunter ein Mensch! Es ist nicht zu sagen, welch angenehmen Eindruck solche Umgangsformen machen.

„Befehlen Sie noch ein Täßchen!“

„Herzlichen Dank,“ erwiderte Iwan Iwanowitsch, indem er die umgestülpte Tasse auf das Teebrett zurücksetzte und sich verbeugte.

„Bitte bedienen Sie sich doch, Iwan Iwanowitsch.“

„Ich kann nicht — verbindlichsten Dank.“ Hierbei machte Iwan Iwanowitsch eine Vorbeugung und setzte sich wieder.

„Iwan Iwanowitsch, tun Sie mir den Gefallen! Nur ein Täßchen!“

„Nein, haben Sie vielen Dank für Ihre Gastfreundlichkeit.“ Hierbei erhob er sich, machte eine Verbeugung und setzte sich.

„Nur ein Täßchen! Ein einziges Täßchen!“

Iwan Iwanowitsch streckte seine Hand nach dem Teebrett aus und nahm eine Tasse.

Weiß der Teufel, wie dieser Mann es verstand, seine Würde zu wahren!

„Demian Demianowitsch,“ sagte Iwan Iwanowitsch, indem er den Rest aus seiner Tasse schlürfte, „ich habe ein wichtiges Anliegen — ich will eine Klage einreichen.“ Hierbei stellte Iwan Iwanowitsch die Tasse hin und zog einen voll beschriebenen Stempelbogen aus der Tasche. „Eine Klage gegen meinen Feind, meinen Todfeind!“

„Gegen wen denn?“

„Gegen Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun.“

Bei diesen Worten fiel der Richter fast vom Stuhle. „Was sagen Sie?“ rief er aus und schlug die Hände zusammen. „Iwan Iwanowitsch, was ist Ihnen? Sind Sie es, der das spricht?“

„Sie sehen doch selbst, daß ich es bin!“

„Gott und alle Heiligen schützen Sie! Wie? Sie! Iwan Iwanowitsch, ein Feind von Iwan Nikiforowitsch? So etwas kommt über Ihre Lippen? Wiederholen Sie das noch einmal! Hat sich vielleicht jemand hinter Ihren Rücken versteckt und spricht für Sie?“

„Was ist denn so Unwahrscheinliches daran? Ich kann ihn nicht mehr sehen. Er hat mich tödlich beleidigt! Er hat meine Ehre verletzt!“

„Heilige Dreieinigkeit! Wie soll ich das bloß meiner Mutter beibringen! Wenn ich mich mit meiner Schwester zanke, sagt die Alte täglich: Kinder ihr lebt ja zusammen wie Hund und Katze, nehmt euch doch ein Beispiel an Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch, das sind einmal Freunde; ja das sind echte, wahre Freunde und Ehrenmänner! Da haben wir es — schöne Freunde das! Aber erzählen Sie doch — was ist geschehen! Was ist los?“

„Das ist eine delikate Sache, Demian Demianowitsch; mit Worten kann man so etwas gar nicht wiedergeben, lassen Sie sich lieber meine Klage vorlesen. Bitte fassen Sie sie hier an — von dieser Seite: es ist so vornehmer.“

„Bitte lesen Sie vor, Taraß Tichonowitsch,“ sagte der Richter und wandte sich an den Sekretär.

Taraß Tichonowitsch nahm die Bittschrift in Empfang, schnaubte sich mit Hilfe zweier Finger die Nase (so machen es nämlich alle Sekretäre in den Kreisgerichten) und begann zu lesen.

„Der Edelmann und Gutsbesitzer des Mirgoroder Kreises Iwan Iwanowitsch Pererepenko, erlaubt sich folgende Eingabe an das Gericht zu machen. Der Anlaß dazu ist in folgenden Punkte enthalten:

1) Der aller Welt durch seine gottlosen, jedermann zur Wut reizenden, alles Maß übersteigenden, gesetzwidrigen Handlungen bekannte Edelmann: Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun hat mich am 7. Tage des Monats Juli 1810 tödlich beleidigt, indem er sowohl meine persönliche Ehre angegriffen, als auch die Würde meines Standes und meiner Familie herabzusetzen und zu demütigen getrachtet hat. Dabei hat genannter Edelmann selbst ein garstiges Äußeres, einen zänkischen Charakter und steckt voller Gotteslästerungen und persönlicher Schimpfworte.“

Hier hielt der Vorleser einen Moment inne, um sich wieder zu schneuzen, der Richter aber kreuzte voller Bewunderung die Arme und murmelte vor sich hin: „Was für eine gewandte Feder! Herrgott, wie der Mann schreibt!“

Iwan Iwanowitsch bat den Schreiber, weiter zu lesen, und Taraß Tichonowitsch fuhr fort: „Genannter Edelmann, Iwan Nikiforowitsch Dowgotschun gab mir öffentlich, als ich mit freundschaftlichen Vorschlägen zu ihm kam, einen beleidigenden und ehrenrührigen Namen, nämlich „Gänserich“, obgleich es dem Mirgoroder Kreis bekannt ist, daß ich mich nie nach diesem widerlichen Vogel genannt, und auch in Zukunft nicht die Absicht habe, mich nach ihm zu nennen. Der Beweis für meine adelige Herkunft ist schon damit geführt, daß der Tag meiner Geburt, wie die an mir vollzogene Taufe in dem Kirchenbuche, das sich in der Drei-Heiligen-Kirche befindet, eingetragen ist. Ein „Gänserich“ hingegen kann, wie jedermann, der nur im geringsten mit den Wissenschaften vertraut ist, nicht in einem Kirchenbuch eingetragen sein, da ein „Gänserich“ kein Mensch, sondern ein Vogel ist. Dieses weiß sogar ein jeder, der nicht einmal ein Seminar besucht hat. Aber trotzdem ihm alles so gut bekannt war, hat mich genannter bösartiger Edelmann mit diesem garstigen Worte beschimpft, nur um meiner Ehre, meinem Rang und Stand eine tödliche Beleidigung zuzufügen.

2) Derselbe unanständige und unerzogene Edelmann hat es auch auf mein, mir von meinem Vater, dem seligen Iwan und Sohn des Onisius-Pererepenko, der dem geistlichen Stande angehörte, vererbtes Stammeigentum abgesehen, indem er nur, allen Vorschriften entgegen, direkt vor meine Veranda einen Gänsestall hingebaut hat, allein in der Absicht, die mir angetane Beleidigung noch zu verschärfen; denn der genannte Stall stand bis dahin an einem vortrefflichen Platze und war noch in gutem Zustande. Aber die ekelhafte Absicht des oben genannten Edelmanns war einzig und allein die, mich zum Augenzeugen unanständiger Geschehnisse zu machen, da es doch aller Welt bekannt ist, daß kein Mensch zwecks anständiger Verrichtungen in einen Stall geht, besonders nicht in einen Gänsestall. Bei dieser gesetzwidrigen Handlung standen die beiden vorderen Pfosten noch dazu auf meinem Terrain, das ich noch zu Lebzeiten meines seligen Vaters Iwan, des Onisius-Pererepenkos Sohn, erhalten habe, und das beim Speicher beginnt und in gerader Linie bis zu der Stelle geht, wo die Weiber ihre Töpfe waschen.

3) Der oben geschilderte Edelmann, dessen Name und Familie schon allein Ekel erregen, trägt sich mit der nichtswürdigen Absicht, mir das Haus über dem Kopfe anzuzünden, was aus den unten angeführten Anzeichen deutlich hervorgeht: 1. geht jener schlechte Edelmann in letzter Zeit viel aus seinem Hause heraus, was er früher aus Faulheit und infolge seiner nichtswürdigen körperlichen Fülle nicht zu tun pflegte; 2. brennt er in seiner Gesindestube, welche dicht an dem Zaune liegt, der mein von meinem seligen Vater Iwan des Onisius Sohn Pererepenko geerbtes Eigentum umgibt, täglich und ungewöhnlich lange Licht. Das beweist deutlich seine verbrecherischen Pläne, da bis jetzt nicht nur das Talglicht, sondern auch die Tranlampe aus schmutzigem Geiz frühzeitig ausgelöscht wurde.

Und daher bitte ich den genannten Edelmann, Iwan Nikifors Sohn, Dowgotschchun der Brandstiftung, der Beleidigung meines Ranges, Namens und Geschlechts, der räuberischen Aneignung fremden Eigentums und hauptsächlich der niederträchtigen und anstößigen Hinzufügung des Wortes „Gänserich“ zu meinem Familiennamen schuldig zu sprechen, ihm eine Strafe aufzuerlegen, zur Zahlung der Unkosten, zum Schadenersatz zu verurteilen, ihn des ferneren wegen dieser Verbrechen ins Stadtgefängnis zu werfen und das Urteil gemäß meiner Eingabe sofort und widerspruchslos zu vollstrecken.

Geschrieben und aufgesetzt vom Edelmann und Mirgoroder Gutsbesitzer Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko.“

Nach Beendigung der Vorlesung näherte sich der Richter Iwan Iwanowitsch, faßte ihn bei einem seiner Knöpfe und begann ungefähr folgendermaßen auf ihn einzureden: „Was machen Sie da, Iwan Iwanowitsch? Fürchten Sie denn Gott garnicht? Vernichten Sie diese Klage, möge sie verschwinden (mag ihr der Teufel im Traum erscheinen)! Nehmen Sie lieber Iwan Nikiforowitsch bei den Händen und küssen Sie sich; kaufen Sie sich Santurinischen oder Nikopolsker Wein, oder machen Sie einfach einen kleinen Punsch zurecht und laden Sie mich dazu ein! Wir trinken ihn zusammen, und alles ist vergessen.“

„Nein Demian Demianowitsch, das ist keine so einfache Sache,“ sagte Iwan Iwanowitsch mit der Würde, die ihm so wohl anstand, „das ist keine Angelegenheit, die man durch einen freundschaftlichen Vergleich erledigen könnte. Adieu. Leben Sie wohl meine Herren,“ fuhr er mit der gleichen Würde fort, indem er sich an alle Anwesenden wandte. „Ich hoffe, daß meine Eingabe die ihr gebührende Berücksichtigung finden wird.“ Mit diesen Worten ging er und ließ die Kanzlei in der größten Bestürzung zurück. Der Richter saß sprachlos da; der Sekretär nahm eine Prise, die Schreiber warfen die zerbrochene Flasche um, die als Tintenfaß diente, und der Richter fuhr in seiner Zerstreutheit mit dem Finger durch die Tintenlache, die sich auf dem Tische gebildet hatte.

„Was sagen Sie dazu, Dorofej Trofimowitsch,“ sagte der Richter, indem er sich nach einer Pause an den Gerichtsschreiber wandte.

„Ich sage garnichts,“ antwortete der Gerichtsschreiber.

„Was nicht alles auf der Welt passiert,“ fuhr der Richter fort. Kaum hatte er dies gesagt, als die Tür knarrte, und die vordere Hälfte von Iwan Nikiforowitsch in der Kanzlei erschien, — die andere befand sich noch im Vorraum. Iwan Nikiforowitschs Erscheinen, zumal vor Gericht, war etwas so Außergewöhnliches, daß der Richter laut aufschrie, der Sekretär seine Lektüre unterbrach, der eine Kanzleibeamte, welcher einen kurzen Frack aus Frieswolle trug, die Feder in den Mund steckte, und ein anderer eine Fliege verschluckte; sogar der Invalide, welcher den Dienst eines Feldjägers und Wächters versah, und bisher in der Tür gestanden hatte und sich unter seinem schmutzigen an der Schulter mit Stickereien geschmückten Hemde kratzte, selbst dieser Invalide riß das Maul auf und trat irgend jemandem auf den Fuß.

„Was verschafft uns die Ehre? Was gibt’s? Wie ist Ihr wertes Befinden, Iwan Nikiforowitsch?“

Aber Iwan Nikiforowitsch war halbtot vor Schrecken, denn er war zwischen der Türe eingekeilt und konnte keinen Schritt vorwärts noch rückwärts machen. Vergebens schrie der Richter in das Vorzimmer hinaus, jemand solle Iwan Nikiforowitsch von hinten in den Gerichtssaal schieben, aber im Vorraum befand sich nur eine alte Bittstellerin, die mit ihren knöchernen Händen trotz der größten Anstrengung nichts ausrichten konnte. Da trat ein Kanzleibeamter mit wulstigen Lippen, breiten Schultern, dicker Nase, schielenden, weinseligen Äuglein und zerfetzten Ärmeln vor, schritt auf Iwan Nikiforowitschs vordere Hälfte zu, legte ihm die Hände wie einem kleinen Kinde auf der Brust zusammen und winkte dem Invaliden. Dieser stemmte sich mit den Knien gegen Iwan Nikiforowitschs Bauch und preßte ihn trotz seines kläglichen Stöhnens wieder in den Vorraum. Darauf schob man die Riegel zurück und öffnete die zweite Hälfte der Flügeltür. Der Kanzleibeamte und der Invalide hatten bei ihrer gemeinschaftlichen Anstrengung einen so starken Duft ausgeströmt, daß die ganze Kanzlei für einige Zeit gleichsam in einen Schnapsausschank verwandelt schien.

„Sie haben sich doch hoffentlich nicht weh getan, Iwan Nikiforowitsch? Ich werde es meiner Mutter sagen, die wird Ihnen ein Elixier zuschicken; wenn Sie sich Rücken und Kreuz damit einreiben, wird alles wieder vergehen!“

Iwan Nikiforowitsch sank auf einen Stuhl; er stieß immer wieder verzweifelte Seufzer aus; sonst war nichts aus ihm herauszubringen. Endlich sprach er mit einer vor Ermattung kaum hörbaren Stimme: „Ist’s gefällig?“ Dann zog er seine Tabaksdose aus der Tasche und sagte: „Bitte, bedienen Sie sich!“

„Ich freue mich sehr, Sie hier zu sehen,“ sagte der Richter, „aber ich kann mir nicht vorstellen, was Sie bewogen hat, diese Mühe auf sich zu nehmen und uns mit einer so angenehmen Überraschung zu erfreuen.“

„Mit einer Bitte ...“, das war alles, was Iwan Nikiforowitsch zu sagen vermochte.

„Mit einer Bitte? Mit was für einer Bitte?“

„Mit einer Klage ... (hier ging ihm der Atem aus, und es entstand eine neue Pause), oh ... mit einer Klage gegen diesen Räuber .... gegen Iwan Iwanowitsch Pererepenko!“

„Mein Gott, Sie auch! Zwei solche seltene Freunde! Eine Klage gegen einen so tugendhaften Menschen!“

„Er ist der Teufel in eigener Person!“ stieß Iwan Nikiforowitsch hervor.

Der Richter schlug ein Kreuz.

„Bitte nehmen Sie die Eingabe und lesen Sie!“

„Da ist nichts zu machen, Taraß Tichonowitsch lesen Sie,“ sagte der Richter, indem er sich verdrießlich an den Sekretär wandte: dabei beschnüffelte seine Nase die Oberlippe, was sie sonst nur in den Augenblicken zu tun pflegte, wenn ihm etwas besonders Angenehmes passierte. Diese Eigenmächtigkeit seiner Nase verursachte dem Richter noch mehr Verdruß, und um ihre Frechheit zu bestrafen, nahm er sein Taschentuch heraus und wischte sich allen Tabak von der Oberlippe.

Der Sekretär nahm wie gewöhnlich einen Anlauf, was er vor der Lektüre eines Schriftstückes stets zu tun pflegte, — natürlich abermals ohne Hilfe eines Taschentuchs, und begann mit monotoner Stimme folgendermaßen:

„Der Edelmann des Mirgorodschen Kreises Iwan, Nikiforows Sohn, Dowgotschun, wendet sich mit einem Gesuch an das Kreisgericht von Mirgorod, der Inhalt dieses Gesuches ist in folgenden Punkten dargelegt:

1. Iwan Iwans Sohn, Pererepenko, der sich selbst einen Edelmann nennt, fügt mir in seiner haßerfüllten Bosheit und deutlichen Mißgunst allerlei Heimtücke, Verluste und andere teuflische und schreckenerregende Schädigungen zu. Gestern um Mitternacht hat er sich wie ein Räuber mit Beilen, Sägen, Stemmeisen und anderen Schlosserwerkzeugen in meinen Hof geschlichen und daselbst meinen eigenen, dort befindlichen Stall eigenhändig in schamloser Weise zerstört, obgleich ich ihm meinerseits gar keine Veranlassung zu einer so gesetzwidrigen und räuberischen Handlung gegeben habe.

2. Derselbe Edelmann Pererepenko trachtet mir sogar nach dem Leben; diesen Plan hat er schon bis zum 7. dieses Monats im geheimen geschmiedet, hierauf aber besuchte er mich, fing in freundschaftlich-listiger Weise an, mir eine Flinte, die sich im Zimmer befand, abzuschmeicheln, und bot mir mit dem ihm eigenen Geiz, allerlei unbrauchbare Gegenstände: unter anderem ein braunes Schwein und zwei Maß Hafer zum Ersatz dafür an. Da ich aber sofort seine verbrecherische Absicht durchschaute, versuchte ich ihn auf alle mögliche Weise davon abzubringen, aber der obengenannte Halunke und Lump, Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, beschimpfte mich in gemeiner bäurischer Weise und verfolgt mich seit jener Zeit mit unversöhnlichem Haß. Dabei ist der oben des öfteren genannte rasende Edelmann und Räuber Iwanowitsch Pererepenko außerdem von sehr schimpflicher Herkunft. Seine Schwester war eine weltbekannte Herumtreiberin, und zog mit dem Jägerregiment, das vor fünf Jahren in Mirgorod lag, davon, ihren Mann aber hat sie in die Liste der Bauern eintragen lassen. Und ebenso waren sein Vater und Mutter sehr verbrecherische Leute, und beide unglaubliche Säufer. Der oben erwähnte Edelmann und Räuber Pererepenko hat jedoch durch seine viehische und abscheuerregende Handlungsweise seine Verwandten noch übertroffen, und vollbringt unter dem Schein der Gottesfürchtigkeit die allerschlimmsten Anstoß erregenden Sachen. Er hält die Fasten nicht ein, denn am Vorabend des heiligen Philippus kaufte sich dieser Gottlose zum Beispiel einen Hammel, befahl seiner Konkubine Gapka, das Tier am nächsten Tage zu schlachten, und redete sich nachher damit heraus, daß er den Talg für Licht und Lampe benötigt habe.

Daher ersuche ich darum, den genannten Edelmann, als Räuber, Gotteslästerer und Halunken, der schon mehrfach des Raubes und Diebstahls überführt worden ist, in Ketten zu legen, in den Turm zu sperren, oder ins Staatsgefängnis überzuführen, und dort nach Lage der Dinge seines Ranges und Eigentums zu entäußern, tüchtig mit Ruten auszupeitschen, oder nötigenfalls zur Zwangsarbeit nach Sibirien zu verschicken, ihn zur Zahlung der Unkosten und zu Schadenersatz zu verurteilen und das Urteil laut diesem meinen Gesuche zu vollstrecken.

Diese Eingabe hat Iwan, Nikiforows Sohn, Dowgotschchun, Edelmann des Mirgorodschen Kreises eigenhändig unterschrieben.“

Kaum hatte der Sekretär die Eingabe verlesen, als Iwan Nikiforowitsch schon nach seiner Mütze griff, sich verbeugte und anscheinend wieder gehen wollte.

„Wo wollen Sie hin, Iwan Nikiforowitsch?“ rief ihm der Richter nach, „bleiben Sie doch noch einen Augenblick sitzen. Trinken Sie doch erst eine Tasse Tee. Oryschko, was stehst du da, dummes Mädel, und liebäugelst mit den Schreibern? Lauf schnell und bring Tee.“

Aber Iwan Iwanowitsch war voller Angst, weil er sich so weit vom Hause entfernt hatte und da er sich der gefährlichen Quarantäne beim Eintritt erinnerte, schon zur Tür hinausgeschlüpft und sagte nur: „Bitte machen Sie keine Umstände, ich werde mit Vergnügen ...“ Nach diesen Worten schloß er die Tür hinter sich und ließ den ganzen Gerichtshof in höchstem Staunen und größter Bestürzung zurück.

Es war nichts zu machen. Beide Eingaben wurden angenommen, und die Sache wäre sicherlich sehr interessant geworden, wenn nicht ein unvorhergesehener Umstand ihr noch eine weit größere Bedeutung verliehen hätte. Als der Richter die Amtsstube in Begleitung des Gerichtsschreibers und des Sekretärs verlassen, und die Schreiber die verschiedenen Gegenstände, die die Klienten mitgebracht hatten, als da sind: Hühner, Eier, Brote, Pasteten, Torten und allerlei Plunder in einen Sack stopfen wollten, kam ein braunes Schwein in das Zimmer gelaufen und packte zur großen Überraschung aller Anwesenden — nicht etwa eine Pastete oder eine Brotrinde — sondern Iwan Nikiforowitschs Eingabe, die so nah am Tischrande lag, daß ein paar Seiten hinüberhingen. Sobald das Schwein die Eingabe ergriffen hatte, lief es schnell davon, so daß niemand von den Kanzleibeamten es einholen konnte, trotz aller Lineale und Tintenfässer, die sie ihm nachschleuderten. Dieses außerordentliche Ereignis verursachte einen fürchterlichen Wirrwarr, da noch keine Kopie von der Eingabe angefertigt worden war. Der Richter, oder vielmehr der Gerichtsschreiber und der Sekretär berieten sich lange über diesen unerhörten Vorgang; endlich wurde beschlossen, daß man einen Bericht aufsetzen und den Polizeimeister davon benachrichtigen müsse, da die Untersuchung dieser Angelegenheit in das Ressort der städtischen Polizei gehöre. Noch am selben Tage wurde ihm ein Bericht zugesandt, der die Nummer 389 trug, und hierauf erfolgte eine sehr interessante Auseinandersetzung, über die der Leser im folgenden Kapitel Näheres erfahren kann.

Fünftes Kapitel.
In welchem von der Beratung zweier hochgeachteter Persönlichkeiten aus Mirgorod berichtet wird.

Kaum hatte Iwan Iwanowitsch seine häuslichen Angelegenheiten geordnet und war wie gewöhnlich unter das Schutzdach getreten, um sich ein wenig auszuruhen, als er zu seinem unbeschreiblichen Erstaunen an der Pforte etwas Rötliches schimmern sah. Das war der rote Aufschlag an der Uniform des Polizeimeisters. Dieser Aufschlag hatte ebenso wie der Kragen einen gewissen gleichmäßigen Glanz und war im Begriff, sich an den Rändern in ein Stück Lackleder zu verwandeln. Iwan Iwanowitsch dachte sich: „Hm! Garnicht übel, daß Peter Fedorowitsch kommt, um die Sache zu besprechen.“ Als er aber sah, wie schnell der Polizeimeister daherkam und mit den Armen schlenkerte, was gewöhnlich nur in Ausnahmefällen geschah, war er sehr verwundert. Der Amtsrock des Polizeimeisters hatte nur acht Knöpfe, der neunte war ihm vor zwei Jahren während der Einweihung der neuen Kirche abgesprungen, und die Polizisten hatten ihn bis jetzt nicht finden können, obgleich sie der Polizeimeister bei dem täglichen Rapport immer wieder fragte: „Hat der Knopf sich gefunden?“ Diese acht Knöpfe waren bei ihm so angeordnet, wie die alten Weiber ihre Bohnen zu pflanzen pflegen: einer rechts, der andere links. Das linke Bein war ihm bei der letzten Kampagne angeschossen worden, daher hinkte er, und warf es so stark zur Seite, daß die Arbeit des rechten Beines dadurch fast völlig in Frage gestellt wurde. Je schneller der Polizeimeister mit seinem Fußwerk manövrierte, um so langsamer kam er von der Stelle, und daher hatte Iwan Iwanowitsch Zeit, sich in allerlei Vermutungen zu ergehen: warum der Polizeimeister zum Beispiel mit seinem Arm herumschlenkerte usw. Iwan Iwanowitsch beschäftigte sich um so mehr mit dieser Frage, als er sah, daß der Polizeimeister einen neuen Degen umgeschnallt hatte, die Angelegenheit also unzweifelhaft von großer Wichtigkeit sein mußte.

„Peter Fedorowitsch, ich habe die Ehre,“ rief Iwan Iwanowitsch, der, wie erwähnt, sehr neugierig war und seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte, als er bemerkte, daß der Polizeimeister die Veranda im Sturme nahm, obschon er noch immer zu Boden blickte und mit seinem Gehwerk in Konflikt geriet, weil er die Stufe auf keine Weise mit einem Satz erreichen konnte.

„Ich wünsche meinem liebenswürdigen Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch einen schönen guten Tag,“ antwortete der Polizeimeister.

„Bitte nehmen Sie doch Platz. Ich sehe, Sie sind ermüdet. Ihr verwundetes Bein erschwert Ihnen das Gehen ...“

„Mein Bein,“ schrie der Polizeimeister, und maß Iwan Iwanowitsch mit einem jener Blicke, wie ihn ein Riese auf einen Zwerg, oder ein gelehrter Pedant auf einen Tanzlehrer wirft. Hierbei streckte er das Bein aus und stampfte damit auf den Boden; aber dieser Wagemut kam ihm teuer zu stehen. Sein ganzer Körper fing an zu wanken, und er schlug mit der Nase auf das Geländer; der weise Hüter der Ordnung tat jedoch, als sei nichts geschehen, richtete sich sofort wieder auf und griff in die Tasche, als suche er seine Tabaksdose. — „Ich will Ihnen nur sagen, verehrtester Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch, daß ich in meinem Leben noch ganz andere Märsche gemacht habe. Scherz beiseite, wahrhaftig, was habe ich nicht schon für Märsche gemacht! Zum Beispiel während der Campagne von 1807 ... Ich will Ihnen erzählen, wie ich einmal zu einer niedlichen Deutschen über den Zaun geklettert bin ...“ Bei diesen Worten zwinkerte der Polizeimeister mit dem einen Auge, und ein teuflisches, spitzbübisches Grinsen glitt über sein Gesicht.

„Wo sind Sie denn heut schon überall gewesen?“ fragte Iwan Iwanowitsch, indem er den Polizeimeister unterbrach, denn er wollte das Gespräch möglichst schnell auf die Ursache seines Besuches lenken. Er hätte sehr gern ohne Umschweife gefragt, was der Polizeimeister ihm mitzuteilen habe, aber seine noble Lebensart führte ihm die ganze Unhöflichkeit dieser Frage vors Gemüt, und Iwan Iwanowitsch mußte sich beherrschen und ruhig die Lösung abwarten, wenngleich sein ungeduldiges Herz heftig pochte.

„Wenn Sie gestatten, will ich Ihnen erzählen, wo ich überall war,“ antwortete der Polizeimeister. „Vor allem kann ich Ihnen melden, daß heute ein herrliches Wetter ist.“

Bei diesen Worten traf Iwan Iwanowitsch fast der Schlag.

„Gestatten Sie,“ fuhr der Polizeimeister fort, „ich komme heute in einer sehr wichtigen Angelegenheit zu Ihnen.“ — Hier nahm der Polizeimeister den gleichen bekümmerten Gesichtsausdruck, die gleiche Miene, und die gleiche Haltung an, wie vorhin, als er die Balkonstufe zu stürmen versuchte. Iwan Iwanowitsch erholte sich ein wenig, obgleich er wie im Fieber zitterte, und stellte scheinbar unbefangen nach seiner Art die Frage: „Was für eine wichtige Angelegenheit ist denn das ... ist sie wirklich so wichtig?“

„Hören Sie ... vor allem erlaube ich mir, Ihnen, verehrter Freund und Gönner Iwan Iwanowitsch, zu bemerken, daß Sie ... d. h. ich meinerseits, verstehen Sie wohl, ich habe nichts ... aber der Standpunkt der Regierung, der Standpunkt der Regierung erheischt es ... Sie haben die Polizeiverordnung verletzt.“

„Was sagen Sie, Peter Feodorowitsch? Ich verstehe kein Wort?“

„Ich bitte Sie, Iwan Iwanowitsch, wie können Sie denn das nicht verstehen! Ihr eigenes Tier hat ein sehr wichtiges amtliches Schriftstück gestohlen, und Sie wollen noch behaupten, Sie verständen kein Wort?“

„Was für ein Tier?“

„Mit Erlaubnis zu sagen: Ihr eigenes braunes Schwein.“

„Ja, bin ich denn schuld daran? Warum lassen die Gerichtsdiener die Tür offen?“

„Aber Iwan Iwanowitsch, es ist doch Ihr eigenes Tier! Also sind Sie doch verantwortlich!“

„Ich bin Ihnen sehr verbunden, daß Sie mich mit einem Schwein identifizieren.“

„Bitte, das habe ich durchaus nicht gesagt, Iwan Iwanowitsch. Bei Gott, das habe ich nicht gesagt: Bitte urteilen Sie selbst nach Ihrem eigenen Gewissen. Es ist Ihnen zweifellos bekannt, daß es nach den amtlichen Vorschriften unreinen Tieren verboten ist, in der Stadt und vor allem in wichtigsten Verkehrsstraßen zu promenieren. Sie müssen doch selbst zugeben, daß so etwas streng verboten ist.“

„Herrgott, was Sie zusammenreden! Eine große Sache, wenn ein Schwein einmal auf die Straße läuft!“

„Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken, Iwan Iwanowitsch, gestatten Sie ... gestatten Sie, — das ist eben ganz unmöglich! Was ist da zu machen. Die Obrigkeit will es so — und wir müssen gehorchen. Ich widerspreche nicht, es kommt vor, daß Hühner und Gänse in den Straßen, oder sogar auf den Plätzen herumlaufen — aber wohl bemerkt: Hühner und Gänse. Ich habe doch noch im vorigen Jahr die Verordnung erlassen, daß Schweine und Ziegen auf den öffentlichen Plätzen nicht geduldet werden dürfen, und ich habe diese Verordnung in der Versammlung öffentlich und vor allem Volke laut vorlesen lassen.“

„Nein, Peter Fedorowitsch, ich kann hierin nur eins sehen: daß Sie mich durchaus beleidigen wollen.“

„Nein, nein, das dürfen Sie nicht sagen, daß ich Sie beleidigen will, verehrter Freund und Gönner. Erinnern Sie sich doch gefälligst: ich habe kein Wort gesagt, als Sie im vorigen Jahr Ihr Dach um eine Arschin höher setzen ließen, als das gesetzliche Maß es erlaubt. Im Gegenteil, ich tat, als bemerkte ich nichts davon. Glauben Sie nur, Verehrtester, daß ich auch jetzt — sozusagen vollkommen ... aber meine Pflicht, oder ... mit einem Wort mein Amt fordert, daß ich auf Reinlichkeit halten muß. Urteilen Sie doch selbst, wenn plötzlich auf der Hauptstraße ...“

„Auch was Schönes — diese Ihre Hauptstraße! Wo die alten Weiber allen Unrat hinwerfen, den sie nicht brauchen können.“

„Erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, Iwan Iwanowitsch, daß Sie es sind, der mich beleidigt. Es ist wahr, es geschieht manchmal, aber doch nur in der Nähe von Zäunen, Speichern oder Kammern; aber daß sich eine trächtige Sau auf die Hauptstraße, oder auf den Platz hinauswagt, das ist so eine Sache ....“

„Was ist denn dabei, Peter Feodorowitsch! Ein Schwein ist doch auch ein Geschöpf Gottes.“

„Zugegeben. Alle Welt weiß, daß Sie ein gelehrter Mann sind. Sie kennen die Wissenschaften und viele andere Dinge. Ich habe mich natürlich nicht mit den Wissenschaften befaßt; das Schnellschreiben habe ich erst mit dreißig Jahren gelernt. Wie Sie wissen, war ich Gemeiner.“

„Hm,“ sagte Iwan Iwanowitsch.

„Ja,“ fuhr der Polizeimeister fort, „im Jahre 1801 war ich Leutnant der 4. Kompagnie im 42. Jägerregiment. Unser Kommandant war, wie Sie vielleicht wissen, ein gewisser Hauptmann Jeremeew.“ Hierbei senkte der Polizeimeister seine Finger in die Tabaksdose, welche Iwan Iwanowitsch ihm hinhielt, und zerrieb den Tabak zwischen den Händen.

„Hm,“ erwiderte Iwan Iwanowitsch.

„Aber es ist meine Pflicht, mich den Forderungen der Obrigkeit zu unterwerfen,“ fuhr der Polizeimeister fort. „Wissen Sie auch, Iwan Iwanowitsch, daß die Entwendung eines amtlichen Schriftstückes, genau so wie jegliches andere Verbrechen, vor das Kriminalgericht gehört?“

„Das weiß ich so gut, daß ich Ihnen, wenn Sie wünschen, sogar einen Vortrag darüber halten könnte. Aber das bezieht sich auf Menschen, so z. B. wenn Sie ein Dokument gestohlen hätten. Aber ein Schwein — ein Tier, ein Geschöpf Gottes ...“

„Sie mögen recht haben, aber das Gesetz lautet: der des Diebstahls Schuldige — ich bitte Sie genauer hinzuhören. — Der Schuldige! Hier ist weder vom Stand, noch von der Gattung, noch vom Geschlecht die Rede, also kann auch ein Tier der Schuldige sein. Aber wie Sie wollen, das Tier muß bis zur Verkündigung des Urteils als Ruhestörer der Polizei ausgeliefert werden.“

„Nein, Peter Feodorowitsch, das wird nun nicht geschehen,“ sagte Iwan Iwanowitsch kaltblütig.

„Wie Sie meinen, ich muß mich jedoch an die Vorschriften der Regierung halten.“

„Wie? Sie drohen mir! Sie wollen wahrscheinlich den einarmigen Soldaten herschicken, um es holen zu lassen. Ich werde meiner Magd befehlen, ihm mit der Ofenzange heimzuleuchten, die wird ihm auch noch seine gesunde Hand entzweischlagen!“

„Ich will nicht mit Ihnen streiten. Falls Sie der Polizei das Schwein nicht auszuliefern gedenken, so tun Sie mit ihm, was Ihnen beliebt; schlachten Sie es meinetwegen zu Weihnachten, machen Sie Schinken daraus, oder verzehren Sie es. Ich möchte Sie jedoch bitten, falls Sie Würste daraus machen sollten, mir ein paar von der Sorte zu schicken, die Ihre Gapka so kunstvoll aus Blut und Schmalz zuzubereiten versteht. Meine Agrafjena Trifonowna mag sie so gern.“

„Mit Vergnügen; ein paar Würste will ich Ihnen gern schicken.“

„Sie werden mich sehr zu Danke verpflichten, verehrter Freund und Gönner. Jetzt gestatten Sie mir jedoch, Ihnen noch ein Wort zu sagen. Ich habe von allen unseren Bekannten und vom Richter den Auftrag, Sie sozusagen mit Ihrem Freunde Iwan Nikiforowitsch zu versöhnen.“

„Was, mit diesem ungebildeten Menschen! Ich soll mich mit diesem Grobian versöhnen! Niemals! Das wird nie geschehen! Das wird nie geschehen!“ Iwan Iwanowitsch befand sich in einer sehr entschlossenen Stimmung.

„Wie Sie wünschen,“ antwortete der Polizeimeister, und regalierte jedes Nasenloch mit einer Prise, „ich wage nicht, Ihnen einen Rat zu geben, aber erlauben Sie mir, zu bemerken: jetzt sind Sie verfeindet, aber wenn Sie sich versöhnen ...“

Allein Iwan Iwanowitsch begann von der Wachteljagd zu erzählen, was er gewöhnlich tat, wenn er das Gesprächsthema wechseln wollte. Und so mußte der Polizeimeister unverrichteter Sache abziehen.

Sechstes Kapitel.
Aus welchem der Leser alles erfahren kann, was es enthält.

Wie sehr man auch im Gericht die Tatsache geheim zu halten suchte: es half nichts, am nächsten Tag schon wußte ganz Mirgorod, daß Iwan Iwanowitschs Schwein Iwan Nikiforowitschs Eingabe gestohlen hatte. Der Polizeimeister selbst war der erste, dem das Geheimnis in einem unbewachten Augenblicke entschlüpfte. Als man es Iwan Nikiforowitsch erzählte, sagte er weiter nichts als: „war es vielleicht das braune?“

Aber Agafja Fedossiewna, die gerade anwesend war, fiel über Iwan Nikiforowitsch her. „Was fällt dir ein, Iwan Nikiforowitsch? Wie wird man dich auslachen! Wie wird man sich über deine Dummheit lustig machen, wenn du dazu schweigst! Und du willst ein Edelmann sein! Du wärst ja schlimmer als das alte Weib, welche die Honigkuchen verkauft, die du so gern ißt!“ Und die Unermüdliche ließ nicht eher nach, als bis sie ihn überredet hatte. Sie trieb irgendwo einen Menschen in mittleren Jahren auf: einen brünetten Herrn, voller Flecken im Gesicht, in einem dunkelblauen Rock und mit geflickten Ärmeln — einen rechten Tintenkuli und Winkelkonsulenten. Dieser Mensch schmierte seine Stiefeln mit Teer, hatte immer drei Federn hinterm Ohr und trug eine mit einem Schnürchen befestigte Glasblase am Knopfe, welche er als Tintenfaß benutzte. Er aß neun Pasteten auf einen Sitz und steckte die zehnte ein, dabei war er imstande, so viel Verleumdungen auf einen Stempelbogen zu schreiben, daß kein Schreiber es fertig brachte, sie in einem Zug herunter zu lesen, ohne dazwischen mehrmals zu husten und zu niesen. Dieses kleine, menschenähnliche Wesen wühlte überall herum, strengte sich aus Leibeskräften an, und braute endlich folgendes Schriftstück zusammen:

„An das Kreisgericht zu Mirgorod von dem Edelmann Iwan, Nikiforows Sohn, Dowgotschun.“

„Betreffend der von mir, dem Edelmann Iwan Nikiforows Sohn, Dowgotschun, eingereichten Eingabe gegen den Edelmann Iwan Iwans Sohn, Pererepenko, welche das Kreisgericht zu Mirgorod anzunehmen sich bereit erklärt hat: Jenes freche, eigenmächtige Verfahren des braunen Schweins, ist trotz der Geheimhaltung zu fremder Leute Ohren gedrungen. Diese Unterlassungssünde aber und diese Nachsicht erfordert, als böswillig, und beabsichtigt, ein unverzügliches Eingreifen der Gerichte, denn jenes Schwein ist ein unvernünftiges Tier, und daher um so eher zum straflosen Raub von Dokumenten geeignet. Hieraus geht klar hervor, daß das oft genannte Schwein nicht anders als von dem Gegner, dem sogenannten Iwan, Iwans Sohn, Pererepenko, der schon häufig des Raubes, des Trachtens nach dem Leben anderer und der Gotteslästerung überführt wurde, dazu angestiftet worden ist. Aber das Gericht zu Mirgorod hat mit der ihm eigenen Parteilichkeit für seine Person sein geheimes Einverständnis zu erkennen gegeben, da ohne dieses Einverständnis jenes Schwein nicht zur Entwendung des Dokumentes zugelassen werden konnte, insbesondere da das Mirgoroder Kreisgericht mit Amtsdienern wohl versehen ist: hierfür genügt es als Beweis zu erwähnen, daß sich zu jeder Zeit ein Soldat im Empfangszimmer befindet, der, obwohl er ein schielendes Auge und eine etwas verkrüppelte Hand hat, durchaus dazu geeignet ist, ein Schwein mit einem Knittel zu schlagen und davonzujagen. Aus allem diesen geht die zu große Nachsicht des Gerichts von Mirgorod, sowie die unzweifelhafte, jüdische Teilung eines Vorteils auf Grund gemeinschaftlichen Übereinkommens hervor. Jener oben erwähnte Räuber und Edelmann, Iwan Iwans Sohn Pererepenko, hat, nachdem er sich dergestalt entehrt hat, im Vertrauen hierauf diese Affäre in Szene gesetzt. Daher bringe ich, der Edelmann Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun, dem Kreisgerichte zur Kenntnis, daß, falls jenem Schwein oder dem mit ihm in Einverständnis handelnden Edelmann Pererepenko die genannte Eingabe nicht abverlangt, und das Urteil nicht nach Recht und Gerechtigkeit zu meinem Gunsten gesprochen wird, ich, der Edelmann Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun, fest entschlossen bin, dem Appellationsgericht eine Klage wider jenes Gericht als wegen gesetzwidriger Beihilfe einzureichen, mit der in gebührender Form vorgebrachten Bitte um Desolvierung der Sache zur Revision.

Der Edelmann des Mirgoroder Kreises Iwan Nikiforows Sohn Dowgotschun.“

Dieses Schriftstück tat seine Wirkung. Der Richter gehörte, wie alle gutmütigen Menschen, zu der ängstlichen Brüderschaft. Er wandte sich an den Sekretär. Aber der Sekretär öffnete seine dicken Lippen, stieß nur ein „Hm“ hervor, ... und sein Gesicht nahm jene gleichgültige, teuflisch-zweideutige Miene an, mit der etwa Satan eins seiner Opfer betrachtet, das ihm ins Garn ging und sich hilflos zu seinen Füßen windet. Es blieb nur noch ein Mittel übrig: die beiden Feinde zu versöhnen. Aber wie sollte man das anfangen, da bisher alle Versuche erfolglos geblieben waren. Man beschloß immerhin noch einen letzten Versuch zu machen, aber Iwan Iwanowitsch erklärte kurz und bündig: er wolle nicht, und wurde sogar ernstlich böse. Iwan Nikiforowitsch kehrte dem Vermittler statt einer Antwort den Rücken und sagte kein Wort. So ging denn der Prozeß mit der bekannten Geschwindigkeit, durch welche sich die Gerichte auszeichnen, vorwärts. Das Papier wurde abgestempelt, in die Listen eingetragen, numeriert, geheftet und unterschrieben, und dies alles geschah an ein und demselben Tage; dann wurde es endlich in den Schrank gelegt, und blieb ein, zwei, drei Jahre usw. liegen. Viele Bräute fanden Zeit, ihre Hochzeit zu feiern, in Mirgorod wurde eine neue Straße angelegt, der Richter verlor einen Backenzahn und zwei Schneidezähne, auf Iwan Iwanowitschs Hof liefen noch mehr Kinder herum als früher (Gott allein weiß, wo sie herkamen), Iwan Nikiforowitsch baute Iwan Iwanowitsch zum Trotz einen neuen Gänsestall, der sich freilich in einiger Entfernung von der Stelle befand, auf der der frühere gestanden hatte, ja er verbaute sich ganz gegen Iwan Iwanowitsch, so daß diese würdigen Männer sich fast nie mehr von Angesicht zu Angesicht sahen: die Prozeßakten aber lagen noch immer in schönster Ordnung im Schrank, der von den vielen Tintenklexen allmählich ganz marmoriert wurde.

Unterdessen aber trat ein für ganz Mirgorod äußerst wichtiges Ereignis ein: der Polizeimeister gab eine Assemblee. Wo nehme ich Pinsel und Farben her, um die ganze Großartigkeit der Auffahrt, den Glanz und die Pracht des Festmahls zu schildern. Nehmen Sie eine Uhr, öffnen Sie sie und sehen Sie sich an, was darin vorgeht. Nicht wahr, das ist ein furchtbares Durcheinander? Und nun stellen Sie sich vor, daß ebenso viele, wenn nicht noch viel mehr Räder auf dem Hofe des Polizeimeisters nebeneinander standen. Was gab es da nicht für Wagen und Kutschen! Die einen hinten ganz breit und vorne schmal, die andern vorn breit und hinten schmal; die eine war eine leichte Kalesche und zugleich ein schwerer Lastwagen, die andere weder Kalesche noch Lastwagen, die eine glich einem gewaltigen Heuschober oder einer dicken Kaufmannsfrau, die andere einem flinken Juden oder einem Skelett, das sich noch nicht ganz aus seiner Haut gelöst hat. Die einen sahen im Profil geradezu aus wie eine Pfeife mit einem Pfeifenrohr, und andere ließen sich wieder überhaupt mit garnichts vergleichen, sondern waren ganz seltsame Gebilde von furchtbarer Häßlichkeit und außerordentlich phantastischen Formen. Über dieses Chaos von Rädern und Kutschböcken erhob sich eine besondere Art von Wagen; er hatte ein riesengroßes Fenster, das von einem dicken Querholz durchkreuzt war. Die Kutscher in Kosakenröcken, grauen Bauernkitteln und -Jacken, mit den verschiedensten Schaffell- und andern Mützen führten, mit der Pfeife im Munde, ihre ausgespannten Pferde im Hofe herum. Nein, was war das für eine herrliche Assemblee, die der Polizeimeister gab! Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Namen aller Anwesenden aufzähle: Taraß Tarassowitsch, Jewil Akinfowitsch, Ewtichij Ewtichijewitsch, Iwan Iwanowitsch (nicht der bekannte Iwan Iwanowitsch, sondern ein anderer), Sawa Gawrilowitsch, unser Iwan Iwanowitsch, Eleutherij Eleutheriewitsch, Makar Nazarjewitsch, Thomas Grigorjewitsch ... nein, ich kann nicht weiter, ich habe keine Kraft mehr. Und wieviel Damen da waren! — brünette und weißwangige, lange und kurze, so dicke wie Iwan Nikiforowitsch und so magere, daß man meinte, sie in die Degenscheide des Polizeimeisters stecken zu können. Und wieviel verschiedene Hauben, wie viele Kleider es da gab! rote, gelbe, kaffeebraune, grüne, blaue, neue, gewendete, umgearbeitete — und dann diese Bänder, Tücher, Ridicules! Ade, ihr armen Augen! Nach diesem Schauspiel werdet ihr zu nichts mehr fähig sein. Und welch lange Tafel da gedeckt war! Wie alles durcheinander schwatzte! Welch ein Lärm sich überall erhob! Was ist eine Mühle mit all ihren Mühlsteinen, Rädern und ihrem Stampfwerk dagegen! Ich kann nicht mit Bestimmtheit sagen, wovon man sprach, aber man darf annehmen, daß von vielen angenehmen und nützlichen Dingen die Rede war: vom Wetter, von Hunden, von Weizen, Hauben, Hengsten u. s. w. Endlich, sagte Iwan Iwanowitsch — nicht unser Iwan Iwanowitsch, sondern der andere, der mit dem schielenden Auge: „Es wundert mich sehr, daß mein rechtes Auge (der schielende Iwan Iwanowitsch ironisierte sich immer selbst), Iwan Nikiforowitsch, Herrn Dowgotschchun nicht sieht.“

„Er wollte nicht kommen,“ sagte der Polizeimeister.

„Warum denn nicht?“

„Herrgott, es sind schon bald zwei Jahre, daß sich Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch entzweit haben, und wo der eine ist, geht der andere auf keinen Fall hin.“

„Was Sie sagen!“ Hierbei erhob der schielende Iwan Iwanowitsch seinen Blick gen Himmel und faltete die Hände: „Was soll nur werden, wenn auch die Leute mit gesunden Augen sich nicht mehr vertragen wollen. Wie soll ich mit meinem schielenden Auge in Frieden leben!“ Bei diesen Worten lachten alle aus vollem Halse. Der schielende Iwan Iwanowitsch war sehr beliebt, weil er immer Witze machte, die dem damaligen Zeitgeschmack angepaßt waren. Sogar der große dürre Herr im Friesrock und mit dem Pflaster auf der Nase, der bisher unbeweglich in der Ecke gesessen und keine Miene verzogen hatte — auch da nicht, als ihm eine Fliege in die Nase flog — sogar dieser Herr stand jetzt auf, und näherte sich dem Kreise, der sich um den schielenden Iwan Iwanowitsch gebildet hatte. „Hören Sie,“ sagte der schielende Iwan Iwanowitsch, als er sah, daß der Kreis um ihn herum genügend groß war, „hören Sie, statt daß Sie sich jetzt an meinem schielenden Auge ergötzen, wollen wir doch lieber unsere beiden Freunde versöhnen! Iwan Iwanowitsch unterhält sich gerade mit den Frauensleuten ... wollen wir doch heimlich nach Iwan Nikiforowitsch schicken und die beiden zusammenführen?“

Der Vorschlag Iwan Iwanowitschs wurde einstimmig angenommen; man beschloß, sofort nach Iwan Nikiforowitsch zu schicken und ihn zum Polizeimeister zu Tisch zu bitten, es koste, was es wolle. Aber vorher gab es noch eine wichtige Frage zu lösen: wen sollte man mit diesem verantwortungsvollen Auftrag betrauen? Das brachte alle in Verlegenheit. Lange wurde hin und her gestritten, wer wohl für derartige diplomatische Missionen am geeignetsten sei: endlich aber wurde einstimmig beschlossen, Anton Prokofjewitsch Golopuß zu diesem Zwecke zu entsenden.

Doch ich muß den Leser zuvor mit dieser außerordentlichen Persönlichkeit bekannt machen. Anton Prokofjewitsch war ein vollkommen tugendhafter Mensch in des Wortes höchster Bedeutung. Schenkte ihm einer der Mirgoroder Honoratioren ein Halstuch oder ein Paar Unterhosen, so bedankte er sich; gab ihm jemand einen Nasenstüber, so bedankte er sich gleichfalls. Fragte man ihn: „Anton Prokofjewitsch, warum haben Sie einen braunen Rock mit hellblauen Ärmeln an?“ so antwortete er gewöhnlich: „Sie haben ja nicht einmal einen solchen! Warten Sie, wenn er etwas abgetragen ist, wird sich schon alles ausgleichen.“ Und tatsächlich: mit der Zeit begann das hellblaue Tuch unter dem Einfluß der Sonne braun zu werden, und jetzt paßt es schon ganz gut zu der Farbe des Rocks. Was aber am bemerkenswertesten war, war dies, daß Anton Prokofjewitsch die Angewohnheit hatte, im Sommer Tuch- und im Winter Nankinganzüge zu tragen. Anton Prokofjewitsch besitzt kein eigenes Haus. Einst besaß er eins am Ende der Stadt, aber er verkaufte es, erstand sich für den Erlös drei braune Pferde und einen kleinen Wagen, und fuhr von einem Gutsbesitzer zum andern zu Besuch. Aber da die Pferde ihm doch viel Umstände machten, und er in einem fort Geld für Hafer brauchte, so tauschte Anton Prokofjewitsch sie gegen eine Geige, ein Dienstmädchen und fünfundzwanzig Rubel ein. Die Geige verkaufte er später wieder, und das Mädchen tauschte er gegen einen Saffiantabaksbeutel ein — aber dafür hat er jetzt auch einen Tabaksbeutel wie kein zweiter. Allerdings mußte er diesen Genuß teuer erkaufen: er kann nun nicht mehr von einem Dorf ins andere fahren, er muß in der Stadt bleiben und in den verschiedensten Häusern, gewöhnlich bei Edelleuten, übernachten, denen es Spaß macht, ihm Nasenstüber zu geben. Anton Prokofjewitsch liebt es, gut zu essen, und spielt recht gut Schafskopf oder auch Mühle. Es war immer seine Art, sich unterzuordnen, und darum ergriff er auch jetzt Stock und Mütze, und machte sich ohne weiteres auf den Weg.

Unterwegs überlegte er sichs, wie er Iwan Nikiforowitsch bewegen könnte, die Assemblee zu besuchen. Die schroffe Art des sonst gewiß würdigen Mannes, machte sein Unternehmen fast zu einer Unmöglichkeit. Wie sollte sich auch Iwan Nikiforowitsch dazu entschließen, da ihm doch schon das bloße Aufstehen soviel Mühe machte? Aber angenommen selbst, daß er aufstünde, wie sollte er dahin gehen wollen, wo — und das wußte er zweifellos — wo sein unversöhnlicher Feind sich befand? Je länger Anton Prokofjewitsch darüber nachdachte, um so mehr Hindernisse türmten sich auf. Es war ein schwüler Tag, die Sonne brannte vom Himmel herab, Anton Prokofjewitsch war wie in Schweiß gebadet. Obschon er oft Nasenstüber bekam, war er in mancherlei Hinsicht ein gewiegter Mensch (nur beim Tauschen hatte er manchmal Unglück). Er wußte sehr gut, wann man den Narren spielen mußte, und fand sich mitunter in Situationen und Verhältnissen zurecht, in denen selbst ein Kluger sich keinen Rat gewußt hätte.

Während sein erfinderischer Geist nach Mitteln und Wegen suchte, Iwan Nikiforowitsch zu überreden, gelangte Anton Prokofjewitsch allmählich bis ans Haus und wollte schon mutig der Entscheidung entgegengehen, als ihn ein ganz unvorhergesehener Umstand ein wenig in Verlegenheit brachte. Hier ist es übrigens am Platz, dem Leser die Mitteilung zu machen, daß Anton Prokofjewitsch unter anderm auch ein Paar recht merkwürdige Hosen besaß; sobald er dieses Paar trug, bissen ihn die Hunde immer in die Waden. Unglücklicherweise mußte er gerade heute diese Hosen anhaben. Er war noch ganz in Gedanken vertieft, als ihn plötzlich ein fürchterliches Hundegebell aufschreckte, das von allen Seiten an sein Ohr schlug. Anton Prokofjewitsch begann so zu schreien, (lauter als er kann man überhaupt garnicht schreien), daß nicht nur das bekannte alte Weib und der Besitzer des unförmlichen Rocks ihm entgegenliefen, sondern auch die Jungens aus Iwan Iwanowitschs Hause hinzugerannt kamen. Und obgleich die Hunde nur Zeit gehabt hatten, nach einem seiner Beine zu schnappen, setzte doch dies Anton Prokofjewitschs Mut beträchtlich herab, und so trat er denn mit einer gewissen Befangenheit in den Flur.

Siebentes und letztes Kapitel.

Ah guten Tag, warum necken Sie denn meine Hunde?“ rief Iwan Nikiforowitsch, als er Anton Prokofjewitsch erblickte, denn man sprach allgemein nicht anders, als in scherzendem Tone mit ihm.

„Mögen sie alle verrecken! Wer denkt daran, sie zu necken!“ versetzte Anton Prokofjewitsch.

„Sie schwindeln!“

„Bei Gott nicht! Peter Fedorowitsch läßt Sie zu Tisch bitten.“

„Hm.“

„Bei Gott, er bittet Sie so dringend darum; ich kann es wirklich gar nicht ausdrücken. ‚Was soll das heißen‘, sagt er, ‚Iwan Nikiforowitsch geht mir ja aus dem Wege, wie einem Feinde. Er kommt nicht mehr zu mir; man sitzt nie mehr zusammen, und plaudert nicht mehr miteinander‘.“

Iwan Nikiforowitsch strich sich über das Kinn.

„‚Wenn Iwan Nikiforowitsch heute wieder nicht kommt, dann weiß ich wirklich nicht, was ich davon halten soll. Sicher führt er etwas gegen mich im Schilde. Anton Prokofjewitsch, tun Sie mir doch den Gefallen, sehen Sie zu, ob Sie ihn nicht überreden können.‘ Nun, was meinen Sie Iwan Nikiforowitsch? Kommen Sie mit? Sie finden dort eine reizende Gesellschaft beisammen!“

Aber Iwan Nikiforowitsch lag ruhig da und betrachtete einen Hahn, der auf einem Fuße stand und aus voller Kehle krähte.

„Wenn Sie wüßten Iwan Nikiforowitsch,“ fuhr der eifrige Abgeordnete fort, „was Peter Fedorowitsch für einen herrlichen Stör und für einen frischen Kaviar bekommen hat!“

Hier wandte ihm Iwan Nikiforowitsch das Gesicht zu und begann aufmerksamer zuzuhören.

Dies ermutigte den Abgesandten. „Kommen Sie schnell. Thomas Grigorjewitsch ist auch da. Was ist denn nur?“ fügte er hinzu, als er sah, daß Iwan Nikiforowitsch noch immer in der gleichen Stellung liegen blieb, „gehen wir — oder gehen wir nicht?“

„Ich mag nicht.“

Anton Prokofjewitsch war durch dieses „Ich mag nicht“ ganz verblüfft. Er hatte geglaubt, daß seine überzeugenden Vorstellungen den so würdigen Mann schon völlig gewonnen hatten: und nun mußte er ein glattes Nein vernehmen.

„Warum wollen Sie denn nicht,“ fragte er fast verdrießlich, obgleich ihm so etwas nur ganz selten passierte, (nicht einmal dann, wenn man ihn, wie das der Richter und der Polizeimeister zu ihrem Vergnügen zu tun pflegten, ein Stück brennendes Papier auf den Kopf legte).

Iwan Nikiforowitsch nahm eine Prise.

„Nun denn, machen Sie was Sie wollen, Iwan Nikiforowitsch, obgleich ich nicht verstehe, was Sie zurückhält.“

„Wozu soll ich hingehen,“ sagte endlich Iwan Nikiforowitsch, „der Räuber ist ja doch da.“ So nannte er gewöhnlich Iwan Iwanowitsch. Gerechter Gott! und wie lange war es her ...

„Bei Gott, er ist nicht da! So gewiß ein gerechter Gott im Himmel lebt, er ist nicht da! Mich soll auf der Stelle der Blitz treffen!“ antwortete Anton Prokofjewitsch, der gewöhnt war, Gott in jeder Stunde zehnmal anzurufen. „Kommen Sie schnell, Iwan Nikiforowitsch.“

„Sie schwindeln ja, Anton Prokofjewitsch, er ist sicher da!“

„Bei Gott nein, so wahr mir Gott helfe, nein! Ich will nie von dieser Stelle weichen, wenn er da ist! Urteilen Sie selbst, warum sollte ich lügen? Hände und Füße sollen mir verdorren ... Wie, Sie glauben mir noch immer nicht? Ich will hier vor Ihren Augen verrecken! Mein Vater, und meine Mutter und ich selbst, wir mögen alle um unsere Seligkeit kommen, wenn es nicht wahr ist! Glauben Sie mir noch immer nicht?“

Diese Beteuerungen beruhigten Iwan Nikiforowitsch vollkommen. Er befahl seinem Kammerdiener in dem endlosen Frack, ihm seine Hosen und seinen Nankingrock zu bringen.

Ich halte es für ganz überflüssig zu beschreiben, wie Iwan Nikiforowitsch seine Hosen anzog, wie man ihm die Halsbinde umwickelte und wie man ihm endlich in den Rock hineinhalf, der hierbei unter dem linken Ärmel platzte. Es genügt, wenn ich sage, daß er während dieser ganzen Zeit eine würdige Ruhe bewahrte und mit keinem Wort auf die Vorschläge Anton Prokofjewitschs einging, der ihm durchaus seinen türkischen Tabaksbeutel gegen etwas andres eintauschen wollte.

Unterdessen wartete die ganze Gesellschaft mit Ungeduld auf den entscheidenden Moment, wo Iwan Nikiforowitsch erscheinen, und wo endlich der allgemeine Wunsch in Erfüllung gehen würde, die beiden Ehrenmänner zu versöhnen. Viele waren nahezu überzeugt, daß Iwan Nikiforowitsch garnicht kommen würde. Der Polizeimeister wollte sogar mit dem schielenden Iwan Iwanowitsch eine Wette eingehen, daß er nicht kommen würde. Die Wette kam jedoch nicht zustande, weil der schielende Iwan Iwanowitsch vorschlug, der Polizeimeister solle sein angeschossenes Bein gegen sein schielendes Auge einsetzen; — der Polizeimeister fühlte sich ernstlich verletzt, aber die ganze Gesellschaft lachte im geheimen über diesen Scherz. Niemand wollte sich zu Tisch setzen, obwohl es schon längst zwei Uhr war, eine Zeit, zu der man in Mirgorod auch bei den feinsten Diners längst zu Mittag speist. Sowie Anton Prokofjewitsch in der Tür erschien, umringte ihn die ganze Gesellschaft augenblicklich, aber Anton Prokofjewitsch hatte auf die zahlreichen Fragen nur ein entschiedenes und lautes: „Er kommt nicht!“ Kaum war das Wort gefallen, als ein Hagelwetter von Scheltworten, Vorwürfen und vielleicht sogar Püffen seinen Kopf für die verfehlte Mission bedrohte, doch da tat sich die Türe auf, und Iwan Nikiforowitsch trat herein.

Wenn in diesem Augenblick Satan in höchsteigener Person, oder irgend ein Verstorbener eingetreten wäre — sie hätten bei den Anwesenden kein solches Erstaunen erregt, wie das unerwartete Erscheinen Iwan Nikiforowitschs. Anton Prokofjewitsch aber hielt sich die Seiten vor Lachen und freute sich unbändig, daß er die ganze Gesellschaft so zum Narren gehalten hatte.

Wie dem auch sei, alle hielten es für völlig unwahrscheinlich, daß Iwan Nikiforowitsch sich in so kurzer Zeit hatte ankleiden können, wie es sich für einen Edelmann ziemt. Iwan Iwanowitsch war in diesem Moment gerade nicht im Zimmer, er war aus irgend einem Grunde eben hinausgegangen. Als man sich vom ersten Erstaunen erholt hatte, äußerte die ganze Gesellschaft ihren lebhaften Anteil an dem Wohlbefinden Iwan Nikiforowitschs, und alle sprachen ihre Freude über die Zunahme seiner Körperfülle aus. Iwan Nikiforowitsch küßte alle Anwesenden und sagte: „Sehr verbunden“.

Unterdessen aber drang der Duft der Rübensuppe in das Zimmer und kitzelte in angenehmster Weise die Nasen der hungrigen Gäste. Alle gingen ins Eßzimmer. Eine lange Reihe von stillen und gesprächigen, dicken und dünnen Damen zog voran, und die lange Tafel erstrahlte in allen Farben. Ich werde nicht alle Speisen beschreiben, die aufgetragen wurden, werde nichts über die Knödel in saurer Sahne und das Gekröse, das es zur Rübensuppe gab, sagen, auch nicht von dem Truthahn mit der Pflaumen- und Rosinenfüllung, noch von der Speise, die einem in Kwas[4] eingeweichten Paar Stiefeln gleicht, noch von der Sauce, dem Schwanenliede des alten Kochs, noch vom Pudding, der brennend serviert wurde, was die Damen immer sehr ängstigt und zugleich unterhält. Ich werde nicht von diesen Speisen sprechen, denn ich muß gestehn, daß ich sie viel lieber verzehre als mich des weiteren über sie auslasse.

Iwan Iwanowitsch hatte besonders einem mit Meerrettich zubereiteten Fisch Geschmack abgewonnen. Er beschäftigte sich eifrig mit dieser nützlichen und nahrhaften Veranstaltung, löste die allerkleinsten Gräten heraus und legte sie auf den Rand des Tellers. Dabei blickte er zufällig auf sein Visavis. Himmlischer Vater, war das merkwürdig! Ihm gegenüber saß Iwan Nikiforowitsch.

In demselben Augenblick sah auch Iwan Nikiforowitsch auf .... Nein — ich kann nicht weiter! Man reiche mir eine andere Feder, nein — die meine ist viel zu matt und tot. Für dieses Bild bedürfte sie eines weit feineren Kieles! Der Ausdruck großer Verwunderung, die sich in ihren Gesichtern spiegelte, gab ihren Zügen etwas Steinernes. Jeder von ihnen erblickte das längst vertraute Gesicht, jeder von ihnen war dem Anschein nach unwillkürlich bereit, zum Freunde, der so unerwartet vor ihm saß, hinzutreten und ihm die Tabaksdose mit den Worten hinzuhalten: „Bitte, bedienen Sie sich“ oder „Darf ich Sie bitten, sich zu bedienen!“ Zugleich aber hatten die Gesichter etwas Furchtbares und Unheilverkündendes. Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch waren wie in Schweiß gebadet.

Alle Anwesenden, soviel ihrer bei Tische waren, verstummten vor Spannung und konnten die Augen nicht von den einstigen Freunden wegwenden. Die Damen, die bis dahin in ein sehr interessantes Gespräch über die Entstehung der Kapaunen vertieft waren, brachen plötzlich ab. Alles schwieg. Es war ein Bild, würdig des Pinsels eines großen Künstlers.

Endlich zog Iwan Iwanowitsch sein Taschentuch hervor und begann sich zu schneuzen. Iwan Nikiforowitsch aber sah sich um und suchte mit den Augen nach dem Ausgang.

Aber der Polizeimeister hatte schon bemerkt, was mit ihnen vorging, und ließ die Türe noch fester verschließen. Die beiden Freunde wandten sich daher wieder ihren Speisen zu und würdigten einander keines Blickes mehr.

Sowie jedoch das Diner zu Ende war, sprangen die beiden alten Freunde von ihren Sitzen auf und sahen sich nach ihren Mützen um, um sich schleunigst davonzumachen. Da jedoch winkte der Polizeimeister, und Iwan Iwanowitsch (nicht unser Iwan Iwanowitsch, sondern der andere, mit dem schielenden Auge) stellte sich hinter Iwan Nikiforowitsch, während der Polizeimeister hinter Iwan Iwanowitsch trat. Beide begannen, sie von hinten zu stoßen, um sie gegeneinander zu drängen und nicht eher loszulassen, als bis sie sich die Hände gereicht hätten. Iwan Iwanowitsch (mit dem schielenden Auge) schob Iwan Nikiforowitsch, wenn auch ein wenig schief, doch immerhin ganz geschickt nach der Stelle, wo Iwan Iwanowitsch stand; der Polizeimeister dagegen nahm die Richtung etwas zu sehr nach der Seite, da er mit seinen störrischen Gehwerkzeugen, die ihrem Kommandanten diesmal garnicht parierten, durchaus nicht zurechtkommen konnte. Wie zum Trotz schwenkte er das Bein gar zu weit zurück und nach der entgegengesetzten Richtung (das kam möglicherweise daher, weil bei Tisch sehr viel verschiedene Getränke gereicht worden waren) — jedenfalls fiel Iwan Iwanowitsch auf eine Dame in einem roten Kleide, die sich aus Neugierde bis in die Mitte gedrängt hatte. Dieses Omen ließ nichts Gutes vermuten. Um die Sache wieder einzurenken, trat der Richter an die Stelle des Polizeimeisters, sog mit der Nase allen Tabak von der Oberlippe auf und drängte Iwan Iwanowitsch nach der andern Seite. Das ist die in Mirgorod übliche Art der Versöhnung, sie erinnert entfernt an das Ballspiel. Kaum aber hatte der Richter Iwan Iwanowitsch einen Stoß gegeben, als auch Iwan Iwanowitsch mit dem schielenden Auge sich aus allen Kräften gegen Iwan Nikiforowitsch stemmte und ihn vorwärts stieß. Der Schweiß floß Iwan Iwanowitsch von der Stirne herab wie das Regenwasser von einem Dach. Aber trotzdem beide Freunde sich heftig sträubten, wurden sie doch aneinandergedrängt, da beide Parteien von den Gästen tüchtig unterstützt wurden.

Man umringte sie von allen Seiten und ließ sie nicht früher auseinander, als bis sie sich die Hände gereicht hatten.

„Gott mit Ihnen Iwan Nikiforowitsch, und Iwan Iwanowitsch, sagen Sie doch ehrlich: warum haben Sie sich entzweit! Es war doch nur ein Unsinn! Schämen Sie sich doch vor Gott und vor den Menschen!“

„Ich weiß nicht,“ sagte Iwan Nikiforowitsch, der vor Müdigkeit laut schnaufte, (kein Zweifel, er war durchaus nicht abgeneigt, sich zu versöhnen) „ich weiß nicht, was ich Iwan Iwanowitsch getan habe. Aber warum hat er meinen Stall zerstört? Warum wollte er mich zugrunde richten?“

„Ich bin mir keiner bösen Absicht bewußt,“ sagte Iwan Iwanowitsch, ohne Iwan Nikiforowitsch anzusehen, „ich schwöre vor Gott und vor Ihnen allen, verehrte Freunde und Edelleute, ich habe meinem Feinde nichts getan! Warum verleumdet er mich, warum beschimpft er immer wieder meinen Rang und meinen Namen?“

„Was habe ich Ihnen denn für einen Schaden zugefügt, Iwan Iwanowitsch?“ sagte Iwan Nikiforowitsch. Noch einen Augenblick der Aussprache — und die lange Feindschaft war dicht daran, ganz zu verlöschen. Schon griff Iwan Nikiforowitsch in die Tasche, um seine Tabaksdose hervorzuholen und zu sagen: „Bitte bedienen Sie sich.“

„Ist das vielleicht kein Schaden,“ antwortete Iwan Iwanowitsch, ohne die Augen zu erheben, „wenn Sie, geehrter Herr, mich, meinen Rang und meine Familie durch ein Wort beschimpft haben, das hier zu wiederholen, nicht anständig wäre!“

„Iwan Iwanowitsch, erlauben Sie mir, Ihnen in aller Freundschaft zu sagen:“ (hierbei packte Iwan Nikiforowitsch Iwan Iwanowitsch beim Knopf, ein Zeichen seiner innigsten Sympathie) „der Teufel weiß, weswegen Sie sich beleidigt gefühlt haben: weil ich Sie einen „Gänserich“ genannt habe!“

Iwan Nikiforowitsch sah sofort ein, was für eine Unvorsichtigkeit er begangen hatte, als er dies Wort aussprach — aber es war schon zu spät, das Wort war heraus. Jetzt ging alles zum Teufel! War doch Iwan Iwanowitsch schon damals, unter vier Augen und ohne Zeugen, bei Nennung dieses Wortes ganz außer sich und in eine Wut geraten, die ich, weiß Gott, keinem Menschen wünschen möchte; urteilen Sie also selbst, meine verehrten Leser, was sollte nun geschehen, jetzt, wo das tödliche Wort in Gesellschaft, in Gegenwart vieler Damen gefallen war — denn da liebte es Iwan Iwanowitsch besonders, seine noble Lebensart zu zeigen. Wäre Iwan Nikiforowitsch etwas anderes eingefallen, hätte er Vogel statt Gänserich gesagt, die Sache hätte sich noch einrenken lassen, aber so .... war natürlich alles vorüber!

Iwan Iwanowitsch warf Iwan Nikiforowitsch einen Blick zu — einen Blick! Hätte dieser Blick ausübende Gewalt gehabt, Iwan Nikiforowitsch wäre zu Staub und Asche verbrannt worden. Die Gäste verstanden diesen Blick und bemühten sich, sie zu trennen. Und dieser Mann, das Muster aller Freundlichkeit, der keinen Bettler vorübergehen lassen konnte, ohne ihn anzusprechen und auszufragen, dieser Mann lief in maßloser Wut davon. So mächtig sind die Stürme der Leidenschaft!

Einen ganzen Monat hörte man nichts von Iwan Iwanowitsch. Er schloß sich in seinem Hause ein. Der vorsintflutliche Kasten wurde geöffnet, und es wurden alle möglichen Dinge aus ihm hervorgeholt — ja was denn? Silberrubel, alte vom Großvater ererbte Silberrubel. Und diese Silberrubel wanderten in die schmutzigen Hände von Tintenklexern hinüber. Die Sache ging an den Appellationshof weiter, und erst als Iwan Iwanowitsch die freudige Nachricht erhielt, daß seine Sache morgen entschieden sein würde, erst da entschloß er sich endlich, wieder einen Blick in die Welt zu tun und etwas auszugehen. Oh, weh! Seit jenem Tage benachrichtigt ihn das Appellationsgericht täglich im Laufe von zehn Jahren, daß die Entscheidung morgen fallen werde.


Vor fünf Jahren kam ich einmal durch Mirgorod. Ich hatte mir eine ungünstige Zeit zum Reisen ausgesucht. Es war Herbst, das Wetter war feucht und trübe, überall lag Schmutz und Nebel. Ein unnatürliches Grün — die Folge des trübseligen, ununterbrochenen Regens — bedeckte wie ein dünnes Netz die Felder und Wiesen, und das stand ihnen so an, wie einem Greise Torheiten, oder einer alten Frau Rosen anstehen. Meine Stimmung war damals sehr vom Wetter abhängig: ich wurde stets traurig, sowie das Wetter schlecht war. Nichtsdestoweniger fühlte ich mein Herz heftiger schlagen, als ich mich Mirgorod näherte. Herrgott, wieviel Erinnerungen drängten sich mir auf! Ich hatte Mirgorod zwölf Jahre lang nicht gesehen. Damals lebten hier zwei einzigartige Freunde in rührender Liebe vereinigt. Und wie viele berühmte Männer waren seitdem gestorben! Der Richter Demian Demianowitsch war schon tot, auch Iwan Iwanowitsch mit dem schielenden Auge hatte das Zeitliche gesegnet. Ich fuhr durch die Hauptstraße. Überall ragten Stangen mit aufgehefteten Strohbündeln empor; offenbar fand gerade eine neue Planierung statt. Einige von den Hütten waren abgetragen, und die Reste von Zäunen und Flechtwerk standen ganz melancholisch da.

Es war ein Feiertag, ich ließ meinen mit Matten gedeckten Wagen vor der Kirche halten und trat so leise ein, daß niemand sich umsah. Freilich, es war ja auch niemand da, der sich hätte umsehen können. Die Kirche war fast leer, es war kaum ein Mensch darin: augenscheinlich fürchteten sich auch die Allerfrömmsten vor dem Straßenschmutz. Die Kerzen machten bei dem trüben oder besser kränklichen Tageslicht einen fast beängstigenden Eindruck; die Hallen waren düster, und die runden Scheiben der länglichen Kirchenfenster waren feucht von Regentränen. Ich trat in die Vorhalle und wandte mich an einen ehrwürdigen Mann mit grauen Haaren. „Gestatten Sie mir die Frage, lebt Iwan Nikiforowitsch noch?“ In diesem Augenblick flackerte das Lämpchen vor dem Gottesbild heller auf, und das Licht fiel gerade auf das Gesicht meines Nachbars. Wie sehr erstaunte ich, als ich bei näherem Hinsehen bekannte Züge entdeckte. Das war Iwan Nikiforowitsch in eigener Person, aber wie hatte er sich verändert!

„Sind Sie gesund Iwan Nikiforowitsch? Wie alt Sie geworden sind!“

„Ja, ich bin alt geworden,“ antwortete Iwan Nikiforowitsch. „Ich bin heute aus Poltawa gekommen.“

„Was Sie sagen! Bei dem schlechten Wetter sind Sie nach Poltawa gefahren?“

„Was soll man machen — der Prozeß!“

Unwillkürlich seufzte ich.

Iwan Nikiforowitsch hatte meinen Seufzer gehört und sagte: „Beunruhigen Sie sich nicht; ich habe die bestimmte Nachricht erhalten, daß die Sache in der nächsten Woche entschieden sein wird, und zwar zu meinen Gunsten.“

Ich zuckte die Achseln und ging, um mich nach Iwan Iwanowitsch zu erkundigen.

„Iwan Iwanowitsch ist hier, er ist oben auf dem Chor,“ sagte mir jemand. Ich erblickte eine magere Gestalt. War das wirklich Iwan Iwanowitsch? Sein Gesicht war mit Runzeln bedeckt, die Haare waren schneeweiß, und nur die Pekesche hatte sich nicht verändert. Nach der ersten Begrüßung wandte sich Iwan Iwanowitsch mit dem heiteren Lächeln, das seinem trichterförmigen Gesicht so gut stand, zu mir hin und sagte: „Soll ich Ihnen eine frohe Neuigkeit mitteilen?“

„Eine Neuigkeit?“ fragte ich.

„Morgen wird meine Sache entschieden; das Appellationsgericht hat es mir bestimmt versprochen!“

Ich seufzte noch tiefer und beeilte mich mit dem Abschied, da ich in einer sehr wichtigen Angelegenheit reiste. Ich bestieg meinen Wagen. Die elenden Gäule, die in Mirgorod unter dem Namen Kurierpferde bekannt sind, zogen an und verursachten mit ihren, in der grauen Schmutzmasse einsinkenden Hufen ein unangenehmes Geräusch. Der Regen floß in Strömen auf den auf dem Bock sitzenden Juden herab, der sich durch eine Matte zu schützen suchte. Die Feuchtigkeit drang mir durch Mark und Bein. Der wehmütige Schlagbaum mit dem Wärterhäuschen, in dem der Invalide seine graue Uniform flickte, zog langsam an mir vorüber. Und wieder breitete sich das stellenweise aufgewühlte schwarze, hie und da grünlich schimmernde Feld vor mir aus: nasse Krähen und Raben, der monotone Regen und ein tränenfeuchter, trostlos grauer Himmel!

Es ist eine traurige Welt, meine Herren!

Novellen

übersetzt von
S. Bugow und Mario Spiro

Die Equipage

Das Städtchen B. sah viel fröhlicher aus, seitdem das ***er Kavallerieregiment in ihm Quartier genommen hatte, bis dahin war es dort entsetzlich langweilig gewesen. Wenn man einmal durch die Stadt fuhr und einen Blick auf die niedrigen, getünchten Häuschen warf, die mit einem ganz unglaublich sauren Gesicht dreinschauen, so ... nein es ist unmöglich auszudrücken, wie es einem da ums Herze wurde, — so trübselig, als ob man sein ganzes Geld verspielt, oder bei einer unpassenden Gelegenheit eine große Dummheit gemacht hätte, — mit einem Worte: es war einem gar nicht gut zumute. Der Lehm hatte sich infolge des Regens von den Häusern gelöst, und die Wände hatten ihre ursprüngliche Weiße verloren und waren ganz scheckig geworden; die Dächer sind meistens mit Rohr gedeckt, wie es in unseren südlichen Städten Brauch ist. Die kleinen Gärtchen, die die Häuser umgaben, waren längst verschwunden, da der Stadthauptmann die Bäume des besseren Aussehens wegen hatte fällen lassen. Auf den Straßen begegnete man keiner Seele, es sei denn, daß ein Hahn quer über den Fahrdamm ging, der infolge des hohen Staubes so weich wie ein Kissen war. Dieser Staub verwandelt sich beim geringsten Regen in Dreck, und dann fanden sich in den Straßen des Städtchens B. jene fetten Tiere ein, die von dem zuständigen Stadthauptmann „Franzosen“ genannt wurden, streckten die ernsten Schnauzen aus ihren Badewannen und stimmten ein solches Grunzen an, daß dem Vorüberfahrenden nichts übrig blieb, als die Pferde zu schnellerem Laufe anzutreiben. Allerdings war es schwer, im Städtchen B. einem solchen zu begegnen. Nur selten, ganz selten, rasselte ein mit einem Nankingrock bekleideter Gutsbesitzer, der elf Bauernseelen sein eigen nannte, auf einem kleinen Wagen oder Wägelchen hindurch, indem er hinter den aufgestapelten Mehlsäcken hervorlugte und mit der Peitsche auf die braune Stute einhieb, der stets ein Füllen folgte. Der Marktplatz selbst hatte ein etwas trauriges Aussehen: das Haus des Schneiders ging törichterweise nicht mit der Fassade, sondern mit einer Ecke auf den Platz hinaus; ihm gegenüber wurde bald an die fünfzehn Jahre lang an einem steinernen Hause mit zwei Fenstern gebaut, und ferner sah man dort einen ganz für sich stehenden modernen Bretterzaun, der grau angestrichen war, damit er nicht so von dem Schmutze abstach. Diesen hatte der Stadthauptmann einmal in seiner Jugend, als er noch nicht die Gewohnheit hatte, gleich nach dem Mittagessen zu schlafen und zur Nacht ein gewisses, aus getrockneten Stachelbeeren bereitetes Gebräu zu trinken, zum Muster für die anderen Bauten errichten lassen. Sonst begegnete man überall nur geflochtenen Zäunen. Mitten auf dem Platze standen mehrere winzige Buden, in denen man immer einen Bund Bretzeln, ein Weib in einem roten Kopftuch, ein Pud Seife, ein paar Pud bittere Mandeln, Schrot zum Schießen, starkes baumwollenes Zeug und zwei Ladenburschen finden konnte, die zu jeder Tageszeit vor den Türen standen und Swajka[5] spielten. Sowie jedoch das Kavallerieregiment im Kreisstädtchen B. Quartier genommen hatte, änderte sich alles ganz plötzlich. Das Straßenbild wurde bunter, belebte sich — und nahm, mit einem Wort, ein ganz anderes Aussehen an; die niedrigen Häuschen sahen des öfteren einen gewandten, schlanken Offizier mit einem Federbusch auf dem Kopfe vorübergehen, der zu einem Kameraden ging, um sich mit ihm über die Avancementverhältnisse und den vorzüglichen Tabak zu unterhalten, oder ein Spielchen zu machen, bei dem eine Droschke den Einsatz bildete: ein Gefährt, das man wohl mit Recht die Regimentsdroschke nennen konnte, da sie, ohne das Regiment zu verlassen, bei allen die Runde machte: — heute fuhr der Major in ihr, morgen erschien sie in der Remise eines Leutnants, und eine Woche darauf war sie wieder beim Major, dessen Bursche sie gründlich mit Öl einschmierte. Die geflochtenen Zäune zwischen den Häusern waren überall mit Soldatenmützen geziert, die in der Sonne hingen; stets flatterte ein grauer Mantel vom Tore herab, und in den Gäßchen stieß man immer auf Soldaten, deren Schnurrbärte so borstig waren, wie eine Stiefelbürste. Diese Schnurrbärte fehlten nirgends: wenn sich die Kleinbürgerinnen einmal mit ihren Krügen auf dem Marktplatze versammelten — so guckten hinter ihren Schultern ganz sicher ein paar solche Schnurrbärte hervor. Die Offiziere brachten etwas Leben in die Gesellschaft, die bis dahin nur aus dem Richter, der zusammen mit einer Diakonuswitwe ein Haus bewohnte, und dem Stadthauptmann bestand: einem ruhigen und bedächtigen Menschen, der aber den ganzen Tag über — vom Mittagessen bis zum Abend, und vom Abend bis zum nächsten Mittagessen — zu schlafen geruhte. Die Gesellschaft wurde noch zahlreicher und interessanter, nachdem das Quartier des Brigadegenerals hierher verlegt wurde. Die Gutsbesitzer aus der Umgebung, von deren Existenz bis dahin niemand etwas geahnt hatte, fingen jetzt an, des öfteren in dem Kreisstädtchen zu erscheinen, um mit den Herren Offizieren zusammenzutreffen, oder manchmal eine Partie Whist mit ihnen zu spielen, ein Spiel, von dem ihr durch die vielen Gedanken an die Aussaaten, die Aufträge der Ehefrau und an die Hasenjagden abgeplagtes Gehirn nur noch eine ganz dunkle Ahnung hatte.

Es tut mir sehr leid, daß ich mich nicht daran erinnern kann, was die Veranlassung war, daß der Brigadegeneral einmal ein großes Diner gab; die Vorbereitungen, die zu diesem Feste getroffen wurden, waren ganz außerordentlich; schon am Stadttor konnte man hören, wie in der Küche des Generals mit den Messern geklappert wurde. Ja, für dieses Diner waren die ganzen Marktvorräte aufgekauft worden, sodaß der Richter mit seiner Diakonuswitwe nichts als Kuchen aus Buchweizenmehl und Kartoffelbrei zu essen bekam. Der kleine Hof, der zu der Wohnung des Generals gehörte, war ganz mit Droschken und Kaleschen gefüllt. Die Gesellschaft bestand ausschließlich aus Herren: aus den Offizieren des Regiments und einigen Gutsbesitzern des Kreises. Von den letzteren war Pythagor Pythagorowitsch Tschertokutski sicher der bemerkenswerteste. Dies war einer der vornehmsten Aristokraten des B.er Kreises, der bei den Wahlen mehr Lärm machte, als alle andern zusammen und stets in einer prächtigen Equipage zu erscheinen pflegte. Er hatte früher bei einem Kavallerieregiment gedient und zu den schneidigsten und angesehensten Offizieren gehört; wenigstens war er auf allen Bällen und Festen und überall dort zu sehen gewesen, wo sein Regiment sich gerade aufhielt; darüber kann man sich übrigens am besten bei den Jungfrauen des Tambower und Ssimbirsker Gouvernements erkundigen, doch ist es nicht unmöglich, daß er auch in den übrigen Gouvernements zu einer gewissen Berühmtheit gelangt wäre, hätte er nicht infolge einer sogenannten unliebsamen Affäre seinen Abschied genommen. Hatte er jemandem eine Ohrfeige verabfolgt, oder hatte er selbst eine solche erhalten, dessen kann ich mich nicht mehr genau entsinnen; die Hauptsache war, daß er ersucht wurde, seinen Abschied zu nehmen. Darum hatte er aber doch nicht das geringste an seiner Würde eingebüßt; er trug einen Frack mit einer langen Taille, der die Form eines Waffenrockes hatte, Sporen an den Stiefeln und einen Schnurrbart unter der Nase, weil sonst wohl gar noch ein Edelmann annehmen konnte, daß er bei den Fußtruppen gedient hätte, die er verächtlich „Fußschleicher“ oder manchmal gar „Trampeltiere“ nannte. Er besuchte sämtliche Jahrmärkte, auf denen es immer sehr lebhaft zuging, und wo sich das ganze Innere Rußlands, das aus Müttern, Kindern, Töchtern und dicken Gutsbesitzern besteht, auf Wagen, Kaleschen, Dormeusen und solchen Karossen, wie sie noch niemand, auch nur im Traume gesehen hatte, zu seiner Kurzweil versammelt. Er erriet stets mit dem ihm angeborenen Spürsinn, wo ein Kavallerieregiment stand, und kam sofort angefahren, um den Herren Offizieren einen Besuch abzustatten; dann sprang er vor ihren Augen höchst gewandt aus seiner Equipage oder Droschke und war sofort mit ihnen bekannt. Bei den letzten Wahlen gab er dem Adel ein prachtvolles Diner, bei welcher Gelegenheit er öffentlich erklärte: falls er zum Adelsmarschall gewählt würde, wolle er aufs beste für die Herren Edelleute sorgen. Überhaupt benahm er sich stets als Grandseigneur, wie man sich in der Provinz auszudrücken pflegte; — er heiratete ein recht hübsches Mädchen, das ihm zweihundert Bauernseelen und einige tausend Rubel als Mitgift in die Ehe brachte. Das Geld wurde sofort in einem Gespann von sechs prächtigen Pferden, vergoldeten Türschlössern, einem zahmen Hausaffen und einem französischen Hofmeister angelegt. Auf die zweihundert Seelen, die zusammen mit den eigenen zweihundert vierhundert ausmachten, wurde zur Förderung gewisser kommerzieller Unternehmungen, eine Hypothek aufgenommen. Mit einem Wort, er war ein Gutsbesitzer comme il faut, d. h. ein höchst achtbarer und ehrenwerter Gutsbesitzer. Außer ihm nahmen noch einige andere Gutsbesitzer, über die aber nichts zu sagen ist, an dem Diner des Generals teil. Alle übrigen Gäste waren Militärs, die demselben Regiment angehörten; zwei von ihnen, ein Oberst und ein ziemlich dicker Major, waren Stabsoffiziere. Der General selbst war sehr kräftig und korpulent, im übrigen aber nach der Ansicht der Offiziere ein vortrefflicher Vorgesetzter, und hatte eine recht volle, gewichtige Baßstimme. Das Diner war ganz ungewöhnlich großartig. Der Stör, der Hausen, der Sterlet, die Trappgänse, der Spargel, die Wachteln, die Rebhühner und die Pilze — legten Zeugnis davon ab, daß der Koch seit einem ganzen Tage nichts Alkoholisches zu sich genommen hatte; außerdem hatten ihm die ganze Nacht hindurch vier Soldaten mit Messern in den Händen bei der Zubereitung von Frikassees und Gelees helfen müssen. Eine Unmenge von langhalsigen Flaschen voll Haute Lafitte, und von kurzhalsigen voll Madeira, der wunderbare Sommertag, die sperrangelweit geöffneten Fenster, die auf dem Tische stehenden Teller mit Eis, die zerknitterten Hemden unter den weiten Fräcken, ein wahres Kreuzfeuer von Gesprächen, das von dem tiefen Baß des Generals übertönt und mit Champagner gelöscht wurde; dies alles paßte ganz vortrefflich zueinander. Nach dem Diner erhoben sich die Gäste mit der angenehmen Empfindung einer gewissen Magenfülle, zündeten sich Pfeifen mit langen und kurzen Röhren an und traten, mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf die Terrasse hinaus.


„Ja, jetzt könnte man sie besichtigen,“ sagte der General. „Ach bitte, mein Lieber —“, sprach er zu seinem Adjutanten, einem jungen Herrn von recht sicherem Auftreten und angenehmem Äußeren, „lassen Sie doch die braune Stute herführen! Sie sollen gleich selbst sehen.“ Dabei tat der General einen Zug aus der Pfeife und blies den Rauch weit aus. „Sie hat hier noch nicht die richtige Pflege: dieses verdammte Nest hat keinen einzigen anständigen Stall. Dabei ist es“ — er tat wieder zwei Züge aus der Pfeife — „ein wirklich ganz famoser Gaul!“

„Besitzen Exzellenz ihn schon lange?“ meinte Tschertokutzky, der gleichfalls ein paar Züge tat.

„Paff paff paff pa .. paff, oh, nicht gar so lange; es sind erst zwei Jahre her, daß ich ihn vom Gestüt bezogen habe.“

„Und haben Exzellenz ihn schon zugeritten erhalten“ — paff paff! — „oder ihn erst hier zureiten lassen?“

Paff, paff, pa, pa, pa .. a .. ff. „Erst hier“, und der General verschwand völlig in einer Rauchwolke.

Inzwischen kam ein Soldat aus dem Stall herbeigesprungen, es ertönten Hufschläge, und kurze Zeit darauf erschien ein zweiter in einem weißen Kittel mit einem ungeheuren schwarzen Schnurrbart; er führte ein scheues zitterndes Pferd am Zaume, das plötzlich den Kopf erhob und den auf dem Boden kauernden Soldaten mitsamt seinem Schnurrbart beinahe in die Luft riß.

„Na, na, Agraphena Iwanowna!“ sagte dieser, indem er das Tier unter die Terrasse führte.

Die Stute hieß nämlich Agraphena Iwanowna; kräftig und wild wie eine südländische Schöne, schlug sie mit den Hufen dröhnend gegen die hölzerne Terrasse und blieb plötzlich stehen.

Der General nahm die Pfeife aus dem Munde und besichtigte Agraphena Iwanowna mit zufriedener Miene. Selbst der Oberst kam die Stufen herunter gegangen und faßte Agraphena Iwanowna bei der Schnauze, und auch der Major strich Agraphena Iwanowna über die Beine; die übrigen aber schnalzten nur mit der Zunge.

Tschertokutzky schritt die Treppe hinab und trat gleichfalls an sie heran. Der Soldat stand stramm, hielt den Zaum in der Hand, und sah den Besuchern mit einem solchen Ausdruck in die Augen, als ob er sie auffressen wollte.

„Sehr, sehr gut!“ meinte Tschertokutzky. „Ein echtes Rassepferd! Erlauben Exzellenz mir die Frage, welche Gangart es hat?“

„O, es hat eine recht gute Gangart; nur ... weiß der Teufel ... dieser Schafskopf von einem Feldscher hat ihm solche verteufelte Pillen eingegeben, und nun muß es schon seit zwei Tagen immerwährend niesen.“

„Ein prächtiges Tier, in der Tat! Haben Exzellenz auch die dazu gehörige Equipage?“

„Eine Equipage? Das ist doch aber ein Reitpferd!“

„Das weiß ich; ich habe Sie nur deshalb danach gefragt, Exzellenz, um zu erfahren, ob Sie auch einen Wagen für Ihre andern Pferde besitzen?“

„Hm, allzuviel Wagen habe ich ja nun gerade nicht. Offen gestanden möchte ich eigentlich schon lange eine moderne Equipage haben. Ich habe meinem Bruder, der jetzt in Petersburg lebt, schon darüber geschrieben, weiß aber nicht, ob er mir eine schicken wird oder nicht!“

„Meiner Meinung nach,“ bemerkte der Oberst, „werden die besten Equipagen entschieden in Wien hergestellt, Exzellenz.“

Paff, paff, paff ... „Sie haben vollkommen Recht.“

„Ich besitze eine ganz außerordentlich schöne Equipage, Exzellenz, ein echtes Wiener Fabrikat.“

„Welche? Die, in der Sie hierhergefahren kamen?“

„Nein, das ist nur so ein Reisewagen, den ich bei meinen Reisen benutze, jene dagegen ... ist ganz entzückend leicht; wie eine Pflaumfeder, sage ich Ihnen: wenn Sie hineinsteigen, überkommt Sie ein Gefühl, gerade als ob — mit Eurer Exzellenz Erlaubnis — als ob Sie in der Wiege liegen und von der Amme hin und her geschaukelt werden!“

„Also ist sie wohl sehr bequem?“

„O sehr, sehr bequem; die Kissen und die Sprungfedern, alles sieht aus wie gemalt.“

„Das ist schön.“

„Und wie geräumig sie ist! Das heißt, Exzellenz, ich habe noch nie eine zweite gesehen, die ihr gleich käme. Als ich noch im Dienste stand, da habe ich einmal zehn Flaschen Rum und zwanzig Pfund Tabak im Kutschkasten untergebracht, und dazu hatte ich noch extra sechs Uniformen, sehr viel Wäsche und zwei Pfeifenrohre von beträchtlicher Länge bei mir, Exzellenz; außerdem könnte man in ihren Taschen noch einen ganzen Ochsen verstecken.“

„Das ist schön.“

„Ich habe viertausend Rubel für sie bezahlt, Exzellenz.“

„Nach dem Preise zu urteilen, muß sie sehr schön sein. Und Sie haben sie selbst gekauft?“

„Nein, Exzellenz, ich habe sie ganz zufällig erworben. Ein Kamerad von mir hatte die Equipage gekauft; ein ganz seltener Mensch, ein alter Jungfreund, mit dem Sie sicher auch innige Freundschaft schließen würden, Zwischen uns gab es kein Mein und Dein. Ich habe sie ihm im Kartenspiel abgewonnen. Würden Exzellenz nicht so freundlich sein und mir die Ehre erweisen, morgen bei mir zu Mittag zu speisen? Sie könnten dann auch gleich die Equipage besichtigen.“

„Ich weiß nicht, was ich Ihnen darauf antworten soll ... Ich allein, das wäre ein wenig ... Es sei denn, Sie gestatten, daß ich zusammen mit den Herren Offizieren ...?“

„Natürlich sind mir die Herren Offiziere gleichfalls willkommen. Meine Herren! Ich würde es mir als große Ehre anrechnen, wenn ich das Vergnügen haben dürfte, Sie in meinem Hause zu sehen.“

Der Oberst, der Major und die übrigen Offiziere dankten mit einer höflichen Verbeugung.

„Ich bin selbst der Meinung, Exzellenz, daß, wenn man sich einmal irgend ein Ding anschafft, es auch unbedingt gut sein muß; wenn es nicht gut ist, so sollte man es lieber gar nicht erst kaufen. Bei mir z. B. ... Wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen, mich morgen zu besuchen, werde ich Ihnen einige Gegenstände zeigen, die ich zu wirtschaftlichen Zwecken bei mir eingeführt habe ...“

Der General sah vor sich hin und blies eine Rauchwolke aus.

Tschertokutzky war sehr zufrieden, daß er die Herren Offiziere zu sich eingeladen hatte; er bestellte schon im Geiste allerhand Saucen und Pasteten und wußte nicht, ob er sich zum Whist niedersetzen sollte oder nicht.

Aber als die Herren Offiziere ihn mehrere Male dazu aufforderten, schien ihm eine Weigerung unvereinbar mit den Gesetzen des Anstandes zu sein — und so nahm er denn gleich ihnen an einem Tische Platz. Er merkte gar nicht, wie sich ein Glas Punsch neben ihm einfand, das er in seiner Zerstreuung sofort leerte. Nach zwei Runden fand Tschertokutzky wieder ein Glas Punsch vor, und er leerte es abermals in seiner Zerstreuung, nachdem er zuvor erklärt hatte: „Es ist Zeit meine Herren, daß ich nach Hause komme, es ist wirklich Zeit.“

Übrigens setzte er sich gleich wieder, um noch eine weitere Partie zu spielen. Unterdessen hatten die Gespräche in den verschiedenen Zimmerecken ganz private Bahnen eingeschlagen. Die Whistspieler waren ziemlich schweigsam; die dagegen, die nicht mitspielten, sondern abseits auf dem Sofa saßen, unterhielten sich auf das eifrigste.

In einer Ecke erzählte der Stabsrittmeister, auf ein Kissen gelehnt und mit der Pfeife im Munde, ziemlich frei und zwangslos von seinen Liebesabenteuern und hielt die Aufmerksamkeit des Kreises, der sich um ihn gebildet hatte, vollständig gefesselt. Ein außergewöhnlich dicker Gutsbesitzer mit kurzen Armen, die eine gewisse Ähnlichkeit mit zwei ausgewachsenen Kartoffeln hatten, hörte ihm mit zuckersüßer Miene zu und bemühte sich nur, ihm mit seiner kurzen Hand von Zeit zu Zeit hinter den breiten Rücken zu langen, um ihm die Tabaksdose aus der Rocktasche zu ziehen. In einer anderen Ecke entspann sich ein ziemlich heißer Streit über das Exerzieren der Schwadronen, und Tschertokutzky, der schon zweimal einen Buben statt der Dame ausgespielt hatte, mischte sich plötzlich in das fremde Gespräch und schrie von seinem Tisch aus herüber: „In welchem Jahr war das?“ oder „In welchem Regiment?“, ohne selbst zu bemerken, daß seine Frage sehr oft gar nichts mit dem Gegenstand der Unterhaltung zu tun hatte. Einige Minuten vor dem Souper, hörte der Whist endlich auf; er wurde aber noch im Gespräche fortgesetzt, und es schien, als ob alle Köpfe von ihm eingenommen seien. Tschertokutzky erinnerte sich recht gut, daß er sehr viel gewonnen, aber mit den Händen nichts einkassiert hatte, und daß er, als er sich vom Tisch erhob, sehr lange in der Haltung eines Menschen da stand, der kein Taschentuch bei sich hat. Inzwischen war das Souper serviert worden. Es versteht sich von selbst, daß kein Mangel an Weinen war, und daß Tschertokutzky sich manchmal fast gegen seinen eigenen Willen einschenken mußte, weil immer rechts und links von ihm ein paar Weinflaschen standen.

Das Tischgespräch zog sich in die Länge, nahm aber eine etwas eigentümliche Wendung: ein Oberst, der die Kampagne von 1812 mitgemacht hatte, erzählte von einer Schlacht, die niemals stattgefunden hatte, und entfernte darauf, aus einem ganz unbegreiflichen Grunde, den Pfropfen von einer Karaffe und steckte ihn in den Kuchen. Kurz, als alle aufbrachen, war es schon drei Uhr, und die Kutscher mußten einige Personen wie einen Warenballen in die Arme nehmen und forttragen; Tschertokutzky aber verbeugte sich, als er schon im Wagen saß, trotz seiner aristokratischen Formen noch einmal so tief und mit einem solchen Schwunge, daß er, als er daheim anlangte, in seinem Schnurrbart zwei Kletten mit nach Hause brachte.

Hier lag schon alles in tiefem Schlafe. Nur mit Mühe gelang es dem Kutscher, den Kammerdiener aufzufinden, der den Herrn durch den Salon geleitete, und ihn dem Stubenmädchen überantwortete; dieses folgte Tschertokutzky, so gut es ging, bis zum Schlafzimmer, wo er sich neben seinem jungen, hübschen Frauchen, das in seinem schneeweißen Nachthemd höchst anmutig dalag, ins Bett fallen ließ. Die Erschütterung, die dieser Fall ihres Ehegatten verursachte, weckte sie aus dem Schlaf. Sie reckte sich, schlug ihre Augen auf, kniff sie ganz rasch dreimal hintereinander zusammen, und öffnete sie wieder mit einem schmollenden Lächeln; da sie aber sah, daß er ihr diesmal durchaus keine Liebkosung erweisen wollte, drehte sie sich verdrossen auf die andere Seite um und schlief, die frische Wange auf die Hand gestützt, bald wieder ein.

Es war eine Tageszeit, die auf dem Lande keineswegs für besonders früh angesehen wird, als die junge Herrin neben dem schnarchenden Gemahl erwachte. Sie erinnerte sich, daß er gestern erst gegen 4 Uhr nachts nach Hause gekommen war, und es tat ihr leid, ihn zu wecken. So schlüpfte sie denn in ihre Morgenschuhe, die sich ihr Gatte aus Petersburg verschrieben hatte, trat mit einem weißen Negligé bekleidet, das an ihr herabfloß wie ein rieselndes Gewässer, in ihr Ankleidezimmer, wusch sich mit Wasser, das so frisch war wie sie selbst, und ließ sich vor dem Toilettenspiegel nieder. Nachdem sie einige prüfende Blicke hineingeworfen hatte, stellte sie fest, daß sie heute äußerst vorteilhaft aussah. Dieser anscheinend unbedeutende Umstand veranlaßte sie, genau zwei Stunden länger als gewöhnlich vor dem Spiegel zu verbringen; endlich zog sie sich sehr niedlich an und begab sich in den Garten, um sich etwas zu erfrischen. An diesem Morgen war das Wetter so herrlich, wie es nur ein südlicher Sommertag hervorzubringen vermag. Die Sonne, die bereits den Höhepunkt überschritten hatte, sengte einen mit der ganzen Glut ihrer Mittagsstrahlen. Aber unter dem Laub der Alleen konnte man, ohne von ihnen belästigt zu werden, spazieren gehen. Die von der Sonne erwärmten Blumen verdreifachten ihren Duft. Die hübsche Hausfrau hatte ganz vergessen, daß es bereits zwölf Uhr geschlagen hatte, und daß ihr Gatte noch immer nicht erwacht war. Schon drang das nachmittägliche Schnarchen zweier Kutscher und eines Groom, die im Stall hinter dem Garten schliefen, an ihr Ohr, sie aber weilte noch immer in der lauschigen Allee, von der sie einen freien Blick nach der Landstraße hin hatte, und blickte zerstreut in die menschenleere Einsamkeit, als plötzlich eine Staubwolke, die sich in der Ferne erhob, ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie spähte scharf hin und unterschied bald einige Wagen. Voran fuhr eine offene, zweisitzige Equipage, in der der General saß, dessen schwere Epauletten in der Sonne glänzten, und neben ihm saß der Oberst. Dieser folgte eine zweite, viersitzige; sie barg den Major mit dem Adjutanten des Generals und noch zwei Offizieren, die ihnen gegenüber saßen. Dann kam die allgemein bekannte Regimentsdroschke, die diesmal im Besitze des dicken Majors war. Hinter der Droschke fuhr ein viersitziger Bon-Voyage her, in dem vier Leutnants Platz genommen hatten, während ein fünfter in ihren Armen ruhte. Und endlich hinter diesem gewahrte man drei Offiziere auf herrlichen dunklen Apfelschimmeln.

„Kommen sie wirklich zu uns?“ fragte sich die Hausfrau. „Ach, Herrgott! Sie wenden und fahren tatsächlich auf die Brücke zu.“ Sie schrie auf, schlug die Hände zusammen und lief über Beete und Blumen hinweg direkt in das Schlafzimmer ihres Mannes. Dieser lag noch immer da und schlief wie ein Toter.

„Steh auf! Steh schnell auf!“ rief sie und packte ihn am Arm.

„Wie?“ gähnte Tschertokutzky, der sich mächtig reckte, ohne die Augen zu öffnen.

„Steh auf, Männe! Hörst du, die Gäste kommen!“

„Gäste? Was für Gäste?“ Nach diesen Worten grunzte er leise vor sich hin wie ein Kalb, das mit der Schnauze das Euter der Mutter sucht. „Hm, hm!“ brummte er, „reich mir doch dein Hälschen her, mein Herzblatt, ich will dir einen Kuß geben.“

„Beeile dich doch um Gotteswillen mit dem Aufstehen, Schatz! Der General kommt mit seinen Offizieren. Ach, Herrgott, du hast ja eine Klette im Schnurrbart!“

„Der General? Was, er kommt schon? Aber weshalb hat mich denn, hol’s der Teufel, niemand geweckt? Und das Diner? Was ist mit dem Diner? Ist auch alles fertig, wie es sich gehört?“

„Was für ein Diner?“

„Hab ich denn keins bestellt?“

„Du? Du bist ja erst um 4 Uhr nachts nach Hause gekommen? So sehr ich mich auch bemühte, dich auszufragen, du wolltest mir nicht antworten. Ich habe dich nicht geweckt, Männe, weil du mir leid tatest.“ Die letzten Worte sagte sie mit einer äußerst schmachtenden und bittenden Stimme.

Eine Minute lang lag Tschertokutzky mit weit aufgerissenen Augen wie vom Blitz getroffen auf seinem Lager. Endlich sprang er im bloßen Hemde aus dem Bette, wobei er garnicht daran dachte, daß das eigentlich unanständig sei.

„Ach ich dummes Pferd!“ sagte er und schlug sich an die Stirn. „Ich habe sie ja zum Mittagessen eingeladen. Was tun? Sind sie noch weit von hier?“

„Ich weiß nicht. Sie müssen jeden Augenblick eintreffen.“

„Verstecke dich, Schatz. He! Wer da! Du Mädel, komm mal her! Was fürchtest du dich, dumme Gans? Die Offiziere können jeden Augenblick hier sein! Sag ihnen, der Herr sei nicht zu Hause. Sage, daß er heute garnicht mehr zurückkommt, er sei schon ganz früh am Morgen abgereist. Hörst du, und sage es auch allen Knechten und Mägden! Geh schnell!“

Mit diesen Worten packte er eiligst den Schlafrock zusammen und lief spornstreichs in die Remise, um sich dort zu verstecken, da er hier am sichersten zu sein glaubte. Als er es sich aber in einem Winkel bequem machen wollte, sah er, daß er auch hier noch bemerkt werden könne. „Das da wird besser sein,“ schwirrte es ihm durch den Kopf; sofort ließ er das Trittbrett der gerade dastehenden Equipage herunter, sprang in sie hinein, schlug die Türe hinter sich zu, bedeckte sich vorsichtshalber mit dem Vorhang und dem Lederschurz und saß mäuschenstill da, indem er sich in seinen Schlafrock hüllte und niederkauerte.

Unterdessen waren die Wagen bei der Terrasse vorgefahren. Der General stieg heraus und schüttelte sich tüchtig. Nach ihm erschien der Oberst, der den Federbusch auf seiner Mütze zurechtrückte. Dann sprang der dicke Major mit dem Säbel unter dem Arm heraus, sodann entstiegen die schlanken Leutnants mitsamt dem Fähnrich, der auf ihren Armen gesessen hatte, dem Bon-Voyage, und endlich saßen die drei Reiter ab.

„Der Herr ist nicht zu Hause!“ sagte der Lakai, der sich auf die Terrasse hinausbegeben hatte.

„Wieso nicht zu Hause? Er kommt aber doch zum Mittagessen?“

„Nein, der Herr ist für den ganzen Tag verreist. Er wird frühestens morgen um diese Zeit zurückerwartet!“

„Da haben wir’s!“ sagte der General. „Wie kommt denn das?“

„Das muß ich sagen, das ist aber ein schöner Streich,“ sagte der Oberst lachend.

„Nein, wie kann man nur so etwas tun?“ fuhr der General ziemlich ärgerlich fort.

„Ja ... zum Teufel! ... Wenn du einen nicht empfangen kannst, weshalb lädst du uns denn dann ein?“

„Ich verstehe nicht, wie man so etwas tun kann, Exzellenz!“ sagte ein junger Offizier.

„Was?“ fragte der General, der dieses Fragewort stets anzuwenden pflegte, wenn er mit einem Offizier sprach.

„Ich meinte nur, wie kann man bloß so handeln, Exzellenz?“

„Natürlich! Ja, wenn es absolut nicht anders geht usw., so teilt man es einem doch wenigstens vorher mit, oder man ladet einen lieber überhaupt nicht erst ein.“

„Ja, Exzellenz, was können wir tun? Wollen wir nach Hause fahren?“ sagte der Oberst.

„Selbstverständlich! Es bleibt uns ja gar nichts anderes übrig. Aber wir können uns schließlich die Equipage auch ohne ihn ansehen. Er wird sie wohl kaum mitgenommen haben. He, holla, wer ist da? komm mal her, Brüderchen!“

„Zu Befehl!“

„Bist du der Stallknecht?“

„Jawohl, Eure Exzellenz!“

„Zeig uns doch mal die neue Equipage, die dein Herr sich unlängst angeschafft hat!“

„Bitte, kommen Sie mit mir in die Remise!“

Und der General begab sich mitsamt den Offizieren dorthin.

„Gestatten Sie, ich werde sie ein wenig herausziehen. Hier ist es zu dunkel!“

„Genug, genug, es ist schon gut!“

Der General und die Offiziere gingen um die Equipage herum und sahen sich die Räder und Sprungfedern sorgfältig an.

„Hm, das ist doch nichts Besonderes,“ meinte der General. „Eine ganz gewöhnliche Equipage!“

„Ein höchst unansehnliches Ding,“ bestätigte der Oberst. „An der ist wahrhaftig nicht viel Gutes zu entdecken.“

„Mir scheint, Exzellenz, sie ist gar keine 4000 Rubel wert,“ meinte einer der jungen Offiziere.

„Was?“

„Ich sage, daß sie meiner Meinung nach gar keine 4000 Rubel wert ist, Exzellenz!“

„Ach was! 4000! Sie ist keine 2000 wert! An dem Ding ist doch gar nichts dran! Es müßte denn sein, daß es drinnen etwas Besonderes zu sehen gibt. Bitte, mein Lieber, schnalle doch mal den Lederschurz ab.“

Und Tschertokutzky bot sich den Blicken der Offiziere dar; er saß in seinen Schlafrock gehüllt, in einer seltsamen Stellung zusammengekauert am Boden der Kutsche.

„Ach, Sie sind hier?“ sagte ganz verdutzt der General.

Er schlug die Tür zu, bedeckte Tschertokutzky mit dem Schurz und fuhr mit seinen Herren Offizieren von dannen.

Anhang

Mirgorod

Beide Teile dieser Novellensammlung erschienen im April des Jahres 1835. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum „den 29. Dezember 1834“.

Mirgorod (Erster Teil.)

I. Gutsbesitzer aus der alten Zeit. Der erste Entwurf dieser Novelle stammt aus dem Jahre 1833. 1834 arbeitete Gogol sie noch einmal für den Druck um.

II. Taraß Bulba. Die erste Fassung dieser Erzählung stammt aus dem Jahre 1834. In den Jahren 1839-1842 arbeitete Gogol den ursprünglichen Text für den zweiten Band seiner gesammelten Werke noch einmal um. Unser Text geht auf diese letzte Fassung zurück.

Mirgorod (Zweiter Teil.)

III. Wij. Diese Erzählung ist 1833 begonnen und 1834 noch einmal für die erste Ausgabe von „Mirgorod“ umgearbeitet. Die erste Ausgabe enthielt noch eine Fußnote, die am Schluß der Erzählung, unter dem Strich, abgedruckt war, und folgenden Wortlaut hatte: „Ein Versehen. In dieser Erzählung ist aus Unachtsamkeit die Hälfte einer Seite ausgelassen, aus der wir erfahren, wie der Bursche Choma Brut in der Tochter des Hauptmanns die Hexe wiedererkannte, die ihm in Gestalt einer alten Frau begegnet war.“ Vermutlich meint der Verfasser folgende Zeilen des handschriftlichen Textes, die im Drucke weggefallen sind. „‚Er kennt mich, er erinnert sich sicher noch an den Schafs .... Was aber dort im Schafs .... vorgefallen ist, habe ich nicht mehr gehört. Das liebe Kind hatte nur noch Zeit diese Worte zu sagen, — dann legte sie sich hin und starb.‘ Ein übermächtiger Schmerz ließ den Hauptmann einen Augenblick inne halten. ‚Du mußt wissen‘, sagte er, nachdem er sich ein wenig erholt hatte, ‚was das zu bedeuten hat, im Schafs ....‘ — ‚Gott mag wissen, was das heißt, Herr Hauptmann. Ich habe einen Schafspelz. Vielleicht meinte sie den. Vielleicht hat sie mich einmal auf dem Bazar oder sonstwo in ihm gesehen‘.“ Gogol hat dann den Wij für die erste Ausgabe seiner gesammelten Werke noch einmal umgearbeitet. Hierbei hat er, abgesehen von mehreren unwesentlichen Verbesserungen, noch folgenden Stellen eine veränderte Fassung gegeben.

1) Seite 262 von den Worten an: „Sie stöhnte anfangs wütend“ bis zum Ende des Absatzes „Choma zitterte am ganzen Körper“ Seite 263. In der ersten Bearbeitung lautete die Stelle folgendermaßen: „und er begann mit aller Gewalt auf die Alte loszuschlagen. Nach einigen Schlägen merkte er, daß sie immer langsamer und langsamer zu laufen begann, der Philosoph aber schlug immer eifriger auf sie ein. Endlich hielt die Hexe es nicht mehr aus, fing an zu wanken und brach unter seinen Schlägen zusammen. Unterdessen war der Tag angebrochen, die Vögel jubilierten in den stillen, schlaftrunkenen Haselnußsträuchern; vor ihm, wie auf der Handfläche, lag Kiew mit seinen länglichen birnenförmigen Kuppeln. Er sprang auf, warf einen Blick auf die vor ihm liegende und kaum noch atmende Hexe, und er konnte sich sein eigenes Gefühl nicht erklären: sah er doch, wie ihr Gesicht sich verjüngte, und wie ein schneeweißer Glanz in ihm aufleuchtete; jetzt kam sie ihm garnicht mehr alt vor, ein eigentümlicher, halb lieblicher, halb abstoßender Zug umspielte ihre Lippen und drang ihm schneidend bis ins Herz hinein. Er fühlte etwas wie Mitleid in sich aufsteigen, aber er wollte nicht länger bei ihr bleiben, und machte sich schleunigst auf den Weg nach der Stadt, während er unaufhörlich über dies seltsame Abenteuer nachsann.“

2) Die Zeilen: „Plötzlich glaubte er in ihrem Gesicht etwas furchtbar Vertrautes zu erkennen. — Es war dieselbe Hexe, die er getötet hatte.“ (Seite 280) lauteten in der ersten Fassung folgendermaßen: „‚Das ist ja die Hexe, die ich getötet habe,‘ schrie er entsetzt auf, als er sie sich näher ansah. Und in der Tat, ihr Gesicht trug dieselben Züge, die ihn damals in Erstaunen gesetzt hatten, als er statt des alten Weibes eine Jungfrau vor sich liegen sah ‚Ah, das also war der Grund, warum ich für sie beten sollte.‘ Voll inneren Grauens blickte er auf sie: jeder Zug ihres Gesichtes schien ihm jetzt etwas Schreckliches und Drohendes zu haben, und kalter Schweiß rann ihm von der Stirn herab.“

3) Auch die folgende Stelle hat eine Umarbeitung erfahren. (Seite 293: „Wieder erhob sich der Leichnam, der jetzt ganz blau und grün aussah. Die Lippen der Toten bewegten sich und schienen etwas sagen zu wollen. Sie stampfte mit ihrem zarten, fast knochenlosen Fuß dumpf auf den Boden, und die ganze Kirche erzitterte. Er glaubte zu hören, wie sich etwas auf sie legte, und an den Fenstern erschienen allerhand schreckliche Gestalten von furchtbarer Häßlichkeit. Aber in diesem Augenblick ertönte ein ferner Hahnenschrei, und die Leiche sank in den Sarg zurück.“

4) Ferner ist folgende Stelle stark gekürzt und umgearbeitet worden. Seite 304: „Er ließ den Kopf sinken und fuhr in seinen Beschwörungen fort, da hörte er plötzlich, wie die Tote mit den Zähnen knirschte und die Hände hin und her zu bewegen begann, als wolle sie ihn fassen. Er blickte vorsichtig nach ihr hin, und sah, daß die Leiche gar nicht dahin griff, wo er stand, und daß sie ihn gar nicht sehen konnte. Dieser Mißerfolg schien die Tote rasend zu machen, sie knirschte wieder mit den Zähnen, trat in die Mitte der Kirche und stampfte abermals mit dem Fuße, aber es gab nur einen kurzen dumpfen Ton, ihre Lippen verzerrten sich und schienen etwas vor sich hin zu murmeln; allein man hörte nicht, was es war. Der Philosoph vernahm, wie die Wände der Kirche zu stöhnen begannen, ein seltsames Murren und ein schneidendes Gewimmer drang unter dem dumpfen Gewölbe hervor, von den Fenstern her erscholl ein widerwärtiges Kratzen und plötzlich drang aus Türen und Fenstern mit furchtbarem Lärm und Getöse eine Unzahl von Gnomen von schrecklichem und abstoßendem Äußern herein, wie sie noch nie jemand — nicht einmal im Traume gesehen hat. Der Philosoph sah plötzlich eine ungeheure Menge widerwärtiger Flügel, Füße und Gliedmaßen vor sich, die er in seiner Angst gar nicht einzeln zu unterscheiden vermochte. Hoch über alle hinaus ragte ein seltsames Wesen, das die Form einer Pyramide hatte und ganz mit Schleim bedeckt war. Statt der Füße besaß es zwei Knochen, die die Gestalt eines halben menschlichen Kinnbackens hatten; oben von der Spitze dieser Pyramide hing eine lange Zunge herab, die das Ungeheuer beständig ausstreckte und nach allen Seiten hin und her bewegte. Auf dem gegenüberliegenden Chor saß etwas Großes, Weißes mit zwei langen weißen Säcken, die es statt der Beine herabhängen ließ; an Stelle der Arme, Augen und Ohren hatte es gleichfalls Säcke, die tief herunterhingen. Ein wenig weiter reckte sich etwas Schwarzes empor, das ganz mit Schuppen bedeckt war, es hatte eine Unzahl von feinen dünnen Händen, die es über der Brust gekreuzt hielt, und statt des Kopfes eine blau schimmernde Menschenhand. Ein riesenhafter Schwabenkäfer fast von der Größe eines Elefanten, war an der Tür stehen geblieben und streckte seine Fühler durch die Türöffnung herein, von der Spitze der Kuppel fiel etwas Schwarzes lärmend in die Mitte der Kirche herab: es bestand aus lauter Beinen, die sich auf dem Boden hin und her bewegten und sich unaufhörlich zusammenkrümmten, wie wenn das Ungeheuer sich erheben wollte. Ein rötlich-blaues Wesen ohne Hände und ohne Beine streckte zwei lange Rüssel in die Luft hinaus und schien nach jemand zu suchen, und eine gewaltige Menge anderer Geschöpfe, die das erschrockene Auge schon nicht mehr zu unterscheiden vermochte, ging, flog und kroch in allen Richtungen durcheinander; eins bestand einzig und allein aus einem Kopf, ein anderes aus einem abscheulichen Rachen, ein drittes aus einem Flügel, welcher mit unerträglichem Zischen durch die Luft flog. Choma schloß die Augen und hatte nicht mehr den Mut, hinzublicken. Er hörte nur, daß diese ganze Gesellschaft nach ihm suchte, er bemühte sich krampfhaft, sich aller Beschwörungen, die er kannte, zu erinnern, und sprach sie mit hastiger, stockender Stimme vor sich her.

Die Angst und das Entsetzen trieben ihm den Schweiß auf die Stirn. Es schien ihm, als müsse er vor lauter Schrecken sterben, wenn das Bein eines dieser Ungeheuer von so abstoßendem Äußern ihn berühren würde. Schon sah er, wie eine dieser Mißgeburten seine langen Rüssel ausstreckte, und wie einer von diesen über den Strich hinaus langte ... O Gott! Aber da ertönte ein Hahnenschrei, die ganze Schar erhob sich mit einem Male und flog zu den Türen und Fenstern hinaus.

5) Vollkommen verändert ist auch der Schluß der Erzählung, der in der ersten Fassung folgenden Wortlaut hatte: „Plötzlich vernahm er inmitten der Stille aufs neue das widerwärtige Kratzen, Pfeifen, Klirren und Lärmen an den Scheiben. Ängstlich schloß er die Augen und hörte einen Augenblick auf, zu lesen. Ohne die Augen zu öffnen, vernahm er plötzlich, wie ein ganzer Haufen von Ungeheuern mit Getöse auf den Boden fiel, das von einem schrecklichen dumpfen oder hellen Gepolter, zarten Geräuschen, wie wenn etwas Weiches herabfiele, oder widerlichem Gewinsel begleitet war. Er öffnete seine Augen ein wenig, schloß sie aber schnell wieder. Entsetzen umfing ihn; es waren dieselben Gnomen von gestern, nur mit dem Unterschiede, daß er noch eine ganze Menge neuer unter ihnen erblickte. Nahezu ihm gegenüber stand etwas Kohlschwarzes, dessen dunkles Skelett deutlich hervortrat, und zwischen dessen dunklen Rippen der gelbe Leib deutlich durchschimmerte. Etwas abseits stand ein langes, mageres Wesen, das einem Stocke glich und aus lauter Augen mit langen Wimpern zusammengesetzt zu sein schien. Etwas weiter sah er ein riesenhaftes Ungeheuer, das beinahe die ganze Wand einnahm und in einen dichten Wald von durcheinander gewirrten Haaren eingehüllt war. Aus diesem Haarnetz blickten zwei entsetzliche Augen hervor. Voller Angst schaute er empor: über ihm in der Luft schwebte etwas wie eine gewaltige Blase, die aus ihrer Mitte tausend Krebsscheren und Skorpionenstacheln hervorstreckte, an denen mächtige Klumpen schwarzer Erde hingen. Entsetzt richtete er seine Augen wieder auf sein Buch. Die Gnomen machten einen fürchterlichen Lärm mit ihren Schuppenschwänzen, ihren mit Krallen versehenen Füßen und ihren rauschenden Flügeln, und er hörte, wie sie ihn allesamt in allen Ecken suchten. Das alles machte, daß der letzte Rest seines Rausches verschwand, der noch im Kopfe des Philosophen rumorte, und voller Eifer las er seine Gebete herunter. Er hörte, wie jene vor Wut rasten, weil sie ihn nicht zu finden vermochten. ‚Wie wenn sich nun plötzlich die ganze Schar auf mich stürzte?‘ dachte er und schrak bei diesem Gedanken zusammen. ‚Wij! laßt uns den Wij holen‘ schrie eine Menge seltsamer Stimmen durcheinander, und es schien ihm, wie wenn ein Teil der Gnomen sich entfernte. Dennoch aber stand er mit geschlossenen Augen da, und wagte es nicht aufzublicken. ‚Wij, Wij,‘ schrien alle mit lauter Stimme, und aus der Ferne ertönte Wolfsgeheul und dumpfes Hundegebell. Die Tür sprang krachend auf, und Choma hörte, wie eine ganze Schar von Geistern hereinstürzte, dann wurde es plötzlich still, wie in einem Grabe. Er wollte die Augen öffnen, aber eine innere Stimme flüsterte ihm zu: ‚sieh nicht hin‘. Er nahm alle Kraft zusammen .. doch eine unbegreifliche, vielleicht aus der Angst stammende Neugierde machte, daß sein Auge sich wie von selbst öffnete. Vor ihm stand ein riesengroßes Geschöpf von menschlicher Gestalt, dessen Augenlider bis zur Erde herabhingen. Voller Grauen bemerkte der Philosoph, daß das Antlitz dieses Wesens von Eisen war, und er richtete seine glühenden Augen wieder auf sein Buch. ‚Hebt mir die Lider empor,‘ sagte Wij mit unterirdischer Stimme, und die ganze Dämonenschar stürzte auf ihn zu, um ihm die Lider emporzuheben. ‚Sieh nicht hin,‘ flüsterte eine innere Stimme dem Philosophen zu. Aber er hielt es nicht aus und blickte hin. Zwei schwarze Kanonenkugeln starrten ihm gerade in die Augen, und eine eiserne Hand erhob sich und wies mit dem Finger auf ihn. ‚Da ist er,‘ schrie Wij, und alle Dämonen, die in der Kirche waren, all die scheußlichen Ungeheuer fielen zusammen über ihn her, und leblos stürzte er zu Boden. Der Hahn krähte schon zum zweitenmal, den ersten Schrei hatten die Geister überhört. Jetzt erhoben sich die Dämonenscharen und wollten davonfliegen, aber es war schon zu spät, sie kamen nicht vom Flecke und blieben regungslos zwischen Türen und Fenstern, an der Kuppel und in den Ecken und Winkeln hängen ... Da öffnete sich die Tür, und ein Geistlicher, der aus einem fernen Dorfe gekommen war, um die Totenmesse abzuhalten und die Tote zu begraben, betrat die Kirche. Entsetzt wich er zurück, als er diese Schändung des Allerheiligsten erblickte, und er wagte es nicht, das göttliche Wort in diesen Räumen erklingen zu lassen. So blieb denn seit jener Zeit in dieser Kirche alles, wie es war. Auch heute noch sind die Ungeheuer dort in den Fenstern festgebannt. Die Kirche ist mit Moos bewachsen, und von Bäumen und Sträuchern überwuchert, die ihre Wurzeln bis in die Wände und Mauern hineinsenken: nie wird sie von einem menschlichen Fuße betreten, und keine Seele weiß, wo und in welcher Gegend sie sich befindet.“

IV. Wie Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch sich entzweiten. Diese Erzählung ist nach Gogols eigenem Zeugnis im Jahre 1831 entworfen; im April des Jahres 1833 befand sie sich bei Smirdin, der sie im „Almanach Nowosselje“ (Neues Heim) abdruckte. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum „den 18. April 1834“. Am 7. April desselben Jahres las Gogol diese Erzählung Puschkin vor.

Novellen

V. Die Equipage. Der erste Entwurf dieser Erzählung stammt aus dem Jahre 1835; im September desselben Jahres wurde sie noch einmal für Puschkins Zeitschrift umgearbeitet, und im ersten Bande des Sowremennik („Der Zeitgenosse“) abgedruckt. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum „den 31. März 1836“.


Druck von Mänicke & Jahn, Rudolstadt.

Fußnoten

[1] Eine Art Mandoline.

[2] Wij ist eine ins Riesenhafte gehende Schöpfung der Volksphantasie. So heißt nämlich bei den Klein-Russen der Fürst der Gnomen, dessen Augenlider bis an die Erde reichen. Die ganze folgende Erzählung ist eine Volkssage. Ich wollte sie völlig unverändert lassen, und erzähle sie daher fast ebenso schlicht und einfach, wie ich sie gehört habe.

[3] Ein russischer Nationaltanz.

[4] Eine Art kalte Schale.

[5] Das Spiel besteht darin, daß ein langer Nagel mit schwerem Kopfe so geworfen wird, daß er sich innerhalb eines eisernen Ringes in die Erde einbohrt.

Anmerkungen zur Transkription

Fußnoten wurden am Ende des Buches gesammelt.

Der Originaltext ist in Fraktur gesetzt. Im Original g e s p e r r t hervorgehobener Text wurde in einem anderen Schriftstil markiert. Textstellen, die im Original in Antiqua gesetzt sind, wurden in einer anderen Schriftart markiert.

Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht verändert. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme der russischen Originaltexte, korrigiert wie hier aufgeführt (vorher/nachher):






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both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
business@pglaf.org.  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     gbnewby@pglaf.org


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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